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Jahrgang 14 5,00 Euro

MAGAZIN FÃœR

POLITIK UND GESUNDHEIT Angela Erwin NRW-Koalition packt zu

AUSWAHL

2017 W

S. 4

Peter Tauber CDU-General mit Schlussappell S. 14

Wolfgang-Axel Dryden Forderungen an die Politik S. 18


Novartis Deutschland

Neue Wege in der Medizin Bei Novartis gehen wir die größten medizinischen Herausforderungen unserer Gesellschaft mit wissenschaftlicher Innovation an. Unsere Forscherinnen und Forscher treiben die Wissenschaft voran, um das Verständnis von Krankheiten zu vertiefen und neue Produkte zu entwickeln, die unerfüllte gesundheitliche Bedürfnisse befriedigen. Unsere Leidenschaft gilt der Erforschung neuer Methoden, um das Leben zu verbessern und zu verlängern.

Novartis Pharma GmbH · Roonstraße 25 · 90429 Nürnberg · www.novartis.de


Foto: BrigitH/ pixelio.de

EDITORIAL INHALT 4

NRW-Koalition packt an Mit großem Elan geht die neue CDU/ FDP-Koalition in Düsseldorf ans Werk. Die junge Abgeordnete Angela Erwin berichtet von den ersten Monaten im Parlament

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Schlagen Frauenherzen anders? Schaut man sich die Todesursachen in Europa an, so versterben Frauen häufiger an kardiovaskulären Erkrankungen als Männer, haben unsere Autoren Ingrid Kindermann und Georgios Kararigas festgestellt

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Sprechertagung Unter dem Vorsitz von Gottfried Ludewig treffen sich regelmäßig die gesundheitspolitischen Sprecher der Unions-Landtagsfraktionen

10 Regionen ignorieren G-BA Regionale Regelungen erschweren die ärztliche Verordnung geprüfter Arzneimittel. Eine Vielzahl der Instrumente zur Steuerung der Arzneimittelversorgung ignoriert G-BA Beschlüsse, kritisiert unsere Autorin Stefanie Beck

EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, in wenigen Tagen wissen wir, wer den Auftrag zur Bildung einer neuen Bundesregierung vom Wähler erhalten wird. Ob das dann wohl die von der Union bevorzugte christlichliberale Koalition wird, muss sich noch zeigen. Bis zur letzten Minute werden alle Parteien für ein möglichst gutes eigenes Ergebnis werben. Wünschenswert wäre es, wenn extreme Parteien es nicht ins Parlament schafften. Aber auch das hält unser Parlament aus. Entscheidend ist, dass die gewählten Abgeordneten des 19. Bundestages ihr Mandat im Sinne der Bevölkerung, wie es in einem Kunstwerk am Reichstagsgebäude zutreffend heißt, ausüben. Die Bevölkerung, das ist mehr, als das „Volk“, das die Preußen am Reichstag montierten. Denn: Deutschland ist auch mehr als diejenigen, die einen deutschen Pass haben oder für immer hier leben. Deutsch-

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land ist ein weltoffenes, gastfreundliches, liberales Land. Das folgt aus unserer jüdischchristlichen Tradition. Und das ist auch der Grund, warum wir in der ganzen Welt – mittlerweile mehr als die USA – als Land der Hoffnung und Träume gesehen werden. Seien wir stolz darauf. Arbeiten wir Demokraten gemeinsam daran, dass unser Land auch in Zukunft seine Liebenswürdigkeit und Lebensfreude behält!

Die meisten Menschen erleben ihr eigenes Verhalten als Reaktion auf äußere Reize. Diesen Effekt macht sich die Systemische Therapie (ST), das derzeit dynamischste Psychotherapieverfahren, zunutze. Näheres erklärt Kerstin Dittrich in ihrem Beitrag

14 Der CDU-General zur Wahl Peter Taubers Schlussappell: Unsere Kampagne „Ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ ist für uns nicht nur Momentaufnahme, sondern Auftrag. Wir wollen unseren Beitrag dafür leisten, dass Deutschland lebenswert und liebenswert bleibt

16 Zufrieden mit der PKV Die Zufriedenheit der Deutschen mit dem Gesundheitssystem erreicht historische Höchstwerte. So kam das Allensbach-Institut soeben zu dem Ergebnis, dass über 90 Prozent mit ihrer Krankenversicherung zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. Warum, das erläutert PKV-Verbandschef Volker Leienbach

18 Politische Forderungen Die wichtigsten politischen Forderungen und Erwartungen der Ärzteschaft formuliert der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Wolfgang-Axel Dryden in einem Beitrag für am puls

20 Homöopathie Die Homöopathie steht häufig stellvertretend für den Bereich der integrativen Medizin in der Kritik, bedauert Cornelia Bajic und setzt ihren Standpunkt überzeugend dagegen

24 Zeitgemäßer Spielerschutz Ziel des Glücksspielstaatsvertrags ist es, Spielsucht zu bekämpfen, Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete, kontrollierte Bahnen zu lenken. Genau dem werden die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer derzeit aber nicht gerecht, meint unser Autor Achim Hoffmann

Tim A. Küsters Chefredakteur

26 Kolumne Hier schreibt unser Kolumnist Gottfried Ludewig

26 Impressum

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NRW-KOALITION

Die NRW-Koalition steht hinter der Polizei und stärkt den Beamtinnen und Beamten den Rücken

NRW-Koalition packt Herausforderung an Mehr Sicherheit, bessere Bildung und eine stärkere Wirtschaft Von Angela Erwin, MdL

Seit dem 27. Juni hat Nordrhein-Westfalen mit Armin Laschet einen neuen Ministerpräsidenten. Der Koalitionsvertrag der neuen NRW-Koalition, ist geprägt von den Herausforderungen, vor denen die Landespolitik zukünftig steht. Innere Sicherheit, gute Bildungspolitik, Wirtschaftswachstum und weniger Staus auf den Straßen. Diese Themen haben die Menschen im Wahlkampf besonders bewegt. Auch wenn bereits kurz nach der Wahl die parlamentarische Sommerpause begonnen hat, die die Abgeordneten vor allem dafür nutzen, mit den Menschen in ihrem Wahlkreis ins Gespräch zu kommen, hat die Koalition gemeinsam mit der neuen Landesregierung bereits erste Initiativen ergriffen, um den Erwartungen der Wählerinnen und Wähler gerecht zu

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werden und NRW wieder an die Spitze der deutschen Bundesländer zu führen. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ist insbesondere ein Neustart in der Wirtschaftspolitik von Nöten. Deshalb wurden als erste Maßnahmen die Erarbeitung einer Strategie zur Entbürokratisierung der Unternehmer und zur Förderung von StartUps beschlossen. Zu nennen ist vor allem die viel kritisierte Hygieneampel, die viele Betriebe unnötig mit bürokratischem Aufwand belastet und nun im Landtag wieder abgeschafft werden wird. CDU und FDP werden dafür sorgen, dass Unternehmen mit ihren Investitionen nicht weiter einen Bogen um NRW machen, sondern die Voraussetzungen haben, sich im Land niederzulassen

und zu entwickeln und Arbeitskräfte vor Ort zu schaffen. Neben dem Bürokratieabbau sind vor allem Infrastrukturmaßnahmen im Verkehr, aber auch im digitalen Bereich zu nennen, die dringender denn je erfolgen müssen. Hier heißt es nun: Ärmel hochkrempeln. Eines der wichtigsten Aufgabenfelder der Zukunft ist die Bildung und Ausbildung unserer Kinder. Die überhastete Inklusion, deren Umsetzung zuweilen dem Prinzip Brechstange entsprach, hat an den Schulen teils chaotische Zustände hinterlassen. Aus diesem Grund haben wir unmittelbar nach der Wahl Wort gehalten und ein Moratorium auf den Prozess des Schließens der Förderschulen gesetzt. Kinder mit Behinderung und


NRW-KOALITION ihre Eltern können sich so sicher sein, dass ihr Kind eine individuelle Förderung und Betreuung erhält und zudem genügend Zeit bleibt, die Inklusion mit Augenmaß und zum Wohle aller Beteiligten vorzubereiten. Damit entspricht die Landesregierung auch den Hilferufen vieler Schulen. Bildungspolitisch wird auch ein weiteres Thema die nächsten Jahre prägen. Die Vorbereitungen zu einer Rückkehr zu einem Abitur nach 13 Jahren Schule (G9) laufen bereits auf Hochtouren. Hierfür soll das Land eine Leitentscheidung treffen, die zwar den Schulen ausnahmsweise auch die Möglichkeit eröffnet, bei G8 zu bleiben, jedoch im Großen und Ganzen den Schülerinnen und Schülern wieder mehr Zeit zum Lernen gibt. Auch dies entspricht dem Willen vieler Eltern, Schüler und Lehrer, die sich hierfür stark gemacht haben. Ihnen wollen wir mehr zuhören, um dann entschieden zu handeln. Die Landesregierung löst zudem ihr Versprechen gegenüber der kommunalen Familie ein, die Gelder für Investitionen in die Kinderbetreuung nach einem transparenten Verfahren zu verteilen. So erhält etwa die Landeshauptstadt Düsseldorf Fördermittel in Höhe von 9.132.754 Euro. Damit können die Jugendämter den Platzausbau der Kindertageseinrichtungen für Kinder von null Jahren bis zum Schuleintritt angehen. Das wird den individuellen Bedürfnissen der Eltern gerecht. Auch die Erhöhung der Förderhöchstbeträge ist ein wichtiger Schritt, der den Einrichtungen und damit ganz konkret den Kindern zugutekommen wird. Auch im Bereich der Inneren Sicherheit, sind die ersten Anträge beschlossen worden. Zur Aufklärung des Behördenversagens im Fall des Attentäters vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, wurde der mit Ablauf der letzten Legislaturperiode automatisch auslaufende Untersuchungsausschuss wiedereingesetzt. Zudem geht eine Initiative von NRW

aus, dass im Bundesrat die sog. Maghreb-Staaten (Algerien, Marokko, Tunesien) als sichere Herkunftsländer eingestuft. Insbesondere die alte rot-grüne Landesregierung hatte diesen notwendigen Schritt immer wieder blockiert. Nach den schweren Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg ist eines erneut deutlich geworden: Die Polizisten, die ihre Gesundheit für unsere Sicherheit Tag für Tag einsetzten, verdienen unseren Respekt. Deshalb haben wir eine zusätzliche Kennzeichnungspflicht für die Beamten abgeschafft, die in den Augen vieler die Polizisten unter Generalverdacht gestellt hat. Die NRW-Koalition steht hinter der Polizei und stärkt den Beamtinnen und Beamten den Rücken. Neben diesen sehr konkreten ersten Maßnahmen wurde die im Zuge des Wahlkampfs versprochene „BosbachKommission“ gebildet. Der bekannte CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach wird gemeinsam mit weiteren Experten eine Analyse der Probleme der Inneren Sicherheit sowie deren Evaluierung vornehmen und im Anschluss daran Empfehlungen für einen Neuaufbau der gesamten nordrhein-westfälischen Sicherheitsarchitektur abgeben. Hooligan-Krawalle, Kölner Silvesternach und der Fall Amri- zu verschiedenen Anlässen konnten wir in der Vergangenheit feststellen, dass es neue Konzepte in Sicherheitsbereich und der Strafverfolgung benötigt. Die Aufgabe der kommenden Jahre wird es sein, NRW zukunftsfest zu gestalten. Sich immer verändernde Umstände in einer globalisierten Welt erfordern eine kluge Politik- nicht nur im Bund, sondern auch im Land. Wichtige Politikfelder, wie die Sicherheit der Bevölkerung, die Bildung unserer Kinder und vieles mehr, liegen in unserem föderalen System im Verantwortungsbereich der Bundesländer. Dringend benötigen wir mehr Polizisten auf der Straße und eine modernere Ausstattung

für die Polizei. Wir benötigen mehr Lehrer, die für weniger Unterrichtsausfall sorgen. Auf Investitionen in unsere Infrastruktur wird es in den nächsten Jahren ebenso ankommen. Auch den Auswirkungen der Digitalisierung müssen wir uns endlich stellen. Sie bietet große Chancen für die Wirtschaft, aber auch im Bereich der Verwaltung. Die Koalition setzt sich daher für einen Ausbau des sog. E-Government ein. Ziel ist es dabei, dass Leben der Menschen zu vereinfachen, indem Zeit für Behördengänge eingespart wird, die auch online erledigt werden können. Klar ist jedoch auch: Diese Aufgaben benötigen finanzielle Mittel und erfordern eine genaue Analyse des Haushalts. Erst nach der genauen Durchsicht werden wir entscheiden können, welche Maßnahmen, in welchem Umfang, wie schnell umgesetzt werden können. Hier drücken wir aufs Tempo. Die NRW-Koalition hat sich eine Menge vorgenommen. Nach den fünf Jahren soll das Land stärker dastehen als vor der Wahl. Hier werden wir liefern!

ANGELA ERWIN

Angela Erwin, geboren am 30.5.1980/Düsseldorf; verheiratet. Seit 2017 Abgeordnete des Landtags NRW (CDU); rechtspolitische Sprecherin, Mitglied im Innen- und Wirtschaftsausschuss; zudem stv. Vorsitzende der CDU Düsseldorf

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Schlagen Frauenherzen anders? –

Gendergerechte Versorgung am Beispiel der Herzinsuffizienz

Schaut man sich die Todesursachen in Europa an, so versterben Frauen häufiger an kardiovaskulären Erkrankungen als Männer. Besonders jüngere Frauen sterben häufiger an einem Herzinfarkt als Männer

Von Priv.Doz. Dr. med. Ingrid Kindermann1, Prof. Dr. Georgios Kararigas2

„Männer sterben in der Regel am Herzinfarkt, Frauen an Krebs.“ Dies ist eine häufige Antwort auf die Frage an die deutsche Bevölkerung, woran Frauen und Männer in unserem Land versterben. Diese Antwort ist falsch, denn auch bei Frauen ist laut des Statistischen Bundesamtes wie bei Männern die häufigste Todesursache eine Durchblutungsstörung des Herzmuskels (chronisch-ischämische Herzkrankheit). Schaut man sich die Todesursachen in Europa an, so versterben Frauen häufiger an kardiovaskulären Erkrankungen als Männer. Besonders jüngere Frauen sterben häufiger an einem Herzinfarkt als Männer. Was sind die Gründe dafür? Ein Grund

dafür ist die unterschiedliche Symptomatik, die sich bei Männern bzw. Frauen mit einem akuten Infarkt zeigen. Frauen beschreiben häufiger atypische Symptome wie z. B. Schmerzen im Oberbauch oder Rücken, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit. Männer dagegen schildern häufiger die klassischen Symptome eines Herzinfarktes wie einen brennenden Druckschmerz hinter der Brust mit Ausstrahlung in den Hals oder in die Arme (Angina pectoris) sowie Todesangst begleitet mit Schweißausbruch. Aufgrund dessen werden die Symptome bei Patientinnen weniger häufig von den behandelnden Ärzten als Hinweis auf einen Herzinfarkt wahrgenommen als bei männlichen Patienten. Auch die spezifische Diagnostik wie z. B. die Durchführung einer EKG-Untersuchung oder einer Echokardiographie erfolgt bei

Frauen meist später als bei Männern. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass sich Frauen aufgrund ihrer Beschwerden meist später beim Hausarzt bzw. in der Klinik vorstellen als Männer, was gerade bei Patientinnen mit akutem Herzinfarkt von großer Bedeutung ist und eine ungünstige Prognose nach sich zieht. Auch die Risikofaktoren, die zur Entwicklung einer Arteriosklerose der Herzkranzgefäße (Koronare Herzerkrankung) und im weiteren Verlauf bei Verschluss des Herzkranzgefäßes zum Herzinfarkt führt, sind bei Männern und Frauen unterschiedlich. Ein Diabetes fördert bei Frauen stärker die Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung als bei Männern und erhöht bei Frauen das Risiko für das Auftreten einer Herz-Kreislauferkrankung um das Fünf- bis Sieben-

1 Universitätsklinikum des Saarlandes, Klinik für Innere Medizin III (Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin), Homburg/Saar 2 Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Geschlechterforschung in der Medizin und DZHK (German Centre for Cardiovascular Research), partner site Berlin

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FRAUENHERZEN


fache (bei Männern um das Drei- bis Vierfache). Einen weiteren wichtigen Risikofaktor stellt das Rauchen dar. Bedauernswerter Weise ist anzumerken, dass in Europa immer mehr junge Frauen rauchen. Auch der Stress spielt eine große Rolle bei der Entwicklung einer Koronaren Herzerkrankung. In einer großen internationalen Studie mit über 10.000 Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten haben (INTERHEART Studie, Lancet 2004) konnte nachgewiesen werden, dass psychosoziale Faktoren wie z.B. eine bestehende Depression sowie beruflicher, privater und finanzieller Stress an jedem dritten Herzinfarkt mitbeteiligt sind. Der Risikofaktor Stress ist somit vergleichbar mit anderen kardialen Risikofaktoren wie Rauchen oder eine bestehende Fettstoffwechselstörung. In der heutigen Zeit sind Frauen sehr häufig durch Doppelbelastungen wie Berufstätigkeit sowie Versorgung der Familie extremen Stresssituationen ausgesetzt. Dies führt unter anderem zu einer Erhöhung des Blutdrucks, zur Aktivierung des Gerinnungssystems als auch zur Entwicklung einer Depression, was ebenfalls die Entstehung einer koronaren Herzerkrankung als auch einer Herzschwäche begünstigt. Eine typische „Frauenkrankheit“ stellt das Broken-Heart-Syndrom (auch Stresskardiomyopathie oder Tako-Tsubo-Syndrom) dar. Es handelt sich hier um eine akute und lebensbedrohliche Erkrankung, die dem klinischen Bild eines Herzinfarktes sehr ähnelt. Diese Erkrankung tritt in über 90 % der Fälle bei Frauen auf, häufig nach der Menopause. Sie wird vor allen Dingen durch extremen emotionalen Stress wie z.B. Verlust des Lebenspartners, Verlust des Arbeitsplatzes oder starke finanzielle Probleme ausgelöst. Die betroffenen Patientinnen beklagen starke Schmerzen im Brustbereich. Im EKG zeigen sich Veränderungen wie bei einem akuten Herzinfarkt. Wird dann eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, zeigen sich die Kranzgefäße frei ohne Stenosen. Auffällig jedoch ist ein Verlust der Pumpfunktion im mittleren Bereich der linken

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FRAUENHERZEN

Bei der Therapie von Herzerkrankungen gibt es genderspezifische Unterschiede

Herzkammer sowie an der Herzspitze (Ballooning). Diese Pumpfunktionsstörung erholt sich dann typischerweise sehr oft nach einer erfolgten Behandlung. Als Folge eines Herzinfarktes, aber auch z.B. nach stattgehabter Herzmuskelentzündung oder in seltenen Fällen am Ende bzw. nach einer Schwangerschaft kann sich eine Herzschwäche (Herzinsuffizienz) mit eingeschränkter Pumpfunktion des Herzmuskels entwickeln (systolische Herzinsuffizienz). Dies führt zu den typischen Symptomen wie z.B. Luftnot oder Wassereinlagerungen an den Unterschenkeln (Ödeme). Bei älteren Frauen mit Bluthochdruck zeigt sich dagegen häufig die gleiche Symptomatik bei jedoch normaler Pumpfunktion. Oftmals ist bei diesen Patientinnen der Herzmuskel durch die jahrelang bestehenden hohen Blutdruckwerte verdickt. Durch diese Herzmuskelverdickung ist die Füllung des Herzmuskels in der Entspannungsphase des Herzens (Diastole) verringert und führt ebenfalls zu den typischen Symptomen einer Herzinsuffizienz. Die molekularen Faktoren, die zur dieser Form der diastolischen Herzschwäche führen, sind im Gegensatz zur systolischen Herzinsuffizienz kaum bekannt. Auch hinsichtlich Rhythmusstörungen gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Während der plötzliche Herz-

tod aufgrund von Durchblutungsstörungen überwiegend Männer betrifft, zeigen Frauen häufiger angeborene Erkrankungen, die zu Arrhythmien führen (z.B. Long-QT-Syndrom). Auch führen manche Medikamente häufiger bei Frauen zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen. Das Schlaganfallrisiko ist ebenfalls bei Frauen mit Vorhofflimmern größer als bei Männern. Desweiteren gibt es auch bei der Therapie von Herzerkrankungen genderspezifische Unterschiede. So treten Arzneimittelnebenwirkungen bei Frauen insgesamt häufiger auf als bei Männern. Biologische Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern (z.B. bedingt durch die Sexualhormone) führen zu einer unterschiedlichen Resorption des Arzneimittels. Auch die Verstoffwechselung der Medikamente und Ausscheidung durch die Niere oder den Darm ist bei Männern und Frauen unterschiedlich. Medikamentenspiegel werden unter anderem auch durch unterschiedliche Verteilungsvolumina bzw. durch das Körpergewicht beeinflusst. Nur bei wenigen Medikamenten wird eine gewichtsadaptierte Dosisempfehlung angegeben, die durch Spiegelbestimmungen kontrolliert werden kann. Trotz der biologischen Geschlechtsunterschiede wurden bisher in den kardiovaskulären Therapiestudien überwiegend

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FRAUENHERZEN Männer eingeschlossen. Der Anteil der Frauen z. B. in großen HerzinsuffizienzStudien lag maximal bei 40 %. Neben der medikamentösen Therapie zeigen sich auch bei der Versorgung mit Devices wie z.B. einem Herzschrittmacher oder einem Defibrillator (Automatic Implantable Cardioverter Defibrillator, AICD) geschlechtsspezifische Unterschiede: Frauen erhalten seltener einen biventrikulären Schrittmacher als auch einen AICD in der Therapie der Herzinsuffizienz als Männer. Desweiteren werden bei Patientinnen mit Herzschwäche im Endstadium seltener Herzunterstützungssysteme, sogenannte Assist-Devices („Kunstherzen“), implantiert. Diese schwerstkranken Patientinnen werden ebenfalls seltener zur Herztransplantation angemeldet und auch transplantiert. Aber nicht nur bei der Therapie von kardiovaskulären Erkrankungen gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern; auch bei der ärztlichen Versorgung.

INGRID KINDERMANN

So konnte in einer Studie gezeigt werden, dass auch das Geschlecht des behandelnden Arztes einen Einfluss auf die Therapie des Patienten hat. Ärztinnen behandelten hier Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz hinsichtlich der medikamentösen Therapie leitliniengerechter mit höheren Dosen als männliche Kollegen. Während weibliche Ärzte Männer und Frauen hinsichtlich des Einsatzes und der Dosierung von Medikamenten gleich behandelten, zeigte sich bei männlichen Ärzten eine häufigere Verschreibung und höhere Dosierung von Medikamenten bei männlichen Patienten. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass es bezüglich der Entwicklung und Symptomatik von Herzerkrankungen durchaus Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. Auch bei der Behandlung von Herzerkrankungen sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern bekannt und zu bedenken. Diese Erkenntnisse von Geschlechtsunterschieden bei kardiovaskulären Erkrankungen sollten in der Diagnostik und Therapie von Patientinnen berücksichtigt werden.

GEORGIOS KARARIGAS

Interview mit Karin Maag, MdB Frau Maag, Sie hatten bei der Veranstaltung „Frauenherzen schlagen anders“, die vor einiger Zeit stattfand, die Schirmherrschaft übernommen. Was waren Ihre Beweggründe dafür? Das Thema Frauengesundheit beschäftigt mich schon länger. Dabei geht es meist um frauenspezifische Erkrankungen wie Brustkrebs, den Abbau von Benachteiligungen in vorhandenen Strukturen oder den Schutz des Rechts auf Intimität, z. B. bei der Pflege. Neu war für mich, dass die Besonderheiten in der Gesundheitsversorgung von Männern und Frauen im Versorgungsalltag noch nicht die notwendige Berücksichtigung finden. Mir war vor allem nicht klar, dass es schon bei der Diagnose von Krankheiten, wie hier bei der Herzinsuffizienz, solche eklatanten Mängel gibt. Welche Erkenntnis haben Sie daraus gezogen? Genauer hinzuschauen, andere darauf aufmerksam zu machen und bei der Ausgestaltung unserer Gesundheitspolitik die geschlechterspezifischen Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung zu berücksichtigen.

Priv. Doz. Dr. med. Ingrid Kindermann leitet die Spezialambulanz für Herzinsuffizienz am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar, in der besonders schwerkranke Patienten behandelt werden. Als Leiterin des Klinischen Studienzentrums beschäftigt sie sich auch wissenschaftlich im Rahmen von großen nationalen und internationalen Therapiestudien mit dem Thema Herzinsuffizienz und Herzmuskelentzündung (Myokarditis). Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Psychokardiologie. Hier liegt insbesondere das Zusammenspiel von Herz und Psyche im Fokus der wissenschaftlichen Untersuchungen, die in Kooperation mit Psychologen der Klinik durchgeführt werden

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Prof. Dr. Georgios Kararigas hat eine DZHK-Professur für Translationale Geschlechterforschung mit Schwerpunkt Herzinsuffizienz am Institut für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité - Universitätsmedizin Berlin inne. Seine Hauptforschungsschwerpunkte umfassen die Mechanismen der Geschlechtsunterschiede in der kardiovaskulären (Patho-) Physiologie, hormonelle Wirkungen im Herzen, sowie Genexpression und Regulation. Sein Ziel ist die Entwicklung neuer Therapien für Herzinsuffizien

Wie kann Politik hier zukünftig unterstützen? Es gibt mehrere Bereiche, in denen die Politik unterstützen kann. Die Curricula der Medizinstudiengänge könnten das Thema besser abbilden. In passenden Forschungsvorhaben sollten geschlechtsspezifische Besonderheiten regelhaft überprüft werden. Es gilt z.B. auch die Besonderheiten bei der Versorgungsforschung zu berücksichtigen. Der Innovationsfonds könnte hier wertvolle Unterstützung leisten. Ganz generell tun mehr Frauen in der Medizin und insbesondere in Leitungsfunktionen diesem Thema gut.


SPRECHERTAGUNG

Tagung der gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen in Berlin „Der Patient im Mittelpunkt“ – unter dieser Maßgabe formulierten die gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/ CSU-Landtagsfraktionen bei ihrer gemeinsamen Tagung in Berlin ihre Forderungen und Lösungsvorschläge an alle Akteure des Gesundheitswesens. Ein Überblick aus der „Berliner Erklärung 2017“. Ärztliche Versorgung im ländlichen Raum stärken Um die medizinische Versorgung in der Fläche sicherzustellen, benötigen wir bis zum Jahr 2030 über 4.800 Ärzte; in ländlichen Regionen vor allem Hausärzte. Ein starker Anreiz ist eine bessere Entlohnung. Unsere Forderung: Gleiche Leistungen im ambulanten und stationären Sektor sollen gleich vergütet werden. Gleichzeitig setzen wir uns Förderprogramme der Bundesländer ein, die Hausund Fachärzte im ländlichen Raum finanziell unterstützen. Deutschland braucht mehr Medizinstudenten Wir unterstützen den Masterplan Medizinstudium 2020 von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Die Stärkung der Allgemeinmedizin im Curriculum des Medizinstudiums, Initiativen der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Ländern zur besseren Kooperation zwischen medizinischen Fakultäten und akademischen Lehrkrankenhäusern sowie die Einführung bundeseinheitlicher Auswahlkriterien – Sozialkompetenz und Eigenmotivation der Bewerber – für die Studienplatzvergabe sind wichtige Schritte, um mehr junge Menschen in den Arztberuf zu bringen

Notfallversorgung flächendeckend sicherstellen, ambulante Versorgung ausbauen Die Rettungsstellen in Krankenhäusern klagen seit Jahren über Überlastung. Eine Entlastung bringen Portalpraxen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen ihren Ausbau stärker vorantreiben, die Selbstverwaltung ist gefordert die Vergütungsregln der Portalpraxen permanent anzupassen, als gesundheitspolitische Sprecher setzen wir uns für eine bessere finanzielle Förderung der Portalpraxen ein. Digitale Notfallversorgung vorantreiben Ergänzend fordern wir, verstärkt Pilotprojekte mit zertifizierten Notfalll-Apps (Vorbilder sind bspw. „SOS“ der Vereinten Hatzalah Freiwilligen Notfalldienste aus Israel) in den Bundesländern durchzuführen. Diese digitalen Angebote beschleunigen die Erstversorgung enorm und können langfristig die Notfallversorgung ergänzen. Ganz wichtig ist aber: Wir brauchen ein bundesweites DefiKataster. AEDs helfen nur, wenn sie im Notfall gefunden werden. Entlassmanagement verbessern, Patientenwohl stärken Wir möchten, dass der Austausch unter Ärzten künftig noch schneller und unkomplizierter funktioniert. Der erfolgreiche Test der elektronischen Gesundheitskarte hat gezeigt: Kommunikationsprozesse können digital, standardisiert und auf sicherem Weg erfolgen (Zugriff auf die Krankenhausakte, Mediaktionsplan, Zweitdiagnose).

Individuelle Betreuung vor Ort verbessern Gerade bei älteren Menschen stärkt im Krankheitsfall ein persönlicher Ansprechpartner das subjektive Sicherheitsempfinden. Deshalb unterstützen wir die Positionierung des „Bundesfachausschuss Gesundheit und Pflege“ der CDU Deutschlands: Spezifische ärztliche Leistungen sollen in Zukunft vermehrt an qualifizierte nicht-ärztliche Fachkräfte delegiert werden können. Dazu fordern wir eine stärkere Umsetzung von Projekten wie das „Agnes Zwei“-Programm der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg gemeinsam mit den regionalen Krankenkassen.

GOTTFRIED LUDEWIG

Dr. Gottfried Ludewig ist seit 2011 gesundheitspolitischer Sprecher, seit 2014 auch stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Zudem verantwortet er seit 2015 als Koordinator den Austausch der gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/ CSU-Landtagsfraktionen. Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in Berlin und Rom promovierte er im Bereich Gesundheitsökonomik

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ARZNEIMITTELREGULIERUNG

Widersprüche in der Arzneimittelregulierung –

Die Regionen ignorieren den G-BA

Eine Vielzahl der Instrumente zur Steuerung der Arzneimittelversorgung ignoriert G-BA Beschlüsse und begibt sich damit in scharfen Widerspruch zur Arzneimittelrichtlinie

Von Stefanie Beck 2010 wurde mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) in Deutschland die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen geschaffen. Seither bewertet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) alle neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen. Er stellt fest, ob ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie als belegt angenommen werden kann. Die Ergebnisse finden Eingang in die Arzneimittel-

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richtlinie nach §92 SGB V, die bundesweit gilt. Im G-BA Beschluss wird differenziert dargelegt, welches Ausmaß und welche Wahrscheinlichkeit der Zusatznutzen hat, und für welche Patientengruppen und –zahlen er gilt. Das Ergebnis ist die Grundlage für Verhandlungen zum Erstattungsbetrag, der nach zwölf Monaten von der GKV für ein neues Medikament bezahlt wird. Neben der Ausgabensenkung war es zweites erklärtes Ziel des Gesetzgebers, Patienten in Deutschland geprüfte Innovationen in

der Arzneimitteltherapie weiterhin schnell zugänglich zu machen. Hat der G-BA ein gutes Zeugnis ausgestellt, sollte die neue Arzneimitteltherapie dann auch in der Versorgung der Patienten ankommen. Dies ist aber oftmals deshalb nicht der Fall, weil regionale Regelungen die ärztliche Verordnung der geprüften Arzneimittel erschweren. Eine Vielzahl dieser Instrumente zur Steuerung der Arzneimittelversorgung ignoriert G-BA Beschlüsse und begibt sich damit in scharfen Widerspruch zur Arzneimittelrichtlinie. Zwei typische Beispiele: zunächst die Arzneimittelvereinbarung in Baden-Württemberg für 2017. Sie schreibt für neue Antidiabetika, hier die sog. „GLP-1-Analoga“ sowie „SGLT2 Hemmer“, als Zielvereinbarung eine Quote von unter 3% auf Defined Daily Dose (DDD)-Basis vor. Aus den DDD lassen sich recht einfach die Patientenzahlen ermitteln. Unter die 3% Quote fallen mehrere Arzneimittel mit Zusatznutzen wie Empagliflozin, Dulaglutid und Albiglutid. Nur maximal 3% der DiabetesPatienten in Baden-Württemberg sollen mit AMNOG-geprüften Arzneimitteln mit Zusatznutzen behandelt werden. Da zur Gruppe der „Drei Prozent Arzneimittel“ außer den drei genannten noch weitere zählen, ist die reale Quote noch kleiner. Der G-BA hat jedoch bei Empagliflozin einen beträchtlichen Zusatznutzen für deutlich höhere Patientenzahlen festgestellt, nämlich für Diabetiker, die gleichzeitig herzkrank sind. Knapp 10% der Diabetes II Patienten in Baden-Württemberg könnten vom beträchtlichen Zusatznutzen des Medikaments profitieren. Nach der 3%-Arzneimittelvereinbarung wird also zwei Dritteln der infrage kommenden Patienten der belegte therapeutische Fortschritt verweigert. Ein weiteres Beispiel ist die Arzneimittelvereinbarung KV Brandenburg für 2017. Nach der Arzneimittelvereinbarung gilt es für Vertragsärzte in verschiedenen Wirkstoffgruppen DDD-Mindestziele an Generika bzw. Leitsubstanzen zu erreichen. Beschlüsse des G-BA zum Zusatznutzen von Arzneimitteln blieben auch hier unberücksichtigt. So gilt beispielsweise bei Trombozytenaggregationshemmern ein „fachgruppenübergreifendes“ brandenburgisches


Nach der 3%-Arzneimittelvereinbarung wird also zwei Dritteln der infrage kommenden Patienten der belegte therapeutische Fortschritt verweigert

Verordnungsziel: 95,5% Generika. Demgegenüber hat der G-BA bereits 2011 einen beträchtlichen Zusatznutzen von Ticagrelor plus ASS gegenüber dem generischen Clopidogrel plus ASS festgestellt. Wertet man die G-BA Beschlüsse aus, so könnten rund 10% von allen mit Trombozytenaggregationshemmern behandelten Patienten vom beträchtlichen Zusatznutzen (u.a. erhebliche Senkung der Mortalität ggü. der Vergleichstherapie) profitieren. Nach dem Willen der Vereinbarungspartner in Brandenburg sollen aber mit max. 4,5% weniger als die Hälfte der geeigne-

ten Patienten in den Genuss dieses therapeutischen Fortschritts kommen.

STEFANIE BECK

STEFAN SAUER

Das steht nicht nur im Widerspruch zum bundesweit geltenden Recht – Arzneimittelrichtlinie des G-BA – sondern geht aufgrund der hingenommenen höheren Sterblichkeit bei der verlangten Anwendung unterlegenen Therapien auch ganz schlicht zu Lasten der Patienten. Notwendig ist dringend eine gesetzliche Klarstellung, dass die G-BA Beschlüsse auch in den KV-Regionen zu beachten sind: „dieses Gesetz gilt wirklich…!“

Eins, zwei, drei. Dabei! Dr. Stefan Sauer, ist seit 2008 Head Health Care Management bei Novartis

Spendenkonto (IBAN): DE 48 4805 0161 0000 0040 77, BIC: SPBIDE3BXXX, Stichwort »Kinder« Online spenden unter www.spenden-bethel.de 299

Dr. Stefanie Beck, Senior Consultant, Bis 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen mit Forschungsschwerpunkten in Gesundheitspolitik und Lobbyismus im Gesundheitswesen, Diplomvolkswirtin, heute: Beraterin im Gesundheitswesen, Lehrbeauftragte in Berlin und Göttingen

Bitte unterstützen Sie unsere Hilfen für kranke, behinderte und vernachlässigte Kinder. Vielen Dank.

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SYSTEMISCHE THERAPIE

Systemische Therapie auf dem Weg ins Gesundheitswesen

Therapeutischer Ansatzpunkt ist bei der Systemischen Therapie die Reaktionen von Menschen aufeinander

Von Kerstin Dittrich

Erinnern Sie sich daran – vorausgesetzt natürlich, dass so etwas bei Ihnen überhaupt vorkommen kann – wie Sie sich das letzte Mal im Ton vergriffen haben? Vielleicht in einem ungeduldigen Moment mit Ihren Kindern, einem Kollegen, oder vielleicht auch nur gegenüber einem Sonntagsfahrer im Straßenverkehr? Was war eigentlich der Grund dafür? Möglicherweise haben Sie zwar ein bisschen stark reagiert, aber vermutlich sind Sie auch provoziert worden. Hätte Ihr Gegenüber sich vernünftig benommen, wäre es nicht so weit gekommen. Oder? So geht es jedenfalls den meisten Men-

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schen – sie erleben ihr eigenes Verhalten als Reaktion auf äußere Reize. Diesen Effekt macht sich Systemische Therapie (ST), das derzeit dynamischste Psychotherapieverfahren, zunutze. Therapeutischer Ansatzpunkt ist bei ST die Reaktionen von Menschen aufeinander. Menschliches Verhalten ist (reale oder gedankliche) Interaktion. Psychische Gesundheit und Krankheit eines Menschen stehen in enger Wechselwirkung mit ihrem sozialen Umfeld. ST eignet sich deswegen besonders, um mit Familien oder Paaren zu arbeiten. Längst hat sich aber auch die systemische Arbeit mit Einzelpersonen etabliert. Für viele Patienten ist diese Art, therapeutisch zu arbeiten besonders hilfreich. ST muss bislang aber auf Privatpraxen und den stationä-

ren Bereich beschränkt werden, denn als ambulantes Psychotherapieverfahren ist sie in Deutschland nicht zugelassen. Dies könnte sich nun bald ändern. Der Leistungskatalog der GKV wird bekanntlich im G-BA ausgehandelt. Für Psychotherapie ist, im Unterschied zu anderen medizinischen Leistungen, ein doppeltes Zulassungsverfahren vorgesehen: Über die Aufnahme von psychotherapeutischen Innovationen diskutiert der G-BA nur, wenn zuvor bereits ein externes Gremium (der „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“, WBP), deren Innovationscharakter und Wirksamkeit bestätigt hat. Erst danach wird der G-BA tätig.


SYSTEMISCHE THERAPIE Vom WBP wurde Systemische Therapie bereits 2008 empfohlen. Der G-BA hat fünf Jahre später begonnen, den Ball aufzunehmen und ein Zulassungsverfahren einzuleiten, zunächst schrittweise nur als Psychotherapieverfahren für Erwachsene. Vom G-BA wurde der Ball dann ans IQWiG weitergespielt, das eine wissenschaftliche Expertise zu ST erstellte. Damit wurde zwar im Prinzip die Arbeit des WBP wiederholt, immerhin konnten so aber neueste Forschungsdaten berücksichtigt werden. Dieser Abschlussbericht des IQWiG ist seit wenigen Wochen öffentlich und bestätigt erneut die Wirksamkeit von Systemischer Psychotherapie. Besondere gute Wirksamkeitsnachweise bescheinigt das IQWiG der ST bei der Behandlung von Angstund Zwangsstörungen sowie Schizophrenie; außerdem bei Depressionen, Sucht- und Essstörungen und psychosomatischen Erkrankungen. Beklagt wird allerdings, dass keine abschließende Nutzen-Schaden-Abwägung vorgenommen werden kann, wie sie bei der Beurteilung von Arzneimitteln üblich und sinnvoll ist. Grund hierfür ist, dass in psychotherapeutischen Wirksamkeitsstudien bislang kaum Nebenwirkungen erhoben werden. Hier zeigt sich ein Grundsatzproblem bei der Einbettung von Psychotherapie ins Gesundheitswesen: Ambulante Psychotherapie wurde 1999 mit dem Psychotherapeutengesetz regulär in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen. Zuvor hatte sich gezeigt, dass vielen psychisch kranken Patienten durch psychotherapeutische Gespräche wirksamer geholfen werden konnte als durch Medikamente. Ambulante Psychotherapie wurde als somatischen Behandlungen in vieler Hinsicht gleichgestelltes Angebot etabliert. Diese weitgehende Gleichstellung machte Deutschland zu einem der weltweit fortschrittlichsten Länder, was die Behandlung von psychisch Kranken anging, und ist zweifellos eine gesundheitspolitische Erfolgsgeschichte. Sie hat unzählige psychisch Kranke und deren Angehörige entlastet, Suizide und Karriereabbrüche verhindert und Familienleben gerettet. Ganz nebenbei hat sich Psychotherapie zu einem Jobmotor und hochattraktiven Berufsfeld für junge Akademiker entwickelt.

Trotzdem ist die Psychotherapie innerhalb des Gesundheitswesens bis heute höherem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt als somatische Medizin. Kritiker hadern mit der (aus ihrer Sicht) mangelnden Abgrenzbarkeit zwischen Psychotherapie und normalen Gesprächen, zwischen unerfreulichen, aber normalen versus pathologischen psychischen Zuständen. Dennoch hat sich – zu Recht – die Sichtweise durchgesetzt, dass die gesellschaftliche Investition in Psychotherapie sinnvoll ist: da Psychotherapie – wie ein Medikament, manchmal besser - Heilung oder Linderung bringt, wurde Psychotherapie wie ein Medikament in die Verwaltungs-, Indikations- und Finanzierungsabläufe des Gesundheitswesens eingegliedert. Diese Einordnung von Psychotherapie als Quasi-Medikament kann aber auch zu weit gehen. Dieses Problem zeigt sich auch im aktuellen IQWiG-Bericht zur ST. Nicht jede Anforderung an die Zulassung von Medikamenten ist sinnvoll auf Psychotherapie übertragbar, denn Psychotherapie ist in vieler Hinsicht schwieriger zu beforschen als pharmazeutische Wirkstoffe. Der aus der Arzneimittelforschung stammende Standard der Doppelverblindung kann beispielsweise von Psychotherapie nicht erfüllt werden. Auch die Wirksamkeit eines chirurgischen Verfahrens würde man schließlich nicht durch Verblindung des Operateurs prüfen. Ebenso ist die Forderung, Nebenwirkungen von Psychotherapie genauso auszuweisen wie bei Arzneimittelstudien, leicht zu stellen, aber nur schwer umzusetzen. Haupt- und Nebenwirkungen sind in der Psychotherapie schwerer unterscheidbar als in der Pharmakologie, seelische Veränderungsprozesse schwerer messbar als körperliche. Wenn psychotherapeutische Innovationen nicht grundsätzlich aus der GKVVersorgung ausgeschlossen werden sollen, führt kein Weg daran vorbei, sachgerechte Standards für Psychotherapieverfahren zu entwickeln. Ist das Gesundheitssystem dafür flexibel genug, kann Systemische Therapie bald auch GKVVersicherten zur Verfügung stehen.

Psychotherapieverfahren Was ist der Unterschied zwischen einzelnen Psychotherapieverfahren? Systemische Therapie, Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Tiefenpsychologie und Gesprächstherapie unterscheiden sich hinsichtlich Menschenbild, Krankheitsmodellen und daraus abgeleiteten Interventionen. Sie weisen aber auch viele Gemeinsamkeiten auf. Obwohl immer wieder diskutiert wird, ob die Trennung zwischen einzelnen Psychotherapieverfahren sinnvoll ist, braucht es unterschiedliche Behandlungsansätze, um unterschiedlichen Patienten gerecht zu werden. Genauso, wie nicht jeder Patient auf jeden pharmazeutischen Wirkstoff gleichermaßen anspricht, passt auch nicht jedes Psychotherapieverfahren gleichermaßen gut zu allen Patienten.

KERSTIN DITTRICH

Dipl. Psych. Kerstin Dittrich ist Fachreferentin für Gesundheitspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie und Systemische Psychotherapeutin in Ausbildung

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Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben

Von Dr. Peter Tauber, MdB Generalsekretär der CDU Deutschlands

Am 24. September wird zum 19. Mal der Deutsche Bundestag gewählt. Seit 2005 führt die CDU mit Angela Merkel an ihrer Spitze die Bundesregierung. Trotz mancher Krisen können wir auf eine erfolgreiche Bilanz zurückblicken. Deutschland hat sich in dieser Zeit mehr als je zuvor zu einem Garanten der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in Europa entwickelt. Unsere Bilanz stimmt: Rekordbeschäftigung, die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung und ein seit vier Jahren ausgeglichener Haushalt sind dabei nur einige Erfolge, die diese Regierung vorweisen kann. Wir investieren mehr in die Infrastruktur und den Ausbau des Breitbandnetzes als jemals zuvor. Gleichzeitig sind die Investitionen in Bildung und Forschung ebenfalls auf ein Rekordniveau gestiegen. Wir haben mehr in die Zukunft unserer Kinder investiert als jede andere Bundesregierung vor uns – und das alles, ohne zukünftigen Generationen mehr Schulden aufzuladen.

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All dies geschah in außenpolitisch unruhigen Zeiten. Die Ukraine-Krise, der Brexit, das Verfassungsreferendum in der Türkei und die immer noch unbefriedigende wirtschaftliche Situation in Teilen der EU sind nur einige der Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten. Auch die Ereignisse der großen Fluchtbewegungen der letzten zwei Jahre werden von uns in den kommenden Jahren noch Tatkraft und Entschlossenheit erfordern. Deutschland war und ist aber dabei stets ein Stabilitätsanker für Europa und die westliche Welt. Angela Merkel und ihre Bundesregierung haben Deutschland erfolgreich durch diese Krisen geführt. Deutschland musste und hat mehr Verantwortung in Europa und der Welt übernommen. Auf diese Errungenschaften sind wir stolz. Wir stehen zu den Erfolgen der zurückliegenden vier Jahre und vertreten diese Linie auch selbstbewusst im Wahlkampf um auch um zukünftige Unterstützung für unseren Kurs werben.

Wir wollen die Sicherheit und Ordnung in unserem Land ausbauen und denjenigen den Rücken stärken, die für uns all diese Aufgaben – unter Gefährdung ihres eigenen Lebens – wahrnehmen. Aber wir wollen auch, dass die Menschen in unserem Land nicht nur vor Gewalt und Terror geschützt sind. Für uns bedeutet Sicherheit mehr. Denn wirklich sicher fühlen sich Menschen nur, wenn auch ihr Arbeitsplatz sicher ist und er ihnen ein gutes Leben ermöglicht. Gute Arbeit und gute Löhne, Bildung und Innovationskraft sind deshalb für das Sicherheitsgefühl der Menschen ebenso entscheidend wie die Fragen der Inneren und Äußeren Sicherheit. Zudem möchte die CDU Familien stärker entlasten und noch mehr unterstützen als bisher. Denn unser Land hätte keine Zukunft ohne Menschen, die Verantwortung für Kinder und ihre Erziehung übernehmen. Wir wollen daher ein Baukindergeld in Höhe von 1.200 Euro pro Kind und Jahr einführen. Eine Familie mit drei Kindern erhält so einen Zuschuss von 36.000

Foto: R_by_kiPiX_pixelio.de

BUNDESTAGSWAHL


Euro für ein Eigenheim. Darüber hinaus wollen wir für eine verlässliche Betreuung auch im Grundschulalter sorgen. Das Kindergeld werden wir um 25 Euro pro Kind erhöhen und den Kinderfreibetrag schrittweise auf das Niveau des Erwachsenenfreibetrags anheben. Die CDU ist aber auch seit jeher Europapartei. Auf einem unserer Plakate steht daher: „Europa stärken heißt Deutschland stärken“. Ohne ein wirtschaftlich starkes Deutschland kann es kein erfolgreiches Europa geben. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch umgekehrt. Die CDU wird daher alles unternehmen, um Stabilität und Zusammenhalt in der Europäischen Union weiter zu stärken. Gerne möchte ich mich an dieser Stelle einem Thema zuwenden, welches mir besonders am Herzen liegt: In unserem Regierungsprogramm ist zum ersten Mal ein Zuwanderungsgesetz aufgenommen worden. Das „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ wird die Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt neu regeln und sich am Bedarf unserer Volkswirtschaft orientieren. Unser Land braucht diese Neuregelung, ja ich würde sogar sagen diese Neuausrichtung der Zuwanderungspolitik. Wir haben zwar den Fachkräftezuzug in den vergangenen Jahren deutlich steigern können und auch im europäischen Vergleich ist Deutschland weiterhin ein beliebtes Ziel für qualifizierte Kräfte. Doch leidet unsere Wirtschaft immer noch unter dem Mangel an Fachkräften, deren Bedarf in der Zukunft, bedingt durch den demographischen Wandel und der guten wirtschaftlichen Konjunktur, noch größer sein wird. Bis zum Jahre 2025 werden dem deutschen Arbeitsmarkt ohne Gegenmaßnahmen bis zu sechs Millionen weniger Erwerbspersonen zu Verfügung stehen als im Vergleich zum Jahre 2010. Die jetzigen gesetzlichen Voraussetzungen sind unserer Ansicht nach nicht ausreichend, um den Zuzug von Fachkräften in den kommenden Jahren zu verstärken. Aus diesem Grund wollen wir den qualifizierten

Foto: Tim Reckmann/ pixelio.de

BUNDESTAGSWAHL

Zuzug mit dem „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ verstärken. Allerdings muss dieser Zuzug klar geregelt werden, um eine Einwanderung in unser Sozialsystem zu verhindern. Aus diesem Grund wird der Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes und die Sicherung des Lebensunterhalts Voraussetzung für Zuwanderung sein. Gerade diese beiden Voraussetzungen unterscheiden unseren Vorschlag von denen der anderen Parteien. Er stellt klar, dass nur dauerhaft nach Deutschland kommen kann, wer einen Job hat und bereit ist, sich zu integrieren. Dadurch beugen wir der Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme vor und schaffen wiederum neue Arbeitsplätze. Auch heute ist bereits ein Zuzug von ausländischen Fachkräften möglich. Er ist aber mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden. Durch das neue Gesetz werden wir Bürokratie abbauen und es den Unternehmen erleichtern, leerstehende Stellen schneller neu zu besetzen. Entscheidend ist das vor allem für kleine mittelständische Unternehmen. Große Unternehmen haben das Geld und die nötigen Mitarbeiter, um den bürokratischen Aufwand zu stemmen. Ein kleiner Handwerksbetrieb hingegen hat diese Kapazitäten nicht und erfährt dadurch enorme Nachteile auf dem Markt, welcher durch die Globalisierung immer stärker umkämpft ist. Wir stärken also auch mit dieser Regelung das Rückgrat unserer Wirtschaft: Den Mittelstand.

Wir Christdemokraten sind stolz auf die Leistungen der Menschen, die in unserem Land wohnen. Unsere Kampagne „Ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ ist für uns deshalb nicht nur Momentaufnahme, sondern Auftrag. Wir wollen unseren Beitrag dafür leisten, dass Deutschland lebenswert bleibt und immer lebenswerter wird. Diese Aufgabe wollen wir wahrnehmen und bitten dafür die Menschen um ihr Vertrauen und ihre Stimme.

PETER TAUBER

Dr. Peter Tauber (43) ist seit 2013 Generalsekretär der CDU Deutschlands. Im Deutschen Bundestag vertritt er seinen hessischen Heimatwahlkreis Main-Kinzig – Wetterau II – Schotten

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PKV-VERBAND Wochen auf planbare Facharzttermine zu skandalisieren. Doch in Ländern mit einem Einheitssystem, wie es die Grünen anstreben, betragen diese Wartezeiten vier bis sechs Monate. Folgerichtig kommt daher auch die OECD zu dem Fazit, dass die deutsche Debatte über Wartezeiten im internationalen Vergleich eine „Phantomdebatte“ ist. Auch bei medizinischen Innovationen wirkt sich der Systemwettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung positiv aus. Denn in ihrem stetigen Ringen um einerseits möglichst rasche Innovationen und andererseits um evidenzbasierte Qualitätssicherung ergänzen sich die beiden Systeme sehr gut und treiben sich gegenseitig an. Dabei nimmt die PKV häufig die Rolle des Innovationsmotors ein, da neue Verfahren und Medikamente bei ihr keine langwierigen Bewilligungsverfahren abwarten müssen. Im Ergebnis sichert die Dualität ein hohes und innovatives Versorgungsniveau für alle Patienten.

VORSICHT: SALAMITAKTIK Von Volker Leienbach

Die Zufriedenheit der Deutschen mit dem Gesundheitssystem erreicht derzeit historische Höchstwerte. So kam das Allensbach-Institut soeben zu dem Ergebnis, dass über 90 Prozent mit ihrer Krankenversicherung zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. Für diese Zufriedenheitswerte gibt es objektive Gründe. So zeigt eine neue Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV, dass unser duales Versicherungssystem in puncto Versorgungsgerechtigkeit einen Spitzenplatz in Europa einnimmt: Unabhängig vom Geldbeutel haben bei uns alle Bürger gleichberechtigten Zu-

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gang zur medizinischen Versorgung. Auch mit den kurzen Wartezeiten liegt Deutschland auf Platz eins in Europa. So erhalten hier 76 Prozent der Patienten noch am selben oder nächsten Tag einen Termin beim Hausarzt. Bei Facharztterminen sind wir ebenfalls „Klassenbester“: Nur drei Prozent der Befragten müssen zwei Monate oder länger warten. In den Niederlanden sind es mehr als doppelt so viele, in der Schweiz sogar dreimal so viele. Auf planbare Operationen warten Patienten in vielen EU-Staaten oft länger als ein halbes Jahr. Die Grünen haben kürzlich mit einer selbstgestrickten Umfrage versucht, gelegentliche Wartezeiten von vier bis sechs

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Menschen kein Interesse an einer Radikalreform des Gesundheitssystems haben, die wirken würde wie eine Operation am offenen Herzen eines kerngesunden Patienten. Das weiß auch die SPD. Sie beharrt zwar immer noch auf ihrem Ziel eines Einheitssystems, das sie unter dem irreführenden Namen „Bürgerversicherung“ seit langem propagiert. Doch nachdem diese Parolen in den vergangenen Wahlkämpfen nicht gerade von Erfolg gekrönt waren, verfolgt die SPD inzwischen eine neue Taktik der kleinen, auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Schritte. Dazu gehört z. B. der Plan der rot-grünen Regierung in Hamburg, Beamten ein Wahlrecht zur Versicherung in der GKV mit Arbeitgeberzuschuss anzubieten. „Wahlrecht“ klingt irgendwie gut. Doch es wäre für die Beamten nichts anderes als ein unwiderruflicher Verzicht auf Fürsorgeansprüche. Zudem würde es deutlich teurer für die Staatskasse (also für die Steuerzahler), denn neben den Krankheitskosten der angestamm-


PKV-VERBAND ten Beamten und Pensionäre würden zusätzlich die Arbeitgeberbeiträge für die neuen, gesunden Beamten fällig. Doch SPD und Grünen kommt es erklärtermaßen vor allem darauf an, einen ersten Schritt in die Bürgerversicherung zu suchen. Denselben Zweck erfüllt die von der SPD geforderte einheitliche Gebührenordnung für Ärzte. So eine Salamitaktik mag vielleicht Parteipolitikern irgendwie schlau erscheinen – die Qualität des Gesundheitswesens würde damit nur geschwächt. Auch viele kleine Amputationen an einem gesunden Patienten wären eine katastrophal schlechte Medizin. Die Leistungsträger der Gesundheitsversorgung erkennen diese Salamitaktik schon im Ansatz – und reagieren sehr kritisch. So warnte Ärzte-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery: „Die Vorschläge für eine einheitliche Gebührenordnung sind der Versuch, die Bürgerversicherung durch die Hintertür einzuführen. Auf Berlinerisch würde man sagen: ‚Nachtigall, ick hör dir trapsen’.” Unter dem großen Beifall des Deutschen Ärztetages hat Prof. Montgomery zudem klar gemacht: „Die Bürgerversicherung ist der Turbolader einer echten Zwei-Klassen-Medizin. Sie bewirkt und fördert Ungerechtigkeit, statt ihr vorzubeugen.“ Eine solche Politik würde nur Verlierer erzeugen: 0 Die Gesundheitsversorgung würde schlechter. 0 Jede niedergelassene Arztpraxis würde ohne die Einnahmen aus der PKV pro Jahr im Schnitt mehr als 50.000 Euro verlieren. 0 Tausende Ärzte, Zahnärzte, Physiotherapeuten und Hebammen müssten aufgeben. 0 Medizinische Innovationen würden ohne den Wettbewerb mit der PKV erschwert. 0 Die Wartezeiten würden für alle länger. 0 Die Bürgerversicherung ginge zu Lasten der Generationengerechtigkeit, weil ohne die PKV keinerlei Vorsorge für den demografischen Wandel mehr bestünde.

Laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstitutes WifOR, das im Auftrag des SPDgeführten Bundeswirtschaftsministeriums die offizielle „Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung“ erstellt, würde die Bürgerversicherung zudem rund 300.000 Arbeitsplätze gefährden. Erinnern wir uns: Um 8.000 gefährdete Jobs bei Kaiser’s-Tengelmann zu retten, ließ Sigmar Gabriel als SPD-Chef und Wirtschaftsminister nichts unversucht. Das zeigt den enormen sozialen Sprengstoff, wenn man hier mutwillig ein Vielfaches von Arbeitsplätzen bedrohen würde. Bei diesen Transaktionskosten und mit Blick auf unser gut funktionierendes und von den Bürgern geschätztes Gesundheitssystem sind die Pläne von SPD, Grünen und Linken bloße Weltanschauungspolitik im Rückspiegel. Die eigentlichen Zukunftsfragen sind doch ganz andere: 0 Wie nutzen wir die Chancen der Digitalisierung und wie schützen wir zugleich die individuellen Daten? 0 Wie bereiten wir uns auf den demografischen Wandel vor und wie begegnen wir z.B. dem damit verbundenen Pflegenotstand? 0 Wie sichern wir in einer alternden Gesellschaft die flächendeckende medizinische Versorgung? Was kann z. B. die Telemedizin dazu beitragen? 0 Wie nutzen wir die Potenziale der individualisierten Medizin, z.B. mit genetisch maßgeschneiderten Medikamenten – und was bedeutet das für die Arzneimittelausgaben? Damit sind nur einige der wichtigsten Zukunftsthemen erwähnt und es zeigt sich deutlich: Keine einzige dieser Fragen würde durch das Experiment Bür-

gerversicherung gelöst. Also lassen wir diese rückwärtsgewandten Debatten und verwenden unsere Energie besser auf die wirklichen Zukunftsfragen.

VOLKER LEIENBACH

Volker Leienbach ist Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV)

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Foto: Ligamento Wirbelsäulenzentrum/ pixelio.de

POLITISCHE FORDERUNGEN

POLITISCHE FORDERUNGEN FÜR DIE NÄCHSTE LEGISLATURPERIODE Der Mangel an ärztlichem Nachwuchs stellt eine große Herausforderung für die Patientenversorgung dar

Von Wolfgang-Axel Dryden Die KVWL vertritt die Interessen von 14.500 in der ambulanten medizinischen Versorgung arbeitenden Ärzten und Psychotherapeuten. Unsere Aufgaben umfassen die Sicherung einer hohen Qualität der medizinischen Versorgung sowie eines flächendeckenden, leicht erreichbaren Angebotes für die Menschen im Land. Die Zukunft der ambulanten Versorgung in Westfalen-Lippe ist uns ein wesentliches Anliegen. Deswegen haben wir genaue Vorstellungen an die Gesundheitspolitik der nächsten Jahre. Wir bringen uns mit klaren Positionen und Forderungen in die politische Diskussion ein.

Nachwuchsförderung

Die Sicherung gleicher Lebensbedingungen in allen Regionen des Landes ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um die ambulante medizinische Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen, hat die KVWL bereits eine Vielzahl von Maßnahmen eingeleitet. Damit mehr Ärzte für die Niederlassung in ländlichen Regionen gewonnen werden können, ist eine gute kommunale Infrastruktur allerdings ebenso wichtig, wie eine leistungsgerechte Vergütung der ambulanten medizinischen Versorgung.

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Daher fordert die KVWL: A Den Bund, das Land NRW und die Kommunen zur Kooperation bei den Maßnahmen zur Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung auf. Der Mangel an ärztlichem Nachwuchs stellt eine große Herausforderung für die Patientenversorgung dar. Betroffen ist insbesondere die hausärztliche Versorgung. Aber auch viele Sitze von grundversorgenden Fachärzten werden in den kommenden Jahren nicht nachbesetzt werden können. Die KVWL fordert deshalb eine bedarfsgerechte universitäre Ausbildung junger Mediziner sowie eine zielgerichtete Weiterbildung zum Facharzt. So sollten: A Die Studienkapazitäten im Fach Humanmedizin an den Universitäten nachhaltig erweitert werden. A Der Zugang zum Medizinstudium niedrigschwelliger angesetzt werden, als dies mit der alleinigen Ausrichtung am Numerus Clausus der Fall ist. A Die Studenten frühzeitig mit praktischen Inhalten befasst und schon im Grundstudium an die Patientenversorgung herangeführt werden. Die heutige Aus- und Weiterbildung von

Medizinern fördert die Spezialisierung. Ein stärkerer Fokus auf die Ausbildung von Allgemeinmedizinern, Kinder- und Jugendmedizinern sowie grundversorgenden Facharztgruppen ist notwendig, um eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung auch in Zukunft sicherzustellen. Die KVWL fordert: A Die Aus- und Weiterbildung in den grundversorgenden Fachgruppen zu stärken. A Die Einrichtung von vollwertigen Lehrstühlen für Allgemeinmedizin verpflichtend zu machen. A Phasen der ärztlichen Weiterbildung in der ambulanten Versorgung fachgruppenunabhängig verpflichtend in die ärztliche Weiterbildungsordnung aufzunehmen.

Innovative Versorgungsformen

Neue Kooperations- und Versorgungsformen leisten einen wichtigen Beitrag, um die ambulante Versorgung auch zukünftig sicherzustellen. Die Praxisnetze in Westfalen-Lippe haben bewiesen, dass sie die regionale Versorgung gestalten und ver-


Foto: Henrik G. Vogel/ pixelio.de

Ein stärkerer Fokus auf die Ausbildung von Allgemeinmedizinern, Kinder- und Jugendmedizinern sowie grundversorgenden Facharztgruppen ist notwendig

bessern können. Innovative Versorgungskonzepte, die sich in den Praxisnetzen bewährt haben, sollten konsequent in die Regelversorgung überführt werden. Die KVWL befürwortet eine Arbeitsteilung unter den Gesundheitsberufen. Die Gesamtverantwortung für Diagnose und Therapie kann jedoch nur in ärztlicher Hand liegen. Die niedergelassenen Ärzte organisieren die optimale Patientenversorgung und koordinieren die Versorgung durch die multiprofessionalen Teams.

Angemessene Rahmenbedingungen für die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung

Der drohende Nachwuchsmangel liegt auch an den mangelhaften Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung. Viele junge Ärzte können sich - laut Umfragen - die Arbeit in der eigenen Praxis vorstellen. Abgeschreckt werden sie durch unkalkulierbare finanzielle Rahmenbedingungen, die Bedrohung durch Regresse sowie die ständig zunehmende Bürokratie. Die KVWL fordert deshalb: A Die ersatzlose Streichung von Arzneiund Heilmittelregressen aus dem SGB V. Der Arzt hat die Verantwortung für die korrekte Diagnose und die zielführende Therapie. Die Verantwortung und die Steuerung über die Preise von Arznei- und Heilmitteln liegen bereits heute auf einer anderen Ebene. A Die Schaffung nachhaltiger Finanzierungsbedingungen und damit zuverlässiger Honorarerwartungen. Grundlage dafür kann nur die morbiditätsorientierte Finanzierung der ambulanten Versorgung sein. Gesetzlich verordnete Honorarbeschränkungen nach Kassenlage müssen der Vergangenheit angehören. A Die spürbare Entbürokratisierung der ärztlichen und psychotherapeutischen Tätigkeit.

POLITISCHE FORDERUNGEN Vergütungsgerechtigkeit zur Sicherung einer leistungsfähigen Medizin

Eine ausreichende und im Bundesvergleich angemessene Vergütung für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten ist entscheidend für eine qualitativ hochwertige ambulante Versorgung. Derzeit geben die gesetzlichen Krankenkassen für die ambulante Behandlung ihrer Versicherten in unserem Landesteil pro Kopf deutlich weniger aus als in anderen Bundesländern. Obwohl die Versicherten in WL den gleichen Krankenversicherungsbeitrag leisten wie in anderen Bundesländern und obwohl die Krankenkassen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds entsprechend der Morbidität ihrer Versicherten bekommen, kommt dieses zur Behandlung der Patienten bestimmte Geld nicht im ausreichenden Maße in der ambulanten Versorgung an. Als unmittelbare Folge wird sich der bundesweit drohende Arztmangel in Westfalen-Lippe besonders deutlich zeigen. Junge Ärzte und Psychotherapeuten werden dadurch von einer Niederlassung in WL abgeschreckt. Die klare Forderung der KVWL ist deshalb: A Die Finanzierung der ambulanten medizinischen Versorgung muss endlich auch in Westfalen-Lippe entsprechend der tatsächlichen Morbidität der Versicherten erfolgen. Unsere Mitglieder sind nicht länger bereit, die Hauptlast steigender Morbidität allein durch Mehrarbeit ohne angemessenes Honorar zu schultern. A Die Gesundheitspolitik muss dazu klare gesetzliche Vorgaben schaffen und diese auch gegenüber den Krankenkassen durchsetzen.

sinnvollen Nutzung der telemedizinischen Möglichkeiten müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Die KVWL fordert: A Eine Anschubfinanzierung der telemedizinischen Praxisausstattung. A Die Förderung versorgungsverbessernder telemedizinischer Programme und Modellversuche. A Den flächendeckenden Ausbau einer schnellen Internetverbindung. A Die Definition von Mindeststandards in Bezug auf Datenschutz und Datenqualität. Die ärztliche und psychotherapeutische Selbstverwaltung hat gezeigt, dass sie in der Lage ist, die ambulante Versorgung sicherzustellen und diese durch innovative Konzepte zukunftsfest zu machen. Das Primat der Selbstverwaltung in diesem funktionierenden System darf von der Politik nicht beschränkt werden. Die Gesundheitspolitik der nächsten Legislaturperiode sollte die erwähnten Rahmenbedingungen setzen. Dann wird die Selbstverwaltung der Kassenärztlichen Vereinigungen auch weiterhin eine flächendeckende qualitätsgesicherte ambulante Versorgung garantieren.

WOLFGANG-AXEL DRYDEN

Digitalisierung

Die Chancen der Digitalisierung müssen im Gesundheitswesen konsequenter erkannt und genutzt werden. Digitalisierung muss den Patienten und deren Versorgung nutzen und nicht Verwaltungsaufgaben der Krankenkassen auf Ärzte übertragen. Innovative telemedizinische Konzepte der KVWL führen bereits heute zu einer Versorgungsverbesserung. Insbesondere im ländlichen Raum hat die Telemedizin das Potenzial, die Versorgung auch bei sinkenden Arztzahlen sicherzustellen. Zur

Dr. med. Wolfgang-Axel Dryden ist seit 2011 1. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. In seinem Ressort ist er verantwortlich für die Geschäftsbereiche Abrechnung, Versorgungsqualität, Verordnungsmanagement, Widersprüche sowie das Service Center. Zuvor war er bereits seit 2001 Vorstandsmitglied und seit 2005 2. Vorsitzender der KVWL. Der Allgemeinmediziner ließ sich 1980 in Kamen nieder und war von 1995 – 2004 Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. Dr. Dryden ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder

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Foto: Manfred Gerber/ pixelio.de

HOMÖOPATHIE

Die Homöopathie steht häufig stellvertretend für den Bereich der integrativen Medizin in der Kritik

MEDIZIN: IM MITTELPUNKT STEHT DER MENSCH NICHT DER ALGORITHMUS Von Cornelia Bajic

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Wenn es nach dem Willen der Wählerschaft geht, dann sind die Fakten klar: Die Bevölkerung hat ein sehr starkes Interesse an Homöopathie. Laut einer im Juni veröffentlichten repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat knapp die Hälfte (49 %) der Bundesbürger schon einmal Erfahrungen mit Homöopathie bzw. mit homöopathischen Arzneimitteln gemacht. 72 Prozent von ihnen war mit der Wirksamkeit und Verträglichkeit homöopathischer Arzneimittel zufrieden bis sehr zufrieden.

Wettbewerb und Gestaltungsmöglichkeiten: Neben der Möglichkeit Selektivverträge anzubieten, auch den Erhalt der Satzungsleistungen z. B. zur anteiligen Erstattung von ärztlich verordneten Arzneimitteln der besonderen Therapieeinrichtungen behalten. Barmer-Chef Prof. Christoph Straub - selber Arzt - sagte im August im Focus, dass die Homöopathie und andere komplementäre Verfahren, sinnvolle begleitende Methoden zur konventionellen Medizin sind. Eine Meinung, die auch in der Bundespolitik Ton angebend ist.

Die Mehrheit der Befragten (73%) findet es wichtig bis sehr wichtig, dass die Kosten der Leistungen von der GKV übernommen werden. Auch die Krankenkassen möchten

Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) wollte im Vorfeld der Bundestagswahl wissen, wie die im Bundestag vertretenden Parteien zur Homöopa-

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thie bzw. zur integrativen Medizin stehen. Bis auf Die Linke sind sich die Parteien einig, dass die besonderen Therapieeinrichtungen zum GKV-System gehören und sie daran auch nichts ändern möchten. CDU: „In Deutschland können bereits seit einiger Zeit – im Rahmen von Modellprojekten, Satzungsleistungen und Selektivverträgen – Naturheilmittel und Naturheilverfahren zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden. An diesem System wollen wir festhalten.“ SPD: „Die gesetzlichen Krankenkassen entscheiden in Deutschland darüber, welche Leistungen sie ihren Versicherten erstatten. Die SPD plant in diesem Bereich keine Änderungen.“ Bündnis90/Die Grünen: „Die Kostenübernahme der Behandlung bei Ärzten funktioniert schon heute bei der Mehrheit der Krankenkassen auf freiwilliger Basis. Ich halte dies auch zukünftig für das geeignetere Modell.“ Zum Hintergrund: Rund Dreiviertel der gesetzlichen Krankenkassen erstatten im Rahmen von Selektivverträgen die ärztliche Homöopathie, auch etwa 3000 Apotheken nehmen an diesen Verträgen teil. Die Studienlage wird immer besser – Forschung zeigt Homöopathie ist wirksam Die Homöopathie steht häufig stellvertretend für den Bereich der integrativen Medizin in der Kritik. So entbrennt an ihr die Diskussion über die Wissenschaftlichkeit der Methoden. Kritiker gestehen der Homöopathie maximal eine Wirkung gleich Placebo zu. Schaut man sich die Studienlage genau an, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Bis Ende 2014 wurden 189 randomisierte kontrollierte Studien zur Homöopathie bei 100 verschiedenen Erkrankungen in peer-reviewed Zeitschriften veröffentlicht, darunter waren 104 placebokontrollierte. Die Ergebnisse: 41 Prozent fielen positiv aus (43 Studien), sie stellten fest, dass


HOMÖOPATHIE

Homöopathie wirksam ist im Vergleich zu Placebo. 5 Prozent fielen negativ aus (5 Studien), sie stellten fest, dass Homöopathie unwirksam ist. 54 Prozent waren nicht eindeutig (56 Studien). Die Prozentsätze an positiven, negativen und nicht eindeutigen Ergebnissen fallen für die konventionelle Medizin annähernd gleich aus. Allerdings gibt es einen Unterschied in der Anzahl der Arbeiten. Den 189 genannten Homöopathie-Studien stehen 1016 Übersichtsarbeiten zu placebokontrollierten Studien der konventio-

nellen Medizin gegenüber. Weitere Forschung – Grundlagen- genauso wie Versorgungsforschung – ist notwendig. Und hier ist die Politik gefordert. Laut der genannten Forsa-Umfrage fordern 73 Prozent der Bundesbürger, daß der Staat die Forschung zur Homöopathie durch gezielte Förderprogramme unterstützen soll. Komplementärmedizin ist in der Schweiz seit August Kassenleistung In der Schweiz wurde durch einen

Volksentscheid die vollständige Anerkennung der Anthroposophischen Medizin, Homöopathie, TCM und Phytotherapie erreicht. Sie werden seit August von der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen. Voraussetzung ist, dass die Methoden von Ärzten praktiziert werden, die eine entsprechende Ausbildung haben. Durch die Aufnahme in die Grundversicherung erkennt die Schweitzer Regierung an, dass die genannten Methoden wirksam, zweckmäßig und wirtschaftlich sind.

Patienten möchten nicht übertherapiert werden, aber das gesamte Spektrum einer modernen Medizin nutzen können

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HOMÖOPATHIE

Hohe Zufriedenheit der Patienten und bei homöopathisch tätigen Ärzten Es gibt viele Gründe, warum Ärzte ihr Therapiespektrum erweitern. Der Allgemeinmediziner Dr. Jörg Albrecht (Ganderkesee) berichtet, dass er seine Patienten auch homöopathisch therapiert, da er nun individuelle Symptome für die Therapie besser berücksichtigen kann und diese nicht ignorieren muss, da sie schulmedizinisch irrelevant sind. Die Hausärztin Dr. Renate Grötsch (Holzkirchen) sieht in der Homöopathie eine sinnvolle Ergänzung in ihrer Kassenpraxis, da auch Akutverschreibungen ohne lange Anamnese mit gutem Erfolg möglich sind und häufig konventionelle Arzneimittelverordnungen oder Arbeitsunfähigkeit vermieden werden können. Der Gesundheitsmonitor 2014 der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Zufriedenheit der homöopathisch arbeitenden Ärzte höher ist als die der konventionell arbeitenden Kollegen. Neben den Abrechnungsmöglichkeiten über GKVen und PKVen scheint der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle auch bei Ärzten zu spielen: Während ein durchschnittlicher Arzt-Patienten-Kontakt etwa sieben Minuten dauert, kann sich der homöopathische Arzt rund eine

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Stunde Zeit nehmen. Von dieser intensiven Arbeit profitieren Arzt und Patient, und das kommt an. Der Gesundheitsmonitor hielt fest, dass 90 Prozent der Befragten ein sehr großes oder großes Vertrauen homöopathisch arbeitenden Ärzten entgegen bringen. Und das, obwohl 43 Prozent der Befragten Patienten mit einer chronischen Erkrankung in die homöopathische Arztpraxis kamen. Als häufigsten Grund nannten die Patienten, „dass anderswo keine Besserung erzielt worden war“.

Homöopathie, darstellt, verlangt es auch, in der Politik neue Wege zu gehen, und unter Einbeziehung der sich daraus bietenden Möglichkeiten, die Medizin der Zukunft zu gestalten. Weitere Informationen zu vielen Themen rund um die Homöopathie: www.homoeopathie-online.info

CORNELIA BAJIC

Im Mittelpunkt des Gesundheitssystems: der Mensch Patienten möchten nicht übertherapiert werden, aber das gesamte Spektrum einer modernen Medizin nutzen können. In vielen Familien wird im Rahmen der Selbstmedikation zunächst auf natürliche Heilweisen gesetzt, etwa auf Homöopathie von ihren Ärzten erwarten Patienten dieses Wissen auch und von ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme. Das zunehmende Interesse der Bürgerinnen und Bürger und die damit verbundene wachsende Inanspruchnahme von integrativer Medizin, die eine sinnvolle Synthese aus konventionellen und komplementären Therapiemethoden, wie z. B. der

Cornelia Bajic ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und praktiziert als niedergelassene Vertragsärztin in Remscheid. Seit 2010 ist sie 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte e.V.


Sorgen kann man teilen.

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Gesellschaft für Spielerschutz und Prävention mbH (GSP)

Zeitgemäßer Spielerschutz auf höchstem Niveau

Aufklärungskampagnen und Informationsmaterial allein bewegen jedoch zu wenige Betroffene, tatsächlich Hilfe aufzusuchen

Von Achim Hoffmann, Geschäftsführer der GSP

Ziel des Glücksspielstaatsvertrags ist es, Spielsucht zu bekämpfen, Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete, kontrollierte Bahnen zu lenken. Zudem sollen Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt werden. In einem Wort: Spielerschutz. Genau dem werden die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer derzeit aber nicht gerecht. Das Ziel der gesetzlichen Regulierung wurde verfehlt Die meisten Bundesländer legen das Hauptaugenmerk der Umsetzung auf die gesetzlich festgelegten Abstandsregelungen. Je nach Bundes-

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land muss der Abstand zwischen zwei Spielhallen demnach bei 100 bis 500 Metern liegen. Die Konsequenz ist eine sinkende Anzahl der staatlich-konzessionierten Spielhallen. Dabei muss man sich die Frage stellen, ob dieser Ansatz die Nachfrage nach Glücksspieldienstleistungen senken wird. Eher nicht, lautet die Antwort. Warum sollte er auch? Die Spieler weichen einfach auf das illegale und nicht regulierte Onlineangebot aus. Zudem entscheidet in vielen Bundesländern das Los darüber, welche Halle bestehen bleibt. Im schlimmsten Fall schließen Spielhallen, in denen aktiver Jugend- und Spielerschutz betrieben wird und jene, in denen das nicht so ist, bleiben geöffnet. Ist das etwa im Sinne des Spielerschutzes?

Qualitative statt quantitative Regulierung Um die Ziele des Glücksspielstaatsvertrags zu erreichen, braucht es einen anderen Ansatz. Angemessener Spielerschutz wird durch hohe und bundesweit einheitliche Qualitätsstandards erreicht, die über die derzeitigen gesetzlichen Regelungen hinausgehen: Ein bundesweites und spielformübergreifendes Sperrsystem, eine klare Definition zur Häufigkeit und Intensität regelmäßiger Schulungen, der verbindliche Einsatz von Präventionsberatern und ein niederschwelliger Einstieg ins Hilfesystem. Als kompetenter Ansprechpartner für Jugend- und Spielerschutz bietet die GSP ihren Kunden schon heute entsprechende Lösungen an. Um verbindliche Standards und Sicherheit für Betreiber, Servicekräfte und Spielgäs-

Foto: Manfred Gerber/ pixelio.de

SPIELERSCHUTZ


SPIELERSCHUTZ te gewährleisten zu können, muss die Umsetzung dieses Angebots gesetzliche Pflicht werden. Präventionsberater sind der Schlüssel Aufklärungskampagnen und Informationsmaterial allein bewegen jedoch zu wenige Betroffene, tatsächlich Hilfe aufzusuchen. Der Schlüssel zur Zielerreichung sind Präventionsberater, wie sie die GSP bereits einsetzt. Sie bilden eine Schnittstelle zwischen Spielgästen, Servicekräften und den ortsansässi- Der Schlüssel zur wirksamen Hilfe sind Präventionsberater, wie sie die GSP bereits einsetzt gen Hilfeeinrichtungen. Als studierte Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und PsychoZeitalter Verbote nur den legalen logen fällt es Ihnen viel leichter, Anbietern schaden und erst den den Zugang zu Betroffenen zu finRaum für illegale Angebote ohne den und Hilfesuchende zu unteraktiven Jugend- und Spielerschutz stützen. Darüber hinaus schulen eröffnen. sie das Servicepersonal vor Ort in der Früherkennung und der moEs ist an der Zeit über den tivierenden Ansprache von Spieeigenen Schatten zu springen ACHIM HOFFMANN lern mit problematischem Spielverhalten. Jetzt ist Kühnheit gefragt: Anbieter müssen das Glücksspiel als sozial sensibles Produkt anerkennen. HilAlle Beteiligten sind gefragt feeinrichtungen können ihre WirkSpielerschutz funktioniert nur, samkeit nur in Kooperation mit legalen und zukunftszugewandten wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Anbieter müssen erAnbietern entfalten. Die Gesellkennen (und das tun viele bereits schaft muss sich ehrlicher machen, heute), dass sie ihr Geschäftsmodell indem sie versteht, dass Glücksspiel nur zukunftssicher machen könein alltägliches Massenprodukt ist, nen, wenn sie aktiven Jugend- und dessen Dämonisierung zusätzliche Spielerschutz betreiben. Die HilfeProbleme schafft. einrichtungen müssen eine größere Bereitschaft zur Kooperation mit den Anbietern zeigen. Zu oft machen wir die Erfahrung, dass diese Achim Hoffmann, Dipl. Sozialpädagoge; sich schwertun, wenn es um eine 59 Jahre; hat als Erzieher und HeilpädaInfo: goge 10 Jahre in der Heimerziehung geKooperation vor Ort geht. PolitiGesellschaft für Spielerschutz arbeitet; nach dem Studium 10 Jahre in sche Entscheidungsträger müssen der Suchtkrankenhilfe aktiv; war 20 Jahre und Prävention mbH (GSP), sich von prohibitiven Ideologien als Referatsleiter u. a. für die Suchtberabefreien und das Spiel – auch das Info@gsp-spielerschutz.de, tungsstellen der pfälzischen Diakonie zuum Geld – als Bedürfnis einer Vielständig; seit 01. April 2017 Geschäftsfühwww.gsp-spielerschutz.de/ rer der Gesellschaft für Spielerschutz und zahl von Konsumenten begreifen. Prävention mbH (GSP) tätig Hinzu kommt, dass im digitalen Am Puls

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KOLUMNE KOMMENTAR

Keine Verschnaufpause für die Gesundheitspolitik Ob E-Health-Gesetz, Pflegestärkungsgesetze, GKVVersorgungsstärkungsgesetz, Hospiz- und Palliativgesetz oder das Krankenhausstrukturgesetz: In vielen zentralen Bereichen haben wir in der vergangenen Legislatur die Weichen Richtung Zukunft gestellt. Verschnaufpause? Von wegen. Gerade in der Digitalsierung unseres Gesundheitswesens und in der Pflege gilt es unseren Weg konsequent fortzusetzen. Erfolgreicher Test der elektronischen Gesundheitskarte Keine Frage: Mit dem eHealth-Gesetz ist ein Meilenstein gelungen. Und seit diesem Jahr steht auch fest, dass die elektronische Gesundheitskarte funktionieren wird. Digital, standardisiert und auf sicherem Weg werden sich Ärzte in Zukunft über den Krankheitszustand von Patienten austauschen und beraten können, welche Maßnahmen am besten helfen. Das ist schnell und effizient. Langes Warten auf den Medikationsplan oder Notfalldaten per Post können schon Ende 2018 der Vergangenheit angehören, wenn der Patient seine Daten freigibt und die Selbstverwaltung den „Roll Out“ der hochsicheren neuen Infrastruktur geschickt aktiv steuert. Denn nur dann können alle Arztpraxen und Krankenhäuser die neue Infrastruktur nutzen können. Für die neu gewählte Bundesregierung bedeutet das: Wirksame Impulse setzen, um die medizinischen Anwendungen rasch auf den Weg zu bringen.

schen für den Pflegeberuf entscheiden. Auch hier gibt es noch viel zu tun: Pflegefachkräfte brauchen ein Sprachrohr um ihre Interessen gegenüber Politik und Gesellschaft vertreten zu können. Wenn pflegebedürftige Menschen länger zu Hause wohnen können, müssen entsprechende Umbaumaßnahmen stärker gefördert werden. Verschnaufen gilt also nicht. Wir bleiben dran, denn unser Ziel ist eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle Patienten.

Herzliche Grüße

Ihr Gottfried Ludewig

Pflege Das gilt auch für die Pflege. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass unsere Gesellschaft altert und gerade ältere Menschen häufig Pflege benötigen. Wieviel Pflege ist nötig? Muss ich unbedingt ins Heim und stationär betreut werden oder geht das auch zu Hause? Seit der Pflegereform helfen fünf Pflegegrade statt dreier Pflegestufen dabei, die richtige Pflege zu finden. Die Abschaffung des Schuldgelds in der Altenpflege und die Generalisierung der Pflegeberufe setzen Anreize, damit sich noch mehr junge Men-

GOTTFRIED LUDEWIG

Dr. Gottfried Ludewig, MdA, ist seit 2011 gesundheitspolitischer Sprecher und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Als Koordinator der gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Landtagsfraktionen organisiert er eine jährliche Tagung in Berlin

Impressum Verlag und Herausgeber GK Mittelstands Verlag GmbH Günter F. Kohl Gärtnerkoppel 3 24259 Westensee/ Kiel Tel. 04305-992992 / Fax 04305-992993 E-Mail: gkprkiel@t-online.de Anzeigenverkauf: Über den Verlag Anzeigenschluss: 30. Oktober 2017

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Am Puls

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Redaktion: Tim A. Küsters, redaktion-ampuls@gmx.de Internet: www.issuu.com/ampuls Satz und Layout: Walter Katofsky, Kiel Druck: RD-Druck Rendsburg

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