PREVIEW "RISIKO" (02/2014)

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Editorial

Zwo-Eins-Risiko!

Risiken verstecken sich überall. Manche sind offensichtlich: im Straßenverkehr, in einer Liebeserklärung oder wenn wir uns Herausforderungen stellen – wie der Übernahme einer Chefredaktion. Andere sind dagegen viel subtiler: etwa das Risiko, durch bestimmte Abbildungen Klischees und Vorurteile zu verbreiten oder etwas Wichtiges auszulassen, oder das Risiko, als jemand anderes geboren zu werden. In diesem Heft wollen wir euch verschiedene Perspektiven auf das Risiko bieten: das Risiko moderner Drohnen-Technologie, das Risiko der Vernichtung von Gedankengut durch Bücherverbrennungen, das Risiko, Fotografien als Abbildungen der Wirklichkeit zu betrachten, das Risiko von Geschlechterkonstruktionen oder auch Risikoabwägungen als Grundlage des Wohlfahrtsstaates. Mit Hilfe unseres Heftes wollen wir den Blick dafür schärfen, dass Risiken immer subjektiv sind und sein werden. Unsere Zukunft ist ungewiss und das Risiko nur der Versuch, diese berechenbar zu machen – und damit unter Kontrolle zu bringen. Gesa Johannsen (o.), Foto: privat. Beatrice Großmann (u.), Foto: privat.

Die nächste Ausgabe von 360° erscheint im Mai 2015 zum Thema Freiheit. In der übernächsten Ausgabe feiern wir mit einem Sonderheft unser 10-jähriges Jubiläum. Das Titelbild dieser Ausgabe hat Dorothea Pluta gestaltet.

Das Thema Risiko ist, wie wir an den Artikel-Einsendungen zu dieser Ausgabe feststellen konnten, eher in den Sozialwissenschaften zu Hause. Grundsätzlich scheint es jedoch ein Gegenstand zu sein, über den sich nicht leicht schreiben lässt: Risiko ist zwar überall, aber außerhalb von Wahrscheinlichkeitstheorien nur schwer fassbar. Und wenn man, wie wir bei 360°, auf freiwilliges Engagement und Einsendungen von Studierenden angewiesen ist, muss man manchmal feststellen, wie schnell auch der beste Plan durcheinandergebracht werden kann­­– wenn zum Beispiel zu wenig Texte zu einem Heftthema eingesendet werden. Doch Probleme können auch zu kreativen Lösungen führen. So konnten wir durch die Zusammenarbeit mit der ZUfo, der interdisziplinären studentischen Forschungskonferenz der Zeppelin Universität Friedrichshafen, eine Reihe toller Artikel und Essays aufspüren, die eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Thema Risiko ermöglicht haben. Und nun viel Freude beim Lesen, Gesa Johannsen & Beatrice Großmann


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Inhalt 3

Editorial

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Mitmachen

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Abstracts

117

Call for Applications

Nachschlag

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Impressum

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8 Aufschlag

Dem Risiko auf der Spur

Das Risiko im Blick

Das Risiko tragen

Julia Berghofer: Die riskante Gesellschaft Lust und Frust am Nervenkitzel

18 Debatte

Felix Simon und Sebastian Beug: Wie viel Risiko ist gut für uns? Eine Debatte über das Risiko und seinen Platz in unserer Gesellschaft

22 Artikel

Robert Kotterba: Risiko als politische Kategorie Risikoabschätzung als Element der Wohlfahrtsbegründung im Politischen Liberalismus

34 Rezension

Jasper Riemann: Ein Ratgeber zur realistischen Einschätzung ­unseres gefährlichen Lebens Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft von Gerd Gigerenzer

36 Interview

Magdalena Gack: Risiko Asyl Der Flüchtlingsaktivist Turgay Ulu über Flüchtlingslager in Deutschland, europäische Asylpolitik und das Risiko des politischen Widerstandes

44 Artikel

Oliver Klaassen: Ausstellung als Queering Space Museale Orte hetero- und homonormativer Tradition neu bespielen und durchqueeren

54 Artikel

Jonas Stuck: Is all Photography Propaganda? Wie uns Fotografien Geschichte(n) kommunizieren

64 Artikel

Theodor Frisorger: Geschmackvoller Trash Der Kultfilm zwischen Praktiken der Subversion und Musealisierung

72 Infografik 74 Fotostrecke

Gesa Johannsen: „Failing Forward“ Ein Untergang ist noch kein Versagen Wilma Warmbier: Die Ästhetik des Scheiterns Was übrig bleibt, wenn unterschätzte Risiken uns einholen Fotografien von Lisa Schwerdhöfer

82 Essay 92 Artikel 102 Gast-Essay

Julian Niklas Pohl: Risking Freedom for Freedom How Book Burnings Threaten the Democratic Society Fabian Staudenmeyer: Drones Preempting Future Risks in the ,War on Terror‘ Andreas Bernath: Konfliktrisiko Umweltvertreibung Das Beispiel des Tropensturms Sendong


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Abstracts 8

Die riskante Gesellschaft

Lust und Frust am Nervenkitzel Aufschlag Julia Berghofer Illustration Alex Kowalski Risikogesellschaft, Sicherheitspolitik, Versicherheitlichung

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Risiko als politische Kategorie

Risikoabschätzung als Element der Wohlfahrtsbegründung im Politischen Liberalismus Artikel Robert Kotterba Illustration Dorothea Pluta John Rawls, Politischer Liberalismus, Gerechtigkeit

44

Ausstellung als Queering Space

Museale Orte hetero- und homo­ normativer Tradition neu bespielen und durchqueeren Artikel Martin Pfaffenzeller Illustration Dasha Zaichenko Machtraumgestaltung, Deutungs­ hoheit, digitale Medien

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Is all Photography Propaganda? Wie uns Fotografien Geschichte(n) kommunizieren Artikel Jonas Stuck Illustration Lukas Remmler Visual History, Propaganda, Fotografie

Die moderne Gesellschaft ist permanent mit Risiken konfrontiert. Dabei wird mit den Bedrohungsszenarien ganz unterschiedlich umgegangen: Während die Wirtschaft das Risiko zelebriert, entwickelt die Politik immer neue Strategien gegen potenzielle Gefahren. Im öffentlichen Bereich entsteht durch Impulse aus der Politik und den Medien eine Risikoinflation. Im privaten Bereich ist das Spannungsfeld zwischen Risikoaffinität und Sicherheitsstreben noch viel größer. Angesichts der immer komplexer werdenden Risikoszenarien verfallen die Bürger_innen in eine staatsbürgerliche Passivität – der Glaube an politische Gestaltungsmöglichkeiten geht verloren.

Im politischen Liberalismus wird die Übertragung von Machtbefugnissen an einen Staat aus der Übereinkunft freier und gleicher Bürger_innen begründet. Dabei spielt die Einschätzung des Risikos, von sozialen Nachteilen betroffen zu sein, für die Wahl der Regeln für das Zusammenleben sowie für die Bewertung von affirmativen Maßnahmen wie beispielsweise Wohlfahrt eine wichtige – jedoch wenig beachtete – Rolle. Ein Gedankenexperiment des liberalen Philosophen John Rawls gibt darüber Aufschluss. Wollen wir es riskieren, privilegiert geboren zu sein oder wollen wir, dass die Folgen solcher Zufälle minimiert werden? Diese Frage macht Risiko zu einer politischen Kategorie.

Die Ausstellung Trans*_Homo – von lesbischen Trans*schwulen und anderen Normalitäten im Schwulen Museum* Berlin setzt sich mit der Normativität von Geschlecht und Sexualität auseinander. Bei einer Untersuchung der ausgestellten Exponate mithilfe queerfeministischer Repräsentationskritik lässt sich eine Strategie des ‚Nicht-Zeigens’ erarbeiten: Arbeiten, die explizit den Körper zeigen, riskieren letztlich affirmativ zu sein. Dagegen besitzen Kunstwerke, die den Körper ohne das Zeigen desselben thematisieren, ein größeres Kritikpotenzial. Als abstrakte Darstellung laufen sie weniger Gefahr, Kategorien von Mann, Frau und Sexualität zu reproduzieren.

Fotografien sind im Laufe des 20. Jahrhunderts allgegenwärtig geworden. Globale Medienikonen, die sich dauerhaft ins kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben haben, prägen ganze Generationen. Mit der Visual History ist der Umgang mit Fotografien auch in die Wissenschaft eingegangen. Sie hat uns gelehrt, dass Fotografien keine passiven Speicher von Geschichte sind, sondern aktive Medien, die mit den Betrachter_innen kommunizieren. Sie tragen daher das Risiko in sich, propagandistisch zu wirken. Dies wird anhand der Fotografie einer Hinrichtung aus dem Shanghai des 19. Jahrhunderts gezeigt.


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Kultfilme operieren oft mit subversiven Strategien, um soziale und kulturelle Ordnungen auszuhebeln. Am Beispielfilm Pink Flamingos vollzieht sich dies über die Mittel des drag und der Geschlechterparodie. Der Begriff Kultfilm verweist aber auch auf dessen Kanonisierung, indem der Film über Musealisierung dem ursprünglichen Zielpublikum entzogen und dessen Rezeption seitens einer Hochkultur durch Intertextualisierung legitimiert wird. Jedoch scheint auch ein Einzug des Kultfilms in den Mainstream dessen subversives Potenzial zu untergraben, gleichwohl diese letztere Variante der Rezeption dem einstigen Ziel des Kultfilms näher kommt..

Jeremy Waldron proposes that genuinely free speech should relate positively to the right of free expression of thought, thus leaving room for oppositional responses. Symbolism and censorship are two central strategic dimensions of book burnings, both of which are inherently violent towards books. As burning an idea in the physical shape of a book is the equivalent of silencing its opinion, book burnings should not be considered expressions of genuine free speech. Libricide can be regarded as a threat for democratic societies, which live of and have the responsibility to protect a rich plurality of thought.

Do drones prevent terror attacks? Drawing on theoretical approaches to precaution and anticipatory action, this article argues that policy-makers promote drones as technologies for preempting risks in the United States’ War on Terror. The accuracy of this line of argument will be scrutinized, illustrating that drones do not necessarily reduce the number of wars but are rather employed as a result of the propagation of possible worst-case scenarios that supposedly require this sort of anticipatory action.

Im Hinblick auf den ungehindert voranschreitenden Klimawandel stellt sich die Frage, welches Konfliktrisiko von Umweltvertreibung ausgeht. Zur Beantwortung dieser Frage wird der sicherheitspolitische Erklärungsansatz des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU) anhand des Tropensturms Washi/Sendong empirisch überprüft. Umweltvertriebene erhöhen hier selbst unter recht ungünstigen Bedingungen keineswegs das Risiko gewaltsamer Konflikte. Der Fall Sendong kann das WBGU-Modell also nicht bestätigen. Das deutet darauf hin, dass Umweltvertreibung eher ein entwicklungs- als ein sicherheitspolitisches Problem darstellt.

Geschmackvoller Trash

Der Kultfilm zwischen Praktiken der

Subversion und Musealisierung

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Artikel Theodor Frisorger Illustration Rebecca Wenig Kultfilm, Hegemoniale Diskurse, ­Travestie

Risking Freedom for Freedom

How Book Burnings Threaten the Democratic Society

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Essay Julian Niklas Pohl Illustration Matthias Otto Libricide, Censorship, Genuine Free Speech

Drones

Preempting Future Risks in the ,War on Terror‘

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Artikel Fabian Staudenmeyer Illustration René Rogge Drones, War on Terror, Preemption

Konfliktrisiko ­Umweltver­treibung

Das Beispiel des Tropensturms ­Sendong Gast-Essay Andreas Bernath Illustration Yuxing Li Klimawandel, Umweltvertreibung, Gewaltkonflikte

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