Ausgabe 0/2006
Subsahara-Afrika – Eine Region auf dem Abstellgleis?
Starter
Janne Grote
w w w . j o u r n a l 3 6 0 . d e
Subsahara-Afrika – Eine Region auf dem Abstellgleis? Janne Grote
Ein Blick in verschiedene Statistiken
kommenden
vier
Jahrzehnten
bestätigt das einschlägige Bild von Armut
Subsahara-Region
verdoppeln.
in Subsahara-Afrika. Die Region ist im
stoßen
Vergleich zu anderen besonders stark von
nutzbaren Flächen bereits heute keine
Unterentwicklung
Nach
flächendeckende Versorgung der Bevölke-
Angaben der Vereinten Nationen zählen
rung gewährleisten. Die Produktivität ist
aktuell von den 50 Staaten der südlicher
sehr gering und ließe sich mit modernen
der Sahara 34 zu den 50 am wenigsten
Maschinen und modernen Anbaumethoden
entwickelten Ländern der Welt (Least
leicht steigern. Doch ungeklärte Boden-
Developed Countries, LDC). In einem
rechte, eine schlechte Infrastruktur, tradi-
Drittel dieser Länder lebt mehr als 50
tionelle Anbaumethoden, Monokulturen,
Prozent der Bevölkerung von weniger als
fehlendes privates Kapital, klimatische
einem Dollar pro Tag. Im Human-Poverty-
Nachteile sowie ungenügende staatliche
Index 2005 befinden sich auf den letzten
Unterstützung des Landwirtschaftsektors
20 Plätzen 16 Staaten Subsahara-Afrikas.
führen jedoch in vielen Fällen dazu, dass
Etwa 70 Prozent der Bevölkerung sind
es nicht zum Einsatz solchen Geräts oder
nach einem Bericht des Bundesministe-
neuer
riums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit
verlieren
und Entwicklung von der Landwirtschaft
Hochqualifizierten
abhängig.
Abwanderung ins Ausland („brain drain“).
betroffen.
können
die
Staaten
der
Dabei
landwirtschaftlich
Anbaumethoden die
in
kommt. ihre
Oft
wenigen
durch
deren
Auch ein zu einseitig ausgerichteter Export Auch für die kommenden Jahre kündigen
und schwache Institutionen sind in einigen
verschiedene Prognosen wenig Besserung.
Fällen die Ursache für den fehlenden
Die Staaten stehen vor einem dramatischen
wirtschaftlichen
demographischen
Aidsraten
Wandel.
Nach
dem
Aufschwung.
belasten
Familien,
Hohe das
„World Population Prospect“ der UNO
Gesundheitssystem
wird
Volkswirtschaften obendrein zunehmend.
sich
die
Bevölkerung
in
den
dreihundertsechziggrad | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
und
die
Subsahara-Afrika – Eine Region auf dem Abstellgleis? | Janne Grote
SEITE 3
Territoriale und ethnische Konflikte
und kulturellen Sektor einräumen. Im
Die
heutigen
diesen Kreisen gehören, die Teilhabe an
ehemaligen
diesen Sektoren verwehrt. Die daraus
Kolonialmächte birgt in vielen Teilen der
entstandenen Konflikte und Bürgerkriege,
Region
Die
die in einigen Fällen wie in Ruanda bis
Länder
zum Genozid führten, lösten und lösen
Subsahara-Afrikas setzt sich aus einer
starke Flüchtlingsbewegungen aus. Fünf
Vielzahl von Ethnien zusammen, die sich
der
durch die Gründung der Nationalstaaten
weltweiten Flüchtlinge befinden sich in
unter einem politischen, territorialen und
Subsahara-Afrika. Sie stellen mit etwa 2,4
identitären
Millionen
Grenzziehung
Nationalstaaten
der
durch
die
Konfliktpotenzial.
Bevölkerung
der
meisten
Dach
arrangieren
Gegenzug wird denjenigen, die nicht zu
müssen.
zehn
Hauptherkunftsländer
zirka
ein
Viertel
der
aller
Dieser Zwang zur Vereinigung unter
Flüchtlinge weltweit. Diese finden in der
demselben nationalen Dach lief häufig
Regel
nicht auf der Basis gleichberechtigter
Zuflucht, sondern in den meist verarmten
Partizipationsmöglichkeiten der einzelnen
und
Bevölkerungsgruppen ab. Oft war das
Ländern.
nicht
politisch
in
den
instabilen
Industriestaaten
benachbarten
Gegenteil zu beobachten und Putsche sowie Prozess.
Bürgerkriege Die
prägten
Herausbildung
diesen von
Ursachen und Herausforderungen
neopatrimonialen Strukturen ist sicher
Es stellt sich zum einen die Frage, wie es
eines der deutlichsten Anzeichen für diesen
zu dieser Entwicklung kommen konnte,
konfliktreichen Prozess. Die politischen
und zum anderen, wie sich diese Probleme
Entscheidungsträger handeln innerhalb der
und Herausforderungen meistern lassen.
neuen
nach
Im ersten Fall muss zwischen endogenen
traditionellen Herrschaftsmustern, indem
und exogenen Faktoren unterschieden
sie durch Korruption, Vetternwirtschaft
werden. Es lässt sich jedoch weder
und starke Bindung an das Militär ihrer
pauschal sagen, dass allein die ehemaligen
Ethnie,
Herkunftsregion
Kolonialmächte die Verantwortung für die
Vorrechte im politischen, wirtschaftlichen
schlechte Situation in vielen Ländern
nationalen
Familie
oder
Grenzen
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SEITE 4
tragen, noch, dass rein innerstaatliche
Etablierung der Afrikanischen Union oder
Faktoren diesen Umstand herbeigeführt
der verschiedenen regionalen Organisatio-
hätten.
der
nen wie ECOWAS, SADC und EAC
Globalisierung oder das Wirken internatio-
schüren die Hoffnung, dass sich das
naler ökonomischer Organisationen wie
Selbstbewusstsein und die gemeinsame
WTO, IWF oder Weltbank können nicht
Sprachrohrfunktion ausdehnen und dies
einseitig be- oder verurteilt werden. Aber
sich stabilisierend auf die Region auswirkt.
auch
Auch
der
die
Nutzen
Effekte
der
Entwicklungs-
zusammenarbeit und die Arbeit von NGOs
Fahrt aufnehmen
sollte nicht beschönigt werden.
Welche
Bedeutung
aber
kommt
Abstellgleis zu, wie es im Titel gewählt Neben der allgemeinen Problematisierung
wurde? Es dient als Metapher für das
sind aber auch positive Entwicklungen und
Ausrangiertsein, als Bild für den Stillstand
Potenziale der Region zu beschreiben und
und die Isolierung, aber auch als Bild für
Lösungsansätze zu entwerfen, um den
den Weg zurück auf die belebte Bahn.
Status quo zu verändern. Der Reichtum an Bodenschätzen in einigen Ländern birgt
Die Artikel dieser 360°-Musterausgabe
beispielsweise
gehen auf einige der oben beschriebenen
eine
bedeutende
ökonomische Chance, die jedoch bis dato
Entwicklungsprozesse
nur
und
aktuelle politische Tendenzen in den
Unternehmen zu Gute kommt. Weitere
ehemaligen deutschen Kolonien Togo und
positive Impulse könnten von den im
Namibia beleuchtet. Anhand der Situation
Ausland
Hochqualifizierten
in Tansania werden Hintergründe und der
ausgehen, die mit dem dort gewonnen
Frauenbeschneidung durch Verstümme-
Know-how
Herkunftsland
lung weiblicher Genitalien beleuchtet, die
zurückkehren und dort die Modernisierung
in rund 30 Ländern Afrikas vorgenommen
der
die
wird. Alle Artikel zeigen aber auch
sowie
Handlungsoptionen auf, die zeigen, dass
und
eine gute Fahrt möglich ist. So wie wir sie
wenigen
elitären
lebenden
in
ihr
Produktion
Kreisen
vorantreiben,
Produktpalette
vervielfältigen
Einfluss
das
auf
politische
institutionelle System nehmen. Auch die
ein.
uns auch für 360° wünschen.
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Es
werden
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Lost in consolidation? Zum Stand der Konsolidierung der Demokratie in Namibia Philip Kusch Dominic Schwickert
w w w . j o u r n a l 3 6 0 . d e
Lost in consolidation? Zum Stand der Konsolidierung der Demokratie in Namibia Philip Kusch Dominic Schwickert
Als sich im Jahre 2004 der Völkermord der so
Africa People’s Organisation) als Sieger
genannten deutschen Schutztruppe an den
hervorgehen würde.
Herero und Nama im damaligen DeutschSüdwestafrika zum hundertsten Mal jährte,
Trotz der nach und nach bekannt gewordenen
rückte
Unregelmäßigkeiten im Wahlablauf, die in
Namibia
in
den
Blickpunkt
der
deutschen Medien. Es war der „erste deutsche
einer
Genozid“ (vgl. Zimmerer 2003: 43), der mit all
schließlich in einer gerichtlich angeordneten
seiner
Aggressivität
Neuauszählung mündeten, wurde Hifikepunye
Grausamkeit
und
Wahlklage
der
Opposition
und
der
ihm
folgenden
Lucas Pohamba ohne große internationale
zu
tief
greifenden
Beachtung zum Nachfolger des langjährigen
Veränderungen in der dortigen Gesellschaft
Präsidenten Samuel Safishuna Nujoma an die
führte. Spätestens seit dieser Zeit ist die
Spitze des seit nunmehr fünfzehn Jahren
Geschichte Namibias auch Teil der deutschen
bestehenden freien und unabhängigen Staates
Geschichte. Neben den vielen Feierlichkeiten
Namibia gewählt. Diese Nichtbeachtung in der
und Ansprachen in Namibia geriet ein für die
internationalen Presse ist umso erstaunlicher,
aktuelle
politische
Namibia
da ein demokratischer Präsidentschaftswechsel
äußerst
bedeutsames
in
in freien und fairen Wahlen, wie er sich
zusammen
mit
Nachkriegsordnung
Hintergrund:
Situation
die
in
Ereignis Parlaments-
den und
Präsidentschaftswahlen. Zwar berichteten die deutschen Medien über die namibischen Wahlen vom 15. und 16. November 2004, jedoch hielten sich die Spannung und das Interesse in Grenzen, da der Wahlsieger leicht vorherzusagen
war.
So
wurde
von
Wahlbeobachtern zu keiner Zeit bezweifelt, dass die ehemalige Befreiungsorganisation und heutige Regierungspartei SWAPO (South West
Die Republik Namibia liegt an der Westküste Afrikas, grenzt im Norden an Angola und Sambia, im Osten an Botswana und im Süden an Südafrika. Die ehemalige deutsche Kolonie Südwestafrika (1884-1915) war seit 1920 Treuhandgebiet unter südafrikanischer Verwaltung, bevor sie im März 1990 unabhängig wurde. Das Staatsgebiet umfasst 824.000 km2 und ist in 13 Regionen als Verwaltungseinheiten aufgeteilt. Die mit Abstand größte Stadt ist mit über 223.000 Einwohnern die Hauptstadt Windhoek. Die insgesamt 2.015.000 Einwohner Namibias (Stand 2003) gehören zum überwiegenden Teil zu den Bantu-Völkern, die sich wiederum verschiedenen Stämmen zuordnen. 47 Prozent der Bevölkerung gehören zu den Owambo, etwa 6 Prozent sind Weiße (Stand 1991). Das kommerziell genutzte Land befindet sich zu zwei Dritteln im Besitz von etwa 4000 weißen Farmern, der fruchtbarere Teil im tropischen Norden des Landes ist Gemeindeland von schwarzen Farmern. Die Amtssprache Namibias ist Englisch, obwohl im alltäglichen Gebrauch die Bantu-Sprachen und Afrikaans (11 Prozent) überwiegen. Staatsoberhaupt ist seit März 2005 Hifikepunye Lucas Pohamba. Seine Partei SWAPO (South West Africa People’s Organisation) gewann bei der Wahl im November 2004 wie auch schon bei der Wahl 1999 55 der insgesamt 72 Parlamentssitze. (Quelle: Fischer Verlag 2005)
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beispielsweise
in
Südafrika
von
SEITE 7
Nelson
bestätigt werden? Daran knüpft auch die Frage
Mandela zu Thabo Mbeki im Jahre 1999 und
an,
nun
Demokratisierungsbemühungen
eben
in
Namibia
vollzogen
hat,
ob
Namibia
bei
seinen gleichsam
keineswegs die Normalität in der Region
„Lost in Consolidation“ auf dem politischen
Subsahara-Afrika darstellt. Als Gegenbeispiel
Abstellgleis steht oder aber ob sich in den
wäre in diesem Zusammenhang der Staat
Jahren
Simbabwe zu nennen, der von einer autoritär-
Demokratie förderliche politische Kultur bei
aggressiven Herrschaftsweise des zum Diktator
Eliten und Bevölkerung entwickelt hat.
mutierten einstigen Befreiungskämpfer Robert
Eine umfassende Antwort auf diese Fragen
Mugabe geprägt ist. So gilt nach Freedom
wird dieser Artikel sicherlich nicht liefern
House
können.
Südafrika
als
„free“,
während
der
Unabhängigkeit
Vielmehr
geht
es
eine
darum,
der
die
Simbabwe mit „not free“ bewertet wird.
strukturellen, kulturellen und prozessoralen
Namibia wird zwar ebenfalls als „free“
Funktionsmechanismen
eingestuft, erhält jedoch schlechtere Werte als
Demokratie zu erhellen sowie Defekte und
Südafrika (vgl. Feedom House 2005).
Probleme der jungen Demokratie aufzuzeigen.
der
namibischen
Zu diesem Zwecke soll folgende Hypothese Doch zurück zu Namibia. Interessant ist die
aufstellt werden: Die aus der Logik des
Wahl des Jahres 2004 im Hinblick auf die
Befreiungskampfes resultierende Dominanz
Frage, warum die Regierungspartei SWAPO in
der SWAPO steht der vollen Entfaltung einer
Namibia
bescheidener
demokratischen politischen Kultur in Namibia
sozioökonomischer Performanz – 38 Prozent
und damit einer positiven Konsolidierungs-
Arbeitslosigkeit,
HIV-
entwicklung der Demokratie als Ganzes im
Infektionsrate von 21, 3 Prozent (United
Wege. Diese Hypothese soll im Folgenden in
Nations 2005 – eine derartige Vormacht-
die Demokratie- und Konsolidierungskonzepte
stellung innehat, dass ein Machtwechsel auf
von
mittlere Sicht ausgeschlossen scheint. Neben
eingebettet werden. Zu diesem Zweck wird
der konstant hohen Arbeitslosigkeit von bis zu
zunächst
38 Prozent und der weit verbreiteten Armut ist
Wahlen, politischer Kultur und Konsolidierung
Kann dabei die vielfach vertretene These, dass
kurz skizziert, bevor im Anschluss die Begriffe
sich demokratische Konsolidierung an der
Demokratie,
Herausbildung
demokratischen
defekte Demokratie erläutert und das politische
Bürgerkultur ablesen lässt (vgl. Merkel 1999;
System Namibias in das zugrunde gelegte
Linz/Stephan 1996), am Beispiel Namibias
Theoriekonstrukt eingeordnet werden. Im Fazit
trotz Armut
einer
und
eine
Merkel
(1999,
der
2004a)
Zusammenhang
Embedded
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theoretisch zwischen
Democracy
und
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wird schließlich eine Bewertung der oben
eigentlichen Wählen zeigt sich im Wahlkampf
aufgestellten Hypothese vorgenommen.
auf
Akteursebene,
demokratische
Wahlen, politische Kultur und Konsolidierung der Demokratie Für die Entwicklung einer der Demokratie förderlichen
politischen
Kultur
in
Transitionsländern wie Namibia spielt der Glaube an die Legitimität des Systems und eine daraus resultierende Partizipation eine bedeutende Rolle. Dabei sind Wahlen eines der
eingehalten
inwiefern
Spielregeln werden.
der
Der
hier Fairness
Ablauf
des
Wahlvorgangs an sich ist der Testlauf, ob die Anforderungen an eine Demokratie auch technisch und strukturell umgesetzt werden. Im Umgang und der Akzeptanz des Wahlergebnis sowie
dessen
schließlich
Umsetzung
wieder,
ob
spiegelt die
sich
Wahlen
bedeutungsvoll sind.
Schlüsselelemente dieser direkten Erfahrung mit dem demokratischen System. Werden die Wahlen als frei, fair und ihr Ergebnis als bedeutsam
empfunden,
fördert
dies
den
Konsolidierungsprozess durch eine erhöhte Legitimität für das gesamte politische System. (vgl. Diamond 1994: 13) Differenziert man Wahlen nach dem Wahlergebnis und den anderen in Zahlen zu erfassenden Faktoren (Wahlkampf, technischer Ablauf, Akzeptanz und Umgang mit dem Wahlergebnis), wird deutlich, dass beide auf unterschiedliche Art und Weise Rückschlüsse auf die politische Kultur
auf
Gesellschaft
verschiedenen zulassen.
Das
Ebenen
der
Wahlergebnis
spiegelt im Speziellen die Präferenzen der Bürger wieder, jedoch bereits vor dem
Die politische Kultur nimmt als erklärendes Element eine Mittler- und Trägerfunktion zwischen Wahlen und Konsolidierung ein. Denn sie ist einerseits auf verschiedenen Ebenen
Voraussetzung
für
ein
nach
demokratischen Maßstäben funktionierendes Wahlregime, anderseits ist sie auch Medium, das durch die positiven Rückwirkungen, die ein gelungener Wahlakt und ein insgesamt funktionierenden
Wahlregime
auf
die
politische Kultur hat, die Konsolidierung fördert und vorantreibt. Durch ein positives Zusammenspiel von faktischem Handeln der Bürger und Eliten sowie dem Funktionieren der institutionell-systemischen Strukturen wird die Konsolidierung weiter vorangetrieben.
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Abb.1: Zusammenhang zwischen Wahlen, politischer Kultur und Konsolidierung
Quelle: eigene Darstellung
Auf einer Strukturebene stellt sich die Frage,
und Umsetzung des Ergebnisses deutlich wird,
ob der systemisch-institutionelle Rahmen des
dass demokratische Spielregeln eingehalten
Wahlsystems
werden
demokratischen
Ansprüchen
und
ein
Ausgleich
zwischen
genügt. Hierbei ist vor allem auch eine
politischem Angebot und politischer Nachfrage
politische Kultur der Eliten und der politischen
stattfindet.
Aktivisten notwendig, die diese Institutionen formen und ausgestalten und die mit ihren
Nachdem
demokratierelevanten
den
zwischen Wahlen, politischer Kultur und
zentralen Erfolgsbedingungen der Demokratie
Konsolidierung dargestellt wurde, wird im
zu zählen sind (Basedau 2003: 241). Auf einer
Folgenden
kulturellen Ebene lassen sich durch eine
Fundierung der Bewertung der politischen
genauere Analyse von Wahlergebnissen nicht
Verhältnisse in Namibia das Konzept der
nur
Embedded Democracy näher betrachtet.
Rückschlüsse
„Beliefs“
auf
zu
Strukturen
nun
zur
gesellschaftlicher Konfliktlinien, sondern auch auf die politische Kultur der Wähler und Bürger im Allgemeinen ziehen. Auf der Prozessebene ist zu untersuchen, ob durch den Wahlvorgang und die nachfolgende Akzeptanz
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grob
der
weiteren
Zusammenhang
theoretischen
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Demokratiebegriff und das Konzept der Embedded Democracy
Folgenden Merkels Embedded Democracy
Will man eine Aussage zum Zustand der
Polyarchy-Konzept (Dahl 1971) auf, bezieht
Demokratie
jedoch neue Dimensionen der Kontrolle,
in
einem
Land
Entwicklungsaussichten
und
treffen,
(Merkel
2004a)
als
Analysekonzept
vorgestellt. Dieses baut in Teilen auf Dahls
deren
muss
im
wechselseitigen Einbettung und funktionalen
Schritt zuvor geklärt sein, was hier unter einem
Verschränkungen mit ein.
der
In Merkels Konzept hat das Wahlregime eine
wohl
wichtigsten
Begriff
in
der
Politikwissenschaft verstanden werden soll.
zentral
Vorausgeschickt wird an dieser Stelle die
betont wird aber auch die Wichtigkeit einer
Bemerkung, dass – besonders mit Blick auf
entwickelten und vitalen Zivilgesellschaft für
Afrika – Demokratie nicht als dichotomes
die Stärkung und Stabilität einer Demokratie
Konzept verstanden werden soll, nach dem
und
Demokratie entweder vorhanden oder nicht
Spielregeln (vgl. Merkel 2004a: 59). Um das
vorhanden ist. Zu bevorzugen ist vielmehr ein
zentrale Wahlregime als sichtbarstem Element
differenziertes,
und
des Ausdrucks der Volkssouveränität gruppiert
des
Merkel
eher
mehrdimensionales
prozessorales Verständnis
herausgehobene
die
Stellung.
Erlernbarkeit
vier
weitere
Explizit
demokratischer
Regime:
politische
Demokratiebegriffs (vgl. Emminghaus/Nord
Freiheiten‚ bürgerliche Rechte, horizontale
2000:
etymologischen
Verantwortlichkeit. Gemeint ist damit ein
Beschreibung als Volksherrschaft aus ist die
Netzwerk relativ autonomer Institutionen, das
Definition Abraham Lincolns von 1863 aus der
die Amtsträger kontrolliert und auf ihre durch
Zeit
Bürgerkriegs
die Verfassung definierte Handlungssphäre
vielleicht am populärsten, wonach Demokratie
eingeschränkt wird. Während durch Wahlen
„government of the people, by the people, for
und andere vertikale Kontrollmechanismen die
the people“ darstellt. Abseits dieser zwar
Regierung nur punktuell kontrolliert wird,
griffigen, aber analytisch schwer anwendbaren
beinhaltet die horizontale Verantwortlichkeit
Definition, wurde in der Politikwissenschaft
der
Demokratie
verschiedensten
Verschränkung, durch die sichergestellt wird,
Abstraktionsebenen definiert, die hier nicht
dass sich die Gewalten stetig wechselseitig
weiter ausgeführt werden sollen (Überblick
kontrollieren und besonders die Ausübung
Schmidt 2000). Viel entscheidender ist die
exekutiver Gewalt begrenzt wird.
2).
des
Identifizierung
Neben
der
amerikanischen
auf
von
Kriterien
für
Gewalten
eine
funktionierende Demokratie. So wird im
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eine
Interpendenz
und
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SEITE 11
Embedded Democracy besagt, dass die hier Abb.2: Embedded Democracy
aufgeführten Teilregime nur dann wirksam und funktionell
sein
können,
wenn sie
Quelle: Merkel 2004b: 8
und effektive Regierungsgewalt. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Regierenden auch diejenigen sind, die tatsächlich gewählt wurden. Akteure, die keine demokratische Legitimation
besitzen
demokratischen
oder
keiner
Verantwortlichkeit
unterliegen, beispielsweise das Militär, dürfen keinesfalls
besitzen (Merkel 2004a: 52ff.). Umschlossen wird es von den Faktoren Staatlichkeit, Zivilgesellschaft
und
Voraussetzungen garantieren, vollständigen
„eingebettet“
sind.
Das
heißt,
Teilregime
untereinander
dass
sowohl
die als
komplementäre Zulieferer agieren als auch die anderen
Teilregime
an
Übergriffen
in
nichtzugehörige Bereiche hindern (Merkel, 2004a: 55ff.).
letztinstanzliche
Entscheidungsmacht oder Verfügungsgewalt
Gerechtigkeit.
wechselseitig beziehungsweise untereinander
ökonomische
beziehungsweise
Ihre dass
soziale
Berücksichtigung die
Analyse
Wahlen
soll
in
ihrer
überhaupt
als
bedeutungsvoll bewertet werden können. Die namensgebende Komponente des Konzepts der
Solange das Wahlregime als zentrales Element des
Embedded-Democracy-Konzepts
einigermaßen funktioniert, sprechen Merkel et al.
in
Abgrenzung
zu
autoritären
Herrschaftsformen von defekten Demokratien (Merkel et al. 2003: 66). Diese werden definiert als „Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur
Regelung
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des
Herrschaftszugangs
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auszeichnen, aber durch Störungen in der
Je
Funktionslogik
Teilregime der Embedded Democracy
übrigen
eines
oder
Teilregime
mehrerer
die
der
komplementären
nachdem,
verschiedenen
Demokratie
Demokratie.
Sicherung
von
Freiheit,
der
beschriebenen am
stärksten eingeschränkt ist, kommt man zu
Stützen verlieren, die in einer funktionierenden zur
welches
Subtypen
der
defekten
Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind“ (Merkel et al. 2003: 66). Abb. 3: Typen defekter Demokratien
Beschädigtes Teilregime
Beschädigte Dimension
Wahlregime und Politische Freiheiten
vertikale LegitimationsKontrolldimension
bürgerliche Rechte
Rechtsstaat
horizontale Verantwortlichkeit
horizontale Kontrolldimension delegative Demokratie durch Interdependenz und Verschränkung effektive Herrschaftsgewalt durch Enklavendemokratie demokratische Legitimation und Verantwortlichkeit
effektive Regierungsgewalt
Subtyp und exklusive Demokratie
illiberale Demokratie
Quelle: Merkel et al. 2003: 69
Auch wenn es sich hierbei um konstruierte
aus, der erfüllt sein muss, sondern stellt
Extremformen handelt, die selten bis nie in
besonders
dieser Reinform vorkommen, „ist es dennoch
Wechselwirkungen
meistens
‚Defekte’
Bereiche miteinander in den Vordergrund. So
Demokratien unter einen der vier Subtypen zu
lautet eine Kernannahme des Konzepts der
subsumieren“ (Merkel et al. 2003: 69).
Embedded
möglich,
reale
die
Wichtigkeit der
Democracy,
Durchsetzungsfähigkeit
und
der
verschiedenen
dass
die
Geltungskraft
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass
formaler Institutionen des demokratischen
das
Democracy
Rechts- und Verfassungsstaates durch die
Verbindung
herzustellen
kulturellen Dispositionen einer Gesellschaft
einerseits
theoretisch
beeinflusst werden. Die politische Kultur im
der
aber
Sinne von Anreizstrukturen wirkt dabei auf die
andererseits auch analytisch gut nutzbar ist.
einzelnen Akteure, indem sie deren Respekt
Das Konzept von Merkel geht nicht im Sinne
gegenüber institutionellen Regeln und deren
Dahls (1971) von einer Art Demokratiekatalog
Präferenzen beeinflussen (Merkel et al. 2003:
Konzept
der
versucht,
eine
zwischen
einem
gehaltvollen
Embedded
Demokratiebegriff,
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SEITE 13
223f.). Somit integriert das Konzept genau die
nach
Aspekte und wechselseitigen Mechanismen der
aufgeblähten Kabinett aus dem Parlament
Demokratie,
der
rekrutiert werden muss, nachhaltig gestört. Die
Fragestellung geht, nämlich Wahlen, politische
Regierung muss somit das Parlament bei
Kultur und Konsolidierung. Im Folgenden
umstrittenen
werden nun die politischen Verhältnisse
umgehen,
Namibias
deckungsgleich sind. Diejenigen Parlamenta-
in
um die
es
Merkels
im Sinne
Demokratiekonzept
denen
die
Exekutive
Entscheidungen
da
beide
zu
mit
ihrem
gar
einem
nicht Großteil
rier, die mit Exekutivfunktionen ausgestattet
eingeordnet.
sind, räumen diesen üblicherweise Priorität vor ihrem Parlamentsmandat ein. Im Jahre 2000
Einordnung der politischen Verhältnisse Namibias in Merkels Embedded Democrcacy
waren beispielsweise unter den 62 SWAPOParlamentariern 44 Regierungsangehörige (!) in Form von stellvertretenden Ministern oder
Mit Rekurs auf das Konzept der Embedded Democracy können die Teilregime politische Freiheiten, bürgerliche Rechte und effektive Regierungsgewalt in Namibia als ausreichend intakt bezeichnet werden. Namibia ist am ehesten unter den Subtypus einer delegativen Demokratie einzuordnen, da beim Teilregime der horizontalen Verantwortlichkeit schwere Mängel vorliegen. Zwar wurde und wird eine strikte
Gewaltenteilung
in
kaum
einer
Demokratietheorie verlangt. Vielmehr sollte keine
der
drei
Gewalten
in
den
Funktionsbereich einer anderen eingreifen und diese dominieren können, was jedoch aufgrund der Dominanz der SWAPO im gesamten politischen
System
Namibias
nicht
gewährleistet ist. Der Kontrollmechanismus des Parlaments gegenüber der Exekutive ist aufgrund der institutionellen Arrangements,
Staatssekretären. Dies kann als eindeutiger Beleg für die mangelnde Kontrolle der Exekutive durch die Legislative gewertet werden. Gleichwohl:
Das
wichtigste
Regime
im
Embedded-Democracy-Konzept, das Wahlregime, ist trotz Deformationen prinzipiell intakt. Wie oben bereits erläutert, sind die zentralen
Kriterien
zur
Beurteilung
von
Wahlen, ob sie offen und fair sind und korrekt ablaufen (vgl. Merkel et al. 2003: 78). Zur Offenheit kann konstatiert werden, dass in Namibia zwischen echten Alternativen gewählt werden kann, es wurden keine Parteien verboten, die Wahlen sind kompetitiv und auch wenn die SWAPO dominiert und alles andere als Wahlsiege der Regierungspartei auch in Zukunft überraschend wären, kann man nicht sagen, dass das Ergebnis im Voraus feststünde.
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Abb. 4: Übersicht: Ergebnisse ausgewählter Parteien bei Parlamentswahlen in Namibia von 1989 bis 2004
Jahr
1989
1994
1999
2004
56,90%
73,89%
76,15%
75,60%
CoD
n.a.
n.a.
9,94%
7,20%
DTA
28,34%
20,78%
9,48%
5,12%
NUDO
n.a.
n.a.
n.a.
4,16%
RP
n.a.
n.a.
n.a.
1,96%
5,60%
2,72%
2,93%
3,61%
n.a.
0,82%
0,70%
0,80%
SWAPO
UDF MAG
------------------------------------------------ ---------------- ---------------- ---------------- ---------------- ---------------Wahlbeteiligung Volatilität
98,05%
76,05%
61,53%
n.a.
17,40%
12,90%
84,50% 8,10%
Quellen: Electoral Commission of Namibia 2005; InWent 2005; Keulder 2000: 264ff; Melber 2003: 25
Eine Deformation des Wahlregimes besteht
Entscheidungen durchzusetzen“ (Merkel et al.
jedoch sicherlich darin, dass die Regierung
2003: 78f.).
ihre dominierende Stellung in Bezug auf Medienpräsenz Ressourcen
und
für
Nutzung
staatlicher
Wahlkampfveranstaltungen
und Ähnliches missbraucht. Dazu konstatiert „Ein starkes institutionelles Indiz für die Korrektheit von Wahlen ist, ob und inwieweit unabhängige
Wahlbehörde
mit
der
Durchführung und Aufsicht der Wahlen betraut
Besetzung der nationalen Wahlkommission ECN (Electoral Commission Namibia) mit SWAPO-Getreuen,
Merkel:
eine
Durch diese Aussage wird deutlich, dass die
ist
und
ob
eine
verlässliche
Wahlgerichtsbarkeit existiert. Zu prüfen ist dabei erstens die Neutralität dieser Behörden, also ob eine einseitige und unkontrollierte Beeinflussung Manipulation
bis
hin
durch
zur die
kompletten Regierung
die
nicht
gezwungenermaßen Kompetenz für dieses Amt besitzen,
eine
durchaus
demokratie-
gefährdende Deformation ist. Zwar hätte die SWAPO auch bei technisch einwandfrei durchgeführten Wahlen zweifellos eine satte Mehrheit
erzielt,
dennoch
zeigen
die
Unsauberkeiten und die Art und Weise, wie zunächst seitens der SWAPO auf Kritik reagiert wurde, eine zunehmende Arroganz der Macht.
ausgeschlossen ist; und zweitens ob sie ausreichende Autorität besitzen, um ihre
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SEITE 15
Positiv dagegen ist die Rolle der Judikative
mangelhaft ist, die dritte Gewalt jedoch
hervorzuheben,
mancher
zumindest als unabhängig und funktionsfähig
Neuauszählung
zu bewerten ist. Dies zeigt beispielhaft, wie
entschieden hat. So bildeten die offenbaren
wichtig die politische Kultur der Eliten eines
Fehler
Erwartung
die
auf
und
entgegen eine
Ungereimtheiten
bei
der
Landes
Konsolidierungsentwicklung ist.
Stimmauszählung
der
Wahl
2004,
die
vermutlich
das
Unvermögen
der
auf
für
eine
positive
demokratische
Wahlkommission zurückzuführen waren, die
Allerdings machen die Deformationen am
Grundlage
der
Wahlregime sowie die Defekte im Regime
Oppositionsparteien vor dem Supreme Court.
„horizontale Verantwortlichkeit“ deutlich, dass
Dieser
eine
die komplementäre Zulieferung der einzelnen
Neuauszählung der Stimmen vorgenommen
Teilregime untereinander nicht ausreichend
werden musste. Dieser bisher in Namibia
funktioniert und vor allem auch die intakten
einmaliger Vorgang wurde von den Medien als
Teile der Demokratie Namibias nicht stark
Zeichen einer unabhängigen Judikative gefeiert
genug sind, um – im Sinne des Embedded-
und dürfte auch führende SWAPO-Funktionäre
Democracy-Konzepts –
sicherlich überrascht haben. Allerdings wird
Ausufern
auch
übermächtigen
für
entschied
das
eine dann
vom
Wahlklage auch,
dass
ursprünglichen
kaum
eines
Übergriffe und das
Systemteils,
Exekutive,
zu
hier
der
verhindern.
abweichende Ergebnis der vorgenommenen
Dabei spielen die defizitären Aspekte der
Nachzählung
politischen Kultur und des Wahlverhaltens
von
der
Opposition
nicht
anerkannt, da laut Beobachtern auch bei der
eine entscheidende Rolle.
Nachzählung eklatante Verstöße gegen das Wahlgesetz begangen wurden (vgl. NSHR
Betrachtet man die Wahlen auf nationaler
2004). Dennoch bleibt festzuhalten, dass an der
Ebene in Namibia seit der Unabhängigkeit, so
allgemeinen Aussage des Gesamtergebnisses –
zeigt sich, dass das Wahlverhalten nur zu
überwältigender Wahlsieg für die SWAPO –
einem sehr kleinen Teil performanzorientiert
nicht ernsthaft zu zweifeln ist. Das integrative
ist, die weitaus wichtigere Rolle spielt eine
Auftreten des neuen Präsidenten Pohamba
politische Kultur, die noch sehr stark durch die
dürfte weiterhin dazu beitragen, dass das
Logik des Befreiungskampfes sowie ethnisch-
Interesse der Opposition am Fortführen der
linguistische Konfliktlinien geprägt ist. Wie
Wahlklage gemindert wird. Hier zeigte sich,
Studien des Afrobarometers (2005) zeigen,
dass,
wäre die Dominanz der SWAPO nicht ohne
wenn
Kontrolle
der
auch
die
Exekutive
parlamentarische in
Namibia
die Unterstützung der Ovambos, die mit etwa
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der Hälfte der Landesbevölkerung die größte
So ist die Dominanz der SWAPO in vielerlei
ethnische Gruppe in Namibia darstellen, nicht
Hinsicht kritisch zu beurteilen: Die Mängel der
möglich.
als
letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahl
einheitsstiftendem Element kann also auch die
sind das eine. Solange die Wahlkommission,
SWAPO als eine ethnische Kongresspartei
auf die die technischen Mängel der Wahl
bezeichnet
höchstwahrscheinlich
Mit
dem
Befreiungskampf
werden,
in
der
sich
viele
zurückzuführen
sind,
neopatrimoniale Elemente finden lassen (vgl.
von der SWAPO besetzt wird und nicht
Erdmann 2004).
unabhängig ist, wird an diesen Mängeln auch der gute Wille des neuen Präsidenten Pohamba
Die Auswirkungen dieser Dominanz auf die
kaum viel ändern. Zur politischen Kultur der
Konsolidierung der Demokratie in Namibia
Bürger und Eliten ist festzustellen, dass die
sind ambivalent: Auf der einen Seite kann
Dominanz der SWAPO zwar nicht generell zu
nicht geleugnet werden, dass die SWAPO ein
antidemokratischen Einstellungen führt, im
Garant der Stabilität war und ist. Trotz manch
Gegenteil, die intrinsische Unterstützung für
fragwürdiger Aktionen des Ex-Präsidenten
Werte wie Demokratie und Freiheit als solche
Nujoma und vor allem seiner rhetorischen
ist in einem zufrieden stellenden Ausmaß
Ausfällen
vorhanden (vgl. Afrobarometer 2005). Jedoch
gegenüber
Minderheiten
hat
Namibia die Transition zur Demokratie gut
hat
verkraftet
„Support“ eine negative Kehrseite: Es kommt
und
große
Anstrengungen
dieser
relativ
unternommen, die Wunden der Vergangenheit
in
heilen zu lassen. Auch der Wandel der
Verschwimmen der Grenze zwischen SWAPO
SWAPO,
revolutionären
und dem Staat. Sowohl für viele Bürger als
Befreiungsorganisation hin zu einer mit den
auch besonders für die SWAPO-Eliten und
Zwängen der alltäglichen Politik kämpfenden
speziell
Regierungspartei, ist positiv zu bewerten. Dies
beispielsweise die Meinungsfreiheit dort, wo
jedoch auch vor dem Hintergrund, dass die
Kritik
autoritären
im
anfängliche Verhalten gegenüber dem von der
Untergrund agierenden Befreiungsorganisation
SWAPO abgefallenen CoD (Congress of
sicherlich
Democrats)
weg
von
Wurzeln, angebracht
einer
die
bei
waren,
einer für
eine
Namibia
immer
output-unabhängige
die an
der
mehr
zu
einem
Parlamentarier Regierung
macht
deutlich,
endet
anfängt.
dass
Das
andere
demokratische Partei allerdings eher negativ
Meinungen und politische Konzepte vielfach
sind, noch weiter fortbestehen.
noch als Verrat an der gemeinsamen Sache des Befreiungskampfes angesehen werden. Ob sich die Glorifizierung der SWAPO aufgrund ihrer
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SEITE 17
Rolle im Befreiungskampf und damit ihre
Partei und Staat verschwimmt mehr und mehr
Quasi-Unantastbarkeit im Laufe der Jahre
und auch auf Ebene der Eliten wird keine der
abschwächt, muss sich zeigen. Nötig wäre in
Demokratie
förderliche
jedem Fall, dass einer weiteren Gleichsetzung
ausgebildet.
Selbstverständlich
von SWAPO als Partei und dem Staat Namibia
SWAPO ihre eigene Dominanz nur bedingt
entgegengewirkt wird.
zum Vorwurf gemacht werden. Sie genießt überwältigendes
Zwischen
Dominanz
und
Dominanz der SWAPO der vollen Entfaltung einer demokratischen politischen Kultur in damit
einer
positiven
Konsolidierungsentwicklung der Demokratie als Ganzes im Wege steht, konnte anhand der Einordnung
der
politischen
Verhältnisse
Namibias in Merkels Konzept der Embedded Democracy bestätigt werden. Wie die Analyse gezeigt hat, scheinen Wahlverhalten und Wahlergebnisse
in
Namibia
aus
einem
(und
damit
einer
Demokratieverständnis
politischen Kultur) zu resultieren, welches nicht sozio-ökonomisch performanzorientiert die
Leistungen
bewertet,
der
sondern
Regierung(-spartei)
größtenteils
aufgrund
historischer oder ethnischer Loyalitäten der SWAPO eine „eingebaute Mehrheit“ sichert. Neben einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß an Nepotismus und Korruption in Namibia
ist
gerade
kann
Vertrauen
in
der
der
Bevölkerung, selbst bei den Bürgern, die sie des Befreiungskampfes zurückzuführen ist.
Die eingangs aufgestellte Hypothese, dass die
und
Kultur
nicht wählen, was nach wie vor auf die Logik
Konsolidierung
Namibia
politische
die
Dominanz
der
Exekutive gegenüber dem Parlament am stärksten zu kritisieren. Die Grenze zwischen
Die Marginalisierung der Opposition wurde zwar durch das Verhalten der SWAPO befördert, ursächlich ist jedoch eher die Dominanz ethnisch-regionaler Cleavages, die nicht selten mit neopatrimonialen Strukturen einhergehen. Dazu kommen die mangelnden politischen
Alternativangebote,
Konzeptionslosigkeit
und
Selbstzerstückelung
der
die die
oppositionellen
Parteien, wie sie in Afrika oft an der Tagesordnung ist (vgl. Erdmann 2002). In Bezug auf die Konsolidierung wird deutlich, dass diese in Namibia im Hinblick auf die konstitutionelle
und
repräsentative
Konsolidierung erfolgreich verlaufen ist, auch wenn
die
Dominanz
Einschränkung
der
der
SWAPO
als
repräsentativen
Konsolidierungsebene zu werten ist. Weniger erfolgreich war bisher die Konsolidierung der Bürgergesellschaft und auch eine vollständige und
uneingeschränkte
Anerkennung
der
Demokratie als politische Ordnung unabhängig
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von der Legitimation der SWAPO und deren
Democracy gezeigt – keinesfalls „lost in
Eliten in einem rein wert- und zweckrationalen
consolidation“
Sinne steht in Namibia noch aus. Namibia ist
Abstellgleis,
hierbei jedoch – das hat die Einordnung der
schwierigen, aber gangbaren und für die
Präsidentschafts- und Parlamentswahl des
Region Subsahara-Afrika vorbildhaften Weg
Jahres 2004 in das Konzept der Embedded
zu einer funktionierenden Demokratie.
auf sondern
dem auf
politischen einem
zwar
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SEITE 19
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Ausgabe 0/2006
Subsahara-Afrika – Eine Region auf dem Abstellgleis?
Avoiding the charge of alienation Tradition as a regulative concept of the local FGM discourse in Tanzania – and how local anti-FGM activists deal with it
Mathis Danelzik
w w w . j o u r n a l 3 6 0 . d e
Avoiding the charge of alienation Tradition as a regulative concept of the local discourse on femal genital mutilation in Tanzania – and how local anti-FGM activists deal with it Mathis Danelzik
Female Genital Mutilation (FGM) is defined by the WHO as “a traditional harmful practice” which includes “all procedures that involve partial or total removal of the external female genitalia or other injury to the female genital organs whether for cultural or any
in turn is predominantly determined by the ethnicity of the practitioners. The prevalence by ethnic groups in Tanzania ranges from not practicing ethnic groups to estimated nearly 100 per cent among the Masai (cf. Choumaini/ Klingels-Haji Haji 2003: 152).
other non-therapeutic reasons” (WHO 1996: 5). FGM dates back at least 3500 years (cf. Ettenhuber
2000:
16).
Estimations
by
UNICEF reach up to 130 million circumcised females worldwide (cf. Ettenhuber, 2000: 22). By far the most practitioners live in 28 African countries which form a belt to the
FGM is practiced for a variety of reasons throughout Africa. In different communities, gender, marriageability, ethnicity, and the value of a person can depend on whether one has undergone FGM. Practitioners regard FGM as the continuation of a tradition. The
north of the equator: In East Africa, this belt exceeds to Egypt in the north and Tanzania in the south, including the horn of Africa. National prevalences range from 5 per cent in Uganda to 98 per cent in Somalia. The national
Tanzanian FGM prevalence rate is estimated 17.9 per cent (cf. Macro International 1996). However, national prevalences do not reflect the crucial factor. The prevalence depends mostly on ethnic group because FGM develops its meaning in a social context which
Tanzania is a country on the east coast of Africa and is bordered by Rwanda, Burundi and the Democratic Republic of the Congo on the west, Kenya and Uganda on the north, and Zambia, Malawi and Mozambique on the south. The former German colony (1880s until 1919) became a British trust territory from 1919 on reaching independence in 1961. Shortly after independence, Tanganyika and Zanzibar merged to form the nation of Tanzania in 1964. One-party rule came to an end in 1995 with the first democratic elections held in the country since the 1970s. Zanzibar's semi-autonomous status and popular opposition have led to two contentious elections since 1995, which the ruling party won despite international observers' claims of voting irregularities (CIA 2005). In the last election Jakaya Kikwete was elected President by popular vote (80.3 per cent) for five-year terms on 14 December 2005. More than 80 per cent of the population (about 37 million people, Brunner, 2005) is rural. Dar es Salaam is still the administrative capital and largest city, although Dodoma has been designated the new capital (legislative offices have been transferred to Dodoma, and the National Assembly now meets there on regular basis).
reason to continue FGM because it is a
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the
as the destruction of culture has gained
anthropological literature on African FGM
hegemonic status in local discourse, thus
practitioners.
shaping and restricting the activists’ strategies
tradition
is
mentioned
throughout
to convince practitioners to stop FGM. The In this article, I draw on interviews with
stance of the anti-FGM activists becomes
Tanzanian
participatory
even more problematic because the question
observations of the campaigns of two anti-
of who is allowed to raise one’s voice in the
FGM NGOs, AFNET and IAC-Tanzania. I
debate over FGM has been linked to a sense
use alias names whenever I quote my
of cultural belonging by many disputants,
interviewees.
reasons
while the cultural belonging in turn became
practitioners give to activists in favour of
bounded to adherence to traditions. This
FGM with eighteen activists. The top three
produces dichotomised discourse positions of
answers
tradition”
the seemingly authentic traditionalists and the
(mentioned by nine activists), “FGM prevents
culturally alienated modernisers, speak anti-
lawalawa” – which is a Kiswahili lay term for
FGM activists. However, anti-FGM activists
different infections of the urinary tract and the
have found ways to evade this social
vagina – and “FGM prevents women from
exclusion that weakens the effects of their
becoming sluts” (both mentioned by eight
agency.
activists
were
I
and
discussed
“FGM
is
the
a
activists). A study of AFNET (AFNET 2004) identifies the same reasons as crucial for practitioners to engage in FGM in Tanzania. The importance of the given reasons varies according to ethnic groups, but all reasons seem to occur in all of the Tanzanian ethnic groups.
Tradition, identity, and power In
the
local
discourse
of
practicing
communities, FGM claims legitimacy through its status as tradition. In the view of traditionalists, tradition is seen as the validity of what has constantly existed (cf. Erdmann
I discuss the first argument as a frame for the local debate between Tanzanian anti-FGM activists and active supporters of FGM. Thereby I understand the concept of tradition as an effect of discourse, not as a prediscursive given. The perspective that equates tradition with culture and break with tradition
1998: 6), including handed down patterns of behaviour, attitudes, norms, and values. The fear of losing traditional customs is a motive grounded in the changing socio-economic circumstances
present
generations
of
Tanzanians have been experiencing in their lives. It frames the discussion about tradition
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in Tanzania and supports the view that
Among the Masai, FGM has the strongest
equates
with
foothold of all practicing Tanzanian ethnic
destruction of culture. From this premise, it is
groups. Although Benedict, one of my
only
a
interviewees, is not considered to lack
community’s identity in a way that excludes
Masainess in other aspects, his resistance
anti-FGM activists. In the local power
against FGM is sufficient enough for some
struggle, anti-FGM activists dispute with
Masai to place him outside the Masai
active supporters of FGM to win over the vast
community:
majority of practitioners who feel less
“He is facing a difficult time. Most of the
strongly about FGM. The general strategy of
Masai see him as an enemy. As someone who
active supporters of FGM in the struggle over
is not committed to the community, the
interpretive predominance is to combine the
culture. […] He said that it is not a very
question of cultural membership with the
welcoming situation. He says that he has been
abandonment
one
step
of
towards
customs
establishing
legitimacy of the agency. In their view, only those who are considered proper members of
encouraged to continue by few people who
the practicing community are allowed to
listen
speak up on FGM. In a second step, active
commenting a statement by Benedict on the
supporters aim to establish a criterion to
question whether he is under pressure for
define the cultural community in a way that
trying to stop FGM in the community he lives
excludes the activists and thus delegitimises
in.)
to
him.”
(Carol
translating
and
their positions. Here, Masainess is equated with performing In the purest form of strategical establishment
FGM. Therefore, activists find themselves by
of group identity, FGM is announced to be an
definition sorted in the outer category of a
essential element of a given community.
strictly polar version of cultural identity. The
Those that criticize FGM are regarded as
outer category deems activists to be alienated,
cultural aliens. One is regarded as unfit to
inauthentic. Dichotomies such as authentic vs.
speak up on FGM because one is considered
inauthentic culture postulate a seemingly
an outsider, and again one is considered an
unchangeable core of culture as if culture
outsider when one campaigns against FGM.
belonged somehow naturally to a geographic
In these cases, “[i]t is like a law. Either you
space, or as if a person was born into a cultural
belong or you don’t belong. If you belong to
set, which would necessarily stay one’s real
the society you have to do this.”(Helen)
culture. But if we “can take anything for
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granted about culture, it is that it is not a
others, who accepts or rejects claims of
natural phenomenon. […] Yet this does not
identity, who enforces stereotypes, who
prevent a lot of discourse proceeding as though
permits
‘authentic’ cultures were somehow ‘natural’.”
discourses, who is allowed to ask questions
(Tomlinson 1991: 23) Only a historical
concerning
analysis could offer insight to the processes
consensus (cf. Schmidt 2003: 150). Therefore,
that have included the demand for FGM in
I do not understand the membership to a
common sense. The synchronistic analysis I
cultural community as a pre-discursively
offer makes visible how the room of
given, but as the result of former discourses,
manoeuvre to eradicate FGM is shaped by the
which then again forms the prerequisite for
outcome of these processes. Such an analysis
prospective discourses by excluding some
“[.]
potential disputants while including others.
investigates
the
political
stakes
in
or
fends
truth
off
and
contributions
denounce
to
moral
designating as an origin and cause those identity categories that are in fact the effects of
Although narrated otherwise by traditionalists,
institutions, practices, and discourses with
tradition is also an effect of discourse. “The
multiple and diffuse points of origin.” (Butler
idea that ‘once upon a time’ there were clear
1990: x). At the same time, the actions of both
and rigidly obeyed cultural rules and social
the anti-FGM activists and active supporters
institutions governing sexuality is no truer for
either rearrange or reificate the web of beliefs
Africa than it is for Europe.” (Setel 1999: 27)
which
are
Especially in cultures without written records,
they
“an archaeology of sexuality is virtually
“consciously mobilise cultural differences”
impossible to establish” (Schoepf 1992: 357).
(Appadurai 1996: 15) in the pursuit of a
In
political goal.
stylisations
supports
“culturalists”
in
FGM. the
Thus sense
they that
the
handed are
down
stories,
blended
with
dramatic omissions,
corrections, and additions that were considered To analyse processes of cultural change and
useful (cf. Erdmann 1998: 13). Thus, the
reification, a broad understanding of power is
making of tradition can be used to gain
necessary. Power is executed by whoever
interpretive predominance over questions of
defines the distinctions with which inclusion
identity. This is especially effective if cultural
or exclusion of societal groups are handled,
membership is regarded as prerequisite to
who sets the agenda in discourses of
engage in further political debate. Whoever
collective
loses the ability to claim membership is
memory,
who
attributes
understanding or lack of understanding to
marginalised
in
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prospective
attempts
at
Avoiding the charge of alienation | Mathis Danelzik
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creating a community of his or her vision.
stated as the only possible one. Subsequent
Change of perspective: Consequences for local antiFGM campaigns
history is written as if these normative
The self-referential justification of FGM
positions were the product of social consensus
through tradition poses a problem for anti-
rather than of conflict“ (Scott 1999: 66). Then,
FGM activists. How should a campaign be
‘authentic’ traditionalists are pitted against
situated logically to that type of justification?
‘inauthentic’ political activists, whose claims
Is it unavoidable to be in the position of the
are undermined (cf. Griffiths 1994: 238). The
destroyer of culture?
“The position that emerges as dominant [...] is
fixation on authenticity overrides the internal heterogeneity of every community and silences
In the following, I report some of the attempts
counter-hegemonial voices (cf. James2002:
of my interviewees to place themselves within
92).
the positively valued side of the dichotomy of traditionalists and modernisers. In a cultural
This analytical framework makes us aware that
setting that defines tradition as culture and the
the making of tradition is part of culturalists’
break with tradition as the destruction of
strategies but does not inform us of the moral
culture, this is a necessary move.
justification of these actions. “Recognising the relatively short span of cultural memory,
On the one hand, the way the activists bring in
which allows us to forget previous cultural
their own values is connected to their
appropriations,
emphasis
does
not
invalidate
the
on
the
contribution
of
the
experience of ‘invasion’ by new practices […]
practitioners and the acceptance of the
where it occurs […]” (Tomlinson 1991: 93).
existing power hierarchies. They anticipate
The decision to resist an attempt to postulate
the practitioners’ limits of acceptance and
an unchangeable core of cultural identity,
adjust the input of their own agenda according
again is a political one: „[I]f agents give up
to this limit. This is true regarding both the
certain practices […] and engage in others […]
activists’ agenda on values and their agenda
the culture has not ‘survived’ in its original
on changes of discourse structure: “Suit the
form, but this is not a matter for criticism
people. […] We realised that if you go along
unless we want to say these choices are
the hierarchies, you will succeed.” (Irene)
mistaken or misguided.” (Tomlinson 1991:
This is especially true for the very important
165)
issue of gerontocratic power:
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“The Masai have this system of age groups
Laigwanan, the old men, they are also very
very, very marked. The young group has to
strong.” (Irene)
obey, there are things the young ones are not allowed to do when the older ones are there
However, fighting FGM does not necessarily
and the power is on the top. Whether it is your
mean fighting the existing hierarchies. In fact,
parent or not, this age group has power over
the majority of my interviewees did not see
your generation. […] Among the Chaga, it is
the power inequality according to age as a
the mothers and fathers who have power over
problem, but as a valuable part of the
their sons. Even the grandchildren, they have
traditional order in general. When activists’
power over them.” (Kathleen)
opinions collide with the existing order in
“We first meet with the leaders of the village
many practicing communities, they try to
and ask them to allow us to speak with the
bring in their position as thoroughly as
community to have a meeting or seminars to
possible without being rejected as a partner.
the particular groups.” (Florence) “It goes
AFNET and IAC organise Kungwi teachings
through the traditional way. In the Masai case,
for Gogo communities, which is a traditional
there are the Laiguranac [male elders], the
social
decision-makers and they make sure that the
adolescents during the healing period after
traditional way is practiced in society. If you
circumcision, and obviously have an interest
want to change anything, you have to speak to
to influence their content:
them.” (Daniel)
“But we also have something we want to filter
and
sexual
education
given
to
into the training. […] We also talk about On the other hand, it is exactly the dominant
human rights of women and children, […] the
hierarchy that maintains FGM practitioners in
responsibilities of parents and grandparents,
power. Therefore, there is an inherent tension
[…] various traditional practices that affect
between activists’ positions and the dominant
children, […] gender relations. […] If people
hierarchies.
say, “no, we can’t do this” then you try to put
“[E]specially the old Masai women are
in your dose, slowly [.] slowly.” (Carol)
difficult [to convince to stop FGM]. The young Masai are easy […] and again, because
The activists try to exert influence within the
traditions in Masai culture are held through a
traditional framework: “We teach them new
hierarchy, those elderly women, if they say
things in traditional ways. The same songs,
something, the others will listen. And the
the same poems, but different meanings. The Kungwis have certain tales and they interpret
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SEITE 27
them to give the youngsters a moral. We teach
convention to address the village leaders and
the
got their permission to conduct their work in
Kungwis
different
interpretations.”
the village.
(Barbara)
“You have to respect the hierarchy, otherwise Age group and gender-based separation
it will be very difficult. […] [i]f you miss
within the debate serve well to exemplify the
these important men especially the clan elders
activists’ handling of the dilemma to want to
in Masai community. But we believe that
work within the power structure of a
information is power. Apart from the leaders,
community on the one hand, but to want to
people should be informed. When they are
change at least specifics of this structure on
informed they will know the pros and cons.”
the other hand. The activists formally accept
(Irene)
the rules of gender and age-group separation,
Thus, the activists symbolically satisfy the
but actively undermine them by introducing
authority of the given power structure, but still
new content in the teachings and changing
proceed with their own agenda to include
discourse structure. As I experienced, half the
formerly marginalised stakeholders.
team of facilitators of IAC who conducted
“We first go to [elders and religious leaders],
alternative rites of passage without FGM were
[t]hen […] to the parents, then to the teachers
in their twenties. They led the discussions
and ask them to call a meeting […]. We ask
with the elders and religious leaders of the
them the same questions and give them the
villages on how to conduct the next rite of
same issues. Then we call in young men and
passage. One interviewee stated that the
women and discuss the same issues. We also
opportunity for her as a woman to speak out
ask the children who are ready to undergo the
in that group of elders and the active part of
training and we ask them nearly the same
young facilitators in the discussions were
questions. After that we compare and start the
unthinkable in the past. IAC also builds up
training. During all the time people get
village youth groups, whose members take
something and those who can change start
part in the discussions with the elders. Thus,
changing their attitude.” (Carol)
the exclusion of young people in the relevant discussions is undermined although the
This is a significant change due to the fact that
activists do not address the issue of age
activists encourage women, girls, and young
groups when speaking with the leading elders.
men to form an opinion on FGM themselves
Activists also include all stakeholders of FGM
rather than simply referring to the elders.
in a given village, after they have satisfied the
Thus, the activists bring the voices of
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SEITE 28
adolescents and children into the discussion
influence on the content adolescents are
with
activists
taught and improve their position in the
change discourse structure without making it
community they work with. Thus, the activists
an issue in practicing communities and thus
are able to claim the field of traditions and
evade being regarded as modernisers.
become regarded as caretakers of traditions,
the
decision-makers.
The
which arguably is the most valued position The activists have even found a way to utilise
they can occupy. In doing so, they avoid the
the narrative of straying from loss of tradition.
charge of being alienated, although they
They dock with that narrative and the ongoing
clearly want to eradicate a traditional practice.
disintegration of old social networks. While
Such a feat is crucial, albeit not an easy task.
tackling FGM is touchy, tradition in general is
The activists try to prevent charges to be
a suitable entry point.
destroyers of culture by actively promoting
“[…] Our approach is to use traditions as an
traditions
entry point. We don’t use FGM, because we
Additionally, they change these traditions
think that we would be rejected. We put them
according to their own agenda, which makes
into focus groups and start to ask them about
their stance towards tradition even more
traditions in their community. Then we ask
complex. The Kungwi teachings among the
them which traditions they think would be
Gogo are connected to the practitioners’
good to continue and which traditions should
argument that uncircumcised women will
go away. There will be some who will say
become promiscuous. The activists separated
FGM should be stopped and others who will
the possibility of being trained by a Kungwi
say that it should be continued because the
from the condition of being circumcised. “A
ancestors would be angry. We pick FGM and
thing they would never have done in the past
ask for the reasons why they do it and ask for
[is to accept uncircumcised girls as Kungwi
the experienced problems. Then we start to
pupils]. […] Now, the parents can send their
sensitise them.” (Carol)
daughters to the lessons, if they themselves
like
the
Kungwi
teachings.
accept to leave their daughter uncircumcised.” Both AFNET and IAC-Dodoma identify the
(Barbara) After having attended the teachings,
Kungwi teachings as valuable traditions that
uncircumcised girls can claim to have been
are in danger of becoming a relic of the past.
properly taught respect for the elders, how to
Therefore, they support communities to re-
behave as a wife etc. Without doubt, the
establish the teachings. This engagement is
requirements to be an appropriate candidate
helpful for the activists in two ways: they gain
for the teachings are an important part of the
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SEITE 29
tradition. Changing them, and at the same
part of the activists’ strategy becomes more
time reinforcing the importance of the
important: being involved in projects such as
teachings for the value of an individual, is an
the reestablishment of Kungwi teachings, the
important step to detach honour from FGM.
activists
The task of the activists is to narrate these
articulated, thus make an important step
changes without provoking a view that
towards a friendly atmosphere. It can calm the
perceives activists as destroyers of culture.
social life where antagonistic positions cannot
They therefore rhetorically put emphasis on
be bridged ideologically. The attempts to
their contribution to the re-establishment of
become
traditional practices and the valuation of good
communities must also be understood in this
traditional values like respect for older people
light.
fulfil
a
crucial
need
the
partners
community
of
practicing
and downplay the changing of traditions. The membership to a cultural community is often regarded as the criterion to decide the
Changing traditions The most important strategy is to narrate oneself as the upholder of tradition and therefore place oneself within the valued side of a dichotomy initially constructed to delegitimise oneself. This includes avoiding fundamental critique and cautiously dosing one’s own point of view. At the same time, the activists can extend the boundary of the valued side even without this being perceived in the discourse by excluding their nondiscursive attempts to change discourse structure
from
their
narrations.
Young
facilitators who raise their voices among village elders and the systematic inclusion of the
views
of
formerly
marginalised
stakeholders are examples for that strategy.
legitimacy of an individual to raise his or her voice on cultural issues of that group. In the bigger part of the Western FGM discourse, a homogenous African within is assumed while the moral justification of Western agency is questioned. It is tempting to comfort oneself with the thought that the indigenous activists will sort the problem of FGM out in a culturally unproblematic way. The contested assumption in both local and academic discourses is that there is a boundary that defines
whether
activism
is
authentic
resistance from within or cultural imperialism executed
by
alienated
agents.
But
the
boundaries of a cultural within are drawn contextually and whoever is placed as an outsider loses certain rights to engage in the
Where the narration of being an upholder of tradition is not entirely successful, a different
topic of FGM. Activists face attempts to delegitimise
their
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
position
within
the
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discourse through the establishment of a
content of what is held as tradition: They
cultural identity which defines them as
undermine the established discourse structure
alienated from a postulated cultural core.
in both gender and age group aspects and
Thus, the issue of cultural identity and
include formerly marginalised stakeholders.
membership is one of the main arenas in
Thus, they affect the conventional hierarchy.
which activists are challenged. Strategically,
The very idea of eradicating FGM is a break
the anti-FGM campaigns of AFNET and IAC-
with tradition. An even more fundamental
Tanzania
change activists foster is the weakening of the
account
for
that
in
their
philosophies, which emphasise participation
structure
of
legitimation
of
traditions.
and cultural sensitivity. The decision to use a
According to Anthony Giddens, the first step
holistic approach rather than solely focus on
in “[t]he sloughing-off of tradition in a certain
FGM seems to open up opportunities for the
sense begins with its understanding as
activists to improve their relationship to
tradition” (Giddens 1979: 200) because it
practicing communities apart from the touchy
denaturalises tradition and makes other forms
topic of FGM. The narration of being an
of legitimation appear. The activists take the
upholder of traditions and establishing a good
second step by legitimising traditions through
relationship is easier if activists participate in
a rational discussion. Their attitude towards
a range of topics important to the life of
traditions does not reflect a traditional mind-
practicing communities. Because cultural
set: “If they say it is a tradition, we say that it
membership is part of the arena of the cultural
is true, but it is not a good tradition. It
struggle over FGM, I have second thoughts on
discriminates people. It doesn’t give room for
the attempts to ground moral justification of
people to make decisions. We tell them that
anti-FGM campaigns (or lack thereof) on
good traditions do not violate human rights,
cultural membership of the agents.
do not create pain to another person, do not interfere with development.” (Irene) This is
Through the abandonment of the idea of a pre-
where traditions are stripped of their former
discursive identity and tradition, it becomes
legitimation by ancestors’ wishes and cultural
obvious that both active supporters of FGM
heritage and are subjected to an analysis of
and the activists are culturalists. They try to
how a community should live.
influence society and, in doing so, necessarily My
Tradition turns into a disposable object of the
interviewees contribute to the change of
human rights discourse. In this line of
tradition in two ways. First, they change the
thinking, traditions are no longer practiced
promote
their
values
and
beliefs.
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
Avoiding the charge of alienation | Mathis Danelzik
SEITE 31
because they are traditions, which are the core
Having my concept of culture and traditions
of the traditional legitimation of traditions, but
in mind, it is clear that this cannot be a
because they are advantageous at a given
criticism in itself. Agents of cultural change
moment. Therefore, the activists are agents of
are an integral part of any culture.
cultural change in my view, although many of them see themselves in a different role.
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Ausgabe 0/2006
Subsahara-Afrika – Eine Region auf dem Abstellgleis?
Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? Ellen Kollender Janne Grote
w w w . j o u r n a l 3 6 0 . d e
Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? Ellen Kollender und Janne Grote
Regionale, soziale und historische Einführung
Bis Anfang des Ersten Weltkrieges deutsche
Togo, der westafrikanische Staat, der kleiner
Kolonie, wurde Togo nach dem Versailler
als Bayern ist, stellt nicht nur die älteste
Vertrag 1919 von der französischen und der
Diktatur Afrikas dar, sondern gehört mit einem
britischen Kolonialmacht geteilt und getrennt
Bruttosozialprodukt
durchschnittlich
verwaltet. Am 27. April 1960 erlangte Togo
weniger als einem Euro pro Kopf und Tag
unter Sylvanus Olympio seine Unabhängigkeit.
auch zu den ärmsten Ländern der Welt (o.V.
Knapp sieben Jahre später stürzte Stabschef
2004: 533) und zu einem der ärmeren Staaten
Etienne
der Region Subsahara-Afrika. Insgesamt hat
Olympios
sich die soziale Situation Togos in den letzten
Zivilregierung. Eyadéma konsolidierte seine
Jahren in absoluten Zahlen und im Vergleich
Macht und gründete 1969 die Einheitspartei
von
Gnassingbé
Eyadéma
Ermordung
die
nach
eingerichtete
zu anderen Ländern der Region verschlechtert. Das Land, das noch im Jahr 2000 Platz 128 auf dem Human Development Index (HDI) der UN einnahm, steht 2005 auf Platz 143 (United Nations Development Programme 2005). Das Bruttoinlandsprodukt ist in diesem Zeitraum von
1,4
Milliarden
US-Dollar
auf
1,3
Milliarden US-Dollar gefallen, während die Bevölkerungszahl um ca. eine halbe Millionen gestiegen ist. In den ländlichen Regionen überwiegt die Subsistenzwirtschaft, von der ca. 65 Prozent der Togolesen abhängig sind. Hauptexportprodukt Togos ist der Rohstoff Phosphat. Daneben werden Kaffee, Kakao, Baumwolle und Ölpalmprodukte ausgeführt. Der Industriesektor ist allerdings nur marginal ausgebaut und die hieraus erzielten Erlöse seit Jahren rückläufig (CIA 2005).
Die westafrikanische Republik Togo erstreckt sich vom Golf von Guinea im Süden bis zur Grenze von Burkina Faso im Norden. Im Westen grenzt Togo an Ghana, im Osten an Benin. Es ist mit einer Fläche von 56.785 km2 kleiner als Bayern (Weltrang: 122) und hat 4.861.000 Einwohner. Die Haupt- und Küstenstadt Lomé ist mit 732.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des Landes. Die togolesische Bevölkerung lässt sich im Wesentlichen in zwei Gruppen unterscheiden, die Kwa–Völker (22 Prozent Ewe, 10 Prozent Watchi) und die Gur–Völker (13 Prozent Kabyé) (Temba, Mopa, Gurma und Losso), daneben leben in Togo Hausa und Fulbe und ca. 4.000 Europäer (Stand der letzten Zählung von 1981), zumeist Franzosen, da die seit April 1960 unabhängige Republik Togo ehemaliges französisches Treuhandgebiet ist. Die Togoer sind zu 50 Prozent Anhänger von indigenen Religionen, 35 Prozent sind Christen und 15 Prozent Muslime. Togo gehört mit einem Bruttonationaleinkommen von 310 USDollar pro Einwohner (2003) zu den ärmsten Ländern der Welt. Insgesamt hat sich die soziale Situation Togos in den letzten Jahren verschlechtert. Das Land, dass noch im Jahr 2000 Platz 128 auf dem Human Development Index (HDI) der UNO einnahm, steht 2005 auf Platz 143. (vgl. United Nations Development Programme, 2005). 59 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft und erwirtschaftet 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Dienstleistungssektor erwirtschaftet 37 Prozent des BIP, die Industrie nur 22 Prozent (Stand 2003). Nach dem Tod des Präsidenten Gnassingbé Eyadéma im Februar 2005, der 1967 durch einen Militärputsch an die Macht gekommen und somit dienstältester Dikators Afrikas war, stürzte Togo in eine schwere Krise, als das Militär den Sohn des Verstorbenen, Faure Gnassingbé, zum Staatschef ernannte. Nach gewalttätigen Protesten und internationaler Kritik wurden im April 2005 Neuwahlen durchgeführt, die Gnassingbé mit 60 Prozent der Stimmen gewann. Trotz des Verdachts auf Wahlbetrug und heftiger Unruhen im Land erklärte im Mai 2005 das Oberste Gericht Gnassingbé zum rechtmäßigen Gewinner der Wahl. (Quelle: Fischer Verlag 2005)
dreihundertsechziggrad | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
SEITE 35
„Rassemblement du peuple togolais“ (RPT)
Machthabenden in der gesamten Region
(Helm 2004: 94). Um sich gegen den
Subsahara-Afrikas.
oppositionellen Druck zu wehren und seiner
Ausführungen zu Togo in diesem Punkt auch
Herrschaft den Anschein von Legalität zu
exemplarisch für einige weitere Nationen der
verleihen,
Subsahara-Region
bediente
er
sich
zahlreicher
Daher
können
betrachtet
die
werden.
Der
repressiver Methoden. So setzte er das
Vorteil für die Regierenden lag und liegt in der
Einparteiensystem
starken Bringschuld der einzelnen Akteure, die
und
das
Verbot
aller
oppositioneller Parteien und Organisationen
vom
durch
konnten.
und
rechtfertigte
Argument,
dass
dies
mit
unter
dem
korrumpierten
System
profitieren
einem
Mehrparteiensystem die bereits bestehenden
Nach
ethnischen Differenzen verstärkt und Konflikte
Machtausübung wurde am 30. August 1979
provoziert würden. Die Armee diente in
eine Verfassung im formal-semantischen Sinne
diesem Zusammenhang als sein persönliches
verabschiedet. Sie diente demnach weniger
Schutzinstrument
als
dazu, demokratische Strukturen im Land
die
voranzutreiben als Eyadémas Präsidentschaft
Bevölkerung. Zur Sicherung der Regierung
zu legitimieren, den Schein demokratischer
sollte sie gegen jegliche Art oppositioneller
Reformen
zu
Strömungen vorgehen (Helm 2004: 222).
beruhigen.
Eyadéma
und
Unterdrückungsapparat
gegen
zwölf
Jahren
wahren
diktatorischer
und
Kritiker
sicherte
sich
zu
seine
absolutistische Alleinherrschaft, indem er sich Eyadéma verließ sich jedoch nicht alleine auf
in der Verfassung als höchste Instanz über die
das Militär, um seine Alleinherrschaft zu
Exekutive,
Judikative
untermauern,
und
und
neopatrimoniale insbesondere
installierte Ordnung,
auf
seine
und
damit
den
Legislative
daher
eine
positionierte
die
sich
entmachtete. In den Folgejahren wuchs jedoch
ethnische
der öffentliche Druck auf Eyadéma. Eine
Zugehörigkeit, der Kabyé, stützen sollte.
verfehlte
Gezielte
resultierende hohe Staatsverschuldung sowie
Postenvergabe
im
politischen,
Wirtschaftspolitik,
Rechtsstaat
eine
Mitglieder der Kabyé sicherte ihm deren
Demokratisierung
Rückhalt und Loyalität. Der Aufbau solch
motivierten die Gegner des Eyadéma-Regimes
eines
und
dazu, im Jahre 1989 massive Protestaktionen
vetternwirtschaftlichen Systems war und ist ein
durchzuführen. Verschiedene Menschenrechts-
weit verbreiteter Sicherungsmechanismus der
organisationen wurden gegründet und machten
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
im
und
daraus
ökonomischen und juristischen Sektor an
klientelistischen
erfolgreiche
eine
friedliche
Nachbarland
Benin
Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
SEITE 36
sich für einen politischen Umschwung in Togo
wieder
stark (Agboyibo 1999: 77). Aufgrund eines
zurückgekehrt. Oppositionelle Gruppen sind
Generalstreiks
zwar
1991
sah
sich
Eyadéma
zu
einem
formell
Einparteien-Regime
erlaubt,
jedoch
ständiger
daraufhin gezwungen, die von den Streikenden
Repression und Anfeindungen ausgesetzt.
und
geforderte
Säuberungsaktionen
Nationale
Niederschlagungen
Demonstranten
Nationalkonferenz
(Conférence
und von
blutige
Demonstrationen
Souveraine) einzuberufen. Diese setzte sich
innerhalb und außerhalb seiner Regierung
aus
halfen
allen
gesellschaftlich
und
politisch
Eyadéma
dabei,
seine
relevanten Gruppierungen zusammen (Helm
Herrschaftsstruktur wieder zu festigen. Laut
2004: 147).
Amnesty International (Amnesty International, 1999: 22; Auswärtiges Amt 2005) wurden
So
wurde
am 14.
Oktober
1992
eine
Regierungsgegner
durch
Folter
und
Verfassung verabschiedet, in der die Prinzipien
Hinrichtungen systematisch eingeschüchtert
eines
und mundtot gemacht. Wie aber konnte es
Rechtsstaates
erstmals
in
der
togolesischen Geschichte formell verankert
gelingen,
waren.
Demokratisierungsprozess so lautlos wieder
Neben
der
Einführung
des
Mehrparteiensystems und der Gewaltenteilung
den
eingeleiteten
rückgängig zu machen?
wurde darin eine massive Machtbeschneidung Eyadémas verankert (vgl. Auswärtiges Amt 2005; Kohnert 2004: 294). Aufgrund des starken Machtapparates, den Eyadéma in den 25 Jahren seiner Herrschaft aufgebaut hatte, und eines erneuten Militärputsch ihm treuer Militärs konnte es jedoch ein weiteres Mal nicht gelingen, seine Macht effektiv und auf Dauer zu beschneiden und den geplanten Rechtsstaat durchzusetzen. Mit dem Militär im Rücken konnte der Präsident binnen kürzester
Korrumpierte Strukturen und Vetternwirtschaft Korruption hat unter Eyadéma in aktiver und passiver Form immer eine große Rolle gespielt. Durch Bestechung und Nepotismus entstanden korrupte Netzwerke, in die Teile der Zivilbevölkerung geschickt eingebunden und
damit
Regierungssystem
in
Abhängigkeit gebracht
wurden.
zum Der
1
Global Corruption Report 2003 zeigt in einer
Zeit die Erfolge des Demokratisierungsprozesses wieder rückgängig machen und erneute Bestrebungen bis zu seinem Tod unterdrücken.
Trotz
formell
zugelassener
Oppositionsparteien ist Togo daher faktisch
1
Befragt wurden dabei speziell ausgewählte Personen, die eng mit der Regierung in Verbindung stehen, wie zum Beispiel Richter, Parlamentarier und Forscher. Die Grafik zeigt zehn Indikatoren, die im Sinne einer „Good Governance“ für eine verantwortungsbewusste und transparente
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Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
Studie
mit
über
16
Staaten,
dass
die
SEITE 37
an
Präsident
Eyadéma
im
Wert
von
Transparenz der togolesischen Regierung von
umgerechnet drei Millionen Euro aus der
den Befragten insgesamt am negativsten
Staatskasse abgebucht zu haben. Außerdem
bewertet wird (s. Tabelle 1). Im internationalen
seien
Vergleich schneidet Togo am schlechtesten ab.
Eyadémas aus dieser Kasse bezahlt worden.
millionenschwere
Kurz
nach
der
Rechnungen
Veröffentlichung
seiner
Gründe für das offensichtliche Misstrauen und
Beschuldigungen wurde Kodjo aus seinem
das
Amt entlassen (vgl. o.V. 2002a).
geringe
Bevölkerung Regierung
Partizipationsgefühl an
den
liegen
der
Institutionen
unter
der
anderem
im
Im
Januar
2001
wurde
die
„Nationale
Klientelismus und offensichtlichen, illegalen
Kommission für den Kampf gegen Korruption
Geldabflüssen aus dem Staatshaushalt in
und Wirtschaftssabotage“ in Togo gegründet
unbekannte
illegalen
und von Eyadéma in der Öffentlichkeit sehr
Geldabflüsse aus dem Staatshaushalt auf
begrüßt (o.V. 2002a). Der Global Corruption
Konten außerhalb des Landes sind insoweit
Report 2003 betont jedoch die reine Rhetorik
dokumentiert, als dass der Staatshaushalt
solcher
Togos seit Jahren erhebliche Abweichungen zu
eingeführt würden. In deren Rahmen komme
den
aufweist.
es zwar zu symbolischen Entlassungen des
Besonders in den Bereichen Bildung und
einen oder anderen Politikers, im Kampf gegen
Gesundheit
oft
die Korruption zeigten solche Kampagnen
unrealistisch hoch angesetzt, ohne dass diese
jedoch wenig bis gar keine Wirkung (Alabi
später umgesetzt würden. So waren im Jahr
2003: 223). So wurde im Oktober 2001 Lomés
2000
des
Bürgermeister Amousouvi Akakpo gefangen
Haushalts für den Bildungsbereich vorgesehen.
genommen, da er angeblich zwei Millionen
Tatsächlich wurden jedoch weniger als die
US-Dollar veruntreut haben sollte. Die Anti-
Hälfte der geplanten Ausgaben in die Bildung
Korruptions-Kampagne warf ihm vor, für
real
Kanäle.
investierten sind
die
beispielsweise
Diese
Summen
Haushaltspläne
35,7
Prozent
Kampagnen,
investiert (o.V. 2002b: 5). Im Juli 2002 ließ Premierminister
Agbéyomé
Kodjo
ein
Schreiben veröffentlichen, in dem er den Geschäftsführer
der
staatlichen
Phosphatgesellschaft beschuldigte, Geschenke Regierungsführung Rechenschaft (Court/Heyden 2003: 310ff.).
tragen
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die
medienwirksam
Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
SEITE 38
Tabelle 1: World governance survey: a new approach of assessing governance Selected governance indicators for transition societies, 2001
Transpare Government Accountabi Accountab ncy of the Respect for Equal Freedom of open to public lity of ility of civil civil the property application of expression input legislative servants service rights regulations
Transpare ncy in Access to judicial justice process
Togo 2 1 1 2 2 3 3 Pakistan 3 2 1 2 2 3 3 Russland 3 2 2 2 2 2 2 Kirgisien 3 3 2 2 2 3 2 Phillipinen 4 2 2 2 2 3 1 Indonesien 4 3 2 2 2 2 2 China 3 2 3 2 2 3 3 Peru 3 3 2 3 2 3 3 Argentinien 4 2 2 2 2 3 2 Bulgarien 3 2 2 2 2 3 2 Mongolei 3 2 3 2 3 3 3 Tansania 3 3 3 3 3 3 3 Jordanien 3 3 2 3 3 4 4 Indien 4 3 3 3 3 3 3 Chile 4 3 2 3 3 4 4 Thailand 4 4 3 3 3 3 3 Mittelwert 3,31 2,5 2,19 2,38 2,38 3 2,69 Quelle: World Governance Survey: a new approach to assessing governance. In: Global Corruption Report 2003, S. 311. Quelle: Court/Hyden 2003: 311
2 2 2 2 2 2 3 2 2 3 2 3 4 3 3 3 2,5
2 2 2 2 3 2 2 2 2 2 3 3 4 3 3 4 2,56
Accounta bility of judicial officials
Total country governance score (min. =30, max. = 150)
2 2 2 2 3 2 3 2 2 2 3 3 3 3 3 4 2,56
62,50 65,00 73,00 75,00 75,00 80,00 82,00 82,00 83,00 83,00 86,00 91,00 97,50 98,00 99,00 100,00 83,25
Aufgrund des Phosphat-Booms Mitte der massiven Betrug verantwortlich gewesen zu
1970er Jahre in Togo wurden zahlreiche
sein. Kritiker der Kommission glauben jedoch,
europäische und amerikanische Unternehmen
dass
und
angezogen, deren Investitionen im Land auf
beschuldigt wurde, weil er Mitglied einer
wirtschaftlichen Aufschwung hoffen ließen.
oppositionellen Partei war. Darüber hinaus
Als Ende der 1970er Jahre der Phosphatpreis
seien die Mitglieder der Kommission von der
jedoch kollabierte, waren die Unternehmen mit
Regierung gewählt worden und somit von
ihren Gewinnen bereits in den Schutz ihrer
ihnen beeinflusst, also nur zum Schein in
Regierungen zurückgekehrt. Sie hatten die
ihrem Amt tätig. Die Verantwortlichen für die
heute
Korruption im Land, die Regierungsmitglieder,
zurückgelassen,
Akakpo
nur
festgenommen
brach
liegenden Arbeitskräfte
Fabriken und
die
blieben somit von einer Untersuchung durch
Ressourcen
die Kommission
Organisation „International Foundation for
verschont
(Transparency
Togos
2
ausgenutzt .
Die
International 2001). 2
Vgl. hier auch das empirische Beispiel Richard Gersters in seinem Bericht über eine Wellblechfabrik in Lomé (Gerster 1989).
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Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
SEITE 39
Development Alternatives“ machte Ende der
Ausblick auf eine Beförderung oder eine
1980er
drohende Abschiebung ins Exil im Falle der
Jahre
ausländischer
auf
die
Misswirtschaft
Unternehmen
Togo
Widersetzung gegen staatliche Vorschriften,
aufmerksam, die das Land durch korrupte
fühlten sich die öffentlichen Vertreter vielmehr
Geschäfte ausbeuteten und für die hohe
ihrem Präsidenten gegenüber verantwortlich
Verschuldung
als der Öffentlichkeit (Helm 2004: 104ff).
des
in
Staates
heute
mitverantwortlich seien (Gerster 1989: 26ff.). Auch Frankreichs politische Einflussnahme in
Neopatrimoniale Herrschaft und Frankreichs Beihilfe Eyadéma nutzte – wie bereits angemerkt – die ethnische Polarisierung zwischen den Ewe und den Kabyé, um an die Macht zu gelangen und sich dort zu halten (Toulabour 2003: 22).3 Obwohl die Kabyé nur 28 Prozent der Bevölkerung stellen, werden heute beinah 80 Prozent der gesamten Regierungsämter von den Kabyé besetzt. Botschaften im Ausland, der Industrie- und Handelssektor sowie fast alle Staatsunternehmen (zum Beispiel die Phosphatbehörde) sind heute in ihren Händen. Die meisten von ihnen stammen aus Pia, der Geburtsstadt des Präsidenten (vgl. Toulabour 2003). Auch in der Justiz gibt es eine bezeichnende Arbeitsteilung. Zwar sind die meisten Anwälte Ewe, Staatsanwälte und Richter kommen jedoch meist aus dem Norden Togos und gehören den Kabyé an. Mit
Togo
ist
erwähnenswert
und
für
die
Aufrechterhaltung Eyadémas jahrzehntelanger Herrschaft entscheidend. Frankreichs Einfluss auf Togo und die togolesische Politik war und ist
uneingeschränkt
groß.
Seit
der
Unabhängigkeit interveniert Frankreich in die togolesische Staatsführung, um seinen Einfluss im
Land
Interessen
aufrechtzuerhalten zu
verfolgen.
Interessenvertreter
und
Als
Frankreichs
seine
wichtigster galt
dabei
immer Gnassingbé Eyadéma selbst, dessen Regime von Frankreichs Seite gestützt und verteidigt
wurde.
So
Demokratisierungsprozess
wurde in
Togo
der von
Frankreich insofern behindert, als dass die ehemalige Kolonialmacht nicht bereit war, diesen Prozess aktiv zu fördern, sondern durch gezielte
Nicht-Intervention
Rücken
stärkte
und
Eyadéma
ihm
Rückgewinnung seiner Macht
somit
den die
erleichterte
(Helm 2004: 219). 3
Einem Mythos zufolge haben die Kabyé als die „ursprünglichen Togoer“ einen historischen Besitzanspruch auf das Land und sind somit rechtmäßig dazu bestimmt, es zu regieren. Eyadéma konnte auf diese Weise seine Herrschaftsansprüche legitimieren.
Gründe für die Vermeidung einer offenen Auseinandersetzung
Frankreichs
mit
dem
Regime Eyadéma lagen und liegen auch heute
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Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
SEITE 40
noch zum einen in den engen Bindungen und
Förderung an einen deutlich erkennbaren
Freundschaften, die zwischen Eyadéma und
Fortschritt der Demokratisierung durch freie
französischen Politikern traditionell geführt
und faire Wahlen in Togo gebunden. Da bis
wurden, sowie der Befürchtung Frankreichs,
heute die Forderungen nicht erfüllt wurden,
dass eine Boykottierung Eyadémas und ein
blieb
Machtwechsel in Togo zur Bloßstellung des
togolesischen Regierung und der EU, den
Korruptionsnetzes
das
USA, dem IWF sowie der Weltbank bis heute
ist
suspendiert. Von Seiten dieser Geberländer
Frankreich
führen
könne,
in
von jeher eng verstrickt 4
die
Zusammenarbeit
und
wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an
Hilfsprojekte
Togo nur gering5, aber die geopolitische
Zivilgesellschaft und die Zusammenarbeit mit
Bedeutung Togos für Frankreich ist nicht zu
Nichtregierungsorganisationen
unterschätzen.
frühere
erhalten worden (Auswärtiges Amt 2005).
beobachtbaren
Frankreich ließ seine Entwicklungshilfe sowie
Kolonialmacht
hat
bei
Unregelmäßigkeiten stillschweigend wichtigster Sonderrolle
sich den
der
die
letzten
zurückgezogen Kreditgeber
in
der
Wahlen und
als
Togos
eine
Europäischen
Union
zur
sind
der
(Bertelsmann Stiftung 2005). Zwar sind die
So
-institutionen
zwischen
ausschließlich
Unterstützung
der
aufrecht-
die militärische Zusammenarbeit jedoch bereits 1994 vollständig wieder aufleben. Eyadéma war ein verlässlicher Partner für
eingenommen. Um die Regierung Togos unter
diejenigen,
Druck zu setzen und zu demokratischen
unterstützten. So gewährte er unter anderem
Reformen zu bewegen, wurde seit 1993 die bi-
Mobutu Sese Seko, dem Diktator der heutigen
und
Entwicklungszusammen-
Republik Kongo (ehemals Zaire), Asyl, als
westafrikanischen
Staat
dieser vor verfeindeten Gruppen aus seinem
suspendiert und eine Wiederaufnahme der
Land fliehen musste. Im Gegenzug waren
arbeit
4
multilaterale mit
dem
die
ihn
in
seiner
Macht
seine Beziehungen zu kritischen Partnern wie
Nach Angaben der Financial Times wurde auch das Militär in Togo stark von Frankreich unterstützt, indem Generäle der bewaffneten Streitkräfte Togos in Frankreich ausgebildet worden seien. Außerdem gebe es zahlreiche Netzwerke von Unternehmen zwischen Togo und Frankreich (Mahtani 2005: 6). 5 Frankreich ist in der Rangliste der bedeutendsten Außenhandelspartner Togos bereits hinter China und Indien gerutscht (nach den direkten Nachbarstaaten), die seit einigen Jahren verstärkt eigenen Interessen auf dem Kontinent nachgehen (vgl. CIA 2005; McGregor/Hoyos/Muscat 2006: 13).
zum Beispiel zum direkten Nachbarn Ghana, welches bis zum heutigen Tag ökonomisch zwar nur einen sehr bescheidenen Aufschwung erlebt, jedoch politisch einen stabileren und demokratischeren Prozess hinter sich hat, eher distanziert (vgl. Bertelsmann Stiftung 2005; o.V. 2004: 285).
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Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
Diese
Ausführungen
verdeutlichen,
dass
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gezielte Sanktionen auferlegte6, sah sich
Eyadéma in seinen 38 Jahren an der Macht
Gnassingbé
gezwungen,
nicht
anzukündigen,
die
nur
ein
umfangreiches
Netz
an
am
Neuwahlen
26.
April
2005
„Vertrauten“ im Inland, sondern auch im
stattfanden. Zwar gewann er die Wahl mit 60
Ausland knüpfen konnte. Kein oppositioneller
Prozent der Stimmen, jedoch sollen nach
oder internationaler Druck vermochte es, seine
Angaben
Macht endgültig zu beschneiden. Er hatte den
Menschenrechte
zweifelhaften
Weltranglistenplatz
Regierungssoldaten Wähler der Opposition
nach Kubas Fidel Castro für die Länge seiner
verjagt, Wahlurnen geplündert und Wahlzettel
Amtszeit inne. Doch seit Februar 2005 sind
verbrannt haben (OHCHR 2005). So kam es
diese 38 Jahre in die Annalen eingegangen und
nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu
die längste Amtszeit des Kontinents hält nun
starken Demonstrationen der Bevölkerung.
Gabuns Präsident Omar Bongo inne (IRIN
Angeheizt
2006). Der togolesische Präsident Gnassingbé
Oppositionellen durch ihren Hoffnungsträger,
Eyadéma verstarb am 5. Februar 2005 nach
den Oppositionellen Emanuel Akitani, der sich
offiziellen Angaben an Herzversagen.
einige
zweiten
des
Tage
Nach dem Tod Eyadémas bestimmte das Militär in einem Verfassungsputsch dessen Gnassingbé
zum
die
Masse
nach
Verkündung
selbst
zum
der
der
Präsidenten
ernannte und damit indirekt zum Bürgerkrieg
Der Führungswechsel 2005
Faure
für
(OHCHR)
wurde
Wahlergebnisse
Sohn
UN-Hochkommissars
neuen
Präsidenten. Um dem Putsch einen Anschein von Legalität zu verleihen, änderte das Parlament nachträglich am folgenden Tag die Verfassung. Die Klausel, nach der innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden musste, wurde gestrichen (Auswärtiges Amt 2005).
aufrief (vgl. OHCHR 2005). Geschätzte 40.000 Flüchtlinge
sind
daraufhin
in
die
Nachbarländer Togos geflohen, zwischen 400 und 500 Menschen sind den Eskalationen im Land zum Opfer gefallen (UNHCR 2005a). Akitani konnte sich mit dieser Bewegung jedoch nicht durchsetzen. Bezeichnend im Zusammenhang
mit
der
Wahl
ist
im
internationalen Kontext wieder die Stellung
Nachdem die EU den Staatsstreich schwer verurteilte
und
die
westafrikanische
Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS dem Land
6
Diese Sanktionen beinhalteten die sofortige Suspendierung der togolesischen ECOWASMitgliedschaft, die Abberufung der westafrikanischen Botschafter aus Lomé, die Einstellung der militärischen Zusammenarbeit, Einreiseverweigerung für die togolesische Führung und ein Waffenembargo (Auswärtiges Amt 2005).
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Frankreichs. Während etwa das Europäische
Wahl lässt jedoch Zweifel am guten Willen der
Parlament
neuen Regierung aufkommen, die nötigen
aufgrund
Irregularitäten
bei
der
der
massiven
Wahl
Neuwahlen
demokratischen
Umstrukturierungen
forderte, gratulierten offizielle französische
vorzunehmen. Diese Bedenken spiegeln sich
Vertreter
Wahl
auch in den Rückkehrerzahlen aus den
Gnassingbé zum Sieg (L’info en direct Togo
Flüchtlingslagern wieder, die sehr gering
2005).
ausfallen.7 In der Presse verspricht Gnassingbé
bereits
kurz
nach
der
den Flüchtlingen zwar einen „warmen und Um eine völlige Eskalation zu vermeiden, die
herzlichen Empfang“, jedoch sind bisher nur
den
die wenigsten dazu bereit, diesen Worten zu
destabilisierten
und
krisengeplagten
westafrikanischen Raum weiter erschüttern
trauen
würde, schalteten sich vermehrt Vermittler in
(o.V./Ghanaian Chronicle 2005). Auch der
die
ein.
Umstand, dass am 13. Januar 2006 der 39.
Olusegun
Jahrestag der „nationalen Befreiung“, also der
Obasanjo versuchte in den darauf folgenden
Tag, an dem Eyadéma sich an die Macht
Monaten, sich für eine „Regierung der
putschte, groß gefeiert wurde, verdeutlicht,
Einigkeit“ in Togo einzusetzen. Auf sein
welcher politischen Linie sich Gnassingbé
Drängen
verpflichtet fühlt (L’info en direct Togo 2006).
politische
Besonders
Auseinandersetzung
Nigerias
wurde
Oppositionelle
Präsident
im Edem
Juni
2005
Kodjo
der
Der Parteiführer der moderaten „Patriotic Pan African Party“ stand schon Mitte der 1990er Jahre an der Seite Eyadémas als Premier. Kodjo war Mitbegründer der ehemaligen RPT
und
deren
nach
Togo
zurückzukehren
zum
Premierminister ernannt (Nigeria First 2005).
Einheitspartei
und
früherer
Generalsekretär. Aufgrund dieser politischen Karriere wird der gemäßigte Politiker von Frankreich toleriert und von zahlreichen Oppositionellen als unglaubwürdig angesehen (Helm 2004: 169).
Auf den Spuren des Vaters Der
verstorbene
Eyadéma
hinterlässt
Präsident eine
Gnassingbé
Nation,
deren
Bevölkerung in weiten Teilen durch die jahrzehntelange repressive und diktatorische Herrschaft
eingeschüchtert
ist.
Die
oppositionellen Kräfte haben es nach Jahren der Unterdrückung noch nicht geschafft, sich ausreichend und landesweit zu organisieren, und müssen nach der verlorenen Wahl 2005 weiter um ihre Rechte fürchten. Gnassingbé
Das rigide und repressive Vorgehen gegen Oppositionelle vor, während und nach der
7
Der UNHCR spricht noch Ende September 2005 von steigenden Flüchtlingszahlen aus Togo (vgl. UNHCR 2005b).
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Eyadéma muss sich also für einen Großteil der
Oppositionellen
Probleme in Togo verantworten und sein
internationalen Akteure wie die ECOWAS, die
Wirken ist mit dem Satz „nach mir die
Afrikanische Union sowie auf europäischer
Sintflut“
Die
Ebene Frankreich. Von zentraler Bedeutung
Sintflut ist nach seinem Tod zwar nicht
für diese Entwicklung ist jedoch, dass diese
hereingebrochen, jedoch stellt sich die Frage,
Akteure
ob sie durch den Vater-Sohn-Wechsel nicht
Demokratisierung
lediglich herausgezögert worden ist. Der neue
Frankreich seine Sonderrolle innerhalb der EU
Machthabende und Sohn des Ex-Präsidenten
aufgibt, damit auf diese Weise der Diktatur in
scheint sich trotz der Unstimmigkeiten bei der
Togo keine Grundlage mehr geboten werden
Wahl und der internationalen Kritik an der
kann. Für einen politischen Wandel muss sich
Regierungsspitze halten zu können. Es ist zu
Frankreich von den Akteuren der Diktatur
befürchten, dass auch unter Faure Gnassingbé
distanzieren,
das Militär eine starke Rolle spielen und wie
auseinandersetzen und die Interessen der
bei Eyadéma als Schutzinstrument seiner
togolesischen
politischen Herrschaft dienen wird.
Verhandlungen in den Vordergrund stellen.
Ohne eine Loslösung des zu 90 Prozent aus
Partnerländer wie zum Beispiel die Länder der
Kabyé
Europäischen Union könnten zur Wiederein-
umfassend
bestehenden
charakterisiert.
Militärs
Mitentscheidungsgewalt
im
von
der
politischen
und
zum
einheitlich
gliederung
beim
mitwirken,
sich
offen
Bevölkerung
Togos
in
die
anderen
die
Prozess
der
d.h.,
dass
mit bei
ihnen ihren
internationale
Machtapparat des Eyadéma-Regimes wird eine
Gemeinschaft beitragen und den Prozess der
Demokratisierung in Togo nur schwer in Gang
demokratischen Reformen in Togo fördern.
zu bringen sein. Um diesen Pfad einschlagen
Eine solche Förderung könnte zum Beispiel in
zu können und stärkere Spannungen zwischen
der (finanziellen und ideellen) Unterstützung,
Nord und Süd beziehungsweise Kabyé und
Organisation
Ewe zu vermeiden, können den Kabyé wohl
zersplitterten Oppositionsparteien liegen.
nur
Schritt
für
Schritt
die
und
Zusammenführung
der
bisherigen
Privilegien im politischen und wirtschaftlichen
Auf
Apparat beschnitten werden. Im Gegenzug
Nutznießer der derzeitigen Unruhen in der
sollten den weiteren Bevölkerungsgruppen peu
Elfenbeinküste sein und von der Verlagerung
à
eingeräumt
der internationalen Ein- und Ausfuhren der
werden. Die entscheidenden Akteure, die
Region in die Häfen der angrenzenden Staaten
diesen Prozess in Gang setzen könnten sind im
profitieren. Länder wie Mali oder Niger
Falle
bezogen einen Teil ihrer Importe über den
peu
Mitsprachefunktionen
Togos
sicherlich
zum
einen
die
ökonomischer
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Ebene
könnte
Togo
Eyadémas Togo – Nach ihm die Sintflut? | Ellen Kollender, Janne Grote
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Hafen und Landweg der Elfenbeinküste. Seit
Appell
den dortigen Ausschreitungen (unter anderem
Außenministers
gegen
Kolonialmacht
Brandanschlag auf das Goetheinstitut an die
Frankreich) verlagern sich die Frachten auf die
Regierung in Togo: o.V./FAZ.NET 2005).
Häfen Ghanas, Togos und Benins. Die
Nach diesen Ereignissen ließ das internationale
Regierung
Interesse an Togo jedoch wieder nach und
die
ehemalige
Togos
hat
bereits
auf
diese
des
erst
damaligen Fischers
durch
deutschen nach
die
dem
Entwicklung reagiert und einen eigenen Pier
erlebt
überraschende
für die neuen Lieferungen gebaut. Eine
Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft in
Investition in die Infrastruktur bis in den
Deutschland 2006 eine Wiederbelebung.
Norden zur Grenze Burkina Fasos könnte folgen und den bis dato für das Land wirtschaftlich relativ unbedeutenden Norden stärker
in
den
ökonomischen
Prozess
einbinden (Bertelsmann Stiftung 2005).
Togo hat sich 2005 zum ersten Mal in seiner Geschichte für die Fußballweltmeisterschaft qualifiziert. Interessant dürfte hier besonders die Begegnung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich mit Togo in der Vorrunde sein.
Auf politischer Ebene hat es jedoch den Anschein, dass Gnassingbé den von seinem Vater beschrittenen Weg weiter verfolgen wird.
Die
alten
Vetternwirtschaft
werden
Netzwerke vorerst
der weiter
bestehen, die Korruption wird weiter ein bedeutender Faktor im politischen Alltag Togos darstellen und das Militär wird erneut die
Rolle
des
Unterdrückungsapparates
übernehmen. Die Hoffnung, dass die Proteste der Zivilbevölkerung Früchte tragen, ist wieder verebbt. Selbst der Brandanschlag auf das Goetheinstitut in Lomé nach der Wahl im Jahre 2005, der zuerst eine heftige Reaktion in den ausländischen Medien ausgelöst hatte, zog letztendlich kaum mehr als warnende Worte nach sich, die ein Ende der antideutschen Übergriffe und Propaganda forderten (vgl.
Sollte Togo Frankreich in diesem Spiel schlagen können, darf die Wirkung auf Togo nicht unterschätzt werden. Ein Sieg käme quasi einer kleinen Revolution gleich und dürfte das nationale Bewusstsein stärken und damit vielleicht
auch
die
Emanzipation
von
Frankreich vorantreiben. Zu hoffen ist, dass sich die medialen, politischen und privaten Augen
mehr
als
sonst
auf
das
kleine
westafrikanische Land richten werden und der breiten Öffentlichkeit in ihren Länderberichten und -dokumentationen ein Bild präsentieren, das zum einen von der Fußballfreude geprägt ist, auf der anderen Seite jedoch auch nicht den kritischen Blick hinter die Kulissen meidet. Die Bevölkerung und vor allem die Opposition Togos benötigen jetzt die Öffentlichkeit, um durch die Aufmerksamkeit und den Zuspruch
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sich selbst zu emanzipieren und neue Kraft zu
Lokführer
der
veralteten
und
brüchigen
schöpfen.
Dampflok warten. Der Mechaniker ist in der Vergangenheit zu häufig außerhalb Togos
Entscheidend für Togo aber auch für eine
angeworben
Vielzahl der Subsahara-Nationen wird die
heimischen und fachkundigen Mechanikern
Umverteilung der Machtverhältnisse aus den
fehlt. Der Lokführer, der seinen Posten von
Händen weniger und elitärer Kreise hin zu
seinem Vater erbte, hat es sich unterdessen,
einer demokratischeren Grundordnung sein.
nachdem er die Fahrtkosten der Passagiere
Hoffnung geben hier die neuen Medien der
eingesammelt hat, in einem Hotel gemütlich
Kommunikation, die zum Beispiel in Form von
gemacht. Dort schläft und speist er, hoffend,
Internetcafés
jüngeren
dass der Mechaniker wieder einmal den
Generation die Möglichkeit gewähren, über
Schaden nicht beheben kann. Und wenn doch,
den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen,
dreht er, nachdem der Mechaniker fort ist,
sich politisch und wirtschaftlich zu informieren
wieder ein paar Schrauben locker und erklärt
und
den wütenden Passagieren, dass es am
vor
Netzwerke
allem
ins
der
Ausland
oder
mit
worden,
wodurch
es
an
Mechaniker gelegen haben muss. Danach
Oppositionsparteien aufzubauen.
verkündet er den Wartenden, dass sich der Sollte man Togos derzeitige Situation auf
Fahrpreis auf Grund der Reparatur erhöht habe
einem
und er den Aufpreis umgehend einsammeln
Abstellgleis
(siehe
Ausgabentitel)
verorten, so würde man wahrscheinlich eine Reihe
von
Passagieren
vorfinden,
müsse.
die
abfahrtsbereit und einige wenige Güterwagen beladend, auf den Mechaniker und den
Glossar
HDI
Miteinbezogen werden nicht nur ökonomische
Der „Human Development Index (HDI) stellt
Daten,
einen
gesellschaftlicher Wohlfahrt (Bildungsstand,
Versuch
dar,
das
Ausmaß
der
menschlichen Entwicklung in jedem Land der
sondern
Lebenserwartung).
Welt auf numerischem Wege zu beschreiben und
in
einem
Ranking
zu
bewerten.
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auch
der
Grad
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Neopatrimoniale Ordnung (N.O.) Die
N.O.
ist
Die „Rassemblement du Peuple Togolais"
rational-bürokratischer
(RPT) ist die Regierungspartei Togos und
Herrschaft. Die Posten im Herrschaftssystem
wurde in den 1960er Jahren von Eyadéma als
werden
über
Einheitspartei gegründet. Bis zum Beginn der
(patrimonial)
frühen 1990er war die RPT die einzig
vergeben, was zu einer Deformierung des
zugelassene Partei in Togo, hat aber seitdem
legal-rationalen Systems führt.
nichts von seiner dominierenden Stellung
somit
persönliche
und
Verflechtung
RPT von
patrimonialer
eine
SEITE 46
legal-rational Beziehungen
und
eingebüßt.
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360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
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Ausgabe 0/2006
Subsahara-Afrika – Eine Region auf dem Abstellgleis?
Die Nigerianische Krankheit Nico Vonneilich
w w w . j o u r n a l 3 6 0 . d e
Die Nigerianische Krankheit Nico Vonneilich
Mit
einem
Bevölkerungswachstum
von
Bis spät in die 1960er Jahre hinein lebte
jährlich ca. 2,2 Prozent ist die Region
Nigeria
Subsahara-Afrika die derzeit am schnellsten
Landwirtschaft.
wachsende Region weltweit. Zugleich ist
Bevölkerung war in diesem primären Sektor
diese Region aber auch eine der ärmsten und
beschäftigt. Mit den ersten Ölfunden im Jahr
wirtschaftlich schwächsten der Welt. Sie
1951 veränderte sich jedoch einiges: Was
leidet zum einen unter der grassierenden
zunächst als hoffnungsvolle Zukunft voller
AIDS-Epidemie mit der Folge, dass sie das
Geldsegen für das Land und die Menschen
wirtschaftliche Wachstum in den nächsten 15
begann,
Jahren
folgenschwer
durch
die
arbeitsfähigen
hohe
Sterberate
Bevölkerung
der stark
ausschließlich Der
stellte
größte
sich
für
von
später
einen
Teil
als
Großteil
der der
sehr der
Einwohner sowie für die Natur heraus.
einschränken wird. Zum anderen finden starke
Mit Beginn der 1970er Jahre setzte in Nigeria
Umweltzerstörungen statt, speziell durch die
der Öl-Boom ein, der dazu führte, dass die Öl-
Erdölförderung,
die
bestehende
Industrie dem Staat die größten finanziellen
Siedlungsstrukturen
gefährden.
Darüber
Einnahmen einbrachte und die Landwirtschaft
hinaus besteht eine starke Abhängigkeit von
als bis dato Haupteinnahmequelle des Staates
Importprodukten,
verdrängte.
insbesondere
von
Bereits
1973
betrug
die
Agrarprodukten, was wiederum den Aufbau einer eigenen, funktionierenden Wirtschaft hemmt (Energy Information Administration 2006a; 2006b).
Länder wie Nigeria und Angola haben zwar reiche
Ölvorkommen,
doch
diese
Abhängigkeit von einer einzigen Ressource kann sich, wie das Beispiel Nigeria deutlich macht,
negativ
wirtschaftliche
auf
die
nachhaltige
Entwicklung
Stabilisierung des Landes auswirken.
und
Die Republik Nigeria ist mit 136.461.000 Einwohnern das bevölkerungsreichste Land auf dem afrikanischen Kontinent. Das 923.786 km2 große Staatsgebiet grenzt im Norden an die Republik Niger, im Westen an Benin, im Nordosten an die Republik Tschad und im Süden beziehungsweise Südwesten an den Golf von Guinea. Die östliche beziehungsweise südöstliche Grenze bildet die Grenze zu Kamerun. Die Küstenstadt Lagos ist mit über 13 Millionen Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des Landes, die Hauptstadt ist aber die mit 400.000 Einwohnern wesentlich kleinere Stadt Abuja im Landesinneren. Die nigerianische Bevölkerung setzt sich aus insgesamt 434 Ethnien zusammen. 21 Prozent gehören zu den Hausa-Fulani, die im Norden des Landes leben, 21 Prozent sind Yoruba, die zum größten Teil im Südwesten Nigerias leben. Der Südosten wird von den Ibo (18 Prozent der Bevölkerung), den Ibibio (6 Prozent) und den Tiv (2 Prozent) besiedelt. In Nigeria leben außerdem 16.000 Europäer, die aufgrund der kolonialen Vergangenheit zumeist Briten sind. Die ehemalige britische Kolonie ist seit 1960 unabhängig, gehört aber heute noch zum Commonwealth. Staats- und Regierungschef ist seit Mai 1999 Olusegun Obasanjo der People’s Democratic Party (PDP). Insbesondere im NigerDelta verfügt Nigeria über große Erdölvorkommen. Die Auseinandersetzungen um eine gerechtere Verteilung dieses äußerst wichtigen Rohstoffes (97 Prozent des Exports) und ethnisch-religiöse Spannungen im Norden des Landes lassen Nigeria nicht zur Ruhe kommen. (Quelle: Fi h V l 2005)
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
Ölförderung
72
SEITE 50
der
„instead, it [the oil-boom] accelerated already
(Osaghae
existing tendencies. Such tendencies as urban-
1998: 20). Bis heute ist dieser Anteil auf 95,5
bias, corruption, cospicious consumption,
Prozent angestiegen (CIA 2005).
rent-seeking behavior existed during British
Gesamteinnahmen
Den
durch
einsetzenden
Prozent
des
den
Staates
Öl-Boom
Kapitalzufluss
–
ein
so Vor allem aber war der Staat nun aufgrund des
Regierung vor allem dazu, verstärkt den
nahezu brachliegenden Agrarsektors darauf
öffentlichen Sektor und die Infrastruktur für
angewiesen, Nahrungsmittel, die bis dato
die Ölförderung auszubauen, anstatt die
Exportgut waren, in großen Mengen zu
Gelder in den Aufbau einer diversifizierten
importieren. 1978 betrug der Anteil am Import
Wirtschaft zu investieren. Durch dieses
12,4 Prozent, 1988 war er bereits auf 18
Verhalten
politischen
Prozent angestiegen (Nnadozie 1995: 5). Da
Entscheidungsträger die Verstädterung, da
der Staat aber nicht in den Agrar-Sektor
viele Menschen in der Hoffnung auf Arbeit
investierte, führte dies zu einem langsamen
und Beteiligung am Öl-Boom aus den
Verfall mit der Folge, dass die Landwirtschaft
ländlichen Regionen in die Städte zogen. Dies
nicht mehr in der Lage war, genügend
hatte wiederum zur Folge, dass vor allem der
Nahrungsmittel
bis dahin produktive Agrarsektor nahezu
produzieren, obwohl im Agrarsektor immer
komplett vernachlässigt wurde (Nnadozie
noch mehr als 50 Prozent aller Beschäftigten
1995: 8). Für die ländlichen Gemeinschaften
des
bedeutete dies nicht nur den Entzug ihrer
Modernisierung
des
Lebensgrundlage, sondern dadurch bedingt
Sektors
vernachlässigt
auch
notwendige
eine
Windfall
förderten
rapide
verwendete
colonialism.” (Nnadozie 1995: 7)
die
genannter
–
plötzlich
die
Transformation
und
Auflösung traditioneller Bindungen.
Landes
für
tätig
wurde
die
Bevölkerung
waren.
Die
zu
nötige
landwirtschaftlichen
Diversifizierung
und
die der
Produktionssektoren blieb unberücksichtigt. Dieses Phänomen kann in Anlehnung an das hier
Nigerian
Die Konzentration auf das Öl verschärfte den
Dutch-Disease-Phänomen
Interessenkonflikt zwischen Unternehmern,
Disease genannt werden (Nnadozie 1995: 7).
Politikern,
regionalen
Vertretern
sowie
Vertretern verschiedener Ethnien. Eine Folge
Bei dem Phänomen der Dutch Disease
des Konflikts um die Ressource Öl war, dass
handelt es sich um einen Prozess, in dem sich
sich Korruption und Misswirtschaft weiter
durch
verstärkten.
Hierzu
schreibt
die
Entdeckung
Nnadozie:
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
eines
wichtigen
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
Rohstoffs (Rohöl)
SEITE 51
eine Vernachlässigung
anderer Sektoren (Agrarsektor) einstellt.
Die Probleme im Delta sind komplex. Die Geschichte ist von Aufständen, Unruhen und politischen
Das Niger-Delta im Fokus
Kämpfen
gekennzeichnet,
in
denen Öl stets eine zentrale Rolle spielte. Ein
„The basic grievance of the peoples of the region is that most of Nigeria’s wealth comes out of their soil, yet they gain no benefits and instead suffer much harm as a result.” (Obi
wichtiges Ereignis, um die heutigen Zustände im Niger-Delta erklären zu können, war der Biafra-Krieg von 1967 bis 1970, in dem ca. zwei Millionen Menschen getötet wurden. Bis 1967 war Nigeria noch in vier halbwegs
2004: 24)
autonome Staaten unterteilt. Die Ost- und die Der weitaus größte Teil des nigerianischen Öls wird im Niger-Delta gefördert, einer Vielvölkerregion.
Im
Delta
leben
im
Gegensatz zu anderen Regionen Nigerias nur ethnische
Minderheiten.
Keine
der
drei
großen Volksgruppen wie der Hausa/Fulani (29 Prozent der Gesamtbevölkerung), der Yoruba (21 Prozent) und der Ibo (18 Prozent) ist im Delta vertreten. Diese Tatsache wirft die
Frage
nach
der
Beteiligung
der
Minderheiten an den Ölrenten und deren Einfluss
auf
die
vom
Staat
gelenkte
Verteilungspolitik auf, denn in der Regel können
lediglich
die
drei
Staates ausüben. Dabei geht es Völkern,wie den Ijaw und Ogoni nicht nur um eine wirtschaftliche Beteiligung an den Ölprofiten, sie fordern vor allem mehr politische und verbunden
Unabhängigkeit.
mehr
Volksgruppen dominiert wurden, förderten damals das meiste Öl. Zu diesem Zeitpunkt zahlten die Öl-Firmen ihre Steuern direkt an die Zentralregierung. In der Folge der Unabhängigkeitserklärung der Region Biafra vom Zentralstaat Nigeria wollte jedoch die Ost-Region die Firmen gesetzlich an sich binden, um so Gewalt über die Öl-Renten und dadurch mehr Unabhängigkeit zu bekommen. Daraufhin erklärte die Zentralregierung Biafra den Krieg, um die beginnenden Sezessionen der Regionen im Keim zu ersticken.
großen
Volksgruppen Einfluss auf die Politik des
damit
West-Region, die von den drei großen
territoriale
Letztlich gewann die Zentralregierung den Krieg und gründete die staatliche Nigerian National
Petroleum
Company
(NNPC),
wodurch sie wieder volle Kontrolle über die Öleinnahmen erhielt. Über einen Distributive Pool Account (DPA), der eine Verteilung von Geldern aus dem Ölgeschäft unter allen Regionen
gewährleisten
sichergestellt,
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dass
der
sollte,
wurde
bis
dahin
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
SEITE 52
fünfzigprozentige Anteil der Einnahmen, der
Während 1975 durch ein Verfassungsdekret
an die Herkunftsregionen zurückging, auf 45
noch 20 Prozent der Einnahmen an die
Prozent
(Okonta/Douglas
Herkunftsregionen gingen, wurde das Prinzip
2001: 25). Dies führte zu Forderungen auch
der Rückführung in den folgenden Jahren
anderer
quasi abgeschafft, da nur noch 1,5 Prozent der
gesenkt
wurde
Staaten,
um
eine
Beteiligung
möglichst vieler Volksgruppen in den bis
Einnahmen
für
heute bestehenden Großstaaten an diesem
vorgesehen
waren.
DPA durchzusetzen. Aber alle Forderungen
Zentralregierung
der Völker des Niger-Delta nach eigener
während der Einfluss der Regionen auf ein
Autonomie und mehr Beteiligung an den
Minimum reduziert wurde (Ejobowah 2000:
Einnahmen aus dem Öl blieben ungehört.
35).
die
die
Herkunftsregionen
So
hatte
sich
Kontrolle
die
gesichert,
Dies kann einerseits dadurch erklärt werden, dass keine der drei großen Volksgruppen, die
Die Bewohner des Niger-Deltas, die am
mehrheitlich in der Regierung vertreten sind,
meisten
sich für die in der Politik des Zentralstaates
Ölförderung leiden, erhielten nahezu nichts
unterrepräsentierten
mehr von den Gewinnen aus dem Ölgeschäft.
Völker
einsetzte.
unter
Andererseits aber auch dadurch, dass die
Sie
Zentralregierung
Arbeitslosigkeit,
nach
dem
gewonnenen
den
müssen
Auswirkungen
hingegen
der
eine
hohe
infrastrukturelle
Krieg die eigene Position gestärkt sah und
Unterentwicklung
keinen Anlass sah, den Völkern mehr
Umweltzerstörungen in Kauf nehmen. Vor
Beteiligung
allem Ölverschüttungen, durch die allein
und
Mitsprache
an
den
Öleinnahmen zu gewähren.
und
grassierende
zwischen 1976 und 1986 ca. 1,5 Millionen Barrel Rohöl in die Natur freigesetzt wurden,
Das Verhalten des Rentier-Staates, der sich
belasten
alleine
einem
Gasverbrennungen, das so genannte Gas
prosperierenden Sektor – hier dem Ölsektor –
Flaring, die an allen Ölquellen vorkommen,
konzentriert,
werden
auf
die
und
Gewinne
die
aus
weiteren
bereits
die
Region
stark.
Durch
große
Mengen
genannten Faktoren haben dazu geführt, dass
gesundheitsgefährdender Schadstoffe wie CO2
das
und Methan freigesetzt. Dadurch wird der
Niger-Delta
trotz
seiner
immensen
Bodenschätze heute zu einer der ärmsten und
Regen
in
der
Region
am stärksten unterentwickelten Regionen
Grundwasser vergiftet, ganze Biosysteme
Nigerias zählt (Okonta/Douglas 2001: 19).
werden
zerstört
Landwirtschaft
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und
sauer
und Fischerei
und
das
letztendlich in
vielen
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
SEITE 53
Gegenden des Deltas unmöglich gemacht.
genügend qualifiziertes Personal vorhanden,
Den Menschen wird nach und nach ihre
das Lösungsansätze für die ökologischen und
Lebensgrundlage entzogen, ohne dass dafür
wirtschaftlichen Probleme hätte entwickeln
angemessene Kompensationszahlungen von
können (Okonta/Douglas 2000: 32ff.).
der Regierung oder den Ölfirmen geleistet werden (Ejobowah 2000: 39).
Diese Entwicklung verstärkte die seit Ende der 1980er Jahre aufkommenden Proteste in
Die Einführung der Oil Mineral Producing
der Bevölkerung des Deltas, die nun erkannte,
Areas
Commission
dass der Staat Nigeria kein Interesse an einer
(OMPADEC) durch die Regierung im Jahre
Verbesserung der Situation der Menschen zu
1992, die damit dem außenpolitischen Druck
haben
und
systematischen
Ölförderung absichern wollte. Die vor allem
Ausbeutung der Ölregionen nachgab, sollte
von dem Movement for the Survival of the
dafür sorgen, dass das Delta einen höheren
Ogoni People (MOSOP) von Ken Saro-Wiwa
Anteil an den Öleinnahmen erhält, anstatt
geführten Proteste wurden meist von Militärs,
bisher 1,5 Prozent nun 3 Prozent. Ein
aber auch von privaten Sicherheitsdiensten
wirtschaftlicher
ökologischer
der Ölfirmen – hier vor allem Shell –
Wiederaufbau wurde ebenfalls beschlossen.
gewalttätig niedergeschlagen. Die Ereignisse
Doch diese Ziele wurden nie in diesem
begannen
Umfang realisiert. Die OMPADEC wurde zu
nigerianischen Polizei in Umuechem 1990.
einer weiteren staatlichen Organisation, in der
100 Menschen wurden getötet und in Folge
Korruption und Missmanagement grassierten
der
(Okonta/Douglas 2000: 34). Selbst offizielle
Protestbewegung wurde ihr Anführer Saro-
Vertreter
das
Wiwa 1995 exekutiert und acht weitere
Problem beim Namen, indem sie bestätigten,
Führer der Bewegung im November desselben
dass zwar viel Geld in die OMPADEC fließe,
Jahres in einem ungleichen Prozess zum Tode
jedoch keine substantiellen Ergebnisse dabei
verurteilt (Obi 2004: 13). In diesem Prozess
herauskämen. Das größte Problem bei der
zeigte sich deutlich die Verschränkung von
Installation der OMPADEC war, dass kein
judikativer und exekutiver Gewalt, die hier
übergeordnetes Kontrollgremium geschaffen
exemplarisch
wurde und so die Mitglieder zu Teilen in die
Augen geführt wurde.
Development
der
Kritik
der
an
der
und
Erdölfirmen
nannten
schien,
sondern
mit
einem
politischen
der
eigenen Taschen wirtschaften konnten. Auch war, wie die Weltbank 1995 feststellte, nicht
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
lediglich
Massaker
Verfolgung
Weltöffentlichkeit
die
der
der
vor
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
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Die Lage der Menschen im Niger-Delta führte
eine Beteiligung aller Volksgruppen an den
dazu, dass Misstrauen, Hass und Neid unter
Ölrenten sichergestellt werden?
den
Volksgruppen,
so
genannte
Inter-
der 1990er Jahre ist ein alter Konflikt
Mögliche Ansätze zur Überwindung der Nigerianischen Krankheit
zwischen den Gruppen der Itsekiri, der Ijaw
Zunächst soll dargestellt werden, warum sich
und
das
Community Conflicts, in einer Situation der allgemeinen Knappheit zunahmen. Seit Mitte
der
Urhobo
im
Delta
erneut
Öl
zur
Nigerianischen
Krankheit
ausgebrochen, der seinen Höhepunkt kurz vor
entwickelt hat, die die Wirtschaft erlahmen
den Wahlen 2003 fand, als sich diese Gruppen
lässt, die Umwelt zerstört und letzten Endes
erbitterte Kämpfe um die Stadt Warri
nur den Eliten, die die Regierungsgewalt
lieferten. Auch dieser Konflikt drehte sich vor
innehaben
allem um den Einfluss bei der Verteilung der
wirtschaftliche Prosperität bringt. Wieso trat
Erdöl-Einnahmen, denn in Warri befinden
der Dutch-Disease-Effekt auf? Ein erster
sich einige Geschäftssitze der Ölkonzerne
Schritt muss sein, die Institutionen des Staates
sowie der lokale Regierungssitz. Kontrolle
wieder sicher und berechenbar zu machen.
über einen lokalen Regierungssitz bedeutet
Besonders die langen Militärdiktaturen, die
vor allem Teilhabe an den Gewinnen aus dem
die Institutionen nach ihren Willen formten,
Ölgeschäft. Je mehr lokale Regierungen eine
um ihre Autorität durchzusetzen, trugen zur
Volksgruppe hat, desto mehr Anteile aus dem
Vernachlässigung
Ölgeschäft bekommt sie. „Thus the politics of
Reformschritte bei und schwächten diese
the allocation of the oil revenues, which was
erheblich
increased in 1999 to 13 per cent to those areas
Unsicherheit in Bezug auf das Handeln
where oil is derived from, is a driving force in
staatlicher Institutionen hat Auswirkungen auf
the violence in Warri.” (Obi 2004: 15) Das
Auslandsinvestitionen,
Zitat verdeutlicht die Auswirkungen der
nachlassen beziehungsweise ganz versiegen
Politik
können. Die fehlende Sicherheit führt zu
der
Renten-Allokation
auf
die
Bewohner der Krisenregion Niger-Delta.
oder
(Utomi
ihr
nahe
der
stehen,
notwendigen
2004:
128).
die
Diese
dadurch
Misstrauen der Handelspartner untereinander und Verträge verlieren ihre Verbindlichkeit.
In
Nigeria
genießen
die
Schwache Institutionen fördern Korruption,
Aufmerksamkeit der Regierung, nicht aber die
die wiederum den Ablauf der Wirtschaft als
Menschen,
der
Ganzes erheblich stört. Es entstehen damit
Ölförderung tragen müssen. Wie aber könnte
zusätzliche Kosten und große Teile der
die
die
die
Ölfirmen
Konsequenzen
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
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Gewinne können nicht den Institutionen und
durch
der Gesellschaft zu Gute kommen.
Landwirtschaft zu garantieren.
Schwache
Institutionen
sondern
durch
eigene
einen
Weiterhin müssen auch die Sektoren rund um
Teufelskreis aus, der den Staat und seine
das Öl ausgebaut werden. Langfristig sollte
Bevölkerung
schwer
eine
darauf hingearbeitet werden, dass Nigeria als
Entwicklung
des
Unternehmertums
Erdölexporteur nicht auf den Import von
verhindern kann. Um die Institutionen zu
Benzin angewiesen ist, sondern den eigenen
stärken, muss sichergestellt werden, dass
Bedarf decken kann. Hier hilft insbesondere
zukünftige Entscheidungs- und Mandatsträger
ein Blick auf die bereits existierenden, aber
kontrolliert und nicht alleine vom Prinzip des
weit
Rent-seekings
lösen
Import,
schädigt
geleitet
werden.
und
Gestärkte
unter
produzierenden
ihren
Möglichkeiten
Raffinerien
des
Landes.
Institutionen könnten hingegen einen Prozess
Selbst wenn der Ölsektor nicht in der Lage ist,
der Sicherheit in Gang setzen, der den
die nötigen sozioökonomischen Verbindungen
Teufelskreis langsam umkehren kann.
zu schaffen, das heißt, möglichst viele Verbindungen
zu
anderen
Sektoren
Darüber hinaus bedarf es aber auch einer
aufzubauen und so gleichzeitig größere Teile
Reform des Agrarsektors. Ein Land wie
der nationalen Wirtschaft zu stärken, so
Nigeria mit den ihm zur Verfügung stehenden
sollten doch die bestehenden Möglichkeiten
Rohstoffreserven und Arbeitskräften, muss in
genutzt werden.
der Lage sein, die eigenen Bedürfnisse an Nahrungsmitteln
stillen.
Ein
Nigeria wird auch in Zukunft auf die
Stabilisierung
des
Ölproduktion angewiesen und damit auch von
Agrarsektors wäre, so schreibt Patrick Utomi
ihr abhängig sein. Die Einnahmen aus dem
(2004: 132), die Landwirte durch langfristig
Ölexport sollten aber in Zukunft dazu genutzt
finanzielle Unterstützung anzuhalten, sicheren
werden,
Anbau zu betreiben, so dass sie nicht länger
schaffen und zu katalysieren, um Armut zu
allein von den Regenzeiten abhängig sind.
bekämpfen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Letztlich müssen Reformen in diesem Sektor
Hierzu wird es notwendig sein, dass sich die
dazu führen, den von ihm abhängigen
Regierung
Menschen eine Lebensgrundlage zu bieten
gemeinsame Ziele vertraglich festlegen und
und den Staat in die Lage zurückzuversetzen,
gleichzeitig
die Ernährung der Bevölkerung nicht allein
werden, die die Verteilung der Öl-Renten
wichtiger
Schritt
selbst zur
zu
wirtschaftliches
und
die
Wachstum
Ölkonzerne
Kontrollinstanzen
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
zu
auf
geschaffen
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
SEITE 56
kontrollieren, sei es unter der Leitung der
massenhaften Umweltverschmutzungen, wie
Weltbank oder anderer Institutionen (Utomi
sie in Nigeria vorzufinden sind. Wenn sie in
2004: 134).
anderen Teilen der Welt umweltverträglich Öl fördern können, so sollte dies auch in Nigeria
Eine Kontrolle der Ölrenten ist auch im
möglich sein. Hier wäre die internationale
Zusammenhang
mit
Gemeinschaft aufgerufen, für Konzerne, die
ausbrechenden
Konflikten
immer
wieder
zwischen
den
grenzübergreifend
agieren,
verbindliche
Minderheiten von enormer Bedeutung, denn
Regeln
Normen
festzulegen
nur so kann es gelingen, eine gleichmäßige
(Okonta/Douglas 2001: 191ff.). Shell hat
Beteiligung der Volksgruppen und besonders
,nach dem großen öffentlichen Interesse
der bis dahin komplett vernachlässigten
während des Prozesses gegen Saro-Wiwa und
Minderheiten
Niger-Deltas
nach seiner Hinrichtung vereinzelt Projekte
Form
gestartet,
sicherzustellen.
des In
welcher
diese
und
auch
um
eine
nachhaltige
Beteiligung gesichert werden kann, ist eine
agrarwirtschaftliche Entwicklung der Region
weitere schwierige Frage. Fest steht, dass eine
zu unterstützen. Doch können diese Projekte
Beteiligung möglichst Vieler nur in einem
auch jetzt noch nur als ein Tropfen auf den
starken
die
heißen Stein angesehen werden. Sie werden
Autonomie
zunehmend öffentlich dafür kritisiert, eher
einzelnen genießen
föderalen
System,
Regionen als
zentralisierten
in Staat
in
mehr dem
dem
jetzigen
Nigeria,
stark
möglich
dem Image des Konzerns als dem Leben der Menschen im Delta zu dienen (Trost 2006).
erscheint. Angesichts der wachsenden Relevanz des Öls Was die Umweltzerstörungen und der damit
als strategische Ressource auf dem Weltmarkt
einhergehende Verlust der Lebensgrundlage
und dem damit einhergehenden Engagement
der Menschen angeht, so müssen hier die
chinesischer Ölfirmen in Nigeria, könnte man
Ölkonzerne – allen voran Shell – sich
meinen, dass die politische Position Nigerias
nationalem und internationalem Druck von
dadurch gestärkt wird und die Regierung in
Menschenrechtsorganisationen wie der in
die Lage versetzt wird, sich angesichts der
Nigeria aktiven Bewegung Environmental
finanziellen Möglichkeiten für die Interessen
Rights Action (ERA) beugen und auch in
der Bevölkerung einzusetzen (Tsui 2006).
Nigeria ökologische Standards anerkennen.
Doch
Diese Konzerne fördern auch in anderen
Vernehmen nach in bar bezahlt wird, scheinen
Staaten Öl, doch kommt es dort nicht zu solch
Zweifel an der Korruptionsfreiheit dieser
da
dieser
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Milliarden-Deal
dem
Die Nigerianische Krankheit | Nico Vonneilich
SEITE 57
Geschäfte durchaus angebracht. Und die
befreien?
Korruption
Einschätzung nach trotz der hier skizzierten
wiederum
schadet
der
Volkswirtschaft ungemein. Wie also kann sich
Nigeria
aus
diesem
Diese
Frage
bleibt
meiner
Konzepte bislang unzureichend beantwortet.
Teufelskreis
Glossar
Windfall
Dies wiederum bringt Absatzprobleme für
Ein Windfall beziehungsweise Windfall-Profit
Güter anderer nationaler Industrien mit sich
ist
und führt zu ökonomischen Problemen, hier
ein
plötzlicher
Gewinn
für
ein
Unternehmen aufgrund einer sich schlagartig
zu
ändernden
Sektoren, wie zum Beispiel dem Agrar-Sektor.
Marktlage
(politisch
oder
ökonomischem
Niedergang
einiger
konjunkturell herbeigeführt). Dabei erhält das Unternehmen bei gleichen Produktionskosten
Rent-seeking
einen erhöhten Gewinn
Rent-seeking
wegen erhöhter
Nachfrage oder höheren Preisen.
ist
ein
wirtschaftliches
Phänomen, bei dem Marktakteure durch den Einsatz von Ressourcen (zum Beispiel Geld,
Dutch Disease-Phänomen
Lobbyismus) gegenüber dem Staat versuchen,
Das Dutch-Disease-Phänomen bezeichnet ein
auf dem Markt eine monopolartige Stellung
makroökonomisches Paradoxon, nach dem es
zu erhalten. Dabei ist es ihr Ziel, für sich eine
in prosperierenden Volkswirtschaften durch
höhere Rente zu erhalten, was jedoch dazu
die
zur
führt, dass die eigenen Ressourcen zu einem
wirtschaftlicher
Großteil für das Erhalten dieser Einkommen
Entdeckung
Vernachlässigung
eines anderer
Rohstoffes
Sektoren kommt. Dies tritt auf, wenn ein Land
verschwendet werden.
in großem Umfang diesen Rohstoff exportiert, welches zu Außenhandelsüberschüssen und zu einer Aufwertung der Landeswährung führt.
360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de
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360° | Ausgabe 0/2006 | www.journal360.de