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Jahrgang 13 5,00 Euro

MAGAZIN FÜR

POLITIK UND GESUNDHEIT Dieter Welsink Ambulante Rehabilitation S. 8

HERBSTSTIMMUNG – wie geht es weiter?

Stefan Engstfeld NRW und Europa

S. 12

Manfred Weber Selbstbehauptung Europas S. 14


Caring and Curing Leben retten und Gesundheit verbessern – das ist unser Ziel Die Entwicklung bahnbrechender neuer Medikamente steht für Novartis an erster Stelle. Sie schaffen neue Behandlungsmöglichkeiten für bislang unerfüllte medizinische Bedürfnisse der Patienten. Patienten und ihre Bedürfnisse können jedoch sehr unterschiedlich sein. Deshalb bietet Novartis neben innovativen Medikamenten auch Möglichkeiten zur Krankheitsvorbeugung sowie Generika an und verbessert den Zugang zu medizinischer Versorgung.

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EDITORIAL

Bürgerversicherung, Nein Danke! Der Bundestagswahlkampf 2017 wirft seine Schatten voraus. Die SPD ließ verlauten, dass die Einführung einer Bürgerversicherung für die Partei oberste Priorität habe und man diese für die Wahl im September 2017 zu einem zentralen Wahlkampfthema machen wird. Laut dem SPD Gesundheitsexperten, Prof. Karl Lauterbach, habe man in diesem Bereich die volle Unterstützung von Grünen und Linkspartei. Nach 2009 und 2013 will die SPD zum wiederholten Male das Thema Bürgerversicherung bei der Bevölkerung platzieren. Wie in vorangegangen Wahlkämpfen werden die Genossen um Karl Lauterbach aber auch diesmal wieder krachend scheitern. Bereits in den zurückliegenden Jahren kam das Thema Bürgerversicherung wie Weihnachten und Ostern. Allerdings scheiterten SPD und andere Befürworter spätestens bei der Erklärung, wie man einen solchen Systemwechsel überhaupt finanzieren will. Auch bei der Notwendigkeit eines solchen Paradigmenwechsels blieb die SPD immer eine Antwort schuldig. Das ständige wiederholen einer angeblichen Gerechtigkeitslücke macht die Sache nicht einleuchtender. Insgeheim schielen die Gesundheitspolitiker von SPD, Grünen und Linken immer noch auf die ca. 200 Mrd. Euro Alterungsrückstellungen der privaten Krankenversicherung. Diese würde man nur zu gerne in das GKV System überführen.

Finger weg, Herr Lauterbach. Das sind Gelder der Versicherten und nicht des Staates. Bereits Bundeskanzler Schröder hatte 2004 auf diese Gelder geschielt und eine Überführung in das gesetzliche System war bereits beschlossene Sache. Allerdings machte dann das SPD geführte Justizministerium diesem Anliegen einen Strich durch die Rechnung. Fazit einer Überprüfung war, das geht nicht, dies sind Gelder der Versicherten und letztlich wäre das juristisch nicht haltbar. Lieber Herr Lauterbach, sparen sie sich die Zeit, an das Geld kommen sie nicht ran und auch in Zukunft werden sie sich hier die Zähne ausbeißen. Wie sagte schon Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: „Das System aus privater und gesetzlicher Krankenversicherung funktioniert und es gibt überhaupt keine Gründe dies in Zukunft zu ändern."

INHALT 4

Chorgesang Singen ist gesund und fördert die Kommunikation mit anderen, meint unsere Autorin Regina van Dinther

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Lücken schließen Die Autoren Peter Weiß und Eva-WelskopDeffaa zeigen Möglichkeiten und Risiken der Altersversorgung Selbstständiger auf

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Rehabilitation Der Antrag einer ambulanten orthopädischen Rehabilitation ist oft ein schwieriger Prozess. Ratschläge dazu gibt Dieter W. Welsink

10 Telemedizin Der zunehmende Hausärztemangel bei steigendem Versorgungsbedarf erfordert neue Ansätze der ärztlichen Grundversorgung. Anita Nuding und Dr. Johannes Thormählen machen dazu Vorschläge 12 NRW und Europa Wie treffen die großen europäischen Herausforderungen unser Heimatland Nordrhein-Westfalen, fragt Stefan Engstfeld 14 Europas Selbstbehauptung Angesichts der Flüchtlingskrise und anderer schwerer Probleme geht es um die Selbstbehauptung Europas, schreibt der CSU-Politiker Manfred Weber 16 Endlager Immer wieder vertagt und verdrängt – die Suche nach einem atomaren Endlager, doch nun soll ein neuer Anlauf gemacht werden, erläutert Steffen Kanitz 18 apoForum 2016 Unser Autor Thomas Wingerath berichtet vom viel beachteten apoForum 2016 als vielbeachtete Diskussions-Plattform von Novartis 20 Cannabis als Medizin Von vielen Patienten werden die angestrebten Gesetzes-Änderungen schon lange herbeigesehnt, weiß Emmi Zeulner 22 Kolumne Hier schreibt unser Kolumnist Gottfried Ludewig

Frank Rudolph, 1. Stellv. Vorsitzender GPA NRW

22 Impressum

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SINGEN

Singen wir….

es hält gesund und macht uns glücklich Lange hatte man das Gefühl, Singen im Chor gehört zu den Hobbys, von denen die Deutschen sich eher abwenden. Doch es tut sich was, 3,2 Millionen ChorsängerInnen in 60 000 Chören geben ihre Begeisterung weiter und zunehmend wird auch wissenschaftlich belegt , wie wertvoll das Singen für den Menschen ist. Es ist vielleicht auch unsere Zeit , in der der Mensch sich und seine Möglichkeiten wieder mehr selbst finden und erleben möchte oder auch die bloße Notwendigkeit gegen Stress, Überforderung, Technikfolgen, Vernetzung und ständiger Erreichbarkeit ein Ventil zu finden, was uns die Balance zurückgibt. Erstaunlich ist, dass unser Bildungssystem so hartnäckig die positiven Aspekte der Musik und des Gesangs schon für die Kleinsten ignoriert. Schon im Mutterleib reagieren die Ungeborenen positiv auf Musik, für die Entwicklung des Gehirns ist die verstärkte und intensive Vernetzung der Synapsen während des Singens längst nachgewiesen. Die Sprachfähigkeit wird erhöht und beim Spracherwerb und beim Sprachtraining gibt es nichts Wirkungsvolleres als den Einsatz der eigenen Singstimme. Gesang ist gut für Körper, Geist und Seele. Tiefes Atmen regt Herz und Kreislauf an, steigert das Lungenvolumen und dehnt und kräftigt die Rumpfmuskulatur. SängerInnen nutzen die Nebenhöhlen als Reso-

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nanzraum und lassen sie schwingen, das stärkt die Abwehrfunktion der Schleimhäute. Singen im Chor steigert die Konzentrationsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität. Prof. Karl Adanek weist mit seinen Forschungen nach, das Singen die Produktion von Glückshormonen wie Serotonin und Beta Endorphin ankurbelt und die Hormone die uns aggressiv und stressanfällig machen zurückgebildet werden. Singen bringt Energieschübe und erhöht die Konzentration. ChorsängerInnen haben eine aufgehellte Stimmung nach der Chorprobe, denn gemeinsam erlebtes ist wesentlich intensiver, es hilft die Reserven an positiver Gestimmtheit aufzufüllen. Viele können ein „Lied „ davon singen, dass Frust, Trauer und Ärger rausgelassen werden können und das gemeinsam ersungene harmonisch, klangvoll und oft auch textvoll mit in den Alltag genommen werden kann. Experten empfehlen sich jeweils ein passendes Lied bereit zu halten, ein Glückslied , ein Trostlied, ein Triumphlied ein Lied für die Trauer. Nun muss es darum gehen, den Menschen die Chance zum Singen zu eröffnen. Nicht jeder und jede mag sich binden, hat die Freude des Singens in Elternhaus, Kita oder Schule mit auf den Lebensweg bekommen . An diesen Aufgaben arbeiten die Wissenschaftler , die Musiker, die Pädagogen, die Chöre und ihre Verbände.

Neue Aufgaben kommen hinzu, wie gelingt es uns auch zusammen mit den Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu singen und zu musizieren ? Wie können wir Gesang und Musik bei der Inklusion und der Angebote für Menschen mit demenziellen Erkrankungen einsetzen ? Wie können wir zielgenauere Angebote für eine älter werdende Gesellschaft machen ? Am besten gelingt und dass, wenn wir unser Glück und unsere Begeisterung weitergeben und die Menschen um uns Singenden herum dies auch wahrnehmen. Lasst uns also singen.

REGINA VAN DINTHER

Regina van Dinther ist seit April Präsidentin des Chorverbandes NRW und vertritt damit fast 3000 Chöre und 200 000 Sängerinnen und Sänger in NRW. Sie ist seit 1990 Mitglied im Landtag NRW und war von 2005 bis 2010 Präsidentin des Landtages NRW


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ALTERSSICHERUNG

Die Hälfte der heutigen Empfänger von Grundsicherung im Alter verfügt über keinerlei Rentenansprüche

Lücken bei der Alterssicherung Selbstständiger schließen Von Peter Weiß, MdB und Eva-Welskop-Deffaa

Noch ist Altersarmut in Deutschland kein Massenphänomen: Weniger als vier Prozent der Menschen im Alter sind im Rentenalter auf Grundsicherung angewiesen. Vor dem Hintergrund verschiedener erkennbaren Veränderungen gibt es aber reichlich Anlass genauer auf die Lücken in der Alterssicherung zu schauen und die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung und der Digitalisierung der Arbeitswelt auszurichten. Grundsätzliche politische Weichenstellungen müssen gerade bei der Alterssicherung langfristig angelegt werden. Daten aus der Gegenwart liefern uns hinreichend Fingerzeige, wo wir ansetzen müssen. Besonders intensiv schauen wir auf die Lücken in den Erwerbs- und Versicherungsbiografien, auf Erwerbsverläufe mit langen Phasen geringen Einkommens und auf die Auswirkungen, die das Absinken des

Rentenniveaus mit sich bringt. Ein Aspekt wird dabei meist nur ungenügend beachtet: Die Hälfte der heutigen Empfänger von Grundsicherung im Alter verfügt über keinerlei Rentenansprüche. Da abhängig Beschäftigte sich einer Versicherungspflicht nicht entziehen können, liegt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei überwiegend um Selbstständige handelt. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zielt mit der Feststellung, dass 50 Prozent der Soloselbstständigen nicht für das Alter vorsorgen, in dieselbe Kerbe. Gerade bei der Alterssicherung hat sich gezeigt, dass gänzlich freiwillige Lösungen nur bedingt tragen. Dem Aufruf zur ergänzenden privaten Vorsorge sind zum Beispiel seit der Rentenreform 2001 knapp 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über einen Betriebsrentenanwartschaft gefolgt, obwohl mit der Steuer- und Sozialversicherungsbeitragsfrei-

heit der Entgeltumwandlung und den Arbeitgeberbeiträgen zur baV ökonomisch erhebliche Anreize geschaffen wurden. Ähnlich sieht es bei der Riester-Rente aus. Die Zahl der Riester-Verträge bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Gerade auch bei denjenigen, für die die (Kinder-)Zuschläge Anreize bieten, fehlt am Ende die Fähigkeit freiwillig für das Alter zu sparen. Je unsicherer Gegenwart und Zukunft, umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Zukunftswirkungen bei heutigen Entscheidungen ausreichend berücksichtigt werden. Genau darum ist die gesetzliche Rentenversicherung „erfunden“ worden, die als Pflichtversicherung eine Form des „Zwangssparens für das Alter“ darstellt. In der Regierungskoalition wird ergänzend darüber nachgedacht, wie die Verbindlichkeit in der betrieblichen Altersversorgung sinnvoll gestärkt werden kann. Ähnlich wie bei der Vorsorge für das Alter ist es bei Vorsorge für Krank-

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ALTERSSICHERUNG unter den armutsgefährdeten Versicherten deutlich überrepräsentiert. Wir brauchen eine Rentenversicherungspflicht für alle Selbstständigen in einer insolvenzgeschützten Absicherungsform. Für Freiberufler in den „verkammerten“ Berufen, z. B. Ärzte und Psychotherapeuten, besteht ohnehin unabhängig vom Status „selbstständig“ oder „abhängig beschäftigt“ bereits eine Absicherungspflicht über ein berufsständisches Versorgungswerk, daran wollen wir nichts ändern.

Die Zahl der Riester-Verträge bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück

heiten. Auch hier lässt sich immer wieder feststellen, dass das vorausschauende Bewusstsein für die Risiken fehlt, dass Krankheiten einen jederzeit ereilen und deren Behandlungskosten unter Umständen sogar das Budget eines einfachen Millionärs sprengen können. Seit 2009 besteht daher in Deutschland eine allgemeine Krankenversicherungspflicht – über den Kreis der abhängig Beschäftigten hinaus. Rente und Gesundheitsversorgung haben gemeinsam, dass bei mangelnder Vorsorge andere für die Sicherstellung der Leistungen aufkommen müssen; für das Existenzminimum im Alter bzw. die Gesundheitsfürsorge. Die Zahlen, die die Gesetzliche Krankenversicherung gerade zu ihren Außenständen veröffentlicht hat – sie liegen in Höhe von 4,48 Milliarden Euro – machen deutlich, dass trotz der Pflichtmitgliedschaft immer noch zahlreiche Menschen sich der Pflicht entziehen, durch eigene Beiträge vorzusorgen. Aufgrund des Beitrags-

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einzuges bei abhängig Beschäftigten dürfen die Zahlungsrückstände weitgehend Selbstständigen zuzuordnen sein. Dafür bezahlt die große Mehrheit – mit ihren Steuern bei fehlender Alterssicherung und im Fall der Krankenversicherung mit ihren Versicherungsbeiträgen: Die Arzthelferin oder Verkäuferin ebenso wie die Hebamme und in der Regel auch der Physiotherapeut. Das ist unsolidarisch und leistungsfeindlich zugleich und es verweist auf ein sozialpolitisch problematisches freerider-Verhalten, das das abhängige Beschäftigungsverhältnis einem Unterbietungswettbewerb durch prekäre Selbstständigkeit aussetzt. Last but not least führt die fehlende Pflicht, als Selbstständiger für das Alter vorzusorgen zu Altersarmutsrisiken, die offensichtlich schon heute deutlich größer sind als die Armutsrisiken von Beschäftigten mit kontinuierlichen Erwerbsbiographien in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen. Versicherte mit Phasen der Selbstständigkeit im Lebenslauf sind

Für viele andere Selbstständige in Gesundheitsberufen – wie Physiotherapeuten ebenso Ergotherapeuten, Logopäden und Hebammen – gilt die Rentenversicherungspflicht. Und die Gesundheitshandwerker (Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Orthopädietechniker, -schumacher) fallen als zulassungspflichtige Berufe unter die „Handwerkerregelung“, die eine Absicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Dauer von 18 Jahren vorsieht. Ab diesem Zeitpunkt wird angenommen, dass sich die Selbstständigkeit stabilisiert hat und das Betriebsvermögen neben der grundsichernden Rente eine auskömmliche Alterssicherung ermöglichen wird. Wichtig ist es, die unsystematischen Regelungen für die Rentenversicherungspflicht Selbstständiger zu vereinheitlichen. Für Selbstständige, die bereits seit Jahren selbstständig tätig sind, könnte das in einer allgemeinen Versicherungspflicht bestehen, für junge Leute, die sich zukünftig selbstständig machen, sollte eine generelle Einbeziehung in die Rentenversicherung (mindestens dem Vorbild der Handwerker folgend für die ersten 18 Jahre) eingeführt werden. Greifen würde dies z. B. bei den viel zitierten IT-Start-ups, in den „klassischen“ Bereichen der Soloselbstständigkeit (z. B. Auslieferungsfah-


ALTERSSICHERUNG rer von Tiefkühlkost) oder auch bei den im Zuge der rot-grünen Agenda-Politik seit 2004 als nicht mehr zulassungspflichtig deklarierten Handwerksberufen. In einer Reihe dieser deregulierten Berufe finden sich nach Erkenntnissen von Insidern aus dem Handwerk schwerpunktmäßig Personen mit Absicherungslücken. In der Diskussion um die Einbeziehung Selbstständiger in die Rentenversicherung werden häufig Ausnahmeregelungen gefordert, die der besonderen Situation von Unternehmen in der Gründungsphase Rechnung tragen. Diese laufen meist auf eine langjährige Befreiung von der Versicherungspflicht hinaus. Viel sinnvoller wäre es, die staatliche Gründungsförderung so auszugestalten, dass ein Teil der Fördersumme in eine Subventionierung der Sozialversicherungsbeiträge fließt. So würden einerseits Gründungen besonders erfolgreich initiiert und Altersarmut bekämpft, denn es würde verhindert, dass beim Scheitern der Gründung Versicherungslücken entstehen. Wir wissen: Schon heute sind 50 Prozent der neu gegründeten Unternehmen nach 5 Jahren nicht mehr am Markt.

Die Situation nach der Einführung der Krankenversicherungspflicht mit den immensen Außenständen hat allerdings gezeigt, dass eher nachrangig wirkende Vorschriften Probleme alleine selten zu lösen im Stande sind. Daher kommt hier auch die Verantwortung zum Tragen, nach den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft wettbewerbliche Rahmenbedingungen für die jeweiligen Berufe zu schaffen bzw.

zu erhalten, die die Erwirtschaftung einer auskömmlichen Alterssicherung für Betriebsinhaber und Beschäftigte ermöglicht. Und es müssen Wege gesucht und gefunden werden, die Beitragspflicht verlässlich durchzusetzen.

PETER WEISS

EVA WELSKOP-DEFFAA

Peter Weiß (60) ist seit 1998 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Seit 2009 führt er die Arbeitnehmergruppe der CD/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Eva Welskop-Deffaa wurde 1959 in Duisburg geboren. Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, zuständig für die Bereiche Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, Erwerbslose, Teilhabepolitik und Schwerbehindertenvertretung, Migrantinnen und Migranten

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REHABILITATION

Der Weg zu einer ambulanten orthopädischen Rehabilitation ist oft ein schwieriger Prozess

Der schwierige Weg in die Rehabilitation Der Antrag einer ambulanten orthopädischen Rehabilitation ist oft ein schwieriger Prozess: Komplizierte Antragsbürokratie, ein Wirrwarr bei den Zuständigkeiten für die Kostenübernahme. Ärzte und Patienten sind oftmals frustriert - dabei verhindert die Rehabilitation oft den frühzeitigen Eintritt in die Rente und spart damit Kosten in Milliardenhöhe. Fünf oder sechs Jahre ist Gerhard Winter mit den kaputten Sprunggelenken herumgelaufen, dann sind die Schmerzen zu schlimm geworden. „Die Arthrose, beide Füße“, sagt der freundliche Herr Mitte 70 und stützt sich auf seine Gehhilfen. Mitte Juni ist Gerhard Winter, der in seinem aktiven Berufsleben 28 Jahre lang Reisebus gefahren ist, in der Rheumaklinik Sankt Elisabeth in Meerbusch-Lank operiert worden. Rund sechs Wochen später hat er

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die ambulante orthopädische Rehabilitation in der Neusser Fachklinik der medicoreha aufgenommen. Schmerzen habe er inzwischen keine mehr. Auch die Einleitung der Reha hat reibungslos funktioniert. Das Krankenhaus habe sich in Absprache mit der Krankenkasse darum gekümmert, sagt Gerhard Winter. Das ist nicht immer so. „Wir versuchen, die politischen Forderungen nach Teilhabe, ,Reha vor Rente‘ und ,Reha vor Pflege‘ sowie ,ambulant vor stationär‘ umzusetzen“, erklärt Dieter Welsink, geschäftsführender Gesellschafter der medicoreha Welsink Rehabilitation GmbH. Trotz aller Bemühungen sei es bisher aber nicht gelungen, den ambulanten Rehabilitationsbereich als feste und anerkannte Säule im Gesundheitswesen zu etablieren. Die hohen Qualitätsanforderungen in der medizinischen

Rehabilitation, festgelegt durch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), garantierten bei niedrigen Tagessätzen eine hohe Effektivität und Effizienz. Dennoch würden diese Angebote immer noch sehr zurückhaltend genutzt, insbesondere von den gesetzlichen Krankenkassen. Das sieht auch der „Arbeitskreis Gesundheit“ so, ein Verein, dessen Ziel die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens ist: „Häufig werden Anträge auf Rehabilitation oder Anschlussheilbehandlung von den Kostenträgern trotz sorgfältiger Begründung abgelehnt.“ Und das, obwohl ein gesetzlicher Anspruch besteht. Das liegt auch an einem Wirrwarr bei den Zuständigkeiten. Ganz grob: Die Rentenversicherungen sind etwa bei schweren chronischen Erkrankungen zuständig, wenn die Erwerbstätigkeit


REHABILITATION gefährdet ist; bei Unfällen entscheidet der Arzt der Berufsgenossenschaft, ob eine Reha verordnet wird; die Krankenkassen springen insbesondere in die Bresche, wenn Rentner eine Reha benötigen. Doch so trennscharf ist die Entscheidung nicht immer möglich. Die Folge: Anträge werden abgelehnt. „Patienten seien durch die formalen Bescheide schnell verunsichert und wissen nicht, wie sie sich zur Wehr setzen können“, moniert dazu der „Arbeitskreis Gesundheit“. Komplex ist aber im Schritt zuvor auch das Antragsverfahren an sich. Seit April 2016 existiert zwar nur noch das so genannte „Formular 61“, auf dem nun alle Vertragsärzte eine medizinische Reha zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beantragen können; „Muster 60“ zur Vorabprüfung des Kostenträgers entfällt. In der Ärzteschaft stößt aber auch die neue Regelung nicht nur auf Gegenliebe. Im Online-Forum der „Ärztezeitung“ kommentiert ein Mediziner: „Das eigentliche Problem ist das Formular 61.“ Er betrachte das Papier als Schikane und als „völlig ungeeignet für einen Reha-Antrag“. Die Fragen seien geschwollen und entsprächen nicht dem ärztlichen Wortschatz. Dabei würden einige markante Sätze zur Diagnose und Notwendigkeit einer Rehabilitation ausreichen. „Dieses Formular“, so schreibt der Arzt, „soll uns von einer Verordnung abschrecken.“ Dieser Tenor ist bei vielen Kommentaren so. Bestehen Zweifel, berät die medicoreha niedergelassene Kollegen im Rahmen der so genannten „Sozialmedizinischen Sprechstunde“. Patienten können sich bei Unsicherheit an Annemarie Yuen wenden, die das CaseManagement im Unternehmen betreut. „Wir geben auch Informationen darüber, wie der zeitliche Aufwand ist, ob die Krankenkasse oder die Rentenversicherung als Kostenträger zuständig ist“, erklärt sie. Doch auch sie sagt: „Früher war das Prozedere einfacher.“ Lohnt sich die medizinische Rehabilitation? Ganz klar: Ja. Berechnungen zeigen, „dass sich durch das Hinaus-

schieben einer Erwerbsminderungsrente um nur vier Monate die medizinische Rehabilitation amortisiert“, schreibt die Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund in ihrem RehaBericht 2015. Oder in Zahlen: Unter dem Strich ergebe sich ein Nutzen von 1.177 Euro pro Monat. „Ein frühzeitiger Einsatz ambulanter, wohnortnaher Rehabilitationsmaßnahmen vermeidet zudem häufig eine Chronifizierung von Erkrankungen mit langen Ausfallzeiten und teuren Krankengeldleistungen“, sagt Dr. Beril Canata, ärztliche Leiterin der Ambulanten Psychosomatischen Rehabilitation in der medicoreha Welsink Unternehmensgruppe. Gerhard Winter, Vater von 4 Kindern und passionierter Fahrradfahrer, ist jedenfalls zufrieden mit der Entwicklung seiner Gesundheit. Er sagt: „Ich bin inzwischen schon wieder mit dem Mountainbike unterwegs.“

Die Sondermodelle der medicoreha Seit Jahren bemüht sich medicoreha, interdisziplinäre und sektorübergreifende Versorgungsmodelle zu entwickeln. So hat das Gesundheitsunternehmen mit der Barmer GEK das Programm „Integrierte Versorgung Rücken“ (IVR) entwickelt, das Patienten mit chronischen und akuten Rückenschmerzen individuell und aktivierend versorgt. Die „Ambulante Rehabilitation Traumatologie“ (ART) ist ein weiteres Beispiel. Sie richtet sich an Versicherte von Barmer GEK oder AOK, die z. B. Brüche oder Gelenkverletzungen erlitten haben. So wie Bundesligaprofi Patrick Herrmann, der im Vorjahr nach einem Riss des hinteren Kreuzbandes im linken Knie bei medicoreha nach einem ähnlichen Prinzip konservativ behandelt wurde. „Verletzte Spieler erhalten nicht nur eine umfassende Behandlung, sondern auch die nötige Zeit zur Regeneration“, berichtet Herrmann. Physiotherapie und Rehabilitation vor oder anstelle einer Operation haben im Spitzensport mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert mit dem Effekt der nachhaltigen Vermeidung auch schwerer und kostspieliger operativer Eingriffe.

Zur medicoreha Die medicoreha Welsink Unternehmensgruppe besteht seit 1986 und umfasst derzeit 11 Standorte am Niederrhein mit rund 270 Mitarbeitern. Das Unternehmen, das vom heutigen geschäftsführenden Gesellschafter Dieter Welsink gegründet wurde, bietet eine adäquate medizinisch-therapeutische Betreuung in der ambulanten medizinischen Rehabilitation, der Physio- und Ergotherapie, der Sportmedizin und der individuellen Gesundheitsförderung und ist Vertragspartner aller gesetzlichen Kranken-, Rentenund Unfallversicherungen, der privaten Krankenversicherungen sowie der Olympiastützpunkte Rheinland und Westfalen. Die medicoreha betreibt einen Standort im Stadion von Borussia Mönchengladbach und betreut das Bundesliga-Team des Clubs. Darüber hinaus gehört zur Unternehmensgruppe die medicoreha Akademie mit zwei Schulstandorten in Neuss und Essen, an denen 450 staatlich anerkannte Ausbildungsplätze in der Physio- und Ergotherapie zur Verfügung stehen. Weitere Infos unter www.medicoreha.de

DIETER W. WELSINK

Dieter W. Welsink, Geschäftsführender Gesellschafter der medicoreha Welsink Rehabilitation GmbH in Neuss

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TELEMEDIZIN

TELEARZT: Mehr hausärztliche Versorgung durch Telemedizin und Delegation Von Anita Nuding und Dr. Johannes Thormählen Der zunehmende Hausärztemangel bei steigendem Versorgungsbedarf erfordert neue Ansätze für die Organisation der ärztlichen Grundversorgung. Besonders schwierig ist die Situation schon heute in ländlichen und dünn besiedelten Gebieten. Betroffen von Versorgungsengpässen sind hier vor allem chronisch kranke oder multimorbide Versicherte, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Der Krankenkassendienstleister GWQ ServicePlus sieht in der Kombination der Delegation ärztlicher Leistungen mit dem Einsatz von Instrumenten der Telemedizin einen Weg, die faktischen Kapazitäten der Hausärzte schon kurzfristig zu erweitern. Im Auftrag von 24 Betriebs- und Innungskrankenkassen treibt die GWQ deshalb gemeinsam mit der TeleArzt GmbH (TAG) das Projekt TeleArzt voran, eine zusätzliche Versorgungsform, die schon im kommenden Jahr bis zu 12 Millionen Versicherten zur Verfügung stehen könnte.

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Der zunehmende Hausärztemangel bei steigendem Versorgungsbedarf erfordert neue Ansätze für die Organisation der ärztlichen Grundversorgung

ist der Arzt für eine fünf- oder zehnminütige Konsultation eine Stunde auf Landoder Kreisstraßen unterwegs.

Die Situation

Hybridlösung für Hausbesuche

Mit dem wachsenden Anteil älterer Versicherter nimmt zugleich die Zahl chronisch kranker und multimorbider Versicherter zu. Viele dieser Patienten sind nicht mehr mobil oder bewegungseingeschränkt; der Weg zum Hausarzt, oft nur für eine kurze Routine- oder Kontrolluntersuchung, stellt für sie eine unüberwindbare Hürde da. Andererseits sind Hausbesuche nicht nur in dünn besiedelten Regionen ein Problem für die hausärztliche Praxis: Nicht selten

Voraussetzung dafür ist der Einsatz von besonders qualifizierten und telemedizinisch geschulten, Fachkräften. Sie übernehmen an Stelle des Arztes die zeitraubenden Hausbesuche, erfassen mithilfe mobiler Medizintechnik alle relevanten Patientendaten und

Die Zahl der Hausärzte ist von 2005 bis 2015 von gut 53 000 auf knapp 48 000 zurückgegangen. Dieser Trend wird sich fortsetzen, allein weil auf absehbarere Zeit weniger Allgemeinärzte ausgebildet werden, als aus dem Beruf ausscheiden. Das gerade im landärztlichen Bereich übliche und auch notwendige „allzeit bereit“ ist für viele Nachwuchsärzte schwer vorstellbar. Sie wünschen kalkulierbare Arbeitszeiten, finanzielle Sicherheit und bevorzugen immer häufiger Teilzeittätigkeiten.

Für künftige Patientengenerationen werden E-Health und Telemedizin zum Alltag gehören. Für viele der älteren chronisch Kranken heute ist die Gesundheitsversorgung allein über den Computer bislang aber weder wünschenswert noch praktikabel, dazu auch rechtlich problematisch. Der persönliche Kontakt von Mensch zu Mensch bleibt aber unverzichtbar. Aus Sicht der GWQ kann hier eine Art Hybridlösung einen Lösungsweg darstellen. Die Patienten erhalten Hausbesuche von medizinischen Fachangestellten, der behandelnde Arzt erhält in Echtzeit alle Untersuchungsergebnisse und kann bei Bedarf per Videokonferenz dem Hausbesuch zugeschaltet werden.


TELEMEDIZIN leiten sie direkt verschlüsselt an die Praxis weiter. Damit unterstützen sie die ärztliche Tätigkeit immer unter „virtueller Aufsicht“ des Hausarztes. Der ist weiterhin für alle therapierelevanten Entscheidungen zuständig und wird bei Bedarf per Videokonferenz ins Wohnzimmer der Patienten geholt.

Auf deutsche Verhältnisse zuschneiden

Der Einsatz von Telemedizin ist in verschiedenen Staaten kein Neuland mehr, genauso wie die Übertragung ärztlicher Kompetenzen an anderes medizinisches Personal. Die vorliegenden Erfahrungen stehen für eine hohe Patientenzufriedenheit bei mindestens gleich hoher Versorgungsqualität. Allerdings sind die anderswo praktizierten Modelle nicht einfach auf Deutschland übertragbar. Die Idee zu dem auf hiesige Verhältnisse zugeschnittenen TeleArzt hatte Dr. Thomas Aßmann, Hausarzt aus Lindlar, der von vornerein die GWQ als möglichen Partner auf Kassenseite eingebunden hat. Hieraus ist zusammen mit der TeleArzt AG ein Versorgungsangebot konzipiert worden bei dem die GWQ die Kassenseite federführend vertritt. Ziel ist es, das Projekt einem breiten Versichertenklientel zugänglich zu machen, um so die hausärztliche Versorgung flächendeckend zu verbessern. Einen besonderen Nutzen vom TeleArzt erwartet die GWQ in schon heute dünn versorgten Regionen. Dort haben zahlreiche regional ausgerichtete Krankenkassen, meist aus dem BKK-System, eine führende Rolle. Diese Kassen haben naturgemäß ein großes Interesse daran, das Versorgungsangebot für ihre Versicherten durch innovative Lösungen zu erweitern und nachhaltig zu sichern. Als langjähriger Partner dieser Kassen hat die GWQ deren Interessen und Möglichkeiten gebündelt und in das Konzept eingebracht. Damit werden Praxistauglichkeit und Bedarfsgerechtigkeit in höchstem Maße sichergestellt. Das TeleArzt-Projekt will das Rad also nicht neu erfinden, es will ein neues, für die besonderen Bedingungen des deutschen Gesundheitswesens geeignetes Rad entwickeln. Ziel ist es, den Hausärzten mehr Zeit für ihre eigentlichen ärztlichen Tätigkeiten zu verschaffen und gleichzeitig das Versor-

gungsangebot für mobilitätseingeschränkte chronisch kranke Patienten zu erweitern; und zwar ohne jede qualitative Einschränkung.

Delegation unter ärztlicher Kontrolle Dafür verbindet das Projekt den Einsatz besonders qualifizierter medizinischer Fachangestellter mit modernen Medizin- und Informationstechnologien. Die Idee dahinter: Wenn der Patient nicht in die Praxis kommen kann, kommt die Praxis zum Patienten. Dazu sind zwei „Schnittstellen“ zwischen Arzt und Patienten notwendig: Die menschliche gewährleistet eine telemedizinisch geschulte Versorgungsassistentin („Tele-VERAH“), die technische ein so genannter Telemedizin-Rucksack, gefüllt mit allen erforderlichen Geräten zur Vitaldatenmessung. Bei Tele-VERAH handelt es sich um eine VERAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis), die unter anderem über zusätzliche Qualifikationen im Bereich Telemedizin verfügt. Im Telemedizin-Rucksack führt sie ein 3-Kanal EKG, ein Pulsoximeter, ein Blutzuckermessgerät, ein Spirometer, ein Blutdruckmessgerät und eine Personenwaage mit sich. Der ebenfalls enthaltene Tablet-Computer überträgt die Patienten-

daten direkt in die Praxissoftware und ist die Tür zum ärztlichen Sprechzimmer: Über ihn kann der Arzt bei Bedarf buchstäblich in den Hausbesuch eingeschaltet werden, Wunden oder Beweglichkeit der Patienten in Augenschein nehmen, aber auch Verhaltens-und Präventionsempfehlungen geben. Entsprechend breit ist die Unterstützung für das Projekt, das bei Förderung durch den Innovationsfonds von 2017 bis Ende 2020 gleich in 16 KV-Regionen erprobt und erforscht werden soll. Neben der TAG TeleArzt GmbH als Konsortialführer und der GWQ, die den TeleArzt als Motor im im Auftrag von 24 Betriebs- und Innungskrankenkassen vorantreibt, unterstützen mit der TK (Techniker Krankenkasse) und der SVLFG (Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau) weitere Konsortialpartner das Projekt. Der ebenfalls eingebundene Lehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen (Prof. Wasem) wird das Projekt wissenschaftlich evaluieren.

DR. JOHANNES THORMÄHLEN

ANITA NUDING

Anita Nuding, Leiterin Hausarztzentrierte Versorgung, Jg. 1971 lernte Arzthelferin, 14 Jahre als Erstkraft in einer neurologisch psychiatrischen Praxis tätig. Berufsbegleitende Fortbildung 2009/2010 Fachwirtin im Sozialund Gesundheitswesen IHK, Weiterbildungen Medical-Controller 2010/2011 und Netzmanager für Ärztenetze 2011. Seit 11/2010 bei der GWQ, zunächst im Bereich §106a, dann ab 11/2011 Übernahme des Themengebietes HzV, leitet seit 7/2015 das Team „HzV“ und ist produktverantwortlich für alle Belange rund um die Hausarztzentrierte Versorgung

Dr. Johannes Thormählen M.H.A, seit August 2008 Vorstand der GWQ ServicePlus AG. Von 2001 an war er zunächst bei dem Unternehmen 4sigma für den Bereich Gesundheitsmanagement verantwortlich, bevor er dann 2005 in die Geschäftsleitung eintrat und ab 2007 das Unternehmen als Vorsitzender der Geschäftsleitung führte. Von 1996 bis 2001 war er an der TU München als wissenschaftlicher Assistent und Projektleiter im Bereich Versorgungsforschung aktiv. Er studierte Humanmedizin an der LudwigMaximilians-Universität, München, promovierte an der TU München und erwarb an der Universität Bern im Rahmen eines berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiums den Titel eines Master of Health Administration

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Foto: Bernd Kasper/ pixelio.de

NRW UND EUROPA exportorientiertes Land. NordrheinWestfalen kann in einer globalisierten Welt seine Interessen nur wirksam wahrnehmen, wenn Europa geeint ist und nicht zerfällt. Wer glaubt, in einer globalisierten Welt alleine unterwegs besser aufgestellt zu sein als in einer Gemeinschaft, der irrt gewaltig! Wir haben also auch ein starkes wirtschaftliches Interesse daran, dass die EU nicht zerbricht. Politisch ist für uns hier in NRW die EU ein Garant für Frieden und Demokratie. Wir haben bei uns die fürchterlichen Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht vergessen. Wir wissen, aus welchen Ruinen Europa entstanden ist º nämlich aus den Ruinen des fatalen Nationalsozialismus, dem Holocaust und der Teilung des Kontinents. Wir wollen heute nicht, dass Europas Menschen wieder aufeinander schießen. Die Lage unseres Kontinents ist ernst

NRW und Europa –

worauf es jetzt ankommt Von Stefan Engstfeld, MdL „Was ist mit Dir los, Europa?“ fragte Papst Franziskus Anfang Mai dieses Jahres bei der Verleihung des Karlspreis im Vatikan. „Was wird aus Europa?“ frage ich mich und werde ich oft gefragt. Viele Bürgerinnen und Bürger treibt die Sorge um, dass Europa zerbricht. Nicht ohne Grund. Denn die Lage des Kontinents ist ernst: Großbritannien will raus aus der EU (Brexit), die schwelende Staatsschuldenkrise in Griechenland ist nicht überwunden, die immer noch offene Flüchtlingsfrage treibt viele Menschen um, erstarkender antieuropäischer Populismus und Nationalismus, die Terrorismusgefahr, der schwelende soziale Sprengstoff bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern Südeuropas oder die De-Regulierungsagenda beim Umweltund Naturschutz, die vieles in Frage stellt, was dort schon erreicht wurde. Die Frage ist also mehr als berechtigt: Ist die Europäische Union wirklich noch in der Lage, diese Herausforderungen zu meistern?

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Und wie treffen diese Herausforderungen unser Heimatland NordrheinWestfalen? Nordrhein-Westfalen profitiert besonders von den Vorteilen der europäischen Vereinigung in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht. Aber zuvorderst: Wir tragen eine (historische) Verantwortung. Denn hier in NRW begann mit der Montanunion, mit der gemeinschaftlichen Kontrolle und Verwaltung von Kohle und Stahl, die Einigung Europas. Bis heute begleitet uns der Strukturwandel im Ruhrgebiet, der nur mit der politischen und finanziellen Unterstützung aus Brüssel gelingen kann. Durch unsere geografische Lage, durch unsere Grenzen zu europäischen Nachbarstaaten liegt NRW im Herzen Europas und wir in NRW brauchen die Europäische Union. Wir sind ein extrem

Wir wissen dass die Europäische Grundrechtecharta uns Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert. Wir wissen, dass in Europa Menschenrechte vor Gericht einklagbar sind. Das Europa Vorreiterin für mehr Gleichberechtigung ist. Für hunderttausende Menschen, die vor Krieg, Terror, Diktatur und Verfolgung Schutz suchen, ist Europa ja gerade deshalb ein Sehnsuchtsort. Dennoch müssen wir die EU reformieren. Das zeigt auch das Ergebnis in Großbritannien, das wir alle leider akzeptieren müssen. Wir hatten vor der Entscheidung in Großbritannien im Landtag eine Debatte dazu. Wir waren alle der Auffassung: Bitte bleibt! Das Ergebnis ist ein anderes und hat uns alle schockiert. Natürlich ist das eine Zäsur im europäischen Einigungsprozess. Darin sind wir uns im Landtag auch alle einig. Aber es ist auch eine Chance, notwendige Reformen endlich anzupacken. Dazu gehört: Wir müssen besser zuhören. Europa erscheint vielen Menschen weit weg. Sie sagen: Wir haben gar keinen Einfluss mehr; wir werden in Brüssel gar nicht gehört. Das ist fatal. Und stimmt so in der Pauschalität auch nicht ganz, aber in der Tendenz schon. Deswegen muss die EU mehr Mitbestimmung


NRW UND EUROPA zulassen. Das kann über die Stärkung der Parlamentsrechte gehen oder durch die Stärkung direktdemokratischer Instrumente. Die Europäische Bürgerinitiative ist ein Anfang. Dort können Bürgerinnen und Bürger Unterschriften sammeln und ab einer gewissen Anzahl muss die EU-Kommission sich mit dem Anliegen beschäftigen.

tisch legitimierten Räte und Parlamente, auch auf kommunaler Ebene. Vieles kann besser vor Ort, näher an den Bürgerinnen und Bürgern entschieden werden. Nichts anderes besagt das Prinzip der Subsidiarität.

Bei der Frage, was aus Europa wird, halte ich es mit dem ehemaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Der hat Wir müssen besser darauf achten, wer einmal gesagt: „Europa ist gesünder als was wo entscheidet. Vor Ort in NRW viele glauben. Die echte Krankheit Euroorganisieren die Bürgerinnen und Bürpas sind seine Pessimisten." Ich meine ger ihr Zusammenleben im Alltag und zwar auch, dass Europas Werte gerade treffen Maßnahmen für ihre Daseinsdurch nationale Egoismen und mangelnvorsorge, also beispielsweise Wasserverde Solidarität bedroht sind. Ich bin mir sorgung oder Abfallentsorgung. Dafür aber sicher: Wir, die Völker Europas, wir gibt es viele Fördermöglichkeiten der hier in NRW, wollen alle nicht zurück in EU und auch gemeinsame Rechtsnordie nationalstaatliche Kleinstaaterei falmen. Es ist jetzt notwendig, dass in der len. Wir wollen alle keine Schlagbäume Europäischen Union den Kommunen und Grenzhäuschen mehr sehen. Wir künftig mehr Beachwollen reisen. Wir tung geschenkt und Wir müssen besser zuhören. wollen Handel treiihre Selbstverwal- Europa erscheint vielen Men- ben. Wir lieben itatung gestärkt wird. schen weit weg. Sie sagen: Wir lienische Nudeln, Entscheidungen sol- haben gar keinen Einfluss mehr; französischen Käse len möglichst bürger- wir werden in Brüssel gar nicht und holländischen nah fallen. Nicht alVla. Wir lernen, liegehört. Das ist fatal. les muss von der EU ben, studieren und entschieden werden, vieles kann vor arbeiten in Stockholm oder Madrid, wir haben Freundinnen und Freunde Ort besser entschieden werden. Deshalb muss das Prinzip der Subsidiarität in Amsterdam oder Warschau. Unsere gestärkt werden. ºMehr Europaº, das gemeinsame Währung zeigt, wie sehr heißt für uns, die EU stärker machen, wir zusammengewachsen sind. Ob bei wo gemeinsames Handeln notwendig zivilgesellschaftlichem Engagement, in und sinnvoll ist. Es bedeutet nicht, dass Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft, wir möglichst viele Entscheidungen auf ob in Behörden oder Kultureinrichtundie europäische Ebene verlagern wolgen: Wir vernetzen uns heute von Hellen. Eine zentralistische EU, die bis ins sinki bis Lissabon, von Düsseldorf bis Kleinste vorschreibt, was andere tun Dublin, um gemeinsam Lösungen für oder lassen sollen, untergräbt die Entgemeinsame Probleme zu finden. scheidungsspielräume der demokra-

Es liegt jetzt also an uns, in diesen Zeiten diese Werte zu verteidigen. Wir alle sind heute in Europa dafür verantwortlich, dass Vielfalt, Toleranz und Solidarität gelebt werden. Das ist unsere Aufgabe. Und das Gebot der Stunde.

STEFAN ENGSTFELD

Stefan Engstfeld (46) wuchs in Ratingen auf, er studierte nach dem Abitur und Zivildienst Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Ab 2003 war er Mitarbeiter in der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen und ab 2007 in der Bundestagsfraktion seiner Partei. 2010 wurde er in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt. Auch bei der vorgezogenen Landtagswahl 2012 zog er über die Landesliste seiner Partei in den Landtag ein. Seit August 2012 ist er stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion

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EUROPA

Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament

Es geht um die Selbstbehauptung Europas Von Manfred Weber, MdEP

Von der Schulden- über die Flüchtlingskrise bis hin zu den brutalen Terror-Attacken, die den Kontinent wiederholt heimsuchen: Die Europäische Union befindet sich derzeit unter Druck. Es scheint als würden diese neue Weltunordnung und die damit einhergehenden Unsicherheiten Populisten und Nationalisten gefährlichen Auftrieb geben. Der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklungen ist das Brexit-Votum vom 23. Juni. Es ist etwas ins Rutschen geraten in Europa. In den Nationalstaaten sowie auf EU-Ebene muss sich deshalb einiges ändern: Die Politik muss wieder mehr Verantwortung übernehmen - für das eigene Handeln und auch für Europa. Es geht um nichts weniger als die Selbstbehauptung des Kontinents in der globalen Welt.

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Es ist ein Einschnitt von historischer Dimension. Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union hat eine knappe Mehrheit eines Volkes per Referendum entschieden, die Gemeinschaft wieder zu verlassen. Vor allem für Großbritannien steht viel auf dem Spiel. So ist dort in den Tagen nach dem Referendum eingetreten, wovor Beobachter stets gewarnt hatten: Das Pfund hatte zeitweise drastisch an Wert verloren und Aktienkurse waren so dramatisch eingebrochen, dass das Land von der Wirtschaftskraft hinter Frankreich zurückfiel. Auch die politischen Folgen des Brexit-Votums ließen nicht lange auf sich warten. Tagelang taumelte Großbritannien führungslos vor sich hin, während sich die schottische Regierung für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum aussprach.

Durch die britische Gesellschaft geht ein gewaltiger Riss. Verantwortlich für diese Entwicklungen sind vor allem britische Populisten. Sie haben ihr Land mit allerlei Lügen in die größte Krise der Nachkriegszeit gestürzt. Nur einen Tag nach dem Referendum erklärte Nigel Farage, Brexit-Wortführer von der der Anti-EUPartei UKIP, dass die 350 Millionen Pfund, die Großbritannien angeblich wöchentlich an die EU überweise, nun doch nicht ins nationale Gesundheitssystem fließen würden. Lügen wie diese, der aggressive Ton der Anti-EuropaKampagne sowie der verbreitete Hass haben Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Ausbaden muss dieses unverantwortliche Handeln ihrer Politiker nun vor


EUROPA allem das britische Volk. Aber auch für Europa bedeutet dies viele Veränderungen. Denn Demagogen von Rechts und Links wollen die Gelegenheit nutzen und die Europäische Union zerstören. Spätestens seit dem britischen Referendum ist klar, worum es für uns alle in den kommenden Jahren gehen wird: Spaltung oder Zusammenarbeit, Nationalismus oder Europa. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen: Europas Zukunft muss neu erkämpft werden. In wichtigen Gründerstaaten der Gemeinschaft sind Rechtspopulisten und Demagogen auf dem Vormarsch. Marine Le Pen vom französischen Front National versucht im nächsten Jahr in den Elysée-Palast einzuziehen. Gleichzeitig will Islam-Hasser Geert Wilders in den Niederlanden seine Mitbürger verängstigen und aufstacheln. Und auch Deutschland ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Der Aufstieg der AfD basiert zum größten Teil darauf, dass sie auch die Klaviatur der immer schrilleren und extremeren Parteien in anderen Staaten spielt. Wie konnte es soweit kommen, dass der Versuch Europa zu zerstören heute salonfähiger ist als je zuvor? Es gibt hierauf keine einfache Antwort. Fest steht allerdings, dass wir heute in einer vielschichtigen und komplizierten Welt mit zahlreichen Herausforderungen leben. Allein der islamistische Terror, der Europa seit einigen Jahren mit furchtbaren Anschlägen überzieht, ist eine Kampfansage an den Zusammenhalt Europas. Dasselbe gilt für die Migrationskrise - stellt sie doch die Gemeinschaft immer wieder auf die Probe. Die Ängste der Menschen müssen ernst genommen werden. Dies lehrt uns nicht zuletzt der Aufstieg der Demagogen. Wenn wir Europa vor der Zerstörungswut der Nationalisten schützen wollen, dann müssen wir es besser machen. Wir wollen Europa weiterentwickeln, bürgernäher machen, und nicht zerstören. Hierfür braucht die Gemeinschaft zunächst einmal eine Phase der Reflexion. Für mich ist klar, dass sich die EU auf die großen Fragen unserer

Zeit konzenDie Ängste der Menschen müs- genauso wie für die nationalen Parlamente. Es trieren muss. Wir brauchen sen ernst genommen werden. Dies braucht mehr Transpaein stärkeres lehrt uns nicht zuletzt der Aufstieg renz und Demokratie Zusammen- der Demagogen. Wenn wir Euro- in Europa. stehen beim pa vor der Zerstörungswut der Na- Kampf gegen tionalisten schützen wollen, dann Wir Europaparlamenden Terror und müssen wir es besser machen. tarier stehen zu unsedem Aufbau rer Verantwortung für einer neuen europäischen Sicherheits- die Gemeinschaft. Wir sind überzeugt, architektur. Der Informationsaustausch dass Europa ohne eine enge Zusamzwischen den Strafverfolgungsbehör- menarbeit keine Chance in der globaden muss deshalb verbessert und die lisierten Welt von morgen haben wird. Terrorismusfinanzierung ausgetrock- Dies müssen wir täglich vermitteln und net werden. Zudem brauchen wir eine erklären. Dasselbe erwarten wir aber gemeinsame europäische Gefährder- auch von nationalen Spitzenpolitikern. datei, in der alle Terrorverdächtigen Es kann nicht angehen, dass in Brüssel gespeichert sind. die Hand für Entscheidungen gehoben wird, zuhause dann aber keiner mehr Auch bei der Erschließung neuer Märk- etwas davon wissen will und Europa te sowie bei der Errichtung eines di- auch noch zum Sündenbock stilisiert gitalen Binnenmarktes brauchen wir wird. Seit der letzten Bundestagswahl ein stärkeres Europa. Denn vom euro- sind gerade einmal eine Handvoll Gepäischen Binnenmarkt hängt unser setze beschlossen worden, denen die Wohlstand ab. Ohne die EU hätte die deutsche Bundesregierung nicht zudeutsche Erfolgsgeschichte so nicht gestimmt hat. Dafür muss aber künfstattfinden können. Und das gilt auch tig von allen gemeinsam mehr Verantfür die Zukunft: Europa ist unsere Le- wortung übernommen werden. Europa bensversicherung in einer globalisier- ist nicht eine ferne Bürokratie, Europa, ten Welt. Nur gemeinsam, mit dem das sind wir letztlich alle. Gewicht von künftig 440 Millionen Menschen, können wir den neuen ökonomischen Schwergewichten in Asien MANFRED WEBER und in der digitalen Welt auf Augenhöhe entgegentreten und unsere Standards verteidigen. Europa wird sich im Zuge der Globalisierung zunehmend selbst behaupten müssen. Gleichzeitig muss sich die EU nicht um alles kümmern. Wir sind durchaus offen für Rückübertragungen von Kompetenzen, müssen gegen Überregulierung vorgehen und verhindern, dass sich die europäische Gesetzgebung und vor allem deren Umsetzung in nationales Recht in Details verlieren. Europa braucht hierfür starke Parlamente, die die wesentlichen Entscheidungen treffen und die Regierungen kontrollieren: Europäische Entscheidungen dürManfred Weber (44) gehört seit 2004 fen nicht mehr von Beamten nachts im dem Europäischen Parlament an. Seit Hinterzimmer getroffen werden, son2014 ist er Vorsitzender der EVP-Frakdern müssen in den Parlamenten oftion. Zuvor war er von 2009 an einer der zehn stellvertretenden Fraktionsfen diskutiert und beschlossen werden. vorsitzenden Das gilt für das Europäische Parlament

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ENDLAGERFRAGE

Foto:Achim Lückemeyer/ pixelio.de

Die ENDLAGERFRAGE muss in unserer Generation geklärt werden

Das Ende der Beratung ist der Startschuss zur Endlagersuche

Von Steffen Kanitz, MdB

Zwei Jahre, 34 Mitglieder, 124 Sitzungen, weit über 500 Drucksachen, gut 600 Seiten Abschlussbericht. So liest sich die Bilanz der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ – kurz: Endlagerkommission. Was im Juni 2013 mit der Einsetzung der Endlagerkommission im Zuge des Standortauswahlgesetzes begann, soll nun nach Auswertung der OnlineKommentierung im September 2016 mit einer Novellierung eben jenes Standortauswahlgesetzes enden. Wobei dieses „Ende“ vielmehr den Startschuss der Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle in Deutschland darstellt.

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Abschlussbericht auf gesamtgesellschaftlicher Basis Die Kommission setzte sich aus allen gesellschaftlichen Gruppen zusammen. Neben Mitgliedern aus Politik und Wirtschaft, nahmen auch Vertreter von Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbänden teil. Der große Erfolg des fast einstimmig beschlossenen Abschlussberichts liegt ebenso in der Einigung dieser gesamtgesellschaftlich aufgestellten Kommission wie die Überwindung der langjährigen Konflikte um dieses Thema. Aus diesem Grund können wir mit Fug und Recht von einem gelungenen Neustart in der Endlagersuche sprechen. Wir stehen nun in der Pflicht mit dem Kriterienkatalog der Endlagerkommission das Standortaus-

wahlgesetz schnellstmöglich zu novellieren. Der erreichte Konsens in der Endlagersuche muss jetzt genutzt werden. Das Vorhaben lautet daher den Gesetzgebungsprozess bestenfalls noch in diesem Jahr abzuschließen.

Bestmögliche Sicherheit Ziel des Suchverfahrens ist die Ermittlung eines Standorts für hoch radioaktive Abfallstoffe mit der bestmöglichen Sicherheit in einem vergleichenden Verfahren. Dabei soll die die Endlagerung in einem Bergwerk in tiefen geologischen Formationen erfolgen. Aus geologischer Sicht stellt diese Option den sichersten Entsorgungsweg für eine Million Jahre dar. Teil des Konzepts ist ebenfalls die die Reversibilität zu je-


ENDLAGERFRAGE

Für die Endlagerung kommen in Deutschland grundsätzlich drei Wirtsgesteine in Frage: Steinsalz, Tongestein und Kristallingestein (Granit). Alle drei Wirtsgesteine werden von Anfang an im Auswahlverfahren betrachtet. Die von der Endlagerkommission aufgestellten wissenschaftlichen Kriterien werden einheitlich auf alle drei Gesteinsarten angewendet, um eine Gleichbehandlung aller potentiellen Standorte herzustellen. Am Ende dieses Prozesses soll das Endlager mit der bestmöglichen Sicherheit gefunden werden.

Wissenschaftlicher Kriterienkatalog Das Herzstück des Abschlussberichts ist der wissenschaftsbasierte und ergebnisoffene Kriterienkatalog. Er enthält in erster Linie geologische Auswahlkriterien, die ein nachprüfbares und sicherheitsgerichtetes Verfahren garantieren. Auf dem Weg zu einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Deutschland werden drei Phasen des vergleichenden Standortauswahlverfahrens durchlaufen, die sich an wissenschaftlichen geologischen Entscheidungskriterien orientieren. An dessen Ende steht jeweils ein Bericht zur Diskussion zwischen Öffentlichkeit, Wissenschaft, dem zuständigen Bundesamt für kerntechnische Entsorgung sowie dem Bundesrat und Bundestag. Letztere entscheiden daraufhin über den Einstieg in die nächste Phase. Phase 1 geht von der „weißen Deutschlandkarte“ aus. Anhand des Kriterienkatalogs werden erste Regionen ausgeschlossen. Erste Ausschlusskriterien sind beispielsweise Regionen mit „aktiven Störungszonen“ oder vulkanischer oder seismischer Aktivität. Auf Basis vorhandener Daten wird eine Anzahl möglicher Standortregionen für die übertägige Erkundung identifiziert.

Phase 2 umfasst die übertägige Erkundung der zuvor identifizierten möglichen Standortregionen. Auch hier verbleiben nach Anwendung der wissenschaftlichen Kriterien potentielle Endlagerstandorte. In Phase 3 erfolgt die untertägige Erkundung der in der vorherigen Phase übrig gebliebenen Standorte. Hier findet schließlich der abschließende Vergleich statt, um den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden. Die Festlegung des Endlagerstandorts erfolgt durch Entscheidung des Deutschen Bundestags und des Bundesrats.

Umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung Großer Kritik sah sich in der Vergangenheit der Punkt der Beteiligung der Öffentlichkeit am Auswahlverfahren ausgesetzt. Aus diesem Grund enthält der Abschlussbericht der Endlagerkommission ein umfassendes Öffentlichkeitsbeteiligungskonzept. Leitlinie der beteiligten Akteure war dabei stets die Einbeziehung der Lehren der Vergangenheit. Gleichzeitig soll dem Auswahlverfahren, wie auch der Arbeit der Endlagerkommission zuvor, Transparenz Nachvollziehbarkeit innewohnen. Betroffene Regionen erhalten ausführliche Auskunfts- und Informationsrechte und werden in den verschieden Phasen in das Auswahlverfahren mit eingebunden. Vetomöglichkeiten sind dabei, ebenso wie bei dem prozessbegleitenden Nationalen Begleitgremium, ausgeschlossen.

künftig Schnittstellenprobleme zu vermeiden. Die neu eingerichtete Struktur von Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) und der Bundesgesellschaft für Endlagerung GmbH (BGE) soll einen möglichst effizienten und reibungslosen Ablauf herstellen. Nun gilt es auf diesem gemeinsamen Erfolg aufzubauen und die gefundenen Kompromisse möglichst noch in diesem Jahr, in jedem Falle aber in der laufenden Legislaturperiode, in Gesetzesform zu fassen. Die Endlagersuche ist eine drängende gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Einerseits angesichts des Aussteigs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung bis 2022. Sollte der Prozess wie in der Vergangenheit Spielball politischer und ideologischer Grabenkämpfe werden, wird absehbar das Know-How für den Rückbau fehlen. Andererseits zwingen die Zwischenlager, in denen momentan der hoch radioaktive Abfall oberirdisch lagert zu einer schnellen und effizienten Endlagersuche. Kritiker wird es immer geben. Der Neustart in Gestalt des Abschlussberichts der Endlagerkommission ist vollbracht. Unsere Generation steht in der Pflicht die Frage der Endlagerung zu lösen. Die ersten Schritte sind getan.

STEFFEN KANITZ Foto: D&T_SvS

dem Zeitpunkt. Dies bedeutet sowohl den Erhalt der Möglichkeit zur Rückholung der Abfälle während der Offenhaltungsphase des Endlagers – als auch eine mögliche Bergbarkeit der Abfälle nach Verschluss des Endlagers bis zu 500 Jahren.

Endlagersuche weiter vorantreiben Die ersten Schritte auf diesem Weg sind bereits getan. Zum einen wird nach Abschluss der Auswertung der OnlineKommentierung des Abschlussberichts das sogenannte Nationale Begleitgremium eingesetzt. Dieses soll den weiteren Prozess begleiten ohne jedoch ein Vetorecht innezuhaben, womit der Prozess möglicherweise gestoppt werden könnte. Zum anderen wurde bereits die Neuordnung der Organisationsstruktur im Endlagerbereich verabschiedet, um

Steffen Kanitz (32) ist Diplom-Kaufmann mit dem Schwerpunkt Controlling und Betriebliche Finanzwirtschaft. Dem Deutschen Bundestag gehört der Dortmunder seit 2013 an

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apoForum 2016

diskutiert „Digital Health – Status quo und Perspektiven für Deutschland“

Die Referenten des diesjährigen apoForums

Auch in diesem Jahr widmete sich der Think-Tank „apoForum“ der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, erneut in Zusammenarbeit mit Novartis, einem hochaktuellen und spannenden Thema. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde die Leitfrage „Digital Health - Disruption oder Evolution der Gesundheitsversorgung“ mit Gesundheitspolitikern, Standesvertretern und Marktakteuren beleuchtet. Den knapp 100 Teilnehmern bot das apoForum eine ideale Plattform zur Diskussion. In seinem Impulsvortrag zeigte Prof. Arno Elmer von Innovation Health Partners zunächst das hohe Nutzenpotential durch Digital Health auf um gleich danach die Frage zu stellen, warum es in

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Deutschland nicht so richtig funktioniere. Spricht die deutsche Wirtschaft bei der Digitalisierung bereits von 4.0, steht das Gesundheitswesen bei der Umsetzung gerade einmal bei 1.5. Und dies, obwohl das deutsche Gesundheitssystem über gute Voraussetzungen für eine flächendeckende Digitalisierung verfüge, so Elmer weiter. Gründe für den Rückstand werden in den unterschiedlichen Interessengruppen und Gesundheitssektoren, im politischen Willen, dem schnellen technischen Fortschritt sowie in strengen Anforderungen an den Datenschutz und Datensicherheit gesehen, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Sein Plädoyer: Um das tatsächliche Potential von Digital Health zu nutzen, brauche es Plattformen, die einfach,

schnell und sicher von allen Akteuren gleichermaßen genutzt werden können. Der interdisziplinäre Dialog zwischen allen Teilnehmern im Gesundheitswesen ist dafür zwingend notwendig. Denn Digitalisierung wartet nicht und wird dazu immer schneller, so Elmer. In Kurzstatements haben dann weitere namhafte Akteure die Gelegenheit genutzt, um auf den Impulsvortrag sowie auf ihre Sicht von Chancen und Risiken durch Digital Health einzugehen. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Ulrich Langenberg, geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Nordrhein und Jessica Hanneken, Referentin für Gesundheitsmärkte und -politik bei der apoBank.

Foto: Uwe Neddermeyer

APOFORUM


APOFORUM Nach Ansicht von Dirk Heidenblut, Mitglied des Deutschen Bundestages (SPD) und Mitglied im Ausschuß für Gesundheit, wird Digital Health in der Gesundheitsversorgung neue Versorgungstrukturen und Versorgungswege ermöglichen und einen neuen Umgang von Leistungserbringern und Patienten bewirken. Heidenblut hält es für notwendig, gerade die aus Sicht der Patienten positiven Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Die Politik sollte sich moderierend und organisierend in die Entwicklungen von E-Health einbringen. Transparente und praktikable Qualitätskriterien für GesundheitsApps werden gefordert. Dabei müsse auch der Datenschutz gewährleisten werden. Gesundheits-Apps könnten bei Vorsorge, Diagnose und Behandlung sinnvoll sein, doch in der Menge der Apps muss der Anwender sich zurechtfinden können. Dafür müssen entsprechende Instrumente geschaffen werden, die nicht der Schnelllebigkeit der digitalen Branche hinterherlaufen, so der Experte der SPD-Bundestagsfraktion. In seinem Statement verwies Heidenblut auch auf den Innovationsfonds, der insbesondere telemedizinische Versorgungsstrukturen fördern soll. Würden alle Akteure wie Techniker, Manager, IT-Entwickler oder Mediziner ausschließlich in ihrem Kontext bleiben und denken, käme es tatsächlich zu disruptiven Innovationen im Gesundheitswesen, so Dr. Jörg Ansorg, Geschäftsführer Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. und der Akademie Deutscher Orthopäden. Erst durch den Bau von Brücken und die Vernetzung kreativer Köpfe werden wirklich innovative Entwicklungen entstehen, die in der Praxis ihren Einsatz finden. Beispielsweise können heute schon Patienten nach dem Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks Mithilfe eines Schrittzählers im Smartphone motiviert werden, sich zu bewegen. Die Ärzteschaft kann sich sowohl als Anwender als auch als Innovator hervortun, nicht zuletzt, wenn die richtigen Fragen im praktischen Kontext an Digital Health gestellt werden, so Ansorg.

Dr. Peter Froese, Apotheker und Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, sieht, dass die Digitalisierung große Chancen sowohl für die Gesundheitswissenschaft als auch direkt für die Gesundheit des Patienten bietet. Im heilberuflichen Netzwerk können Diagnose- und Therapieentscheidungen auf einer besseren Datengrundlage getroffen werden und somit die therapeutischen Ergebnisse verbessern. Selbstkritisch merkte Froese an, dass das Thema E-Health in der Apothekerschafft bisher nicht prioritär gesehen wurde. Um so mehr komme es jetzt darauf an, die Weichen für die Zukunft neu zu stellen. Die TK ist sich bewusst, dass die Einsatzmöglichkeiten digitaler Technik die Rolle der Versicherten und Patienten aber auch der Krankenkassen ändern werden, so Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse. Mit innovativen Angeboten, die die Potentiale von Digital Health nutzen, will die Kasse den Zugang zum Gesundheitswesen erweitern. Als Beispiele führte Ballast die „Online-Video-Sprechstunde“ für TK-Versicherte in Kooperation mit dem Berufsverband der Dermatologen sowie spezielle Gesundheits-Apps an. Der Einsatz digitaler Technik in der Medizin dürfe aber kein Selbstzweck sein. Die bessere Versorgung der Patienten muss Maßstab für Innovationen sein. Ballast sieht somit die TK auch als „Informationsbroker“, der wichtige Informationen von den nicht benötigten unterscheidet. Dr. Mathias Göschl von der Molecular Health GmbH sieht in der ökonomisch und technisch erschließbaren Verfügbarkeit personalisierter genetischer Informationen neue Chancen der Medizin sowohl in der klinischen Befundung als auch im Abwägen geeigneter Therapiemaßnahmen. Um das Potential von personalisierter Medizin richtig nutzen zu können, wird es aus seiner Sicht auf den Einsatz von BigData Analytik ankommen. Partner von Molecular Health sind nicht nur Ärzte, die über ein zertifiziertes SoftwareSystem (indikationsübergreifend) ko-

operieren, sondern auch die Patienten. Durch die personalisierte genetische Patienteninformation wird die Rolle des Individuums in der Prävention, in der Behandlung und in der Nachsorge gestärkt werden. Ein hoher Schutzbedarf der Daten muss dabei gewährleistet sein, so Göschl. Dass es bei der Digitalisierung mit Blick auf den Gesundheitsmarkt längst nicht mehr um die Frage des „Ob“ oder des „Wann“ geht, darin waren sich alle Beteiligten einig. Zu groß sind die Möglichkeiten durch den technischen Fortschritt. Das aktuelle E-Health Gesetz ist mit Sicherheit ein erster wichtiger Schritt zu einer systematischen Digitalisierung im Gesundheitswesen. Aber auf die Einführung einer Telematik-Infrastruktur (TI) und die elektronische Gesundheitskarte für Patienten lässt sich die Digitalisierung nicht reduzieren, so eine zentrale Botschaft des diesjährigen apoForums in Düsseldorf. Vor diesem Hintergrund wird von allen Akteuren die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Digital Health zwingend gefordert.

DR. THOMAS WINGERATH

Dr. Thomas Wingerath, Jahrgang 1966, verheiratet, zwei Kinder. Studium der Chemie an den Universitäten Köln und Düsseldorf. Seit 2008 für Novartis im Bereich Gesundheitspolitik und Verträge tätig. Davor in verschiedenen Positionen in Industrie und Beratung. Seit 2007 Beiratsmitglied im Gesundheitspolitischen Arbeitskreis (GPA) Netzwerk der CDU NRW

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Foto: Tim Reckmann/ pixelio.de

CANNABIS ALS MEDIZIN

Schwerkranken Patienten Therapiealternative eröffnen

Wir bauen die hohen Hürden beim Zugang zu Arzneimitteln auf Cannabis-Basis ab und eröffnen schwerkranken Patienten eine Therapiealternative

Der Gesetzentwurf „Cannabis als Medizin“ Von Emmi Zeulner, MdB

Der Weg war lang: Das Bundeskabinett hat Anfang Mai dieses Jahres den Gesetzentwurf zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – kurz: Cannabis als Medizin – beschlossen. Anfang Juli wurde der Gesetzentwurf in erster Lesung im Bundestag beraten. Von vielen Patienten wurden die angestrebten Änderungen lange herbeigesehnt, für sie soll mit dem Gesetz ein Dilemma enden: Sind sie auf Medizinalhanf angewiesen und verfügen über eine Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zum Erwerb von Cannabis im Rahmen einer

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Selbsttherapie, so müssen sie derzeit dennoch hohe Therapiekosten in Kauf nehmen. 779 Patienten verfügen aktuell über eine solche Ausnahmeerlaubnis, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beziffert die Kosten – abhängig vom Tagesbedarf – auf bis zu 1.800 Euro, die den Betroffenen monatlich entstehen. Kann die Therapie nicht bezahlt werden, droht ein weiteres Leiden oder der Weg in die Illegalität. Wie hoch der Leidensdruck der Betroffenen ist, zeigen die zahlreichen Zuschriften, die in den vergangenen Monaten eingegangen sind. Die Gründe, weshalb die Betroffenen bisher selbst für

eine Therapie aufkommen mussten, die mit dem Antrag beim BfArM von ärztlicher Seite als erforderlich und alternativlos bescheinigt wurde, sind dabei nur schwer zu vermitteln. Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb uneingeschränkt zu begrüßen. Wir bauen die hohen Hürden beim Zugang zu Arzneimitteln auf Cannabis-Basis ab und eröffnen schwerkranken Patienten eine Therapiealternative, für die künftig unter bestimmten Voraussetzungen die Krankenkasse aufkommen soll. Damit lösen wir ein lang währendes Versorgungsproblem, auf das andere Länder bereits reagiert haben. So ist beispielsweise in den USA und Israel der medizinische Einsatz von Cannabis bereits in größerem Umfang zugelassen. Die Voraussetzungen für eine Erstattung durch die Gesetzliche Krankenversiche-


CANNABIS ALS MEDIZIN

A Es liegt eine schwerwiegende Erkrankung vor. A Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht nicht zur Verfügung. A Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome. A Der Versicherte verpflichtet sich, an einer nicht-interventionellen Begleiterhebung teilzunehmen. Zudem ist bei der Erstverordnung die Genehmigung der Krankenkasse unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) erforderlich. Gegenüber dem Referentenentwurf wird jedoch nicht länger das Vorliegen einer chronischen Erkrankung als Voraussetzung genannt. Dass eine Beschränkung auf diese Patientengruppe aufgehoben wurde, ist ein wichtiger Schritt, denn damit können auch Palliativpatienten von einer verbesserten Versorgung profitieren. Auch für Schmerzund Tumorpatienten ist der Zugang zu dieser Therapieform von hoher Relevanz, wie der Bundesverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD) betont. Und auch in der Bevölkerung wird der Gesetzentwurf überwiegend begrüßt: Laut einer repräsentativen Umfrage sehen mehr als 80 Prozent der Deutschen einen erleichterten Zugang zu Cannabis-Arzneimitteln positiv. Dennoch lässt der Gesetzentwurf Fragen offen, die im parlamentarischen Verfahren zu klären sind. Unter anderem müssen wir uns die Frage stellen, wie Ärzte künftig über die neue Therapiealternative informiert werden sollen. Wichtig ist auch, dass das Genehmigungsverfahren standardisiert wird und die Krankenkassen zu einer zeitnahen Entscheidung über den Antrag verpflichtet werden. Zudem stellt sich die

Frage nach der Qualitätssicherung und somit der Standardisierung des Medizinalhanfs, worauf auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hinwies. Entgegen dem Bundesrat halte ich jedoch die verpflichtende Teilnahme der Patienten an einer Begleiterhebung als Leistungsvoraussetzung für vertretbar, denn die Evidenzlage stellt sich derzeit als unzureichend dar. Zwar ist der GKV an sich, wie im Gesetzentwurf betont wird, die verpflichtende Teilnahme an einer Begleiterhebung fremd, allerdings rechtfertigt die Tatsache, dass kein ausreichendes Evidenzlevel zur Wirksamkeit der Therapie vorliegt, diesen Schritt. Mit den Erkenntnissen, die im Rahmen der 60-monatigen Erhebung gewonnen werden, kann eine Grundlage für die Entscheidung einer dauerhaften Aufnahme in die Versorgung geschaffen werden. Darüber hinaus halte ich es für unbedingt notwendig, dass wir die Grundlagenforschung um Cannabis ausbauen, um mehr über dessen Wirkweise und die Nebenwirkungen zu erfahren. Für die Finanzierung eines solchen Forschungsprojektes werde ich mich in den anstehenden Haushaltsberatungen einsetzen.

keine Grundsatzdiskussion zur Legalisierung vom Zaun zu brechen. Den Patienten wäre damit nicht geholfen. Im Gegenteil: Sie würden damit in eine Ecke mit jenen gedrängt, die allein zum Spaß und zur Berauschung Marihuana rauchen. Zudem entspricht das Bild des Joint-rauchenden Cannabis-Patienten nur bedingt der Realität. Tatsache ist, dass viele Patienten den Wirkstoff entweder als Tee zu sich nehmen oder den Extrakt inhalieren. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerWG) betonte in seinem Urteil aus dem Jahr 2005 die unterschiedlichen Seiten von Cannabis: „Die […] Gefahren und Risiken, die insbesondere beim Umgang von Jugendlichen mit Cannabis drohen, stellen sich […] ganz anders dar, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht. Hier geht es um ein sehr viel höheres Rechtsgut als die allgemeine Handlungsfreiheit oder das aus ihr von einigen hergeleitete ‚Recht auf Rausch‘.“ Dieser Grundsatz hat weiterhin Gültigkeit – mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommen wir als Gesetzgeber der daraus resultierenden Verantwortung nach.

EMMI ZEULNER

Es ist klar: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf folgen wir auch der aktuellen Rechtsprechung. Ein Eigenanbau von Cannabis ist – nicht zuletzt aus ordnungspolitischen Gründen – nicht zielführend. Zudem könnten aus einem unsachgemäßen Eigenanbau Qualitätsmängel und Dosierfehler und somit gesundheitsgefährdende Folgewirkungen für die Patienten resultieren. Abschließend bleibt zu betonen, dass der Stoff Cannabis über zwei Seiten verfügt: Einerseits eilt ihm der Ruf als Rauschmittel voraus, andererseits ist er seit Jahrtausenden als Heilmittel bekannt. Auch im Interesse der Patienten, die auf Arzneimittel auf Cannabis-Basis angewiesen sind, halte ich es für unbedingt notwendig, diese beiden Seiten weiterhin strikt zu trennen und

Foto: c) Blau

rung (GKV) sollen im Einzelnen lauten:

Emmi Zeulner wurde 1987 in Lichtenfels, Oberfranken, geboren. Die examinierte Krankenschwester gehört dem Deutschen Bundestag seit 2013 als Abgeordnete für Kulmbach an. Sie ist Mitglied im Gesundheitsausschuss und stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft

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KOLUMNE KOMMENTAR

Gesundheitssystem 4.0 Ideen für den Sprung ins 21. Jahrhundert Die Triebfeder unseres Gesundheitswesens sind Innovationen. Darin waren sich alle gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen bei ihrer diesjährigen Tagung in Berlin einig. Wir möchten die politischen Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene verbessern, damit Ideen made in Germany eine echte Chance auf dem Gesundheitsmarkt haben und Patienten schnellstmöglich von diesem Fortschritt profitieren können. Konkret bedeutet das: Bessere Gesundheit braucht Infrastruktur. Unser Ziel muss es sein unsere Krankenhäuser besser digital zu vernetzen. Röntgenbilder, Zweitmeinungen, Experten aus der ganzen Welt zuschalten – all ist heute schon in wenigen Sekunden möglich. Diagnostik und Behandlung würden entscheidend verbessert und könnten letztlich Leben retten. Erreichen möchten wir das mit einem Sonderfonds „IT-Infrastruktur“, der jede Investition in Krankenhaus-IT mit 50 Prozent zusätzlichen Bundesmitteln kofinanziert.

telemedizinische Pilotprojekte entstehen überall in Deutschland. Damit sie eine reale Aussicht haben in die Regelversorgung aufgenommen zu werden, müssen wir Zulassungsverfahren beschleunigen und verlässliche Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Nur wenn dieses Zusammenspiel gelingt, werden wir den Wandel vom analogen zum Gesundheitssystem 4.0 erfolgreich meistern. Herzliche Grüße

Ihr Gottfried Ludewig

Bessere Gesundheit braucht Daten. Big Data kann unsere medizinische Versorgung maßgeblich voranbringen. Dafür benötigen wir klare Regeln und Konzepte. Wichtig dabei ist: neue Ideen fördern, nicht blockieren. Anonymisierte Gesundheitsdaten bedeuten Fortschritt. Das gilt insbesondere für die individualisierte Medizin: Maßgeschneiderte Therapien und Behandlungen für den Patienten sind möglich und weisen den Weg in die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Machbar wird all das mit einem zentralen Bundesgesundheitsregister, das die relevanten Daten aktualisiert und anonymisiert für vielfältige Forschungsansätze bereitstellt. Bessere Gesundheit braucht Freiräume und Verlässlichkeit. Innovative Versorgungsmöglichkeiten und

GOTTFRIED LUDEWIG

Dr. Gottfried Ludewig, MdA, ist seit 2011 gesundheitspolitischer Sprecher und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Als Koordinator der gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen organisiert er eine jährliche Tagung in Berlin

Impressum

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Verlag: GK Mittelstands Magazin Verlag GmbH Günter F. Kohl Gärtnerkoppel 3 24259 Westensee/ Kiel Tel. 04305-992992 / Fax 04305-992993 E-Mail: gkprkiel@t-online.de

Herausgeber: Dr. Mathias Höschel, Frank Rudolph

Anzeigenverkauf: Über den Verlag

Satz und Layout: Walter Katofsky, Kiel

Anzeigenschluss: 25. Oktober 2016

Druck: UBG Rheinbach

Am Puls

3 | 2016

Redaktion: Tim A. Küsters, redaktion-ampuls@gmx.de Internet: www.issuu.com/ampuls

Titelfoto: Maja Dumat/ pixelio.de Abonnement Einzelheft: 24,- Euro pro Jahr bei 4 Ausgaben Das Magazin am puls erscheint viermal im Jahr jeweils zur Mitte eines Quartals.


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Mit einer eigenen Stiftung oder Zustiftung Mit einer eigenen Stiftung oder Zustiftung helfen Sie dauerhaft Menschen in Not. helfen Sie dauerhaft Menschen in Not. Wir beraten Sie gerne! Wir beraten Sie gerne! Michael Görner (02 21) 98 22-123 | stiftung.malteser@malteser.org Michael Görner www.malteser-stiftung.de (02 21) 98 22-123 | stiftung.malteser@malteser.org www.malteser-stiftung.de


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