PREVIEW "MYTHEN" (02/2016)

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11. Jahrgang | Ausgabe 1 / 2016 ISSN: 1863-87831

www.journal360.de 6,80 Euro

Mythen


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Editorial Das Titelbild dieser Ausgabe hat Kiyoshi Stelzner

gestaltet.

Die nächste Ausgabe von 360° erscheint im Dezember 2016

zum Thema Trauma.

Daniel Schneiß

Anne Schwerdhöfer

Mythos 360° Editorial: Daniel Schneiß Mit der Ausgabe zum Thema „Mythen“ wagen wir uns als studentisches Journal 360° einmal mehr in eine, auch für uns, neue Sphäre. Diese zu erkunden hat wieder viel von uns abverlangt. Doch nur wer stets bereit ist, sich kritisch auch selbst zu reflektieren, entwickelt ein Denken, welches „hart genug [ist], die Mythen zu hinterfragen“ (Adorno/Horkheimer 1944: 10). Doch gerade die stark frequentierte Nutzung des Begriffs Mythos in unserer Umgangssprache erschwerte diesmal die wissenschaftliche Auseinandersetzung erheblich. Was verstehen wir überhaupt unter Mythen, welche Funktion haben sie und vor allem: Wo treffen wir auf Mythen in Politik und Gesellschaft? Im ersten Teil des Heftes steht hierbei insbesondere Eros, der Liebesgott aus der griechischen Mythologie, im Fokus. Sein von uns projiziertes Pendant in Form des Klerus kommt hauptsächlich im ersten Text zum Vorschein, der die Frage stellt, wie mit Geschlechtszugehörigkeiten in den Schöpfungsmythen umgegangen wird. Der zweite Teil wird dafür etwas theoretischer, wahrt jedoch eine evidente Aktualität. Braucht Europa einen gemeinsamen Mythos? Wie werden Mythen in Krisenzeiten benutzt und wieso herrscht heute das gängige Narrativ, dass besonders Religion Konflikte schüren würde? Hierfür stehen symbolisch vor allem Eris, die Göttin der Zwietracht und des Streites, und Herakles, der idealtypische Held. Im dritten Teil tauchen mit Freud, Zarathustra und Kainis drei sehr verschiedene Figuren auf. Hier versuchen wir wiederum tiefer in spezifische Mythen hinein zu gehen. Mit der „Iran-Korrespondenz“ haben wir zusätzlich eine neue Rubrik eingeführt, welche sich die vielfältigen mythischen Erzählungen der iranischen Gesellschaft annimmt. Das Ergebnis ist – wie so oft – eine vielfältige Bandbreite diverser Ansätze und Konzeptionen und entspricht genau dem Ziel, das sich 360° gegeben hat. Wir bieten Platz für unterschiedliche Sichtweisen, welche die Themen, die wir aufgreifen, in möglichst vielen Perspektiven aufzeichnet. Nur so können wir dem Ideal des 360°-Rundumschlags näher kommen, welcher immer Anspruch und Forderung an uns ist, aber trotzdem nie in Gänze erfüllt werden kann. °Daniel Schneiß studiert im 4. Bachelorsemester Politik und Recht an der Westfälische Wilhelms-Universität in Münster.


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Inhalt

8

50

82

Aufschlag

Artikel

Interview

60

89

Rezension

Infografik

Anne Schwerdhöfer: Wenn die Wirklichkeit zum Mythos wird Und wie Mythen Wirkliches schaffen

18 Artikel

Robert Kotterba: Als die Götter den Menschen teilten Geschlecht und Sexualität im Schöpfungsmythos

30 Essay

Nadja Rathenow: Die Liebe als Mythos unserer Gesellschaft Von der Unmöglichkeit, das Nichtgreifbare greifbar zu machen

40 Fotostrecke

Florian Zabel: Neue Kriege, Neue Mythen? Zum Verhältnis von Krieg, Tod und Herrschaft in neueren Postkonfliktgesellschaften

Alice Schützenberger*: Rezension „Wenn nicht wir, wer dann?“

64 Gast-Essay

Dr. Ulrike Spohn: Religion und Gewalt Gründungsmythos der europäischen Moderne

Anne Schwerdhöfer: Interview mit Franca Pariane Doktorantin am Max-Plank Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

Anne Lehner: Infografik Die Verschwörung der Massenmedien

92 Artikel

Lucy Hempel*: Zwischen den Grenzen Grauzonen im Iran *Name von der Redaktion geändert

72

104

Essay

Artikel

Kathrin Koeppen & Lina Louisa Krämer: Fotostrecke Tittytainment

Patrick Weissler: Gemeinschaft, Sehnsucht und die Anderen Warum Europa einen neuen Mythos braucht

Verena Hucke: Der Mythos der Rainbow Nation Homophobe Gewalt gegen Schwarze Frauen in Südafrika

3 Editorial 6 Abstracts

118 Nachschlag 124 Mitmachen 120 Anwesenheitsnotiz 126 Impressum


6

Abstracts 8

Wenn die Wirklichkeit zum Mythos wird

Und wie Mythen

Wirkliches schaffen

Aufschlag: Anne Schwerdhöfer Illustration: Lisa Frühbeis

Als die Götter den Menschen teilten

18

Geschlecht und Sexualität im Schöpfungsmythos

Artikel: Robert Kotterba Illustration: Linda Miletich Schöpfung, Lilith, Sexualität

Die Liebe als Mythos unserer Gesellschaft

30

Von der Unmöglichkeit, das

Nichtgreifbare greifbar zu machen Essay: Nadja Rathenow Illustration: Alexandra Bayer Liebe, Beziehungskonzepte, falsche Klarheit

Neue Kriege, Neue Mythen?

Zum Verhältnis von Krieg,

50

Tod und Herrschaft in neueren Postkonfliktgesellschaften Artikel: Florian Zabel Illustration: Julia Kluge

Neue Kriege, Postkonfliktgesellschaften, konfliktgebundene Mythen

Nicht nur die klassischen griechischen Mythen prägten in der Antike die Strukturen ihrer Gesellschaft, auch heute gibt es durchaus aktuelle Pseudomythen, die unsere erheblich beeinflussen. Mythen können Legitimationen schaffen oder nehmen, neuen Ideen Aufschwung verleihen und alten den Untergang bescheren. Sie sind Geschichten, die das der Gesellschaft Zugrundeliegende zu erklären suchen. Dementsprechend groß kann ihr Einfluss sein. Wie Mythen genau funktionieren und warum sie nicht nur bloße Fabeln sind, hilft Robert von Ranke-Graves zu erklären.

In einer Gesellschaft, die darüber diskutiert, inwiefern sie sich als christlich-abendländisch definiert und in der über Geschlechterrollen in Arbeitsverhältnissen und die gleichgeschlechtliche Ehe geredet wird, stellt sich die Frage nach der Deutung der biblischen Schöpfungsgeschichte als hochaktuell heraus. Die Gegenüberstellung verschiedener jüdischer und griechischer Vorstellungen zeigt, dass die Fragen nach den Einzelheiten zur Beziehung zwischen Adam und Eva sowie der Geschlechtlichkeit des Menschen mehr als zeitgemäß sind, die Antworten letztlich jedoch immer einem bestimmten Kontext unterworfen sind.

Liebe ist unfassbar. Man kann sie nicht hören, nicht schmecken, nicht angucken. Man kann sie nie wirklich vollends verstehen. Wir als Menschen haben jedoch das Bedürfnis, alles um uns herum zu erklären – das gibt uns Sicherheit. Deshalb konzipieren wir Beziehungsmodelle, die uns die Liebe fassbar machen sollen, wie die Ehe, die Zweier-Beziehung auf Zeit oder das neue Beziehungsmodell Freundschaft Plus. Der Benennungsversuch vergegenständlicht die Liebe, wodurch wir uns von dem eigentlichen Gefühl distanzieren und es mit den Beziehungsbegriffen vermischen oder gar gleichsetzen. Durch diese falsche Klarheit wird Liebe zum Mythos.

Ausufernde Gewalt, neue Akteure und technologischer Fortschritt sind nur einige Aspekte, die die Kriege und Konflikte der letzten zwei Dekaden verändert haben. Mit dieser neuen Unübersichtlichkeit schwindet auch das Verständnis für die entstehenden Postkonfliktgesellschaften. Es soll argumentiert werden, dass die Beschäftigung mit konfliktgebundenen Mythen nicht nur dieses Verständnis erhöht, sondern auch Rückschlüsse auf viel grundlegendere Veränderungen des Kriegsgeschehens ermöglicht.


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Die Genese des modernen, säkularen Staates wird in Europa weithin auf die Überwindung der ‚Religionskriege‘ zurückgeführt. Demnach trat aufgrund eines von der Religion als ‚Kriegstreiberin‘ verursachten Gewaltchaos schließlich der moderne Staat als ‚Friedensstifter‘ auf den Plan, um dem religiös bedingten Kriegsgeschehen ein Ende zu bereiten und Frieden, Freiheit und Demokratie zu etablieren. Diese verbreitete Erzählung entpuppt sich im Licht einer genaueren historischen Betrachtung als politischer Mythos, der die Vorstellungen über Religion und Politik in Europa bis heute prägt.

Mythen verkörpern vor allem eines: die menschliche Sehnsucht nach Gemeinschaft. So beeinflussen sie nicht nur unser Bewusstsein, sondern auch unser Verhalten. Eine besondere Rolle nimmt der Mythos vom Nationalstaat ein, denn er gibt Halt und vermittelt ein Gefühl von Gemeinschaft. Dazu gehört jedoch oft auch die Abgrenzung vom Fremden, mit zunehmend negativen Folgen für Europa: Grenzschließungen, Rechtspopulismus und Angst vor Überfremdung. Eine Europäische Union, die auf Dauer bestehen soll, muss sich deswegen vom nationalstaatlichen Denken verabschieden und das Bewusstsein einer überstaatlichen Gemeinschaft stärken.

Der Artikel entlarvt den Mythos der Rainbow Nation, der Vorstellung eines gleichberechtigten Miteinanders im pluralistischen Südafrika der Post-Apartheid-Ära. Anhand der Lebensbedingungen und Gewalterfahrungen Schwarzer lesbischer Frauen wird dargelegt, dass dieses Ideal nicht für alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße gilt. Der Text zeigt sowohl die mangelnde Aufarbeitung vergangener Verbrechen als auch Kontinuitäten von Gewalt und Repression des Apartheid-Regimes im demokratischen Südafrika auf.

Religion und Gewalt

Gründungsmythos

der europäischen Moderne Gastessay: Dr. Ulrike Spohn Illustration: Matthias Otto

64

moderner Staat, Religionskriege, politische Mythen

Gemeinschaft, Sehnsucht und die Anderen

Warum Europa einen

neuen Mythos braucht Essay: Patrick Weißler

74

Illustration: Benjamin Bertram Bewusstsein, Europa, Nationalstaat

Der Mythos der Rainbow Nation

Homophobe Gewalt gegen

Schwarze Frauen in Südafrika Artikel: Verena Hucke Illustration: Kiyoshi Stelzner Homophobie, (Post-)Apartheid, Rassismus

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