Kolumbien: Hochschaubahn zwischen Atlantik und Pazifik

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Barichara ist ein kleiner Ort im Kolonialstil im Departamento von Santander und gilt als schÜnstes Dorf von Kolumbien. Im Jahr 1978 wurde Barichara zum Nationalen Denkmal erklärt.

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Kolumbien: Hochschaubahn zwischen Atlantik und Pazifik Der Wirtschaftsaufschwung in Kolumbien macht sich auch touristisch immer mehr bemerkbar. Das bietet ein landschaftliches Auf und Ab zwischen Atlantik- und Pazifikküste.

Von Michael Johnschwager

obert. Weiteres Wachstum verspricht sich die Wirtschaft, nachdem im Frühjahr 2012 ein Freihandelsabkommen (TLC) mit den USA unterzeichnet wurde. Ein halbes Jahr später kam es zu einer ebensolchen Übereinkunft mit der EU. Eine veritable Erfolgsgeschichte mit einer Einschränkung: An der überwiegenden Mehrheit der Kolumbianer geht der wirtschaftliche Aufschwung vorbei. „Dem Land geht es recht gut, aber nicht den Menschen“, brachte es ein langjähriger Beobachter auf den Punkt. Wirtschaftliche Prosperität sieht sich in Kolumbien seit Jahrzehnten mit einer permanenten politischen Instabilität konfron-

tiert. Verantwortlich dafür ist die größte und älteste Guerillabewegung „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC), die zusammen mit den Rebellen vom „Nationalen Befreiungsheer“ (ELN) das Land verunsichern. Friedensgespräche mit FARC-Rebellen Eine Koalition des Partido Social de la U (Partei der nationalen Einheit) mit dem Cambio Radical (Radikaler Wechsel) bringt Anfang 2012 Juan Manuel Santos in den Präsidentenpalast Casa Nariňo. (Fortsetzung auf der nächsten Seite) 45

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as erst im Herbst 2012 eröffnete moderne Terminal aus Glas und Stahl von Bogotás Flughafen Eldorado steht symbolisch für die sich zunehmend beschleunigende Wirtschaft Kolumbiens. Am Rande der gleichnamigen mehrspurigen Avenida Richtung Zentrum sind kleine versprengte Lager des Luftfracht-Areals großzügig ausgelegten Einrichtungen gewichen. Ein Blick darauf verdeutlicht die stringent betriebene Umsetzung der vor einem Vierteljahrhundert eingeleiteten „Apertura Económica“ (wirtschaftliche Öffnung). Nach Brasilien und Mexiko hat der Andenstaat den dritten Platz auf dem Subkontinent er-


Unter seiner Führung unternimmt die Regierung 2012 einen Vorstoß, mit den FARC-Aufständischen ein Friedensabkommen auszuhandeln. Nach mit äußerster Diskretion geführten Vorgesprächen in Havanna wurde der Dialog unter Einschaltung internationaler Vermittler im Oktober in Oslo fortgesetzt. In der kolumbianischen Öffentlichkeit verfolgt man die Bemühungen um eine Befriedung jedoch mit viel Skepsis. Obwohl zuletzt spürbar geschwächt, präsentierten sich die FARCVerhandlungsführer selbstsicher und wenig nachgiebig. Sie zeigen kein Unrechtsbewusstsein für begangene Entführungen, Drogen- und Waffenhandel. Ihren Kampf rechtfertigen sie mit Hinweis auf die Misere breiter Bevölkerungsschichten. Auf politischer Ebene gelang es erst 1957, die als „Violencia“ in die Geschichte eingegangene jahrzehntelange Gewaltherrschaft zwischen Konservativen und Liberalen mit der Frente Nacional zu beenden. In der bis in die 1980er Jahre bestehenden „Nationalen Front“ teilten Partido Conservador und Partido Liberal die Macht im Staate anteilig unter sich auf. Hauptstadt Bogotá auf 2.600 Meter Bogotá kommt bei der Erwähnung lateinamerikanischer Hauptstädte in aller Regel zu kurz. Dabei bietet die acht Millionen Einwohner zählende Metropole eine Menge an kultureller Vielfalt. Auf dem Programm sollte ein Besuch des Goldmuseums stehen. In der Zeit des Befreiungskrieges gegen die spanischen Eroberer vor 200 Jahren verweilte Simón Bolívar in der als Santa Fé de Bogotá 1538 gegründeten Stadt. Das nach dem Befreier benannte Domizil „Quinta de Bolívar“ befindet sich am Fuße von Gondel- und Seilbahn, die auf den Berg Monserrate führen. Wenig bekannt ist die Anzahl respektabler Universitäten. Darunter die von Jesuiten geführte Pontificia Universidad Javeriana, sowie die Universidad de los Andes und das Colegio Mayor del Rosario. In Kolumbiens Hauptstadt findet traditionell die größte Industriemesse des Subkontinents (Feria de Bogotá) statt. Dem Besucher vermittelt Kolumbien das einzigartige Erlebnis, sämtliche Klimazonen des amerikanischen Subkontinents zu erleben. Von der Hauptstadt Bogotá, in 2.600 Metern Seehöhe auf einem „Sabana“ genannten Hochplateau gelegen, überwindet man in einem Tagestrip locker 2.000 46 48

Juanman 3 / Wikimedia

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Bogotá, der größte städtische Ballungsraum Kolumbiens

Meter Höhenunterschied auf dem Wege nach Girardot am Rio Magdalena. Er verläuft parallel zu den Anden gen Norden und mündet in den Atlantik. Einst galt der Magdalenen-Strom als Lebensader mit einer betriebsamen Binnenschifffahrt. Auf seiner Fahrt in westlicher Richtung lernt der Besucher Landschaften von einzigartiger Schönheit kennen. Vorbei geht es an malerisch gelegenen Fincas, wo die qualitativ hochwertige Sorte Arabica geerntet wird. Häufig bieten breit gefächerte Bananenblätter den Kaffeesträuchern Schutz vor übermäßiger Sonneneinstrahlung. Der hohe Qualitätsanspruch der Kaffeepflanzer auf der so genannten Kaffeeachse Manizales – Pereira − Armenia manifestiert sich in einem aufwändigen Prozess, den der Kaffee nach der Ernte vor Ort durchläuft. Ein bedeutender Arbeitgeber des Landes ist die Vereinigung der Kaffeepflanzer (Federación Nacional de Cafeteros). Den Liebhabern kolumbianischen Kaffees ist jedoch die Figur Juan Valdéz vertrauter. Gern verabreden sich die Menschen in Kolumbiens Metropolen in einer der zahlreichen Juan Valdéz Coffee Shops. Dort lässt ein gutgelauntes Team seinen natürlichen Charme spielen, wenn der Gast seine Kaffeespezialität bestellt. Stolz trägt das juvenile Personal sein JuanValdéz-T-Shirt mit der Aufschrift: „Ich arbeite im Geschäft der Kaffeepflanzer Kolumbiens.“ Im Vergleich zu manchen global agierenden Mitbewerbern wirkt der von ihnen vermittelte „human touch“ nicht aufgesetzt. Über Jahrzehnte behauptete „Café de Colombia“ nach Brasilien unangefochtenen seine Weltmarktstellung

als zweitgrößter Exporteur. Inzwischen ist es den Vietnamesen gelungen, die kolumbianischen Kultivatoren zu überholen und deren Position einzunehmen. Dies belegt die von der International Coffee Organization (ICO) für den Zeitraum Oktober 2010 – März 2011 veröffentlichte Statistik (in Tausend): Brasilien 18.291, Vietnam 8.575, Kolumbien 4.987. Im Kalenderjahr importierte Österreich 902.854 kg (in 60-KiloSäcken) kolumbianischen Premiumkaffee. Kaffee und Bier als Exportschlager Wenig bekannt ist Kolumbiens Rolle beim Bierbrauen. Bereits 1889 gründete Leo. S. Kopp in Bogotá die Kopp’s Deutsche Brauerei Bayern. Daraus entstand ein bedeutender Brauereikomplex unter dem Namen BAVARIA. Die hohen Qualitäts-

Juan Valdéz Café in Bogotá


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San Felipe de Barajas im Küstenort Cartagena

standards bescherten der Brauerei steigende Umsätze und so stieg BAVARIA bis zur Übernahme durch Miller zur zweitgrößten Brauerei Südamerikas auf. Dazu beigetragen hatte der Export. In der Glanzzeit fand das Bier seinen Weg in die Nachbarländer bis zu Abnehmern in Chile. An die acht Stunden für den Autofahrer, aber nur 30 Flugminuten von Bogotá entfernt, liegt Kolumbiens heimliche Hauptstadt Medellín. Das milde Klima hat der Stadt das Prädikat „dauerhafter Frühling“ verliehen. Während sich endlose Schlangen von Autos und Kleinbussen durch die Straßen Bogotás quälen, nutzen die Paisas seit Ende 1995 ihre Metro, errichtet von

Mariordo / Wikimedia

einem deutsch-spanischen Konsortium unter maßgeblicher Beteiligung von SIEMENS. Cartagena: Magnet für US-Touristen Touristisch (noch) weitgehend unbekannt, wartet Kolumbien mit einer einzigartigen Vielfalt an Regionen auf, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Mit Zugang sowohl zu Atlantik als auch Pazifik findet der Tourist an beiden Ozeanen urwüchsige Küstenlandstriche. Ausgenommen davon ist Cartagena, die Heroische genannt. Heerscharen überwiegend US-amerikanischer Touristen genießen das koloniale Erbe der spanischen Eroberer (Conquistadores) am Atlantik, nur eine Flugstunde von Bogotá entfernt. Aber auch europäische Reiseveranstalter bieten inzwischen das Juwel an der Karibikküste an. Der über das ganze Jahr nicht versiegende Strom Entspannung suchender Touristen sorgt für konstante Einnahmen, von denen viele „Cartageneros“ profitieren. Sie haben deshalb ein wachsames Auge auf die öffentliche Sicherheit. In dieser Stadt bewegen sich Einheimische wie auch Besucher sicher, egal ob auf der weitläufigen Festungsanlage, die das Zentrum der Altstadt einst gegen Piraten verteidigte, oder auf dem imposanten Fort San Felipe de Barajas. Dazwischen liegt das Denkmal der legendären Kazikin „India Catalina“. Etwas ruhiger geht es in Santa Marta zu. Die Hafenstadt verfügt über eine Bahn-

verbindung, hauptsächlich genutzt für den Transport von Bananen. Das war den Kolumbianern sogar ein Lied wert: „Santa Marta hat eine Bahn.“ In Sichtweite erheben sich die Berge der Sierra Nevada. Besuchern sei ein Abstecher in den dortigen Nationalpark ausdrücklich empfohlen. Wer hingegen einmal absolut abschalten möchte, findet an der pazifischen Küste unberührte Natur. Erst kürzlich wurde mit Bahia Solano ein verträumter Flecken Erde für den Tourismus erschlossen. Die Fischer bessern gern ihr Einkommen auf, indem sie Touristen mit ins Boot nehmen. Mit etwas Glück tummeln sich vor ihnen Buckelwale in unmittelbarer Distanz. Steppe und Dschungel im Osten Ein gänzlich anderes Panorama erschließt sich in den Regionen jenseits der östlichen Kordillere. Es ist nur ein Katzensprung von Bogotá nach Villavicencio, dem Tor zu den Llanos Orientales. Eine steppenartige Landschaft, in der Rinderherden grasen. Noch am Abend erlauben die Temperaturen den Aufenthalt vor der Finca im Freien. Romantiker lassen den Tropenzauber auf sich wirken und lauschen den für diesen Teil Kolumbiens charakteristischen Harfenklängen. Wer weiter gen Osten vordringt, den erwartet in Leticia an der Grenze zu Brasilien Dschungel pur. Hier ist allerdings gesunder Tiefschlaf ein Muss, denn die natürlichen Urwaldbewohner geben auch nachts keine Ruhe. ■ 47


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