Am Puls 04-2012

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04/2012

Jahrgang 09

20348

5,00 Euro

MAGAZIN FÜR

POLITIK UND GESUNDHEIT Hermann Gröhe über Chancen der Demografie

S. 14

Andreas Mundt Wieviel Markt verträgt die Gesundheit? S. 10

Neue Perspektiven, neue Herausforderungen

Peter Knüpper Patientenrechte per Gesetz

S. 18

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Caring and curing Caring and curing Leben retten und Gesundheit

Leben retten und ist Gesundheit verbessern – das unser Ziel. verbessern – das ist unser Ziel.

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EDITORIAL

Falsches Signal Nun ist sie also weg, die ungeliebte Praxisgebühr. Seit deren Einführung wollten die Diskussionen um Sinn oder Unsinn einer solchen Gebühr nicht enden. Dabei war es vor allem die Union, die ständig die maßgeblich von der SPD und der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeführte Praxisgebühr gegen Angriffe aus allen möglichen Richtungen verteidigen musste. Nun kann man sicherlich darüber streiten, ob diese Maßnahme letztlich das gebracht hat, was man einst damit bewirken wollte. Die Arztbesuche wurden nicht weniger, die Steuerungswirkung war nicht da, also weg damit und das nach dem alten Kölner Motto: „Hammer nit, bruche mer nit, fott domet“. Leider ist diese Abschaff ung aber nur kurz gedacht und noch kürzer gesprungen. Die CDU hat sich nie gegen eine Abschaff ung der Praxisgebühr gesperrt, aber immer darauf aufmerksam gemacht, dass dies nicht ersatzlos geschehen dürfe. Zum einen sind wir zurzeit in der glücklichen Lage, dass im Gesundheitswesen und in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung keine Ebbe herrscht und man keine Gesetze nach Kassenlage machen muss. Zum anderen kann

INHALT man solche Situationen und Überschüsse aber auch dazu nutzen, um für weniger gute Zeiten ein Polster bzw. eine Rücklage aufzubauen. Mit der Abschaff ung der Praxisgebühr wird man nun aber Begehrlichkeiten wecken. Als nächstes wird man sich Fragen gefallen lassen, warum denn nicht auch gleich die Zusatzbeiträge in der GKV abgeschafft werden. Danach dürfte dann auch die Zuzahlung bei Medikamenten auf dem Prüfstand stehen. Hier könnte eventuell eine Kettenreaktion in Gang gesetzt worden sein, die man eigentlich so nicht beabsichtigt hat. Die FDP hat mit dieser Forderung, und letztlich dann auch mit der Durchsetzung zur Abschaff ung, ein Wahlversprechen umgesetzt. Fraglich bleibt nur, warum gerade eine liberale Partei, deren Slogan „Privat vor Staat“ ist, ein Steuerungselement zu mehr Eigenverantwortung unbedingt abgeschafft haben wollte. Es ist zu befürchten, dass mit dem Wegfall der Praxisgebühr das Thema Eigenverantwortung und Eigenvorsorge für die nächsten Jahre nicht mehr vermittelbar ist. Für die Krankenkassen könnte das noch zum Bumerang werden. Frank Rudolph stellv. Landesvorsitzender Gesundheitspolitischer Arbeitskreis der CDU-NRW

4 Integration ohne Sprachbarrieren:

Holger Baumann stellt ein Modellprojekt zur Rehabilitation vor, das in türkischer Sprache durchgeführt wird

5 Viele Menschen mit Migrationshinter-

grund sind besonders stark von Diabetes betroffen. Gottfried Ludewig schildert die Lage in Berlin

6 Eine Bewertung des in wenigen Wochen in Kraft tretenden Pflege-NeuausrichtungsGesetzes gibt Heiner Beckmann von der Barmer GEK NRW ab

8 Seit einem Jahr profitieren Studenten

erstmals von dem neuen Deutschlandstipendium. Unser Autor Stefan Kaufmann erläutert die Förderpraxis

10 Mit der anstehenden Kartellrechtsnovelle

soll Wettbewerbsrecht auf gesetzliche Krankenkassen angewendet werden, erläutert der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt

12 Nichtraucherschutz in NRW artet in „ideologische Raucher-Erziehung“ aus, meint der Landespolitiker Hendrik Wüst

14 Die Chancen des demografischen

Wandels zu nutzen, rät CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe im Vorfeld des CDU-Parteitags in Hannover

16 Vor der auch für die Koalition in Berlin so

bedeutenden Landtagswahl in Niedersachsen gibt sich Ministerpräsident David McAllister gelassen

18 Unser Autor Peter Knüpper stellt die

Notwendigkeit eines „Patientenrechtegesetzes“ in Frage

20 Auch die wohnortnahe fachärztliche Ver-

sorgung muss nach Ansicht der niedergelassenen Ärztin Ilka Enger erhalten und ausgebaut werden

22 Jens Spahn, Gesundheitspolitiker der

CDU, zieht zum Schluss des Jahres eine Bilanz der Gesundheitspolitik der schwarz-gelben Koalition in Berlin

Dr. Mathias Höschel und Frank Rudolph, Herausgeber

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REHABILITATION für Psychiatrie und Psychotherapie versorgt, aber auch von Psychologen, Physio- und Ergotherapeuten, Sportwissenschaftlern, Sozialberatern, Ernährungswissenschaftlern und Krankenpflegern. Die Beteiligten hoffen, mit dem Modellprojekt insbesondere türkischstämmige Frauen besser zu erreichen, da sie ihre häusliche Umgebung während der ambulanten Leistung nur für einen Teil des Tages verlassen müssen. Gerade unter kulturellen Aspekten ist der Erhalt der familiären Bindung während der Rehabilitation sehr wichtig.

Schnelle Wiedereingliederung ohne Sprachbarrieren Unser Foto zeigt von links: Dr. Peter Bommersbach, ärztlicher Leiter, Holger Baumann, Geschäftsführung Deutsche Rentenversicherung Rheinland, und Dieter Welsink, Geschäftsführer medicoreha Welsink Rehabilitation GmbH, mit Mitgliedern des mehrsprachigen Reha-Teams

Von Holger Baumann Sprache ist der Schlüssel zur Welt – insbesondere, wenn es um medizinische Belange geht. Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten haben nicht nur Auswirkungen auf die Akutversorgung, sondern führen auch zu Benachteiligungen und großen Einschränkungen im Rehabilitationsprozess. Das ist ein zentrales Ergebnis verschiedener Studien. Mit einem bundesweiten Modellprojekt reagiert darauf jetzt die Deutsche Rentenversicherung Rheinland. Gemeinsam mit der Gesundheitseinrichtung „medicoreha Welsink Rehabilitation GmbH“ bietet der Düsseldorfer Rentenversicherer seit Oktober eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme in türkischer Sprache an, und das in einem besonders sprach-sensiblen Bereich: bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.

Mit diesem Modell gehen die beiden Partner zum einen auf die teils langen Wartezeiten für Therapieplätze ein, zum anderen kommen sie einer Petition des Berufsverbandes der Deutschen Psychologinnen und Psychologen nach. Diese Experten fordern, Menschen mit Migrationshintergrund eine muttersprachliche, kultur- und gender sensible Psychotherapie zu ermöglichen. Denn gerade

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Patienten mit Migrationshintergrund werden mit bisherigen Maßnahmen nicht optimal erreicht. Neben sprachlichen Barrieren sind es vor allem kulturelle Unterschiede, die oftmals zu Problemen führen. Deshalb werden in dem jetzigen Modell bikulturelle und kompetente bilinguale Mitarbeiter eingesetzt. Alle Behandlungen, die aus kulturellen Gründen, zum Beispiel gender spezifisch, zu trennen sind, sowie jegliche Gesprächstherapien – hier sind Sprachvermögen und Verständigung von besonderer Bedeutung -, werden den Anforderungen entsprechend sensibel durchgeführt. Dagegen wird es bei allen anderen Leistungen keine Trennung von deutschund türkischsprachigen Patienten geben. Das Ziel ist neben einer psychischen Stabilisierung sowie einer (Re)Integration in Arbeit und Beruf, die Menschen auf dem Weg in eine positive und selbstbestimmte Lebensweise zu begleiten und dadurch letztendlich Integration zu fördern. Im ersten Schritt stehen insgesamt 30 Plätze bei „medicoreha“ in direkter Anbindung an das St. Elisabeth-Krankenhaus in KölnHohenlind für deutsch- wie türkischsprachige Patienten zur Verfügung. Die Patienten werde von einem mehrsprachigen interdisziplinären Team mit einem Facharzt

Die Inhalte der Rehabilitation umfassen neben einer ärztlichen Eingangs-, Zwischen- und Abschlussuntersuchung, psychotherapeutische Einzelgespräche und Gruppentherapien, Bewegungs- und Entspannungsangebote, Arbeitstherapie sowie künstlerische Therapien. Damit erhalten die Patienten alle medizinischen und therapeutischen Leistungen, die aus einer guten Rehabilitation bekannt sind. Die Rehabilitation verläuft ganztägig über vier bis fünf Wochen und richtet sich an Menschen mit depressiven Störungen, psychosomatischen Erkrankungen wie beispielsweise Essstörungen und weiteren körperlichen Störungen, bei denen psychische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen.

HOLGER BAUMANN

Holger Baumann ist seit sechs Jahren Mitglied der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Rheinland. Zu seinen Fachbereichen zählen Reha-Management, Reha-Grundsätze sowie die Steuerung der sechs eigenen Reha-Kliniken. Der Rentenversicherungsträger aus Düsseldorf führte im vergangenen Jahr rund 48.000 allgemeine medizinische Reha-Leistungen durch, davon rund 12.000 in ambulanter Form


DIABETESBEKÄMPFUNG

Volkskrankheit Diabetes Von Gottfried Ludewig, MdA

Jung und Alt, Alteingesessene und Zuwanderer, Arm und Reich treffen in Berlin wie in keiner zweiten Stadt Deutschlands aufeinander. Entgegen des längst überholten Klischees vom „Alters-Zucker“ trifft die Erkrankung alle Schichten und Gruppen der Bevölkerung. Neue Projekte und Programme zur Patientenbetreuung finden deshalb gerade in der Hauptstadt eine gute Ausgangssituation, um ausgetretene Pfade zu verlassen.

Ein Schwerpunkt in der Diabetesbekämpfung muss in der (Primär-)Prävention liegen. Schon im Kindergarten kann man die Grundlagen für einen späteren gesunden Lebensstil legen. Wenn der Einzelne zu jung ist, um seine Essgewohnheiten zu reflektieren, sind Eltern, Lehrer und Erzieher sowie Ausbildungsbetriebe hier in der Verantwortung. Gesetzliche Regelungen im Nachhinein bringen nicht viel, wenn man nie gelernt hat, dass Gemüse oft, Süßigkeiten nur aber selten auf der Speisekarte etwas zu suchen haben. Unter anderem müssen wir auch feststellen, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund leider besonders

Allergologie Allgemeine Laboruntersuchungen Anti-Aging Arbeitsmedizin Erbkrankheiten/Humangenetik Individuelle Gesundheitsleistungen Patientenschulungen Umweltmedizin

stark von Diabetes betroffen sind. Was sind Ansatzpunkte in meinen Augen? Sprachliche Barrieren müssen überwunden und kulturelle Unterschiede kreativ abgemildert werden. Eine Stadt wie Berlin mit 24,8 % Anteil an Ausländern und Deutschen mit Migrationshintergrund muss diesen bedeutenden Teil unserer Bevölkerung besonders in den Blickpunkt nehmen. Ein Projekt wie „Diabetes gemeinsam verstehen“ im Vivantes Krankenhaus am Urbanhafen, das sich speziell an die türkisch sprachige Bevölkerung mit Diabetes richtet, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein weiteres Beispiel: Die Stationen der ‚Patient Journey‘ von Lilly und der Charité erscheinen mir sinnvoll, weil gerade im Raum Berlin Kooperationsprojekte fachkundiger Partner und erkennbare Synergien freisetzen. Die Charité als eine der größten Universitätskliniken in Europa ist repräsentativ für unsere Stadt: 180.000 Arbeitsplätze in der Hauptstadt finden sich im Bereich der Gesundheitswirtschaft. Ein Ausbau und eine weitere Professionalisierung der Diabetes-Versorgung tut einerseits Not, hilft jedem Einzelnen und schafft andererseits Wachstum: Gesundheit rechnet sich hier doppelt!

Labor

Die Eindämmung der Diabetes-Welle ist nicht nur Aufgabe der Politik – Ärzte, Patientenverbände und Krankenkassen sind gleichermaßen gefordert. Denn ein zentrales „Bürokratie-Monster“, das mit der Gesetzes-Keule um sich schlägt, hilft niemanden. Auch hier gilt: So viel Regelungen wie nötig, so viel Freiheit des Einzelnen wie möglich. Anstatt für alles und jeden Vorschriften zu erlassen, sollten wir unseren Ehrgeiz darauf legen, die Verantwortung des einzelnen zu stärken, Informationen bereitstellen, Aufklärung betreiben und Chancen aus der Kraft der Mitte der Gesellschaft heraus zu schaffen. Es kann funktionieren!

GOTTFRIED LUDEWIG

Gottfried Ludewig, MdA, ist der gesundheitspolitische Sprecher der CDUFraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit seiner ersten Wahl im Jahr 2011 ist er neben dem Ausschuss für Gesundheit und Soziales zudem Mitglied des Sportausschusses. Gottfried Ludewig ist Diplom-Volkswirt

Diagnostik

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Foto: Gerd Altmann/ Pixelio.de

NEUAUSRICHTUNG DER PFLEGE

„Das bestehende System der sozialen umlagefinanzierten Pflegeversicherung hat sich bewährt und sollte mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft weiterentwickelt werden“

PFLEGEVERSICHERUNG

Mehr Leistung kostet auch mehr Geld Interview mit dem Landesgeschäftsführer der BARMER GEK in NRW, Heiner Beckmann Herr Beckmann, das Jahr neigt sich dem Ende zu. Ein Jahr, in dem Sie als Landesgeschäftsführer die Verantwortung für 2,1 Millionen Versicherte übernommen haben. In wenigen Wochen startet das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz. Wie beurteilen Sie das neue Gesetz? Heiner Beckmann: Das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) geht erste Schritte in die richtige Richtung, um die Defizite der bestehenden Pflegeversicherung auszuräumen. Leider ist es noch nicht gelungen, eine strukturelle Pflegereform auf den Weg zu bringen.

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Noch immer fehlt als Basis für künftige Leistungs- und Finanzierungskonzepte der neu definierte, umfassende und verbindliche Begriff der Pflegebedürftigkeit. Die bisherigen Vorschläge zu einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff sehen die Erweiterung von bisher drei auf fünf Pflegestufen vor. Nicht mehr der Zeitaufwand für personelle Hilfe soll dann das Maß aller Dinge sein, sondern der Grad der Selbstständigkeit einer hilfebedürftigen Person. Auf diese Weise soll künftig auch dem besonderen Bedarf von Menschen mit Demenz- oder

psychischen Erkrankungen Rechnung getragen werden. Daher stand der Ausbau weiterer Hilfen bei der ambulanten Versorgung im Vordergrund. Aber es geht den Pflegekassen doch auch um die Finanzierung? Beckmann: Sicher. Aber wir haben die Finanzierungsfrage eher unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit diskutiert. Mehr Leistungen kosten auch mehr Geld. Deshalb wird der Beitragssatz der Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2013 um 0,1 Beitragssatzpunkte angehoben. Doch ungelöst bleibt auch mit diesem Gesetz, wie die Pflegeversicherung in Zukunft finanziert wird. Nach wie vor decken die Leistungen der Pflegeversicherung nur einen Teil des Risikos ab. Abfedern soll dies eine freiwillige private Zusatzversicherung. Diese wird mit dem neuen Gesetz erstmals staatlich gefördert. Ob dies die bestehende Finanzierungs-


NEUAUSRICHTUNG DER PFLEGE lücke ausgleicht, darf bezweifelt werden. Insbesondere Geringverdienern könnte es schwerfallen, die an den staatlichen Zuschuss geknüpften Bedingungen zu erfüllen. Die private kapitalgedeckte Zusatzversicherung eignet sich nach Auffassung der BARMER GEK nicht, um das Risiko Pflegebedürftigkeit ausreichend abzusichern. Und welche Neuerungen bringt das Gesetz mit sich? Beckmann: Einige, die die Stellung des Versicherten deutlich stärken: 0 die Pflegekassen bieten den Versicherten künftig einen Beratungstermin innerhalb von zwei Wochen an und nennen einen festen Ansprechpartner. Können Pflegekassen diese Beratung nicht erbringen, müssen sie einen Beratungsgutschein für einen qualifizierten Dienstleister zur Verfügung stellen. 0 Sowohl die Begutachtung zur Pflegebedürftigkeit als auch die abschließende Entscheidung muss innerhalb von fünf Wochen erfolgen. Neben der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) können auch externe Gutachter beauftragt werden. Überschreiten Pflegekassen die Frist, müssen sie 70 Euro je Zusatz-Woche als „Verzögerungsgebühr“ leisten. 0 Antragsteller haben künftig generell Anspruch auf Übermittlung des MDK-Gutachtens. 0 Stimmt der Versicherte zu, leitet die Pflegekasse die Empfehlung des Gutachtens an den zuständigen Träger weiter. So soll der wichtige Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ mehr praktische Umsetzung erfahren. 0 Unter den gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen erhalten Menschen, deren Alltagskompetenz durch demenzbedingte, geistige oder psychische Beeinträchtigungen dauerhaft erheblich eingeschränkt ist, mehr Leistungen.

0 Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können in der ambulanten Pflege zukünftig auch bestimmte Zeitvolumen wählen. Gemeinsam mit den Pflegediensten entscheiden sie, welche Leistungen in diesen Zeitkontingenten erbracht werden sollen. Neben der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung haben Versicherte künftig auch Anspruch auf gezielte Betreuungsleistungen für Hilfe im Alltag. Auch über die Rechte der Patienten wurde 2012 diskutiert, wie beurteilen Sie das neue Patientenrechtegesetz? Beckmann: Sehr positiv, denn die Rechte von Patienten werden nun erstmalig in einem einheitlichen Gesetz gebündelt. Die tatsächliche Durchsetzung dieser Rechte soll verbessert werden. Patienten sollen auch im Falle eines Behandlungsfehlers stärker unterstützt werden. Zugleich schaffen die Regelungen auch Rechtssicherheit für alle Gesundheitsberufe im Versorgungsprozess. Das neue Gesetz soll das Arzt-PatientenVerhältnis als eigenen Vertrag im Rahmen des BGB gesetzlich verankern und damit wesentliche Rechte der Patienten festschreiben. Die Wahrung des Patientengeheimnisses und des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts wird gewährleistet. Auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung stärkt das Gesetz Rechtspositionen der Versicherten. Zukünftig können diese ihre Teilnahme an Hausarzt- und anderen Selektivverträgen innerhalb einer 2-Wochenfrist widerrufen, sich bei nicht rechtzeitiger Entscheidung ihrer Krankenkasse Leistungen selbst beschaffen und werden bei Behandlungsfehlern durch die Krankenkassen unterstützt. Darüber hinaus wird die Patientenbeteiligung ausgebaut. Die Aufgaben des Patientenbeauftragten werden erweitert. Er erstellt eine umfassende Übersicht der Patientenrechte und wird sie zur Information der Bevölkerung bereithalten. Dies schafft Transparenz über geltende Rechte von Patientinnen und Patienten.

Positiv zu bewerten ist das ausdrückliche Einsichtsrecht der Patienten in ihre Patientenakte. Doch fordert die BARMER GEK dieses Recht auch für die Krankenkassen, damit diese ihrer Aufgabe der Unterstützung der Patienten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen bei Behandlungsfehlern ohne Einschränkung nachkommen können. Bedauerlich ist, dass der Gesetzentwurf nicht unsere Forderung aufgreift, nach der Patienten eine 24-stündige Bedenkzeit bei der Einwilligung in individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) eingeräumt werden sollte. Auch in NRW wurde die Stellung der Patienten deutlich gestärkt. Seit dem 1. Mai haben wir eine Patientenbeauftragte des Landes. Ich habe mich sehr gefreut, dass einer ihrer Antrittsbesuche zu uns führte. Die neue Position wird zukünftig eine große Rolle im nordrheinwestfälischen Gesundheitswesen spielen. Als Vertreter von 2,1 Millionen Versicherten in diesem Land suchen wir die kooperative Zusammenarbeit mit der Patientenbeauftragten.

HEINER BECKMANN

Heiner Beckmann ist seit dem 1. Mai 2012 Landesgeschäftsführer der BARMER GEK in Nordrhein-Westfalen. Beckmann kennt aus seinen bisherigen Tätigkeiten die nordrhein-westfälische Kassenlandschaft aus vielen Perspektiven und weiß um die Herausforderungen, die für die bestmögliche Versorgung der Versicherten in den nächsten Jahren angenommen werden müssen

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Foto: Sebastian Bernhard/ pixelio.de

DEUTSCHLANDSTIPENDIUM

Neues Deutschlandstipendium nutzen –

Fachkräftebedarf sichern

Der Bund und private Förderer investieren in leistungsstarke Studierende und ermöglichen ihnen ein Deutschlandstipendium

Von Dr. Stefan Kaufmann, MdB Deutschland braucht leistungsfähigen Nachwuchs. Deshalb unterstützen der Bund und private Förderer (Unternehmen und Privatpersonen) die Spitzenkräfte von morgen. Mit dem Deutschlandstipendium investieren sie in leistungsstarke Studierende und somit in die Zukunft Deutschlands.

Seit dem Sommersemester 2011 profitieren Studierende erstmals von dem einkommensunabhängigen Deutschlandstipendium. Zahlreiche Erfolge konnten in den vergangenen Monaten bereits verbucht werden: Der Chemiekonzern Evonik Industries unterstützt 150 Stipendiaten, die BASF SE 200, die Deutsche Telekom AG sogar 360 Stipendiaten über vier Jahre an sieben verschiedenen Universitäten. Auch die Bayer AG zählt mit ihren 100 vergebenen Stipendien zu den größten Unterstützern des Deutschlandstipendiums. Darüber hinaus fördern zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen mit dem Deutschlandstipendium. Sie können sich

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erstmals mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand an Spitzenförderung an deutschen Hochschulen beteiligen. Vorbildlich ist beispielsweise das Engagement des Familienunternehmens Festo aus Esslingen bei Stuttgart. Insgesamt 150.000 Euro spendete das Unternehmen für das Deutschlandstipendium und möchte damit andere Privatpersonen und Unternehmen ermutigen, das breit angelegte Deutschlandstipendium zu unterstützen und ihrem Beispiel zu folgen. Drei Viertel aller Hochschulen und mehr als 2.000 Förderer beteiligen sich bereits und vergeben fast 5.400 Stipendien an junge Talente. Mittelfristig sollen jedoch bis zu acht Prozent aller Studierenden (d.h. rund 160.000 junge Menschen) an deutschen Hochschulen vom Deutschlandstipendium profitieren. Die exakt 5.375 Stipendien verteilen sich auf die Fächergruppen wie folgt: 0 Ingenieurswissenschaften: 27,4 Prozent (1.474 Stipendien)

0 Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: 25,3 Prozent (1.362 Stipendien) 0 Mathematik/Naturwissenschaften: 23,1 Prozent (1.244 Stipendien) 0 Sprach- und Kulturwissenschaften: 13,0 Prozent (697 Stipendien) 0 Medizin: 5,4 Prozent (291 Stipendien) 0 Kunstwissenschaften: 3,1 Prozent (166 Stipendien) 0 Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften: 2,0 Prozent (106 Stipendien) 0 Sonstige (Sport, Veterinärmedizin): 0,7 Prozent (35 Stipendien) Quelle: Statistisches Bundesamt, Mai 2012 Die Statistik zeigt, dass das Deutschlandstipendium Studierenden aus allen Fächergruppen zugute kommt. Mehr als 50 Prozent der Gelder wurden ohne Zweckbindung für ein bestimmtes Studienfach vergeben – weit mehr als das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von einem Drittel. Wer kommt als Förderer infrage? Als Geldgeber kommen nicht nur Konzerne und Stiftungen infrage, sondern auch Privatpersonen, z. B. ehemalige Studenten, die ihrer alten Hochschule etwas zurückgeben wollen. Für die Förderung eines Studierenden reicht eine monatliche Summe von 150 Euro für ein Jahr. Zusätzlich gibt der Bund 150 weitere Euro, so dass dem Stipendiaten 300 Euro monatlich zur Verfügung stehen.

Wer wird gefördert?

Das Deutschlandstipendium unterstützt begabte Studierende aller Fachrichtungen. Es wird unabhängig vom Einkommen der Eltern vergeben. Die Hochschulen wählen die Stipendiaten selbst aus. Dabei schauen sie in erster Linie auf die Noten der Bewerber – so schreibt es das Stipendiengesetz vor. Nach dieser Vorauswahl spielt auch das gesellschaftliche Engagement eine bedeutende Rolle, zum Beispiel in Vereinen oder in der Hochschulpolitik, in Religionsgemeinschaften oder politischen Organisationen sowie der Einsatz im sozialen Umfeld, in der Familie oder in einer sozialen Einrichtung. Besondere biografische Hürden, die sich aus der familiären oder kulturellen Herkunft ergeben, werden ebenfalls berücksichtigt.


DEUTSCHLANDSTIPENDIUM Somit bildet das Deutschlandstipendium den Anstoß für ein neues Stipendiensystem, das allen zugutekommt: Studierende können sich auf ihre Ausbildung konzentrieren und wichtige Kontakte für ihre spätere berufliche Zukunft knüpfen. Hochschulen erhöhen ihre Attraktivität für begabte Studierende, schärfen ihr fachliches Profil und knüpfen Kontakte in ihr Umfeld. Private Geldgeber erhalten frühzeitig Zugang zu talentiertem Nachwuchs. Zwar können die Förderer nicht direkt entscheiden, welcher Studierende das Deutschlandstipendium bekommt, aber sie wählen aus, an welcher Hochschule, in welcher Fachrichtung oder in welchem Studiengang das Stipendium vergeben wird. Auch an dem Auswahlverfahren der Hochschulen können die Förderer beratend teilnehmen und so Kontakte mit den Spitzenkräften von morgen knüpfen. Selbstverständlich kann die Förderung auch steuerlich geltend gemacht werden. Damit wird eine engere Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft in der Region forciert. Denn vor dem Hintergrund des weltweiten Wettbewerbs um hochqualifizierte Fachkräfte muss Deutschland auch stärker die Privatwirtschaft in die Finanzierung von Bildung einbeziehen. In den USA werden beispielsweise knapp zwei Drittel der Ausgaben für Hochschulen von Alumni, Unter-

nehmen und anderen privaten Stiftern finanziert. Auch führende PISA-Länder wie Japan oder Südkorea bestreiten etwa 2/3 der Bildungsfinanzierung aus privaten Quellen. Der Anteil in Deutschland liegt dagegen derzeit bei nur 15 Prozent.

Junge Menschen gezielt bei der Entfaltung ihrer Talente zu unterstützen, ist eine der persönlich und gesellschaftlich gewinnbringendsten Investitionen und eine Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Packen wir es gemeinsam an!

Die Vorteile für Förderer liegen auf der Hand

DR. STEFAN KAUFMANN

Potenzielle Fachkräfte kennenlernen, Einblicke in Forschung und Wissenschaft gewinnen, das regionale Netzwerk stärken – es gibt viele Gründe, das Deutschlandstipendium als Förderer zu unterstützen. Förderer unterstützen die Ausbildung herausragender Fachkräfte und Nachwuchswissenschaftler. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des wissensbasierten Wirtschaftsstandortes Deutschland. Bildung und Nachwuchsförderung sind nicht allein Aufgabe des Staates, sondern der ganzen Gesellschaft. Daher rufe ich alle Unternehmen aber auch Privatpersonen dazu auf, sich zu beteiligen. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft unterstützt den Aufbau des Stipendienprogramms mit einem Servicezentrum. Dieses Servicezentrum berät interessierte Förderer bei der Auswahl einer passenden Hochschule und steht Förderern und Hochschulen unter info@ servicezentrum-deutschlandstipendium.de für Fragen zum Deutschlandstipendium zur Verfügung.

Dr. Stefan Kaufmann ist seit 2009 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Stuttgart I und Kreisvorsitzender der CDU Stuttgart. Er ist in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zuständig für den gesamten Bereich der Studienfinanzierung sowie für die europäische Bildungs- und Forschungszusammenarbeit. Seit 2007 ist der Jurist Mitglied der Rechtsanwaltssozietät Blaich & Partner in Stuttgart

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GESUNDHEITSMARKT Ähnlich wie die Demokratie hat die wettbewerbliche Marktwirtschaft eine freiheitssichernde Funktion. Beide dienen der Begrenzung von Macht, politischer bzw. wirtschaftlicher. Auch wirtschaftliche Macht bedarf der Kontrolle, damit sie nicht missbraucht wird. Diese Kontrollfunktion übernimmt in der Wirtschaft der Wettbewerb. Staatliche Regulierung hingegen ist immer unvollkommen – die Energiewende illustriert dies täglich neu: Photovoltaik wird doppelt so schnell ausgebaut wie geplant, aber die notwendigen flexiblen Kraftwerke zur Kompensation werden nicht gebaut. Auch privater Wettbewerb bedarf jedoch des staatlichen Schutzes. Hier setzt die erfolgreiche Tätigkeit des Bundeskartellamtes als Hüter des Wettbewerbs an. Im Gesundheitswesen sieht es grundsätzlich ähnlich aus. Die Gesundheitsversorgung in Deutschland steht unter Kostendruck und ein Kostendämpfungsgesetz jagt das nächste. In dieser Situation liegt es nahe, Wettbewerb auch im Gesundheitswesen wirken zu lassen.

Die Gesundheitsversorgung ist kein Markt wie jeder andere. Es ist Sache der Sozialpolitik zu entscheiden, wo Wettbewerb dem Ziel der Versorgung dienen soll

ZWISCHEN REGULIERUNG UND WETTBEWERB

Wieviel Markt verträgt die Gesundheit? Von Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes

Mit der anstehenden Kartellrechtsnovelle soll Wettbewerbsrecht entsprechend auf gesetzliche Krankenkassen angewendet werden. Das

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Thema ist also hochaktuell. In einer solchen Situation lohnt der Blick auf die Grundlagen: Was ist der wettbewerbspolitische Kern der deutschen Wirtschafts- und Sozialverfassung und was unterscheidet den Gesundheitsmarkt von den anderen Märkten?

Gesundheit ist aber kein Gut wie Stahl oder Autos, sondern weist Besonderheiten auf, die eine Sonderbehandlung rechtfertigen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung hat eine starke soziale Bedeutung. So besteht eine Versicherungspflicht und trotz großer Beitragsunterschiede ist gleicher Zugang zu medizinischen Leistungen gewährleistet. Dennoch herrschen in vielen Bereichen des Gesundheitswesens vergleichbare Gesetzmäßigkeiten wie in anderen Bereichen der Wirtschaft. Dem eingedenk; versucht der Sozialgesetzgeber dem Kostendruck auch damit zu begegnen, dass er punktuell begrenzte marktwirtschaftliche Wettbewerbselemente in das Gesundheitssystem einführt. So sind etwa Mengenrabatte in allen Branchen gang und gäbe. Dieses Konzept hat der Gesetzgeber mit Rabattverträgen auf die Beschaffung von Arzneimitteln durch Krankenkassen übertragen. Ein anderes Beispiel sind die Zusatzbeiträge. Früher


GESUNDHEITSMARKT durften Krankenkassen ihre Beiträge in Grenzen selbst festlegen. Diesen begrenzten Wettbewerb eliminierte der Gesundheitsfonds mit seinen Einheitsbeiträgen. 2009 erfolgte dann eine Rolle rückwärts mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz und der Möglichkeit zur Prämienrückerstattung oder zu Zusatzbeiträgen. Hierdurch sollte wieder Preiswettbewerb zwischen den Krankenkassen geschaffen werden. Wenn nun neun Krankenkassen eine gemeinsame Pressekonferenz abhalten und die gleichförmige Einführung von Zusatzbeiträgen ankündigen, würden wir ein solches Verhalten in anderen Branchen als Kartellabsprache verfolgen und Bußgelder verhängen. Der Schaden, der der Volkswirtschaft durch Kartelle entsteht, ist zwar nicht genau bezifferbar. Belastbare Schätzungen in einer Reihe von Studien gehen aber davon aus, dass Kartellpreise rund 25% über den Preisen liegen, die im Wettbewerb zustande kommen. Wahltarife und Zusatzbeiträge sind Wettbewerbsparameter. Absprachen über Preise schaden den Kunden bzw. den Beitragszahlern. Andererseits ist die gesetzliche Krankenversicherung von Kooperationen geprägt. In vielen Bereichen besteht ein gesetzlicher Zwang zur Zusammenarbeit und zur Absprache, etwa im Hinblick auf die Bildung von Festbetragsgruppen. Hier ist Kartellrecht schon von sich aus nicht anwendbar, denn es setzt einen Verhaltensspielraum der Unternehmen voraus. Aber auch wenn ein solcher Verhaltensspielraum besteht, sind Kooperationen nicht per-se verboten, sondern im Einzelfall zu prüfen. So ist die gemeinsame Organisation des Mammographie-Screenings sicherlich zulässig, Preisabsprachen bei Zusatzbeiträgen eher nicht. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage nach der Fusionskontrolle bei Krankenhäusern oder gesetzlichen Krankenkassen. Mit der Fusionskontrolle soll verhindert werden, dass Unternehmen durch Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung erlangen. Sie könnten dann auf Innovationen verzichten und ineffiziente Verwaltungs-

strukturen unterhalten. All dies führt zu schlechterer Qualität und höheren Preisen, geht also letztlich zu Lasten der Beitragszahler. Trotz aller Regulierung unterscheidet sich der Krankenhausmarkt nicht grundsätzlich von anderen Märkten. Es geht allerdings weniger um Preiswettbewerb als um die Qualität der Versorgung der Patienten. So prüfte das Bundeskartellamt seit 2004 rund 170 Krankenhausfusionen. Nur wenige Fälle boten Anlass zur vertieften Prüfung. Dabei schauen wir uns jeden Einzelfall an und ermitteln die Wettbewerbsverhältnisse in der betroffenen Region und in dem betroffenen Segment, etwa der Akutversorgung. Auch gegenüber gesetzlichen Krankenkassen hat das Bundeskartellamt mit der Fusionskontrolle den Wettbewerb überwacht, bis zu den Urteilen der Sozialgerichte 2011. Diese erklärten Kartellrecht wegen mangelnder sozialrechtlicher Regeln für unanwendbar und das Bundeskartellamt für unzuständig. Die bisherige Fusionskontrollprüfung hat zwar keine größeren Probleme aufgedeckt. Derzeit denken jedoch große Krankenkassen über Fusionen nach. Dadurch könnten dominante Nachfrager entstehen, die den Leistungserbringern, z.B. Ärzten und Krankenhäusern, wirtschaftlich ihre Konditionen diktieren können. Das Bundeskartellamt unterstützt daher die Bundesregierung in ihrem Gesetzesvorschlag, gesetzliche Krankenkassen wieder der Fusionskontrolle zu unterstellen. Schließlich muss das Gesundheitswesen auch vor der Ausübung von Marktmacht geschützt werden. So schützen etwa Patente Innovationen, indem sie ein zeitlich begrenztes Monopol vermitteln. Hierdurch sollen Investitionskosten refinanziert werden können. Dementsprechend hat ein Patentinhaber in der Regel kein Interesse, Rabattverträge mit Krankenkassen zu schließen. Anders sieht dies am Ende des Patentschutzes aus, wenn Generika auf den Markt kommen und zu Preissenkungen

führen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Patentinhaber ein wirtschaftliches Interesse, seine Monopolstellung durch langlaufende Rabattverträge künstlich zu verlängern. Dies wiederum würde auch nach Patentablauf den Markt für Generikahersteller verschließen. Angesichts der starken wirtschaftlichen Bedeutung des Generikawettbewerbs könnte ein erheblicher Schaden drohen. Das Bundeskartellamt befasst sich derzeit mit der Frage, ob in solchen Fällen ein Kartellrechtsverstoß vorliegt. Die Gesundheitsversorgung ist sicher kein Markt wie jeder andere. Es ist Sache der Sozialpolitik zu entscheiden, wo Wettbewerb dem Ziel der Versorgung dienen soll. Dieser sozialpolitisch gewollte Wettbewerb braucht den gleichen Schutz, wie ihn der Wettbewerb in anderen Branchen genießt. Die Kartellbehörden werden Wettbewerb im Gesundheitswesen mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Gesundheitssektors schützen.

ANDREAS MUNDT

Andreas Mundt, geboren 1960, Jurist, hat in Bonn und Lausanne/Schweiz Rechtswissenschaften studiert. Im Anschluss an das 2. juristische Staatsexamen trat er 1991 in das BMWi ein. Dort arbeitete er beim „Leitungsstab Neue Bundesländer“, bevor er sich 1993 als Referent für Arbeits- und Sozialrecht zur FDP-Bundestagsfraktion abordnen ließ. Seit seinem Eintritt in das BKartA 2000 hatte er dort verschiedene Funktionen inne. Präsident des BKartA ist er seit Dezember 2009

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Foto: Benjamin Thorn/ pixelio.de

NICHTRAUCHERSCHUTZ

NICHTRAUCHERSCHUTZGESETZ NRW

Wo endet Nichtraucherschutz, wo fängt Bevormundung an?

Die grün-rote nordrhein-westfälische Landesregierung hat – trotz erheblichen Unmutes an der heimischen SPD-Basis - ein neues, restriktives Nichtraucherschutzgesetz vorgelegt

Von Hendrik Wüst, MdL

Um eines klar und deutlich vorneweg zu sagen: Jeder rauchbedingte Todesfall in Deutschland ist ein Todesfall zu viel. Ich teile daher mit dem überwiegenden Teil der Abgeordneten in den deutschen Parlamenten entschieden die Auffassung, die Zahl der Todesopfer zu reduzieren. Allerdings gibt es über den Weg teils erhebliche Differenzen. Lassen Sie mich zu Beginn noch ein weiteres vorwegschicken: Ich bin selber Nichtraucher und war nie Raucher. Weil das so ist, bin ich ein großer Freund von Nichtraucherschutzgesetzen. Wer seine eigene Gesundheit gefährden will, soll dies tun, aber er darf dadurch keine

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anderen Menschen schädigen. Als Nichtraucher möchte ich am Arbeitsplatz und in der Freizeit nicht zugequalmt werden. Aber ich will mich auch nicht zum Gesundheitsdiktator aufschwingen und jedem Menschen in diesem Land meine Lebensweise aufzwingen. Wer rauchen will, soll dies tun, solange er andere Menschen dabei nicht schädigt. Genau hier knüpft das 2008 von Union und FDP in NordrheinWestfalen beschlossene Nichtraucherschutzgesetz an. Seit dem ist das Rauchen in öffentlichen Einrichtungen, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, Erziehungsund Bildungseinrichtungen, Sporteinrichtungen, Kultur- und Frei-

zeiteinrichtungen sowie Flughäfen grundsätzlich verboten. Geraucht werden darf nur in extra hierfür eingerichteten, geschlossenen Raucherräumen. Gleiches gilt grundsätzlich auch für Gaststätten: Hier darf nur in separaten Raucherräumen geraucht werden. Eine Ausnahme bilden die sogenannten Eckkneipen, in denen ein gesonderter Raucherraum nicht angeboten werden kann.

Rauchverbot bedeutet Spagat Das aktuell geltende Nichtraucherschutzgesetz schützt die Nichtraucher umfassender als je zuvor – auch im Vergleich mit früheren rot-grünen Zeiten in Düsseldorf vor den gesundheitlichen Folgen des


NICHTRAUCHERSCHUTZ Passivrauchens. Als Nichtraucher Raucher werden aus den Gaststätten auf die Straße verdrängt, wo bin ich im öffentlichen Raum – es zwangsläufig z.B. in Schulen und Viele gastronomische zu Konflikten mit Universitäten, BeBetriebe haben in den der ortsansässigen hörden, Büchereien, Schwimmbädern und vergangenen Jahren hohe Wohnbevölkerung RuheTurnhallen, Kino Investitionen getätigt, um (Stichwort: störung) kommen und Theater, Bahnfür Raucher und Nichtwird. Gerade die höfen und Flughäfen kleinen – seit Einführung des raucher adäquate Räum- vielen Einraumund Gesetzes dem Passivlichkeiten zu schaffen. Eckkneipen in rauchen nicht mehr Auf diesen Investitionen Nordrhein-Westausgesetzt. 80 Prozent aller gastronomischen bleiben sie nunmehr sitzen. falen bangen um Ihre Existenz. Der Dehoga geht Betriebe verfügen heute über rauchdavon aus, dass etwa 3.000 Betriebe freie Räumlichkeiten, so dass ich mit etwa 9.000 Arbeitsplätzen in auch bei einem Feierabendbier oder einem gemütlichen Abendessen nicht ihrer Existenz bedroht sind. mehr beeinträchtigt bin. Betriebe, die kein entsprechendes Angebot haben, Aus Sicht der CDU-Landtagswie z.B. die kleine Eckkneipe in der fraktion wird hier überzogen Nachbarschaft, kann ich aufgrund und völlig unnötig in das Selbstdes großen Angebotes problemlos als bestimmungsrecht der Raucher Nichtraucher meiden. und die wirtschaft liche Existenz der Gastronomen eingegriffen. Trotz des verhältnismäßig hohen Warum, so fragen sich viele, sind Nichtraucherschutzes verzichtet Raucherräume in Bahnhöfen und das aktuelle NichtraucherschutzBehörden zulässig, nicht aber in gesetz aber weitgehend auf eine gastronomischen Betrieben? Auch auf die Brauchtumsvereine in NordDiskriminierung der Raucher. Die rhein-Westfalen kommen erhebliche aktuelle Gesetzeslage schafft damit Probleme zu: Auf Schützenfesten den Spagat zwischen effektivem und Karnevalsveranstaltungen gilt Nichtraucherschutz auf der einen zukünftig in geschlossenen Räumen Seite, respektiert jedoch auf der anderen Seite auch die freie Willens– hierzu gehören auch Festzelte entscheidung der Raucher. – ein absolutes Rauchverbot, für dessen Einhaltung der Veranstalter Gastronomen bleiben haften soll. Haftungsrisiko und auf Investitionen sitzen Personalaufwand werden es den Brauchtumsvereinen zukünftig noch Dennoch hat die grün-rote nordschwieriger machen, entsprechende Veranstaltungen zu organisieren. rhein-westfälische Landesregierung – trotz erheblichen Unmutes an der Ideologische Gesetz zur heimischen SPD-Basis - ein neues, „Raucher-Erziehung“ restriktives Nichtraucherschutzgesetz vorgelegt. Der GesetzesNoch einmal: Jedes rauchbedingte entwurf sieht u.a. ein absolutes Todesopfer ist eines zu viel. Wenn Rauchverbot in der Gastronomie wir aber die Entscheidung zu vor. Dies ist aus mehreren Gründen problematisch: Viele gastronomische rauchen den Bürgern überlassen Betriebe haben in den vergangenen und den Konsum von Tabakwaren Jahren hohe Investitionen gesowie den Handel mit diesen nicht tätigt, um für Raucher und Nichtunter Strafe stellen wollen, dann raucher adäquate Räumlichkeiten muss der Staat bei seiner Gesetzzu schaffen. Auf diesen Investitionen gebung auch die Interessen der bleiben sie nunmehr sitzen. Raucher berücksichtigen. Für uns

als CDU ist klar: Nichtraucherschutz hat Vorrang vor individueller Entfaltung von Rauchern. Werden Nichtraucher aber nicht beeinträchtigt, muss der Staat sich mit Verboten zurück halten. Kein Nichtraucher wird gezwungen, in einer Gaststätte in einen Raucherraum zu gehen oder eine Eckkneipe, in der rauchen erlaubt ist, aufzusuchen. Nordrhein-Westfalen hat ein gutes, solides und bewährtes Nichtraucherschutzgesetz. Wir brauchen kein neues ideologisches Gesetz, das nicht den Schutz der Nichtraucher, sondern die Erziehung der Raucher in den Fokus rückt. Wer mündige Bürger haben will, muss akzeptieren, dass sie auch Entscheidungen treffen, die man selber für falsch hält. Auch wenn es die Entscheidung ist, zur Zigarette zu greifen.

HENDRIK WÜST

Hendrik Wüst, MdL, ist Sprecher der CDULandtagsfraktion NRW im Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Seit 2005 ist Hendrik Wüst Mitglied des Landtags NRW. Wüst ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien sowie im Wahlprüfungsausschuss. Wüst ist Rechtsanwalt und nebenberuflich als Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes NRW tätig

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DEMOGRAFISCHER WANDEL

LEITANTRAG DER CDU DEUTSCHLANDS „STARKES DEUTSCHLAND. CHANCEN FÜR ALLE!“

Chancen des demografischen Wandels nutzen

Hermann Gröhe: „Unser Ziel ist es, Deutschland weltweit zum Vorbild dafür zu machen, wie eine alternde Gesellschaft weiterhin wirtschaftliche Dynamik entfalten kann“

Von Hermann Gröhe, MdB Deutschland wird ein Land des langen Lebens. Noch nie waren die Aussichten so groß wie heute, gesund und vital alt zu werden. Bessere Lebensbedingungen und der ständige medizinische Fortschritt haben einen erheblichen Anteil daran, dass die Lebenserwartung seit 150 Jahren jährlich um rund drei Monate steigt. Die Hälfte der heute geborenen Kinder wird voraussichtlich ihren 100. Geburtstag feiern können. Gleichzeitig aber werden weniger Kinder geboren und die Einwohnerzahl sinkt. Das macht den demografischen Wandel zu einer der größten Herausforderungen für die Zukunft unseres Landes.

Deutschland hat mit einem Durchschnittsalter von rund 45 Jahren bereits heute eine der ältesten Bevölkerungen der Welt. Immer weniger Erwerbstätige müssen für immer mehr Menschen sorgen, die nicht im Erwerbsleben stehen. Die CDU steht für ein gerechtes Miteinander der Generationen, gerade auch angesichts dieser Ver-

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änderungen. Dabei verlieren wir nicht das Ziel aus dem Auge, wieder mehr Kinder in Deutschland zu haben. Auch deshalb muss sich die Politik immer wieder für ein familienfreundliches Umfeld in unserer Gesellschaft einsetzen und Menschen zu einem Leben mit Kindern ermuntern. Wir wollen ein lebenswertes Land bleiben, das Wohlstand für alle ermöglicht. Wie uns dies gelingen kann, haben wir im Leitantrag „Starkes Deutschland. Chancen für Alle!“ an den 25. Parteitag der CDU Deutschlands am 4. und 5. Dezember in Hannover umfassend dargestellt. Dieser wird derzeit intensiv in allen Gliederungen unserer Partei diskutiert. Wir wollen trotz einer sinkenden Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter wettbewerbsfähig und innovativ bleiben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir bereit sein, neue Wege zu gehen und Veränderungen

zu akzeptieren. Wir müssen lernen, mit größeren Unterschieden beispielsweise zwischen wachsenden Städten und dünner besiedelten Regionen umzugehen und die Bereitschaft entwickeln, darauf mit flexiblen Lösungen die richtigen Antworten zu geben. Wir wollen die dafür erforderlichen Schritte verantwortungsvoll und rechtzeitig angehen und so auch die mit dem Wandel verbundenen Chancen nutzen. Unser Ziel ist es, Deutschland weltweit zum Vorbild dafür zu machen, wie eine alternde Gesellschaft weiterhin wirtschaftliche Dynamik entfalten kann. Innovationsfähigkeit ist für uns keine Frage des Alters. Während junge Menschen in der Regel experimentierfreudiger sind, haben ältere Berufstätige zumeist mehr Fachwissen und besitzen einen größeren beruflichen und sozialen Erfahrungsschatz. Die Weitergabe ihres Wissens ist eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit.


Foto: CDU

DEMOGRAFISCHER WANDEL andere. Den meisten Regionen der Welt, vor allem Europa, Asien und Nordamerika wird es in naher Zukunft aber ähnlich ergehen. Unser Land kann deshalb bei der Bewältigung des demografischen Wandels Pionier sein und sich durch frühzeitige Unser Foto zeigt Gröhe (2. von links) zusammen mit der Oppositions- Weichenstellungen führerin im Mainzer Landtag, Julia Klöckner, bei der Besichtigung eines einen Vorsprung auf Betriebes für medizinische Bekleidung in Rheinland-Pfalz den entsprechenden Deshalb wollen wir uns dafür einsetzen, Märkten sichern. dass Motivation, Leistungsfähigkeit und Kreativität älterer und jüngerer ArbeitAuch eine wachsende Gesundheitswirtschaft trägt zum Erfolg unseres Landes nehmer bestmöglich zum Tragen kommen. Wir ermuntern die Betriebs- und Tarifim internationalen Wettbewerb und letztpartner, verstärkt Weiterbildungspakte in lich zur Verbesserung der Lebensqualität den Tarifverträgen und Betriebsvereinin Deutschland bei. Die Gesundheitswirtbarungen zu verankern. Wir wollen, dass schaft ist ein Garant für eine steigende Zahl von Arbeitsplätzen und damit ein Wirtschaft und Vertreter der Arbeitnehmer Stück Zukunftssicherung. Deswegen Rahmenbedingungen für weitere neue müssen wir den Gesundheitsstandort berufliche Laufbahnmodelle entwickeln. Deutschland weiter stärken. In der Wirtschaft wird der Wert älterer Arbeitnehmer zunehmend erkannt. Bei Für viele Städte und Gemeinden ist der der Erwerbstätigenquote der 55- bis Bevölkerungsrückgang mit der Frage 64-Jährigen liegt Deutschland mit knapp verbunden, wie sie ihre nicht mehr 60 Prozent europaweit auf Platz 2. In ausgelastete Infrastruktur auf Dauer keiner anderen Altersgruppe ist die Beunterhalten können. Darüber hinaus schäftigung stärker angestiegen. Wir bekommen sie weniger Geld aus dem wollen noch mehr ältere Menschen in Finanzausgleich zwischen den verArbeit bringen. Für dieses Ziel erwarten schiedenen staatlichen Ebenen, weil sich wir von den Betriebs- und Tarifpartnern die Zahlungen nach der Bevölkerungszahl weitere Anstrengungen, Arbeitsplätze richten. altersgerecht, barrierefrei und gesundheitsfördernd zu gestalten. Wir wollen, dass unsere Länder, Städte und Gemeinden – unsere Heimat – Deutschland hat die besten Vorauslebenswert und wettbewerbsfähig bleiben. setzungen, sich zum Leitmarkt und LeitDazu wollen wir auf der einen Seite die anbieter innovativer Produkte und Kooperationsmöglichkeiten stärken und Dienstleistungen zu entwickeln, die auf auf der anderen Seite den betroffenen die Bedürfnisse der älteren Generation Ländern und Kommunen mehr Spielzugeschnitten sind. Wir sind davon überräume geben, damit sie auf sie zuzeugt, dass die Lebensqualität für alle kommende Änderungen flexibel reagieren Menschen in unserem Land steigt, wenn es können: Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen benachbarten Gemeinden, uns gelingt, hier neue Akzente zu setzen. Landkreisen und Ländern kann helfen, Denn vieles, was gut für ältere Menschen ist, ist auch gut für junge Familien. bei geringer werdenden finanziellen Spielräumen dennoch tragfähige Lösungen für Deutschland spürt die Folgen der Alterung den Unterhalt und die Bereitstellung der der Gesellschaft bereits deutlicher als Daseinsvorsorge zu ermöglichen.

Auch in Regionen, die in Zukunft noch stärker vom Bevölkerungsrückgang betroffen sein werden, wollen wir weiterhin ein lebenswertes Umfeld sicherstellen. Hierbei möchten wir die Möglichkeiten, die uns moderne Techniken – und dabei insbesondere das Internet – bieten, nutzen, um die leistungsfähige Infrastruktur zu erhalten und eine gute Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Wir werden bestehende Vorschriften mit dem Ziel überprüfen, flexible und innovative Lösungen für dünn besiedelte Regionen zu ermöglichen. Die Frage der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels sind nur zwei der wichtigen Zukunftsthemen, mit der sich der Leitantrag für unseren Parteitag am 4. und 5. Dezember in Hannover beschäftigt. Wir wollen darüber diskutieren, wie wir die gute Entwicklung der zurückliegenden Jahre weiter verstetigen können. Deutschland soll auch in den kommenden Jahren innovativ und zukunftsfähig bleiben. Der Leitantrag hat den Anspruch, über die Kurzfristigkeit einer Legislaturperiode hinauszugehen und nimmt daher auch Deutschlands langfristige Entwicklung in den Fokus. Entsprechend seinem Titel: „Starkes Deutschland. Chancen für Alle!“

HERMANN GRÖHE

Hermann Gröhe (51) ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages und war von Oktober 2008 bis Oktober 2009 Staatsminister bei der Bundeskanzlerin. Seit Oktober 2009 ist er Generalsekretär der CDU Deutschlands

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LANDTAGSWAHL NIEDERSACHSEN

Sympathisch, gelassen und siegessicher geht der Niedersächsische Ministerpräsident David McAllister in den Wahlkampf

NIEDERSACHSEN WÄHLT AM 20. JANUAR

Wir sind entspannt und gut drauf Interview mit dem Niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister Wie fühlen Sie sich knapp zwei Monate vor der Landtagswahl am 20. Januar? David McAllister: Entspannt und gut drauf. Denn wir haben eine exzellente Bilanz, ein starkes Team und ein sehr gutes Regierungsprogramm. Das ist, was man für einen Wahlsieg braucht. Auf diesen Wahlkampf freue ich mich. Man kennt Sie als jugendlichen, stets frohgemuten und angriffslustigen Politiker. Täuscht der Eindruck, dass das Amt bei Ihnen Spuren hinterlassen hat?

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McAllister: Wir werden in diesem Wahlkampf unsere Mitbewerber nicht schonen. Ganz nach dem Motto: Hart in der Sache, aber fair im persönlichen Umgang. Aber zwischen den Wahlkämpfen bin ich Ministerpräsident für Niedersachsen – und zwar für alle Niedersachsen. Wenn ich die Interessen des Landes in Berlin oder Brüssel vertrete, ist es klug, wenn ich unsere Positionen in persönlichen Gesprächen zum Beispiel mit der Bundeskanzlerin, den Bundesministern oder den Regierungschefs anderer Länder in

Ruhe darlege, anstatt in der Öffentlichkeit zu poltern. Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Sie sind Tagungspräsident beim CDUParteitag in Hannover. Welche Signale wünschen Sie sich von diesem Parteitag als Rückenwind für Ihre Kampagne? McAllister: Der Bundesparteitag gibt uns zusätzlichen Rückenwind für die Landtagswahl. Die CDU diskutiert dort mit den Themen Arbeit und Wirtschaft wesentliche Zukunftsfragen Deutschlands. Wir zeigen, dass die CDU im Bund und in Niedersachsen die entscheidenden Themen unseres Landes gemeinsam anpackt und löst. Wie definieren Sie Ihr Wahlziel? McAllister: Wir wollen klar stärkste politische Kraft in Niedersachsen


LANDTAGSWAHL NIEDERSACHSEN bleiben. Niedersachsen braucht in diesen Zeiten eine stabile, berechenbare und zuverlässige Regierung – die gibt es mit einer starken CDU. Das Land braucht kein fragiles Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linken. Mit welchen Themen wollen Sie es erreichen? McAllister: Den Menschen in Niedersachsen und dem Land geht es deutlich besser als zu SPD-Zeiten. Das soll so bleiben. Wir haben die Neuverschuldung deutlich gesenkt und werden sie bis 2017 stoppen. Dass wir es damit ernst meinen, haben wir bewiesen, als wir jetzt mit den Steuermehreinnahmen die Neuverschuldung gesenkt haben. 2012 und 2013 nehmen wir so 855 Millionen Euro weniger Kredite auf. Wir haben die niedrigste Arbeitslosig-

keit seit 20 Jahren. Unser Ziel ist, dass der Arbeitsmarkt auch bei schwierigen Vorzeichen der Weltwirtschaft stabil bleibt. Dafür stärken wir vor allem die Innovationskraft unserer Industrie sowie von Handwerk und Mittelstand. Drittes großes Thema ist die Bildung. Wir wollen die Qualität weiter verbessern und setzen auf frühkindliche Bildung und Betreuung, kleinere Klassen und mehr Ganztagsangebote. Werden Sie der schwächelnden FDP mit Leihstimmen über die 5 Prozent helfen? McAllister: Wir regieren seit fast zehn Jahren ehrlich und vertrauensvoll mit der FDP zusammen. Dieses erfolgreiche Bündnis möchten wir fortsetzen. Meine ganze Kraft setze ich aber für jede Erstund Zweitstimme für die CDU ein. Die Fragen stellte Günter Kohl

DAVID MCALLISTER

David McAllister Geboren 1971, wohnhaft in Bad Bederkesa/Niedersachsen Verheiratet mit Dunja McAllister Zwei Töchter, Jamie Elizabeth und Mia Louise 1982 - 1989 Besuch des Niedersächsischen Internatsgymnasiums (NIG) in Bad Bederkesa 1991 - 1996 Studium der Rechtswissenschaften seit 1998 Rechtsanwalt 1998 Wahl in den Niedersächsischen Landtag 2002 - 2003 Generalsekretär der CDU in Niedersachsen 2003 - 2010 Vorsitzender der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag seit 2008 Vorsitzender der CDU in Niedersachsen seit Juli 2010 Niedersächsischer Ministerpräsident

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Foto: Clipdealer

PATIENTENRECHTE

Brauchen wir überhaupt ein Patientenrechtegesetz, fragt der Autor

Darf ‘s a bisserl mehr sein?

Patientenrechte per Gesetz Von Peter Knüpper

Dem politischen Philosophen Charles de Montesquieu (1689 bis 1755) wird der Satz zugeschrieben: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Dass dieser Hinweis auf eine gute Staatsführung längst in Vergessenheit geraten ist, belegt einmal mehr die Diskussion über das Patientenrechtegesetz. Gut gemeint ist der Versuch, die Rechte der Patienten zu kodifizieren. Löblich sicher auch der Impetus, den Behandlungsvertrag rechtssicher und ausgewogen zu gestalten. Seit der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (MdB / CSU), im März 2011 die Diskussion mit seinem Eckpunktepapier eröffnet hat, überbieten sich Parteien, Patientenschutzverbände,

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Ärzte-Organisationen, zuletzt sogar die Länder im Bundesrat gegenseitig mit Forderungen, womit man die Patientenrechte noch aufhübschen könnte. Mal geht es um das Stimmrecht für Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss, dann um einen Ausgleichs- und Entschädigungsfonds für nicht nachgewiesene Behandlungsfehler oder die Verbesserung der Stellung des Privatgutachters im Prozessrecht. Weitere Beweiserleichterungen werden ebenso verlangt wie die Einführung des Amtsermittlungsgrundsatzes zur Aufklärung eines Behandlungsfehlers. Aktuell fordert der AOK-Bundesverband die Umkehr der Beweislast im Haftungsprozess. Bundesjustizministerin Sabine LeutheusserSchnarrenberger (FDP) hatte keinen leichten Stand, gut gemeinte Vorschläge, die nicht in unser Rechtssystem passen, abzuwehren.

Braucht es ein solches Gesetz überhaupt?

Kaum ein anderes Rechtsgebiet verfügt über einen solch ausdifferenzierten Beratungshintergrund wie das Arztrecht. Ärztliche Fachgesellschaften und Körperschaften, Patientenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen, Medizinrechtler und Verbraucherschutzorganisationen vertreten mit freundlicher Unterstützung der Medien die Rechte der Patienten tagtäglich öffentlich – und auch vor Gericht. Letztere haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass die Patientenrechte in Deutschland deutlicher gestärkt wurden, als im sonstigen europäischen Ausland – so der Medizinrechtler Prof. Andreas Spickhoff (Göttingen). Wegen der „Komplexität der Medizin“ und der „Vielfalt von Behandlungsmöglichkeiten“ hält es die Bundesregierung dennoch für geboten, Patientinnen und Patienten – per Gesetz – „auf Augenhöhe“ zum Behandler zu bringen. Soweit dahinter der partnerschaftliche Umgang miteinander während einer ärztlichen Behandlung steht, ist dies ein nachvollziehbares Bild. Schließlich handelt es sich um ein besonderes Vertrauensverhältnis. Doch dieses Vertrauen wird nicht in erster Linie von Rechtspflichten, sondern zunächst von der fachlichen Kompetenz des Arztes geprägt. Vor, während und nach der Behandlung geht es nicht nur um den vertraglich vereinbarten Leistungsaustausch, Ärzte sind nicht nur „Leistungserbringer“. Ihre vornehmste Pflicht, ärztliche Verordnungen zum Nutzen der Kranken zu treffen und sich zu hüten, diese zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden, wie es im Eid des Hippokrates heißt, macht sie zu den eigentlichen Patienten-Schützern. Zum Glück sehen das die Patienten in ihrer übergroßen Mehrheit ebenso. Das von der Bundesregierung vorgesehene neue Rechtsinstitut des „Behandlungsvertrages“ wirft eine Reihe juristischer Fragen auf. Wenn beispielsweise formuliert wird, dass die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen hat, wird nicht deutlich, dass es sich allen-


Foto: Gerd Altmann/ pixelio.de

PATIENTENRECHTE

Wird es am Ende in Deutschland ein wunderbares Patientenrechtegesetz geben, aber nicht mehr genügend qualifizierte Ärzte, es auch umzusetzen?

falls um den „im konkreten Fall gebotenen medizinischen Standard“ handeln kann (Dr. Gerda Müller, Vizepräsidentin des Bundesgerichtshofs a.D.). Standardisierung der ärztlichen Behandlung führt zur Defensivmedizin und wird den Interessen des Patienten gerade nicht gerecht. Unabhängig davon wirft die Formulierung die Frage auf, wie sich Ärzte oder Zahnärzte zu verhalten haben, wenn die in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Behandlungsrichtlinien nicht (mehr) dem fachlichen Standard entsprechen.

Da, wo eine Stärkung der Patientenrechte tatsächlich geboten ist, nämlich in Bezug auf das Rechtsverhältnis zur gesetzlichen Krankenversicherung, lässt es der Gesetzentwurf mit ein paar Regelungen zum Genehmigungsverfahren im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) bewenden. Hier scheut die Politik den Paradigmenwechsel, weil Patienten bereits mit der Einführung des Kostenerstattungsprinzips überfordert erscheinen. Mit dem Arzt jedoch sollen sie „auf Augenhöhe“ über Diagnose und Therapie verhandeln?

Noch mehr Bürokratie

Gerade in Bezug auf die Regelungen zur Haftung bei Behandlungsfehlern steht zu befürchten, dass mit dem Patientenrechte-Gesetz nicht mehr Rechtssicherheit geschaffen, sondern der „Politisierung“ dieses Rechtsverhältnisses Vorschub geleistet wird. Jede neue Bundesregierung wird verleitet sein, an dieser Stelle ihren Reformeifer zu zeigen – es kostet sie ja nichts. Dies wird insbesondere für die Frage der Beweislastverteilung gelten. Sind die Gewichte durch Rechtsetzung erst einmal verschoben, werden auch die Gerichte – wie im Sozialversicherungsrecht längst geschehen – kein Gegengewicht mehr bieten.

Natürlich wird niemand bestreiten, dass Arzt und Patient bei Durchführung der Behandlung zusammenwirken sollen. Aber zwingt das generell, über vermeintliche Behandlungsfehler – auch eines Vorbehandlers (!) - zu informieren? Die Rechtsfolgen für den Bezichtigenden scheinen nicht bedacht worden zu sein. Berechtigt auch die Kritik der Bundesärztekammer (BÄK), die Anforderungen an die Aufklärung seien „weder verhältnismäßig noch praktikabel“. Vielmehr überlagert das im Gesetzentwurf vorgesehene Übermaß an Dokumentation – so die BÄK – das Arzt-Patient-Verhältnis in unangemessener Weise.

Um nicht in Verdacht zu geraten, an dieser Stelle trübe die im Medizinbereich häufig kolportierte „KrähenTheorie“ das Auge des Verfassers, sei hier der Deutsche Anwaltverein zitiert, der die Bundesregierung bei seiner Stellungnahme zum Koalitionsvertrag gewarnt hat, immer nur neue Forderungen an die Behandlerseite zu stellen. Das könne am Ende dazu führen, „dass es in Deutschland ein wunderbares Patientenrechtegesetz gibt, aber nicht mehr genügend qualifizierte Ärzte, es auch umzusetzen“. So bleibt es bei der Einschätzung, dass es der Politik mit dem neuen Gesetz in erster Linie darum geht, Handlungskompetenz zu zeigen. Frei nach dem Satz von Karl Valentin: „Es muss was passieren, aber geschehen darf nix.“ Das verleitet dazu, dieses Gesetz im Ansatz zu begrüßen. Fatal nur, dass dem Bürger suggeriert wird, auf Gesundheit bestehe ein Rechtsanspruch. Gesundheit lasse sich durch Paragrafen schützen, man müsse die Paragrafen nur kennen.

PETER KNÜPPER

Politisierung des Haftungsrechts

Peter Knüpper ist Rechtsanwalt und seit 1995 Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Landeszahnärztekammer. Zuvor war Knüpper hauptamtlicher Bürgermeister (CDU) der Stadt Koblenz und der Verbandsgemeinde BernkastelKues. Als Rechtsanwalt ist er im Bereich des Gesundheitsrechts tätig. Er ist u. a. Mitautor des im Deutschen Anwaltverlag herausgegebenen Handbuchs Medizinrecht. Knüpper ist Mitglied der MITKommission Gesundheitspolitik

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Foto: Andrea Damm/ pixelio.de

WOHNORTNAHE VERSORGUNG

Was will ich mit einem Lotsen, wenn ich keine Schiffe habe? Auch die wohnortnahe fachärztliche Versorgung muss erhalten bleiben Menschen in Ländern mit niedergelassenen Fachärzten fühlen sich deutlich besser versorgt als in Ländern, in denen Fachärzte nur an Kliniken zur Verfügung stehen

Von Dr. Ilka Enger Bei der hausärztlichen Versorgung des Patienten wird immer wieder das Bild des Lotsen verwendet, der die Patienten durch das Gesundheitswesen navigiert. Damit diese Navigation gelingt, ist der Hausarzt allerdings auch auf die Zusammenarbeit mit den fachärztlichen Experten angewiesen. In Bayern arbeiten Haus- und Fachärzte Hand in Hand und nehmen ihre Aufgabe, in einem vertrauensvollen Miteinander gemeinsam für den Patienten da zu sein, sehr ernst. Wie wichtig eine wohnortnahe Versorgung – gerade auch mit niedergelassenen Fachärzten ist – hat ein Gutachten des Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Eberhard Wille zu Entwicklung, Stand und Perspektiven der flächendeckenden ambulanten fachärztlichen Versorgung aus dem Jahr 2010 gezeigt.

Demnach fühlen sich Menschen in Ländern mit niedergelassenen Fachärzten deutlich besser versorgt als in Ländern, in denen Fachärzte nur an Kliniken zur Verfügung stehen. Mit dem Facharzt „um die Ecke“ lässt sich meist ein intensiveres Vertrauensverhältnis aufbauen. Willes Studie

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zeigt auch, dass man sich nicht darauf verlassen darf, dass der prognostizierte Bevölkerungsrückgang auch zu einer rückläufigen Nachfrage nach ärztlichen – insbesondere fachärztlichen – Leistungen führen wird. Vielmehr wird der Bedarf aufgrund der steigenden Zahl alter Menschen noch weiter ansteigen, allerdings bei sinkenden Vertragsarztzahlen.

Mangel an Haus- und Fachärzten

Insbesondere den kleinen und mittelgroßen Städten droht ein Mangel an Hausund Fachärzten. Um gegenzusteuern, muss an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. Wie bei den Hausärzten, so kommen auch bei den Fachärzten zu wenig Studierende am Ende ihrer Ausbildung wirklich in der ambulanten Medizin an. Wird es durch Fördermaßnahmen momentan wieder lukrativer, sich als Hausarzt niederzulassen, könnte dies als Konsequenz bedeuten, dass die Zahl derjenigen Studierenden abnimmt, die sich für eine fachspezifische Facharztausbildung entscheiden. Darüber hinaus ist es für junge Fachärzte inzwischen attraktiver,

sich im Ausland niederzulassen. Und nur wenige entscheiden sich noch für das finanzielle Risiko einer eigenen Praxis in Deutschland. Genau dafür aber müssen wir wieder mehr Medizinstudierende begeistern und die Arztsitze in den ländlichen und strukturschwachen Regionen gerade für junge Kolleginnen und Kollegen attraktiver machen. Doch vonseiten der Politik wird in Deutschland nach wie vor die Mär von der „doppelten Facharztschiene“ gepflegt. Im Erleben des Patienten existiert diese allerdings gar nicht: Bedingt durch Ärztemangel, enge Terminpläne und schwierige Ausbildungssituationen trifft er im Krankenhaus nur selten auf einen Facharzt. Meist findet man nur einen „Facharztstandard“ vor, das heißt, es arbeiten Assistenten in Weiterbildung am Patienten, die mehr oder weniger engmaschig von fachärztlichen Kollegen überwacht werden. In der Praxis des niedergelassenen Facharztes dagegen behandelt der Chef noch selbst. Besonders für ältere Patienten mit chronischen Erkrankungen hätte der Wegfall fachärztlicher Praxen in Wohnortnähe daher katastrophale Folgen.


WOHNORTNAHE VERSORGUNG „Zwangsverzahnung“ des ambulanten und stationären Sektors

Viele der für sie notwendigen medizinischen Leistungen könnten dann nur noch stationär oder in weiter entfernten Zentren erbracht werden. Für alle Beteiligten hält diese Form der medizinischen Versorgung negative Aspekte bereit: Der Patient wird aus seiner gewohnten Umgebung gerissen. Die Kosten im System würden dramatisch ansteigen. Für die fachärztlichen Praxen – insbesondere für die sogenannten Grundversorgerpraxen – besteht übrigens heute schon eine existenzbedrohende Unterfinanzierung, die einen Investitionsstau in den Praxen bedingt und auch die Arbeitsplätze hoch qualifizierter Praxismitarbeiter bedroht. Sowohl in meiner Funktion als Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) als auch in meiner Eigenschaft als Mitbegründerin des Bayerischen Facharztverbandes (BFAV) habe ich mich deshalb zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen seit Beginn der Diskussion um die Einführung der sogenannten ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) im Rahmen des neuen GKV-Versorgungsstrukturgesetzes kritisch mit den Folgen der Etablierung dieser neuen Versorgungsebene auseinandergesetzt. Die gesundheitspolitische Grundidee der ASV: Mittels Durchbrechung der Sektorengrenzen zwischen stationär und ambulant soll die medizinische Versorgung der Bevölkerung verbessert und das Gesundheitssystem insgesamt ökonomischer und preiswerter werden. Das hört sich zunächst ganz vernünftig an, ist aber ein Postulat, dessen Wahrheitsgehalt noch vollkommen ungeprüft ist. Anzumerken ist jedoch, dass die bisherige Verlagerung von zum Beispiel ambulanten Operationen in Krankenhäuser eben gerade nicht zu einer Kostenersparnis, sondern zu einer Verteuerung geführt hat. Warum sollte dies also mit dem neuen Sektor anders werden? Ob es sinnvoll ist, durch dieses Konstrukt eine „Zwangsverzahnung“ des ambulanten und stationären Sektors zu bewirken, sei dahingestellt. In sehr vielen Bereichen ist eine gute Zusammenarbeit

zwischen Kliniken und Niedergelassenen schon geübte Praxis und bedarf dieses Zwangselementes nicht. Gleichzeitig sorgt die ASV aber auch für eine ungesunde Konkurrenzsituation zwischen den niedergelassenen Kollegen und den Klinikambulanzen, mit der Folge, dass der Patient eben nicht mehr wohnortnah behandelt wird, sondern in spezialisierte Zentren mit unter Umständen langen Anfahrtswegen verbracht werden muss. Und ob er dort dann wirklich die „spezialisierte Behandlung“ erfährt, ist bei der derzeit noch fehlenden Definition der Qualitätsstandards eher fraglich. Die Länder im Bundesrat sowie auch die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) haben deshalb jeweils einstimmig die Einführung der ASV abgelehnt. Leider hält die Bundesregierung weiterhin an der geplanten Einführung fest. Somit steht zu befürchten, dass die wohnortnahe hausund fachärztliche Versorgung an der Peripherie weg bricht, was die strukturell ohnehin schwachen Regionen weiter in den Abwärtsstrudel treiben könnte. Die Zeche dafür müssten die Bürgerinnen und Bürger in den ländlichen Regionen bezahlen. Das kann nicht im Sinne des Erfinders, sprich der Politiker, sein. Im Vorstand der KVB kämpfen wir daher gemeinsam mit den Berufsverbänden konsequent weiter für das Prinzip ‚ambulant vor stationär‘. Meine persönliche Wunschvorstellung für die nahe Zukunft ist die Einführung eines Kostenerstattungsprinzips nach Paragraf 63 SGB V, also ein direktes Vertragsverhältnis mit dem Patienten, verbunden mit einer Abschaffung der Budgetierung. Das Kostenerstattungsmodell „Gesundheitskonto Bayern“ ist meines Erachtens eine tragfähige Alternative zum Sachleistungsprinzip und steht für Transparenz, Eigenverantwortung und gerechte Vergütung. Der gesetzlich Versicherte erhält bei seiner Krankenkasse ein Konto mit einem Startkapital, errechnet anhand seiner Behandlungskosten aus dem Vorjahr (zum Beispiel zehn Prozent des Vorjahresbetrages). Er „bewirtschaftet“ dieses Konto selbst, indem er zehn Prozent der abgeforderten Leistungen aus dem Konto

finanziert, den Rest trägt die Krankenkasse. Der Patient wird regelmäßig per Kontoauszug über seine in Anspruch genommenen Leistungen informiert. Sollte das Guthaben auf seinem Konto nicht ausreichen, muss er eine Eigenbeteiligung von zehn Prozent auf die jetzt anfallenden Kosten leisten. Die soziale Abfederung erfolgt über eine Obergrenze der Zuzahlungen, wie sie jetzt schon etabliert ist. Der Arzt wiederum kann sicher sein, dass er sein Honorar ohne Abstaffelung erhält.

Dieses Modell vereint eine effektive Patientensteuerung mit dem Leitbild des mündigen Patienten und einer Transparenz für Arzt, Patient und Krankenkasse. Das Ganze ist zunächst als Versuchsprojekt zusammen mit der AUDI BKK und dem Praxisnetz GOIN in Ingolstadt geplant und muss noch vom Bundesversicherungsamt genehmigt werden. Wir werden in Zukunft nicht umhin kommen, bei den Versicherten mehr Anreize für einen verantwortungsvollen Umgang mit ärztlichen Leistungen zu setzen.

DR. ILKA ENGER

Ilka Enger, Mitbegründerin des Bayerischen Facharztverbandes (BFAV), ist seit Anfang 2011 zweite stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Seit 1992 lebt die gebürtige Mannheimerin in Regensburg. In Neutraubling ist sie seit 1999 als fachärztlich tätige Internistin in eigener Praxis niedergelassen. Neben der Schulmedizin beschäftigt sich Enger auch mit traditionellen Medizinsystemen wie der Traditionellen Chinesischen Medizin, Ayurveda oder der europäischen Volks- und Klostermedizin

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KOMMENTAR

Mehr Qualität und Wettbewerb im Gesundheitswesen statt Zwang und Bevormundung Sehr geehrte Damen und Herren, in drei Jahren christlich-liberaler Koalition haben wir gesundheitspolitisch mehr bewegt als viele Vorgängerregierungen zusammen. Trotz aller Herausforderungen steht das deutsche Gesundheitswesen heute besser da denn je: Es ist solide finanziert, der Zugang zu medizinischen Innovationen ist gewährleistet und die Anstrengungen zum Erhalt der flächendeckenden Versorgung wurden intensiviert. Das ist nicht nur angesichts der aktuellen Lage in vielen europäischen Nachbarländern bemerkenswert, auch der Blick über den Atlantik bestärkt uns darin, wahrscheinlich das beste Gesundheitssystem der Welt zu haben. Durch das GKV-Finanzierungsgesetz haben wir zu Beginn der Legislaturperiode den Wettbewerb zwischen den Kassen intensiviert. Versicherte können endlich das Verhältnis von Preis und Leistungen ihrer Krankenkasse mit dem anderer Kassen vergleichen. Zusatzbeiträge und Prämien sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ist gut, dass immer mehr Kassen in 2013 Prämien an ihre Versicherten bezahlen wollen. Das stärkt den Wettbewerb. Ein Mehr an Transparenz und Markt brachte auf der anderen Seite auch das AMNOG, das Schluss machte mit der teils willkürlichen und einseitigen Preisfestsetzung bei neuen Medikamenten. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass das System grundsätzlich zur Zufriedenheit beider Partner - der Krankenkassen und der Pharmaunternehmen - funktioniert und dass Patienten dennoch ungehinderten Zugang zu medizinischen Innovationen behalten. Dass nun der nachgewiesene Zusatznutzen eines neuen Medikamentes ausschlaggebend für den Preis ist, ist eine Revolution. Dieser Grundgedanke sollte auf weitere Produkte im Gesundheitswesen ausgeweitet werden.

sein. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft und vor dem Hintergrund einer starken Wanderbewegung in die Städte erfordert das unser besonderes Augenmerk. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz wird es insbesondere für junge Ärzte attraktiver, auf dem Land und in sozial schwächeren Stadtteilen zu arbeiten. Das Gesetz enthält hierzu ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung und aktive Vorsorge für die Zukunft. Wir werden im nächsten Jahr dafür kämpfen, dass wir diese erfolgreiche Politik für mehr Qualität und Wettbewerb gemeinsam fortsetzen können. Die Alternative wäre eine linke Bürgerversicherung, Zwang statt Motivation für Patienten, Ärzte und andere Akteure und auf jeden Fall mehr Kontrolle, BeJENS SPAHN vormundung und Zentralismus. Das ist nicht unser Ziel. Deshalb freue ich mich über Ihre Unterstützung im Wahljahr 2013. Beste Grüße

Ihr

Jens Spahn

Bereits heute können viele Arztpraxen auf dem Land nicht mehr besetzt werden. Unser Ziel muss auch in Zukunft die flächendeckende medizinische Versorgung

Jens Spahn, MdB, wurde 1980 in Ahaus geboren. Seine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der WestLB führte ihn auch nach Luxemburg. Der studierte Politikwissenschaftler gehört seit 2002 dem Deutschen Bundestag an. Seit 2009 ist er gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und stellvertretender Landesvorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU Nordrhein-Westfalen.

Impressum Herausgeber Dr. Mathias Höschel Dr. Hanno Kehren Frank Rudolph Verlag Günter Kohl PR + Marketing Gärtnerkoppel 3 24259 Westensee/ Kiel Tel. 04305-992992 / Fax 04305-992993 E-Mail: gkprkiel@t-online.de

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Am Puls

04 | 2012

Anzeigenverkauf: Über den Verlag Anzeigenschluss: 1. Februar 2013 Redaktion Tim Küsters, Beate Marzyan, Stephan Rabl, Steven Kunert redaktion-ampuls@gmx.de Internet: www.issuu.com/ampuls Satz und Layout: Walter Katofsky, Kiel Druck: CW NIEMEYER DRUCK, Hameln

Titelfoto Gerd_Altmann_Hintergrund_ Hans_Braxmeier/pixelio.de Abonnement Einzelheft: 24,- Euro pro Jahr bei 4 Ausgaben Geschäfts-Abo: 20 Ex. Pro Ausgabe: 200,- Euro Das Magazin am puls erscheint viermal im Jahr jeweils zur Mitte eines Quartals.


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