Unzensuriert Magazin April 2011 Leseprobe

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Deutschland

Bundeswehr / Habermeier

Stets in Pose für die Medien: Karl-Theodor zu Guttenberg inszenierte sich als Verteidigungsminister perfekt, verspielte jedoch die Unterstützung der Bundeswehrführung durch wankelmütiges Krisenmanagement. Er hinterlässt eine Armee im Umbruch mit einem veritablen Rekrutierungsproblem.

Vom Scheitern des Überfliegers Nach einem Rücktritt wird Bilanz gezogen. Dabei kann es vorkommen, dass die näheren Umstände eine schonungslose Analyse verhindern. Bei persönlichen Schicksalsschlägen mag es menschlich geboten sein, über den Betroffenen dann trotz seiner möglichen Verfehlungen im Amt nicht allzu hart zu richten. Im Fall des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg gibt es dazu keinen Grund. Er hat seinen Rücktritt, den „schmerzlichsten Schritt“ seines Lebens, selbst provoziert und verdient kein Mitleid. Es geht dabei nicht um ein „Nachtreten“ oder um Häme, die sich von selbst verbietet, sondern um eine Würdigung der Tatsachen. Erik Lehnert mit einer Bilanz der Ära von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, eines wankelmütigen Ressortleiters, der ein schweres Erbe für die Bundeswehr hinterlässt.

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er Skandal um Guttenbergs Doktorarbeit lenkt von den eigentlichen Versäumnissen, die sein Amt betreffen, ab. Durch die Plagiatsaffäre ist der Eindruck entstanden, als sei ein überaus erfolgreicher und ja wirklich beliebter Verteidigungsminister aufgrund von Nebensächlichkeiten aus dem Amt gemobbt und damit um die Früchte seiner Arbeit gebracht worden. Dieser Eindruck täuscht, da es in diesem Fall nicht um Befindlichkeiten oder Beliebtheitswerte geht, sondern um ein Res-

sort, das wie kein zweites nüchtern und unideologisch geführt werden muss, um Menschenleben zu schonen. Milde ist daher fehl am Platz. „Umgangssprachlich Krieg“ Um mit den positiven Dingen zu beginnen: Guttenbergs größtes Verdienst ist es sicher, die verdruckste Sprachregelung über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr durch- →

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Deutschland

Offiziere vorschnell suspendiert

Die Gorch-Fock-Affäre Im November 2010 stürzte eine 25jährige Kadettin aus der Takelage des Segelschulschiffs in den Tod. Danach wurden von Offiziersanwärtern Vorwürfe der sexuellen Nötigung erhoben und Rituale an den medialen Pranger gestellt. Guttenberg suspendierte den Kommandanten des Schulschiffs, Norbert Schatz. Durch eine Untersuchungskommission der Marine wurde Schatz allerdings Anfang März 2011 entlastet. Nach Befragung von 221 Offiziersanwärtern und 192 Angehörigen der Stammbesetzung der „Gorch Fock“ stellt die Kommission in ihrem 98seitigen Bericht fest: „Soweit Vorwürfe in Teilen bestätigt werden konnten, besaßen diese hingegen bei Weitem nicht die Qualität, die ihnen ursprünglich beigemessen worden ist.“

Die Unterstützung der Stabsoffiziere und der Bundeswehrführung hat er dagegen leichtfertig verspielt, als er in den beiden größten Herausforderungen seiner Dienstzeit Offiziere opferte, um damit den Druck von seiner Person und seiner Verantwortung abzulenken. Im ersten Fall handelte es sich um die sogenannte „Kundus-Affäre“, eine Erbschaft seines Amtsvorgängers Franz Josef Jung. Dabei hatte dieser im September 2009, nachdem bei einem von einem deutschen Oberst angeforderten Luftangriff auch Zivilisten getötet worden waren, bereits unglücklich agiert und bei der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, die näheren Umstände vertuschen zu wollen. Guttenberg, der am 28. Oktober 2009 zum Verteidigungsminister (und damit jüngsten in der Geschichte der Bundesrepublik) ernannt wurde, schwankte in seiner Beurteilung der Verhältnismäßigkeit dieses Einsatzes und führte dieses Schwanken auf vorenthaltene Informationen zurück. In diesem Zusammenhang entließ er den Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn und den Staatssekretär Peter Wichert. In einem anschließenden Untersuchungsausschuss gab es zu den Gründen der Entlassung widersprüchliche Aussagen von Guttenberg, der mit seiner Entscheidung jedoch das Ziel, sich selbst aus der Schusslinie des politischen Gegners zu bringen, erreicht hatte. Der zweite Fall steht zeitlich in engem Zusammenhang mit seinem Rücktritt. Nachdem im November 2010 eine Kadettin auf dem Segel-

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schulschiff der Bundesmarine „Gorch Fock“ tödlich verunglückte, war bei Guttenberg zunächst eine ähnliche Entscheidungsunsicherheit zu bobachten. So warnte er zuerst vor einer Vorverurteilung des Kapitäns, dem dienstliche Versäumnisse und eine Mitschuld am Tod der Kadettin vorgeworfen wurden, enthob ihn wenig später aber seines Kommandos und stellte sogar die Zukunft der „Gorch Fock“ als Ausbildungsschiff in Frage. Pikanterweise fiel diese Entscheidung in Gegenwart eines Reporters der Bild am Sonntag. Dieses Vorgehen war insofern symptomatisch für Guttenberg, als er sich bei seiner Amtsführung grundsätzlich auf die Unterstützung der Bild-Zeitung verlassen konnte und er nicht bereit war, Untergebene so lange zu schützen, bis stichhaltige Belege für ihr Fehlverhalten vorlagen. Guttenberg ließ es zu, dass Maßstä-

Bundeswehr / De Castro

brochen zu haben. Im April 2010 meinte er, dass man „umgangssprachlich von Krieg“ sprechen könne, und rückte den Einsatz damit in das richtige Licht. Daraus erwuchsen zwar keine Konsequenzen, doch nicht zuletzt war die nicht beschönigende Bezeichnung mit der Hoffnung verbunden, dass sie das Resultat einer nüchternen Einschätzung der Lage in Afghanistan war. Nur so ist es überhaupt möglich, den dort eingesetzten Truppen die größtmögliche Unterstützung und Anerkennung zuteil werden zu lassen. Guttenberg war zudem oft bei den Truppen in Afghanistan und konnte sich damit die Sympathie der einfachen Soldaten sichern.

be einer Öffentlichkeit, die keinerlei Verständnis für das und Berührungspunkte mit dem Militär hat, indirekt sein Handeln leiteten. Anlässlich des „Gorch Fock“-Skandals hätte Guttenberg grundsätzlich die Frage nach der Verwendung von Frauen im Militär und die nach der Leistungsbereitschaft des Offiziersnachwuchses stellen müssen. Dabei wäre eine Verteidigung der harten Ausbildung angezeigt gewesen, weil sie dazu dient, militärische


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DIE FRAU ALS SOLDAT Der »Gorch Fock«-Skandal, Minister zu Guttenberg und der Einsatz von Frauen in den Streitkräften 48 Seiten, geheftet, 5.00 €

Segelschulschiff »Gorch Fock«: Eine Kadettin verunglückt tödlich, der Kapitän muß gehen... Verteidigungsminister zu Guttenberg unterwarf sich damit dem Diktat der Bildzeitung und lenkt vom eigentlichen Thema ab: Sind Frauen militärisch einsetzbar wie Männer? Die Antwort lautet: Nein.

Institut für Staatspolitik (IfS)

7HO_)D[ ZZZ VWDDWVSROLWLN GH Führer auf den Ernstfall, in dem es um Leben und Tod geht, vorzubereiten. Bei seinem ehrgeizigsten Projekt, der umfassenden Umstrukturierung der Bundeswehr, versuchte er den Eindruck zu vermitteln, dass der einzige Maßstab für diese Reform die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sein würde. So stand es im Koalitionsvertrag. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Abschaffung der Wehrpflicht zu nennen, eine Entscheidung von ungeheurer Tragweite. Das Argument der Professionalisierung der Armee stand bei dieser Entscheidung allerdings gar nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr bezeichnete Guttenberg die Wehrpflicht im Mai 2010 als Kostenfrage und sah hier viel Sparpotential. Eine Sparklausur im Bundeskanzleramt hatte dem Verteidigungsminister als Ziel Einsparungen in Höhe von 8,4 Milliarden Euro bis 2015 aufgebürdet. Nach Meinung Guttenbergs war dies nur über die Abschaffung der Wehrpflicht zu erreichen. Im November 2010 konnte Guttenberg auf einem CDU-Parteitag erfolgreich um Unterstützung dafür werben. Das ist umso bemerkenswerter, als bis dahin die Wehrpflicht

innerhalb der Union keineswegs zur Debatte stand und sie im Gegenteil immer als wichtigster Garant für die staatsbürgerliche Verankerung der Bundeswehr verstanden wurde. Vermutlich hat sie das schlechte Gewissen, der Aushöhlung der Wehrgerechtigkeit und der sträflichen Verkürzung der Wehrdienstzeiten nicht entgegengetreten zu sein, gefügig gemacht. Erst 2700 Freiwillige Vor diesem Hintergrund verblassen die anderen Teile der Reform, deren Umsetzung sieben Jahre dauern soll: Aus den Inspekteuren werden Befehlshaber der Teilstreitkräfte, die Bundeswehr wird von 240.000 auf 185.000 Soldaten reduziert, und es wird 10 bis 15 Prozent mehr (leichte) Kampftruppen geben. Der Schwerpunkt der Bundeswehr wird damit in Zukunft noch stärker auf der Erfüllung der Bündnisverpflichtungen und den Auslandseinsätzen liegen – auf Kosten der Landesverteidigung.

„Wehrpflicht aussetzen? Vor einigen Jahren noch undenkbar in der Union. Doch Verteidigungsminister Guttenberg wickelt die CDU um den Finger.“ Süddeutsche Zeitung nach dem CDU-Parteitagsbeschluss, 15.10.2010

Aber auch für dieses Aufgabenspektrum →

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Die drohende Personalnot macht kreativ: „Bestehende Regelungen sind so zu erweitern, dass Inländer bei entsprechender Eignung, Befähigung und Leistung auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft regelmäßig in die Streitkräfte eingestellt werden können“, heißt es in einem 73-seitigen „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“, das der Focus am 12.02.2011 öffentlich machte.

braucht man militärischen Nachwuchs, was sich bereits jetzt als Problem darstellt. Das Bundeskabinett hat am 15. Dezember 2010 die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 beschlossen (ein Gesetz steht noch aus), bereits seit März werden keine Wehrpflichtigen mehr gegen ihren Willen eingezogen. Der Bedarf muss mit Freiwilligen gedeckt werden. Bislang haben sich 2700 Freiwillige gemeldet, denen 17.500 freie Stellen gegenüberstehen. Dass man diesem Problem gegenüberstehen würde, hat man zwar frühzeitig geahnt, darauf jedoch mit Vorschlägen reagiert, die immer auf Kosten der Qualität gehen müssen. So gab es die Idee, die Bundeswehr für Schulabbrecher und ständig in Deutschland lebende Ausländer zu öffnen. Im Zentrum realistischer Gedanken stehen jedoch hohe Anwerbeprämien und eine Verstärkung der Werbung, die den freiwilligen Dienst in den Streitkräften attraktiv machen sollen. Bis zu 2 Milliarden Euro wird diese Kampagne kosten. Von den anvisierten 8,4 Milliarden Euro Einsparungen, dem eigentlichen Grund der Abschaffung der Wehrpflicht, ist schon lange keine Rede mehr. Im Gegenteil: Langsam wird realisiert, dass eine Berufs- und Freiwilligenarmee sogar teurer werden könnte – nicht nur in finanzieller Hinsicht. Bundeswehr wird zur Unterschicht-Armee Die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigen nicht nur das Problem, qualifiziertes Personal zu rekrutieren, was über die Wehrpflicht leicht möglich war, sondern auch einen Qualitätsverlust der Streitkräfte, der auf der notgedrungenen Einstellung von Zum Autor Erik Lehnert, Jahrgang 1975, studierte Philosophie, Geschichte sowie Ur- und Frühgeschichte. Er war anschließend Stipendiat der Deutschen Forschungsgesellschaft in Bamberg und wurde 2006 über „Karl Jaspers und die Philosophische Anthropologie“ zum Dr. phil. promoviert. Anschließend Lektor bei Edition Antaios und Redakteur der Sezession, seit 2008 Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik (IfS).

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Bundeswehr / S.Wilke

Deutschland

Minderqualifizierten beruht. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern war die Bundeswehr bislang keine Unterschichtarmee, sie wird es aber unweigerlich werden. Unter der neuen Entwicklung werden nicht nur die Umgangsformen mit den Untergebenen zu leiden haben, sondern die Einsatzfähigkeit allgemein. Die Auftragstaktik, auf die die Bundeswehr bislang so stolz war, wird sich nicht mehr umsetzen lassen, weil es dazu des mitdenkenden Soldaten bedarf. Hinzu kommt als gesellschaftspolitischer Nebeneffekt, dass das hehre Ziel der Integration der Migranten durch ihre Verpflichtung zum Wehrdienst einfacher zu erreichen gewesen wäre. In Frankreich, das 2001 die Wehrpflicht aussetzte, gibt es bereits Klagen über die mangelnden „Sekundärtugenden“ bei jungen Männern, die nicht mehr durch die „Schule der Nation“ gegangen sind. Insofern ist die von Guttenberg forcierte Bundeswehrreform das typische Produkt einer Politik, die ihre eigenen Konsequenzen nicht zu Ende denkt, weil sie sich bereits dadurch gerechtfertigt wähnt, für alle das Beste zu wollen. Dass Guttenberg ausgerechnet über seine Doktorarbeit stolperte, wirkt angesichts dieser Leistung wie eine traurige Ironie des Schicksals.


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