amatom 33: ein Magazin von und für kritische, junge Mediziner*innen

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Herausgegeben von der IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung | Ausgabe 2021 | Spende 1 Euro | Foto: Kon Karampelas auf Unsplash

amatom 33 ein Magazin von und für kritische, junge Mediziner*innen

30 Jahre deutsche Einheit

Themen: Die IPPNW heute und damals | Ziviler Ungehorsam gegen Massenvernichtungswaffen | Atomwaffenverbotsvertrag | Belarus | Corona-Krise ...


Inhalt 2

Inhalt und Impressum

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Editorial

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Alle Menschen werden Brüder Föderalismus: Wiedervereinigung und europäische Integration – mehr als nur eine Geschichte

IPPNW damals 7

Glücksfall mit Geburtsfehlern Die Geschichte der IPPNW

10 Ärztinnen und Ärzte für den Frieden Alternative Ärzte-Friedensgruppen in den 1980er-Jahren in der DDR 14 Aufrüstung stoppen, Atomkrieg verhüten Über die DDR-Sektion der IPPNW 17 „Abweichende Meinungen müssen wir tolerieren“ Ein Interview mit Jens Reich IPPNW heute 19 Die IPPNW in Russland Ein Gespräch mit Sergej Kolesnikov

25 Lasst Euch nicht einschüchtern! Mein Plädoyer für zivilen Ungehorsam gegen Massenvernichtungswaffen 28 Die IPPNW in Österreich Ein Interview mit ihrem Präsidenten Dr. Klaus Renoldner 2020 32 The Ban is here! Der Atomwaffenverbotsvertrag tritt 2021 in Kraft 33 Was heißt die Corona-Krise für Dich? 35 Belarus

Last, but not least … 37 Du hast noch nicht genug? Weitere interessante Artikel auf unserem Blog 38 Ist das klausurrelevant? Das erste „Amatom-Artikel-Quiz“ 39 Ansprechpartner*innen und Adressen

22 Staubwedel raus: Make IPPNW cool again! Wie die IPPNW sich verändern muss, um heute noch Gehör zu finden

Impressum Redaktion: Gesa Baum (Oldenburg), Sophia Christoph (Homburg), Ewald Feige (Berlin), Christoph Müller (Hannover), Alexej Silenko (Homburg), Jeremia Weber (Hannover). Anschrift: der amatom, c/o IPPNW, Körtestraße 10, 10967 Berlin, Tel. 030/698 074-0, Fax 030/6938166. Verleger: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V., Körtestraße 10, 10967 Berlin. Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft, IBAN DE39 1002 0500 0002 2222 10, BIC BFSWDE33BER Gestaltung und Satz: Samantha Staudte. Bilder: nicht gekennzeichnete: privat oder IPPNW-Archiv. Druck: ddl-berlin.de, DruckereiDienstLeistungen, Berlin, Papier: Circle matt, Recycling & FSC. Auflage: 4.000, erscheint jährlich, für studentische Mitglieder der IPPNW kostenlos. Nachdrucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung. V.i.S.d.P.: Ewald Feige


Editorial DEUTSCHLAND – mein Herz in Flammen, will dich lieben und verdammen“, so singt die Band Rammstein in ihrem Song „Deutschland“, der 2019 passend zum 30. Jahrestag des Mauerfalls veröffentlicht wurde. Und manchmal ist es so auch mit dem Amatom: Wir lieben ihn, denn er ist unsere ganz eigene Plattform, um IPPNW-Studi-Gedanken zu publizieren. Aber dann wollen wir ihn auch verdammen. Zum Beispiel, wenn wir ein supertolles Titelthema geplant hatten und plötzlich „Corona“ ist. Die deutsche Einheit erlebte im Jahre ihres dreißigsten Geburtstags eine wahre Zerreißprobe. Im föderalen Corona-Chaos der letzten Monate war von Einheit nämlich manchmal recht wenig zu spüren. Eine Zeit, die Widersprüchliches hervorbringt, und dazu kamen die zwiespältigen Gefühle, die die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte eben so mit sich bringt. Dennoch haben wir uns auf eine Zeitreise in die IPPNW-Geschichte begeben, in ein Europa vor der Pandemie. Wusstet Ihr, dass es neben der offiziellen IPPNW-Sektion der DDR noch viele weitere unabhängige Friedensgruppierungen gab? Wie diese letztlich zusammenfanden, könnt ihr in diesem Amatom erfahren. Wo die IPPNW jetzt steht? Was nach 1989 und dem abrupten Ende des Kalten Krieges passiert ist? Auch dazu findet Ihr Artikel – nur ein paar Seiten entfernt. Und außerdem: We proudly present our new Layout! Wir dachten uns in der Redaktion, dass gemeinsam mit der internationalen Kampagne „Make IPPNW cool again“ auch mal frischer Wind durch die Seiten des Amatoms wehen sollte. Wir hoffen, Ihr findet Gefallen an der neuen Ausgabe – sowohl am Layout als auch an den Inhalten. Eure Redaktion & Euer Dr. Amatom


Alle Menschen werden Brüder Föderalismus: Wiedervereinigung und europäische Integration – mehr als nur eine Geschichte 30 Jahre Deutschen Wiedervereinigung. 30 Jahre, die gezeichnet sind von europäischen und globalen Des-Integrationsprozessen. Nicht zuletzt uns Europäer*innen sollte daher dieses Jahr zur Feier und Betrachtung eines ganz besonderen Konzepts der deutschen Einheitspolitik einladen: des Föderalismus.

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erühmt-berüchtigt in der breiten Bevölkerung als wiederkehrender Zankapfel zwischen Bund und Ländern in verschiedensten politischen Fragen, lässt dieser Begriff den einen oder anderen nicht ohne Verdruss nach mehr Vereinheitlichung und Harmonisierung lechzen. Schließlich scheint das föderalistische Modell auf den ersten Blick bestenfalls unheimlich komplex, schlimmstenfalls von lähmender Umständlichkeit geplagt zu sein. Allerdings werden diese A posteriori-Urteile den mannigfaltigen Möglichkeiten des Föderalismus keinesfalls gerecht. Denn hinter den delikaten Checks and Balances des deutschen Staatsmodells verbergen sich wegweisende Errungenschaften im Umgang mit solchen Streitthemen wie Souveränität, (Post-) Nationalstaatlichkeit, soziohistorischer Identität und den Herausforderungen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Souveränität: das Schlachtschiff moderner Machtpolitik(er)

Unter einer Föderation sei in Abgrenzung zu anderen föderalen Systemen wie Unionen und Konföderationen ein Bundesstaat gemeint, dessen hoher Grad an Konstitutionalität eine möglichst horizontale Machtverteilung vorsieht und legislative Alleingänge sowohl von der föderalen Regierung als auch von den Föderaten 1 verhindern soll. Der staatsbürgerlichen Bevölkerung kommt hierbei eine herausragende Rolle bei der Sicherung der horizontalen Machtverteilung zu, da beide Machtinstanzen durch separate Wahlen legitimiert werden.

Spätestens nach der Befreiung und Diskussion der ersten Konzentrationslager kam das Jahrhunderte währende westfälische Prinzip2 der Staatssouveränität in ernsthafte Bedrängnis. Wie würde man in Zukunft ein Konzept legitimieren können, hinter dem Despoten sich verstecken und Massenmorde ungestört durchführen können? Der nachfolgende Kalte Krieg und das Aufkommen internationaler Organisationen wie der UNO erodierten besonders im Falle „kleinerer“ Staaten die westfälische Weltordnung durch direkte und indirekte Einmischung. Doch erst nach der fürchterlichen Handlungsunfähigkeit der UNO in Rwanda der 90er-Jahre erwuchs das Prinzip der „responsibility to protect“ (R2P), wonach absolute interne Staatssouveränität einer komplexeren Form von internationaler Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung und gleichzeitig gegenüber der Weltgemeinschaft weichen sollte. Kommt ein Despot dieser nicht nach, so sieht sich die Weltgemeinschaft in der Verantwortung, im Sinne der Menschenrechte zu intervenieren.

Unschwer erkennt man in diesen Charakteristika die Umrisse des modernen deutschen Staates, jedoch verschwimmen diese, sobald man sich politischer Gebilde wie der EU annimmt. Hier treten zumeist die oben angedeuteten Streitthemen in den Vordergrund. Dagegen wurden im Falle der heutigen BRD unter Druck der Alliierten wichtige Schritte unternommen, um diese Fragen im Grundgesetz zu adressieren. Die EU wiederum, wenngleich

Was zunächst auf dem Papier nobel klang, offenbarte sich Jahre später als riesiges geopolitisches Problem und Zündstoff für eine neue ideologische Spaltung in Ost und West. Vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten haben einflussreiche autoritäre Staaten wie Russland, China und die Türkei einen auf der alten westfälischen Ordnung beruhenden Gegendiskurs entwickelt. So prangern sie teilweise zurecht die ungerechte Scheinheilig-

Im Folgenden sollen diese föderalen Streitthemen im gesamteuropäischen Kontext untersucht werden, doch hier zunächst eine persönliche Definition des Föderalismus:

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aus ähnlicher ruinöser Aufbruchstimmung erwachsen, befindet sich aktuell und immer noch im Kreuzfeuer diverser geopolitischer und interner Diskurse. Es fällt einem folglich schwer, die EU auch nur normativ als föderales System, geschweige denn deskriptiv als Föderation zu bezeichnen. Dieses beispiellose Megaprojekt repräsentiert bisweilen eine einzigartige Zwischenstufe mit Elementen zentralisierter, loser konföderativer und föderaler Herrschaftsstrukturen, ergo einen Riesenkompromiss. Doch was steckt dahinter?


keit an, mit der Staaten wie die USA R2P missbrauchen, um beispielsweise in Libyen und Syrien die eigene politische Agenda durchzusetzen. Stattdessen verlangen sie nach kompromissloser Nichteinmischung in „staatliche Angelegenheiten“ wie Bürgerkrieg und Genozid. Selbstverständlich handeln sie dabei nicht weniger scheinheilig, wenn sie die Souveränität der ihnen freundlich gesinnten Despoten stützen, um diese Länder in semikolonialer Vasallentreue zu halten. Das Schlüsselwort lautet Machtpolitik, d. h. Politik, die einzig und allein dem Machterhalt des Autokraten dient. Diese ist nämlicher fester Bestandteil des oben genannten Gegendiskurses und fest mit autokratischen Souveränitätsansprüchen verwachsen. Ferner wohnen dem Souveränitätsbegriff sehr wohl auch andere groteske Implikationen inne, wie dessen enge Verbundenheit mit politischen Absoluten3 und eine Fixation auf das (Staats-) Territorium. Souveränität impliziert in der Tat ein Weltbild, das dem heutigen Globalisierungsprozess diametral zuwiderläuft und begünstigt eine Rückkehr zur Kriegsrhetorik. Grund dafür ist, dass man als Souverän keine „Abstriche“ der eigenen Souveränität machen kann ohne dass das ganze Prinzip an Sinn verliert. Daraus resultiert ein Wiederaufleben einer metastabilen Weltordnung, in der jeder Staat seiner absoluten Souveränität Geltung verschaffen möchte. Annexionen, ethnohistorische Demagogie, Expansionismus – Krieg ist vorprogrammiert. Dies bringt uns zurück zur Europäischen Union und zu ihrem integrationspolitischen Seiltanz, im Zuge dessen abschätzig mit Konzepten wie Supranationalität und partieller Aufgabe von Staatssouveränität jongliert wird. Im Kontext der EU ergeben diese Konzepte aber eingedenk der zuvor beschriebenen Natur des Souveränitätsbegriffs wenig Sinn. Es ist an der Zeit, über diese begrenzenden Begrifflichkeiten hinauszudenken. Tatsächlich kann das Großunterfangen Europäische Union und die löblichen Friedensgrundsätze der Gründungsmütter und -väter nur im Geiste des Föderalismus bestehen. Nur dann, wenn das Supra4 in der irrtümlich zentralistischen (Selbst-) Wahrnehmung Brüssels einem internationalen Interesse weicht. Nur dann, wenn das anachronistische Souveränitätsdenken durch die gegenseitige Verantwortung ersetzt wird. Die gegenseitige föderale Verantwortung, ganz im Sinne des gemeinsam unterschriebenen Art. I-2 des Vertrags über eine Verfassung für Europa die eigentlichen konstitutionellen Werte Europas zu wahren: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenrechte, geschlechtliche Parität, Pluralismus und viele mehr.

Das Verhängnis von Nationalstaaten und Identität Einen ähnlichen, obgleich etwas anderen Entwicklungsweg beschreitet der Mythos des Nationalstaates in der jüngeren Neuzeit. Seinen Anfang fand er in der Hinrichtung von Ludwig XVI und entstand als metaphysische Antwort auf das Wegbrechen des absolutistischen Machtmodels. Nunmehr sollte Rousseaus Absolut des vagen, mystischen Volkswillens (volonté générale) die Legitimation von Gesetzen, Rechten, und Machtverteilungen übernehmen. Vor allem im 19. Jahrhundert schloss sich diesem neuen Absolut eine starke identitäre Komponente an, als sich Volksaufstände in ganz Europa gegen die Reaktion des Ancien Régime5 erhoben. Die Welt erlebte nach und nach die Geburt des Völkisch-Nationalen als mystifiziertes Metakonstrukt, das keineswegs mit dem poltisch-kulturellen Gemeinwesen oder der Bevölkerung innerhalb der administrativen Grenzen eines Landes verwechseln werden sollte. Nein, es handelt sich hier freilich nur um eine poetische Erfindung, welche im 20. Jahrhundert zusätzlich zu ihrer intrinsischen Romantik eine fatale Überrationalisierung erfährt. Infolgedessen wird das mystische Narrativ der Nation durch das tödliche Räsonnement ethnischer Homogenität ergänzt, gepaart mit abstrusen und sinnentfremdeten Begriffen aus der Biologie. Die Gesundheit der Nation liege demnach in ihrer ethnischen Sauberkeit. Allerdings hat keines dieser Wörter an sich und für sich genommen außerhalb der nationalen Mythologie eine Bedeutung. Die homogene Nation und das Volk sind und bleiben projizierte Nichtorte ohne reellen Gegenstand. Fürwahr tragische Bedeutung erlangt hingegen der starke Hang zu Terror und Totalisierung. Denn nationale Mystik und ideologische Überrationalisierung münden früher oder später in ein wohlbekanntes Trauerspiel: Bürger*innen verschmelzen zum Volk, das Volk zu einer Masse und die Masse marschiert. Der einzelne Mensch ist im so begründeten Nationalstaat unbedeutend, inexistent. Es gibt nur noch Deutsche, Franzosen, Russen … Der Begriff der Identität sollte in diesem Kontext nicht weniger kritisch beäugt werden: Was ist Identität, wenn nicht ein SichAbgrenzen vom Anderen? Bereits in ihren frühsten Stunden definierte sich die „Grande Nation unie et indivisible“ durch den Kampf gegen die Feinde der Nation von außen. Rousseau ging jedoch noch weiter und sprach von der inneren Entsprechung des äußeren Feindes: der „âme déchirée“. Jedes Subjekt der Nation trage in Form des eigenen, dem Volkswillen widerstrebenden Willens einen inneren Feind. Diesen gelte es zu bekämpfen, damit die Nation bestehen könne. Unter Berücksichtigung der genannten Eigenschaften des Nationalstaates ist es nicht im geringsten verwunderlich, dass nach

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zwei Weltkriegen und Millionen von Toten das Konzept in scharfe Kritik geriet. Genau in diesem Klima der aufsprießenden internationalen Organisationen beschritten BRD und Westeuropa den Pfad aus dem nationalstaatlichen Debakel in den Föderalismus und dies keineswegs aus Alternativlosigkeit. In Wirklichkeit gewährleistet eine föderale Ordnung eine inhärente Rechtsstaatlichkeit. Darüber hinaus garantiert sie Schutz von Minderheiten, bewahrt die vier Freiheiten6 und sichert die Demokratie anstelle von Mehrheitsherrschaft. Viel wichtiger dennoch ist, dass die Idee der Föderation für sich genommen einen probaten Lösungsansatz liefert, um das nationalistischen Absolut7 in Schach zu halten. Der permanente horizontale Machtdiskurs zwischen den Föderaten und der föderalen Regierung soll den Staat entmystifizieren. Dementsprechend soll die Fixation auf politisch ethnische Homogenität und innere bzw. äußere Staatsfeinde pluralistisch gebannt werden. In diesem postnationalen Raum wird die politische Identität der Staatsbürger*innen verdoppelt und dadurch auch wieder relativiert. Denn sie sind Bürger*innen der Föderation und gleichzeitig Bürger*innen des Bundesstaates. Die daraus rührende doppelte Loyalität wirkt effektiv einer Einschmelzung der staatsbürgerlichen Identität in ein entfesseltes Absolut entgegen. Zentralisierung oder gar Totalisierung werden wehrhaft durch „checks and balances“ auf jeder Instanz begegnet. So entsteht auch keine supranationale Zentralregierung mit kriegerischer Gewaltintention. Vielmehr wird im Falle der EU beispielsweise versucht Krieg durch Integration unmöglich zu machen. In den letzten Jahren ist diese Taktik jedoch im Falle der Osterweiterung an ihre Grenzen gestoßen. Im Osten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Satellitenstaaten der Sowjetunion nicht vom postnationalistischen Geiste des Föderalismus erfasst. Ganz im Gegenteil: alles wurde zentralisiert auf Moskau; Stalins Totalitarismus wütete noch Jahre weiter. Besonders mit den letzten Atemzügen der kommunistischen Staatssysteme beschworen die Parteieliten außerdem bereitwillig die alten Geister des Nationalismus herauf – „das Gespenst des internationalen Kommunismus“ war lange tot. Länder wie die DDR, Rumänien, Ungarn und Polen erlebten überdies unsanfte Übergänge zur Demokratie und tragen weiterhin schwere historische Koffer voller Unterdrückung und negiertem Nationalismus – zumeist nicht aufgearbeitet. Noch heute sitzen Nationalstaatlichkeit, vertikale Machtstrukturen und Volksnationalität tief im Selbstverständnis dieser Staaten. Diese Elemente stellen ein erhebliches destabilisierendes Moment innerhalb einer auf postnational demokratischem Gedankengut gründenden föderalen Ordnung dar und verlangen nach einem gesonderten Text.

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Aktuelles Fazit und ein Blick in die Zukunft Im aktuellen Strom von scheinbar endlos aufeinanderfolgenden Krisensituationen mag die Europäische Union häufig als statisches, unvollendetes „Baugerüst“ aus wirtschaftlichen Normen erscheinen; und zwar Normen im Dienste eines flagranten Neoliberalismus, der immer wieder droht, die Möglichkeiten echter föderalistischer Solidarität zu untergraben. Parallel dazu kämpfen Neonationalisten an allen Fronten um eine Rückkehr zur Verehrungen leerer Absolute in Gestalt des Völkisch-Nationalen. Dem sollten wir immer das staatsphilosophische Fundament der EU-Gründung entgegenhalten und nicht resignieren angesichts sperriger Institutionen oder festgefahrener Bürokratie. Es ist äußerst wichtig, in den laufenden Diskursen als europäische Staatsbürger*innen Partei zu ergreifen. Denn, wie wir gesehen haben, beschwört die bloße Existenz der EU die hitzigsten Diskurse unserer Zeit herauf: Was bedeutet Identität in Zeiten der Globalisierung? Wie sieht Postnationalstaatlichkeit aus? Was hält man Machtpolitikern entgegen, die den Souveränitätsbegriff instrumentalisieren? Wie können Symmetrie und Horizontalität in einem föderalen System sichergestellt werden? In keinem Fall sollte die EU auf Brüssel oder die EZB reduziert werden. Es liegt an uns doppelt loyalen Staatsbürger*innen, gegen die nahezu tyrannischen8 Machtvertikalen zweckloser Bürokratie in der EU vorzugehen und stattdessen aktive Schritte hin zu einer horizontal organisierten Föderation zu unternehmen. Dies richtet sich im besonderen Maße an uns, Bürger*innen der BRD, die wir gerne den Status Quo beteuern und die Freiheiten innerhalb der Union als selbstverständlich ansehen. Die europäische Union ist ein föderalistisches Mobile, hier gibt es keinen stabilen Status Quo, nur Scheidewege, dynamische Diskurse und einen schmalen Grat zwischen Krieg und Frieden.

Fußnoten 1 Föderaten: Überbegriff für die Entitäten, die sich in der föderalen Ordnung zusammenschließen, z. B. Bundesstaaten in den USA oder Bundesländer in der BRD. 2 Westfälisches Prinzip: Ein System von nach innen und außen souveräner Nationalstaaten, das nach dem Dreißigjährigen Krieg entstand. Im eigentlichen Sinne umfasst es drei Prinzipien: Souveränitätsprinzip – jeder Staat ist souverän. Der Menge der Staaten ist keine Instanz übergeordnet; unter ihnen herrscht das Prinzip der Selbsthilfe bzw. Anarchie. Territorialprinzip: Die Staaten haben klare territoriale Grenzen, in denen sie das Gewaltmonopol haben. Legalitätsprinzip: Die Staaten sind untereinander gleichberechtigt, Krieg als Mittel zur Durchsetzung der Interessen eines Staates gilt als legitim. 3 Das Absolut: ein Begriff, der den außerweltlichen Raum jenseits des menschlichen Erkenntnisvermögens benennt, sich ipso facto selbst legitimiert und als Legitimation für weltliches Geschehen herangezogen wird. Im Grunde hat das Absolute per definitionem keinen für Menschen


greifbaren Inhalt. Vielmehr dient es seit als ein metaphysischer Nichtort der Projektion weltlicher Wunschäußerungen. 4 Das Supra: Ein Präfix, der übergeordnete vertikale Autorität suggeriert und in der Horizontalität einer föderalen Machtorganisation fehl am Platz ist.

of power can be exerted. Bureaucracy is the form of government in which everybody is deprived of political freedom, of the power to act; for the rule by Nobody is not no-rule, and where all are equally powerless, we have a tyranny without a tyrant.” Hannah Arendt, On Violence (1970)

5 Ancien Regime: ursprünglich die (absolut-) monarchische Herrschaftsordnung in Frankreich vom Spätmittelalter bis zur Revolution. Spätestens nach der Niederlage Napoleons ferner auch ähnlich gesinnte politische Systeme Europas, die im Wiener Kongress von 1814 die postnapoleonische Restauration und Reaktion einläuteten.

Der Autor

6 Den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. 7 Siehe auch die Diskrepanz von pouvoir constitué und pouvoir constituant in Abbé Sieyès’ Werk Qu’est-ce que le tiers état? (dt. Was ist der Dritte Stand?) und in diesem Zusammenhang Hannah Arendts Schilderung der Absolut-Problematik in On revolution (dt. Über die Revolution)

Alexej Silenko, 7. Semester Humanmedizin, Universität des Saarlandes.

8 “In a fully developed bureaucracy there is nobody left with whom one can argue, to whom one can present grievances, on whom the pressures

Glücksfall mit Geburtsfehlern Die Geschichte der IPPNW

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ie Gründung der IPPNW ist ein Glück – und doch hat sie ein paar vielleicht unvermeidliche Geburtsfehler. Wie kommt das? Eine globale Föderation zu gründen, die sich aus einzelnen nationalen Organisationen zusammensetzt und nicht einfach Ableger einer internationalen Zentralorganisation ist, zieht bestimmte Konsequenzen nach sich. Die Vorteile waren: In vielen Ländern der Welt hat oder hatte IPPNW Kontakte in die politischen Eliten. Bernard Lown behandelte in den USA als Kardiologe die politische Elite Washingtons. Sein sowjetischer ärztlicher Gegenpart Prof. Evgeni Tschasov war Leibarzt von Staatssekretär Leonid Breschnew und später Gesundheitsminister unter Präsident Gorbatschow. Ähnliche Geschichten prominenter vor allem Gründungsväter (leider selten -mütter) lassen sich in anderen Ländern finden. Dies war insofern alternativlos, als dass eine Gründung einer basisdemokratischen Nichtregierungsorganisation „von unten“ in vielen Ländern kaum oder gar nicht möglich gewesen wäre. Der heute in der Nähe von Boston lebende Lown, 1921 als Jude in Litauen geboren, emigrierte noch vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in die USA, wo er zu einem der bedeutendsten Kardiologen der Medizingeschichte in Harvard avancierte. Ich hatte selbst das Glück, Lown in jüngeren Jahren kennenzulernen. Seine

faszinierende Lebensgeschichte als brillanter Forscher, emphatischer Arzt und aufrechter Bürger, der für seine Überzeugung unter anderem als Gegner der Rassentrennung in den USA auch persönliche Nachteile in Kauf nahm, lässt sich in Bernard Lown „Die verlorene Kunst zu heilen“ nachlesen. Lown hatte es abgelehnt, Blutkonserven von weißen und farbigen Blutspendern zu trennen und wurde dafür sogar entlassen. Sein Buch sollte jede*r Medizinstudierende gelesen haben. Lown hatte eine Ausstrahlungs- und Überzeugungskraft, die einen auf geradezu einzigartige Weise in seinen Bann ziehen konnte. Für viele, mich eingeschlossen, bedeutete dies eine Erfahrung, die das ganze Leben verändert und geprägt hat. Seiner Überzeugung- und Durchsetzungskraft, gemeinsam mit einer wichtigen Zahl gleichgesinnter Kolleginnen und Kollegen, war es zu verdanken, dass auch Michael Gorbatschow sich in der persönlichen Begegnung mit IPPNWler*innen ihrem Abrüstungsansinnen nicht verschließen konnte. Wir haben guten Grund anzunehmen, dass die IPPNW-Aktivitäten das Denken und Handeln der Großmächte beeinflusst hat. Der Friedensnobelpreis ist der IPPNW 1985 dafür verliehen wurden. Auch in den beiden deutschen Staaten wurde die IPPNW gegründet. Viele waren daran beteiligt. Exemplarisch seien für die Bundesrepublik der Frankfurter Internist Prof. Ulrich Gottstein

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und der Psychoanalytiker Prof. Horst-Eberhard Richter genannt sowie Michael Roelen als Geschäftsführer und seine Frau Barbara Hoevener. Die Geschichte der bundesdeutschen IPPNW war immer geprägt durch eine autoritätskritische und basisdemokratische medizinische Bürgerbewegung. Für die bundesrepublikanische IPPNW war aufgrund unseres ärztlichen Ethos Dialog mit Politik, Militär und Diplomatie Grundlage der „politisch-humanitären“ Arbeit, aber – wenn nötig – auch scharfe Kritik am Tun dieser Akteure. Die IPPNW in der Bundesrepublik hat kurz gesagt das Selbstverständnis: Aus humanitärer und ärztlicher Berufung mit den Entscheidungsträger*innen der Politik reden, um politische Entscheidungen zu verändern. Kompetenz und Dialogfähigkeit haben der IPPNW immer wieder Türen geöffnet – und wir sind natürlich besonders glücklich, dass die Initiative und Gründung einer internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) 2017 zu einem weiteren Friedensnobelpreis geführt hat. Auf Initiative von IPPNW und ICAN gelang es, einen UN-Vertrag über ein internationales Atomwaffenverbot zu erreichen, der im Januar 2021 nun endgültig in Kraft tritt. An allen diesen Erfolgen und Aktivitäten waren immer auch Studierende beteiligt. Viele, die heute in leitenden Funktionen im Verein sind, sind ehemalige aktive IPPNW-Studierende. Es ist ein Glückstreffer für den Verein, dass von Anfang versucht wurde, Studierende in die Arbeit einzubinden. Für beide Seiten war das interessant. Die IPPNW hat immer wieder „junge“ Impulse, Kreativität und Engagement erhalten, während die Studierenden weltweit spannende politische Erfahrungen machen konnten. Wie aber war es in der DDR? Die DDR-IPPNW war eine Kopfgeburt von oben, die in staatsnaher enger Kooperation mit der SED und am Ende mit Einverständnis der UdSSR erfolgte. Anders hätte die Gründung einer IPPNW-Sektion in der DDR-Diktatur vermutlich nicht erfolgen können. Die staatstreue DDR-IPPNW hat gern eingestimmt in die allgemeine Friedensrhetorik der SED. Eine regierungskritische Vereinspolitik im eigenen Land und echte Partizipation einer demokratisch organisierten Mitgliedschaft war nicht vorgesehen. So wirken die Zahlen angeblich Zehntausender Unterstützerinnen und Unterstützer für atomare Abrüstung beeindruckend und etwas schal zugleich. Diesen Zwiespalt hat die internationale IPPNW auch anderswo aushalten müssen. Dennoch blieb die Idee genial, eine Brücke über politische Unterschiede hinweg zu schaffen, um ins politische Gespräch zu kommen. So wurde die Grundlage für eine zivilgesellschaftliche Bewegung von Menschen aus dem Gesundheitswesen geschaffen, um die globale atomare Bedrohung abzuwenden. Zu Hochzeiten des Kalten Krieges diskutierten beispielsweise Ärztinnen und Ärzte im „Prime-Time-TV“ in der Sowjetunion über

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Friedensfragen. Wir haben ähnliche Aktionen über die Jahre fortgesetzt in anderen Zusammenhängen. Ich selbst war u. a. beteiligt bei der NATO, im Pentagon und US-Kongress oder in Nordkorea. Die DDR-IPPNW hat sich eher als Organ des SED-Staates gesehen und nicht genug Mut gehabt, notwendige regierungskritische Arbeit zu betreiben. Man hätte sich aufgrund der Regierungsnähe vorstellen können: Aus der Basis werden progressive Ideen nach oben getragen und in die Debatte der politischen Entscheidungsgremien eingeführt. Aber in der DDR wurde engagierten und demokratisch Aktiven der Zutritt in die DDR-IPPNW verwehrt und deren Arbeit behindert. Erst auf Druck von außen, unter anderem aus der niederländischen IPPNW, wurde eine Einzelmitgliedschaft ermöglicht. Dennoch blieb die Teilnahme an internationalen IPPNW-Veranstaltungen nur einem privilegierten Kreis vorbehalten. Erst nach der Wende entstand in der DDR-IPPNW ein nachhaltiger Demokratisierungsprozess. Eine kleinere Zahl von Medizinerinnen und Medizinern bekannte sich weiter zur nun gesamtdeutschen IPPNW. Aus dem Kreis ärztlicher DDR-Opposition engagierten sich fortan Menschen wie das Berliner Ärzteehepaar Seidel, das Ehepaar Misselwitz aus Jena, Jens Reich oder der Ilmenauer Anästhesist Helmut Krause ungehindert in der gesamtdeutschen IPPNW. Es gibt sicher viele andere, die Erwähnung verdient hätten. Diejenigen aber, an deren Revers die „offiziellen DDR-Orden“ baumelten, gehören wohl eher nicht nach oben auf diese Liste. Auch hier mag es bei einigen guten Willen gegeben haben – darüber mag und kann ich gar nicht richten – aber strukturell haben Repräsentant*innen der DDR-IPPNW das System mitgetragen. Dieses System bestand „nur aus Lüge und Heuchelei und Angst“, wie es der Sondershäuser Pastor und Regime-Kritiker Jürgen Hauskeller anlässlich der Feierlichkeiten zu „30-JahrenFall-der-Mauer“ nannte. Auch 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sind bei vielen, die unter dem SED-Terror leiden mussten, die Wunden nicht verheilt. Und dennoch ist es richtig und wichtig, sich der eigenen Geschichte auch innerhalb unserer Organisation in geeigneter Weise zu stellen. Allerdings kann dabei die DDR-IPPNWGeschichte nicht „weichgespült“ werden. Für die DDR gilt: Die Menschen der DDR haben in einer friedlichen Revolution ein diktatorisches System abgeschafft und einen wichtigen Friedensbeitrag für Europa und die Welt geleistet. Zu dieser großartigen historischen Leistung haben auch ärztliche IPPNW-Kolleginnen und Kollegen an wichtiger Stelle beigetragen. Leider ist dies nicht so sehr innerhalb sondern vor allem außerhalb der offiziellen DDR-IPPNW erfolgt.


IPPNW-Gründer Dr. Bernard Lown, USA (l.) und Evgenij Chazov, UdSSR (r.) 1985 bei der Friedensnobelpreisverleihung an die IPPNW.

Der Westen muss sich vorwerfen lassen, diese unglaubliche historische Gelegenheit zu einem substanziellen Wandel internationaler Beziehungen hin zu kollektiver Sicherheit und konsequenter Abrüstung verpasst zu haben. Vor allem die USA präsentieren sich bis heute als „Sieger des Kalten Krieges“ und lenken somit wie andere NATO-Staaten auch von den eignen Fehlern wie beispielsweise der ungebremst fortgesetzten unerträglichen Militarisierung und Aufrüstung ab. Dabei hatte der Kalte Krieg nur Verliererinnen und Verlierer. Welche intellektuellen und finanziellen Ressourcen sind in den vergangenen 30 Jahren vergeudet worden. Deshalb ist die mahnende Stimme von uns Aktiven der IPPNW wichtig und relevant. Es geht auch heute darum, in ganz unterschiedlichen politischen Kontexten internationale Kontakte zu denjenigen Studierenden, Kolleginnen und Kollegen herzustellen, die sich aufrichtig für Frieden, Gerechtigkeit und soziale Verantwortung einsetzen. Es ist ein harter Weg, der Kompromisse und Beharrlichkeit fordert, um Abrüstung und Frieden zu erreichen. Aber wer sich innerhalb der IPPNW aufmacht, wird wunderbare gleichgesinnte Menschen kennenlernen. Und wir haben bei all den Problemen der Welt nicht wenig erreicht. Lohnt die Anstrengung? Na klar, es geht ja schließlich um nichts weniger als um unser Überleben.

Zum Weiterlesen Lars Pohlmeier zu »  75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges: blog.ippnw.de/strick-mir-keine-neuen-socken »  30 Jahre Fall der Berliner Mauer: peaceandhealthblog.com/2019/10/03/a-bet

Weitere Anregungen »  Bernard Lown: „Die verlorene Kunst des Heilens“, Suhrkamp, 13 Euro. Was eine gute Ärztin oder einen guten Arzt ausmacht – und was auch die IPPNW damit zu tun hat. »  Mary Elise Sarotte: „1989 – The struggle to create post-cold war Europe.“ Warum wir die historische Chance einer internationalen Abrüstungs- und Sicherheitsarchitektur vergeben haben. Zum Thema DDR »  „Leitfiguren meiner Jugend“, Rede von Pastor Jürgen Hauskeller, Festakt 30 Jahre Fall der Mauer in Sondershausen/ Thüringen: youtu.be/XxOGsWpBEJ4 »  Ines Geipel: „Umkämpfte Zone“. Die erschütternde Lebensgeschichte der heutigen Rhetorik-Professorin, ehemaligen DDR-Spitzensportlerin, die ihre Leichtathletik-Weltmeistertitel wegen Dopings zurückgab, Tochter eines STASI-Agenten.

Der Autor

Dr. Lars Pohlmeier, Facharzt für Innere Medizin aus Bremen, seit der Studienzeit aktiv in der internationalen und deutschen IPPNW, Mitbegründer von ICAN und Namensgeber des AMATOM 1991.

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Ärztinnen und Ärzte für den Frieden Alternative Ärzte-Friedensgruppen in den 1980er-Jahren in der DDR

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m August 1982, also ein halbes Jahr nach Gründung der bundesdeutschen Sektion der IPPNW, wurde auf Beschluss des DDR-Ministerrates das Komitee „Ärzte der DDR zur Verhütung eines Nuklearkrieges“ gegründet. In das Komitee wurden circa 50 Ärzte und Wissenschaftler berufen, die von der staatlichen Einheitspartei nach Kriterien fachlicher Reputation und politischer Zuverlässigkeit ausgewählt worden waren. Partei und Regierung wollten damit demonstrieren, dass Frieden und Abrüstung in der DDR Staatsdoktrin waren, und stellten sich auf die Seite der im Westen von unten her entwickelten Friedens- und insbesondere Ärztebewegung zur Verhütung des Nuklearkrieges. Da die DDR jedoch ein autoritär verfasster Staat war, barg diese Konstruktion einen grundlegenden Konflikt. Dieser zeigte sich bereits darin, dass das staatsparteilich gebildete IPPNW-Komitee für die 46.000 Ärzte und Zahnärzte der DDR sprach, ohne vorher mit diesen zu gesprochen zu haben. Ein Informations-, Diskussions- und Abstimmungsprozess im Inneren der DDR war nicht vorgesehen, weil etwas Derartiges in der Vorstellungswelt der realkommunistisch sozialisierten Machthaber gar nicht enthalten war. Wenn Staat und Partei sowieso für den Frieden sind, was gibt es da noch zu diskutieren?

Alternativen zum staatsparteilichen Engagement Viele, insbesondere jüngere Ärzte in der DDR empörten sich jedoch gegen die zentralistische Einrichtung des Komitees, weil ihnen dieses als Repräsentanz der Staatsmacht ungefragt vorgesetzt wurde. Von diesen Ärztinnen und Ärzten in der DDR werde ich im Folgenden in der Wir-Form erzählen, weil ich zu ihnen gehörte. Wir fühlten uns der westlichen Friedensbewegung nahe und identifizierten uns mit deren Zielen, über die wir über Westradio und -Fernsehen und/oder durch persönliche Kontakte in die Bundesrepublik gut informiert waren. Das von der Staatsmacht installierte IPPNW-Komitee konnte für uns kein legitimer Vertreter der über Staats- und Blockgrenzen hinweg friedensbewegten Ärzte der DDR sein. Indem wir aktiv mitreden und uns als selbstbestimmte Individuen der internationalen Ärzteorganisation anschließen, also ohne SED-staatliche Kontrolle direkte Kontakte zu ärztlichen Kollegen im Westen aufnehmen wollten, stellten wir uns gegen den Alleinherrschaftsan­spruch der Staatspartei. Darauf hatten wir es nicht angelegt und anfangs war uns gar nicht klar, dass sich die politischen Machthaber durch unser Bemühen um aktive Teil-

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nahme an der internationalen Ärztebewegung derart provoziert fühlten, weil wir nicht in machtpolitischen Kategorien zu denken gewohnt waren. Aber es wurde uns bald schmerzhaft klar gemacht, dass wir in den Augen der Parteiführung die Machtfrage gestellt hatten, und dass dies aufgrund des Monopolanspruches der SED als staatsfeindliche Aktivität wahrgenommen wurde. Hinter dieser Wahrnehmung der Herrschenden stand die alte Klassenkampfideologie, der zufolge sich die politischen Systeme in Ost und West unversöhnlich gegenüberstanden: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Zur staatsparteilichen Konstruktion des Komitees der DDRIPPNW gehörte, dass es wie eine medizinisch-wissenschaftliche Gesellschaft unter staatspolitischer Kontrolle geführt wurde. Dies bedeutete, dass das soge­nannte „Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften“ bestimmte, wer darin in welcher Weise mitarbeiten durfte. Das General­se­kre­tariat als personalpolitische Steuerungs- und Kontrollzentrale gehörte zum DDR-Gesundheitsministerium. Vom Generalsekretariat wurden die Delegierten instruiert und verpflichtet, Berichte über die Kongressbesuche und alle Kontakte im Westen zu schreiben. Der mächtige Direktor des Generalsekretariats Lothar Rohland war SED-Berufsfunktionär, promovierter „Diplom-Gesellschaftswissenschaftler“ und zugleich mehrfach ausgezeichneter Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Nur wenn man um dieses Machtgeflecht von Staat, Einheitspartei und Staatssicherheitsdienst weiß, wie es in der Person des seinerzeit von Medizinern in der DDR gefürchteten „Dr. Rohland“ verkörpert war, durchschaut man die Doppelbödigkeit der offiziellen DDR-IPPNW-Vertretung.

Auf der Suche nach Frieden – Kooperation mit den Kirchen Weil eine individuelle Mitgliedschaft im IPPNW-Komitee der DDR nicht möglich war und wir uns nicht darauf beschränken lassen wollten, die vom DDR-IPPNW-Komitee vorgefassten Resolutionen zu unterzeichnen, hatten Ärzte und Ärztinnen und andere im Gesundheitswesen der DDR Beschäftigte an verschiedenen Orten begonnen, sich in halb privaten, halb kirchlichen Kreisen zu treffen, um ihre Sorgen um die Gefährdung des Lebens auf der Erde zu diskutieren und gemeinsam etwas zu tun. Als staatlich anerkannte Institution bot die Evangelische Kirche solchen Gruppen Schutz, so dass deren Versammlungen von staatlich-polizeilicher Seite nicht als illegale Zusammenrottung


kriminalisiert und verboten werden konnten, wie das ohne solchen Schutz vielfach geschehen war. Deshalb, aus Gründen der Gleichsinnigkeit und des Schutzes konstituierten sich die meisten IPPNW-Basisaktivitäten in der DDR im Rahmen der Evangelischen Kirche, obwohl viele Mitwirkenden weder Christen waren noch sein mussten. Als erste in der DDR hatten friedensbewegte Ärzte 1983 in Halle die Gruppe „Christliche Mediziner in sozialer Verantwortung“ gegründet. Der Name war bewusst an die amerikanische Vorläuferorganisation der IPPNW angelehnt, die „Physicians in Social Responsibility“. Der hallesche Arbeitskreis umfasste acht bis fünfzehn Ärzte und Psychologen, die sich von 1983 bis 1989 im Abstand von zwei Wochen bis drei Monaten meist in Privatwohnungen trafen. Ausgangspunkt des Ärztekreises waren staatlich verordnete Zivilschutzmaßnahmen, von deren Unsinnigkeit im Fall eines Nuklearwaffeneinsatzes die Ärzte wussten, und ihre antizipierte medizinische Hilflosigkeit in einer solchen Situation. Die Hallenser widmeten sich neben den klassischen IPPNWThemen bald auch vielen anderen gesellschaftlichen Problemen, für die sie als Ärzte Verantwortung empfanden. So beschäftigten sie sich in jahrelangen Diskussionsprozessen mit Fragen des Gewaltverzichts, den Möglichkeiten bzw. der Unmöglichkeit einer Wehrdienstverweigerung. Häufiges Thema war auch die gerade im Industrie-Ballungsraum Halle gesundheitsbelastende Umweltverschmutzung. Sinnvolle Forderungen für einen besseren Umweltschutz und gegen den Zwang zum Militärdienst mit der Waffe beantwortete der SED-Staat mit Härte und umfassender „operativer“ (gemeint war geheimpolizeilicher) Bearbeitung. Die Eingriffsmöglichkeiten der Stasi reichten „über IM in Schlüsselpositionen“ und „Partner des politisch-operativen Zusammenwirkens“ (Bezirksarzt, Bezirksschulrat, Bezirkskomitee Halle der DDR-Sektion der IPPNW, Prorektoren der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Rat der Stadt Halle, Räte der Kreise Merseburg und Wittenberg) weit in persönliche und berufliche Bereiche hinein. Um den Ärztekreis zu zerschlagen, wurden in den Stasi-Unterlagen z. B. die dienstliche Versetzung eines Arztes in einen anderen Bezirk, die Verzögerung einer Doktorarbeit, die Überhäufung eines Arztes mit Arbeit, um die Freizeit einzuschränken u. v. a. m. genannt. Hinzu kam die gezielte psychische Zermürbung, wobei Einzelne unter Ausnutzung menschlicher Schwächen erpresst, bloßgestellt, entwertet und in die Enge getrieben wurden, Gruppenmitglieder gegeneinander aufgebracht, durch Ausstreuen von Verdächtigungen Misstrauen gesät und die Solidarität in der Gruppe untergraben wurde. Tatsächlich siedelten Einzelne nach jahrelanger schikanöser Behandlung mittels Ausreiseanträgen schließlich in den Westen über.

Als zweite alternative Ärztegruppe der DDR unter dem Schutzdach der evangelischen Kirche konstituierten sich im Herbst 1984 in Ostberlin die „Ärzte für den Frieden“. Von Anfang an hatten sich die Ärzte für den Frieden um eine Kooperation mit dem staatlichen IPPNW-Komitee bemüht und ihre Mitarbeit angeboten, waren jedoch meist abweisend behandelt und/oder mit hinhaltenden Ausreden vertröstet, manchmal auch offenkundig belogen worden. Versuche, zu IPPNW-Kongressen ins Ausland zu fahren, wurden unter fadenscheinigen Vorwänden abgelehnt oder durch absichtliche Verzögerungen bei der Ausstellung der Reiseunterlagen verhindert. Dabei ging es keinesfalls nur um allgemein begehrte Reisen in den Westen. Zum fünften Weltkongress der IPPNW in Budapest 1985 beispielsweise konnte ein Mitglied der „Ärzte für den Frieden“ mit einem Touristenvisum reisen, zwei andere erhielten keine Reisegenehmigung. Ähnlich lief es bei späteren IPPNW-Kongressen. Die Erlebnisse der Ausnahme-Reisenden mit ihren politischen Aufpassern waren mitunter unangenehm und gelegentlich komisch: So bleibt Michael Büdke seine vom Generalsekretariat bzw. Komitee organisierte obligatorische Hotel-Unterbringung in Köln unvergesslich, erfolgte diese doch zusammen mit dem IPPNW-BezirkskomiteeVorsitzenden Professor Uwe Herter in einem Doppelzimmer mit Ehebett. Die Mitnahme einzelner Vertreter alternativer Ärztekreise waren dem Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften jeweils von westlichen IPPNW-Kollegen, die persönlich nachfragten, und/oder über diplomatische Kanäle der Kirche abgerungen worden. Hier erwies es sich als Vorteil, dass das DDR-Komitee als Teil der internationalen Organisa­tion Rücksichten nehmen musste auf die westlichen IPPNW-Mitglieder. Der Ausschluss der Basisärzte konnte daher – genau wie deren geheimpolizeiliche „Bearbeitung“ – nicht offen praktiziert werden.

Die 80er, Unterstützung und Umbruch Punktuell gelangen auch Gespräche und eine Zusammenarbeit der „Ärzte für den Frieden“ mit Vertretern des staatlichen Komitees. Denn letztere waren ja nicht identisch mit den politisch Verantwortlichen wie Lothar Rohland vom Generalsekretariat der medizinisch-wissenschaft­lichen Gesellschaften, sondern waren wie z. B. Christian Jenssen selbst Ärzte, denen die Erhaltung des Friedens am Herzen lag und die sich ehrenamtlich zur Arbeit im IPPNW-Komitee bereit erklärt hatten. Allerdings hatten diese Repräsentanten des Komitees – trotz ihres zum Teil erklärten guten Willens zu einer Öffnung für die Mit­arbeit der Ärzte für den Frieden – darüber gar nicht zu entscheiden. Wichtige Unterstützung kam für die Ärzte für den Frieden und ihre Gleichgesinnten in der DDR ab Mitte der 1980er-Jahre unverhofft auch aus der Sowjetunion, wo unter Michail Gorbatschow ein neues Denken zur Öffnung der verkrusteten gesellschaftlichen

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Foto: © Günter Zint

Physiker Sebastian Pflugbeil und Autor Michael Beleites

„Ärzte für den Frieden“ ging die Stasi noch Ende der 1980er-Jahre massiv gegen die Autoren der genannten Studien vor. Verhindern konnte die Geheimpolizei die Veröffentlichung der Studien und ihre aufklärerische Wirkung nicht.

Strukturen und zu weitreichenden Abrüstungsvorschlägen führte. Die sowjetische Politik von Glasnost und Perestroika führte zu einer allmählichen Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen den SED-Falken und den alternativen Friedensgruppen zu unseren Gunsten. Als besondere Leistungen der „Ärzte für den Frieden“ Ende der 1980er-Jahre möchte ich noch die Herausgabe von zwei Schriften hervorheben. Der Physiker Sebastian Pflugbeil setzte sich in einer Studie mit der Energiegewinnung der DDR auseinander, die auf der Basis von Braunkohle und Atomkraft erfolgte und deren gesundheitliche und ökologische Schäden er scharf kritisierte. Sensationell wirkte das Erscheinen der Studie „Die Pechblende“ im Juni 1988. Der junge Autor Michael Beleites hatte nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 begonnen, den von der Sowjetisch-Deutschen AG Wismut betriebenen Uranbergbau in Sachsen und Thüringen zu untersuchen, was ein politisches Tabu verletzte. Auf einer soliden Materialgrundlage wurden massive Gesundheitsschäden und verheerende Umweltbelastungen durch radioaktive Strahlung in den Uranbergbaugebieten aufgezeigt. Auch soziale Folgeschäden durch die fast kostenlose Abgabe großer Mengen hochprozentigen Alkohols wurden erwähnt und weitreichende Forderungen nach Information und Strahlenschutz der Bevölkerung sowie baldiger Einstellung des Uranbergbaus in der DDR gefordert. Wie gegen alle Aktivisten der

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Es war wohl in erster Linie dem Drängen westlicher IPPNWSektionen, vielleicht aber auch einem wachsenden Druck von der sowjetischen Seite infolge der Perestroika zu verdanken, dass das DDR-IPPNW-Komitee 1986 der jahrelangen Forderung der Basisärzte in der DDR nachkam und endlich eine individuelle Mitgliedschaft für alle daran interessierten Ärzte zuließ. Dies war der Auftakt für die Gründung einer starken IPPNWGruppe in Jena. Sie konnten sich offen und ungehindert als IPPNW-Gruppe treffen und brauchten keinen kirchlichen Schutz in An­spruch nehmen. Ermöglicht wurde dies nicht nur durch die endlich erteilte Erlaubnis zur individuellen Mitgliedschaft im DDR-IPPNW-Komitee, sondern auch durch den IPPNW-Bezirksvorsitzenden in Gera, der aufgeschlossen für diese Aktivitäten war und den für die Sache der IPPNW engagierten Ärzten freie Hand gegeben hat. Wahrscheinlich hatten die IPPNW-Gruppen in Jena und Gera umgekehrt gewisse diplomatische Rücksichten zu nehmen, um ihren Bezirksvorsitzenden nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Das hat sie jedoch nicht daran gehindert, auch von staatlicher Seite unerwünschte Themen wie das sowjetische Neue Denken und psychologisch-pädagogische Fragen individueller Friedensfähigkeit und Friedenserziehung auf die Tagesordnung zu setzen und die von der Stasi verteufelte Studie „Pechblende“ zu vervielfältigen. In Thüringen bildete sich Ende der 1980er-Jahre noch eine weitere Ärztegruppe, die infolge einer weniger gut als in Gera ge-


lungenen Kooperation mit dem IPPNW-Bezirkskomitee Erfurt wiederum das Schutzdach der Kirche suchte. 1987 gründete ich in Erfurt mit meiner nervenärztlichen Kollegin Kerstin Schön, dem Anästhesisten Helmut Krause, der Gynäkologin Ulrike Erhardt und dem praktischen Arzt Christoph Ziemer sowie einigen psychiatrischen Kolleginnen und Kollegen um Marlene Möller die Albert-Schweitzer-Aktion für den Frieden, die bis Ende 1988 aktiv war. Wir versammelten uns bis Ende 1988 regelmäßig in den Räumen der Evangelischen Stadtmission Erfurt. Unser Leitbild war die von Albert Schweitzer begründete Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben und seine bereits in den 1950er-Jahren an das Gewissen der Weltöffentlichkeit und der verantwortlichen Politiker appellierenden Warnungen vor den Gefahren der atomaren Aufrüstung. Wir setzten uns kritisch mit wachsenden Militarisierungstendenzen in der DDR auseinander und wiesen auf die bereits im Kindergarten vermittelte Verherrlichung der Grenzsoldaten, den als Pflichtfach in den Schulen eingeführten Wehrkundeunterricht, den unausweichlichen Druck auf männliche Abiturienten, sich als Offiziere auf Zeit zu verpflichten, die seit der Solidarnosc-Bewegung halboffiziell geschürten Ressentiments gegen Polen u. v .a. m. hin. Einige Frauen um Kerstin Schön nahmen eine systematische Analyse von Schulbüchern auf militaristische Inhalte vor. Anfang Juni 1989 fand eine erste überregionale Zusammenkunft der ärztlichen Basisgruppen und Einzelaktivisten aus der gesamten DDR statt unter dem Motto: „Ich weiß von der Schuld der Gleichgültigkeit – Ärzte in sozialer Verantwortung“ im evangelischen Stephanus-Stift in Berlin-Weißensee. Die Veranstaltung war deklariert als „Gemeinsame Tagung der Evangelischen Akademien Berlin – Greifswald – Magdeburg für Mitarbeiter aus medizinischen Berufen“. Ein greifbares Ergebnis der Tagung ist ein Brief, den wir an den Vorsitzenden der DDR-Sektion der IPPNW, Professor Moritz Mebel, geschrieben haben. Wir teilten mit, dass „wir die Strukturen unserer Sektion für verbesserungsbedürftig“ hielten und schlugen unter Berufung auf das Statut der IPPNW folgende Veränderungen vor: Erstens sollten die bisherigen IPPNW-Bezirkskomitees abgelöst werden. „Die Auswahl der Nachfolger wünschen wir uns als einen von der ärztlichen Basis her bestimmten Prozess im Sinne demokratischer Wahlen.“ Zweitens ging es um die demokratische Mitbestimmung bei der Auswahl der Delegierten zu internationalen Veranstaltungen der IPPNW. Drittens schien uns die Klärung der Frage der Finanzen dringend erforderlich: „Unsere Bewegung versteht sich als unabhängig von staatlichen Institutionen, politischen Parteien und Massenorganisationen. Wir möchten erneut unsere Bereitschaft zu regelmäßigen Beitragszahlungen zur Kenntnis geben […]“. Der Brief vom 3. Juni 1989 trägt die Unterschriften von 67 Ärztinnen und Ärzten, etwa zu gleichen Teilen Frauen und Männer, die aus Berlin, Brandenburg, Dresden, Erfurt, Görlitz, Gotha, Greifswald,

Greiz, Ilmenau, Jena, Halle, Leipzig, Lohmen, Meißen, Rostock, Schwerin, Sebnitz, Seelow, Stendal, Uchtspringe, Ueckermünde, Waltershausen, Weimar und Wittenberg gekommen waren. In diesem Brief, der wie manche andere unserer seit 1983 an Professor Mebel geschriebenen Briefe unbeantwortet blieb, wird bereits dieselbe Forderung erhoben, die Anfang September 1989 im Aufruf für ein „Neues Forum“ breite Bevölkerungsschichten der DDR aufrüttelte, weil sie einen wesentlichen Missstand auf den Punkt brachte: „In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“ Die Initiative beschrieb die schwere Krise und forderte einen „demokratischen Dialog über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft und Kultur. Über diese Fragen müssen wir in aller Öffentlichkeit, gemeinsam und im ganzen Land, nachdenken und mitein­ander reden.“ Von den 30 Erstunterzeichnenden des „Neuen Forum“ waren sieben (immerhin 23 Prozent) zuvor in bzw. im Umfeld der alternativen Ärztegruppen aktiv gewesen. Wie wir wissen, mündeten die Aufrufe des „Neuen Forum“ und anderer Initiativgruppen, die Empörung der Bürger gegen den vormundschaftlichen Staat, gegen den angemaßten Herrschaftsanspruch einer Partei, gegen die Unterdrückung der Presse-, Meinungs-, Reise- und Versammlungsfreiheit im Herbst 1989 in eine friedliche Revolution.

Nach dem Mauerfall Weil die meisten Ärztinnen und Ärzte aus den alternativen Friedensgruppen sehr aktiv an diesen revolutionären Umgestaltungsprozessen 1989–1990 in der DDR beteiligt waren, fand die erste DDR-weite IPPNW-Mitgliederversammlung mit freier Wahl eines neuen Vorstandes erst im Juni 1990 in der Charité (Berlin-Mitte) statt. Zu unserem neuen Vorsitzenden wählten wir Professor Jens Reich, der zu dieser Zeit auch Abgeordneter von BÜNDNIS 90 in der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR war. Neben anderen Satzungsänderungen wurde eine Änderung des Namens der Vereinigung beschlossen, die nun „Ärzte in sozialer Verantwortung – DDR-Sektion der IPPNW“ hieß. Bis zur Vereinigung der beiden deutschen IPPNW-Sektionen existierte die reformierte DDR-Sektion ein Dreivierteljahr. Das Sekretariat des alten Komitees der DDR-IPPNW in der Rhin­ straße fand der neue Vorstand leer, nachdem Heinrich Niemann (ehem. Geschäftsführer der DDR-Sektion der IPPNW, Anm. d. Red.) es gründlich „gesäubert“ hatte. Eine Übergabe fand nicht statt. Alle eingetragenen Mitglieder der IPPNW in der DDR wurden angeschrieben, über die Neuwahl des Vorstandes und die veränderte Satzung informiert. Sie wurden gebeten, bei Einverständnis mit den in der Satzung formulierten Zielen eine weitere Mitgliedschaft zu erklären. Von den circa 8.500 verschickten Briefen erhielt die Geschäftsführung 850 Rückantworten, davon

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Die Autorin Sonja Süß, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Berlin, Medizinstudium in Leipzig und Erfurt, Facharztausbildung in Psychiatrie und Neurologie in Thüringen und Erfurt.

400 Eintritte bzw. Bestätigungen der weiteren Mitgliedschaft in der IPPNW. Erst ein halbes Jahr nachdem die DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten war, schlossen sich im März 1991 im

Rahmen einer gesamtdeutschen Mitgliederversammlung der IPPNW in Kassel die beiden deutschen Sektionen zusammen. Die Vereinigung der beiden deutschen Sektionen der IPPNW verlief demokratischer als der staatliche Zusammenschluss, bei dem die DDR der unveränderten Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes beigetreten war. In der IPPNW fand ein fairer innerdeutscher Annäherungsprozess mit angemessener Vorbereitung der Vereinigung statt. Wir Ostdeutschen konnten unsere spezifischen Erfahrungen aus der DDR und dem konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in die gesamtdeutsche IPPNW einbringen, was auch seinen Ausdruck in der Annahme des Zusatztitels „Ärzte in sozialer Verantwortung“ für die gesamtdeutsche Sektion der IPPNW fand. Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung des Vortrags von Sonja Süß im September 2014 bei den Hubertusburger Friedensgesprächen. Dieser kann in voller Länge auf dem Amatom-Blog nachgelesen werden unter: https://wp.me/p8q4iM-a1

Aufrüstung stoppen, Atomkrieg verhüten Über die DDR-Sektion der IPPNW Wie ihr schon aus den anderen Artikeln unserer Ausgabe sehen könnt, gibt es nicht „die“ deutsch-deutsche Geschichte der IPPNW, sondern noch immer eine Vielzahl von Kontroversen und Sichtweisen auf das Thema. Um ein möglichst breites Bild davon wiederzugeben, wandten wir uns auch an Dr. Heinrich Niemann (Geschäftsführer der DDR-Sektion der IPPNW von 1986–1990) und fragten: Welche Rolle spielte die offizielle DDR-Sektion? Wie verstanden sich demgegenüber die oppositionellen ärztlichen Initiativen innerhalb der DDR? Wie verhielt sich die bundesdeutsche IPPNW diesen unterschiedlichen Gruppierungen gegenüber? Und wie wurde schließlich eine Vereinigung möglich? Wir möchten besser verstehen, wie diese komplexe Geschichte die deutsche IPPNW geprägt hat und diskutieren, was das für unser Selbstverständnis heute bedeutet.

S

o wie in den USA, der Sowjetunion und anderen Ländern erreichte die Initiative der amerikanischen und sowjetischen Ärzte mit Bernard Lown und Evgenij Chazov, auch Mediziner in der DDR, z. B. über internationale wissenschaftliche Kontakte, aber auch mit Anfragen aus Moskau an das Gesundheitsministerium der DDR.

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So nahmen einige Ärzte schon am zweiten Weltkongress der IPPNW in Cambridge teil. Im August 1982 wurde daraufhin entsprechend eines Vorschlags von Prof. Röding ein Komitee „Ärzte der DDR zur Verhütung des Nuklearkrieges“ gegründet. Es stützte sich anfangs vor allem auf die Medizinisch-Wissenschaftlichen Gesellschaften in der DDR. Die DDR-Sektion der IPPNW entstand so als siebte Europas und elfte in der Welt.


In der Bundesrepublik hatte sich im Mai 1982 die IPPNW-Sek­ tion gegründet, die sich auf anderem Wege etablierte. Das war sowieso von Land zu Land auch international unterschiedlich. Das Komitee der „Ärzte der DDR zur Verhütung des Nuklearkrieges“ wurde von dem international bekannten Biochemiker Prof. Samuel Mitja Rapoport geleitet, der vor den Nazis in die USA emigriert war, dort herausragende Ergebnisse in der Blutforschung so zur längeren Konservierung von Blutkonserven und zur Aufklärung einer Erkrankung in Japan leistete, wegen seiner politischen Gesinnung von McCarthy verfolgt wurde und schließlich in die DDR übersiedelte. Dort baute er in Berlin das im Krieg zerstörte Biochemische Institut der Humboldt-Universität wieder auf. 1984 übernahm Moritz Mebel den Vorsitz, ein bekannter Urologe und Nierentransplanteur. Mebel emigrierte mit seinen Eltern in die Sowjetunion und kämpfte als junger Offizier in der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland. Das Komitee konnte sich auf Traditionen des ärztlichen Widerstandes gegen den Krieg und gegen den Atomkrieg stützen. So wirkte in Leipzig Professor Felix Boenheim, der in der Weimarer Republik 1932 maßgeblich an der Gründung des „Internationalen Ärztekomitees für den Frieden“ beteiligt war und 1951 in Leipzig gemeinsam mit Fritz Gietzelt das „Leipziger Friedenskomitee der Ärzte“ gründete. Der Radiologe Gietzelt war als einziger deutscher Arzt Mitglied einer internationalen Ärztegruppe, die 1950 in Hiroshima die Folgen der Atombombenabwürfe untersuchte. Viele Ärzte in der DDR hatten z. B. die Stockholmer Appelle gegen den Atomkrieg in den 1950er Jahren unterschrieben. Entscheidend für uns war, die Forderungen und Ziele der IPPNW zu vertreten: Stopp dem nuklearen Wettrüsten, besonders dann der Atomtests und Aufzeigen der Folgen eines Nuklearkrieges. 1986 wurde die individuelle Mitgliedschaft eingeführt. Ende 1989 waren schließlich rund 8.000 Ärzte und Zahnärzte sowie etwa 800 Medizinstudenten Mitglied der IPPNW-Sektion. Viele Aktivitäten wurden entwickelt. So protestierte die DDR-Sektion auch gegen die sowjetischen Atomwaffenversuche, was schon eine Besonderheit für die DDR darstellte. In großen DDR-Zeitungen konnte der Wortlaut von Erklärungen der IPPNW abgedruckt werden. Die DDR-Sektion traf auf großes Interesse und Achtung in der DDR-Gesellschaft und entwickelte sich international zu einer der aktivsten Mitgliedssektionen. Davon zeugen auch die Einladungen zu Beiträgen auf den IPPNW-Weltkongressen und die Einschätzungen des IPPNW-

Central Office in Boston. Sie war 1989 Gastgeber des Treffens der Europäischen IPPNW-Vertreter in Potsdam und 1988 Gastgeber des internationalen wissenschaftlichen Symposiums über das „Schicksal der Medizin im Faschismus“ von sieben IPPNWSektionen in Erfurt und Weimar. Das Kongressprotokoll wurde in beiden Staaten als Buch veröffentlicht. An einem internationalen Treffen in der DDR-Regierung für Kernwaffenfreie Zonen nahmen IPPNW-Ärzte aus 16 Ländern (darunter Prof. HorstEberhard Richter und Prof. Ulrich Gottstein) teil, Bill Monning als US-amerikanischer Exekutivdirektor der IPPNW hielt einen Plenarbeitrag. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Sektionen war nicht einfach, entwickelte sich aber sachlich und konstruktiv. Bernard Lown setzte sich wiederholt für eine Zusammenarbeit besonders der beiden deutschen Sektionen ein. Es gab zwei oder drei offizielle Treffen zwischen den Vorständen, Gespräche am Rande von internationalen Konferenzen und Treffen, die Teilnahme von Vertretern der DDR-Sektion an Kongressen der BRDSektion. Ich könnte hier viele Namen aufzählen. Es wurden gemeinsame offene Briefe an die Regierungen der BRD und DDR mit den IPPNW-Forderungen gerichtet. Hervorzuheben sind die gemeinsame Organisation der „IPPNW-Konzerttour“ mit Beethovens Missa Solemnis, die von Westberlin über London, Moskau nach Dresden führte, und die gegenseitigen Besuche von IPPNW-Ärztegruppen Dresden/Stuttgart-Böblingen, München/ Karl-Marx-Stadt oder Frankfurt und Saarbrücken, auch im Rahmen von Städtepartnerschaften. Eine der zentralen Bedingungen dafür, dass diese blockübergreifende Organisation in der Zeit des kalten Krieges überhaupt entstehen konnte, war die Verabredung in der Satzung, aus beruflicher ärztlicher Verantwortung den Atomkrieg zu bekämpfen und dabei ideologische, politische, konfessionelle und dergleiche Unterschiede hintan zu stellen. Die IPPNW war international als „non partisan“ Organisation angetreten, nicht aber, um Partei zu ergreifen für dieses oder jenes Gesellschaftssystem. Chazov war ja z. B. auch sowjetischer Gesundheitsminister so wie Mebel Mitglied des ZK der SED war und IPPNW-Ärzte in anderen Ländern Parlamentsmandate wahrnahmen. Diese Idee hatte mich auch persönlich sehr inspiriert, für die IPPNW zu arbeiten. Dieser Grundsatz bildete auch die Basis für die Mitgliedschaft von Ärzten aus kirchlichen Friedensgruppen. Er wurde leider in den Zeiten der deutschen Vereinigung massiv verletzt, als viele Ärzte als IPPNW-Mitglieder entlang der politischen Linien Vorwürfen zu ihrer Arbeit für die DDR ausgesetzt wurden. Die in der bisherigen Geschichtsdarstellung der jetzigen IPPNW lückenhafte, fehlerhafte und vor allem prononciert geringschätzige Darstellung der Arbeit und Rolle der DDR-Sektion

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Der Autor

Dr. Heinrich Niemann, Geschäftsführer der DDR-Sektion der IPPNW von 1986–1990.

sehe ich auch als grobe Missachtung und unkollegiale Beurteilung der Arbeit von mindestens mehreren hundert Ärztinnen und Ärzten und Studenten der DDR für die Ziele der IPPNW, die nicht den kirchlichen Gruppen angehörten. Ihre Fragen zum Verhalten der bundesdeutschen IPPNW zu den „oppositionellen ärztlichen Initiativen“ kann ich nicht beantworten. Auch nicht zur späteren Vereinigung der beiden Sektionen. Der auf der Versammlung im Juni 1990 gewählte neue Vorstand der DDR-Sektion verzichtete auf meine Arbeit.

Diese ärztlichen Initiativen haben sich, was den Zeitraum meiner Tätigkeit seit 1986 betrifft, zumindest gegenüber dem Vorstand der DDR-Sektion der IPPNW sehr zurückhaltend verhalten. Über ihre sicher vorhandenen Kontakte zur bundesdeutschen IPPNW wurden wir von beiden Seiten nicht informiert. Entgegen manchen Behauptungen wurde die DDR-Sektion offiziell und schriftlich nicht angesprochen. Die Teilnahme kirchlicher Ärzte in den Delegationen zu den IPPNW-Weltkongressen wurde über die Evangelische Kirche in der DDR vereinbart. In einigen Bezirken fanden hingegen Gespräche und auch gemeinsame IPPNW-Aktivitäten mit einzelnen Vertretern statt. Die Friedensgruppen der Kirchen thematisierten neben dem Nuklearkrieg auch andere Themen, die auch offen kritisch gegen die DDR gerichtet waren. Die DDR-Sektion bezog sich jedoch auf das monothematische Hauptziel der IPPNW, wie es übrigens zahlreiche andere Sektionen auch taten. So war sie zwar akzeptiert als Antinuklearkriegsorganisation, aber sah sich nicht als Ansprechpartner für die anderen Themen der kirchlichen Gruppen. Zu Ihrer Betonung der „offiziellen“ DDR-Sektion der IPPNW kann ich nur feststellen, dass es nach meiner Kenntnis nur eine IPPNW-Sektion der DDR gegeben hat. Diese wurde 1984 vom International Council der IPPNW als Mitglied anerkannt und so auch in den Unterlagen bis hin zum finanziellen Mitgliedsbeitrag bis 1990 geführt.

Gendern im Amatom Sprache ist mächtig – der alltägliche Mix aus Tradition und Bequemlichkeit im Sprachgebrauch zementiert alte Wertvorstellungen und unbewusste Stereotypen! Wir als Amatom-Redaktion beanspruchen aber nicht DIE eine, richtige Antwort zum Gendern bzw. gendersensibler Sprache zu kennen. Unser Fazit für die Texte im Amatom ist deshalb: Regeln zum Gendern können nicht die passende Antwort auf ein so komplexes und formbares Konstrukt wie Sprache sein. Daher haben wir uns bewusst dagegen entschieden, einheitliche Standards in den im Amatom veröffentlichten Texten durchzusetzen. Was wir uns wünschen, ist ein Diskurs – kontrovers, kreativ und leidenschaftlich! Und einen bewussten, sensiblen Gebrauch von Sprache durch unsere Autor*innen.

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In dieser Ausgabe werdet Ihr verschiedene Ausdrucksformen genderbewusster Sprache lesen: In den Artikeln und Texten der Redaktionsmitglieder haben wir uns auf dem Asterisk geeinigt. Der Asterisk * (Sternchen) ist aus der Computersprache entlehnt und stellt einen Versuch dar, sämtliche Identifikationsformen und Lebensweisen im Spektrum von Trans* zu berücksichtigen, und damit auch die Personen einzubeziehen, die sich keinem definierten Konzept der Transgeschlechtlichkeit zugehörig fühlen. Die Artikel von externen Autor*innen haben wir in dieser Ausgabe jeweils so belassen, wie wir sie von den Autor*innen erhalten haben.


„Abweichende Meinungen müssen wir tolerieren“ Ein Interview mit Jens Reich Jens Reich ist Mediziner, Molekularbiologe und IPPNW-Mitglied. Im Juni 1990 wurde er zum Vorsitzenden der DDR-Sektion der IPPNW gewählt. Während der gewaltfreien Revolution in der DDR war er als parteiloser Bürgerrechtler im „Neuen Forum“ aktiv. 1990 war er einer der Sprecher der Fraktionsgemeinschaft von Bündnis 90 und der Grünen Partei in der frei gewählten Volkskammer der DDR (Bündnis 90/Die Grünen gab es damals noch nicht). 1994 war er von den mittlerweile mit Bündnis 90/Die Grünen fusionierten gesamtdeutschen Grünen nominierter Bundespräsidentenkandidat (auf Vorschlag der IPPNW). Er gehörte von 2008 bis 2012 dem Deutschen Ethikrat an, von 2001 an war er bereits Mitglied im Nationalen Ethikrat. Amatom: Ende der 80er, Anfang der 90er war ja politisch eine spannende Zeit. Welche Ereignisse waren für Dich damals besonders wichtig und sind deshalb in Deiner Erinnerung geblieben? Jens Reich: Gründung und politische Aktivität des Neuen Forum im Herbst 1989. Amatom: Im Juni 1990 wurdest Du auf der ersten Mitgliederversammlung zum Vorsitzenden der DDR-Sektion der IPPNW gewählt. Weshalb hattest Du gegen den renommierten Prof. Samuel Mitja Rapoport kandidiert? Reich: Die damalige Führung hatte die DDR-Sektion zu einem ausführenden Organ des Gesundheitsministeriums gemacht, ohne basisdemokratische Regeln. Das widersprach den Regeln in anderen Sektionen, zum Beispiel in der Bundesrepublik. Ich hatte nichts Persönliches gegen Prof. Rapoport. Er ist ein bedeutender Wissenschaftler. Ich war auch in wissenschaftlicher Kooperation mit seinem Sohn und anderen Mitarbeitern. Aber die Mehrheit der Mitglieder stimmte eben auch in der IPPNWSektion der DDR wie im ganzen Lande für eine Befreiung von der autoritären Vorgehensweise. Amatom: Wie arbeitete die DDR-Sektion der IPPNW vor der Wende, insbesondere zu Zeiten des Kalten Krieges? Reich: Gegen die Opposition jüngerer Mitglieder hatte die Sektion sich zu einem politischen Instrument der Staatsmacht gemacht. Sie wollte die internationale Vernetzung in der IPPNW kontrollieren.

Amatom: Dr. Heinrich Niemann schrieb in der letzten Ausgabe des Forums „ippnw intern“, die Leistungen der DDR-Sektion würden in den derzeitigen Veröffentlichungen „verkürzt, einseitig und fehlerhaft“ dargestellt. Er konstatierte: „In der DDR-Sektion engagierten sich zahlreiche (sicher mehrere Hundert) Ärztinnen, Ärzte und Student*innen für die Ziele der IPPNW, obwohl sie nicht zu kirchlichen bzw. systemkritischen Gruppen gehörten“. Hast du eine Idee, wie wir mit dieser Spannung innerhalb der IPPNW besser umgehen können?

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Reich: Na ja, abweichende Meinungen müssen wir tolerieren. Amatom: Sergej Kolesnikov, Mitglied der IPPNW Russland, meinte im Interview mit uns, viele Menschen in Russland hätten das Gefühl, ihr Land werde dämonisiert und müsse sich gegen die Bedrohungen insbesondere von Seiten der NATO verteidigen. Das klang für uns, als wäre eine Menge des Gedankengutes des Kalten Krieges noch auf beunruhigende Weise aktuell. Wie hast du die Entwicklung der Ost-West-Beziehungen seit den 90er Jahren wahrgenommen, sowohl auf IPPNW-, als auch auf allgemeinpolitischer Ebene?

Reich: Seine Meinung in Ehren, und ich sehe auch, dass Russland sich eingekreist wähnt. Aber er erwähnt nicht, dass Russland selbst militärisch aggressiv geworden ist – Georgien, Ukraine, Syrien. Mit einer militärischen Besetzung solchen Typs (Afghanistan) hat die Sowjetunion zum Beginn der 80er Jahre ihren letztendlichen Kollaps vorprogrammiert. So kann man dem Frieden nicht näher kommen. Amatom: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten

Gesa Baum, Studium der Humanmedizin, Oldenburg. Ewald Feige, IPPNWGeschäftstelle.

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Das Redaktionsteam:

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DU?


Die IPPNW in Russland Ein Gespräch mit Sergej Kolesnikov

Die Basilius-Kathedrale am Roten Platz in Moskau, Russland. Bild: Bearbeitete Version des Orignals von A. Savin (Wikimedia Commons/WikiPhotoSpace), CC BY-SA 3.0

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Jahre deutsche Wiedervereinigung – Grund genug, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen, auch die der IPPNW, die so eng mit dem Kalten Krieg verknüpft ist. Wie begann das gleich noch mal? Wenn man diese Frage stellt, fallen immer sofort zwei Namen: Bernard Lown und Evgenij Chazov, ein amerikanischer und ein russischer Kardiologe, die sich 1980 in Genf trafen, um die Gründung einer Organisation von Ärzt*innen zu besprechen, die sich für die Verhütung eines Atomkriegs einsetzen sollte. Ein Wunder: Dass diese beiden Menschen, geprägt von gegensätzlichsten politischen Ideologien, in ihrer gemeinsamen Profession doch eine Basis fanden, um für ein gemeinsames, höheres Gut zu kämpfen: Die Abwendung der Bedrohung der gesamten Menschheit durch Atomwaffen. Für dieses Aufeinander-Zugehen trotz aller Widerstände bekam die IPPNW 1985 den Friedensnobelpreis. Ende gut, alles gut? Halt, da fehlt doch noch was! Was geschah eigentlich nach dem Kalten Krieg? Dass die amerikanische Sektion „Physicians for Social Responsibility“ weiterhin eine der größten ist, wissen viele. Aber was passierte mit der IPPNW in den Ländern des ehemaligen Ostblocks? Diese Frage beschäftigte mich, seit ich im letzten Jahr ein Krankenhauspraktikum in Wladimir, Russland,

absolvierte. Dort schien die IPPNW nahezu unbekannt zu sein … Umso mehr freute ich mich, als sich im Frühjahr diesen Jahres Sergej Kolesnikov, der ehemalige Vize-Präsident der IPPNW und noch stets aktives Mitglied der russischen Sektion, zu einem Skype-Gespräch mit mir bereit erklärte. Vorweg sei bemerkt: Natürlich ist seine Sicht der Dinge nicht repräsentativ für alle Sektionen der ehemaligen Ostblock-Länder. Aber das Gespräch mit ihm hat mir klargemacht, was für diverse Perspektiven wir innerhalb der IPPNW noch immer haben, dass unsere Sichtweisen auf die Welt weiter unterschiedlich und oft kontrovers sind – und dass wir gerade deswegen umso mehr den Dialog suchen sollten. Aber von vorne: Die IPPNW in den Ländern des Ostblocks wurde von Beginn an von staatlicher Seite unterstützt und gefördert, das sowjetische Gesundheitsministerium stellte Mittel bereit und die IPPNW war auch personell eng verknüpft mit der Regierung – so wurde Evgenij Chazov als berühmtes Beispiel später sowjetischer Gesundheitsminister. Diese Aufstellung führte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu einer großen finanziellen, aber auch ideologischen Krise:

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Sergej Kolesnikov: „Zu dem Zeitpunkt, als die Sowjetunion auseinanderbrach, gab es Mitgliedsorganisationen der IPPNW in allen 15 Mitgliedsländern der Sowjetunion, sowie in den Mitgliedsländern des Warschauer Paktes. Nachdem die Sowjetunion verschwunden war, schlussfolgerten viele, dass der Kalte Krieg nun vorüber sei und dass man daher unserer Bewegung keine Aufmerksamkeit mehr schenken müsse. Daher hörte 1991 auch die Unterstützung durch die russische Regierung auf. […] Da die staatlichen Unterstützungen auch in den anderen ehemaligen Mitgliedsländern der Sowjetunion und des Warschauer Pakts wegfielen, fiel die Bewegung in den meisten dieser Länder in sich zusammen, verschwand einfach so. Weil die Menschen genug damit zu tun hatten, ihr eigenes Leben zu retten: Sie versuchten, Arbeit zu finden und gesellschaftliches Engagement brauchte niemand mehr, so ohne Unterstützung. Diese Situation besteht auch heute noch in ähnlicher Weise in den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks fort. Viele sehen die IPPNW als Überbleibsel der kommunistischen Staatsordnung an, weil sie durch die sowjetische Regierung gestützt wurde. Deswegen meinen sie, man solle nicht mitmachen, das Ganze vergessen. Unabhängig von der Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit von Atomwaffen meinen sie, ihre Länder sollten sich der NATO anschließen und damit auch der Meinung, dass Atomwaffen sie schützen können vor dem ‚schrecklichen, giftigen Russland‘ “. Was im letzten Satz dieses Zitats schon anklingt, erwies sich während unseres Gesprächs als prägender Teil der Selbstwahrnehmung vieler Russ*innen laut Sergej Kolesnikov: Das Gefühl, im Westen ungerechtfertigterweise weiterhin als „Macht des Bösen“ dämonisiert und durch die NATO drangsaliert zu werden. Diese Wahrnehmung prägt auch die Rolle der IPPNW in Russland: Kolesnikov: „Die Bevölkerung findet, dass das aggressive Handeln des Westens es nicht erlaubt, über Maßnahmen zur atomaren Abrüstung nachzudenken. Das ist offensichtlich, verständlich. Aber ich erzählte Ihnen ja schon über die NATO, diese geschilderte Situation setzt sich weiter so fort. Also darum ist die Friedensbewegung in unserem Land leider nicht sehr populär, Pazifismus wird unserem Land nicht als patriotisch angesehen. Deswegen gibt es sehr wenige Anhänger dieser Sichtweise. Sie finden sich u. a. in Gruppen, die gegen die Regierung arbeiten, aber der Großteil der Bevölkerung unterstützt die Regierung. Und wir in unserer russischen Sektion der IPPNW sehen uns selber nicht als Pazifisten. Wir sind Patrioten, die Sicherheit für ihr Land möchten und darum treten wir dafür ein, dass Atomwaffen früher oder später verschwinden. Also, wir sind keine Pazifisten – wir sind Patrioten, wir sind für unser Land, aber gegen Atomwaffen“.

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Gesa Baum im Skype-Gespräch mit Sergej Kolesnikov von der IPPNW Russland.

Ich war sehr erstaunt über diese Sichtweise – ich persönlich habe die IPPNW immer als Teil der Friedensbewegung und damit per se auch als pazifistisch verstanden. Dass Pazifismus einem bedrohlich erscheint, weil man das Gefühl hat, das eigene Land damit fremden Mächten freizugeben – dieser Gedanke ist mir fremd. Als ich Sergej Kolesnikov fragte, ob es nicht möglich sei, gleichzeitig Patriot und Pazifist zu sein, kamen wir ausgerechnet auf den dunkelsten Teil russisch-deutscher Geschichte zu sprechen. Kolesnikov: „Warum ist Russland immer ,Aggressor‘ genannt worden? Es ist ein sehr interessantes Konzept, ein leidendes Land Aggressor zu nennen. Dieses Konzept dominiert im Westen […] Mein Vater ist im Krieg von Stalingrad nach Berlin gegangen, er war Feldscher beim Militär. Ich weiß also über die Geschichte auch sehr gut Bescheid, in unserer Familie hat sich das auch gespiegelt. Darum ist das alles noch lebendig und wenn man sagt, Russland müsse sich nicht verteidigen, es bedrohe uns doch niemand, dann ist das leider nicht wahr, auch wenn wir gerne hätten, dass es so ist. Und es regt uns natürlich auf, wenn man versucht, die Geschichte genau andersherum darzustellen, wenn man also die Sowjetunion beschuldigt, in Europa eingefallen zu sein. Das ist Schwachsinn […] Aber wenn man das der ehemaligen sowjetischen, heutigen russischen Bevölkerung erzählt, so ruft das nichts außer Staunen hervor, Verärgerung nicht. Wenn ein Volk 27 Millionen Leben verloren hat, um das eigene Territorium zu verteidigen [...] als die sowjetische Armee dann darauf reagiert hat, hart reagiert hat darauf, dass sie Menschen auf unserem Territorium vernichtet haben, friedliche Menschen, nicht nur Streitkräfte, friedliche Menschen. Soll das etwa ein Zeichen der Humanität, der Zivilisation sein? Es ist nicht wichtig, ob das Kommunisten waren oder Baptisten oder Katholiken oder Orthodoxe. Für sie [das nationalsozialistische Heer, Anm. d. Red.] waren es Tiere, „Untermenschen“. Darum ist diese Erinnerung natürlich lebendig und das geht so weiter: Der Westen findet, die Russen seien Untermenschen. Mit denen man von oben herab


sprechen kann, denen gegenüber man sich Beleidigungen erlauben kann. Das ruft natürlich Verärgerung und Bedenken hervor, dass das sogar zu physischen Handlungen führen könnte, als ob wir Untermenschen für die westliche Welt wären.“ Auch wenn ich Sergej Kolesnikovs Einschätzungen definitiv nicht in jeder Hinsicht teilen kann, ging mir dieser Teil des Gesprächs sehr nahe. Mein eigener Großvater war als Soldat im Zweiten Weltkrieg in Russland. Ich lebte nach dem Abitur als Freiwillige der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ ein Jahr lang in Minsk und lernte erst dort nach und nach darüber, mit was für einem unvorstellbaren Ausmaß an Verachtung die nationalsozialistische Politik Menschen in Osteuropa behandelte. Dass diese Erfahrungen tiefe Spuren hinterlassen haben, darf eigentlich niemanden wundern. Vielleicht sollten wir uns daran heutzutage hin und wieder erinnern? Doch nun zurück zur aktuellen Arbeit der IPPNW in Russland. Auch wenn die IPPNW dort heutzutage eine NGO ist, bleibt der Draht zur Regierung anscheinend weiterhin sehr viel kürzer, als man es von der deutschen Sektion gewohnt ist: Kolesnikov: „Wir treffen uns z. B. regelmäßig mit Vertretern des Außenministeriums; dort gibt es einen Ausschuss, der sich mit Massenvernichtungswaffen beschäftigt und darin wiederum einen gesellschaftlichen Beirat. In diesem Beirat treffen wir uns einmal im Jahr mit dem Stellvertreter des Außenministers und besprechen das Problem der Bedrohung durch Atomwaffen, was unsere Rolle ist, was wir der Regierung vorschlagen, zu tun. Hin und wieder kamen Vertreter von IPPNW-Sektionen aus anderen Ländern; der letzte Besuch war vor anderthalb Jahren. Damals trafen wir uns ebenfalls mit Vertretern des Außenministeriums, veranstalteten ein großes Symposium. Und in der letzten Zeit arbeiten wir auch eng mit der Pugwash-Bewegung1 zusammen. Unser Pugwash-Komitee ist Teil der Akademie der Wissenschaften, von dort erhält es ein wenig finanzielle Unterstützung und wir von der IPPNW arbeiten damit zusammen, auch mit den internationalen Pugwash-Komitees. Ich selber bin schon drei Mal bei den internationalen Pugwash-Konferenzen als Vertreter der IPPNW aufgetreten – wir sind also sehr aktiv dabei, ich bin einer der Leiter des russischen Pugwash-Komitees. Und logischerweise arbeiten wir auch mit dem russischen Gesundheitsministerium zusammen. Vor Generalversammlungen treffen wir uns und wir vermitteln unsere Sicht der Dinge. […] Mich kränkt es natürlich ein wenig, dass unsere Bewegung weniger stark geworden ist […]. Am Ende unseres Gesprächs kamen wir noch auf die Zusammenarbeit innerhalb der internationalen IPPNW zu sprechen:

Kolesnikov: „[W]ir haben immer gestritten, aber sind trotzdem Freunde geblieben. Unsere Bewegung ist eine sehr gute, freundschaftliche, sogar familiäre Bewegung, wie eine große Familie. Und die Leiter heute sind super, sie sind sehr aktiv: Tilman Ruff, Ira, auch in Schweden, in Norwegen … Sie sind starke ,Propagandisten‘, wie ich sie mit dem alten Begriff bezeichnen würde. Sie veröffentlichen viel, das ist sehr gut. Ich bin ihnen einfach dankbar, ich kann jetzt schon nicht mehr so aktiv an der Bewegung mitwirken, aber ich bin ihnen sehr dankbar dafür, dass sie den Status und die Bedeutung unserer Bewegung aufrechterhalten. Ich folge aufmerksam ihren Publikationen, Interviews, Erklärungen. Also wo ich mithelfen kann, helfe ich mit, aber langsam ist es auch an der Zeit, dass die Jugend sich damit beschäftigt.“ Mir ist in diesem Gespräch deutlich geworden, dass das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges auch dreißig Jahre später noch lange nicht verschwunden ist. Wenn wir die Chancen auf einen nachhaltigen Frieden ernsthaft vergrößern wollen, müssen wir weiterhin einen ernsthaften „Ost-West-Dialog“ suchen, auch wenn dieser häufig unbequem und konfliktreich ist. Nur so kann es gelingen, Ängste auf beiden Seiten zu vermindern und Vertrauen aufzubauen. Aber hey – wenn nicht in der IPPNW, wo dann?

1 Im Jahr 1957 organisierte und finanzierte Cyrus S. Eaton, angeregt vom Russell-Einstein-Manifest (1955), die erste Pugwash Conference on Science and World Affairs. Seither kamen dort einflussreiche internationale Wissenschaftler zu Sitzungen und Workshops zusammen, um einen Beitrag zu Fragen der atomaren Bedrohung, von bewaffneten Konflikten und Problemen der globalen Sicherheit zu leisten. Inzwischen veranstaltet die Organisation „Pugwash International“ neben Jahrestagungen Workshops zu Themen wie nukleare Abrüstung, biologische und chemische Waffen, regionale Konflikte, der Verbreitung von Waffentechnologien und Verantwortung der Naturwissenschaftler. (Quelle: wikipedia.org/wiki/Pugwash_Conferences_on_Science_and_World_ Affairs, abgerufen am 9.9.2020)

Die Autorin

Gesa Baum, 9. Semester Humanmedizin, Universität Oldenburg.

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Staubwedel raus: Make IPPNW cool again! Wie die IPPNW sich verändern muss, um heute noch Gehör zu finden Selbst Reagan und Gorbatschow lobten in der 80er-Jahren anerkennend die Arbeit der IPPNW, die bereits fünf Jahre nach ihrer Gründung den Friedensnobelpreis erhielt. Als aber nach dem Mauerfall das Thema Atomwaffen abgehakt schien, verschwanden die IPPNW und ihr unerschöpflicher Einsatz für eine atomwaffenfreie Welt aus dem öffentlichen Bewusstsein – und aus dem Bewusstsein der Medizinstudierenden. Das soll sich ändern! Hey, my name is Ella! These are three reasons to join IPPNW“, erklärt Ella Faiz in einem kurzen Tiktok-Video. Ella kommt aus Frankreich und ist eine der beiden europäischen Studisprecher*innen der IPPNW. Ihr Video ist Teil der internationalen IPPNW Studi-Kampagne „Make ippnw cool again“. Zugegeben, Abklatsche von Trumps „Make America Great Again“-Kampagne sind eigentlich überhaupt nicht cool. Trump zielt mit seinem Slogan darauf Amerika wieder zurück in die Zeit der 50er zu katapultieren – in eine Zeit ohne Geschlechtergleichstellung, ohne Anerkennung der LGBTQ* und ohne „Black Lives Matter“. Die geschichtliche Rückbesinnung auf die Ursprünge der IPPNW bedeutet aber in der Tat etwas anderes als Trumps „Make America Great Again“. Die Studi-Kampagne will die IPPNW und ihr Anliegen wieder in die Öffentlichkeit rücken, will verdeutlichen, dass damals wie heute Atomwaffen eine Bedrohung für die globale Sicherheit darstellen. Und sie will Student*innen dazu aufrufen, sich in der IPPNW zu engagieren und mit dem Ziel „atomwaffenfreie Welt“ zu identifizieren. Denn an einer breiten studentischen Basis mangelt es der IPPNW. Doch warum eigentlich?

Politische Influencer der 2020er – die IPPNW gehört nicht dazu Dominik Stosik, der ebenfalls europäischer Studisprecher der IPPNW und in der IPPNW in Polen aktiv ist, sagt dazu: „Die IPPNW hat meiner Meinung nach weniger ein Nachwuchsproblem, sondern vielmehr ein Problem [damit], überhaupt wahrgenommen zu werden.“ In einer Welt der medialen Reizüberflutung gehe die IPPNW schlichtweg unter. Das leuchtet ein. Wenn niemand die IPPNW kennt, dann finden sich so auch schlecht neue Unterstützer*innen. Womöglich hat die IPPNW an dieser Stelle den Sprung in die Digitalisierung verpasst. Junge Menschen er-

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reicht man im Jahr 2020 vor allem über das Internet und über die sozialen Medien: Hier ist die IPPNW zwar vertreten, aber nicht stark und auch nicht einheitlich. Vergleicht man die Followerzahlen des instagram-accounts @ippnwgermany (1.049 Abonnent*innen)1 mit denen von Influencern wie @bibisbeautypalace (7.673.927 Abonnent*innen) wird klar, dass das Engagement der IPPNW in den sozialen Medien praktisch unsichtbar ist. Ein Grund dafür liegt in der dezentralen Organisationsstruktur der Ärztevereinigung: Es gibt keine offizielle internationale Marketing- und Image-Kampagne. Anders als bei ICAN zum Beispiel. Ein weiterer Grund kann auch in dem aktuellen Wandel der Wahrnehmung politischen Engagements in der Öffentlichkeit liegen. Der Focus liegt hier mittlerweile weniger auf dem politischen Handeln einer Gruppe oder einer Einzelperson, sondern Politik wird zum Lifestyle von Influencern und Stars. Ein Beispiel hierfür: Kanye Wests Kandidatur zur US-Präsidentschaft. Auch Donald Trump, ein Businessman, der sein Amt weniger als Verantwortung, sondern mehr als Bühne versteht, ist ein Resultat der Personalisierung der Politik. Deutschlands Verschwörungstheoretiker Nr. 1, Attila Hildmann, wurde als Koch bekannt. Es sind die Gesichter, die im Vordergrund stehen, die Politik bietet ihnen eine weitere Showbühne. Eine Organisation mit einem sehr langem Namen – „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“, das sind stolze 47 Buchstaben – und ohne Gesicht kann dabei schlecht mithalten. Hier beginnt eine mediale Abwärtsspirale, da es in der Logik der sozialen Medien jemand ohne Follower auch nicht wert ist, abonniert zu werden. Wichtigkeit entsteht durch Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit durch Wichtigkeit. Und dieser Zirkelschluss speist sich aus aggressivem Marketing und Geld, um somit letztlich ein öffentlichkeitswirksames Image zu konstruieren. 1 Stand September 2020


„Bedrohung durch Atomwaffen? Ja – vor 40 Jahren!“ An einem neuen Image wollen Studisprecherin Ella und ihr Kollege Dominik arbeiten. „Wir brauchen ein Image. Wenn jemand das Logo der IPPNW sieht, dann soll dies positive Emotionen hervorrufen und nicht die Frage ‚Was ist das‘?“, sagt Dominik dazu. Momentan werden mit dem Kampf gegen Atomwaffen die 80er-Jahre assoziiert, ein Problem des aktuellen Millenniums sind sie für die Öffentlichkeit nicht. Das Image der IPPNW ist, wenn es denn für die breite Masse existiert, ein leicht angestaubtes. Das bestätigt auch der Altersdurchschnitt der Mitglieder, der liegt gefühlt bei mindestens über 50. Wer sich heute engagieren und die Welt retten will, schwänzt freitags Schule oder Uni für das Klima – nicht für eine atomwaffenfreie Welt. Wenn junge Menschen, die sich für die nukleare Abrüstung einsetzen, von ihrem Engagement erzählen, reichen die Reaktionen von positiver Überraschung bis zu mitleidigem belächelt werden und schrägen Blicken. Dabei ist das Anliegen der IPPNW ganz und gar nicht historisch. Neben dem durchgehend aktuell bleibendem Kampf gegen die nukleare Aufrüstung gibt es eine Vielzahl an friedenspolitischen Themen und gesellschaftliche Debatten, zu denen die IPPNW sich äußert, wie Ella betont: „[Das Engagement der IPPNW] erstreckt sich auch auf Themen, die uns alle etwas angehen: Umwelt, Gleichstellung von Mann und Frau, die familiären und gesellschaftlichen Gewalttaten – allesamt Themen, auf die unse-

re Generation sensibilisiert ist.“ Mit Analysen des Syrienkriegs oder Untersuchungen der Folgen von Drohneneinsätzen prägt die Ärztevereinigung auch Debatten im Bundestag. Der Beigeschmack von staubiger Friedensbewegung bleibt dennoch. Doch das liegt nicht nur an der IPPNW selbst, sondern auch der medialen Nicht-Präsenz von konstruktivem Friedensjournalismus. Seit Frieden durch die Festung Europa monopolisiert wurde, ist das Thema Krieg zu abstrakt geworden. Die globale Bedrohung durch Atomwaffen existiert – nicht aber in den Köpfen. Dabei sind in Deutschland, den Niederlanden und Italien US-amerikanische Atombomben stationiert, die auch noch modernisiert werde sollen. Unser Nachbar Frankreich besitzt „die Bombe“. Und die Atomwaffenstaaten Großbritannien, Israel und Russland sind nur einen Katzensprung von der EU entfernt. Trotzdem herrscht gesellschaftliches Schweigen. Atomwaffen gibt es in der heilen Welt Europas nicht. Dieses Schweigen trägt zum staubigen, historischen Image der IPPNW bei, weil es indirekt die Notwendigkeit ihres Engagements infrage stellt.

Liebe Studis, „Be the change you wish to see in the world“ xoxo, IPPNW Es ist also Zeit, sich neu zu erfinden und der IPPNW ein neues, junges und attraktives Gesicht zu geben. Sergej Kolesnikov, Mitglied der russischen Sektion der IPPNW, trifft es im Interview mit Amatom-Autorin Gesa Baum auf den Punkt: „[I]ch kann jetzt schon nicht mehr so aktiv an der Bewegung mitwirken [...] wo ich mithelfen kann, helfe ich mit, aber langsam ist es auch an der Zeit, dass die Jugend sich damit beschäftigt.“ Ja, es ist an der Zeit, dass die Jugend sich damit beschäftigt, dass die Jugend die IPPNW in den 2020ern ankommen und aufblühen lässt. Denn wer, wenn nicht die Studis, ist dazu in der Lage, die IPPNW cooler zu machen und ihr Image zu modernisieren? Projekte und Ideen gibt es dahingehend schon einige. Wichtig bleibt dennoch: Ein einheitliches Vorgehen der Kampagne und „dass wir uns mehr zusammentun sollten und nicht jeder ‚sein Süppchen kocht‘ “, wie es Dominik formuliert. Er schlägt vor, die Welle der personalisierten Politik zu reiten – indem zum Beispiel Personen des öffentlichen Lebens überzeugt werden, bei Events Shirts mit einem IPPNW-Logo zu tragen. Schleichwerbung sozusagen. „Denn wenn wir erst mal im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft angekommen sind, dann erst sind wir in der Lage, ihnen unsere Ziele zu präsentieren – nicht andersherum“, so Dominik. „Vielleicht bin ich da etwas zu maßlos, aber ich verstehe die Angst davor nicht, in die Welt herauszutreten und etwas offensiver darum zu kämpfen, dass man wahrgenommen wird. Wenn wir es nicht tun, dann tut es jemand anderes, so ist es leider nun

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mal.“ Ella hat die ergänzende Idee, öffentliche Events für Studierende zu organisieren, an denen jede*r teilnehmen kann: „Wie ein Konzert zum Beispiel, wo der Text dem Kampf gegen Atomwaffen gewidmet wäre und die Spenden der IPPNW zugutekämen.“

All we want for Büchel – is you! Konzerte? Musik und Engagement gegen Atomwaffen? Das erinnert uns doch ganz stark an das musikalische Studi-Quartett aus Düsseldorf: Die Nuke-Girls! Die vier mutigen Düsseldorferinnen warben dieses Jahr auf Youtube mit ihrem ersten Hit für Teilnahme am Aktionsfestival in Büchel. Genau dort haben sie

sich auch vor knapp zwei Jahren gegründet. Ihr Ziel: kreativer Protest. Nicht nur in Büchel, auch international. So waren die vier Mädels im September 2020 das erste Mal im Ausland unterwegs und traten in den Niederlanden vor der Airbase Volkel auf. Im Gespräch mit dem Amatom sagen sie: „Positiver Aktivismus wird bei uns großgeschrieben, weshalb wir versuchen, mit unserer Musik sowohl zum Tanzen als auch zum Nachdenken anzuregen.“ Mit Liedern wie dem Mamma-Mia-Cover „Raus aus Büchel – packt die Bomben ein!“ tun sie das auf jeden Fall. Übrigens, für alle Fans – bereits für dieses Jahr sollen laut Aussage der Gruppe noch weitere Projekte geplant sein.

Die Autorin

Sophia Christoph, 8. Semester Humanmedizin, Universität des Saarlandes.

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Die Nuke-Girls verkörpern mit ihrer Musik und ihren Auftritten Aktivismus, Kreativität, Girlpower und den von Dominik geforderten Mut, öffentlich zu seiner politischen Überzeugung zu stehen – genau davon brauchen wir mehr! Das heißt nicht, dass jede*r IPPNW-Studi sofort eine Youtube-Karriere hinlegen muss, doch Aktionen, die die Sichtbarkeit in den sozialen Medien erhöhen, sind für das Makeover der IPPNW essenziell. Memes gehören natürlich dazu. Und Videostatements wie das von Ella. Mit einer Smartphone-Kamera bewaffnet ist das für jede*n ein durchaus realisierbares Projekt: Konkret geht es darum, in 30 bis 120 Sekunden kurz und knackig auf eine oder mehrere der folgenden Fragen zu antworten: Wieso bist du der IPPNW beigetreten? Weshalb sollten wir uns im Jahr 2020 noch auf den Kampf gegen Atomwaffen konzentrieren? Warum sollte nukleare Abrüstung an erste Stelle stehen, wenn wir gleichzeitig von Klima- und Corona-Krise bedroht werden? Zu finden sind die Videostatements schließlich auf dem offiziellen Instagram-Account @IPPNW_students der internationalen Studis, wo sie nach Zusendung veröffentlicht werden. Für Studenten, die nicht gern im Rampenlicht der sozialen Medien stehen, gibt es gleichermaßen Möglichkeiten, sich einzubringen und das neue Gesicht der IPPNW mitzugestalten. Vor allem das persönliche Engagement jedes und jeder Einzelnen ist und bleibt wichtig. Laut Ella ist das gerade in Frankreich Teil des Nachwuchsproblems: „In Frankreich [wird] die Zugehörigkeit zu einem Verein eher als ‚kräfteraubender Zeitvertreib‘ wahrgenommen. Das, obwohl die Vereinsarbeit, ganz im Gegenteil, neue Gelegenheiten und neue Bekanntschaften mit sich bringt. [...] In den medizinischen Fakultäten Frankreichs wird uns [jedoch] die Vorstellung gelehrt, dass unsere Zeit allein aufs Studium ausgerichtet sein muss und dass zusätzliche Aktivitäten wie Freizeit und Vereinsarbeit unsere Karriere nicht unbedingt fördern.“ Es ist notwendig, dass das Thema Atomwaffen wieder zu einer öffentlichen Debatte wird. Dafür müssen wir Studis die IPPNW die Sprache unserer Generation sprechen lassen – nur so können wir die Gesellschaft direkt adressieren und Gehör finden, wenn wir mit Nachdruck das Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands und die Abrüstung aller Atomwaffen weltweit fordern. „Ich bin überzeugt, dass viele junge Studierende, wenn sie denn etwas über die IPPNW wüssten, bereit wären, sich in dieser Sache zu engagieren“, sagt Dominik. Dafür müssen wir Studis die IPPNW cooler machen. Und bekannter.

Let’s ban nukes!


Lasst Euch nicht einschüchtern! Mein Plädoyer für zivilen Ungehorsam gegen Massenvernichtungswaffen 2018 nahm ich an meiner allerersten Protestaktion am Fliegerhorst in Büchel teil, indem ich das Haupttor mit meinen Mitstreiter*innen friedlich blockiert habe. Dafür wurden wir im Verlauf der letzten Jahre immer wieder auf höchst herabsetzender Art und Weise juristisch schikaniert. So wurde versucht, jeden von uns separat und sehr ungleich mit rechtlichen Mitteln einzuschüchtern. Mal mit Vorladung, mal mit Bußgeld, immer unterschiedlich. Ich war der letzte Fall, der noch ausstand, und sollte nach zwei Gerichtswechseln und zwei Jahren Warten endlich am 17. August 2020 vor Gericht in St. Ingbert erscheinen. Doch auch dies entpuppte sich als Schikane, weil dem Gericht erst drei Tage vor der Verhandlung und einer großen Mobilisation unsererseits einfiel, dass mein Fall mittlerweile verjährt sein könnte und alles abgesagt werden musste. Mit diesem einst ans Gericht gewandten Plädoyer möchte ich mich nun insbesondere an alle neueren Aktivist*innen und potenziellen Opfer solcher Schikane richten und euch ein paar deutliche Worte des aktivistischen Selbstbewusstseins mitgeben. Ziviler Ungehorsam ist wichtig: Lasst Euch nicht einschüchtern! 1. Die nukleare Katastrophe oder: wenn alle Hilfe zu spät ist 75 Jahre Hiroshima-Nagasaki, 2058 Atomwaffentests, zig Millionen von Opfern, 100 Sekunden vor Mitternacht. Die Zündung einer einzigen von den 20 in Büchel stationierten US-Wasserstoffbomben entfesselt im Bruchteil von Millisekunden Energien, die beide Anschläge der USA gegen Japan 1945 um etwa das 13-fache übersteigen. 600 Meter im Umkreis dieser Detonation wird alles und jeder in seine atomaren Bestandteile zerstückelt, während der Feuerball mit einer Temperatur von 1000 Sonnenoberflächen unaufhaltsam um sich greift. Was bleibt, sind keine Leichen, nur Kohlenstoffschatten auf zersprengtem Asphalt. Die Schatten Hundertertausender Menschen – das sind die Glücklichen. Weitere Hundertertausende werden von der kilometerweiten Überschalldruckwelle erfasst, unter Gebäudefragmenten begraben, durch Feuerstürme aus Geröll, radioaktivem Staub und ihren eigenen halb abgetrennten Gliedmaßen versengt, kontaminiert, gefoltert. Zu betonen ist, dass etliche von ihnen im Vorfeld durch die Explosion ihr Augenlicht verloren haben werden, folglich blind durch die Gegend geschleudert werden, desorientiert, hilflos, ihrer Würde beraubt. Jene, die weit genug entfernt waren oder kurzfristig unterkommen konnten, werden in den Folgetagen erleben, wie sich ihre Haut, Haare, Zähne, Gedärme und Innereien langsam qualvoll durch die Strahlenkrankheit zersetzen. Weitere zahllose Menschen auf der ganzen Welt werden durch den folgenden Fallout an diversen Krebserkrankungen in Agonie zugrunde gehen.

Wir Ärzt*innen werden euch nicht helfen können. Umso begrüßenswerter war mithin der nahezu einstimmige Beschluss des Bundestags vom 24. März 2010, ein Zeichen gegen die ca. 15.000 weltweit verfügbaren Atomsprengköpfe zu setzen und die illegal auf deutschen Boden stationierten Massenvernichtungswaffen restlos abziehen zu lassen. Umgesetzt wurde das genaue Gegenteil: Passiv billigend wurde die Aufkündigung des INF-Vertrages in Kauf genommen und fleißig eingekauft. So ist geplant, die oben beschriebenen frühen Generationen der B61-Bomben in Büchel durch ihre modernisierte und noch gefährlichere Variante, die neue B61-12-Bombe, zu ersetzen – einer präzisionsgelenkten Wasserstoffbombe mit dramatisch gesteigertem Vernichtungspotenzial trotz geringerer Sprengladung. Die Anschaffung einer solchen Waffe kann nur ein einziges glaubhaftes Ziel verfolgen: Atomkrieg auf den künftigen Schlachtfeldern Europas und der Welt salonfähig zu machen. Diese Waffensysteme wurden nicht für Abschreckungszwecke entwickelt, sondern speziell für die Ausführung strategischer Angriffe gegen befestigte Anlagen an der Front. Hintergrund solcher Entwicklungen ist die bittere Faktizität eines neuen, weltweiten, atomaren Wettrüstens und wir alle hier werden zur Komplizenschaft genötigt, denn in unserem Namen bricht die BRD Vertrag um Vertrag, das eigene Staatsrecht, ja sogar das Grundgesetz.

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Räumung der IPPNW-Blockade des Haupttors des Atomwaffenstützpunktes Büchel am 18. Juni 2018. Foto: Xanthe Hall / IPPNW

Im folgenden werde ich ebendiese rechtliche Dimension des gegebenen Sachverhalts und meiner resultierenden Handlungen am Fliegerhorst näher beleuchten.

2. Vom strukturalisierten Unrecht in Deutschland und der bürgerlichen Pflicht zu handeln Am 18. Juni 2018 nahm ich vor den Toren des Fliegerhorstes in Büchel gemäß Artikel 5 und Artikel 8 des Grundgesetzes Gebrauch von meinen Rechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um durch organisierten friedlichen zivilen Ungehorsam das an jenem Ort verübte multidimensionale Unrecht öffentlich mit meinen Mitbürger*innen anzuprangern. Im Sinne der Vorbereitung eines offenen Angriffskrieges werden in Büchel Atomwaffen allzeit einsatzbereit gelagert und modernisiert, ihr Einsatz durch deutsche Pilot*innen permanent geübt. Die geplante Anschaffung neuer Trägersysteme durch Annegret Kramp-Karrenbauer und die geplante Stationierung taktisch offensiver B61-12-Systeme bestätigen ein offensichtliches Zuwiderhandeln mit Inlandsbezug gegen die UN-Charta, gegen den Artikel 8 der Römischen Statute des Internationalen Strafgerichtshofs und folglich gegen Artikel 13 des Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Im Lichte dieses Verstoßes gegen Völkerrecht nahm ich meine laut Artikel 25 des Grundgesetzes erzeugte Pflicht wahr, die verfassungswidrige Vorbereitung eines Angriffskrieges (siehe Artikel 26 Grundgesetz) zu verhindern.

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Ferner berufe ich mich auf Artikel 20 des Grundgesetzes als Ultima ratio nach Ausschöpfen aller juristischen, politischen und kommunikativen Kanäle im Verkehr mit der Bundesregierung. Somit leistete ich Widerstand gegen die andauernde Missachtung der vom Bundesverfassungsgericht genannten Prinzipien der freiheitliche demokratische Grundordnung; allem voran die Prinzipien der Volkssouveränität und der Verantwortlichkeit der Regierung. Ersteres durch Nichtbefolgen des Beschlusses eines vom Volk gewählten legislativen Organs und Letzteres durch wiederholte Ausweichmanöver und Doppelzüngigkeit der Bundesregierung im Kontext der deutschen atomaren Teilhabe. Diese Teilhabe ist ein wiederkehrendes Zeugnis deutscher Unverantwortlichkeit und Illegalität, denn sie verstößt de jure und de facto gegen Artikel 2 und Artikel 6 des Nichtproliferationsvertrags (NPT) sowie gegen Artikel 3 Absatz 1 des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland. Nicht zuletzt sah und sehe ich mich als Medizinstudent auf ähnlicher Art und Weise durch die immerzu wachsende Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung mit deutscher Beteiligung in den rechtfertigenden Notstand gemäß Artikel 16 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) versetzt, die ultimative gesundheitliche Gefahr eines Angriffskriegs von meinen Mitbürger*innen abzuwenden. Durch meine auf den ersten Blick geringere Ordnungswidrigkeit konnte ich für einen kurzen Zeitraum meine


Mitbürger*innen einerseits schützen vor dem Betreten eines potenziellen strategischen Ziels von Terror- oder Militäranschlägen und andererseits schützen vor einem atomaren Angriff, ausgehend vom besagten Fliegerhorst. Dieses Räsonnement fußt unweigerlich auf zwei Begriffen, die das philosophisch-ethische Agens und Movens meines Handelns ausmachen: die ärztliche Pflicht und die soziale Verantwortung.

3. Mehr als Politik – wieso in Büchel der medizinische Ethos und ziviler Ungehorsam Hand in Hand gehen Als angehender Arzt habe ich eine staatliche und selbstauferlegte professionelle Pflicht. „Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein“, gemäß dem Genfer Gelöbnis. Erhaltung und Prävention erachte ich hierbei als koextensive Begrifflichkeiten; insbesondere wenn es um die reale existenzielle Gefahr einer vermeidbaren atomaren Katastrophe geht, die meine künftigen Kolleg*innen und mich vor die vollendete Tatsache des „Nichtmehrhelfenkönnens“ stellen würde. Hier erwächst sodann in meiner gut gewillten Wahrnehmung der kategorische Imperativ, der Maxime des Erhalts gesundheitlicher Unversehrtheit folgend, dem Eintreten der besagten vollendeten Tatsache vorzubeugen. Die Konsequenzen meines Handelns oder Nichthandelns wiederum sind rechtlicher Gegenstand meiner sozialen Verantwortung als mündiger, handlungsfähiger und medizinfachkundiger Staatsbürger gegenüber meinen Mitbürger*innen. Eingedenk der in Abschnitt eins und zwei dargelegten politischrechtlichen Gesamtsituation, eingedenk des kategorischen Imperativs, vorbeugend zu handeln, und eingedenk meiner sozialen Verantwortung als künftiger Arzt entschied ich mich für eine vermeintliche Anomalie des Gesetzes: den Zivilen Ungehorsam. Vermeintlich, weil es scheint, als sei ein Recht auf kalkulierten Rechtsverstoß einfach nur absurd; jedoch entgeht einem hierbei meines Erachtens nach ein wichtiger Unterschied zwischen liberalen und illiberalen Staatssystemen. In „The Authority of Law“ (1979) argumentiert Joseph Raz: in einer illiberalen Gesellschaft würden die in Abschnitt 2 ausgeführten Grundrechte den Bürger*innen versagt, der Unrechtsstaat würde dem inhärenten Anspruch des Bürgers auf Partizipation und Freiheit nicht gerecht. Ergo der Bürger, die Bürgerin hätte das universelle Menschenrecht, wenn nicht gar die moralische Obligation, derartigen Widerstand gegen die versagenden Gesetze zu leisten. In unserer liberalen Gesellschaft allerdings möge ziviler Ungehorsam dem ersten Anschein nach unrecht erscheinen. Doch dies sei allein der Tatsache zu verdanken, dass er nicht als Recht, sondern als

konstitutives, stabilisierendes Element in die freiheitliche demokratische Grundordnung und unseren Rechtsstaat impliziten Einzug gefunden hat. Im Einklang mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung und dem Gedankengut von John Rawls und Hannah Arendt grenze ich ferner zivilen Ungehorsam als außerordentliches Mittel politischer Partizipation folgendermaßen gegenüber Straftaten und Gewissensverweigerung ab: »  Pluralität: hinter zivilem Ungehorsam steht nie eine einzige Person. »  Öffentlichkeit: Es ist eine politische Handlung mit klarer Intention, ein größeres Unrecht gesamtgesellschaftlich anzuprangern und zu ändern. »  Gewaltlosigkeit: Gewalt zeugt von Frustration im Angesicht politischer Ohnmacht. Macht folgt aus Pluralität, aus Mehrzahlen. Gewalt negiert Macht und vice versa. Nur gewaltlos können wir nach und nach die Macht erlangen, demokratisch das Unrecht zu beheben. »  Kommunikation: Der Dialog mit der Staatsmacht, den Behörden und Bürger*innen ist der Inbegriff des zivilen Ungehorsams. »  Bejahte Justiziabilität: In unserem zivilen Ungehorsam verstehe ich mich in der Pflicht und der konsequenzträchtigen Verantwortung, die institutionelle Behebung alles genannten Unrechts im Zusammenhang mit der deutschen atomaren Teilhabe zu erwirken. Ich danke Ihnen, Euer Ehren, für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf ein gerechtes Urteil.

Der Autor

Alexej Silenko, 7. Semester Humanmedizin, Universität des Saarlandes.

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Die IPPNW in Österreich Ein Interview mit ihrem Präsidenten Dr. Klaus Renoldner Die OMEGA ist die österreichische Sektion der IPPNW und wurde 1983 vom Wiener Kinderarzt Univ.-Prof. Dr. Walter Swoboda in Wien gegründet. Das Akronym „OMEGA” steht für „Österreichische Mediziner*innen gegen Gewalt und Atomgefahren“. Dr. Klaus Renoldner wurde kurz nach der Gründung im Jahr 1983 Mitglied und ist nun seit 1996 Präsident der OMEGA. Amatom: Sehr geehrter Herr Dr. Renoldner, wie wird man Präsident der österreichischen IPPNW? Erzählen Sie mir doch am Anfang einmal ein bisschen von Ihrem persönlichen Werdegang in dieser Organisation. Dr. Klaus Renoldner: Ja das war so, ich habe in Wien Medizin und Völkerkunde als zweites Studium studiert und arbeitete nach Forschungsarbeiten in Afrika von 1977 bis 1982 in einem sehr interessanten Entwicklungsprojekt in Paraguay. Dabei ging es um die Grundrechte indianischer Minderheiten und ich baute dort ein Gesundheitsprojekt auf, in dem ich mit meiner Frau arbeitete. Als wir 1982 zurückkamen, stellten sich mir die Fragen: „Wie geht’s weiter?“ „Will ich weiter international arbeiten?“ Und ich habe mich dann aus familiären Gründen für die Arbeit als Landarzt in Österreich entschieden […]. So war ich weit weg von den globalen Fragen und sehr lokal orientiert. Aber das, was mich in Lateinamerika bewegt hat und was ich dort gelernt hatte, ging mir natürlich nicht aus dem Kopf: Die globale Ungerechtigkeit, das Landgrabbing und viele andere globale Zusammenhänge. Und dann lese ich eines Tages in der Ärztezeitung, dass in Wien eine Sektion der IPPNW von dem österreichischen Kinderarzt Prof. Swoboda gegründet wurde, den ich zufälligerweise kannte, da ich bei ihm die KinderheilkundeGrundausbildung im Rahmen des Turnus1 gemacht hatte. So habe ich mich dieser Bewegung angeschlossen und habe an verschiedenen Kongressen und Veranstaltungen teilgenommen. Es war dann eine große Freude, als wir 1985 den Friedensnobelpreis für unsere Aktivitäten bekamen, übrigens ein Jahr vorher auch den UNESCO-Friedenspreis. Dieser wird ja heute auch manchmal vergessen, obwohl er, da es dabei auch um Friedenserziehung geht, schon eine große Rolle spielte. Als dann im Jahr 1996 mein Vorgänger den Vorsitz zurücklegte, wurde ich von den Kolleginnen und Kollegen ersucht, diesen zu übernehmen. Somit […] bin ich nun seit 1996 Präsident, hoffe aber doch, dass ich das in den nächsten Jahren an eine jüngere Kollegin oder einen jüngeren Kollegen übergeben kann.

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Vielleicht noch kurz zum Verständnis meiner Motivation: Wenn man wie ich längere Zeit in wirklich armen Gegenden lebte, und sah, wie Menschen glücklich sein können, auch mit den wenigen Dingen, die man wirklich zum Leben braucht, solange sie diese nur haben, dann findet man es umso erschütternder, wenn man nach Europa zurückkehrt und sieht, wie viel Geld global in die Rüstung gesteckt wird. Die damaligen 80er-Jahre waren zudem auch der Gipfelpunkt der atomaren Hochrüstung vor den Reduzierungsabkommen. Es gab damals über 60.000 atomare Sprengköpfe. Und da war ich einfach motiviert, mich mit dieser Bewegung für ein Atomwaffenverbot einzusetzen. Amatom: Gibt es bezüglich Ihrer Nachfolge schon konkrete Aussichten? Renoldner: Ja, mein Stellvertreter wird das glaube ich übernehmen. Ein junger Kollege, seit wenigen Jahren in der Praxis. Aber das muss natürlich ganz offiziell durch eine Wahl geschehen. Amatom: Wieso ist es wichtig, dass es auch in Österreich eine IPPNW gibt? In Österreich ist ja sowohl die militärische als auch die zivile Nutzung von Atomkraft dank des Bundesverfassungsgesetzes für ein atomfreies Österreich von 1999 verboten. Renoldner: Ja das ist richtig, wir sind stolz, dass wir dieses Gesetz damals mit der Unterstützung aller politischen Parteien durchgebracht haben. Die IPPNW hat natürlich schon vorher in Österreich existiert und dazu beigetragen. Somit ist Ihre Frage berechtigt – hat sich dadurch die Notwendigkeit der IPPNW in Österreich erübrigt? Interessanterweise ist das Gegenteil der Fall, denn die 90er-Jahre waren eine Zeit, in der wir sehr intensiv versucht hatten, international Kampagne zu machen und Österreich hat sich in dieser Zeit auch als federführendes Land in der Kampagne für ein Landminenverbot eingesetzt. Dabei lernte das österreichische Außenministerium auch, dass man sich hier international engagieren kann, und dass man dann auch weitere Staaten dafür gewinnen, kann sobald es zum Durchbruch kommt. So wurde das Landminen-Verbotsgesetz auch zu einem


dest seit dem Umdenken nach der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf im Jahr 19783 durchgehend sehr vorbildlich, was das Thema Atomenergie betrifft. Haben Sie dennoch Forderungen an die Regierung dieses Thema betreffend? Renoldner: Also, Atomenergie ist kein Thema in Österreich. Es ist die ganz große Mehrheit der Bevölkerung eben seit dieser Volksabstimmung gegen die Nutzung von Atomenergie und dies verstärkte sich nach dem Unglück von Tschernobyl 1986 nochmals. Und auch der Unfall in Fukushima trug dazu bei, die atomkritische Haltung der österreichischen Bevölkerung zu festigen. […] Hier müssen wir also politisch nicht besonders aktiv sein, das ist in Österreich eine gewisse Selbstverständlichkeit geworden.

Dr. Klaus Renoldner, Präsident von „OMEGA“, der österreichischen Sektion der IPPNW.

Erfolg. Und als wir dann später immer wieder Gespräche mit Beamten des Außenministeriums führten, beispielsweise über eine atomwaffenfreie Zone in Europa oder auch über ein Verbot von Atomwaffen, waren die Leute schon etwas sensibler, wir wurden wiederholt in Delegationen empfangen und machten auch Veranstaltungen mit internationalen IPPNW-Kolleginnen und Kollegen. Es kam dann eine Phase, in der es wieder etwas schwieriger war. Das war der Moment, als Österreich der EU beitrat, und ich mir im Außenministerium ungefähr so sagen lassen musste: Na ja, Sie wissen doch, Herr Doktor, in der EU sind die beiden Atomwaffenstaaten Großbritannien und Frankreich und andere Länder haben NATO-Waffen stationiert. Wir sind jetzt ganz neu in der EU. Da können wir jetzt keine großen Vorstöße machen. Diese Einstellung hat sich aber dann glücklicherweise wieder geändert. Mit der Gründung von ICAN gab es dann doch ein verstärktes Engagement der österreichischen Diplomatie, auch auf der Basis einer Vorgeschichte. Es gab ja vorher schon die sogenannte ‚Middle Powers Initiative‘ und andere Initiativen und Vorstöße. Es gab die wichtige Publikation von Hans Blix2 über die Atomwaffen. Das waren alles diplomatisch vorbereitende Schritte in Richtung Atomwaffenverbot und dann kam nach der Gründung von ICAN das verstärkte Engagement der österreichischen Diplomatie. Ich schrieb übrigens über diese Geschichte einen Artikel im Journal ‚Medicine Conflict and Survival‘. Amatom: Sie sind ja in der vorherigen Frage schon etwas auf die österreichische Politik eingegangen. Diese verhält sich zumin-

Aber ich weiß, dass dies in anderen Ländern, zum Beispiel in Südafrika oder Indien, keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Südafrika ist dafür vielleicht ein interessantes Beispiel, weil dieses Land mit dem Ende der Apartheid seine Atomwaffen abgegeben hat und zu einem atomwaffenfreien Staat wurde. Aber die Politiker Südafrikas sind zu einem großen Teil davon überzeugt, dass sie die Atomenergie für ihre Entwicklung brauchen. […] Amatom: Wie viele Mitglieder zählt die IPPNW in Österreich derzeit und welche aktuellen Projekte verfolgen sie? Renoldner: Wir sind in Österreich ca. 200 Ärztinnen und Ärzte. Aber wie man sich vielleicht vorstellen kann, sind nur eine Handvoll Leute wirklich aktiv. Wir pflegen Kontakte zu internationalen Organisationen in Wien. Wir haben die UNO, die IAEA (=International Atomic Energy Agency) und vor allem die CTBTO (=Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization), wo wir in den 80er-Jahren, also vor der Verabschiedung des Kernwaffenteststop-Vertrags (CTBT) sehr aktiv waren in Protesten gegen die Atomwaffentests. Wir haben Kontakte zum Außenministerium und wir machen verschiedene Veranstaltungen in Österreich, beispielsweise die Hiroshima-Gedenkveranstaltung. Da veranstalten wir traditionell am Stephansplatz im Zentrum von Wien eine Demonstration mit verschiedenen Programmpunkten, wo wir einerseits der Opfer von Hiroshima und Nagasaki gedenken und andererseits international mahnen, die Staaten mögen doch den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen. Wir glauben, dass Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit hier besonders wichtig sind und gerade als Atomwaffen- und Atomenergie-freier Staat Österreich haben wir doch eine gewisse Argumentation, mit der wir das rechtfertigen können. Als Ärztinnen und Ärzte betonen wir natürlich ganz besonders die verheerenden medizinischen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes. Ich verweise immer wieder auf die berühmte Publikation unseres

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Kollegen und derzeitigen Präsidenten der IPPNW international, Dr. Ira Helfand, „Nuclear Famine: Two Billion People at Risk?“, also die Publikation über die verheerenden Folgen eines auch nur begrenzten Atomkrieges. […] Wir geben auch eine Zeitschrift heraus, die sogenannten „OMEGA-News“, wo wir immer wieder Aktuelles berichten und wir veranstalten zwar nicht jährlich, aber doch regelmäßig Seminare, meistens Wochenendseminare, an der Uni für junge Kolleginnen und Kollegen als Einführung in die Themen der IPPNW, die ja nicht mehr Atomwaffen und Atomenergie alleine betreffen, sondern die darüber hinaus gehen. […] Amatom: Sie hatten es ja schon vorher kurz angesprochen, ein sicher wichtiger Punkt in der Geschichte der IPPNW ist die Gründung der „International Campaign to Abolish Nuclear Weapons“ (ICAN) gemeinsam mit anderen gleichgesinnten internationalen NGOs bei der Vorbereitungskonferenz für Die Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags im Jahr 2007 in Wien. Renoldner: Ja, das ist eine interessante Sache. […] Die Grundidee war […] , wir Ärztinnen und Ärzte haben unsere medizinischen Argumente, aber wenn andere zivilgesellschaftliche Organisationen dazu auch noch ihre Argumente bringen, und auch auf politischer und diplomatischer Ebene weitere Kreise dafür interessiert werden können, dann hat das Ganze noch mehr Kraft. Und so war es auch. Dazu kam, dass es in den Review-Konferenzen zum Atomwaffensperrvertrag aber zu einem Stillstand [kam]. […] [U]mso mehr war es wichtig, dass wir dann sagten: „Dann müssen wir NGOs eben aktiv werden“. Als Vorbild diente dafür auch ein bisschen die bereits erwähnte Kampagne gegen Landminen, die gezeigt hat, dass es möglich ist, wenn sich Nichtregierungsorganisationen mit Diplomaten aus Ländern, die das für unterstützungswürdig halten (das sind hier natürlich nicht die Atomstaaten, sondern meistens kleinere, friedliche Staaten), zusammentun. Dann kann man auch am internationalen, diplomatischen Parkett einen Vertrag vorbereiten und im Rahmen der UNO vorlegen. Amatom: Und was folgte dann? Renoldner: ICAN nahm sich vor, nach dem Vorbild der AntiPersonenminen-Kampagne eine Koalition von NGOs und „likeminded states“, also im Kontakt mit Diplomaten aus Staaten, die unser Anliegen prinzipiell unterstützen, zu bilden. Dies gelang und so kam es dann 2013 und 2014 zu den Konferenzen von Oslo, Nayarit und Wien. Die österreichische Diplomatie war nun bereit, eine federführende Rolle zu übernehmen, was den Prozess beschleunigte und

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auf den Punkt brachte. Es Folgte nach dem „Austrian Pledge“ die Gründung der so genannten „Open Ended Working Group“, die Vorarbeiten leistete, bis es schließlich 2017 so weit war, dass eine Mehrheit von 121 der 122 beteiligten UN-Staaten für den vorbereiteten Text eines Atomwaffenverbotsvertrages stimmten. Das war im Sommer 2017. Und zu Beginn der UNO-Generalversammlung im Herbst 2017 unterzeichneten dann die ersten Staaten. Ich erinnere mich genau, das ging in alphabetischer Reihenfolge, Algerien war das erste Land und „Austria“ das Zweite.

Ergänzung 25. Oktober 2020: Renoldner: [Ich freue mich], dass der Atomwaffenverbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, TPNW) nun nach der 50. Ratifizierung durch Honduras in 90 Tagen, also voraussichtlich mit 22. Jänner 2021, internationales Recht werden kann. […] Der österreichische Außenminister Schallenberg erklärte dazu am heutigen 25. Oktober der Austria Presse Agentur: „Mit dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags zeigen wir in aller Deutlichkeit, dass wir den Stillstand in atomarer Abrüstung nicht akzeptieren und dass atomare Abschreckung keine Sicherheit schafft. Es ist höchste Zeit, mit diesem Mythos endlich Schluss zu machen.“ Amatom: Die Beziehungen der USA zu Russland werden derzeit immer schlechter, unter anderem durch den Ausstieg aus dem INF-Vertrag4 und dem Rüstungsabkommen „Open Skies“. Gleichzeitig wird auch der Ton zwischen Donald Trump, dem Iran und auch China immer rauer. Für wie realistisch halten Sie persönlich die Gefahr eines Einsatzes von nuklearen Waffen? Renoldner: Die Lage ist nicht rosig. Es wird aufgerüstet, der INF-Vertrag wurde gekündigt. Das ist tragisch. Man kann auf bessere politische Zeiten hoffen. Ich möchte ein bisschen meinen Eindruck mitteilen, den ich aufgrund der Gespräche, die ich in den Botschaften der fünf offiziellen Atomwaffenstaaten laut NPT (=Atomwaffensperrvertrag) und der indischen Botschaft in Wien führte: USA und Russland stellen sich stur, Russland möchte vor allem seit der Verkleinerung des Staatsgebiets der ehemaligen Sowjetunion Zähne zeigen, somit ist eine Reduzierung der Atomwaffen für viele Machtpolitiker dort nicht vorstellbar. Auf der amerikanischen Seite ist es ähnlich, das braucht man denke ich nicht groß erläutern. Aber ich glaube die Einsicht, dass solche Waffen eigentlich ein großer Unsinn sind und eine große Gefahr darstellen, auch wenn sie nicht bewusst eingesetzt werden steigt. Und ich hoffe doch irgendwie, [...] dass dann die Großmächte sukzessive von ihren


hohen Zahlen an Atomwaffen herunterkommen. Das ist deswegen so wichtig, weil Staaten wie China, Frankreich, England und auch Indien sagen: „Bitte, was wollt Ihr denn? Die beiden Großen (USA und Russland), die 90 Prozent der Atomwaffen in den Händen haben, die sollen einmal etwas vormachen. Wenn die annähernd auf unser Niveau herunter gekommen sind, das heißt von 6.000–7.000 auf ein paar hundert Sprengköpfe, dann kann man weiter sprechen.“ Das ist so ein bisschen meine Hoffnung, aber ich glaube die Zivilgesellschaft darf nicht aufhören, vor diesem Unsinn zu warnen und ich sage immer wieder: All diese Intelligenz, all diese Energie, all dieses Geld, dass immer noch in die Atomrüstung gesteckt wird, wäre viel dringender notwendig für eine nachhaltige Entwicklung auf unserem Planeten. Wir haben immer noch grobe Ungerechtigkeiten, die zum Teil sogar größer zu werden drohen. Aktuell unter Bedingungen der Covid-19-Pandemie, aber auch unter Bedingungen des Klimawandels, beispielsweise, dass sich Dürregebiete wieder ausweiten und so der Hunger zunimmt. Also ich habe doch ein bisschen Hoffnung, dass in der Diplomatie wieder mehr Vernunft einkehren kann und, dass sich vielleicht in einer nächsten Politikergeneration was bewegt.

schaftsordnung und natürlich das Vermeiden von Kriegen und bewaffneten Konflikten. […] [E]s freut mich, sehr wenn ich sehe, dass sich Studierende der Medizin für diese Fragen interessieren, und ich wünsche allen, dass sie die Möglichkeit wahrnehmen, sich auf diesen Gebieten weiterzubilden.

Fußnoten 1 Eine Ausbildung nach dem Studium, bevor man die Approbation erhält. Diese ist ungefähr vergleichbar mit der*dem bis 2004 in Deutschland existierenden Ärzt*in im Praktikum. 2 Außenminister Schwedens in den Jahren 1978 und 1979 und danach Direktor der Internationalen Atomenergie-Organisation 3 Am 5. November 1978 wurde in Österreich über die Inbetriebnahme des ab 1972 errichteten Kernkraftwerkes in Zwentendorf an der Donau in Niederösterreich abgestimmt. Diese Volksabstimmung ging mit 50,47 Prozent dagegen aus und hatte das Atomsperrgesetz zur Folge, das 1999 als Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich in den Verfassungsrang gehoben wurde. 4 Ein zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Russland ausgehandeltes Abrüstungsabkommen zur gemeinsamen Reduzierung strategischer Trägersysteme für Nuklearwaffen

Das Interview führte Amatom: Haben Sie zum Schluss noch eine Botschaft an unsere Leserinnen und Leser oder möchten Sie noch was sagen? Renoldner: Ja gerne! Ich freue mich immer sehr, wenn ich sehe, wie junge Medizinerinnen und Mediziner sich über den eigenen Tellerrand hinaus für globale Gesundheit interessieren. Die Menschen auf der Welt sind ja nicht deswegen gesund, weil sie genügend Medikamente bekommen oder weil es genügend Ärztinnen und Ärzte gibt. Die primäre Voraussetzung für ein gesundes Leben sind gesunde Lebensbedingungen – und zu diesem gesunden Lebensbedingungen gehört eine einigermaßen gerechte Weltwirt-

Christoph Müller, 7. Fachsemester, Medizinische Hochschule Hannover.

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The Ban is here! Der Atomwaffenverbotsvertrag tritt 2021 in Kraft Kurz vor Redaktionsschluss konnten wir die Korken knallen lassen! Denn Ende Oktober wurde der lang ersehnte Atomwaffenverbotsvertrag zum 50. Mal ratifiziert und tritt damit am 22. Januar 2021 in Kraft. Nun strahlt er wie ein helles Licht am Horizont einer aufrüstenden Welt. Ein Kommentar von unserer ehemaligen Studisprecherin Antonia.

E

s ist der 25. Oktober 2020. Ich gehe mit Kopfhörern in den Ohren aus dem Haus, höre Radio, wie so oft am Morgen auf meinem Weg in die Stadt. Die Nachrichten. Ich höre nur so halb zu und dann: „Der aus dem Jahr 2017 stammende Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen ist nun von insgesamt 50 Staaten ratifiziert worden und kann deshalb in Kraft treten. Wie ein Sprecher der Vereinten Nationen in New York mitteilte, hat Honduras als 50. Land dem Abkommen rechtskräftig zugestimmt. Der Vertrag werde nun nach einer Frist von 90 Tagen in Kraft treten.“ DLF am 25. Oktober 2020, acht Uhr. Als hätte ich in der Zeitung gelesen, dass eine Freundin von mir ein Kind bekommen hat. Ich freue mich riesig, möchte es allen erzählen und wundere mich, dass ich es über die ganz offiziellen Nachrichten höre und nicht schon „vorab“ über einen Anruf oder eine Nachricht im Mailverteiler. Manchmal gehen Wünsche eben doch in Erfüllung, wenn man sie laut ausspricht. In Büchel, vor vier Monaten, haben wir den dritten Geburtstag des Atomwaffenverbotsvertrages ganz gebührend gefeiert, mit Torte und allem drum und dran. Ich durfte dort, zusammen mit Josi aus der Düsseldorfer Studigruppe, am 7. Juli 2020 eine Geburtstagsrede halten, an deren Ende wir drei Wünsche äußerten: »  Eine Ratifizierung des Vertrags pro Monat (zu diesem Zeitpunkt fehlten nämlich noch zwölf Ratifizierungen). »  Keine Atomwaffen mehr in Büchel! »  Eine atomwaffenfreie Welt. Je früher, desto besser. Als ich an diesem Morgen also höre, dass unser erster Wunsch in Erfüllung gegangen ist, merke ich, wie ich mich ganz persönlich freue – und auch, dass ich ein bisschen überrascht bin. Doch der Nachrichtensprecher ist leider noch nicht fertig. Hätte die Meldung mal lieber aufgehört mit dem vorletzten Satz: „Es handele sich um einen Sieg für die Menschlichkeit“. Denn das, was danach kommt, macht mich ganz schön wütend:

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Happy Birthday! Der Atomwaffenverbotsvertrag wird 3 Jahre alt. Fliegerhorst Büchel, Juli 2020. Foto: Sarah Kuiter/IPPNW

„Da der Vertrag von den Atommächten boykottiert wird, hat er vor allem symbolischen Charakter.“ Das wird einfach so als letzter Satz stehen gelassen. Kommentarlos und in einer Reihe mit den vorherigen Sätzen, die im Unterschied dazu aber Fakten sind oder eben markiert als Zitate von Menschen. „Symbolisch“, das klingt wie Deko. Und ja, der Vertrag wird von den Atommächten boykottiert, aber daraus den resignierten und, meiner Meinung nach falschen Schluss zu ziehen, der Vertrag sei hübsch, aber nutzlos, finde ich vielleicht noch ok, wenn es die Meinung oder der Eindruck von jemandem privat ist. Aber nicht, wenn es im Radio wie eine unumstößliche Wahrheit klingt. Nehmen wir das Beispiel der Landminen. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen wurde von 40 Ländern unterzeichnet und ratifiziert und konnte 1999 als Vertrag in Kraft treten. 15 Jahre später: Der Landminen-Report von 2014 verzeichnet so wenig Landminen-Opfer wie nie zuvor. Der erste Teil der Story hat nicht zufällig große Ähnlichkeit mit der bisherigen Geschichte des Atomwaffenverbotsvertrages. Dieser wurde nämlich daran angelehnt ins Leben gerufen.


Und wenn auch nur ein Menschenleben durch einen solchen Vertrag gerettet wird, wovon ich überzeugt bin, dann ist er auf jeden Fall mehr als ein bloßes Symbol. Er ist ein reales politisches Element. So überrascht, wie ich an dem Morgen die Erfüllung unseres er­ sten Geburtstagswunschs vernommen habe, wünsche ich mir, dass die Welt ihn als mehr als nur symbolisch versteht. Und dass auch die beiden anderen Wünsche schneller als erwartet in Erfüllung gehen werden!

Die Autorin

Antonia Klier, 7. Semester, Tübingen, ehem. Studierenden­sprecherin der IPPNW.

Von wegen symbolisch! Mit der Aufnahme des Verbotsvertrages in das Völkerrecht wird Atomwaffen die Legitimität entzogen. Ein Umdenken im Hinblick auf Atomwaffen wird zwar nicht über Nacht geschehen, aber es ist nicht mehr aufzuhalten. Dazu war es notwendig, dass die Staaten, die nicht auf nukleare Abschre­ckung setzen, ihre Interessen formulieren. Der Vertrag schreitet trotz des Widerstandes der Atomwaffenstaaten voran. Seine Befür-

worter haben erfolgreich eine neue völkerrecht­liche Basis für die künftige Norm geschaffen: Atomwaffen sind inakzeptabel. Der Vertrag hat die Abrüstungsdebatte bereits verändert und wird seine Wirkung mit dem Inkrafttreten weiter verstärken. Mehr dazu auch im Interview mit Dr. Klaus Renoldner ab S. 28 und hier: www.icanw.de/publikationen/hintergrundinkrafttreten-atomwaffenverbotsvertrag

Was heißt die Corona-Krise für Dich? Wir fragten verschiedene Menschen, wie die Corona-Pandemie sich auf ihr Leben und ihre Arbeit auswirkt Was heißt Corona-Krise für Dich persönlich? Was hat sich für Dich durch die Pandemie verändert? Was hoffst Du, haben wir aus Corona gelernt?

Paul Esser, Landesamt für Soziales, Saarland, Coronahotline: Aktuell bedeutet die Krise vor allem Ungewissheit. Niemand weiß genau, wie sich die Lage entwickelt, welche Einschränkungen noch gebraucht werden. Oft ist morgens nicht klar, wie die Situation am Abend aussieht – weil das niemand wissen kann. Im März hat sich – wie bei allen – alles auf den Kopf gestellt. Bei mir persönlich vor allem im Arbeitsleben. Die Floskel ‚jetzt wirds ernst‘ habe ich hautnah miterlebt. Auch Verantwortung spielt während meiner Arbeit eine größere Rolle, vor allem am Telefon. Die Bürgerinnen und Bürgern müssen sich auf unsere Antworten verlassen können.

Ich hoffe, dass wir lernen, auf manches zu verzichten, das wirklich Wichtige wirklich wertzuschätzen, und um ganz pathetisch zu werden: besser aufeinander aufzupassen.“ Brigitte Hornstein, Psychotherapeutin: Corona hieß für mich vor allem ‚Entschleunigung‘, weil alle nicht-beruflichen Termine plötzlich entfielen. Dadurch hatte ich ungewohnt viel Zeit, was ich sehr angenehm fand. Corona zwang mich geradezu, weniger zu machen. Statt mich für abendliche Termine abzuhetzen und dort womöglich noch

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inhaltlich stark zu engagieren, konnte ich endlich einmal gute Filme im Fernsehen genießen – wofür ich normalerweise keine Zeit habe bzw. sie mir nicht nehme. In meiner Arbeit spielte die Pandemie – anders als jetzt, wo ich sehr viel Verunsicherung bei meinen Patient*innen beobachte – eigentlich so gut wie keine Rolle. Ich habe normal weitergearbeitet, fast alle Patient*innen kamen wie gewohnt zu ihren Terminen; ein oder zwei wollten erst einmal abwarten, zwei oder drei bevorzugten, dass ich sie anrufe. Abstand habe ich zu meinen Patient*innen in der Arbeit eigentlich sowieso – lediglich das sonst normale Händeschütteln habe ich durch eine freundliche Verbeugung ersetzt. Wünschen würde ich mir, dass wir daraus gelernt hätten, dass wir behutsam miteinander umgehen müssen; dass unsere Welt, wie wir sie kennen, fragil ist, dass wir voneinander abhängen und uns brauchen – und, dass wir spätestens deshalb daran interessiert sein sollten, dass es allen anderen Menschen auf diesem Planeten auch gut geht … und ich hoffe, wir würden gelernt haben, dankbarer zu sein für das, was wir haben … mehr Wertschätzung, auch gegenseitig, mehr Rücksichtnahme, mehr Respekt …“

Ich hoffe, dass wir endlich lernen, nachhaltig mit der Erde umzugehen. Dafür müssten wir unser gesamtes Wirtschaftssystem überdenken. Außerdem hoffe ich, dass Berufe wie Krankenschwester, Verkäufer*in im Supermarkt und Altenpfleger*in mehr wertgeschätzt, aber vor allem besser bezahlt werden.“ Emanuele Russo, Pharmazie­ student aus Sant’ Antonio Abate (Kampanien, Italien): Die Coronavirus-Krise ist eines der überraschendsten Ereignisse der letzten Jahre, viele Menschen haben leider ihr Leben verloren und die Bevölkerung hat sich einer bisher unbekannten Krise gegenübergesehen. Von einem Tag auf den anderen mussten Millionen von Menschen sich zuhause einschließen, um die Ausbreitung zu begrenzen und für einige ist das überhaupt nicht einfach gewesen; diejenigen, die am meisten gelitten haben, sind Arme, Kranke, Alleinstehende, Alte und Kinder. Inzwischen hat sich die Situation verbessert, aber dieser ‚unsichtbare Feind‘ ist immer noch eine Bedrohung, die uns davon abhält, zur Normalität zurückzukehren.

Für mich persönlich bedeutet die Corona-Krise Umgewöhnen und Umdenken. Dinge, die bisher selbstverständlich waren, sind nicht mehr möglich. Das bedeutet zum einen eine starke Einschränkung, zum anderen aber auch die Chance, bisherige Gewohnheiten zu überdenken. Leider beobachte ich, dass wir in vielen Dingen in unsere alten Marotten zurückfallen, sobald das wieder möglich ist. Dabei wäre Corona die Chance, um insbesondere unseren Umgang mit Ressourcen und unserem Planeten zu überdenken.

Für mich haben sich viele Dinge verändert: Ich erinnere mich noch, dass ich, als mir die Möglichkeit einer Quarantäne bewusst wurde, nicht daran dachte, dass diese wirklich umgesetzt würde, da ich dies unter dem Aspekt der Kontrolle der Menschen für unmöglich hielt; dann allerdings, von einem Tag auf den anderen, konnte man nicht mehr aus dem Haus und ich musste leider meine Aktivität als Youth Worker in unserem Gemeindezentrum unterbrechen, die Vorlesungen der Universität online verfolgen und konnte mich nicht mehr mit meinen Freunden treffen. Am Anfang war es nicht leicht, aber nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, wurde es immer einfacher, die Zeit, die ich zuhause eingeschlossen verbrachte, zu nutzen. Ich hatte auch viel Zeit zum Nachdenken und diese Pandemie hat mich sicherlich gelehrt, jeden Moment meines Lebens intensiver zu erleben und meine Beziehungen zu meinen Mitmenschen besser zu gestalten.

Die Corona-Krise hat Seenotrettung extrem erschwert. Zum einen sind die Menschenrechtsverletzungen, die im Mittelmeerraum von der EU geduldet oder sogar unterstützt werden, noch weniger in den Medien präsent. Zum anderen nutzen insbesondere Malta und Italien die Corona-Krise, um NGOs daran zu hindern, auszulaufen und Menschenleben zu retten. So wird zum Beispiel jeder NGO nach Anlandung in Italien eine zweiwöchige Quarantäne an Bord des Schiffes verordnet, während Handelsschiffe, die Menschen retten, sofort wieder auslaufen dürfen.

Ich hoffe, dass die Gesellschaft gelernt hat, derartige Situationen nicht mehr zu unterschätzen: Es ist notwendig, schnell und effektiv zu handeln, ohne dabei zu viel Alarmismus zu erzeugen. Unsere Skepsis hatte diesmal einen teuren Preis, einen Preis, den wir nicht alle gleichermaßen bezahlt haben und der leider viele Menschen von ihren Lieben getrennt hat. Ich hoffe wirklich, dass die Situation sich weiter bessert und dass die Menschen verantwortungsvoll und aufmerksam sind, nicht für sich selbst, sondern für das Gemeinwohl.“

Kai Echtermeyer, Seenotretter auf der Alan Kurdi (Sea-Eye e. V.):

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Belarus Es kann gut sein, dass die Situation in Belarus inzwischen schon eine ganz andere ist, wenn Du diesen Text liest, als Mitte September 2020, während ich diesen Artikel verfasse. Doch trotz der dynamischen Situation liegt es mir am Herzen, darüber jetzt zu schreiben – denn was sich dort im Osten Europas abspielt, bedarf dringend unserer Aufmerksamkeit und Anteilnahme.

Und dann begann 2020. Die Ölpreise sanken weiter, Subventionen aus Russland wurden zusammengestrichen. Das Frühjahr brachte dem belarusischen Rubel massive Verluste ein, die sich ganz praktisch in den Geldbeuteln der Menschen zeigten, die immer mehr für den täglichen Einkauf ausgeben mussten. Als wäre das nicht genug, kam im März auch das Coronavirus in Belarus an. Während andere Länder zunehmend in Panik gerieten, Lockdowns ausgerufen und Reisebeschränkungen verhängt wurden, machte Aljaksandr Lukaschenka keinen Hehl aus seiner Verachtung für diese „Psychose“ und empfahl, lieber mehr Traktor zu fahren und Wodka zu trinken. Für seine Ratschläge wurde er auf der ganzen Welt ausgelacht, während die Menschen im Land versuchten, sich mit selbst auferlegten Vorsichtsmaßnahmen vor einer Ansteckung zu schützen. Erschwert wurde dies noch dadurch, dass die veröffentlichten Infektionsraten offensichtlich nach unten korrigiert worden waren und man so keinen verlässlichen Überblick über das aktuelle Geschehen erhalten konnte. Von einigen Bekannten und Freund*innen hörte ich, dass vor diesem Hintergrund die Erfahrung, nahestehende Menschen schwer an SARS-CoV-2 erkranken zu sehen, das Vertrauen in die Regierung schwer beschädigte. Dabei gilt das belarusische Gesundheits­ system als eines der besten in den Ex-Sowjetrepubliken – ein Punkt, der Lukaschenka früher oft zugutegehalten worden war. Im Zuge der Wahlvorbereitungen stellten 55 Kandidat*innen einen Antrag auf Teilnahme, von denen nur 15 für das Sammeln der erforderlichen 100.000 Unterschriften zugelassen wurden. Als aussichtsreichste Kandidaten galten zu diesem Zeitpunkt der

Foto: Artem Podrez

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ch selber war im Sommer 2019 das letzte Mal in Belarus – ziemlich genau ein Jahr, bevor die Proteste begannen. Minsk schien mir damals wie eh und je: Das Zentrum mit seiner großen stalinistischen Prachtstraße museumsreif herausgeputzt, ruhig und sauber. Die Menschen erzählten, dass die Lage weiterhin nicht einfach sei, vor allem wirtschaftlich, aber das sei man ja gewöhnt. Immerhin habe man keinen Maidan erlebt und keinen Krieg, anders als in der Ukraine. Aljaksandr Lukaschenka, der mit seiner Herrschaft über das Land seit 25 Jahren beinahe wie eine naturgegebene Konstante wirkte, war ebenso wenig Thema wie die anstehenden Wahlen im darauffolgenden Jahr. Nichts schien daraufhinzudeuten, dass sich etwas verändern würde …

Protest in Minsk, August 2020 Banker Wiktar Babaryka, der später wegen des Vorwurfs der Geldwäsche inhaftiert wurde, und der Diplomat und Geschäftsmann Waleryj Zapkala, der ins Ausland floh, als ihn Warnungen über eine mögliche Verhaftung erreichten. Ausgerechnet Swjatlana Zichanouskaja, die nie Präsidentin werden wollte, wurde schließlich als einzige ernst zu nehmende oppositionelle Kandidatin zur eigentlichen Wahl zugelassen. Die Ehefrau des bereits im Mai verhafteten, regierungskritischen Video-Bloggers Sjarhej Zichanouski war mit ihrer Kandidatur an seine Stelle getreten. Ihrer Wahlkampf-Initiative schlossen sich auch Weronika Zapkala, die Ehefrau von Waleryj Zapkala, sowie die Leiterin des Wahlstabs von Wiktar Babaryka, Maryja Kaljesnikawa, an. Und damit gingen auf einmal Bilder von Belarus um die Welt, mit denen absolut niemand gerechnet hatte: Drei Frauen, die mit ihrer Forderung nach freien Wahlen die größten Kundgebungen des Landes seit Jahrzehnten auf die Beine stellten – und das, ohne dass auch nur eine von ihnen eigene Ambitionen auf das Amt der Präsidentin hätte. Schon bei diesen friedlichen Protesten kam es zu den ersten Verhaftungen – eine ganz neue Stufe wurde dann allerdings in der Wahlnacht am 9. August 2020, nach der Veröffentlichung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses (80 Prozent für Lukaschenka, zehn Prozent für Zichanouskaja), erreicht: Das Internet war zeitweise abgeschaltet, es befanden sich mangels Akkreditierung kaum ausländische Journalist*innen vor Ort. Circa 100.000 Menschen gingen allein in Minsk auf die Straße, die Polizei setzte Blendgranaten ein, 3.000 Menschen wurden verhaftet, eine Person starb. Seitdem brechen die Proteste nicht ab. Besonders am Wochenende werden große Kundgebungen organisiert, auch jetzt, nachdem Zapkala sowie Zichanouskaja geflo-

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hen sind und Kaljesnikawa verhaftet ist. Immer deutlicher wird, was sich bereits vor den Wahlen abzeichnete: Die Demonstrationen in Belarus werden nicht „geleitet“, sie sind nicht angewiesen auf eine bestimmte Führungsfigur, auf die alle Hoffnungen projiziert werden – sie sind vielmehr ein kollektives Aufstehen von Menschen, die es leid sind, von ihrem Präsidenten als „людишки“ („Leutchen“) gedemütigt zu werden und Polizeigewalt ausgesetzt zu sein, sobald sie friedlich für ihre Rechte eintreten. Die nicht abreißenden willkürlichen Verhaftungen auf der Straße, die Folterungen und Drohungen, die Bilder von Lukaschenka mit seiner Kalaschnikow haben den Menschen im Gegenteil immer deutlicher gemacht, dass das, was vor allem viele ältere Menschen früher in ihm sahen – den Garanten von Ruhe und Sicherheit im Land – eine Illusion ist und dass ihr selbst ernanntes „Väterchen“ ohne jede Skrupel für den eigenen Machterhalt kämpfen wird. Menschen aller Generationen mit verschiedensten Hintergründen treibt es im ganzen Land auf die Straßen. Sportler*innen protestieren, Ärzt*innen machen öffentlich, welche Verletzungen sie bei den Menschen behandeln müssen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, Mitarbeitende der Staatsmedien weigern sich, weiter Propaganda zu verbreiten, Fabrikarbeiter*innen streiken, die Mitarbeiter*innen des ältesten Theaters des Landes erklären sich solidarisch und werden dafür entlassen, Studierende demonstrieren an Hochschulen und nehmen dabei ihre Exmatrikulation in Kauf … Bei all dem sind Frauen außerordentlich präsent, organisieren ihre eigenen Kundgebungen und werden, zunächst häufiger als Männer verschont, selbst immer mehr zum Ziel von Polizeigewalt. Es erstaunt, dass die Proteste bislang friedlich bleiben. Zapkala, Zichanouskaja und Kaljesnikawa hatten immer wieder betont, dass es essenziell sei, gewaltlos für ein „Land zum Leben“ (so der Wahlspruch) zu kämpfen. Ein Kampf, in dem Heldentode nicht zum Programm gehören sollen. Manche Beobachter*innen bezweifeln, dass Lukaschenkas Regime so zu besiegen sein wird – hat er nicht selbst gesagt, neue Wahlen

werde es nur über seine Leiche geben? Doch Gewaltanwendung vonseiten der Demonstrierenden könnte auch Putin davon überzeugen, dass es sich lohnt, offiziell Truppen zur Unterstützung von Lukaschenka zu entsenden, und in diesem Fall würde wohl jede noch so kleine Chance auf eine selbstbestimmte Zukunft von Belarus zunichtegemacht. Es bleibt also auch einen Monat nach den Präsidentschaftswahlen vollkommen offen, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird. Nur eines scheint klar: Ein Zurück zum Sowjet-Replikat, das wird es nicht geben – dafür ist zu viel geschehen. Und ein anderer Punkt berührt mich persönlich sehr: In den letzten Monaten hat sich das Bild von Belarus im Ausland, das früher, sinnbildlich gesprochen, aus einem Foto von Lukaschenka mit der Überschrift „Letzte Diktatur Europas“ bestand, grundlegend gewandelt: Medien haben begonnen, von „Belarus“ zu sprechen statt von „Weißrussland“ und erklären, warum. In den Aufnahmen von den Protesten, den Interviews mit den Teilnehmenden werden Menschen gezeigt, die ein Bewusstsein für ihre Rechte, für die Bedeutung von Demokratie und Solidarität entwickelt haben und dafür auf unterschiedlichste, kreative Weise demonstrieren, ohne in Hassreden zu verfallen (während in Deutschland Menschen mit Reichskriegsflaggen vor dem Parlament randalieren). Es sind Bilder, die einem Respekt einflößen und Hoffnung wecken, dass es so etwas wie einen demokratischen „Wandel von unten“ vielleicht doch manchmal an den unwahrscheinlichsten Orten geben kann. Ich hoffe sehr, dass uns allen in Zukunft auch diese Bilder aus Belarus in den Sinn kommen werden, wenn jemand das Land erwähnt – und dass sich der Schleier, der gedanklich noch allzu oft über unserer geistigen Landkarte in dieser Region liegt, allmählich lüften wird.

Quellen Boguslawskaja, Alexandra: Weißrussland vor spannenden Wahlen, in: www.dw.com/de/wei%C3%9Frussland-vor-spannendenwahlen/a-53732236 (abgerufen am 12.10.2020).

Die Autorin

Klormann, Sybille: Präsidentenwahl in Belarus: Drei Frauen fordern Amtsinhaber Lukaschenko heraus, in: www.zeit.de/politik/ ausland/2020-07/praesidentenwahl-belarus-alexander-lukaschenkofrauen-opposition-swetlana-tichanowskaja (abgerufen am 12.10.2020). Wahlen in Belarus. Tausende bei Oppositionskundgebung, in: www.tagesschau.de/ausland/belarus-proteste-103.html (abgerufen am 12.10.2020).

Gesa Baum, 9. Semester Humanmedizin, Universität Oldenburg.

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Мартинович, Денис: Из Купаловского театра уволены 58 актеров и сотрудников, in: news.tut.by/culture/698202.html (abgerufen am 12.10.2020) Proteste in Belarus. Mit aller Härte gegen Frauen, in: www.tagesschau.de/ausland/belarus-211 (abgerufen am 12.10.2020).


Du hast noch nicht genug? Weitere spannende und interessante Artikel, die leider in dieser Ausgabe keinen Platz mehr gefunden haben, findest Du auf unserem Blog.

Proste in der Pandemie Wie Demonstrationen sich digitalisierten und wieso Präsenz dennoch unersetzbar bleibt. Eine gesunde Demokratie basiert auf der Gewährleistung eines Rechts auf Privatsphäre, auf körperliche Unversehrtheit, Freizügigkeit und Mobilität, dem Schutz vor Zwangsarbeit und allem voran: der Versammlungsfreiheit …

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Ein Besuch in Auschwitz-Birkenau Eine persönliche Reflexion zum Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und der Ausstellungsräume der Holocaust-Opfer verschiedener ethnischer Gruppen in der Gedenkstätte …

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Sven Regener: „Neue Vahr Süd“ Bremen in den 80ern: Frank Lehmann, ein junger Erwachsener mit Anfang zwanzig hat vergessen zu verweigern – und muss jetzt zum Bund. Sein Erleben steht in Sven Regeners Roman im Mittelpunkt, gleichzeitig spiegelt sich in ihm auch das Erleben der westdeutschen Gesellschaft der 80er wider …

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No apparent distress Noch ein Buch darüber, was es bedeutet, Medizin zu studieren und Ärztin zu werden. Braucht es das? Ja, denn der Roman von Rachel Pearson ist ein etwas anderes Buch über das Medizinstudium. Ohne die üblichen Stereotype zu reproduzieren, beschreibt die Autorin ihren unkonventionellen Werdegang.

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Ein Präsentkorb auch für die Polizei? Eine Reflexion unseres Verhältnisses zur Polizei als Institution. In Büchel haben wir bunte, widerständige, ernste und lustige Tage verbracht – unter ständiger Beobachtung der Polizei. Unsere Erfahrungen mit und unsere Haltung zur Polizei sind so vielfältig, wie die Zusammensetzung der Teilnehmer*innen, daher möchte ich einige Beobachtungen reflektieren und kontextualisieren …

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Über Globale Gesundheit und Einfluss von Rechts Wir kommen nicht umhin, uns Gesundheitsfragen im globalen Zusammenhang zu stellen. Wenn wir über globale Gesundheit sprechen, sprechen wir über Menschenleben und universelle Rechte. Wir müssen Gesundheit neu denken. Eine cordon sanitaire in kolonialer Tradition, wie sie zurzeit besteht, ist keine Lösung – sie tötet …

Weiterlesen unter: https://wp.me/p8q4iM-aa

Wissen und Macht Umgestoßene Statuen von Sklav*innenhalter*innen haben einen neuen Diskurs angestoßen. Die Wissenschaften, auf denen „westliche“ Gesellschaften ihr Selbstverständnis aufbauen, existieren nicht in einem Vakuum. Wir müssen aber nicht einmal in den Annalen der Geschichte wühlen. Ein Blick ins Hier und Jetzt zeigt, dass auch dort genug zu tun ist. Es ist nicht nur nötig, einige Personen vom Sockel zu holen – sondern auch, den Sockel selbst zu prüfen …

Weiterlesen unter: https://wp.me/p8q4iM-9X

Das und mehr auf: amatomblog.wordpress.com

Last, but not least … 37


Ist das klausurrelevant? Auf der folgenden Seite findet Ihr, liebe Leser*innen, ein Experiment – und zwar das erste „Amatom-Artikel-Quiz“. Zehn MC Fragen, mit denen Ihr testen könnt, wie aufmerksam ihr diese Ausgabe des Amatoms gelesen habt. Die Bestehensgrenze liegt bei 60 Prozent.

1. Wie heißt die österreichische IPPNW-Sektion? a) OMEGA (Oesterreichische MedizinerInnen gegen Gewalt und Atomgefahren) b) MOSV (MedizinerInnen Oesterreichs in sozialer Verantwortung) c) ÖPNV (Österreichische Präventoren von Nuklear-

katastrophen und Verunfallungen) d) APPNW (Austrian Physicians for the Prevention of Nuclear War) e) es gibt in Österreich nur ICAN, aber keine IPPNW Sektion

2. Wie viele deutsche IPPNW-Sektionen gab es vor 1989? a) vier (für jede Siegermacht eine) b) eine

c) keine d) drei e) zwei

a) 50ml Sterilium als Kurzinfusion 1-0-1 b) Lukaschenka forderte die Menschen dazu auf, mehr Wodka zu trinken und Traktor zu fahren. c) Es gab relativ früh eine Maskenpflicht.

d) Ella und Antonia e) Alex und Emma

d) Mit Verhaftungen von Demonstrant*innen auf sogenannten Querdenker-Demos e) Prominente Covid-19 Patient*innen wie Swjatlana Zichanouska wurden zur Ausreise gezwungen.

6. Was für eine Geburt war die Entstehung der DDR-IPPNW laut Lars Pohlmeier? a) Zangengeburt von hinten b) Steißgeburt von rechts c) Kopfgeburt von unten

3. Wie heißen die aktuellen europäischen Studisprecher*innen der IPPNW? a) Thomas und Ella b) Dominik und Ewald c) Ella und Dominik

5. Wie wurde die Covid-19-Pandemie in Belarus von staatlicher Seite aus bekämpft?

d) Beckenendlage e) Kopfgeburt von oben

7. Die IPPNW Sektion der Sowjet-Union ... a) war verboten. b) wurde von Sergej Kolesnikow gegründet. c) wurde durch die sowjetische Regierung gestützt.

d) verstand sich als pazifistische Organisation. e) hatte ihren Hauptsitz in Warschau.

4. Was waren die drei Geburtstagswünsche von Antonia in Büchel? (Mehrfachantwort möglich) 8. All we want for Büchel 2021 is ... a) Pizza, Pizza, Pizza b) Ende der nuklearen Teilhabe in Deutschland c) Niederlage Donald Trumps bei der US-Wahl 2020

d) Pro Monat eine Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags e) Eine Welt ohne Atomwaffen

a) Ouzo b) Poledance c) mehr B61-12 Bomben

d) Corona e) YOU!

Lösungen: 1A; 2E (u. a. unabhängige Gruppierungen); 3C; 4BDE; 5E; 6B ; 7C ; 8E

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Ansprechpartner*innen und Adressen IPPNW-Lokalgruppen an fast allen Unis

An vielen Unis gibt es lokale IPPNWStudierendengruppen. Wende Dich einfach an die Geschäftsstelle oder direkt an die*den entsprechende*n Ansprechpartner*in. Auch die Arbeitskreise der IPPNW freuen sich über studentische Mitarbeit. IPPNW-Geschäftsstelle Körtestr. 10, 10967 Berlin, Tel: 030-698074-0 | Fax: 0306938166, E-Mail: ippnw@ippnw.de | www.ippnw.de Ansprechpartner für Studierende in der Geschäftsstelle: Ewald Feige: Tel: 030-698074-11, feige@ippnw.de Ansprechpartnerin Programm famulieren&engagieren: Anne Jurema, Tel: 030-698074-17, jurema@ippnw Studierende im Vorstand der IPPNW Der Vorstand der IPPNW wird alle zwei Jahre von der Mitgliederversammlung gewählt. Ihm gehören acht Personen sowie der International Councillor an. Als Student*in im Vorstand vertritt man/frau die Interessen der Studierenden, setzt sich ein für Studierendenarbeit und informiert die Studierenden in der IPPNW über das, was sich im Verein bewegt. Diese Aufgabe übernimmt derzeit: Claudia Böhm, boehm@ippnw.de Studierendensprecher*innen der IPPNW Jedes Jahr werden beim bundesweiten Studierendentreffen Studierendensprecher*innen gewählt. Zur Zeit sind es Frederike Römer römer@ippnw.de und Sophia Christoph, christoph@ippnw.de. Über die einzelnen Sektionen hinaus, gibt es für die Vernetzung auch zwei Europäische Studierendensprecher*innen. Das sind derzeit Ella Faiz (Frankreich), ella.faiz95@gmail.com und Dominik Stosik (Polen), dominik.stosik@student.umed.wroc.pl Aktuelle Infos unter: studis.ippnw.de Mailingliste: ippnw-studies@ippnw-lists.de Die internationale IPPNW-Studierendenhomepage: www.ippnw-students.org Facebook-Seite: www.facebook.com/ippnwstudies Amatom: » Blog: amatomblog.wordpress.com » Facebook: facebook.com/amatomisawesome » Twitter: twitter.com/Amatomisawesome

Studierendengruppen Aktuelle Kontakte auch unter: studis.ippnw.de/studierendengruppen oder über die Geschäftsstelle. Berlin: Lioba Unkel, unkel.lioba@yahoo.de Bochum: Anna Lenka, anna_lenka@web.de Dresden: Franziska Pilz, pilzfranzi@googlemail.com Düsseldorf: Clara Sonneborn, clara.sonneborn@web.de, duesseldorf@ippnw.de Erlangen: Anna Maria Lehner, Anna-Maria.Lehner@gmx.de Gießen: Rebecca Maitra, rebecca.maitra@posteo.de Göttingen: Carla Maria Dohrendorf, carladohrendorf@web.de Hamburg: Kira Meißner, kira.meissner@icloud.com Hannover: Sarah Gries, sarah.gries@stud.mh-hannover.de, ippnw@mhh-asta.de Heidelberg/Mannheim: Lucie Landeck, lucie.landeck@yahoo.de Homburg: Johanna Dahle, hom.stud-ippnw@web.de Jena: Janka Ulrich, jankaulrich@freenet.de, studisjena@ippnw.de Köln: Ariana Safi, arianasafi@gmx.net Lübeck: Frederike Römer, frederike.roemer@web.de Mainz: Lina Schiestl, linaschiestl@gmx.de Regensburg: Sophie Flemmer, sophie.flemmer@web.de, ippnw.regensburg@gmx.de, www.regensburg.ippnw.de Rostock: Johanna Matthews, info@medinetz-rostock.de Tübingen: Antonia Klier, klier@ippnw.de, studigruppe-tuebingen@ippnw.de Witten-Herdecke: Lisa Lombardo, lombardo.lisa@web.de Würzburg: Katharina Kersken, katharina.kersken@stud-mail.uni-wuerzburg.de Arbeitskreise » AK Atomenergie: Paul-Marie Manière, maniere@ippnw.de » AK Flüchtlinge & Asyl: Carlotta Conrad, conrad@ippnw.de » AK ICAN: Dr. Inga Blum, ingablum@gmx.de » AK Medical Peace Work: Dr. Katja Goebbels, goebbels@ippnw.de » AK Süd-Nord: tba, kontakt@ippnw.de

Kontakte 39


Nur noch kurz die Welt retten?

Was ist die IPPNW? IPPNW steht für „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“. In Deutschland heißt die IPPNW zudem „Ärzte in Sozialer Verantwortung“. Die IPPNW wurde 1980 zur Zeit des Kalten Krieges gegründet.

Nur Atomkrieg und sonst nichts? Nein, längst arbeitet die IPPNW zu vielen Themen wie Ethik in der Medizin, Global Health, Flüchtlingsfragen, medizinischer Friedensarbeit oder Atomenergie und Klimaschutz.

Was macht die IPPNW? Die IPPNW ... ... forscht: z. B. in Studien über die Gesundheitsfolgen von Uranmunition und ionisierender Strahlung. ... setzt sich für Benachteiligte ein: z. B. bei direkten Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern für eine gute Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in Deutschland. ... klärt auf: zum Beispiel mit Info-Ständen und Publikationen über die Risiken von Atomwaffen und der Nuklearen Kette.

Mehr als 450 Studierende in 20 Lokalgruppen: Das sind wir, die Studierenden in der IPPNW.

Jedes Jahr finden ein bundesweites und ein europäisches Studierendentreffen statt. Alle Aktivitäten sind offen für Interessierte. Das Besondere: Die IPPNW gibt lokalen Gruppen sehr viele Freiheiten und volle Unterstützung bei den Aktivitäten.

Was kann ich machen? In einer von deutschlandweit 20 Studigruppen kannst du direkt einsteigen und dich zusammen mit anderen Studierenden engagieren. Jede Gruppe setzt sich selbst ihre thematischen Schwerpunkte und plant Vorträge, Filmabende oder Straßenaktionen. Die Studis engagieren sich zum Beispiel für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen, informieren über global- und gesundheitspolitische Themen und setzen sich für die internationale Ächtung der Atomwaffen ein. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Möglichkeiten – je nach Interessenslage der jeweiligen Gruppe.

ippnw Studierende Für eine Welt in Frieden, für eine Welt ohne atomare Bedrohung, für eine Medizin in sozialer Verantwortung.

Bitte abtrennen und einsenden oder per E-Mail an kontakt@ippnw.de

Anmeldung

Ja, ich werde Mitglied und unterstütze die Ziele der IPPNW. Für Studierende kostet das im Jahr 32 Euro | Für Ärztinnen und Ärzte 120 Euro. SEPA-Lastschriftmandat: Ich ermächtige / wir ermächtigen IPPNW e. V., Zahlungen von meinem (unserem) Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein (weisen wir) unser Kreditinstitut an, die vom IPPNW e.V. auf mein (unser) Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis: Ich kann (wir können) innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit meinem (unserem) Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen.

Vorname und Name des*der Kontoinhaber*in

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