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Aufrüstung stoppen, Atomkrieg verhüten Über die DDR-Sektion der IPPNW

Aufrüstung stoppen, Atomkrieg verhüten

Über die DDR-Sektion der IPPNW

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Wie ihr schon aus den anderen Artikeln unserer Ausgabe sehen könnt, gibt es nicht „die“ deutsch-deutsche Geschichte der IPPNW, sondern noch immer eine Vielzahl von Kontroversen und Sichtweisen auf das Thema. Um ein möglichst breites Bild davon wiederzugeben, wandten wir uns auch an Dr. Heinrich Niemann (Geschäftsführer der DDR-Sektion der IPPNW von 1986–1990) und fragten: Welche Rolle spielte die offizielle DDR-Sektion? Wie verstanden sich demgegenüber die oppositionellen ärztlichen Initiativen innerhalb der DDR? Wie verhielt sich die bundesdeutsche IPPNW diesen unterschiedlichen Gruppierungen gegenüber? Und wie wurde schließlich eine Vereinigung möglich? Wir möchten besser verstehen, wie diese komplexe Geschichte die deutsche IPPNW geprägt hat und diskutieren, was das für unser Selbstverständnis heute bedeutet.

Dr. Heinrich Niemann: So wie in den USA, der Sowjetunion und anderen Ländern erreichte die Initiative der amerikanischen und sowjetischen Ärzte mit Bernard Lown und Evgenij Chazov, auch Mediziner in der DDR, z. B. über internationale wissenschaftliche Kontakte, aber auch mit Anfragen aus Moskau an das Gesundheitsministerium der DDR. So nahmen einige Ärzte schon am zweiten Weltkongress der IPPNW in Cambridge teil. Im August 1982 wurde daraufhin entsprechend eines Vorschlags von Prof. Röding ein Komitee „Ärzte der DDR zur Verhütung des Nuklearkrieges“ gegründet. Es stützte sich anfangs vor allem auf die Medizinisch-Wissenschaftlichen Gesellschaften in der DDR. Die DDR-Sektion der IPPNW entstand so als siebte Europas und elfte in der Welt.

In der Bundesrepublik hatte sich im Mai 1982 die IPPNW-Sektion gegründet, die sich auf anderem Wege etablierte. Das war sowieso von Land zu Land auch international unterschiedlich.

Das Komitee der „Ärzte der DDR zur Verhütung des Nuklearkrieges“ wurde von dem international bekannten Biochemiker Prof. Samuel Mitja Rapoport geleitet, der vor den Nazis in die USA emigriert war, dort herausragende Ergebnisse in der Blutforschung so zur längeren Konservierung von Blutkonserven und zur Aufklärung einer Erkrankung in Japan leistete, wegen seiner politischen Gesinnung von McCarthy verfolgt wurde und schließlich in die DDR übersiedelte. Dort baute er in Berlin das im Krieg zerstörte Biochemische Institut der Humboldt-Universität wieder auf.

1984 übernahm Moritz Mebel den Vorsitz, ein bekannter Urologe und Nierentransplanteur. Mebel emigrierte mit seinen Eltern in die Sowjetunion und kämpfte als junger Offizier in der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland.

Das Komitee konnte sich auf Traditionen des ärztlichen Widerstandes gegen den Krieg und gegen den Atomkrieg stützen. So wirkte in Leipzig Professor Felix Boenheim, der in der Weimarer Republik 1932 maßgeblich an der Gründung des „Internationalen Ärztekomitees für den Frieden“ beteiligt war und 1951 in Leipzig gemeinsam mit Fritz Gietzelt das „Leipziger Friedenskomitee der Ärzte“ gründete. Der Radiologe Gietzelt war als einziger deutscher Arzt Mitglied einer internationalen Ärztegruppe, die 1950 in Hiroshima die Folgen der Atombombenabwürfe untersuchte. Viele Ärzte in der DDR hatten z. B. die Stockholmer Appelle gegen den Atomkrieg in den 1950er Jahren unterschrieben.

Entscheidend für uns war, die Forderungen und Ziele der IPPNW zu vertreten: Stopp dem nuklearen Wettrüsten, besonders dann der Atomtests und Aufzeigen der Folgen eines Nuklearkrieges.

1986 wurde die individuelle Mitgliedschaft eingeführt. Ende 1989 waren schließlich rund 8.000 Ärzte und Zahnärzte sowie etwa 800 Medizinstudenten Mitglied der IPPNW-Sektion. Viele Aktivitäten wurden entwickelt. So protestierte die DDR-Sektion auch gegen die sowjetischen Atomwaffenversuche, was schon eine Besonderheit für die DDR darstellte. In großen DDR-Zeitungen konnte der Wortlaut von Erklärungen der IPPNW abgedruckt werden.

Die DDR-Sektion traf auf großes Interesse und Achtung in der DDR-Gesellschaft und entwickelte sich international zu einer der aktivsten Mitgliedssektionen.

Davon zeugen auch die Einladungen zu Beiträgen auf den IPPNW-Weltkongressen und die Einschätzungen des IPPNWCentral Office in Boston. Sie war 1989 Gastgeber des Treffens der Europäischen IPPNW-Vertreter in Potsdam und 1988 Gastgeber des internationalen wissenschaftlichen Symposiums über das „Schicksal der Medizin im Faschismus“ von sieben IPPNWSektionen in Erfurt und Weimar. Das Kongressprotokoll wurde in beiden Staaten als Buch veröffentlicht. An einem internationalen Treffen in der DDR-Regierung für Kernwaffenfreie Zonen nahmen IPPNW-Ärzte aus 16 Ländern (darunter Prof. HorstEberhard Richter und Prof. Ulrich Gottstein) teil, Bill Monning als US-amerikanischer Exekutivdirektor der IPPNW hielt einen Plenarbeitrag.

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Sektionen war nicht einfach, entwickelte sich aber sachlich und konstruktiv. Bernard Lown setzte sich wiederholt für eine Zusammenarbeit besonders der beiden deutschen Sektionen ein. Es gab zwei oder drei offizielle Treffen zwischen den Vorständen, Gespräche am Rande von internationalen Konferenzen und Treffen, die Teilnahme von Vertretern der DDR-Sektion an Kongressen der BRDSektion. Ich könnte hier viele Namen aufzählen. Es wurden gemeinsame offene Briefe an die Regierungen der BRD und DDR mit den IPPNW-Forderungen gerichtet. Hervorzuheben sind die gemeinsame Organisation der „IPPNW-Konzerttour“ mit Beethovens Missa Solemnis, die von Westberlin über London, Moskau nach Dresden führte, und die gegenseitigen Besuche von IPPNW-Ärztegruppen Dresden/Stuttgart-Böblingen, München/ Karl-Marx-Stadt oder Frankfurt und Saarbrücken, auch im Rahmen von Städtepartnerschaften.

Eine der zentralen Bedingungen dafür, dass diese blockübergreifende Organisation in der Zeit des kalten Krieges überhaupt entstehen konnte, war die Verabredung in der Satzung, aus beruflicher ärztlicher Verantwortung den Atomkrieg zu bekämpfen und dabei ideologische, politische, konfessionelle und dergleiche Unterschiede hintan zu stellen. Die IPPNW war international als „non partisan“ Organisation angetreten, nicht aber, um Partei zu ergreifen für dieses oder jenes Gesellschaftssystem. Chazov war ja z. B. auch sowjetischer Gesundheitsminister so wie Mebel Mitglied des ZK der SED war und IPPNW-Ärzte in anderen Ländern Parlamentsmandate wahrnahmen.

Diese Idee hatte mich auch persönlich sehr inspiriert, für die IPPNW zu arbeiten. Dieser Grundsatz bildete auch die Basis für die Mitgliedschaft von Ärzten aus kirchlichen Friedensgruppen. Er wurde leider in den Zeiten der deutschen Vereinigung massiv verletzt, als viele Ärzte als IPPNW-Mitglieder entlang der politischen Linien Vorwürfen zu ihrer Arbeit für die DDR ausgesetzt wurden. Die in der bisherigen Geschichtsdarstellung der jetzigen IPPNW lückenhafte, fehlerhafte und vor allem prononciert geringschätzige Darstellung der Arbeit und Rolle der DDR-Sektion sehe ich auch als grobe Missachtung und unkollegiale Beurteilung der Arbeit von mindestens mehreren hundert Ärztinnen und Ärzten und Studenten der DDR für die Ziele der IPPNW, die nicht den kirchlichen Gruppen angehörten.

Ihre Fragen zum Verhalten der bundesdeutschen IPPNW zu den „oppositionellen ärztlichen Initiativen“ kann ich nicht beantworten. Auch nicht zur späteren Vereinigung der beiden Sektionen. Der auf der Versammlung im Juni 1990 gewählte neue Vorstand der DDR-Sektion verzichtete auf meine Arbeit.

Diese ärztlichen Initiativen haben sich, was den Zeitraum meiner Tätigkeit seit 1986 betrifft, zumindest gegenüber dem Vorstand der DDR-Sektion der IPPNW sehr zurückhaltend verhalten. Über ihre sicher vorhandenen Kontakte zur bundesdeutschen IPPNW wurden wir von beiden Seiten nicht informiert. Entgegen manchen Behauptungen wurde die DDR-Sektion offiziell und schriftlich nicht angesprochen. Die Teilnahme kirchlicher Ärzte in den Delegationen zu den IPPNW-Weltkongressen wurde über die Evangelische Kirche in der DDR vereinbart. In einigen Bezirken fanden hingegen Gespräche und auch gemeinsame IPPNW-Aktivitäten mit einzelnen Vertretern statt. Die Friedensgruppen der Kirchen thematisierten neben dem Nuklearkrieg auch andere Themen, die auch offen kritisch gegen die DDR gerichtet waren. Die DDR-Sektion bezog sich jedoch auf das monothematische Hauptziel der IPPNW, wie es übrigens zahlreiche andere Sektionen auch taten. So war sie zwar akzeptiert als Antinuklearkriegsorganisation, aber sah sich nicht als Ansprechpartner für die anderen Themen der kirchlichen Gruppen.

Zu Ihrer Betonung der „offiziellen“ DDR-Sektion der IPPNW kann ich nur feststellen, dass es nach meiner Kenntnis nur eine IPPNW-Sektion der DDR gegeben hat. Diese wurde 1984 vom International Council der IPPNW als Mitglied anerkannt und so auch in den Unterlagen bis hin zum finanziellen Mitgliedsbeitrag bis 1990 geführt.

Der Autor: Dr. Heinrich Niemann, Geschäftsführer der DDR-Sektion der IPPNW von 1986–1990.