am puls - Magazin für Politik und Gesundheit 04/2011

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04/2011 Jahrgang 08

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5,00 Euro

MAGAZIN FÜR

POLITIK UND GESUNDHEIT

Bundesbildungsministerin Annette Schavan Gesundheitsforschung in Deutschland Seite 4

ERGEBNISSE & AUSBLICKE:

Marcus Weinberg Perspektiven der CDU in Großstädten Seite 8

Zwei Jahre schwarz-gelbe Koalition

Dr. Norbert Röttgen Eine Halbzeitbilanz aus NRW Seite 12


Caring and curing Caring and curing Leben retten und Gesundheit

Leben retten und ist Gesundheit verbessern – das unser Ziel. verbessern – das ist unser Ziel.

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EDITORIAL

Respektvoller Umgang sieht anders aus Der Feldzug der gesetzlichen Krankenwie es der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas kassen gegen die Ärzteschaft geht unKöhler kürzlich im „Kölner Stadt Anzeivermindert weiter und findet nun in den ger“ treffend formulierte, sondern auch Aussagen des AOK-Bundesverbandes respektlos. Man muss sich fragen, was die seinen finalen Höhepunkt. Die niederhandelnden Personen beim AOK Bungelassenen Fachärzte arbeiten zu wenig desverband damit bezwecken wollen. Es und dadurch entstehen den gesetzlich ist kein Geheimnis, dass man von Seiten versicherten Patienten zu lange Warteder AOK lieber eine Bürgerversicherung zeiten, so der Vorwurf des AOK-Vorsehen würde. Damit wäre das eigene Gestandsvorsitzenden Jürgen Graalmann. schäftsmodell natürlich nachhaltig aufgeAuch sein Vorstandskollege Uwe Deh wertet und gesichert. Die Aussagen haben ist der Meinung, dass die Vertragsärzaber durchaus Methode. So behauptete der te die vereinbarten Leistungen nicht erVorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg bringen. am 13. Juli in Düsseldorf, dass die niederNun kann man darüber streiten, ob alle gelassenen Ärzte in Köln bereits per TeleÄrzte in Deutschland gleich viel leisfonansage nach Privat- und Kassenpatienten und dabei völlig außer Acht lassen, ten sortieren und letztere an eine andere wie viele Wochenstunden sie bei der BeTelefonnummer verweisen. Dabei betonte handlung ihrer Patientinnen und Patiener, dass dies keine Ausnahme sei, sondern ten aufbringen müssen. Das ist sicherfür einen Großteil der niedergelassenen lich auch von Region zu Region unterKölner Ärzte gelte. Das hätte die AOK bei schiedlich, da die Anzahl der Patieneiner umfangreichen Telefonaktion festgeten auch nicht überall die gleiche ist und stellt. Auch hier behaupte ich, das ist Popuin Ballungszentren eine andere Dichlismus pur und dient nur einem Zweck, te herrscht als in städtischen Randgenämlich der Diskreditierung der Ärztebieten. Wie in vielen Bereichen unseres schaft in der Bevölkerung. Alltags, so gilt auch in diesem Fall, dass Man fragt sich nur, warum man die Beman eben nicht alles und jedem eine rufsgruppe ständig in ein negatives Licht Einheitsschablone auflegen kann. Ich stellt, die ja letztlich auch die Versicherten möchte nicht abstreiten, dass es Ärzte in der AOK behandeln soll. Nicht, dass hier Deutschland gibt, die in der Woche 39 ein falscher Eindruck entsteht, Kritik soll Stunden für ihre Kassenpatienten tätig angebracht werden, auch öffentlich und sind. Es gibt auch Mediziner, die dafür mit Nachdruck, allerdings da, wo sie annur 35 Stunden aufwenden. Ich bin mir gebracht und zielführend ist. Dabei sollaber auch sicher, dass es Tausende von te man nicht den Boden des respektvollen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten Umganges verlassen und sachlichen Argugibt, die 50 bis 60 Stunden in der Woche menten sinnvolle Verbesserungsvorschlämit der Behandlung von gesetzlich verge hinzufügen. Dies hilft vor allem den viesicherten Patienten beschäftigt sind. Das len Patientinnen und Patienten in unserem gleiche gilt im Übrigen auch für deren Land. Es wäre sehr hilfreich gewesen, wenn Kollegen in den Krankenhäusern. die AOK den gleichen Eifer bei der BeraDie AOK und ihre Vorstände behaupten tung der vielen Tausend City BKK Versiunterschwellig, dass cherten an den Tag gedie niedergelassenen legt hätte. Damit wäre Fachärzte Krankheiden betroffenen Bürgeten billigend in Kauf rinnen und Bürgern viel nehmen und dafür Not und Ärger erspart geblieben. lieber Privatpatienten behandeln oder Frank Rudolph 1.stellv. die gewonnene FreiLandesvorsitzender zeit auf dem GolfGesundheitspolitischer platz verbringen. Das ist nicht nur eine Dr. Mathias Höschel und Frank Rudolph, Arbeitskreis der CDUNRW Unverschämtheit, Herausgeber

INHALT 4 Forschen für die Gesundheit Mit den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung wird Deutschland als Standort der Gesundheitsforschung noch attraktiver, meint die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan

6 Arzneimittelversorgung 4 Millionen Kontakte haben die ApothekenTeams jeden Tag. Bei ihnen, so unser Autor Thomas Preis, sind wir in den besten Händen

7 Neues Testamentsregister Ab 1.1.2012 nimmt das zentrale deutsche Testamentsregister seinen Betrieb auf. Thomas Diehn erläutert, was es leistet

8 Perspektiven der CDU in Großstädten Der Hamburger Bundestagsabgeordnete und CDU-Vorsitzende Marcus Weinberg erläutert die Möglichkeiten der CDU in großen Städten und gibt sich nicht geschlagen

10 Verbraucherportal macht Furore Der Parlam. Staatssekretär Gerd Müller erklärt den „Renner“ seines Hauses, das neue Verbraucherportal www.lebensmittelklarheit.de

12 Halbzeitbilanz Eine Halbzeitbilanz der Arbeit der CDU/FDPBundesregierung zieht aus nordrhein-westfälischer Sicht der CDU-Landesvorsitzende und Bundesumweltminister Norbert Röttgen

14 Gebührenordnung reformieren Eine Aktualisierung der GOÄ muss zwingend noch in dieser Legislatur erfolgen. Dafür plädiert Theodor Windhorst

16 Rabattverträge Für die pharmazeutischen Unternehmen werden Rabattverträge dann interessant, wenn sich eine Win-Win-Situation ergibt, schreibt Axel Döß

18 Weniger Bürokratie, mehr Qualität der Pflege Elisabeth Beikirch, Ombudsfrau für Entbürokratisierung in der Pflege, im Interview

21 Obamas Werk vor Gericht Im März 2010 hat der Kongress der USA eine umfassende Reform des Gesundheitswesens verabschiedet. Doch viele Bundesstaaten haben Klage eingereicht

22 Kommentar Jens Spahn (CDU) wundert sich über angeblich fundierte wissenschaftliche Studien, die GKV sei unterfinanziert

22 Impressum

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Foto: Michael Bührke pixelio.de

GESUNDHEITSFORSCHUNG

Investition in die Zukunft: Stärkung der Gesundheitsforschung Mit den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung wird Deutschland als Standort der Gesundheitsforschung noch attraktiver

Von Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Gesundheit hat sich in den vergangenen Jahren in den Industrienationen zu einem zentralen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Thema entwickelt. Gesundheit ist für jede und jeden von uns ein hohes Gut. Gleichzeitig stellt sie einen zunehmend wichtigeren Wirtschaftssektor dar, der mit 5,5 Millionen Beschäftigten in Deutschland zu den größten Wachstums- und Beschäftigungsmotoren geworden ist. Dass auch der gesellschaftliche Stellenwert der Gesundheit größer wird, hat viele Ursachen. Ein wichtiger Grund ist der demographische Wandel, der Bürger und Politik gleichermaßen herausfordert, sich mit Krankheiten und mit dem Erhalt der individuellen Gesundheit auseinanderzusetzen. Hochrechnungen zufolge wird in Deutschland im Jahr 2050 jeder dritte Einwohner 65 Jahre oder älter sein.

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Der Forschungsstandort Deutschland Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung. Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat in ihrem Jahresgutachten 2011 das große Engagement der Bundesregierung betont, durch das eine Wachstumsphase für Forschung und Innovation in Deutschland eingeleitet wurde. Besonders lobten die Experten die „wegweisenden Budgetzuweisungen“ und „strukturellen Neuerungen“ der Bundesregierung, die trotz der Finanzkrise verstärkt in Forschung und Entwicklung investiert habe. Der Anteil der gesamten Aufwendungen von Unternehmen und öffentlicher Hand für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2009 rund 2,8 Prozent. Dies ist gegenüber 2007 (2,53 Prozent) und 2008 (2,68 Prozent) eine deutliche Steigerung. Die Expertenkommission begrüßt außerdem ausdrücklich die im Juli 2010 vorgelegte neue „Hightech-Strategie 2020“ der Bundesregierung. Die damit festgelegten fünf Aufgabenfelder entsprächen den Stärken des deutschen

Innovationssystems: Klima/Energie, Gesundheit/Ernährung, Sicherheit, Kommunikation und Mobilität.

Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung In der Gesundheitsforschung gehört Deutschland zu den leistungsfähigsten Standorten der Welt. Dies ist Bestätigung und Verpflichtung zugleich. Darum hat die Bundesregierung ihre Strategie mit dem Anfang 2011 vorgestellten „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“ neu ausgerichtet. Der Leitgedanke: Durch eine engere Verknüpfung der Kompetenzen, Disziplinen und Institutionen sollen Forschungsergebnisse in Zukunft schneller aus der Grundlagen- und der klinischen Forschung in die medizinische Versorgung und damit zu den Patienten gelangen. Das Herzstück des Rahmenprogramms sind die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, von denen zwei schon im Jahr 2009 gegründet wurden (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen).


Foto: Rainer Sturm pixelio.de

GESUNDHEITSFORSCHUNG

Vier weitere Deutsche Zentren zu Infektionsforschung, Herz-Kreislaufforschung, Lungenforschung und zur Krebsforschung wurden im Juni 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt und nehmen zeitnah ihre Arbeit auf. Die wissenschaftlichen Aktivitäten der sechs Deutschen Zentren werden ein wesentlicher und sichtbarer Beitrag zur Bekämpfung der Volkskrankheiten sein - auch im internationalen Vergleich. Im Fokus der Forschungsarbeiten stehen unter anderem eine verbesserte Vorsorge und Diagnose sowie individualisierte Therapien und eine optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten. Das Bundesforschungsministerium stellt bis 2015 rund 700 Millionen Euro für die Etablierung der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung zur Verfügung.

Die Deutschen Zentren Mit den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung werden führende Forschungseinrichtungen in Deutschland jeweils krankheitsbezogen zusammengeführt. Die Fördermittel werden eingesetzt für eine gemeinsame und explizit translational ausgerichtete Forschung. An den Deutschen Zentren beteiligen sich die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten bzw. Universitätskliniken einerseits und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen andererseits. Das traditionelle Nebeneinander von universitärer und außeruniversitärer Gesundheitsforschung wird dadurch überwunden, ohne die Autonomie und die

Kreativität der einzelnen Einrichtungen zu beschneiden. Eine Förderung der translationalen Forschung in dieser einrichtungsübergreifenden Zentrenstruktur ist weltweit einzigartig. Entsprechend interessiert wird in vielen Ländern verfolgt, wie sich die deutsche Forschung hier neu aufstellt. Die Zentren verschaffen der deutschen Gesundheitsforschung neue Möglichkeiten, sich mit ihren nationalen Forschungsstrategien in internationale Zusammenhänge einzubringen. Die Förderung der Deutschen Zentren wird nicht zu Lasten der Projektförderung im Bereich Gesundheitsforschung gehen. Projektbezogene Fördermittel für die Gesundheitsforschung sind und bleiben ein wichtiger Schwerpunkt der Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Deutschen Zentren strukturieren also nicht nur die Förderlandschaft in Teilen neu. Mit ihnen verbunden ist auch eine Erhöhung der Fördermittel für die Gesundheitsforschung insgesamt. In den Jahren 2011 bis 2014 stellt das BMBF insgesamt etwa 5,5 Milliarden Euro für die Förderung der Gesundheitsforschung in Deutschland zur Verfügung. Diese Investition wird sich medizinisch und auch volkswirtschaftlich rechnen: Denn eine bessere Prävention und Therapie von Krankheiten erhöht nicht nur die Lebensqualität und unter Umständen die Lebenserwartung der Betroffenen,

sondern entlastet auch die Arbeitgeber und die öffentlichen Haushalte. Denn die wirtschaftlichen Auswirkungen von Volkskrankheiten sind erheblich. Die Universität Köln beispielsweise hat in einer Untersuchung zu den Kosten des Diabetes mellitus in Deutschland ermittelt, dass Patientinnen und Patienten mit Diabetes in Deutschland pro Jahr Kosten in Höhe von rund 60 Milliarden Euro verursachen. Die Hälfte davon sind indirekte Krankheitskosten, die unter anderem durch Krankschreibungen und Frühverrentungen entstehen. Der Druck, durch gemeinsame Forschung gerade bei den Volkskrankheiten schnellstmöglich neue Wege für Prävention und Behandlung zu finden, ist also aus medizinischen und aus ökonomischen Gründen groß. Mit den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung wird Deutschland als Standort der Gesundheitsforschung noch attraktiver für die besten Forscher und Forscherinnen aus dem In- und Ausland. So könnte für viele Bürgerinnen und Bürger der Wunsch Wirklichkeit werden, ein langes erfülltes Leben in Gesundheit zu führen.

DR. ANNETTE SCHAVAN

Annette Schavan, MdB, geb. 1955 in Jüchen, ist seit 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Von 1974 bis 1980 studierte sie Erziehungswissenschaft, Philosophie und katholische Theologie an den Universitäten Bonn und Düsseldorf. Die promovierte Philosophin leitete von 1991 bis 1995 das Cusanuswerk und war von 1995 bis 2005 Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg.

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ARZNEIMITTELVERSORGUNG

Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung der Zukunft sichern Die Arzneimittelversorgung ist in den Apotheken vor Ort in besten Händen – persönlich, wohnortnah, qualitätsgesichert, unabhängig und patientengerecht

Von Thomas Preis

Apothekerinnen und Apotheker haben als Heilberufler in unserer Gesellschaft eine ganz besondere Vertrauensstellung. Mit über vier Millionen persönlichen Kontakten pro Tag nehmen Apotheken im Gesundheitswesen, auch bezogen auf die Besuchshäufigkeit, eine Spitzenposition ein. Auf der Liste des täglichen Bedarfs der Menschen stehen Arzneimittel und Gesundheitsprodukte aus der Apotheke ganz oben. Die Apotheke von heute – das sind 21.400 Apotheken mit hoch qualifizierten Apothekenteams. Sie sind vor Ort tagtäglich - und dank eines zuverlässigen Notdienstsystems auch an Sonn- und Feiertagen - der Garant für eine sichere, flächendeckende und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung zum Wohle der Menschen. Immer wichtiger dabei: die Kooperation mit den heilberuflichen Kollegen der Ärzteschaft im Sinne einer bestmöglichen Patientenbetreuung. Aktuell haben Apotheker gemeinsam mit den Ärzten das ABDA-/ KBV-Modell entwickelt – ein Zukunftskonzept, das die Versorgung des

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Patienten qualitativ und nachhaltig verbessert. Gleichzeitig wird dem Gesundheitssystem mit über zwei Milliarden Euro eine erhebliche Summe eingespart. Die Bundesregierung will diese gemeinsame, beispielgebende Initiative der beiden Heilberufe Apotheker und Arzt fördern und im Versorgungsstrukturgesetz verankern; eine Umsetzung in die Regelversorgung ist denkbar. Unabhängig von dieser und weiteren Initiativen zur Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung zum Wohle der Menschen, wie zum Beispiel der konzertierten Aktion „securPharm“ von Arzneimittelherstellern, Pharmagroßhändlern und Apothekern zur besseren Abwehr der weltweit wachsenden Bedrohung durch Arzneimittelfälschungen, ist unsere Gesellschaft mit dem freien Heilberuf des Apothekers als unabhängigem Arzneimittelexperten am besten beraten. Es gilt daher mehr denn je die Maxime: Die inhabergeführte, selbstständige und unabhängige Apotheke vor Ort ist durch nichts zu ersetzen. Die Stärkung des freien Heilberufs zum Wohle der Patienten ist keine

Klientelpolitik. Daher darf der freie, unabhängige Heilberuf Apotheker nicht weiter geschwächt werden, so wie jetzt durch die massiven wirtschaftlichen Belastungen im Zuge des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) geschehen. Was der Gesundheit der Menschen in unserem Land persönlich zu Gute kommt und somit dem Gemeinwohl dient, darf auch nicht konzerngeleiteten Lobbyinteressen oder gar rein kommerziell ausgerichteten Kettenkonzernstrukturen geopfert werden, sondern muss gestärkt werden. Nur dann gelingt es, die künftigen, insbesondere auch demografischen Herausforderungen, in der Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung erfolgreich anzugehen. Hier ist verantwortliche und vor allen Dingen verlässliche Gesundheitspolitik gefragt! Die Stärkung des freien Heilberufs bedeutet vor allem auch eine angemessene Honorierung, die seit 2004 nicht angepasst wurde und endlich dem stetig gestiegenen Aufwand, u.a. durch die enorm aufwändige Umsetzung der Rabattverträge, und den steigenden Bezugsgrößen wie Grundlohnsumme, Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreisen Rechnung tragen muss.

THOMAS PREIS

Thomas Preis, geboren am 22. Januar 1959, 2 Kinder, studierte Pharmazie in Düsseldorf. Seit 1990 leitet er die Alpha Apotheke in Köln. Berufsständisch ist er seit 1995 engagiert, und dabei seit 1998 Vorsitzender des Apothekerverbandes Köln e.V. sowie seit 1999 Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein e.V. Er ist auch im Vorstand der ABDA und des Deutschen Apothekerverbandes (DAV).


VERERBEN

Sicher vererben Von Thomas Diehn

Am 1.1.2012 nimmt das deutsche Testamentsregister den Betrieb auf. Dort werden alle erbfolgerelevanten Urkunden registriert, die notariell beurkundet wurden und/oder amtlich verwahrt werden. Das Register stellt sicher, dass jede registrierte Urkunde im Sterbefall eröffnet und der letzte Wille des Erblassers verwirklicht wird. Die Bundesnotarkammer arbeitet zur Zeit mit Hochdruck daran, dass Testamentsregister rechtzeitig zum 1.1.2012 fertigzustellen. Die Einzelheiten regelnde Testamentsregister-Verordnung war erst Mitte dieses Jahres erlassen worden. Trotz bereits mehr als zehnjährigen Vorarbeiten wird es deshalb knapp: Wegen der Vielzahl der Beteiligten – alle deutschen Notare, Nachlassgerichte und Standesämter – und der ressortübergreifend erforderlichen Abstimmungen ist es nicht leicht, Anpassungen kurzfristig zu realisieren. In das Zentrale Testamentsregister nimmt die Bundesnotarkammer ab 2012 die sogenannten Verwahrangaben von erbfolgerelevanten Urkunden auf. Dazu zählen Angaben zum Erblasser,

der Urkundentyp und Informationen zu deren Verwahrstelle. Nicht gespeichert wird allerdings der Inhalt von Verfügungen von Todes wegen. Im Sterbefall prüft die Bundesnotarkammer, ob für den Erblasser eine Registrierung vorhanden ist. Falls ja, wird die Stelle benachrichtigt, in deren Verwahrung sich die Urkunde befindet, also das Amtsgericht oder der Notar. Gleichzeitig informiert die Bundesnotarkammer auch das zuständige Nachlassgericht. Bei Ablieferungsverzögerungen wird dadurch verhindert, dass falsche Erbscheine ausgestellt werden.

In das Testamentsregister werden auch die bereits vorhandenen Informationen über bis zum 31.12.2011 errichtete erbfolgerelevante Urkunden aufgenommen. Diese befinden sich derzeit auf gelben Karteikarten bei den jeweiligen Geburtsstandesämtern bzw. dem Amtsgericht Schöneberg in Berlin. Für die Überführung der ca. 15 Mio. Karteikarten ist ein Zeitraum von sechs Jahren vorgesehen. Info: www.testamentsregister.de.

DR. THOMAS DIEHN

Notare und Gerichte können das Testamentsregister darüber hinaus jederzeit abfragen, um im Rahmen Ihrer Tätigkeit zu prüfen, ob ein Erblasser bereits eine erbfolgerelevante Urkunde verfasst hat. Insbesondere Notare können dadurch im Rahmen ihrer erbrechtlichen Beratung ermitteln, ob Beschränkungen der Testierfreiheit vorliegen. Dadurch wird gewährleistet, dass der Urkundenentwurf auf die individuellen Verhältnisse optimal passt. Die Registrierung der Urkunden erfolgt ausschließlich elektronisch über besonders gesicherte Verbindungen, und zwar in der Regel durch Notare. Darüber hinaus können Amtsgerichte Verwahrangaben an das Testamentsregister übermitteln, wenn sie ein eigenhändiges Testament in die besondere amtliche Verwahrung nehmen. Für jede Registrierung ist eine Gebühr von 15 € vorgesehen, in Ausnahmefällen 18 €.

Thomas Diehn (32), LL. M. (Harvard), ist Geschäftsführer der Bundesnotarkammer und Lehrbeauftragter der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Freien Universität Berlin. Der Notar a.D. studierte in Berlin, Genf und Heidelberg und wurde mit seiner Arbeit zu „Rückkehrzusagen beim Betriebsübergang“ an der LMU München promoviert.

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„Alles ist möglich“ Perspektiven der CDU in Großstädten

Wahlen in Großstädten sind für die CDU durchaus zu gewinnen. Städte wie Hamburg und Frankfurt belegen dies

Von Marcus Weinberg

Besonders in Großstädten und mittelgroßen Städten haben wir in den letzten Jahren einen gesellschaftlichen Wandlungsprozess mit einer Veränderung der Sozialstruktur erlebt, deren Ausprägungen mittlerweile im politischen System angekommen sind. Während wir noch in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit von dem Modell der Klassen und später vom Modell der verschiedenen Schichten und deren jeweilige politisch-soziologische Einordnungen und Zugehörigkeiten ausgehen konnten, ist in den letzten Jahren auch deutlich geworden, dass von diesen Modellen nur wenig übrig geblieben ist. Wir müssen mittlerweile von einer verstetigten Struktur der verschiedenen Milieus sprechen. Einerlei, ob man von acht, zwölf oder noch mehr verschiedenen Milieus spricht, entscheidend sind die massiven Auswirkungen auch auf das Wahlverhalten und damit einhergehend auf das politische Anforderungsprofil der Parteien. Die Erfolge der Statt-Partei und Schill-Partei in Hamburg oder nicht zuletzt der Piraten in Berlin sind Beweis genug. Ergänzend dazu gibt es eine verstärkt wahrnehmbare Bewegung in Richtung Bürgerbeteiligung und Partizipation. Auch hierfür zeigt Hamburg mit dem

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Volksentscheid zur Schulreform 2010 ein Beispiel. Dieses veränderte Gesellschaftsbild weicht von den Entwicklungen in den ländlichen Regionen ab. Hinzu kommen nicht zuletzt auch weitere allgemeine Veränderungsprozesse, wie zum Beispiel eine stärkere Säkularisierung der Stadtbewohnerschaft oder stärkere politische Themenbezogenheit. Und welche Auswirkungen spürt die Volkspartei CDU?

Positive und negative Entwicklungspotentiale für die CDU Die immer stärker abnehmende Bindung an Parteien ist bei den Wahlergebnissen der letzten Jahre in Städten nachweisbar. Dabei ist zu konstatieren, dass das Wahlverhalten ganzer soziologischer Gruppen in Teilen nicht mehr vergleichbar ist mit dem Wahlverhalten der 1960er und 1970er Jahre. So ist die Anbindung des Milieus der immer geringer werdenden „traditionellen Arbeiterschaft“ an die SPD genauso - zumindest teilweise - verloren gegangen wie die Anbindung des „traditionellen Bürgertums“ an die CDU. Ein Blick zurück auf die vergangenen zehn Jahre in Hamburg macht dieses deutlich. Die SPD hat weite Teile ihrer Stammwählerschaft bei der Bürgerschaftswahl 2001 an die rechtspopulistische Schill-Partei verloren, die

Foto: Terramara Pixelio

GROSSSTADT-PERSPEKTIVEN CDU hatte gleichzeitig gerade einmal 26 Prozent für sich verbuchen können. Nach dem Bruch der Koalition mit Schill und der FDP konnte die CDU nur drei Jahre später bei der Wahl 2004 über 47 Prozent der Stimmen erlangen. Obwohl man eine Stabilisierung für die Zustimmung der CDU mit dem Wahlergebnis 2008 (42 Prozent) hätte konstatieren können, brach das Wahlergebnis für die CDU 2011 mit knapp 21 Prozent komplett in sich ein. Das heißt, im Ergebnis gab es zwischen dem Jahr 2001 und 2011 Schwankungsgrößen von über 20 Prozent nach oben und nach unten, also eine Verdoppelung beziehungsweise Halbierung der Ergebnisse. Insbesondere die Persönlichkeit des sehr hoch anerkannten Ersten Bürgermeisters Ole von Beust war es zu verdanken, dass die CDU derart gute Wahlergebnisse erzielte. Es gelang ihm durch seine offene großstädtische und hanseatische Art, Wahlergebnisse von 42 und 47 Prozent einzufahren. Es blühte die moderne Großstadtpartei. Bei der Person Ole von Beust kommt die Fertigkeit hinzu, dass er ein für die CDU nicht unerhebliches Problem gelöst hat: Er vereinte eine konservative traditionelle Mitglieder- und Wählerschaft mit der davon abweichenden, nicht besonders CDU-affinen, Stadtgesellschaft, „die jetzt das erste Mal wegen Ole sogar CDU wählte“.

Leitbilder für die Stadt – Personen mit „Stadtprofil“ für die Umsetzung In Teilen hat die CDU in Großstädten aber weiterhin das Problem, dass sie mit ihren inhaltlichen Positionierungen nicht den Kern des Empfindens der Menschen einer Großstadt trifft. Nur wenn es der CDU gelingt, ihr wertegebundenes Profil in Übereinstimmung mit den neuen Anforderungen der Stadtgesellschaft zu bringen - auch in einer eher emotionalen Wahrnehmung - wird sie Optionen entwickeln können, mehrheitsfähig zu sein. Hierbei spielen Leitbilder über die Zukunft der Stadt eine zunehmend bedeutende Rolle. An Ole von Beust ist ohne sein Konzept der „Wachsenden Stadt“ nicht zu denken. Gepaart mit den Profilen seiner Regierungsmannschaft – einem Finanzsenator der klaren Haushaltskonsolidierung oder einem Wirtschaftssenators, der Wirtschaftswachstum persönlich gelebt hat – ist die Kombination Leitbild und personifizierte Umsetzung


Foto: Rike Pixelio

GROSSSTADT-PERSPEKTIVEN

Viele Menschen, auch in Großstädten, haben gerade aufgrund der derzeitigen Krisen eine größere Sehnsucht nach einer („wieder“) wertegebundenen politischen Alternative

gelungen. Zur personellen und inhaltlichen Ausrichtung der CDU in Großstädten muss immer auch das Erscheinungsbild der CDU passen. Klar in der Linienführung, klar in der Ausrichtung und modern im Erscheinungsbild. Dass man hierbei die modernen Formen der Kommunikation wie die sozialen Netzwerke nutzen sollte, bleibt außer Frage. Die CDU steht zum repräsentativen parlamentarisch-demokratischen System. Trotzdem sollte sie auch weiterhin in Großstädten dem Bedarf nach einer verstärkten und frühzeitigen Partizipation der Bürger gerecht werden. Diesen Prozess kann die CDU gerade aufgrund ihrer guten regionalen Anbindung bis hin in die kleineren Stadtteile unterstützen.

Wertegebundenheit und Modernität Viele Menschen, auch in Großstädten, haben gerade aufgrund der derzeitigen Krisen eine größere Sehnsucht nach einer („wieder“) wertegebundenen politischen Alternative. Gerade die CDU als eine Partei, die aus dem christlichen Menschenbild heraus die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit abgeleitet hat, steht hier stärker als alle anderen Parteien auf einem Fundament der wertgebundenen Orientierung. Besonders die Markenkerne christliches Menschenbild, soziale Marktwirtschaft und europäische Integration bedienen

dabei die immer stärker werdenden Sehnsüchte nach einer Klarheit in der Politik. Hierbei muss die CDU immer wieder deutlich machen, dass sie sowohl konservativ als auch liberal, nämlich auch christlich-liberal ist. Eine zu starke, zu einseitige Betrachtung ihres Profils wird zum einen ihrer grundsätzlichen Ausrichtung nicht gerecht und kann auch im Hinblick auf die Wahrnehmung der Stadt problematisch sein. Die Wertegebundenheit der CDU widerspricht in dem Zusammenhang nicht den Lösungsansätzen im Hinblick auf die neuen Herausforderungen in Städten. Diese neuen Herausforderungen, zum Beispiel demografischer Wandel, Integration, Wissensgesellschaft, Bürgergesellschaft und Nachhaltigkeit kann die CDU mit einer hohen Lösungskompetenz bedienen. Die CDU ist gerade dann in Großstädten erfolgreich, wenn sie sich diesen Themen öffnet und eine moderne und bürgernahe Großstadtpolitik verkörpert. Die besten Beispiele hierfür sind die Positionierungen z. B. beim Ausbau der Kindertagesbetreuung unter dem Gesichtspunkt der Wahlfreiheit und der Förderung von Familien, aber auch beim Thema Integration mit Restriktionsansätzen bei Integrationsverweigerung, sowie auch bei der Schaffung einer neuen Willkommenskultur für Menschen, die in der Stadt leben wollen. Modern und progressiv sowie traditionell und restriktiv sind eng miteinander

verbunden. Bei diesen Beispielen hat es die CDU geschafft, klar geleitet durch einen Wertekanon, ein modernes und pragmatisches Bild abzugeben. Hierbei ist es jedoch von besonderer Bedeutung, dass die inhaltlichen Positionen authentisch und glaubwürdig von den entsprechenden Personen vertreten werden. Gerade das Problem der Glaubwürdigkeit und Authentizität war in den letzten Jahren in gewissen Städten für die CDU ein Problem. Wertegebundene Modernität muss sich auch über Personen und Positionen definieren. Wahlen in Großstädten sind für die CDU durchaus zu gewinnen. Städte wie Hamburg und Frankfurt belegen dies, auf diese Erfahrungen gilt es aufzubauen. Persönlichkeiten vor Ort, Sachkompetenz gepaart mit dem Gespür für die Belange der Menschen, aber auch Mut für Veränderungen innerhalb der eigenen Partei sind für die CDU erreichbare Ziele und können Regierungsfähigkeit schaffen.

MARCUS WEINBERG

Marcus Weinberg, MdB, ist 44 Jahre alt und Vater eines Sohnes. Nach dem Studium der Fächer Geschichte (Schwerpunkt), Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaften mit dem Abschluss Erstes Staatsexamen für das Lehramt an der Oberstufe, allgemeinbildende Schulen, war er von 2001 bis 2005 als Lehrer tätig. Seit 2005 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und im Ausschuss für Bildung und Forschung tätig. Im Jahr 2011 wurde er zum Landesvorsitzenden der CDU Hamburg gewählt.

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LEBENSMITTEL

Das neue Verbraucherportal www.lebensmittelklarheit.de erzielte auf Anhieb eine riesige Resonanz

Klarheit und Wahrheit bei Lebensmitteln –

eine Erfolgsbilanz Von Gerd Müller Seit dem 20. Juli ist das Online-Portal der Verbraucherzentralen lebensmittelklarheit. de geöffnet. Die Resonanz ist riesig. Mehr als 2.500 Produkte wurden von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeldet und es kommen wöchentlich weitere hinzu. Verbraucherinnen und Verbraucher fühlen sich von der Aufmachung und Kennzeichnung von konkret benannten Lebensmitteln getäuscht oder sind zumindest irritiert. Nur wenige Monate nach Öffnung des Portals ist damit klar: Der Diskussionsbedarf ist da.

Der Markt für Lebensmittel ist in den heutigen Industrieländern hart umkämpft. Rund 170.000 Lebensmittel und Getränke gibt es nach Angaben der Branche in Deutschland. Täglich werden neue Produkte entwickelt, andere werden vom Markt genommen. Ihre Gestaltung wird immer vielfältiger, unterliegt kontinuierlich Änderungen und folgt wechselnden Marketingtrends. Das gehört zum Kampf um Marktanteile dazu. Die in Deutschland vorhandene Discounterlandschaft verstärkt zudem den Wettbewerb.

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Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist es schwierig, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Sie richten sich in ihrer Kaufentscheidung nach Informationen auf und zu den Produkten. Sie verlangen zunehmend nach mehr Transparenz bei Zutaten und Zusatzstoffen.

Rechtliche Vorgaben Doch nicht jeder Einzelfall kann bei 170.000 Produkten durch den Gesetzgeber geregelt werden. Grundsätzlich ist Täuschung gesetzlich verboten. Das regelt insbesondere das Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuch. Es besagt, dass allein die Eignung zur Täuschung genügt. Eine tatsächliche Täuschung oder ein Vermögensschaden müssen nicht vorliegen. Täuschungen können auch nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geahndet werden. Damit werden neben den Verbraucherinnen und Verbrauchern auch redliche Unternehmen geschützt, die gegenüber unredlichen Wettbewerbern finanzielle Nachteile in Kauf nehmen müssten. Ob ein Verbraucher getäuscht wird, hängt von dem Gesamterscheinungsbild des Lebensmittels in seiner Verpackung ab, das sich im

Zusammenspiel zwischen Kennzeichnung, Aufmachung und werbenden Aussagen ergibt. Gleichwohl ist ein Graubereich vorhanden zwischen verständlicher Gestaltung der Produkte und bewusster Irreführung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Bestimmte Angaben werden hervorgehoben, andere unterlassen oder aber so dargestellt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sie nicht richtig verstehen. Regionale Bezeichnungen und bildliche Darstellungen verleiten mitunter zu Fehlschlüssen.

Es begann mit Käse und Schinken Auslöser für die Diskussion um irreführende und täuschende Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln, die bis heute anhält, waren Käse- und Schinken-Imitate. Sie standen am Anfang und verdeutlichten, dass eine große Zahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern den Eindruck hat, getäuscht zu werden. Mit dem neu überarbeiteten Lebensmittelkennzeichnungsrecht, das nach einer Übergangsfrist EU-weit gelten wird, haben wir hier für Klarheit gesorgt. Dennoch belegen die im Internetportal aufgeführten Fälle, dass die Vorstellungen von Unternehmen und Verbrauchern darüber, was verständlich ist, zum Teil weit auseinander liegen. Hier mangelt es offenbar an einer gemeinsamen Sprache.


GEBÜHRENORDNUNG Die Initiative von Bundesministerin Ilse Aigner zu Klarheit und Wahrheit will Verständigung möglich machen. Sie soll Wirtschaft und Verbraucher einander näher bringen, indem der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessert wird und Unternehmen im Wettbewerb gestärkt werden, die ihre Produkte verbraucherfreundlich kennzeichnen. Deshalb fördert unser Ministerium das Internetportal als Projekt des Verbraucherzentrale Bundesverbandes finanziell. Es soll Anlaufstelle sein für Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich informieren wollen oder durch ein konkretes Produkt getäuscht fühlen. Durch die Diskussion über konkrete Produkte werden die Verbraucher sensibler für rechtliche Anforderungen an die Lebensmittelkennzeichnung.

Erste Erfolgsbilanz Ähnlich wie die Tests der Stiftung Warentest sorgt das Portal so für mehr Markttransparenz und schärft den Blick der Verbraucherinnen und Verbraucher. Doch es funktioniert nicht als Einbahnstraße. Es soll den Dialog zwischen Verbrauchern und Wirtschaft fördern. Denn die Hersteller haben Gelegenheit, Stellung zu nehmen, zu erklären und Verständnis zu schaffen. Halten die Hersteller Beschwerden für nachvollziehbar und ändern ihre Produkte, so wird auch dies im Portal bekanntgegeben. Eine Reihe von Produkten hat bereits ein neues Antlitz erhalten. Auch das gehört zur Erfolgsbilanz des Portals. Ein amtliches Beanstandungsportal ist lebensmittelklarheit.de nicht. Es werden

dort keine rechtlichen Urteile über gemeldete Produkte gefällt. Das bleibt Aufgabe der Lebensmittelüberwachung und der Gerichte. Auch Warnungen vor Gesundheitsgefahren durch Lebensmittel enthält das Portal nicht. Es geht schlicht um die Frage, wie es um die Aufmachung und Kennzeichnung der Lebensmittel steht. Die Politik ist nicht unbeteiligt: Diese Debatte dient dazu, unsere Datengrundlage für die Verbesserung staatlicher Maßnahmen sowie der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuchs zu erweitern. Wir werben auch weiterhin für dieses Portal bei Verbrauchern und Unternehmen. Beide Seiten werden von der angestoßenen Debatte profitieren. Denn die Verbraucherwünsche von heute sind die Unternehmensumsätze von morgen. Das gehört zu einer nachhaltig ausgerichteten Geschäftsidee dazu. Wir können uns sehr gut vorstellen, dass ein Verhaltenskodex der Wirtschaft am Ende dieses Lernprozesses steht. Daneben werden die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches auch im Hinblick auf Verständlichkeit überarbeitet. Mehr Transparenz wird das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher nachhaltig stärken. Die Auseinandersetzungen vor allem mit Teilen der Wirtschaft, die vor dem Start des Portals Bedenken hatten, haben öffentliche Aufmerksamkeit gesichert. Das Internet-Portal erfreut sich großer Bekanntheit. Das Marktforschungsinstitut YouGov hat es im Vorfeld der Anuga an den Tag gebracht: Danach hat fast jeder zweite Befragte bereits davon gehört. Knapp jeder Dritte äußerte, sich dort künftig regelmäßig über

Lebensmittel informieren zu wollen. Damit ist die Reichweite dieser Diskussionsplattform enorm. Sie hat Einfluss und ist ein Faktor im Wettbewerb. Lebensmittelklarheit.de ist eine tragende Säule unserer Initiative für mehr Klarheit und Wahrheit bei der Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln. Mit ihr gestalten wir Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite.

DR. GERD MÜLLER

Gerd Müller, MdB, ist 56 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Nach dem Studium der Politik- und Wirtschaftswissenschaften, welches er als Diplomwirtschaftspädagoge abschloss, arbeitete er zuletzt im Grundsatzreferat des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Von 1989 bis 1994 gehörte er dem Europaparlament an. Seitdem vertritt er den Wahlkreis Kempten, Lindau und Oberallgäu im Deutschen Bundestag. Seit 2005 ist er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

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HALBZEITBILANZ

Zwei Jahre christlich-liberale Bundesregierung Eine Zwischenbilanz aus Sicht von Nordrhein-Westfalen Von Norbert Röttgen

Die ersten beiden Jahre der christlichliberalen Bundesregierung waren durch riesige Herausforderungen geprägt: die Folgen der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise, die Katastrophe in Japan, die Entwicklung im arabischen Raum, die Schuldenkrise in Europa … Nicht alles ist so gelaufen, wie wir es uns gewünscht hätten – auch innerhalb der Koalition. Es gibt in den nächsten Jahren noch viel zu tun. Aber wir haben durchaus einiges erreicht und wichtige Erfolge erzielt. Ich möchte drei Punkte nennen:

1. Solide Haushaltspolitik – Gesunde Wirtschaft Deutschland hat die Finanzmarktund Wirtschaftskrise überraschend schnell und spürbar besser als die meisten anderen Länder überwunden. Im letzten Jahr hatte Deutschland das stärkste Wachstum seit der Wiedervereinigung zu verzeichnen. Die Arbeitslosenzahl geht überall im Land zurück und unterschreitet inzwischen die Drei-Millionen-Grenze. Mehr als 41 Millionen Menschen sind erwerbstätig, so viele wie nie zuvor. Als einzige Volkswirtschaft in Europa schafft es Deutschland, die Gesamtverschuldung von derzeit 83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts noch in diesem Jahr auf rund 80 Prozent zu reduzieren. Dies ist möglich, da das Wirtschaftswachstum erstmals höher ist als die Neuverschuldung. Diese Entwicklung ist jedoch nicht selbstverständlich. Sie ist das Ergebnis einer verantwortlichen Politik, die den Weg einer soliden Haushaltskonsolidierung konsequent verfolgt und damit ihre Verantwortung auch für nachfolgende Generationen ernst nimmt.

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Leider hat sich die rot-grüne Minderheitsregierung in NordrheinWestfalen für einen anderen Weg entschieden. Während sich alle europäischen Regierungen um eine Konsolidierung ihrer Haushalte bemühen, hat Frau Kraft als erste Regierungschefin eine Politik der Verschuldung zum Regierungsziel erklärt. Dass die nordrhein-westfälischen Verfassungsrichter dieser Politik eine deutliche Absage erteilt haben, bestätigt unseren Kurs – auf Bundes- wie auf Landesebene: Verantwortliche Haushaltspolitik ist ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft und eine Verpflichtung gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern.

2. Energiewende Gleiches gilt für die Energiewende, die wir in Berlin beschlossen haben, die jedoch gerade für NordrheinWestfalen als wichtiges Industrieland eine besondere Bedeutung hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns für den richtigen Weg entschieden haben, und zwar aufgrund der Risikobewertung und der nach wie vor ungelösten Endlagerfrage, nicht zuletzt aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Es war aus meiner Sicht richtig und wichtig, dass wir nach der Katastrophe in Japan Konsequenzen gezogen haben. Wenn in einem Hochtechnologieland, in dem hohe Sicherheitsstandards gelten und das sich auf konkrete Gefährdungslagen (Erdbeben) eingestellt hat, der Eintritt genau dieser Gefahren aus welchen Gründen auch immer zu nicht mehr beherrschbaren Risiken führen kann, dann gilt dies auch für Deutschland. Bei uns geht es dann zum Beispiel um mögliche Flugzeugabstürze oder terroristische Anschläge und selbstverständlich ist auch menschliches Versagen nie auszuschließen.

Wir müssen in unserem Leben ständig Risiken eingehen. Aber im Gegensatz zu anderen bekannten Risiken liegen in der Nutzung der Kernkraft Gefahren, die weit über unsere Generation hinausreichen. Unzählige Opfer von Tschernobyl und Fukushima sind heute noch nicht einmal geboren. Dazu kommt, dass die Frage der Endlagerung des nuklearen Abfalls bis heute völlig ungelöst ist. Solche Probleme dürfen wir nach meiner tiefen Überzeugung nicht einfach an unsere Kinder und Enkelkinder weitergeben. Wir tragen eine Verantwortung für die Schöpfung und für künftige Generationen. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, heißt aus meiner Sicht, schnellstmöglich aus der Kernenergie auszusteigen und sie durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns für den richtigen Weg entschieden haben. Ich halte die Energiewende aus ethischen und ökologischen Gründen für richtig. Sie ist aber aus meiner Sicht auch wirtschaftlich vernünftig, weil sie immense Chancen für die Zukunft birgt. Natürliche Ressourcen wie Öl werden immer knapper, was sich in stetig steigenden Preisen dokumentiert. Die deutsche Wirtschaft ist überdurchschnittlich abhängig von Energieimporten. Deshalb ist die Energiewende gerade auch im Sinne industriepolitischer Sicherheit geboten. Mit den Energie- und Umwelttechnologien entstehen die Märkte der Zukunft. Ihr Weltmarktvolumen summiert sich schon heute auf rund 1,7 Billionen Euro. Es wird sich allein in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. Diejenigen, die hier investieren, werden die Technologieführer und damit auch die Exportweltmeister der Zukunft sein.


Dies ist eine Herausforderung, aber auch eine große Chance – ganz besonders für ein wichtiges Industrie-Bundesland wie Nordrhein-Westfalen. Diese Chance müssen wir nutzen.

3. Mehr Europa im deutschen (und nordrhein-westfälischen) Interesse Die europäische Integration war immer ein zentrales Ziel christlich-demokratischer Politik – und zwar ebenso aus politischen wie aus wirtschaftlichen Gründen. Deshalb ist es gerade in dieser Zeit wichtig, dass wir eine unionsgeführte Bundesregierung haben. Eine spannungsfreie wirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Union sowie die Stabilität der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion einschließlich der gemeinsamen Währung liegen im besonderen Interesse Deutschlands. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, auf die europäische Schuldenkrise, die sich zu einer ernsthaften Bedrohung für den Euro und für die europäische Integration entwickelt hat, eine gestaltende Antwort zu finden. In Europa können wir unsere Interessen nicht von denen unserer Nachbarn trennen. Deutschland geht es gut, wenn es Europa gut geht. Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten bewiesen, dass sie in der Lage ist, in Krisensituationen rasch und umsichtig zu handeln. Wir haben konkrete Maßnahmen beschlossen, um Griechenland in die Lage zu versetzen, seine strukturellen Probleme zu lösen. Neben diesen kurzfristig notwendigen Maßnahmen muss es aber aus meiner Sicht jetzt vor allem darum gehen, eine Strategie zu entwickeln, um wegzukommen von einer Politik der kurzfristigen Reaktion auf die Märkte. Es bedarf einer Einbettung

In Europa können wir unsere Interessen nicht von denen unserer Nachbarn trennen. Deutschland geht es gut, wenn es Europa gut geht. der gemeinsamen Währung in eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, um den Euro dauerhaft stabil und krisenfest zu machen. Um eine funktionierende europäische Stabilitäts- und Wachstumspolitik zu gewährleisten, müssen außerdem handlungsfähige Institutionen sowie effektive Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen entwickelt werden. Im Kern geht es jetzt darum, die Europäische Währungsunion zu vollenden, um die dauerhafte Stabilität des Euro zu gewährleisten. Als Europapartei kann und muss die CDU Motor einer solchen Entwicklung sein.

DR. NORBERT RÖTTGEN

Norbert Röttgen, MdB, Jahrgang 1956, ist verheiratet und hat drei Kinder. Der promovierte Jurist gehört dem Deutschen Bundestag seit 1994 an und war von 2005 bis 2009 Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2009 ist er Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Im Mitgliederentscheid 2010 setzte er sich als Landesvorsitzender der CDU NordrheinWestfalen durch. Er ist stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.

Weiterdenken Innovation hat einen Namen: Covidien Kompetenz in der Produktentwicklung Im vergangenen Jahr wurde Covidien zwei Mal in Folge durch das Patent Board in Chicago (USA) als Innovationsführer seiner Branche gekührt1. Basis der Analysen des Patent Board ist die Bewertung der jeweiligen Patent-Portfolios von insgesamt mehr als 120 internationalen Unternehmen. Insbesondere in der Chirurgie zählt Covidien seit vielen Jahren zu den unangefochtenen Marktführern. Aktuelle Beispiele der Innovationskraft von Covidien in der Chirurgie sind die neuen revolutionären Handinstrumente im Bereich SILS™ (Single Incision Laparoscopic Surgery), der EEA™ Hämorrhoiden Stapler, die höchst innovative Nahtmaterial der V-Loc™ Produktserie oder der Endo GIA™ Ultra Universal Stapler mit der innovativen Tri-Staple™ Technologie. Kompetenz in ärztlicher Ausbildung Die Covidien »Master Class« Schulungen in Elancourt (Paris) und Straßburg setzen Maßstäbe und vermitteln praktisches Wissen in einem professionellen Umfeld und auf höchstem Niveau. Gleiches gilt für die Ausbildung von OP-Schwestern und Pflegern, sowie der eigenen Mitarbeiter. »Best in Class« ist unser nationaler und internationaler Anspruch.

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The Patent Board, 20 North Wacker Drive, Chicago, IL 60606 http://www.patentboard.com/PressRoom/ArticleView/tabid/95/smid/440/ArticleID/108/reftab/38/t/Covidien%20continues%20to%20lead%20 industry/Default.aspx


Foto: AOK-Mediendienst

GEBÜHRENORDNUNG

GEBÜHRENORDNUNG FÜR ÄRZTE auf den aktuellen Stand bringen Eine Aktualisierung der GOÄ muss also zwingend noch in dieser Legislatur erfolgen

Von Theodor Windhorst Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) hat zwei ganz wesentliche Aufgaben zu erfüllen: sie soll den Patienten vor willkürlich festgelegten Preisen schützen und dem Arzt eine leistungsgerechte Vergütung sichern. Der Gesetzgeber hat dabei die privatärztliche Versorgung ganz bewusst nicht dem freien Markt überlassen. Denn eine hochqualitative Medizin kann von dem Arzt nur bei kostendeckender Honorierung erbracht werden.

Mit der derzeitigen GOÄ ist dies aber schlichtweg nicht mehr möglich. Dieses mittlerweile 28 Jahre alte Regelwerk hat ein völlig veraltetes Leistungsverzeichnis, das die Entwicklung des medizinisch-technischen Fortschritts in vielen Bereichen nur durch Analogbewertungen abbilden kann. Zudem erfolgte schon seit Jahren keine Anpassung mehr an die allgemeine

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Kostenentwicklung. Seit 1983 wurde der Punktwert der GOÄ um gerade mal 14 Prozent angehoben – bei einer Steigerung der Verbraucherpreise um 70 Prozent in diesem Zeitraum.

Reichlich Konfliktstoff Weiteren Konfliktstoff bietet das seit 1996 verschärfte Zielleistungsprinzip. Zweck der Bestimmungen zum Zielleistungsprinzip ist es, eine Doppelhonorierung von Leistungen zu verhindern. Daher darf ein Arzt ein und dieselbe Leistung, die zugleich Bestandteil einer von ihm gleichfalls vorgenommenen umfassenderen Leistung ist, nicht zweimal abrechnen. Dies hat aber vor dem Hintergrund eines dem derzeitigen medizinischen Stand nicht entsprechenden Leistungsverzeichnisses in den letzten Jahren zu vermehrten Abrechnungskonflikten und Auslegungsfragen geführt.

Eine Aktualisierung der GOÄ muss also zwingend noch in dieser Legislatur erfolgen. Grundlage sollte der von der Bundesärztekammer erarbeitete Vorschlag für eine neue GOÄ sein. Unter Einbeziehung der rund 160 verschiedenen ärztlichen Berufsverbände und medizinischen Fachgesellschaften wurde das Leistungsverzeichnis komplett überarbeitet und jede einzelne Position des Einzelleistungskataloges nach einem modernen betriebswirtschaftlichen Bewertungsmodell sauber durchkalkuliert.

4.000 Gebührenpositionen Maßgeblich für die Weiterentwicklung der GOÄ waren eine Aktualisierung gemäß des medizinischen Fortschrittes, das Eingehen auf den veränderten Versorgungsbedarf, eine bessere Abbildung von Leistungen der sprechenden und zuwendungsorientierten


GEBÜHRENORDNUNG Medizin sowie eine Präzisierung von Leistungsbeschreibungen und Abrechnungsbestimmungen. Dem Bedarf einer älter werdenden Bevölkerung entsprechend, wurden Gebührenpositionen für die Versorgung chronisch kranker Patienten aufgenommen. Bisher konnten diese Leistungen nur über mehr oder weniger konfliktive Analogbewertungen dargestellt werden.

privaten Krankenversicherungsunternehmen zur Gewinnmaximierung zu stärken. Mit der Öffnungsklausel wäre es der PKV möglich, die Honorarhöhe für erbrachte ärztliche Leistungen völlig frei festzulegen – das Einkaufsmodell der GKV würde einfach auf die Private Krankenversicherung übertragen. Ein Preisdiktat durch die PKV für die Ärzte wäre unausweichlich.

Komplexere Leistungen, wie größere operative Eingriffe und interventionelle Maßnahmen, wurden unter Erfassung der methodisch notwendigen Einzelschritte legendiert. Insgesamt umfasst das von der Bundesärztekammer neu konzipierte GOÄ-Leistungsverzeichnis nun mehr als 4.000 Gebührenpositionen. Daraus sollte aber nicht der Schluss gezogen werden, dass es zu einer deutlichen Mengenausweitung kommt. Ganz im Gegenteil können mit dem neuen Leistungskatalog die Behandlungsfälle zielgenauer abgebildet werden, so dass Fehlanreize für eine Mengenausweitung nicht mehr gegeben sind.

Für den Patienten bedeutet die Öffnungsklausel, dass die freie Arztwahl und das grundsätzlich zur Verfügung stehende ärztliche Leistungsspektrum ganz erheblich eingeschränkt werden. Nicht ein qualitätsbewusster Wettbewerb um möglichst gute ärztliche Leistungen wird gefördert, sondern ein reines Preisdumping mit einem Verfall der Qualität gefördert wird.

Öffnungsklausel abgelehnt Darüber hinaus wird von der Bundesärztekammer vorgeschlagen, den Zentralen Konsultationsausschuss für Gebührenfragen zu einem privatärztlichen Beratungsausschuss mit paritätischer Besetzung und Schiedslösung im Konfliktfall weiterzuentwickeln. Neben der Bundesärztekammer sollten in diesem Ausschuss der Verband der privaten Krankenversicherungen, Vertreter der Beihilfekostenträger und des Bundesministeriums für Gesundheit sowie mit Gaststatus die Privatärztlichen Verrechnungsstellen vertreten sein. Dieser Ausschuss könnte sich dann regelmäßig mit Aktualisierungsvorschlägen für Leistungsinhalte und Leistungsbewertungen befassen. Kategorisch abgelehnt werden alle Ansätze in Richtung einer Öffnungsklausel. Die Öffnungsklausel fördert nicht den Wettbewerb, sondern sie zielt einzig und allein darauf ab, die Marktmacht und die Möglichkeiten der

Dieser politischen Einflussnahme des Verbandes der privaten Krankenversicherungen auf die ärztliche Versorgung muss entschieden entgegengetreten werden. Es darf keine Eingriffe in die freie Arztwahl und die Therapiefreiheit der Ärzte geben. Entgegen dem von dem PKV-Verband gewollten Systemwechsel besteht die Ärzteschaft auf einem fairen, transparenten und nachvollziehbaren Gebührenordnungssystem für ärztliche Leistungen. Dass sich das Bundesministerium für Gesundheit gegen die Einführung einer Öffnungsklausel in den allgemeinen Teil der amtlichen Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) entschieden hat, ist ein Sieg der besseren Argumente. Es gibt keinen vernünftigen Grund für die Koalition, bei der anstehenden Novellierung der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte einen anderen Kurs einzuschlagen. Die privaten Krankenversicherungen sollten erkennen, dass ihnen allmählich die Zeit wegläuft, wenn sie wider alle besseren Argumente und gegen die Interessen ihrer Versicherten und der Ärztinnen und Ärzte auf Einführung einer Öffnungsklausel in der GOÄ bestehen.

Es gibt aus Sicht von Bundesärztekammer und Bundeszahnärztekammer fünf gute Gründe gegen eine Öffnungsklausel: 1. Weniger Patientenrechte – mehr Abhängigkeit. Die Patienten werden auf Vertragsärzte ihrer Krankenversicherung festgelegt und können den Arzt ihres Vertrauens nicht mehr frei wählen. 2. Mehr ruinöser Wettbewerb – weniger Behandlungsqualität. Ein ruinöser Preiswettbewerb zwischen den Ärzten und ein immenser Kostendruck würden die Qualität der Behandlung ernsthaft gefährden. 3. Weniger ärztliche Selbstverwaltung – mehr Preiskartelle. Die Öffnungsklausel würde die zuverlässigen Strukturen der ärztlichen Selbstverwaltung zerstören, die die ärztlichen Leistungen außerhalb der GOÄ allein durch vertragliche Vereinbarungen mit der PKV pauschaliert vergütet würden. 4. Mehr Konzentration – weniger Versorgung in der Fläche. Der entstehende Kostendruck und Wettbewerb würden eine flächendeckende Versorgung ausdünnen. 5. Novellierung statt blindem Aktionismus. Nur eine aktualisierte GOÄ kann ihre Funktion als Schutz für die Patienten und Gewähr für existenzsichernde Mindesthonorare erfüllen.

DR. THEODOR WINDHORST

Theodor Windhorst, wurde 1950 in Bielefeld geboren. Nach seinem Studium der Humanmedizin in Münster, wurde er 1980 approbiert und Bereits seit 1989 ist er berufspolitisch aktiv. Seit 2005 ist er Präsident der Ärztekammer WestfalenLippe und seit 2010 Vorsitzender des Ausschusses Gebührenordnung der Bundesärztekammer.

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RABATTVERTRÄGE

Rabattverträge: Stärkung durch das AMNOG Von Axel Döß

Seit dem Inkrafttreten des damaligen Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) am 01.01.2003 gibt es für Hersteller von Pharmazeutika die Möglichkeit, mit den Krankenkassen Rabattverträge über Arzneimittel zu schließen. Die Rechtsgrundlage dafür bietet der mit dem BSSichG neu eingeführte § 130a, Abs. 8 SGB V. Laut Angaben des AOK Bundesverbandes hatte dies seit 2007 Einsparungen in Höhe von nahezu einer Milliarde Euro allein im AOK-System zur Folge. Für Ärzte hat es in der ambulanten Versorgung immer wieder Anreize gegeben, Rabattverträge auch zu bedienen. Verschiedene Selektivvertragsvereinbarungen, z.B. nach § 73b SGB V (hausarztzentrierte Versorgung), haben dazu geführt, dass Rabattvertragsarzneimittel bevorzugt verordnet werden.

Rolle des § 130a Abs. 8 SGB V in Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu Insulinanaloga Eine besondere Rolle spielt der § 130a Abs. 8 bei Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses: Bei der ersten Entscheidung des G-BA zum Ausschluss der „kurzwirksamen Insulinanaloga“ aus der vertragsärztlichen Versorgung im Jahr 2006 (Beschluss vom 19.07.2006) wird ausdrücklich davon gesprochen, dass „Diese Wirkstoffe nicht verordnungsfähig sind, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin verbunden sind.” Aus diesem Grund haben die Hersteller der betroffenen Präparate mit nahezu allen Krankenkassen Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V abgeschlossen.

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So wurde die Voraussetzung geschaffen, die Modernen Insuline im GKV Leistungskatalog zu erhalten. Auch im Zuge des Beschlusses des G-BA zu den „langwirksamen Insulinanaloga“ im Jahr 2010 wurde die Möglichkeit, Rabattverträge abzuschließen, von den betroffenen Firmen genutzt. Dies ist seit Juli 2010 geschehen. Für die Indikation Diabetes mellitus Typ 2 besteht sowohl für die langwirksamen als auch für die kurzwirksamen Insulinanaloga eine Kostengleichheit gegenüber vergleichbaren Humaninsulinprodukten. Die Wirtschaftlichkeit dieser Produkte ist bei indikationsgerechtem Einsatz durch den Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V zwischen den Krankenkassen und den herstellenden pharmazeutischen Unternehmen gewährleistet.

Rabattverträge und die Auswirkungen auf die Verordnungsrealität Als Folge der Rabattverträge für Moderne Insuline hätte es angesichts der patientenrelevanten Vorteile der kurz- bzw. langwirksamen Insulinanaloga gegenüber vergleichbarem Humaninsulin (z.B. weniger Hypoglykämien, besseres Gewichtsmanagement, kein SpritzEss-Abstand, weniger Insulinverbrauch) inzwischen zu einer Zunahme der Verordnungen kommen müssen. Wie aktuelle Zahlen belegen, ist der Einsatz der Modernen Insuline in Deutschland im europäischen Vergleich noch sehr gering. Ein wesentlicher Grund könnte sein, dass den Ärzten Detailkenntnisse zu Rabattverträgen fehlen. Insbesondere die unbekannte Höhe der Rabatte wird immer wieder als

Kriterium dafür angeführt, ein Humaninsulin anstelle eines vergleichbaren Modernen Insulins im Falle der Indikation Diabetes mellitus Typ 2 zu verordnen. Dieses Verordnungsverhalten ist auch im Kontext der seit 2002 gültigen DMP Leitlinien für Diabetes mellitus Typ 2 zu sehen. Allerdings ist für den einzelnen Arzt im Falle der Modernen Insuline die genaue Kenntnis der Rabatthöhe gar nicht notwendig: Die Krankenkassen haben bei dem Abschluss der Rabattverträge, deren Inhalt sie kennen und deren Konditionen ihnen bekannt sind, geprüft, dass die Vorgaben aus den Beschlüssen des G-BA erfüllt sind.

Rabattverträge und die Konsequenzen für die Durchführung von Richtgrößenprüfungen Im Zuge der Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V ist es bis jetzt so, dass die Höhe der Rabatte bei der Berechnung des Verordnungsvolumens zunächst unberücksichtigt bleibt. Das bedeutet, dass dem Arzt im Falle der Verordnung eines Modernen Insulins der gewährte Rabatt zunächst nicht in sein praxisindividuelles Arzneiausgabenvolumen eingerechnet wird. Dies führt in der Folge zu einem scheinbar höheren arztindividuellem Arzneiausgabenvolumen und im Falle einer Überschreitung um mindestens 15% des Richtgrößenvolumens automatisch in ein Prüfverfahren. Im weiteren Verlauf eines solchen Verfahrens, insbesondere bei der Ermittlung einer möglichen, tatsächlichen Regresssumme, müssen dann allerdings auch die den Krankenkassen gewährten Rabatte, wie auch alle gesetzlichen Rabatte sowie die Zuzahlungen der Patienten abgezogen werden, so dass es in den allermeisten Fällen gar nicht zu einem Regress kommt.


RABATTVERTRÄGE Ob dies im Sinne der Beteiligten ist, sei dahingestellt, denn der Zeit- und Arbeitsaufwand durch Prüfverfahren ist für alle Beteiligten groß. Würden die Rabatte bereits vor dem Feststellen des Ausgabenvolumens den zuständigen Gemeinsamen Prüfeinrichtungen von den Krankenkassen gemeldet, ließe sich dieser Aufwand deutlich reduzieren. Diesem Umstand ist nun seitens des Gesetzgebers im Zuge der Einführung des AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) Rechnung getragen worden. Der § 106 Abs. 5c wurde um einen Satz 2 erweitert, der sicherstellen soll, dass „.. die tatsächlichen Kostenvorteile der Krankenkassen durch Zuzahlungen und Rabattverträge zugunsten des Arztes bei der Richtgrößenprüfung vorab von den Verordnungskosten abgezogen werden.“ Diese Änderung des § 106 SGB V soll zukünftig in den auf Länderebene vorhandenen Prüfvereinbarungen Berücksichtigung finden. Auch eine Umsetzung in den jährlich abzuschließenden Richtgrößenvereinbarungen ist möglich, so z.B. bereits in der KV Nordrhein geschehen. Hier kann der Arzt sicher sein, dass der Rabatt im Falle eines Modernen Insulinens bereits vorab von seinem Verordnungsvolumen abgezogen wird. Durch diese Regelung wird ein aktiver Beitrag dazu geleistet, den

Allergologie Allgemeine Laboruntersuchungen Anti-Aging Arbeitsmedizin Erbkrankheiten/Humangenetik Individuelle Gesundheitsleistungen Patientenschulungen Umweltmedizin

Arzt von bürokratischen Lasten zu befreien und gleichzeitig für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 eine moderne Insulintherapie zu ermöglichen.

DR. AXEL DÖSS

Axel Döß, Jahrgang 1966, drei Töchter. Studium der Chemie an den Universitäten Siegen und Mainz. Promotion 2001. Seit 2002 in verschiedenen pharmazeutischen Unternehmen im Bereich Health Care Relation Management tätig, seit 2006 bei der Novo Nordisk Pharma GmbH. Vorstandsmitglied des Fördervereins für ärztliche Fortbildung in Rheinland-Pfalz. Zusatzstudium „Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen“ an den Hochschulen Kaiserslautern und Witten/Herdecke.

Labor

FAZIT Durch die erweiterte Regelung des § 106 Abs. 5c Satz 2 will der Gesetzgeber erreichen, dass die tatsächlichen Kostenvorteile der Krankenkassen durch Rabattverträge sich arztindividuell bemerkbar machen. Dies ist auch im Interesse der Krankenkassen, denn nur durch ein höheres Verordnungsvolumen rabattierter Arzneimittel können die Wirtschaftlichkeitspotenziale, die sich aus Rabattverträgen ergeben, voll erschlossen werden. Für die pharmazeutischen Unternehmen werden Rabattverträge dann interessant, wenn sich eine Win-Win-Situation ergibt, von der alle Beteiligten und vor allem auch die Patienten profitieren: Im gewählten Beispiel sind dies namentlich die Patienten mit Typ 2 Diabetes durch deren „freien“ Zugang zu Modernen Insulinen. Und auch für den Arzt liegen die Vorteile auf der Hand: Weniger Bürokratie, mehr Zeit für die Patienten, Verordnungsentscheidungen auf der Grundlage individueller medizinischer Faktenlage und letztlich ein Stück weniger Regressangst.

Diagnostik

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Foto: Gerd Altmann Pixelio

ENTBÜROKRATISIERUNG DER PFLEGE

„Bürokratie fängt da an, wo Abläufe im Arbeitsalltag nicht mehr als sinnvoll empfunden werden“

Durch Bürokratieabbau die Qualität der Pflege sichern und mehr Zeit für die Menschen gewinnen

Interview mit Elisabeth Beikirch, Ombudsfrau für Entbürokratisierung in der Pflege am puls: Frau Beikirch, aus ihrem Lebenslauf ist abzulesen, dass sie im Bereich Pflege beheimatet sind. Können sie uns ein paar Punkte nennen, die sie aus ihrer Sicht besonders für ihre Aufgabe qualifizieren? Beikirch: Zunächst: Sie sollten Kenntnisse über Verwaltungsabläufe, Gesetzgebungsverfahren und Gesetzmäßigkeiten der Selbstverwaltung im Gesundheits- und Sozialwesen besitzen. Sie benötigen einschlägiges Fachwissen in den Bereichen Pflege und Pflegemanagement, Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung und der Berufsgesetzgebung auf Landes- und Bundesebene. Entwicklungen in der Pflege- und

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Gesundheitspolitik, sowie die Auswirkungen auf ambulante und stationäre Versorgungssettings sollten ihnen ebenso vertraut sein, wie die zentralen Akteure in den Verbänden und Organisationen sowie dem Verbraucherschutz und der Selbsthilfe. Für die Thematik Bürokratieabbau, bedarf es einer guten Vernetzung mit Experten aus Praxis, Management, Lehre und Wissenschaft diverser Disziplinen, in Behörden und im politischen Raum auf Landes- und Bundesebene. Mein berufliches Leben ist im Wesentlichen geprägt durch die konzeptionelle Ausgestaltung und Steuerung von Projekten, die sich mit der familiären und beruflichen Pflege und

Entwicklungen im System gesundheitlich sozialer Versorgung auseinander gesetzt haben. Zentrale Themen waren hier immer Schnittstellenproblematiken im Leistungsgefüge unterschiedlicher Sozialgesetze, Konzepte der Qualitätsentwicklung, der Pflegberatung und des Case und Care Managements,der Kompetenzen von beruflich Pflegenden und ihrer bildungsstrukturellen Rahmenbedingungen. Durch meine Tätigkeit als Pflege- und Berufsreferentin in einer obersten Landesbehörde habe ich gute Einblicke in administrative und politische Prozesssteuerung erhalten. All diese Themen finde ich bei der Aufarbeitung und Analyse zum Thema Bürokratie in der Pflege wieder. Wie kann Bürokratieabbau in Teilleistungsbereichen für die betroffenen Familien Entlastung bringen, welche Ergebnisse können sie


Foto: Spahn-Team

ENTBÜROKRATISIERUNG DER PFLEGE tatsächlich zur Entalstung im beruflichen Alltag oder für Familien erzielen? Kann Bürokratieabbau ein Beitrag zur Qualitätssicherung in der Pflege oder Senkungen von Kosten sein? Was ist durch gesetzliche Vorgaben ausgelöst worden, was durch Regelungen im Rahmen der Selbstverwaltung und der Qualitätskontrolle, was durch das Management von Trägern in ambulanten und stationären Einrichtungen selbst? Was steht möglicherweise sogar in Verbindung mit der strukturellen Grundausrichtung der Pflegeversicherung? ap: Erste Gespräche haben Sie nun bereits geführt. Welche Rückmeldungen erhalten sie aus der Praxis? Welche konkreten Erwartungen werden an sie gerichtet? EB: Zunächst zu den Rückmeldungen: Im Rahmen der Pflegedialoge, die der Bundesgesundheitsminister geführt hat, haben die großen Verbände der privaten und frei gemeinnützigen Einrichtungsträger umfassende Vorschläge zum Bürokratieabbau in der ambulanten und stationären Pflege überreicht. Sie stehen teilweise im engen Zusammenhang mit den Empfehlungen des ‚Runden Tisch Pflege‘ aus dem Jahre 2005. Diese gilt es auszuwerten und im Hinblick auf die Umsetzbarkeit für die anstehende Pflegereform zu prüfen. Erstaunlich ist für mich eine zweite Informationsquelle: Es melden sich bundesweit einzelne Pflegeteams und Pflegexperten mit sehr konkreten Vorschlägen, zur Veränderung von Verfahrensabläufen in ihrem beruflichen Alltag. Während die Pflegefachkräfte in der ambulanten Pflege mehrheitlich Veränderungen in der Zusammenarbeit mit den Pflege- und Krankenkassen anmahnen sowie den Verfahrensabläufen bei Genehmigungen von Leistungen, werden aus dem stationären Sektor eher Dokumentationserfordernisse im Rahmen diverser Prüfverfahren als ausgesprochen belastend geschildert. Erstaunlich ist, dass die Vorschläge zum Bürokratieabbau aus beiden Informationsquellen

thematisch fast identisch sind und mir bisher keine wirklich neuen Themen zur Kenntnis gebracht wurden. Diese Erkenntnis, deckt sich auch mit den Themenfeldern aus dem kürzlich geschlossenen Chat-Room, den der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion im BT, Jens Spahn, stellvertretend für die AG Gesundheit in der CDU/CSU Bundestagsfraktion, zum Dialog mit den Pflegenden eingerichtet hatte. Die Auswertung der Ergebnisse wurden mir kürzlich von Herrn Spahn, Herrn Zylajew und Herrn Stracke als weitere Informationsquelle für Vorschläge zum Bürokratieabbau übergeben. Auch hier verstärkt sich der Eindruck, dass Belastungen durch bürokratische Vorgänge offensichtlich in allen Bereichen zugenommen haben. Informationen ganz anderer Art erhalte ich in Form von Mails und Briefen von Bürgerinnen und Bürgern, die mir ihre persönlichen Erfahrungen im Zusammenhang mit Pflegesituationen schildern. Es geht hier fast immer um Antragsstellungen und das Verfahren der Begutachtung. Nicht selten beziehen sich die Schilderungen aber auch auf Wahrnehmungen wie bedrängt sie die Situation der beruflich Pflegenden erleben. Es ist nun eine Herausforderung aus all diesen unterschiedlichen Informationsquellen, die zentralen Themen und Verantwortungsebenen

herauszuarbeiten, um der Politik Vorschläge zu unterbreiten. Ziel wird es sein, hieraus Konsequenzen für kurz- , mittel- und langfristige Handlungserfordernisse abzuleiten, die auf eine nachhaltige Wirkung im Rahmen von Bürokratieabbau in der Pflege abzielt. ap: Ihr Punkt ist die Zusammenarbeit, die Interaktion zwischen ihnen als Ombudsfrau und den großen Playern, den Verantwortungsträgern? EB: Nein, mein Auftrag ist zunächst klar umrissen. Identifizierung von Themen und Benennung von konkreten Vorschlägen, durch die der Bundesgesetzgeber einen Beitrag zum Bürokratieabbau in der Pflege leisten kann. Hierzu, gehört allerdings der Dialog mit allen Beteiligten und die Rückkoppelung, sowie Erörterung der Ergebnisse auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Ein gutes Beispiel hierfür sind, die vielen Hinweise zum unabgestimmten Vorgehen diverser Prüfinstanzen. Der Bundesgesetzgeber hatte bereits Regelungen getroffen, die offensichtlich in der Praxis nur begrenzt umgesetzt werden. Das eine Prüfkonzept ist bundesgesetzlich geregelt, das andere Prüfkonzept wird durch die Länder vorgegeben. Wie kann hier eine sinnvolle Entwicklung im Grundsatz und Entlastung des pflegerischen Alltags erreicht werden? Hierzu bedarf es

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ENTBÜROKRATISIERUNG DER PFLEGE Foto: Dirk Laessig/ BMG

und notwendigen Transparenz gegenüber dem Verbraucher zur Debatte steht, sondern Ziel und Aufwand unter professionellen Aspekten in Frage gestellt werden. Für mich fängt Bürokratie immer da an, wo sich Abläufe oder Anordnungen den handelnden Akteuren nicht mehr als sinnvoll für ihre Arbeitsabläufe darElisabeth Beikirch: Pflege ist ein öffentliches Thema geworden stellen. Die Ursasicherlich einer konzertierten Aktion chen hierfür kann ich auch hier wiealler beteiligten zuständigen Instanzen der nur im Dialog mit allen Beteiligten auf Bundes- und Landesebene und der herausfinden. Kooperation mit den Verbänden der ap: Haben wir denn die Zeit für mitEinrichtungsträger. tel- und langfristige Lösungen angesichts Ein Beispiel ganz anderer Art sind die rasch wachsender Pflegebedarfe? Forderungen nach einer veränderten Genehmigungspraxis und FristEB: Lassen sie mich etwas indirekt setzungen im Breich der häuslichen auf diese Frage antworten. Es ist ofKrankenpflege. Hier stellt sich eine fensichtlich gelungen, dass das Thema klassische Schnittstellenproblematik Pflege und die Situation der beruflich und Belastung im Verfahren dar, die Pflegenden in der allgemeinen und sowohl organisatorische Aspekte der politischen Öffentlichkeit eine gesteiPflegedienste betrifft, als auch die ingerte Aufmerksamkeit in den letzten dividuelle Situation hilfe- und pflegeJahren erfahren hat. Diese erfreuliche bedürftiger Menschen in unterschiedEntwicklung hat aber auch Wirkung lichen Situationen akuter und chroim Umgang mit tagesaktuellen Ereignischer Erkrankung. Hier könnte ein nissen rund um die Pflege ausgelöst Vorschlag zur Veränderung primär sowie dem Bedürfnis, umfassende Redurch die Selbstverwaltung aufgegrifgelungen in verschiedensten Bereifen werden mit dem Ziel, sowohl Entchen zu treffen, damit hilfe- und pflelastung für Bürgerinnen und Bürger gebedürftige Menschen ausreichend als auch die Verantwortlichen in der Schutz erfahren und ihre individuelle Versorgung zu erreichen. Sie sehen Lebensqualität erhalten bleibt. Mein auch hier wieder eine Situation die Eindruck ist, dass dies möglicherauf eine gelingende Kooperation und weise mit eine Ursache für ungewolKommunikation ausgerichtet ist. te bürokratische Entwicklungen ‚in Ich vernachlässige hier ganz bewusst der Summe‘ ist, die aktuell einer Bedie vielen Hinweise, die ich zum standaufnahme unterzogen werden Thema Dokumentation und Pflegeplasollten. nung sowie Expertenstandards im ZuDer Eindruck der Einrichtungssammenhang mit diversen Fragen der träger, insbesondere aber der PfleQualitätssicherung erhalte. Die meisgekräfte, dass es einen generellen ten Zuschriften von der Basis bringen Misstrauensvorbehalt gegenüber dieses Thema zur Sprache. Erfreulich einer ganzen Branche gibt, wird den ist in diesem Zusammenhang, dass vielen engagierten Menschen in der nicht mehr über die Notwendigkeit Pflege nicht gerecht. Vorschläge zum einer angemessenen Dokumentation

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Bürokratieabbau werden sich unter anderen auch daran messen lassen müssen, dass ein Beitrag geleistet wird, diesen Eindruck in der Branche schnellstens zu mindern und eine Kultur der konstruktiven Zusammenarbeit, der guten Kommunikation und des Vertrauens – im übrigen auch im Interesse der Pflegebedürftigen und ihrer Familien – zu befördern. Abgesichts der vielen Vorschläge und Themen,die bereist seit Jahren in engagierten Arbeitsgruppen und Runden Tischen beschrieben und lösungsorientiert bearbeitet wurden, spüre ich natürlich eine große Verpflichtung die Ding zeitnah voranzubringen. Um Ihre Frage letztendlich zu beantworten: nein, wir haben eigentlich keine Zeit mehr und benötigen zeitnahe Entscheidungen, um die Dinge voranzubringen aber es wird eine unterschiedliche Schrittfolge bei einzelnen Themen geben müssen. Das Interview führte unser Redakteur Tim A. Küsters

ELISABETH BEIKIRCH

Elisabeth Beikirch (59) ist seit 2011 Ombudsfrau für Entbürokratisierung in der Pflege beim Bundesgesundheitsministerium. Die Mutter zweier Kinder nahm nach ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester ein Studium des Pflegemanagements an der FH Osnabrück auf und wechselte 1989 in die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales des Landes Berlin. Von 2003 bis 2007 war sie für die Bundeskonferenz zur Qualitätssicherung im Gesundheits- und Pflegewesen e.V. tätig. 2009 übernahm sie die Geschäftsführung der COMPASS Private Pflegeberatung GmbH.


Dieser Artikel steht aus rechtlichen Gr端nden leider nur in der Print-Ausgabe zur Verf端gung.


KOMMENTAR

Wissenschaftlich verbrämter Unsinn Die Bereitschaft zur Stimmungsmache, um den eigenen Namen endlich mal wieder in der Zeitung zu finden, nimmt bei einigen so genannten Wissenschaftlern ungeahnte Dimensionen an: Fast die Hälfte der gesetzlichen Krankenkassen sei quasi pleite, vielen drohe die Insolvenz, dazu habe die christlich-liberale Koalition die Kassen getrieben. Gestützt wurde dieser Unsinn auf ein Gutachten zum Morbi-RSA, welches das Bundesgesundheitsministerium absichtlich unter Verschluss gehalten habe.

Dazu ist dreierlei anzumerken: 1. Der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland geht es heute so gut wie lange nicht mehr. Dank des GKV-Finanzierungsgesetzes und des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz sowie natürlich auch einer guten konjunkturellen Entwicklung erwarten wir in diesem Jahr statt eines prognostizierten Defizits von neun Milliarden Euro einen Überschuss von fast drei Milliarden Euro. Um dies zu erreichen, mussten ausgewogen alle einen Beitrag leisten: die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Ärzte, Zahnärzte und Apotheker, die Krankenhäusern, Krankenkassen und Pharmahersteller. Das war, ist und bleibt für alle Beteiligten ein hartes Stück Arbeit, aber die Anstrengungen lohnen sich, wie man an der guten Lage der Kassenfinanzen sieht. 2. Das Gutachten zum Morbi-RSA, das in den letzten Wochen veröffentlicht wurde, stellt unterm Strich vor allem ein Zeugnis aus: Der Morbi-RSA in seiner jetzigen Form funktioniert relativ gut, er verteilt das Geld deutlich sachgerechter als der vorherige RSA und es gibt keinen Anlass zu grundsätzlichen Veränderungen. Auch die beteiligten Wissenschaftler empfehlen, den Morbi-RSA, der in seiner jetzigen Form ja erst gute zwei Jahre alt ist, noch ein paar Jahre weiter wirken zu lassen, um eine bessere Datenlage zu haben. Jedes Drehen einer isolierten Stellschraube wird automatisch einige Kassen begünstigen und viele andere benachteiligen – lautstarker Protest inklusive. Da es dadurch aber nicht automatisch gerechter wird, scheint es tatsächlich das Klügste, weitere Erfahrungen mit dem bestehenden RSA zu sammeln.

3. Vor diesem Hintergrund ist und bleibt es unbegreiflich, wie ein Doktor aus Kiel auf dieser Basis der erstaunten Öffentlichkeit in der Bild-Zeitung erklärt, es drohten zahlreiche Kasseninsolvenzen und die Hälfte der Kassen wäre quasi pleite. Solches Gerede ins Blaue hinein ist unverantwortlich, vor allem in einer Zeit, in der die Menschen wegen der Euro- und Finanzkrise schon verunsichert genug sind. “Si tacuisses”, möchte man rufen, denn für die schnelle Schlagzeile mag es langen, als ernst zu nehmender Gesprächspartner fällt man so allerdings aus. Angesichts der guten Entwicklung der Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung können wir durchaus stolz sein auf das Erreichte. Allerdings heißt das nicht, dass der sparsame Kurs für 2012 jetzt verlassen werden dürfte. Gerade weil wir mit unseren Maßnahmen erfolgreich waren, sollten wir sie jetzt nicht leichtfüßig wieder in Frage stellen. Dabei hoffe ich auch weiterhin auf Ihre Unterstützung!

Ihr

JENS SPAHN

Jens Spahn

Jens Spahn, MdB, wurde 1980 in Ahaus geboren. Seine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der WestLB führte ihn auch nach Luxemburg. Der studierte Politikwissenschaftler gehört seit 2002 dem Deutschen Bundestag an. Seit 2009 ist er gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion und stellvertretender Landesvorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU Nordrhein-Westfalen.

Impressum Herausgeber Dr. Mathias Höschel Dr. Hanno Kehren Frank Rudolph Verlag Günter Kohl PR + Marketing Gärtnerkoppel 3 24259 Westensee/ Kiel Tel. 04305-992992 / Fax 04305-992993 E-Mail: gkprkiel@t-online.de

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Am Puls

04 | 2011

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