PREVIEW "TRAUMA" (02/2016)

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11. Jahrgang | Ausgabe 2 / 2016 ISSN: 1863-8783

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Trauma


T R AUM A I M S PA N N U N G S F E L D Editorial: Jana Eisberg und Daniel Schneiß

Wer sich mit Traumata beschäftigt, stößt immer wieder auf Spannungsfelder. Ein Trauma kann einen Menschen erschüttern, entwurzeln, die Grundfesten seines Selbst- und Weltbildes verändern. Es kann für Albträume sorgen und dem Körper von einem Moment auf den anderen jegliche Kraft rauben. Es kann jedoch auch fast wirkungslos in der Luft verpuffen – und alles, was bleibt, ist die Erinnerung an eine unangenehme Erfahrung: nicht schön, aber auch nichts Außergewöhnliches.

INDIVIDUUM // GRUPPE Die wissenschaftliche und praktische Beschäftigung mit Traumata muss dabei dem Problem gerecht werden, dass auf der einen Seite jeder Mensch unterschiedlich auf psychische Belastungen reagiert, dass aber soziale, historische und politische Faktoren auf der anderen Seite gruppenspezifische Kontexte schaffen. Somit ist eine am individuellen Fall orientierte Herangehensweise unabdinglich, es darf jedoch auch der Blick für gruppenspezifische Muster nicht verloren gehen. Dabei steht immer die Frage im Raum, inwieweit sich eine individuelle Trauma-Erfahrung in Bezug auf die Gruppe wirklich verallgemeinern lässt.

TÄTER_INNEN // OPFER Bei von Menschen verursachten Traumata lässt sich entlang des Tatverlaufs klar zwischen Täter_innen und Opfern differenzieren. Die Wirkungen betreffen jedoch häufig beide: Auch die Täter_innen leiden – und so verschwimmen ein weiteres Mal die Trennlinien.


SPRACHLOSIGKEIT // HEILUNG DURCH SPRACHE Traumatisierten erscheinen dabei die eigenen Erfahrungen häufig unaussprechlich. Gleichzeitig liegt die Heilung jedoch genau darin, eine Sprache für das Erlebte zu finden. Daher beschäftigen wir uns auch mit der Frage, wie Literatur, Film und Fotografie zu Ausdrucksformen von Traumata werden – und inwiefern sie damit zur gesellschaftlichen Heilung beitragen können. Wir freuen uns, Sie mitzunehmen in das Spannungsfeld Trauma.

| Jana Eisberg (Politik- und Kommunikationswissenschaft) und Daniel Schneiß (Politik und Recht) studieren beide im 5. Bachelorsemester an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. | Die nächste Ausgabe von 360° erscheint im Sommer 2017 zum Thema Liebe. | Das Titelbild gestaltete Alexey Kowalski


I N H A LT S. 08 ABSTRACTS

S. 12 TRAUMA UND INTEGRATION Aufschlag | Jana Eisberg, Daniel Schneiß

S. 20

KRIEGSTRAUMATA UND IHRE LANGZEITFOLGEN IN GUATEMALA

Artikel | María Cárdenas und Philipp Schultheiß

S. 32 INTERVIEW mit Michaela Huber

S. 38 SCHATTEN DER VERGANGENHEIT? Essay | Michael Siegel

S. 46 TRAUMA IM VERHÄLTNIS Infografik

S. 48

DAS UNBESCHREIBLICHE BESCHREIBEN

Artikel | Jana Christoffel


S. 60

TRAUMA DER TÄTER

Artikel | Julia Fürwitt

S. 74 FOTOREPORTAGE Alexander Davydov

S. 86

ZWISCHEN DEN WELTEN

Rezension | Laura Treffenfeld

S. 90

SCHREIBEN UND ERINNERN

Artikel | Johanna Fuchs

S.100 INTERVIEW mit Stephan Hülsmann

S. 104

MILITÄRPUTSCHE IN DER TÜRKEI

Korrespondenz | Malte Spielmann

S. 114 FURCHT, MACHT UND HOFFNUNG IM WISSEN ÜBER TRAUMA

Gastessay | Angela Kühner

S. 122 NACHSCHLAG S. 124 MITMACHEN


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A BST R ACTS TRAUMA UND INTEGRATION — EINE GESELLSCHAFTLICHE HERAUSFORDERUNG Wie sich die deutsche Gesellschaft zu traumatisierten Geflüchteten verhält und welche Möglichkeiten der Verarbeitung sie ihnen bietet, ist extrem wichtig – sowohl für die individuelle Situation der Ankommenden als auch für das gesellschaftliche Zusammenleben. Die Konzepte des Kollektiven Traumas und der transgenerationalen Traumaweitergabe zeigen: Traumatisierungen sind nicht nur psychische Verletzungen auf individueller Ebene, sondern ein kollektiv relevantes Phänomen. Daher muss bei der gesellschaftlichen Debatte über Integration das Thema Trauma mitgedacht werden. Dabei geht es nicht nur um Therapiemöglichkeiten, sondern auch um politische und soziale Faktoren. | S. 12, Aufschlag: Jana Eisberg und Daniel Schneiß

FLUCHT | SOZIALER KONTEXT | TRAUMA-WEITERGABE

KRIEGSTRAUMATA UND IHRE LANGZEITFOLGEN IN GUATEMALA — EIN GRUPPENSPEZIFISCHER ANSATZ Die Ausbildung langanhaltender Traumafolgestörungen wird häufig nur der Art der Gewalterfahrung zugeschrieben. Die Ursachen liegen jedoch tiefer und sind diverser. Gruppenzugehörigkeiten wie Gender, Ethnie, Generation, kollektive Narrative und Religion beeinflussen sowohl die Betroffenheit von Gewalt als auch die spätere Interpretation des Erlebten. Daraus ergeben sich wiederum gruppenspezifische Handlungsmöglichkeiten. Das zeigt der Text am Beispiel Guatemalas. Gruppenspezifische Betroffenheit und Ressourcen sollten daher bei der psychologischen Unterstützung von Verarbeitungsprozessen ins Zentrum gerückt werden. | S. 20, Artikel: María Cárdenas und Philipp Schultheiß

GUATEMALA | SOZIALE IDENTITÄTEN | RESSOURCEN


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SCHATTEN DER VERGANGENHEIT? — ANSÄTZE ZU EINEM HERMENEUTISCHEN TRAUMA-BEGRIFF

Die moderne Psychotraumatologie begreift die Folgestörungen eines traumatischen Erlebnisses zu weiten Teilen als Wiederaufleben schmerzlicher Erinnerungen. Doch selbst unbeteiligte Beobachter eines schrecklichen Ereignisses können infolgedessen unter Angstzuständen leiden. In Anlehnung an den Philosophen und Psychiater Erwin Straus lässt sich alternativ eine hermeneutische Konzeption von Traumata entwickeln: Ein Erlebnis ist demnach dann traumatisierend, wenn es die Grundpfeiler des menschlichen Erlebnishorizontes erschüttert. | S. 38, Essay: Michael Siegel

PSYCHOTRAUMATOLOGIE | ERINNERUNG | HERMENEUTIK


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DAS UNBESCHREIBLICHE BESCHREIBEN — LITERARISCHE TRAUMABEWÄLTIGUNG IN K. ODER DIE VERSCHWUNDENE TOCHTER Der einer polnisch-jüdischen Familie entstammende brasilianische Journalist Bernardo Kucinski betreibt mit seinem Romandebüt K. oder Die verschwundene Tochter weit mehr als eine fiktionalisierte Aufarbeitung seines Familientraumas. Der Roman stellt vielmehr eine literarische Reise durch Zeit und Raum dar, schildert die Verbindung des Verschwindens einer Familienangehörigen im diktatorischen Brasilien der 1970er Jahre mit dem Hervortreten eines unverarbeiteten Holocaust-Traumas des Protagonisten. Indem er klinische Trauma-Merkmale in Literatur übersetzt, baut der Roman eine Brücke zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis. Kucinski leistet somit einen Beitrag zur kollektiven Erinnerung und zeigt derart das kathartische Potenzial von Literatur auf. | S. 48, Artikel: Jana Christoffel

BRASILIEN | LITERATUR | KATHARSIS

TRAUMA DER TÄTER — GEWALTERFAHRUNG, KRIEGSSCHULD UND GESELLSCHAFTLICHE VERDRÄNGUNG Gewaltsame Konflikte wie der französische Algerienkrieg traumatisieren Opfer und Überlebende. Doch auch Täter können das Erlebte oft nicht verarbeiten. Wenn die Verarbeitung solch traumatischer Gewalterfahrungen dann aus politischen Motiven unterdrückt wird, kann es zu einer radikalen Entfremdung des Individuums von der Gesellschaft kommen. Das gilt insbesondere für die Täter. Laurent Mauvignier legt durch sein Buch Des Hommes die Traumata einer ganzen Generation französischer Soldaten offen und reflektiert dabei das Verhältnis von Erinnerung, Schuld und Verdrängung. | S. 60, Artikel: Julia Fürwitt

SCHULDTRAUMA | KOLLEKTIVES GEDÄCHTNIS | VERDRÄNGUNG


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SCHREIBEN UND ERINNERN — LITERATUR ZWISCHEN REALITÄT UND FIKTION Der Bürgerkrieg im Libanon von 1975 bis 1990 war eine traumatische Phase des Landes, dessen Spuren noch heute die Gesellschaft prägen. Die Diskussion darüber, ob und auf welche Weise die Erinnerung daran aufrecht erhalten werden soll, ist noch immer aktuell. Die libanesische Literatur ist in diesem Kontext Teil der Bemühungen, eine gesamtgesellschaftliche Erinnerungskultur aufzubauen. Ein Beispiel dafür ist der Roman Yalo von Elias Khoury. In diesem reflektiert der Autor die Traumatisierung des Protagonisten sowie die Aufarbeitung dieser Erlebnisse durch den Prozess des Schreibens. Khoury positioniert sich so in der Diskussion um die Aufarbeitung vergangener Gewalt und zeigt die vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen seinem Werk, der libanesischen Geschichte und der Diskussion um Erinnerung auf. | S. 90, Artikel: Johanna Fuchs

LIBANON | FOLTER | ERINNERUNGSKULTUR

MILITÄRPUTSCHE IN DER TÜRKEI — EIN KOLLEKTIVES TRAUMA? Putsche, Putschversuche und Putschdrohungen von Seiten des Militärs ziehen sich durch die türkische Geschichte. Der jüngste Versuch ist gerade einmal ein halbes Jahr her. Die Gewalt des Militärs hat jedoch nicht dazu geführt, alle Türk_Innen gleichsam als Kollektiv zu traumatisieren. Vielmehr hat sie die Gräben in der ohnehin gespaltenen Gesellschaft vertieft und ein politisches Klima geschaffen, in dem die Menschen demokratische Spielregeln scheinbar nur so lange gutheißen, wie sie den eigenen Interessen dienen. | S. 104, Korrespondenz: Malte Spielmann

KOLLEKTIV | VIELFALT | DEMOKRATIE


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