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Jahrgang 14 5,00 Euro

MAGAZIN FÜR

POLITIK UND GESUNDHEIT Clarissa Kurscheid Networking für Frauen

TRANSPARENZ ERFORDERLICH

DEUTSCHLAND

AUF DEM WEG ZU EINER NEUEN BUNDESREGIERUNG

S. 14

Stephan Eisel Nichtstun ist Machtmissbrauch S. 18

Volker Ullrich Pflegepaket statt Hängepartie S. 20


Novartis Deutschland

Neue Wege in der Medizin Bei Novartis gehen wir die größten medizinischen Herausforderungen unserer Gesellschaft mit wissenschaftlicher Innovation an. Unsere Forscherinnen und Forscher treiben die Wissenschaft voran, um das Verständnis von Krankheiten zu vertiefen und neue Produkte zu entwickeln, die unerfüllte gesundheitliche Bedürfnisse befriedigen. Unsere Leidenschaft gilt der Erforschung neuer Methoden, um das Leben zu verbessern und zu verlängern.

Novartis Pharma GmbH · Roonstraße 25 · 90429 Nürnberg · www.novartis.de


Foto: Uwe Wagschal/ pixelio.de

EDITORIAL INHALT 4

Damoklesschwert Regress

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Kostensenkung bei Arzneimitteln

Compliance, effektives Praxis QM und Wirtschaftlichkeitsprüfung sind eng verwoben. Regresse der ambulanten Versorgung sind mit einer Verzögerung von bis zu 4 Jahren zulässig – ein Damoklesschwert. Unser Autor Markus Kehrbaum erläutert warum

Auf der Grundlage amtlicher Daten konnte das BASYSInstitut aus Augsburg zeigen, dass auch gut gemeinte Kostendämpfung im Sinne der Beitragssatzstabilität ganz schnell zur Innovationshürde und Wirtschaftsbremse werden kann – so unser Autor Andreas Heigl

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Fachkonferenz der KommunalAkademie Zu dieser Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung, die die Gesundheitswirtschaft als kommunalen Wachstumsmotor beleuchtet, lädt unsere Autorin Mechthild Scholl ein

Liebe Leserinnen und Leser, das obige Bild trifft es doch ganz gut: ohne den gelben Hintergrund hätte es gar keine Annäherung von schwarz und rot gegeben. Ob und welche „schmutzige Wäsche“ nun gewaschen wird, hängt an den Beteiligten. Jedenfalls wird man sich hoffentlich am Riemen reißen. Und in den Gesprächen trägt niemand eine Krawatte. Beeindruckt haben gleich zwei Männer in diesen Wochen in ihren neuen Rollen: die Nummer 1 und die Nummer 2 im Staat. Bundespräsident Steinmeier hat die Rollen als ehemaliger Kanzleramtschef und Außenminister genutzt, um auch seiner Partei die Augen zu öffnen. Plötzlich ist man gesprächsbereit. Wie weit wird der Parteitag zeigen. Bundestagspräsident Schäuble hat in der ersten regulären Sitzung des Deutschen Bun-

destages beeindruckt. Mit seinem badischen Dialekt zitierte er römische Weisheiten auf Latein, um die Hitzköpfe links und rechts des Parlaments zu befrieden. Wünschen wir Ihnen, und den Teilnehmern an den kommenden Gesprächen einen kühlen Kopf, damit eine künftige Bundesregierung weitsichtige Entscheidungen für unser Land treffen wird.

10 Digitalisierung als Chance

Das Ärztenetz Lippe nutzt eine App zur internen und externen Kommunikation. Wie sie funktioniert beschreiben unsere Autoren Constanze Liebe, Arne Faust, Peter Körner und Christian Remfert

13 Aufklärung über AIDS Triste Darstellungen von Kondomen und Schockbildern waren gestern - Aufklärung funktioniert heute ganz anders, authentisch und auf Augenhöhe. Unser Autor Maximilian Wolf stellt sie uns vor

14 Frauen im Gesundheitswesen Autorin Clarissa Kurscheid ist der Meinung, dass neben Instrumenten wie der Quotenregelung und Frauenförderungsprogrammen der Schlüssel zur Gleichstellung auf Führungsebene in Frauenhand liegt

17 Betriebsräte machen mobil Mehr als 50.000 Arbeitsplätze gingen kurzfristig in der privaten Krankenversicherung bei Einführung einer Einheitskasse verloren, so eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung

18 Nichtstun ist Machtmissbrauch Die Union sollte sich etwas vom Idealismus der kleinen Parteien anstecken lassen, damit ihre Kompromisserfahrung nicht zur Gewöhnung an den kleinsten gemeinsamen Nenner degeneriert, meint unser Autor Stephan Eisel

20 Nach dem Aus für Jamaika Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen einer Jamaika-Koalition darf es nicht zu einem Stillstand für Verbesserungen in der Pflege kommen, lautet das Plädoyer unseres Autors Volker Ullrich

22 KOLUMNE Hier schreibt unser Kolumnist Gottfried Ludewig

Tim A. Küsters Chefredakteur

22 Impressum

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Damoklesschwert Regress Eine Compliance-Betrachtung für Praxisbetrieb und Nachfolge

Regresse der ambulanten Versorgung sind mit einer Verzögerung von bis zu 4 Jahren zulässig – ein Damoklesschwert

Von Markus Kehrbaum

Compliance, mithin effektives PraxisQM, und Wirtschaftlichkeitsprüfung sind eng verwoben. Regresse der ambulanten Versorgung sind mit einer Verzögerung von bis zu 4 Jahren zulässig – ein Damoklesschwert. In der stationären Versorgung im Rahmen primärer oder sekundärer Fehlbelegungsvorwürfe oder vermeintlicher Fehlkodierungen, ist die Frist mit 6 Wochen zur Einleitung der Prüfung deutlich kürzer. Regresse sind Folge einer Plausibilitätsoder Wirtschaftlichkeitsprüfung, also einer sachlich-rechnerischen Berichtigung. Abweichungen vom statistischen Durchschnitt bzgl. Fachgruppe, Berufsgruppe oder Prüfzeiten sind maßgeblich. Ebenso können Patientenbeschwerden, häufig bei Unzufriedenheit mit Zahnversorgung, die Zuordnung zum Sprechstundenbedarf, aber auch die Verordnungsweise bzw. die Frage von Indikation und Therapieerfordernissen Anlass bieten. Beurteilt wird immer ex post, also rück-

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schauend, so dass auch vermeintliche Formalitäten wie Behandlungs- oder Zeichnungsbefugnis, häufig die Dokumentation oder auch Fragen der Delegation ausschlaggebend werden. Bei Auffälligkeiten und Abweichungen nimmt die Prüfstelle ein rechtswidriges Verhalten, einen Verstoß gegen anzulegende Compliancevorgaben, an. Schlimmstenfalls können eingeschliffene Verhaltensmuster neben dem Regress zu einer Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetruges führen. Kenntnis der Prüfpunkte, dem folgend gut strukturierte und in einem QM dokumentierte Praxisabläufe sowie eine schlichte aber präzise Dokumentation sind geeignet, Vorwürfe der Unwirtschaftlichkeit, Falschabrechnung oder gar des Abrechnungsbetruges zu entkräften:

Praxisrelevante Beispiele anhand aktueller Rechtsprechung Abrechenbar, d.h. vergütungsfähig, sind nur persönlich erbrachte Leistungen

(BSG, Beschluss v. 28.06.2017 - B 6 KA 73/16 B). Die Unterschrift eines anderen Arztes als die des Praxisinhabers indiziert, dass die Leistung nicht persönlich erbracht wurde, also kein Vergütungsanspruch besteht. Neben einem Regress kann ein solch fehlerhaftes Abrechnungsverhalten strafrechtliche Folgen mit approbations- und existenzgefährdenden Folgen haben. Dieser Falle wirkt eine klare Struktur sowie Aufgaben- und Kompetenzverteilung präventiv entgegen. Praxisbesonderheiten sind stets zu berücksichtigen (BSG, Beschluss v. 10.05.2017 – B 6 KA 1/17 B). Auswirkungen von Praxisbesonderheiten müssen bestimmt werden, ehe sich anhand statistischer Abweichungen verlässliche Aussagen über Wirtschaftlichkeit von Behandlungs- oder Verordnungsweisen treffen lassen. Bei der Quantifizierung eines Mehraufwandes ist stets zu prüfen, in welchem Umfang der Mehraufwand auf Praxisbesonderheiten, ggf. mittels Schätzung, zurückgeführt werden kann.

Foto: HHS/ pixelio.de

REGRESS


REGRESS Praxisbesonderheiten stützen sich im Schwerpunkt auf konkrete Leistungsoder Indikationsschwerpunkte und bedürfen einer spezifischen Darlegung. Die fachliche Qualifikation ist bei Regressen hingegen stets beachtlich. Der Vorwurf einer Unwirtschaftlichkeit muss auf einem Fachgruppenvergleich basieren. Dieser hat präzise die tatsächlichen fachlichen Eigenarten des Betroffenen wiederzuspiegeln. Beispielsweise ist ein Fachzahnarzt für Oralchirurgie mit Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung „Oralchirurgie“ zu vergleichen. Allgemeinere Vergleichsgruppen verbieten sich, insbesondere wenn nur auf Überweisung hin ausschließlich oder fast ausschließlich chirurgische Leistungen erbracht werden (SG München, Urteil v. 05.07.2017 – S 38 KA 5781/16). Diese Vergleichsgruppenbildung ist praxisrelevant, da regelmäßig nur auf Berufs- oder Facharztgruppen allgemein abgestellt wird. Darlegungen zu Besonderheiten sind unerlässlich, um frühzeitig die Vergleichsgruppe zu spezifizieren. Darauf basierend lassen sich auch Prüfzeitabweichungen schlüssig widerlegen. Prüfzeiten sind kritisch zu hinterfragen, da sie nur statistisch ermittelter Standard der allgemeinen Fachgruppe sind. Überschreitungen von 12h/Tag implizieren widerlegbar Unschlüssigkeit, mehr als 16h/ Tag sind unwiderlegbare Unschlüssigkeit. Grenzen zieht das LSG Thüringen bei psychotherapeutischen Leistungen: Prüfzeiten von 70 Minuten als statistische Komponente umfassen auch alle Vorund Nachbereitungsleistungen. Es legt täglich 10 bis 12 Sitzungen zu Grunde (Urteil v. 25.08.2016 – L 11 KA 1372/14). Eine Unterschreitung ist hier nur bedingt begründbar. Etwas einfacher ist dies im ärztlichen Bereich: Die schlüssige Darlegung optimierter Abläufe, bspw. durch entsprechende PraxisQM-Dokumentation oder dokumentiert ermaßen hohe Effektivität aufgrund von Erfahrung und Routine, kann bei Überschreitung der 12h-Grenze eine individuelle Prüfzeitabsenkung bewirken. Jenseits der 16h/Tag kann die vermutete Unschlüssigkeit regelmäßig nicht, jedenfalls nicht ex post, entkräftet werden.

Konsequente Dokumentation – der konkreten Behandlung wie auch der Praxisabläufe – verbessern die Abwehrmöglichkeiten! Mangelhafte Dokumentationen tragen die Behandlung bzw. Diagnose nicht. Das SG Schwerin (S 3 KA 57/15 R) stellt klar, dass für zahnärztliche Leistungen Nachweispflicht vermittels Dokumentation besteht. Der Nachweis fehlt, wenn die Dokumentation für den abgerechneten Behandlungstag keine oder keine passende Eintragung für die abgerechnete Leistung ausweist oder die Auswertung (ex post) von Röntgenbildern die Abrechnung nicht stützt. Entsprechendes gilt auch vertragsärztlich, gerade bezüglich Verordnungen und Sprechstundenbedarf. Regresse wegen primärer/sekundärer Fehlbelegung bei stationärer Versorgung gründen ebenso regelmäßig auf Dokumentationsmängeln. Der MDK prüft ex post und in der Regel kursorisch die Dokumentation. Fehlen Schlagworte oder Eintragungen oder sind maßgebliche Situationen nicht offensichtlich, folgt die Feststellung einer Fehlbelegung. Dem im Gutachterprozess entgegenzutreten ist mühselig. Einheitliche Dokumentationsstandards, die Besonderheiten bei Aufnahme oder im Verlauf erkennbar darstellen, können diesen Vorwürfen vorbeugen bzw. diese entkräften.

Regressrisiko bei Praxisübernahmen Die eigene Praxis kann gegen Regresse durch einheitliche Vorgaben zur Dokumentation, Definition von Abläufen und klarer Kompetenzzuordnung gewappnet werden. Kritisch sind Nachfolgen oder Praxisübernahmen. Das Fremdregressrisiko bei Nachfolge in eine Praxis ist durch die Personengebundenheit an den vormals abrechnenden Leistungserbringer unwesentlich. Für den Abgeber jedoch entfällt sein Regressrisiko erst rund 4 Jahre nach Abgabe – ein echtes Damoklesschwert. Die Praxis zeigt, dass Abgeber dies im Rahmen der Nachfolgeplanung nicht berücksichtigten und sich aus dem Ruhestand heraus Rückforderungen ausgesetzt sehen, die existenzbedrohend sein können. Substantiierter Vortrag ist bei dieser nachbereitenden Abwehr durch Zeitablauf erschwert. Lö-

sungsansatz kann der Wegfall der Wiederholungsgefahr als gütliche Einigung sein. Problematisch kann der Eintritt in eine bestehende BAG oder MVZ-Trägergesellschaft (soweit GbR) sein. Hier ist durch geeignete vertragliche Abgrenzung im Innenverhältnis Klarheit zu schaffen. Noch kritischer ist das Fremdregressrisiko bei einer fortführenden Übernahme, einem asset deal, bspw. einer MVZ-Trägergesellschaft (GmbH). Der neue Inhaber übernimmt in der Regel das Regressrisiko, da die Trägergesellschaft und damit der vertrags(zahn)ärztliche Leistungserbringer gleichbleibt. Die Aufarbeitung und damit Abwehr von Regressen ist durch den Knowledge-Wechsel deutlich erschwert und kann, wenn auch sonst ein personeller Wechsel erfolgt, unmöglich werden. Eine präzise Risikoanalyse, sog. due diligence, ist hier unerlässlich, um Risiken vertraglich zu definieren und wirtschaftlich dem Verkäufer zuzuordnen. Dieser sollte sicherstellen, innerhalb der 4 Jahre dem Damoklesschwert Regress entgegentreten zu können. Bei der Regressrisikoprävention ist formal beachtlich, dass die Regressforderung grundsätzlich sofort fällig ist. In der Regel kann dies nur in wirtschaftlichen Notlagen aufgeschoben werden. Präzise Dokumentation und vereinheitlichte Praxisabläufe sind letztlich Insolvenzprävention.

MARKUS KEHRBAUM

Markus Kehrbaum, MLE ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, bei der Hamburger Kanzlei für Gesundheitswirtschaftsrecht. Er ist Dozent für Sozial- und Medizinrecht an der MSH Medical School Hamburg und Mitglied der dortigen Ethikkommission

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Foto: Rolf Handke/ pixelio.de

BASYS-STUDIE Pharmazeutische Industrie in Deutschland. Rund 26.000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt, deren Bruttowertschöpfung pro Mitarbeiter rund das Doppelte der Gesamtwirtschaft ausmacht. Dies führt im Ergebnis zu 4,5 Mrd. Euro Bruttowertschöpfung. 2.600 Beschäftigte sind allein im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) aktiv, wenngleich hier im Vergleich zu anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Hessen noch Nachholpotential vorhanden ist. In Bayern sind außerdem vermehrt Hersteller konzentriert, die ihren Absatzmarkt in Deutschland haben und vergleichsweise weniger produzieren und damit exportieren. Im Jahr 2015 stehen Exporten im Wert von 2,7 Mrd. Euro Importe in Höhe von 4,2 Mrd. Euro gegenüber. Positiv: Das Beschäftigungswachstum beträgt durchschnittlich 1,2 Prozent jährlich.

Rahmendaten des Pharmamarktes in neuem Licht

Erlöse aus dem Patentmarkt sind im Innovationswettbewerb überlebenswichtig, unser Foto zeigt das Deutsche Patentamt- und Markenamt in München

Aktuelle BASYS-Studie zur Auswirkung von Kostendämpfungsgesetzen

Kostensenkung bei Arzneimitteln:

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung Von Dr. Andreas Heigl Sparen kann richtig teuer werden – zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie zum Pharmastandort Bayern, die im Juli in München vorgestellt wurde. Auf der Grundlage amtlicher Daten konnte das BASYS-Institut aus Augsburg zeigen, dass auch gut gemeinte Kostendämpfung im Sinne der Beitragssatzstabilität ganz schnell zur Innovationshürde und Wirtschaftsbremse werden kann. Die Folgen sind im doppelten Sinne besorgniserregend: Zum einen wird hier ein volkswirtschaftlicher Schaden ausgelöst, der sich rechnerisch in Produktionsminderung und Beschäftigungsabbau ausdrücken lässt.

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Zum anderen wirkt sich Sparpolitik mittelfristig auch auf die Versorgungsqualität der Patienten aus. BASYS-Geschäftsführer Markus Schneider kommt in seiner Studie zu folgender Schlussfolgerung: „Investitionen können die Hersteller nur aus laufenden Gewinnen generieren. Werden diese abgeschöpft, fehlt Investitionspotential und damit die Voraussetzung für notwendige Innovationen bei bislang noch nicht optimal therapierbaren Indikationen.“ (RPG, Band 23, Heft 2, 2017; S. 77).

Pharma in Bayern ist stark und hat Potential

Bayern ist ein wichtiger Standort für die

Erstmalig konnte das BASYS-Institut Zahlen zum Wissenskapital in der Pharmazeutischen Industrie zeigen. Diese kumulierten Investitionen in F&E und geistiges Eigentum übersteigen das Sachvermögen (Ausrüstungen und Bauten) um den Faktor 4. Der Anteil des Wissenskapitals beträgt damit mehr als die Hälfte im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe. Auch in dieser Zahl drückt sich das Geschäftsmodell der forschenden Pharmazeutischen Industrie in besonderer Art und Weise aus: Sie ist gekennzeichnet durch einen harten Innovationswettbewerb zwischen den Herstellern. Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, dass der Anteil des Patentmarktes an allen verordneten Tagesdosen zwischen 2010 und 2015 von 11,9 auf 6,7 Prozent zurückgegangen ist. Erlöse aus dem Patentmarkt sind jedoch im Innovationswettbewerb überlebenswichtig, weil sich vor allem aus diesem Marktsegment heraus F&EInvestitionen für den künftigen Fortschritt generieren lassen. Auch die Preisentwicklung stellt sich im Arzneimittelmarkt anders dar als allgemein gerne dargestellt wird (Stichwort „Mondpreise“). Der vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen (WIdO) ermittelte Arzneimittelpreisindex ging zwischen 2010 und 2015 um 7 Prozent zurück, gleichzeitig erhöhte sich der allgemeine Verbraucherpreis-


BASYS-STUDIE index um ebenfalls 7 Prozent. Zwar werden bei Innovationen für kleine Patientengruppen höhere Preise aufgerufen. Gleichzeitig sorgen das inzwischen bis 2022 verlängerte Preismoratorium für patentgeschützte Produkte und der verstärkte Preiswettbewerb bei Generika insgesamt für stabile Kosten bei den verordneten Tagesdosen. Die Lohnstückkosten steigen mit 8 Prozent jährlich stärker als der Umsatz. Besonders klein- und mittelständische Unternehmen können diese Kostensteigerungen immer weniger mit Produktivitätssteigerungen auffangen. Für global aufgestellte Unternehmen wirken sich diese Preissignale negativ auf Investitionsentscheidungen am Standort Deutschland aus.

Bundesweite Regulierungen schlagen regional ein

Auf Bundesebene beträgt allein im Jahr 2015 die Belastung der Industrie durch Kollektiv- und Selektivrabatte 5,3 Mrd. Euro. Das sind Gelder, die für das Wachstum der Pharmazeutischen Industrie zwingend nötig wären: Die Entwicklungszeiten in der Pharmazeutischen Industrie betragen mehr als eine Dekade, die Ausfallrisiken sind mit etwa 90 Prozent extrem hoch. Entsprechend hoch müssen dann auch die laufenden Investitionen sein. Wenig überraschend ist also die Diagnose, dass sich die Höhe für unterlassene FuE-Aufwendungen und Anlageinvestitionen zwischen 2010 und 2015 allein in Deutschland auf über 4 Mrd. Euro summiert. Hiermit sei eine Chance für den weiteren Ausbau des Forschungs- und Produktionsstandorts Bayern und Deutschland vergeben worden. Rechnet man die unterlassenen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die geringere Produktion mit ein, ergibt sich laut der Studie unter dem Strich Folgendes: Jeder zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherungen eingesparte Euro verursacht in Bayern einen volkswirtschaftlichen Verlust von 2,23 Euro (vgl. Abbildung). Berücksichtigt

Auswirkungen von Kostendämpfung auf Produktion und Beschäftigung in Bayern

Quelle: BASYS; Abbildung 10 des BASYS-Gutachtens

man die direkten, indirekten und induzierten Wertschöpfungseffekte, ergibt sich in Summe eine Produktionsminderung von 4,6 Mrd. Euro im Zeitraum zwischen 2010 und 2015. Insbesondere die erhöhten Zwangsrabatte zwischen 2010 und 2013 führten bundesweit zu einer Stagnation des Anteils an der Bruttowertschöpfung, in Bayern ging er sogar signifikant um über 10 Prozent zurück. Besonders fatal ist, dass Bayern diesen Rückstand seitdem auch nicht mehr wettmachen konnte. Noch stärker als bei der Wertschöpfung sind die Kumulationseffekte bei der Beschäftigung. Jeder Arbeitsplatz, der nicht geschaffen wurde - oder noch schlimmer: abgebaut wurde führt zu einem fünfmal höheren Effekt insgesamt. Das betrifft nämlich auch Arbeitsplätze in vor- und nachgelagerten Branchen wie bei chemischen Grundstoffen, Logistik und Dienstleistungen. Für Bayern zeigt sich unter dem Strich: Dieser Pharmastandort ist überproportional von Kostenregulierung auf Bundesebene betroffen, weil die Unternehmen stärker inlandsorientiert arbeiten als Mitbewerber mit Sitz in anderen Bundesländern. Fazit: Um im weltweiten Innovations-Wettbewerb zu bestehen, sind steigende Investitionen in Forschung und Entwicklung der Pharmazeutischen Industrie am Standort

Das BASYS-Gutachten Das Gutachten “Die Entwicklung der Pharmazeutischen Industrie in Bayern – Standortanalyse 2015” wurde von Markus Schneider et al. vom BASYS-Institut im Auftrag der Pharmainitiative Bayern erstellt und in der Zeitschrift RPG, Band 23, 2/2017 (S.67-79) veröffentlicht. Das Gutachten und weitere Hintergrundinformationen stehen unter www. pharmainitiative-bayern.de zum Download bereit.

Deutschland und Bayern erforderlich. Die Branche benötigt daher ein innovationsfreundliches Regulierungsumfeld. Staatliche Kostensenkung führt ins Abseits und gefährdet die Patientenversorgung.

DR. ANDREAS HEIGL

Dr. Andreas Heigl arbeitet seit 2004 in verschiedenen Funktionen im Bereich Gesundheitspolitik bei GlaxoSmithKline und ist Mitglied im Lenkungskreis der Pharmainitiative Bayern. Seit 2013 hat er einen Lehrauftrag für Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth

Die Pharmainitiative Bayern Die „Pharmainitiative Bayern“ ist eine informelle Gruppe von innovativen pharmazeutischen Unternehmen mit Deutschlandstandort in Bayern. Der „Pharmainitiative Bayern“ gehören derzeit die Unternehmen Amgen, Biogen, Bristol-Myers Squibb, Celgene, Daiichi-Sankyo, GlaxoSmithKline, MSD, Novartis und Roche an. Sie wirbt für die Stärkung des Pharmastandortes Bayern.

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GESUNDHEITSWIRTSCHAFT

Gesundheitswirtschaft als Standortund Imagefaktor einer Region Fachkonferenz der KommunalAkademie der Konrad-Adenauer-Stiftung beleuchtet einen kommunalen Wachstumsmotor

Die Gesundheitswirtschaft boomt. Kommunen können sich dies zu Nutze machen. Dazu müssen sich Akteure vernetzen, sie sollten lokale und regionale Bezugsquellen ausnutzen und sich nicht zuletzt bemühen, durch Kooperationen und innovative Lösungen dem Fachkräftemangel zu begegnen. Setzt sich die Kommune zum Ziel, ein gesundheitsbewusstes Verhalten bei der Bevölkerung zu verankern, kann dies auch beispielsweise in höhere Ausgaben für Gesundheitskurse sowie andere gesundheitsfördernde Freizeitangebote münden und auf diese Weise der örtlichen Wirtschaft dienlich sein. Zu den Kernbereichen der Gesundheitswirtschaft zählen üblicherweise die stationäre und ambulante medizinische, rehabilitative und pflegerische Versorgung, des Weiteren die Vorleistungs- und Zulieferbereiche wie Gesundheitshandwerk, Medizintechnik, der Pharmasektor und Apotheken. Der oft so bezeichnete zweite, weil selbst zu finanzierende Gesundheitsmarkt setzt sich u.a. zusammen aus Sportstudios sowie Wellness-Einrichtungen und schließt auch den Gesundheits- sowie den (zunehmenden) Krankenhaustourismus ein. Die seit Jahren hohen Wachstumsraten der Gesundheitswirtschaft legen den Gedanken nahe, diese als regionalwirtschaftliches Gestaltungsfeld neben Bereichen wie I&K-Technik und Medienwirtschaft zu implementieren. Die örtliche IHK und die kommunale und/oder regionale

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nur öffentliche Akteure der Gesundheitswirtschaft sondern auch private Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen (z.B. Physiotherapeuten) in ihr Konzept ein. Aus ökonomischer Sicht würde dadurch in einer solchen Gesundheitsregion zusätzliche private Kaufkraft für den Gesundheitssektor mobilisiert. Aus einer übergeordneten Sicht der Daseinsvorsorge steigert eine möglichst gesunde und gesundheitsbewusste Bevölkerung die Lebens- und Standortqualität im Gemeinwesen und ist zentrales Element einer lebenswerten Kommune.

Wirtschaftsförderung haben in der Vergangenheit Schwerpunkte in der Gesundheitswirtschaft gesetzt, u.U. mitfinanziert durch entsprechende Programme der Länder oder des Bundes. Auslöser, über die Gründung einer Gesundheitsregion nachzudenken, können vielfältig sein. Es werden beispielsweise bereits vorhandene Keimzellen, z. B. in der Medizintechnik, als potentieller Nukleus künftiger Entwicklungen identifiziert. Idealerweise gelingt dann mit entsprechender Förderung das Wachstum der bestehenden und/oder die Ansiedlung von weiteren Unternehmen der Gesundheitswirtschaft. Der Gründung einer Gesundheitsregion liegt in etlichen Fällen auch die Hoffnung zugrunde, Fachkräftemangel und Schwierigkeiten in der Sicherstellung der medizinischen und pflegerischen Versorgung in der Region möglicherweise in einem vernetzten System besser lösen zu können. In einem parallelen Strang wächst das Bemühen der Kommunen um Prävention und Gesundheitsförderung. „Health in all policies“, ursprünglich ein Konzept der WHO, ist dabei der umfassendste Ansatz, mit dem alle kommunalen Politikbereiche (städtebauliche Entwicklungsplanung, Quartiersplanung, Verkehrsplanung u.a.) auf ihre Auswirkungen auf die gesundheitlichen Belange der Bevölkerung überprüft werden sollten. Zielgruppenspezifische kommunale Gesundheitsförderung dagegen richtet sich beispielsweise an Kinder oder Senioren und bezieht dabei u.U. nicht

Die Fachkonferenz „Gesundheitswirtschaft als Standort- und Imagefaktor einer Region“ zeigt in diesen Facetten anhand von Praxis-Beispielen Strategien auf, wie Kommunen und mit ihnen die dort lebenden Bürgerinnen und Bürger vom Wachstumsmotor Gesundheitswirtschaft bestmöglich profitieren.

DR. MECHTHILD SCHOLL Foto: Juliane Liebers, KAS

Von Dr. Mechthild Scholl

Dr. Mechthild Scholl, KommunalAkademie der Konrad-Adenauer-Stiftung


GESUNDHEITSWIRTSCHAFT

PROGRAMM Gesundheitswirtschaft als Standort- und Imagefaktor einer Region Termin:

22./23. Januar 2018

VA-Nummer:

KA-220118-1

Tagungsort:

Krefeld, Mercure Parkhotel Krefelder Hof, Uerdinger Str. 245, 47800 Krefeld

Montag, den 22. Januar 2018 bis 13.30 Uhr

Anreise der Teilnehmer, Stehkaffee

13.45 – 14.30 Uhr

Begrüßung und Vorstellung der Teilnehmer Dr. Mechthild Scholl Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., KommunalAkademie Dr. Ludger Gruber Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Nordrhein-Westfalen

14.30 – 16.00 Uhr

Vortrag und Diskussion: Gesundheit und Pflege – Entwicklungslinien und politischer Handlungsbedarf Erwin Rüddel MdB Mitglied des Bundesfachausschusses „Gesundheit und Pflege“

16.00 – 16.30 Uhr

Kaffeepause

16.30 – 18.00 Uhr

Vortrag und Diskussion: Das deutsche Gesundheitswesen – vom Kostenfaktor zur Wachstumsbranche

19.00 – 22.00 Uhr

Prof. Dr. Josef Hilbert Universität Bochum sregionen e. V., Vorstandsvorsitzender, Netzwerk Deutsche Gesundheitsregionen Berlin 18.00 – 19.00 Uhr

Vortrag und Diskussion: Stationäre Gesundheitseinrichtungen als Multiplikatoren in die kommunale Gesundheitswirtschaft Jörg Schmidt Geschäftsführer, Städtische Seniorenheime Krefeld gGmbH

Abendessen

Dienstag, den 23. Januar 2018 KommunalAkademie der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. | Rathausallee 12 | 53757 Sankt Augustin |www.kas.de Commerzbank AG Bonn | Kto.-Nr. 106 502 800 | BLZ 380 400 07 | IBAN: DE 79 3804 0007 010 6502 800 | BIC: COBADEFF380

9.00 – 10.30 Uhr

Frühstück Gruppenarbeit: Die Kommune als Initiator für den Wachstumsmarkt Gesundheit Michaela Allgeier Demografie gestalten – Beratung, Konzept, Kommunikation, Essen

Info www.kas.de/kommunalakademie

10.30 – 11.00 Uhr

Kaffeepause

11.00 – 12.30 Uhr

Vortrag und Diskussion: Brancheninitiative Gesundheitswirtschaft Südwestfalen e.V. Impulsgeber, Kontaktbörse, Innovationsmotor, Wissenspool für die Region Nadine Paschmann Geschäftsführerin Brancheninitiative Gesundheitswirtschaft Südwestfalen

12.30 Uhr

Mittagessen

13.30 Uhr

Reflexionen bei Kaffee und Gebäck, anschließend Ende der Veranstaltung

Programm-Änderungen vorbehalten! Konzept:

Dr. Mechthild Scholl KommunalAkademie Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Sankt Augustin Telefon: 02241-246-4427

Organisation:

Margit Ramackers Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Veranstaltungsorganisation Politische Bildung Rathausallee 12 • 53757 Sankt Augustin Telefon: 02241-246-4225 • Fax: 02241-246-54225 margit.ramackers@kas.de

Tagungsort:

Mercure Parkhotel Krefelder Hof, Uerdinger Str. 245, 47800 Krefeld

Feedback:

mechthild.scholl@kas.de oder feedback-pb@kas.de

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DIGITALISIERUNG

Foto: Cristine Lietz/ pixelio.de

Digitale Angebote müssen in erster Linie einfach zu bedienen sein und funktionieren. Sonst lässt sich das im hektischen Praxisalltag nicht einbauen.

Ärztenetz Lippe nutzt App zur internen und externen Kommunikation

Digitalisierung als Chance Von Constanze Liebe, Arne Faust, Peter Körner und Christian Remfert

Vor 15 Jahren gründete sich in Detmold das Ärztenetz Lippe, als Zusammenschluss von ambulant tätigen Ärzten / Innen aller Fachrichtungen, mit dem Ziel, Versorgung zu gestalten und Vernetzung zu fördern. Ende 2016 ist das Ärztenetz Lippe für seine vielen Entwicklungsschritte im Sinne der regionalen Vernetzung von der KVWL belohnt und als “förderungswürdiges Praxisnetz” (Stufe 1) anerkannt worden. Das etwa 130 Mitglieder starke Netz gestaltet aktiv professionelle Versorgungsmodelle in der Region. So wurde in Zusammenarbeit mit dem Klinikum Lippe eine gemeinsame Gesellschaft für ein regionales Versorgungskonzept gegründet und in diesem Jahr feiert der palliativärztliche Konsilliardienst Lippe sein 10-jähriges Jubiläum. Pionierarbeit im Bereich der Digitalisierung leistet das Ärztenetz aktiv seit Mai 2015.

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Gemeinsam mit dem IT-Unternehmen SlashCube aus Münster wurde ein Konzept zur „digitalen Arzt-Patienten-Kommunikation“ entwickelt. Durch die Förderung der Kassenärztlichen Vereinigung WestfalenLippe (KVWL) fiel der Startschuss zur Entwicklung einer Smartphone-App im Dezember 2015. Bereits im April 2016 konnte diese unter dem Namen „App zum Doc“ allen Patienten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Seitdem wurde die App kontinuierlich weiterentwickelt und sorgte auf dem sehr gut besuchten „Digitalisierungskongress der KVWL“ im Oktober 2017 erneut für großes Interesse bei den Teilnehmern. Entscheidend für den Erfolg der App zum Doc ist die Tatsache, dass Praxisnetz, Ärzte und Entwickler gemeinsam nach Lösungen gesucht haben, so dass das Angebot nicht an den Wünschen der Anwender vorbeigeht. „Solche digitalen Angebote

müssen in erster Linie einfach zu bedienen sein und funktionieren. Sonst kann man das im hektischen Praxisalltag nicht einbauen. Und die Kollegen würden das dann auch nicht unterstützen“, so Karl Arne Faust, Netzarzt und Leiter des Palliativärztlichen Konsiliardienstes Lippe. Die “App zum Doc” bringt Patienten online zum Arzt, schreibt die Ärztezeitung – und das funktioniert so: Ärzte erstellen einen App-Eintrag, pflegen ihre Kontaktinformationen sowie ihr Leistungsspektrum. Darüber hinaus können sie OnlineBestellfunktionen wie Termin-, Rezept- oder Überweisungsbestellung freischalten. Jetzt ist es für Patienten eines Arztes möglich, einen Termin oder eine Überweisung anzufragen oder auch ein Wiederholungsrezept zu bestellen. Das spart Zeit, da ein Anruf in der Praxis entfällt. Für die Praxis bedeutet dies wiederum eine Entlastung, durch den neuen asynchronen Kommunikationska-


nal. Dieser lässt die Praxen ganz nebenbei als zeitgemäß und modern erscheinen. Dazu informieren Ärzte ihre Patienten darüber, dass die Praxis in der App vertreten ist und diese Services anbietet - auf Wunsch erhalten sie hierfür Flyer und Poster für das Wartezimmer.

Foto: Rainer Sturm/ pixelio.de

DIGITALISIERUNG

Bis zu 30 Prozent aller Anfragen an die Praxis werden per App gestellt Dies sind die Erfahrungswerte der vergangenen Monate von Ärzten, bei denen die App in Gebrauch ist. Besonders jüngere Patienten integrieren das Angebot schnell in ihren Alltag, und auch ältere Menschen erkennen immer häufiger den Mehrwert. Längere Wartezeiten am Telefon entfallen. Praxismitarbeiter am Empfang berichten entsprechend von spürbarer Entlastung, da die Anfragen, die per App eingehen, nicht mehr telefonisch gestellt werden und komfortabel zeitversetzt beantwortet werden können. Bei der Entwicklung der App war zu jedem Zeitpunkt das Thema Datenschutz entscheidend. Um diesen noch weiter zu stärken, wurde Anfang 2017 von Seiten des Entwicklerteams ein umfangreiches App-Update durchgeführt und die Verschlüsselung der Patientendaten erneut erhöht, sodass diese nun höchsten Ansprüchen genügt. Nutzerdaten werden unmittelbar und ausschließlich auf dem Smartphone verschlüsselt und gespeichert und können nur durch die Praxis, die die Anfrage erhält, entschlüsselt werden. Ein wesentlicher Mehrwert für alle teilnehmenden Praxen ist die Tatsache, dass Verbesserungen und Updates immer kostenlos eingearbeitet werden. Somit profitieren auf Dauer alle Nutzer von der Weiterentwicklung und Sicherheit dieses Angebotes.

Digitalisierung spart Zeit, da ein Anruf in der Praxis entfällt. Für die Praxis bedeutet dies wiederum eine Entlastung. Die Praxen erscheinen ganz nebenbei als zeitgemäß und modern

Skype oder WhatsApp sind vielseitig bekannt, aber nicht mit dem Datenschutz konform Dieser Herausforderung haben sich die Entwickler gestellt und zwei Möglichkeiten innerhalb der App geschaffen. Das bedeutet konkret: Patienten können Bilder machen um z.B. eine Hauterkrankung, eine Wundheilung etc., zu dokumentieren. Diese lassen sich über die App hochverschlüsselt an einen Arzt verschicken. Mit dem nächsten Update wird es möglich, eine Videosprechstunde durchzuführen, denn die Smartphones bringen alle technischen Voraussetzungen mit.

Digitalisierung als greifbarer und klarer Nutzen im Alltag des Patienten - ein Beispiel Der bundeseinheitliche Medikationsplan, der als Ausdruck an Patienten gegeben wird, kann mit der App zum Doc digitalisiert werden. Der standardisierte Barcode auf dem Plan macht dies möglich. Somit liegen alle Informationen auf dem Aus-

druck sofort in digitaler Form auf dem Smartphone vor. Der Austausch des Planes mit einem anderen Arzt oder einer Apotheke ist hierdurch kinderleicht.

Nicht nur Patienten und Ärzte, sondern auch Praxisnetze im Alltag digital unterstützen Unter diesem Motto entstand parallel zur App die webbasierte Anwendung „mediQuu“, die Netzmanager bei alltäglichen Aufgaben unterstützt. So gibt es die Möglichkeit einer übersichtlichen Mitgliederverwaltung, die eine individuelle Kategorisierung und Verschlagwortung von Mitgliedern ermöglicht. Auf dieser Basis erlaubt es der „Multimessenger“, in nur einem Schritt eine Nachricht mit Anhang gleichzeitig auf verschiedenen Kanälen wie Mail, Fax oder SMS zu versenden. Das spart erheblich Zeit. Weiterhin können Termine und News kommuniziert und Echtzeit-Umfragen durchgeführt werden. Die Mitglieder des Netzes können diese Informationen komfortabel in einem geschützten Mitgliederbereich innerhalb der App zum Doc wiederfinden. Zusätzlich ist der Austausch von Dateien mit Kolle-

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DIGITALISIERUNG gen möglich: so nutzt beispielsweise der Palliativärztliche Konsiliardienst Lippe eine Cloud-Funktion um auch unterwegs über das Smartphone wichtige Dokumente abrufen zu können. Die mediQuu-Anwendung dient hier als Zugang, um die Cloud zu verwalten – die App zum Doc bietet den mobilen Zugriff hierauf.

Die Digitalisierung kommt! Der digitale Wandel im Gesundheitswesen ist schon jetzt in Ländern wie Belgien, Dänemark, Österreich in vollem Gange und wird sich nicht aufhalten lassen. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen wird auch in Deutschland erfolgreich Einzug erhalten. Dabei sollten Menschen selbst mehr Kontrolle über Ihre Daten erlangen, finden die Entwickler der App zum Doc und werden unterstützt von Constanze Liebe, Geschäftsführerin des Ärztenetzes Lippe. Praxisnetze sind eine gute Plattform, um sich die-

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sen Herausforderungen zu stellen und in einer überschaubaren Region Lösungen zu entwickeln und zu testen. Dabei ist ein aktives Engagement von Ärzten und Praxisnetzen wichtig, damit diese dem tatsächlichen täglichen Bedarf entsprechen und einem hohen Sicherheitsstandard gerecht werden. „Wir sind begeistert von den bereits jetzt existierenden Möglichkeiten der App zum Doc und werden weiterhin Ideen und Vorschläge zum Wohle unserer Ärzte und ihrer Patienten einbringen. Schon heuDie App zum Doc wird bereits über die Grenzen der Rete freuen wir uns, dass gion Lippe hinaus in anderen Regionen wahrgenommen die App zum Doc auch und genutzt über die Grenzen unserer Region Lippe hinaus in anderen Regionen wahrgenommen und geDas ist Digitalisierung nutzt wird.“ „Made in Germany“.

CONSTANZE LIEBE

KARL ARNE FAUST

CHRISTIAN REMFERT

PETER KÖRNER

Constanze Liebe ist Kauffrau für Einrichtungen im Gesundheitswesen und bereits seit 2005 angestellt bei den vier Lippischen Praxisnetzen und seinen NachfolgeOrganisationen. 2008 lösten sich die Vereinsstrukturen zugunsten der Ärztenetz Lippe GmbH auf und Frau Liebe übernahm zusammen mit einem ärztlichen Kollegen die Geschäftsführung. Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen in den Bereichen Netzmanagement, Organisation, Projektleitungen und Vertragsmanagement. Besondere Freude hat sie an der Entwicklung und Umsetzung von neuen Ideen

Karl Arne Faust ist seit 2006 in Detmold als Hausarzt in eigener Praxis niedergelassen. Von Beginn an ist er engagierter Netzwerker im Ärztenetz Lippe und leitet seit 2007 den dort angesiedelten Palliativärztlichen Konsiliardienst Lippe. Digitale Kommunikationskanäle zu entwickeln und praxistauglich zu machen, ist seit zwei Jahren ein besonderes Anliegen von Herrn Faust, da sie seine ärztliche Arbeit optimal ergänzen und gerade im ländlichen Bereich für eine dringend notwendige Entlastung bei zunehmendem Patientenaufkommen bedeuten

Christian Remfert ist DiplomWirtschaftsinformatiker und Geschäftsführer der SlashCube. Er verantwortet die technische Entwicklung der App zum Doc und des mediQuu. Herr Remfert greift auf mehrjährige Erfahrungen als IT-Projektmanager, selbstständiger IT-Berater und Lehrbeauftragter zum IT-Management an deutschen Hochschulen zurück

Peter Körner ist Grafik-Designer und Geschäftsführer der SlashCube. Er ist federführend für die visuelle Produktentwicklung sowie das Marketing der App zum Doc und des mediQuu verantwortlich. Vor dieser Tätigkeit war er neun Jahre Inhaber einer Agentur für Kommunikation und Markenführung. Aus dieser Zeit greift er auf langjährige Erfahrungen zurück

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GESUNDHEITS-INITIATIVE zusammen!“, sagen Heiko und Roman Lochmann, die im vierten Jahr in Folge die Gesichter der JGA-Kampagne sind. Für die vergangene Kampagne erhielt Jugend gegen AIDS in diesem Jahr den Effie Award in Bronze. Möglich wird die wichtige ehrenamtliche Arbeit aber erst durch starke Partner wie AXA, Billy Boy, Facebook, Gilead oder MSD.

Jugend gegen AIDS stellt innovative Aufklärungskampagne in Berlin vor

„Gummis am Start?“ Von Maximilian Wolf

Jugendliche interessieren sich brennend für Sex, aber sie interessieren sich überhaupt nicht für AIDS. Um dies zu ändern, entwickelte Jugend gegen AIDS e.V. (JGA) eine innovative Kampagne, die in Berlin präsentiert wurde. „Triste Darstellungen von Kondomen und Schockbildern waren gestern Aufklärung funktioniert heute ganz anders, authentisch und auf Augenhöhe. Wir sind stolz, dass sich viele bekannte Influencer mit unseren Werten identifizieren und unserer Kampagne ihr Gesicht geben. Gemeinsam erreichen wir Millionen junge Menschen, ohne mit dem Zeigefinger zu drohen oder die Moralkeule zu schwingen“, sagt Daniel Nagel, Vorsitzender des Vorstands von Jugend gegen AIDS.

Im Mittelpunkt der Kampagne stehen Motive, die sich rund um das Thema Kondome drehen. Viele junge Menschen sind im Umgang mit Kondomen immer noch unsicher und haben Fragen, die Jugend gegen AIDS offen und ehrlich beantwortet. Mit dieser Kampagne geht die Aufklärungsinitiative ihren Weg konsequent weiter und kümmert sich um die Anliegen, die in den JGA-Schulworkshops zur Sprache kommen. „Wir sind davon überzeugt, dass es in unserer Pflicht liegt, unsere Vorbildfunktion zu nutzen und gerade den jüngeren Menschen eine transparente, aber auch coole Methode bieten zu können, sich über Verhütung und Aids im Allgemeinen informieren zu können. Wir sind authentisch, so auch Jugend gegen AIDS, das passt perfekt

Jugend gegen AIDS ist eine ehrenamtliche Initiative junger Menschen für die Gesellschaft von morgen. Sie leisten leidenschaftlich Aufklärungsarbeit auf Augenhöhe. In Schulworkshops für Gleichaltrige, auf Festivals und Events und mit großen Öffentlichkeitskampagnen setzen sie sich für eine vielfältige und aufgeklärte Gesellschaft ein, in der Sexualität niemals ein Grund für Ausgrenzung, Angst und Stigma ist. Schirmherr der Initiative ist Dr. Frank-Walter Steinmeier. Unterstützung erhalten sie von ihrem Beirat und Persönlichkeiten wie Sheryl Sandberg (Facebook COO), die sie zuletzt mit dem Facebook Smart Hero Award auszeichnete.

MAXIMILIAN WOLF

Maximilian Wolf arbeitet als Pressesprecher für die Aufklärungsinitiative Jugend gegen AIDS e.V. Neben seinem ehrenamtlichen Engagements studiert der 24-Jährige Public Relations an der Hochschule der Medien in Stuttgart

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Neben Instrumenten wie der Quotenregelung und Frauenförderungsprogrammen liegt der Schlüssel zur Gleichstellung auf Führungsebene in Frauenhand

Je stärker das Netz, desto mehr Tragkraft Warum Networking für Frauen im Gesundheitswesen ein entscheidender Karrierefaktor ist Von Prof. Dr. Clarissa Kurscheid

Es ist und bleibt ein zentrales gleichstellungspolitisches Ziel: Die Erhöhung des Frauenanteils auf der Führungsebene von Unternehmen und in der Verwaltung. Neben Instrumenten wie der Quotenregelung und Frauenförderungsprogrammen liegt

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der Schlüssel zur Gleichstellung auf Führungsebene in Frauenhand. Wer auf einen schwer zugänglichen Gipfel will, muss den Berg Schritt für Schritt erklimmen. Lift? Fehlanzeige. Obwohl im Gesundheits- und Sozialwesen der Anteil weiblicher Führungskräfte bei 44 Prozent liegt, herrscht im Top-Management auch hier ein Mangel an

weiblicher Präsenz. Dabei arbeiten immerhin ein Drittel aller erwerbstätigen Frauen hierzulande im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung. Branchenübergreifend sind in Deutschland zwei Drittel aller Führungspositionen von Männern besetzt. Damit gehören wir zu den Schlusslichtern der EU-Staaten in

Foto: Stephanie Hofschläger/ pitopia.de

NETWORKING FÜR FRAUEN


NETWORKING FÜR FRAUEN Sachen Gleichstellung im Management. Das zu beklagen, ist ein altes Lied. Wer Situationen ändern will, muss handeln statt hadern, kooperieren statt klagen, voranschreiten statt verharren. Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook und Gründerin von „Lean In“, bringt es auf den Punkt: „Du musst Chancen nutzen und sie für dich passend machen, und eben nicht anders herum.“ Ohne diese Beweglichkeit und Flexibilität kommt keine Frau, ob hierzulande oder andernorts, in eine Spitzenposition. Es braucht eine gehörige Portion Offenheit, Mut und Entschlossenheit, um die Karriereleiter emporzuklettern.

Auch flüchtige Kontakte können zur Kooperation von morgen führen Eine andere wichtige Eigenschaft ist der Aufbau und Erhalt persönlicher und beruflicher Kontakte. Während Männer ihre Bekanntschaften aus dem Studium oder Wehrdienst auch im Berufsleben nutzen, lassen Frauen bei der beruflichen Vernetzung etliche Chancen links liegen. In ihrem Privatund Berufsleben setzen sie eher auf starke Bindungen, sogenannte „strong ties“, die zeit- und emotionsintensiv sind. Dadurch bleibt wenig Zeit, flüchtige Kontakte („weak ties“), die über Nutzwert und Potential verfügen, zu knüpfen und zu pflegen. Dabei ist jede beruflich orientierte Kontaktpflege, jede Begegnung mit Kollegen, Mitbewerbern oder fachlichen Vorreitern, eine Einzahlung aufs Kar-

Healthcare Frauen e.V. (HCF) sind ein Netzwerk, in dem seit nunmehr zehn Jahren führende Managerinnen des deutschsprachigen Gesundheitswesens vereint sind

rierekonto. Was heute als Small Talk beginnt, kann später zur Zusammenarbeit oder gegenseitigen Unterstützung führen. Doch das erfordert neben einer grundsätzlichen Offenheit eben auch die Bereitschaft, Zeit für solche Begegnungen aufzuwenden. Ein Investment, das sich zigfach bezahlt macht, wenn man bereit ist, es zu tätigen.

„Netzwerke dienen Erfolgen, und zwar gemeinsamen wie persönlichen“ Wer als Frau in einer Männerdomäne wie dem Management einer Klinik oder eines Pharmaunternehmens arbeitet, profitiert vom Austausch mit anderen Frauen in vergleichbaren Positionen. Was ihr dabei hilft, sind weibliche Businessnetzwerke. Bundeskanzlerin Angela Merkel fasste die Vorteile der Kontaktpflege anlässlich eines parteiinternen NetzwerkerinnenTreffens im Februar so zusammen:

Netzwerke dienen Erfolgen, und zwar gemeinsamen wie persönlichen Erfolgen. Dabei sei eines gewiss: „Netzwerke sind umso stärker, je größer die Beteiligung ist und je mehr Knoten sich bilden können.“ Die Healthcare Frauen e.V. (HCF) sind ein solches Netzwerk. Seit nunmehr zehn Jahren sind hier führende Managerinnen des deutschsprachigen Gesundheitswesens vereint, um den fachlichen, persönlichen und geschäftlichen Austausch zu fördern. Ein besonderes Anliegen des HCF ist es, junge Frauen für Führungspositionen zu ermutigen und auf dem Weg dorthin zu unterstützen. Mit Trainings und Mentoring-Programmen liefert der HCF seinen Mitgliedern Unterstützung auf verschiedenen Ebenen. Das übergeordnete Ziel: festgefahrene Strukturen aufbrechen, den Weg ins Management ebnen und vom Erfahrungsaustausch mit anderen für den eigenen Job profitieren.

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NETWORKING FÜR FRAUEN Hand in Hand weiterkommen Die individuellen Karrierewege der HCF-Mitglieder zeigen, dass Frauen heute in allen Disziplinen des Gesundheitswesens erfolgreich sind, auch in den obersten Führungsetagen. Von diesen gestandenen Frauen in Spitzenpositionen kann der weibliche Führungsnachwuchs viel lernen. Das Businessnetzwerk bietet deshalb für seine Mitglieder einjährige Mentoringpartnerschaften an, bei der zwischen Mentee und Mentorin wenigstens zwei Hierarchiestufen liegen müssen. Die Mentorinnen stammen aus der ersten und zweiten Führungsebene im Gesundheitswesen oder assoziierten Dienstleistungsunternehmen. Mindestens zwei Stunden im Monat tauschen sich beide aus, um die persönliche und berufliche Weiterentwicklung voranzutreiben. „Ich wollte Feedback zu meiner Person bekommen“, sagt Christine Glodny, die als Mentee von der Zusammenarbeit mit Anne Demberg, ehemalige Geschäftsführerin von STADA cell pharm, profitierte. „Ich habe gelernt, dass auch andere Frauen in vergleichbaren Positionen mit ähnlichen Problemen kämpfen. Meine Mentorin hat mich oft bestärkt, dadurch habe ich mich im Laufe eines Jahres zusehends sicherer gefühlt.“ Die erfahrenen Mentorinnen setzen auf eine intensive, individuelle Unterstützung ihrer Schützlinge aus der mittleren Managementebene, um ihnen ihren weiteren Weg nach oben zu erleichtern. Demberg, seit Jahrzehnten eine der erfolgreichsten Managerinnen im deutschsprachigen Gesundheitswesen und Mitgründerin des HCF, wünscht sich mehr kompetente Frauen mit Potenzial, die den Mut für den Weg an die Spitze aufbringen. „Keine Angst vor der eigenen Courage“, rät sie.

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Role Models inspirieren und helfen Ob Herausforderungen im Tagesgeschäft oder durch neue Projekte, die berufliche Perspektive oder persönliche Weiterentwicklung – im Mentoring wird das zum Thema, was gerade wichtig ist für die Mentee. „Für mich war das Programm eine Möglichkeit, meinen fachlichen Horizont zu erweitern und mich weiterzuentwickeln – beruflich, als auch menschlich“, sagt Julia Patsch. „Von der Erfahrung und dem Wissen einer erfolgreichen Geschäftsfrau zu profitieren hat mir viel Selbstbewusstsein, Stärke und Biss für meine berufliche Laufbahn gegeben. Viele Themen sehe ich heute aus einer neuen Perspektive.“ Gerade jungen Frauen lassen mitunter den nötigen Biss vermissen, um die nächste Karrierestufe zu erklimmen. Hier kann das Netzwerk nicht nur bestärken, sondern auch inspirieren.

CLARISSA KURSCHEID

Prof. Dr. Clarissa Kurscheid ist Geschäftsführerin der FiGuS GmbH, Forschungsinstitut für Gesundheits- und Systemgestaltung. Außerdem Studiengangsleiterin für das Management von Gesundheitseinrichtungen. Aufbau und Umsetzung strategischer Kooperationen sind ihr ebenso ein Anliegen wie die Weiterentwicklung und Professionalisierung des Gesundheitswesens. Kurscheid ist Vorstandsmitglied des Healthcare Frauen e.V., einem Netzwerk führender Managerinnen im deutschsprachigen Gesundheitswesen

Manches renommierte Mitglied wird dann als Sparringspartner zum Role Model für jüngere Mitglieder. Bei gemeinsamen Treffen zu Fachvorträgen oder Trainings lassen sich inspirierende wie nützliche Kontakte weiter ausbauen. Und sie machen immer wieder eines klar: Der Weg in die Chefetage lässt sich besser im Verbund bewältigen denn als Einzelkämpferin. Das weiß auch Sheryl Sandberg genau: „Du wirst nicht allein darüber definiert, was du erreicht hast, sondern wie du überlebst.“ Mit einem Netz als Basis ist der Weg in luftige Höhen besser gesichert als ohne – es wird Zeit für Frauen, aus vermeintlichen Konkurrentinnen wertvolle Sparringspartnerinnen werden zu lassen. Verwendete Quellen: Statistisches Bundesamt; zitate.de; business-punk.com (Ausgabe 4/2017)


BÜRGERVERSICHERUNG

Betriebsräte machen gegen die Bürgerversicherung mobil

Über 75.000 Arbeitsplätze werden zum Spielball der Politik Prof. Dr. Lauterbach sowie einige weitere SPD Politiker preschten bereits los, bevor die SPD-Spitze sich überhaupt für Sondierungsgespräche entschieden hatte. Lauterbach - plötzlich wieder in allen Medien und Kanälen unübersehbarstellt für die Beteiligung seiner Partei an einer “GroKo” schon einmal die Bedingungen auf – die Einführung der sogenannten Bürgerversicherung. Dies soll die Grundvoraussetzung sein, damit sich die SPD bereiterklärt, in Sondierungsgespräche mit der CDU/CSU zu treten. Auch das Märchen von der “Abschaffung der Zweiklassenmedizin” wird wieder einmal bemüht, um der Forderung den vermeintlichen sachlichen Grund zu geben. Dass die Bürgerversicherung in der Realität aber nichts besser macht, sondern schlimme Folgen für die medizinische Versorgung aller Bürger hat und sich auf den Arbeitsmarkt dramatisch auswirkt, spielt für Lauterbach keine Rolle. Die Beschäftigten der Privaten Krankenversicherung leisten

einen wichtigen Beitrag zu einem der besten Gesundheitssysteme der Welt. Allein mehr als 50.000 Arbeitsplätze gingen kurzfristig in der privaten Krankenversicherung bei Einführung einer Einheitskasse verloren, so eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-BöcklerStiftung. Hinzu käme, dass jede Arztpraxis im Schnitt mehr als 50.000 Euro pro Jahr verlieren würde, wenn die Einnahmen aus der Privaten Krankenversicherung wegfielen. Viele Ärzte, Zahnärzte, Physiotherapeuten und Hebammen müssten aufgeben. “Die Gesundheitsversorgung würde für alle schlechter. Akzeptablen Gesundheitsschutz könnten sich dann nur noch die besser Verdienenden leisten. Darin sind sich selbst zahlreiche SPD-Politiker einig, mit denen wir in diesem Jahr gesprochen Haben.”, so Peter Abend, Sprecher der Betriebsratsinitiative “Bürgerversicherung? Nein danke!” Was ist von einer SPD zu halten, deren Vorsitzender Martin Schulz kürzlich den bei Siemens geplanten Abbau von

rund 3.500 Stellen in Deutschland als “asozial” verurteilte, dann aber die Einführung der Bürgerversicherung fordert? Wissend, dass nicht nur in der privaten Krankenversicherung mehr als 50.000 Arbeitsplätze vernichtet werden, sondern auch in zahlreichen Arztpraxen, Abrechnungsstellen und weiteren Gesundheitsdienstleistern. Die Einführung der Bürgerversicherung dient nur dazu, um der Parteibasis eine ideologische Trophäe präsentieren zu können und sie somit von einer großen Koalition mit der CDU/CSU zu überzeugen.”, so Peter Abend weiter. “Die Politiker hantieren hier aus rein parteipolitischen Gründen mit sozialem Sprengstoff.”

✴ Wir appellieren an die Politiker: Übernehmen Sie soziale Verantwortung! Unser Gesundheitssystem mit all seinen Arbeitsplätzen darf nicht zum Spielball der Politik werden! Quelle: Initiative Betriebsräte gegen die Bürgerversicherung. Am Puls

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Zum Ausstieg der FDP aus den JamaikaSondierungen

„NICHTSTUN IST MACHTMISSBRAUCH!“ Die Union sollte sich etwas vom Idealismus der kleinen Parteien anstecken lassen, damit ihre Kompromisserfahrung nicht zur Gewöhnung an den kleinsten gemeinsamen Nenner degeneriert

Von Dr. Stephan Eisel

Der noch vor drei Monaten überall plakatierte Slogan der FDP fällt auf seine Urheber zurück: Die FDP hat sich zum Nichtstun entschlossen und ließ eine durchaus mögliche Jamaika-Koalition platzen. Damit gesellt sie sich zur Regierungsverweigerungspartei SPD und stimmt in die Grundmelodie ein: Die Partei ist wichtiger als das Land. Das Ergebnis der Bundestagswahlen am 24. September 2017 bleibt für alle demokratischen Parteien eine Herausforderung, vor allem weil AfD und Linke zusammen über 20 Prozent der Stimmen erhalten haben: Jeder fünfte Wähler hat sich für den rechten oder linken Rand entschieden. Damit ist die Verantwortung der demokratischen Parteien eigentlich hinreichend beschrieben. Sie besteht sicherlich nicht darin,

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die Wähler so lange zur Urne zu bitten bis das Ergebnis angenehm ist. Das gilt umso mehr als eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Ergebnis von Neuwahlen ähnlich ausfällt wie das letzte Ergebnis: Mit vielleicht etwas verschobenen Prozentzahlen ist es sehr gut möglich, dass wieder nur die Alternative „große“ Koalition oder Jamaika bleibt. Für Schwarz-Gelb müssten Union und FDP 6 – 7 Prozent hinzugewinnen ohne einander Stimmen abzunehmen. Rotgrün fehlen fast 20 Prozent und einem nicht zu verantwortenden Bündnis unter Einschluss der Linken immer noch ca. 10 Prozent der Stimmen. Neben der Stärkung der politischen Ränder war das deutlichste Ergebnis der letzten Wahlen die offenkundige Abwahl der nur vermeintlich „großen“ Koalition aus CDU/CSU und SPD (-14 Prozent). Die Stimmantei-

Foto: Dieter Schütz/ pixelio.de

JAMAIKA-AUS le von SPD und Union stürzten auf historische Tiefstände ab. Die Reaktion der SPD auf ihren beispiellosen Absturz in der Wählergunst ist auf den ersten Blick verständlich: Von 40 Prozent auf 20 Prozent in zwanzig Jahren. In acht Bundesländer liegt sie unter 20 Prozent, in fünf Bundesländern ist sie nicht einmal mehr zweitstärkste Partei. Die Sozialdemokraten brauchen einen Neuanfang und es ist im Interesse unserer Demokratie, dass dieser gelingt. Möglich ist ein solcher Neubeginn am ehesten in der Opposition – mit der erfreulichen Nebenwirkung, dass im Bundestag die Aufgabe der größten Oppositionspartei nicht den Populisten der AfD zufällt. Allerdings muss sich die SPD ebenso wie die FDP fragen lassen, ob die mit dem Wohl der Partei begründete Regierungsverweigerung auch im Interesse des Landes ist. Demokratie ist kein Wunschkonzert, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft. Das gilt für Wähler wie für Gewählte. Dazu gehört es, Wahlergebnisse zu akzeptieren – auch wenn eigene Träume daran zerplatzen. Dass sich die Parteien zu wenig voneinander unterscheiden, wird nach den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition jedenfalls niemand mehr im Ernst behaupten können. Trotz inhaltlicher Differenzen war es problematisch, dass die möglichen Jamaika-Partner immer wieder den Eindruck vermittelten, zu regieren sei die eigentliche Strafe in der Demokratie. Fast krampfhaft führten sie dem Publikum vor, dass sie eine von ihnen gebildete Regierung nur als bittere, aber eben notwendige Medizin „staatspolitischer Verantwortung“ schlucken würden. So konnte keine optimistische Stimmung eines politischen Neuanfangs entstehen. Diesen Vorwurf muss sich vor allem die CDU als stärkster Partner machen lassen.


Foto: FDP

JAMAIKA-AUS

Dass FDP (Foto FDP-Chef Christian Lindner) und Grüne deutlich sagen, wofür sie stehen, erhöht den Profilierungsdruck auf die Union

Man muss den Wählerwillen noch einmal in Erinnerung rufen, da die letzten Wochen den Eindruck vermittelten, bei den Jamaika-Verhandlungen säßen sich gleichstarke Partner gegenüber. Im Deutschen Bundestag entfallen 246 Sitze auf die Union (CDU: 200; CSU: 46), lediglich 80 auf die FDP und nur 67 auf die Grünen. In den Sondierungsgesprächen taten sich besonders die kleinen Partner schwer, denn auf dem Humus der Kompaktheit ihrer überschaubaren Mitgliedszahl blüht die Blume der „reinen Lehre“ besonders gerne. Rechnerisch gibt es unter 1000 wahlberechtigten Bürgern nur ein Mitglied der Grünen (61.000 Mitglieder) und auf ein Mitglied der FDP (55.000 Mitglieder) kommen 1120 Bürger pro Mitglied. Fast zehnmal tiefer reicht die Verankerung der Volksparteien in die Bevölkerung. Schon unter 120 Bürgern findet sich statistisch ein CDU-Mitglied (431.000 Mitglieder ohne Bayern). In Bayern erreicht die CSU mit 142.000 Mitgliedern 66 Bürger pro Mitglied. Diese starke Verankerung in der Bevölkerung führt bei der CSU in Bayern zwar zu einer besonderen ausgeprägten parteiinternen Meinungsvielfalt, aber da sie außerhalb dieses großen Bundeslandes nicht vertreten ist, tendiert ihre Verankerung in der bundesdeutschen Bevölkerung insgesamt eher zum Niveau der kleinen Parteien.

Für Volksparteien ist Kompromissbereitschaft innerparteilicher Alltag, denn in ihrer Mitgliedschaft repräsentiert sich die Vielfalt der Wählerschaft. Je weniger Mitglieder eine Partei hat, umso weniger ist sie in der Kompromissfindung geübt. Die Jamaika-Sondierungen lieferten dafür vielfältiges Anschauungsmaterial. Dennoch oder gerade deshalb wäre eine Jamaika-Koalition gerade für die Union eine große Chance gewesen, weil sie in einem solchen Bündnis stärker gefordert würde: Dass FDP und Grüne deutlich sagen, wofür sie stehen, erhöht den Profilierungsdruck auf die Union. Sie sollte sich etwas vom Idealismus der kleinen Parteien anstecken lassen, damit ihre Kompromisserfahrung nicht zur Gewöhnung an den kleinsten gemeinsamen Nenner degeneriert. Auch nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition darf die Union im Ideenwettbewerb der Parteien weder im Bremserhäuschen noch am Katzentisch sitzen. Es geht um Führungskraft und Gestaltungswille als zwei Seiten der gleichen Medaille. Die CDU muss das noch deutlicher machen, denn ob als bestimmende Kraft in einer Koalition, als Verantwortungsträger einer Minderheitsregierung oder vorhersehbar wiederum stärkste Partei nach Neuwahlen – der Kurs der CDU bleibt für Deutschland bestimmend.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass sich Deutschland keineswegs in einem staatspolitischen Notstand befindet, dessen Überwindung heroische Opfer der Parteien verlangt. Ganz im Gegenteil ist die Bundesrepublik eines der stabilsten, und wohlhabendsten Länder der Welt, das gerade deshalb ein solides Fundament für politischen Gestaltungswillen bietet. Deshalb ist es richtig, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor weiteren Entscheidungen mit den Vorsitzenden der möglichen Koalitionsparteien spricht und daran erinnert: “Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.” Alle sind dazu aufgerufen, ihre Entscheidungen erneut auf den Prüfstand zu stellen. Das gilt auch für FDP und SPD, denn wichtiger als das wohl der Partei ist das wohl des Landes und Deutschland braucht eine stabile Regierung mit Gestaltungswillen und Verantwortungsbereitschaft.

DR. STEPHAN EISEL

Dr. Stephan Eisel, Jahrgang 1955, ist Projektleiter “Internet und Demokratie” sowie “Bürgerbeteiligung” der KonradAdenauer-Stiftung. Eisel gehörte dem Deutschen Bundestag von 2007 bis 2009 an, war Bundesvorsitzender des RCDS; Vorsitzender der Bonner CDU mehr als zwanzig Jahre Delegierter bei CDU-Bundesparteitagen. Seit 2012 ist er Chefredakteur des u. a. von Norbert Lammert und Bernhard Vogel herausgegebenen Internet-Blogs kreuz-und-quer.de

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Nach dem Aus für eine Jamaika-Koalition

PFLEGEPAKET STATT MONATELANGER HÄNGEPARTIE

Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen einer Jamaika-Koalition darf es nicht zu einem Stillstand für Verbesserungen in der Pflege kommen

Von Dr. Volker Ullrich, MdB

Der Pflegebedürftigkeit von Menschen sollte in unserer alternden Gesellschaft ausreichend Wertschätzung entgegengebracht werden. Daher darf die notwendige Verabschiedung eines umfassenden Pflegepakets trotz derzeitiger unklarer Regierungsverhältnisse nicht aus den Augen verloren werden. Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen einer Jamaika-Koalition darf es nicht zu einem Stillstand für Verbesserungen in der Pflege kommen. Die Verhandlungsführer für eine künftige Regierungskoalition hatten sich auf ein Sofortprogramm für Pflege verständigt. Nachdem in der vergangenen Legislaturperiode fünf Milliarden Euro pro Jahr für Leistungsverbesserungen beschlossen wurde, wollen wir in dieser Legislaturperiode die

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Arbeitsbedingungen und Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege spürbar verbessern. Altenpflege und Krankenhäuser brauchen mehr Personal und bessere Arbeitszeiten. Dieses Versprechen gilt und wird nicht gebrochen. Gesundheit und Pflege betreffen alle und müssen in der Politik wieder an Gewicht zulegen. Nicht rein zufällig streikten einen Tag nach der Bundestagswahl über 300 Beschäftigte aus dem Pflegebereich des Klinikums Augsburg. Sie machten lautstark auf ihre Situation aufmerksam und forderten bessere Rahmenbedingungen und eine bundeseinheitliche Neuregelung der Pflege. Die Berichte von wochenlanger Arbeit ohne freien Tag oder alleinigem Stationsnachtdienst sind besorgniserregend. Dieser Streik ruft einmal mehr die Verhältnisse in der Pflege in unser Bewusstsein. Wir

müssen den Handlungsbedarf erkennen und in der neuen Legislaturperiode die Weichen für die Zukunft stellen. In einer alternden Gesellschaft bekommt die Pflege einen immer größeren Stellenwert und erfordert kluge Lösungen. Zunächst sollten den Pflegekräften verbesserte Arbeitsbedingungen zukommen. Neben leistungsgerechter Bezahlung ist ein Ausgleich für außergewöhnliche Belastungen dringend geboten. Die Flexibilität an Wochenenden, über Nacht oder an Feiertagen zu arbeiten, erfordert eine angemessene Berücksichtigung. Die Pflege ist eine wesentliche Säule des Sozialstaats, sodass es die Pflicht des Staates ist hierfür in besonderem Maße einzutreten. Darüber hinaus muss dem Beruf des Pflegers oder der Pflegerin in unserer Gesellschaft die notwendige Wertschätzung

Foto: Erwin Lorenzen/ pixelio.de

NACH DEM AUS FÜR JAMAIKA


entgegengebracht werden. Die Tätigkeit in Pflegeberufen ist ein wichtiger Beitrag zum Gemeinwohl und gebietet eine entsprechende Honorierung. Die große Mehrheit der Bürger in unserem Land ist zu einem Zeitpunkt des Lebens auf Pflegepersonal in Krankenhäusern angewiesen. Die Anerkennung für diese Berufe sollte daher in der Gesellschaft noch mehr verankert werden. Die Politik hat bereits viele Maßnahmen ergriffen, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern. Dazu zählen die Pflegestärkungsgesetze, die Umsetzung der Ausbildung- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege oder die schrittweise Anhebung des PflegeMindestlohns ab dem 1. Januar 2018. Es bedarf jedoch weiterer Ansätze, um mehr Personal für die Pflege gewinnen zu können. Bei der Annahme von unverändertem Personalbedarf für Pflegebedürftige prognostizieren Studien auf Grund des demografischen Wandels einen Anstieg des Bedarfs bis 2025 um 27 Prozent gegenüber 2005. Es droht eine Lücke von rund 200.000 ausgebildeten Pflegekräften im Jahr 2025. Zudem wird auch grundsätzlich über den Personalschlüssel in der Pflege zu sprechen sein. Ein Mehr von Personal wird das Verhältnis von Pflegekraft zu Patient verbessern. Das Idealbild des Pflegers steht derzeit in außerordentlicher Diskrepanz zu den tatsächlichen Gegebenheiten. Der Beruf des Pflegers steht für eine bedarfsgerechte, individuelle Betreuung der Patienten. Die Pflege sollte sich vor allem durch persönliche Gespräche ausdrücken, um die Sorgen tatsächlich erfassen zu können. Für die Zukunft wird die individuelle Betreuung wieder mehr in den Vordergrund treten müssen. Mehr Personal ist jedoch nicht zum Nulltarif zu haben. Eine gute Pflege kostet Geld und die notwendigen Verbesserungen sind mit erhöhten Kosten verbunden. Allerdings wurde die Frage des „ob“ bereits beantwortet. Der

Foto: Dieter Schütz/pixelio.de

NACH DEM AUS FÜR JAMAIKA

Gesundheit und Pflege betreffen alle und müssen in der Politik wieder an Gewicht zulegen

Wahlkampf hat gezeigt, dass die Bedingungen in der Pflege die Menschen sehr bewegen. Es muss daher die Frage der Finanzierung aufgeworfen werden. Ist die Lastenverteilung noch gerecht austariert? Muss auf die persönliche Leistungsfähigkeit noch mehr Bezug genommen werden? Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat zu einer angemessenen Leistungsverwaltung in der Pflege. Wir sollten jedoch noch mehr Anreize für alternative Lösungen setzen. Wenn Menschen von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt werden, sollte dies noch mehr honoriert werden. Die häusliche Pflege bringt Vorteile für alle Beteiligten. Die pflegebedürftige Person kann im vertrauten Umfeld verbleiben und gleichzeitig wird der Staat entlastet. Ein weiterer Ansatz ist die Ausweitung der Förderung von Mehrgenerationenhäusern. Wir müssen vor allem querdenken und die verschiedenen Politikfelder miteinander verknüpfen. So wird die Digitalisierung im Bereich der Pflege weiter voranschreiten. Durch eine bessere Vernetzung aller an der Versorgung Beteiligten lassen sich Synergieeffekte erzielen und Bürokratie abbauen. Auch die aktuellen Migrationsbewegungen bieten die Chance eines großen Fachkräftepotentials. Bei Vorliegen der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen muss auf die Berufe in der Pflege noch mehr hingewie-

sen und eine Vermittlung gefördert werden. Ein Beruf, der den Kontakt mit vielen Menschen erfordert, wird schließlich zu einer schnelleren Integration beitragen. Im europaweiten Vergleich können wir sicher auf unser stabiles und leistungsfähiges Gesundheits- und Pflegesystem stolz sein. Dennoch müssen jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Hierfür möchte ich mich in der neuen Legislaturperiode einsetzen.

DR. VOLKER ULLRICH

Dr. Volker Ullrich, MdB, ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestags und hier ordentliches Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Zuvor war der promovierte Jurist und diplomierte Kaufmann, von 2002 bis 2011 Stadtrat der Stadt Augsburg. 2011 bis 2013 berufsmäßiger Stadtrat und Leiter des Ordnungsreferats der Stadt Augsburg

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KOLUMNE KOMMENTAR

Weniger ist keine Option Das Ergebnis nach sechs Wochen Sondierungsgespräche: Jamaika wird es nicht geben. Für die Gesundheitspolitik ist das besonders bitter. Denn hier hatten es die Verhandlungsführer von CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen geschafft in zwei entscheidenden Bereichen –Pflege und Notfallversorgung – die Weichen neu und richtig zu stellen. Pflegefachkräfte Es ist kein Geheimnis, dass es uns an Pflegefachkräften mangelt. Deshalb hatten sich die Jamaika-Sondierer darauf verständigt, zusätzliche Stellen in der Altenpflege und in Krankenhäusern zielgerichtet zu fördern. Durch die bundesweite Abschaffung des Schulgelds für alle Heilberufe sollte die Ausbildung attraktiver, die Rückkehr von Teil- in Vollzeit vereinfacht, praktikable Wiedereinstiegsmöglichkeiten entwickelt werden und Weiterbildungsmöglichkeiten für Pflegehelfer zu Pflegefachkräften entstehen. Bessere Löhne für Pflegekräfte in Krankenhäusern, garantiert durch die Refinanzierung von Tarifsteigerungen und einer Nachweispflicht der Kliniken – auch auf diesen überfälligen Schritt hatten sich die Fraktionen geeinigt. Zur Entlastung der Pflegefachkräfte und um gleichzeitig eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen, waren sich die drei Sondierungsparteien einig, verbindliche Personalbemessungsinstrumente zu entwickeln. Auch das ist ein dringend notwendiger Schritt.

tausch mit weltweit führenden Medizinern bei kniffligen Diagnosen würde die Qualität der medizinischen Versorgung massiv erhöhen. Sicher, die Ergebnisse sind Wasser auf den heißen Stein. Unser Gesundheitswesen steht vor zahlreichen Herausforderungen. Klar ist aber auch, dass neue Verhandlungen hinter diesen Ergebnissen nicht zurückbleiben dürfen!

Herzliche Grüße

Ihr Gottfried Ludewig

Immer überall gut versorgt Die Rettungsstellen in Krankenhäusern sind bereits heute massiv überlastet. Geplant war daher, ambulante und stationäre Angebote besser zu verzahnen. Ebenfalls geeinigt hatten sich die Sondierer darauf, sowohl in der Notfallversorgung als auch bei den Krankenhausinvestitionen mehr in die Digitalisierung zu investieren. Wie sinnvoll das sein kann, zeigt u.a. die Ersthelfer-App „SOS“ aus Israel, die dort die Notfallversorgung erfolgreich ergänzt. Und was wäre erst möglich, könnten sich Krankenhäuser digital miteinander vernetzen? Die Einholung von Zweitmeinungen in Sekundenschnelle oder der Aus-

GOTTFRIED LUDEWIG

Dr. Gottfried Ludewig, MdA, ist seit 2011 gesundheitspolitischer Sprecher und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Als Koordinator der gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen organisiert er eine jährliche Tagung in Berlin

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Titelfoto: Kaemte/ pixelio.de Abonnement Einzelheft: 24,- Euro pro Jahr bei 4 Ausgaben Das Magazin am puls erscheint viermal im Jahr jeweils zur Mitte eines Quartals.



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