6,80 Euro
8. Jahrgang | Ausgabe 2/2013
Das studentische Journal f체r Politik und Gesellschaft
Glauben // Wissen philosophieren & transzendieren Musik und Religion als mystische Zust채nde politisieren & objektivieren Anna Bergmann 체ber Hirntod und Organspende dramatisieren & 채sthetisieren Der Islam in Berliner Theaterinszenierungen
www.journal360.de
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Editorial
Was ist und was soll sein?
Mit dem Thema Glauben // Wissen hat das Journal 360° seine bisher philosophischste Ausgabe vorgelegt: Die Texte beobachten Aktuelles und Althergebrachtes in Philosophie, Soziologie und Theologie. Neben der Kritik am wissenschaftlichen Positivismus beschäftigen sich unsere Autor_innen mit der Verteidigung von transzendenten Bezügen, die seit der Moderne aus dem öffentlichen und privaten Leben verschwinden: Es geht um den Gottesbegriff, um Metaphysik und um Mystik. Sie stellen Fragen darüber, wie Menschen miteinander in Kontakt treten können trotz des fehlenden Wissens über Andere, trotz räumlicher und gesellschaftlicher Schwierigkeiten, trotz Missverständnissen, Fehlinformationen und Ausgrenzungen. Die Frage nach Moral, Religion und Glauben in Politik, Ökonomie, Medizin und Film stellt das Thema auf konkreten Boden. Nicht selten kommen die Beiträge dabei zu streitbaren Positionen. Die Perspektiven auf die Begriffe Glauben und Wissen sind vielfältige. Einige Facetten haben wir eingefangen. Anders als andere Hefte beschäftigt sich diese Ausgabe also sehr mit sich selbst – mit dem Menschen und mit der Wissenschaft, mit den Fragen was ist und was sein soll, wer wir sind und was wir darüber wissen können.
Die nächste Ausgabe von 360° erscheint im Mai 2014 zum Thema Digitalisierung. Die Ausschreibung für unsere übernächste Ausgabe zum Thema Risiko findet Ihr auf Seite 121. Das Titelbild dieser Ausgabe hat Elsa Klever gestaltet. Erratum: Im Heft 1/2013 zum Thema Das Böse ist uns im Artikel Zwei laute Monologe. Der estnisch-russische Denkmalstreit um den Bronzenen Soldaten ein Fehler unterlaufen. Der korrekte Text kann unter journal360.de abgerufen werden.
Diese Fragen sind in Zeiten der Bürokratisierung und Ökonomisierung breiter gesellschaftlicher Teilbereiche zunehmend in Vergessenheit geraten. Die Beschäftigung damit zum Ehrenamt zu machen, wie wir das tun, und zum Vergnügen, wie wir es unseren Leser_innen bereiten wollen, soll dieser Tendenz entgegenwirken. Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie fachübergreifend lesbar zu machen, ist tatsächlich eine Herausforderung, die unser vierzigköpfiges Team und die Autor_innen in zahllosen Arbeitsstunden angenommen haben. Vielleicht sind wir nicht nur eine Redaktion, sondern auch ein permanenter Wochenendkurs im kreativen Schreiben und eine papiergewordene Fortbildung über nachhaltige Unternehmensführung. Das Journal ist damit die intensivste Lehrveranstaltung, die man sich wünschen kann. Die Hauptaufgabe bleibt aber natürlich, ein studentisches, journalistisches und wissenschaftliches Lesevergnügen zu bereiten – und das wünschen wir Euch von ganzem Herzen. Vinzenz Hokema & Jana Groth
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Inhalt 3 6 39
Editorial Abstracts Call for Papers
8 Aufschlag
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Call for Photographs Nachschlag Mitmachen
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Call for Applications Impressum
Jana Groth: Was ist Wissenschaft? Ein Plädoyer für das Zweifeln
philosophieren & transzendieren 14 Essay
Donatus Herre: „In the beginning there was Jack. And Jack had a groove.“ Über mystische Zustände als Bindebogen von Religion und Musik
22 Gast-Essay
Julian-Christopher Marx: Der weite Horizont der Transzendenz Plädoyer für ein religiöses Selbstverständnis in der Moderne
30 Artikel
Carina Pape: Was kann ich von Anderen wissen? Glauben und Wissen und das erkenntnistheoretische Problem der Intersubjektivität
40 Fotostrecken
Vinzenz Hokema: Unsichtbare Gläubige an nicht existenten Orten Hinterhofmoscheen und Autobahnkirchen in Bildern Fotografien von Michael Klaus und Julius Matuschik
politisieren & objektivieren 54 Interview
Vinzenz Hokema: „Jeder Organempfänger muss mit Krebs rechnen.“ Die Medizin- und Kulturhistorikerin Anna Bergmann im Interview über Hirntod und Organspende
66 Artikel
Julia Schubert: Das Wissen der Wissensgesellschaft Eine kritische Analyse
74 Artikel
Jannis Grimm: Gott in der Verfassung? Glaube und Staat im Kontext der ägyptischen Transformation
84 Debatte
Daniel Drewski und Julian Tangermann: Ist Wissen Glaube? Eine Debatte zu den Grenzen der Wissenschaft
dramatisieren & ästhetisieren 86 Artikel
Karin Gäbel: Fremder Islam? Eine Analyse unterschiedlicher Berliner Theaterinszenierungen
96 Rezension
Jonas Keil: Paradies: Glaube Das distanzierte Porträt einer Strenggläubigen zwischen Paradies, Wahnsinn und ganz viel Wirklichkeit
100 Infografik
Carsten Knoll: Hintergründe der Finanzkrise Vom festen Glauben an das falsche Wissen
102 Essay
Lukas Ley: Science knows the future while magic just guesses? Why we need to believe in order to know
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Abstracts 14
„In the beginning there was Jack. And Jack had a groove.“ Über mystische Zustände als Bindebogen von Religion und Musik Essay Donatus Herre Illustration Elsa Klever
Betrachtet man das Verhältnis von musikalischer und religiöser Erfahrung, so offenbart sich eine enge Verwandtschaft der beiden: Sie können jeweils von mystischen Bewusstseinszuständen begleitet werden. Sowohl eine spezifische Musikalität religiöser Erfahrung als auch eine spezifische Religiosität musikalischer Erfahrung sind folglich zu entdecken. Religion kann klanglich und Klänge religiös erfahren werden. Im Anschluss daran erscheint das Verhältnis von Musik und Religion in einem anderen Licht – und es wird möglich, die Frage nach der Erkenntnis auf andere Weise zu stellen und zu beantworten.
Musik, Religion, mystische Erkenntnis
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Der weite Horizont der Transzendenz Plädoyer für ein religiöses Selbstverständnis in der Moderne Gast-Essay Julian-Christopher Marx Illustration Adrian Kottmann
Glaube und Wissen stellen einen Gegensatz dar? Religion ist unvernünftig und wird sich überleben? Diese Säkularisierungserzählung der Unvereinbarkeit von Moderne und Religion muss genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei zeigt sich eine rein diesseitige Sicht auf die Welt als gleichsam allgegenwärtig. Ein befreiender Ausbruch zur Transzendenz Gottes scheint kaum mehr möglich. Dass die Welt aber reicher, tiefer und bunter ist, darauf weisen Erfahrungen hin, die religiös gedeutet werden können. Ein religiöses Selbstverständnis weitet den Erlebenshorizont aus und transzendiert den Menschen in den offenen Raum des Glaubens.
Erfahrung, Transzendenz, Religion
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Was kann ich von Anderen wissen? Glauben und Wissen und das erkenntnistheoretische Problem der Intersubjektivität Artikel Carina Pape Illustration Benjamin Gottwald
Wissen und Glauben sind keine sich ausschließenden Gegensätze, sondern verschiedene Arten, etwas für wahr zu halten. In der Logik hat das Glauben eine subjektive Gültigkeit, das Wissen dagegen Anspruch auf objektive Wahrheit. Die logische Trennung von Wissen und Glauben gerät aber gerade dann ins Wanken, wenn ich andere Menschen miteinbeziehe und nach der intersubjektiven Gültigkeit eines Urteils frage. Jenseits der Logik können wir zugleich glauben und wissen. Unter dieser Annahme lassen sich zunächst widersprüchlich erscheinende Aussagen Immanuel Kants, Edmund Hus-
Metaphysik, Phänomenologie, Intersubjektivität
serls und einiger russischer Autoren versöhnen.
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Wir leben heute in einer Wissensgesellschaft. So behauptet es jedenfalls eine aktuell nicht nur in der Soziologie populäre Gesellschaftsdiagnose. Der vorliegende Beitrag untersucht die Angemessenheit dieser Diagnose mithilfe des Wissensbegriffs von Niklas Luhmann. Dabei wird anhand von drei Beispielen gezeigt, dass die Hypothese einer Wissensbasierung gesellschaftlicher Strukturen und individu-
Das Wissen der Wissensgesellschaft Eine kritische Analyse
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Artikel Julia Schubert Illustration Maria Tetzlaff
eller Handlungen grundsätzlich anzuzweifeln ist. Insofern bleibt das Postulat einer Wissensgesellschaft in Oberflächen-Beobachtungen stecken und missversteht das Reden über Wissen als konsequente Wissensbasierung.
Transzendente Wahrheitsansprüche können in der Demokratie keine Grundlage für die Begründung kollektiver Herrschaft sein. Aber lässt sich die Religion in der arabischen Welt gänzlich in die Privatsphäre
Wissen, Wissensgesellschaft, Niklas Luhmann
Gott in der Verfassung? Glaube und Staat im Kontext der ägyptischen Transformation
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verbannen? Angesichts der prominenten Rolle, die der Islam in der politischen Öffentlichkeit der Region einnimmt, werden normative Leitlinien für das Verhältnis vom Glaube und Staat in der Demokratie
Artikel Jannis Grimm Illustration Jeong Hwa Min
entwickelt, die auf einem alternativen Verständnis von Säkularismus beruhen. Diese institutionellen Minima bilden den Rahmen für eine Analyse der ägyptischen Verfassung, die 2012 unter der Präsidentschaft Muhamad Mursis verabschiedet wurde. Islam, Demokratie, Säkularismus
Studien zur Meinung über den Islam in der deutschen Bevölkerung zeigen, dass der Islam als fremde Religion wahrgenommen wird. Das vermeintliche Wissen über den Islam fußt dabei auf wenigen, dafür aber schwerwiegenden und pauschalisierenden Argumenten. Exemplarisch werden drei Theaterinszenierungen in Berlin daraufhin untersucht, welche Bilder des Islams sie vermitteln und wie sie auf die
Fremder Islam? Eine Analyse unterschiedlicher Berliner Theaterinszenierungen
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Artikel Karin Gäbel Illustration Mathias Barth
verbreiteten Wahrnehmungsmuster reagieren. In den Inszenierungen begegnen uns unterschiedliche Verarbeitungsmodi: Neben der simplen Reproduktion der Bilder und der Flucht in die Ironisierung lassen sich auch differenzierte Analysen erkennen.
Anthropologists have always contributed to constructing science and magic as opposites. While science is said to predict the future by means of hypothesizing and mathematical probability, magic came to stand for mere guessing at the future. The essay tries to reconcile science and magic and proposes an anthropology of predicting that brings magic, science and religion together as overlapping projects of world-making. The process of predicting, in this sense, prepares a ra-
Islam, Theater, Stereotype
Science knows the future while magic just guesses? Why we need to believe in order to know Essay Lukas Ley Illustration Magdalena Kaszuba
tional ground from which realities come to be known. Both magical and scientific guessing should therefore be taken seriously. magic, scientific prediction, natural disasters
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