bodo Juni 2020

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bodo DAS

IN STRASSENMAGAZ

06 | 20 Die besten Geschichten auf der Straße

2,50 Euro Die Hälfte für den Verkäufer

KLASSIKBRINGDIENST

Covid-19 und Obdachlosigkeit Seite 12

HEU TE: KEIN KONZERT Knast und Krise Seite 18

PI O N I E R I N N I R E T S I E M T L E W N I R E T F A H C BOTS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Petra Landers

Von Max Florian Kühlem

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Alexandra Gehrhardt, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Bastian Pütter, Petra von Randow, Sophie Schädel, Tobias Scholz, Sefa , Sebastian Sellhorst Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Bastian Bochinski (S. 20), Olli Haas (S. 25), Steve Marcus / Reuters (S. 16), David Peters (S. 40), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 5, 6, 23, 30, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38), Julia Scheibeck, Junited Photography (S. 7), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22), Bernd Thissen dpa/lnw (S. 18) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Juli-Ausgabe 10.06. 2020 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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Die Bochumerin ist eine Pionierin des Frauenfußballs. 1981 wurde sie mit ihrem Vereinsteam in Taipeh (inoffizielle) Weltmeisterin, zur Europameisterschaft 1989 schenkte der DFB ein Kaffeeservice. Heute ermutigt Petra Landers Frauen in Sambia und Ghana, Fußball zu spielen.

Knast und Corona

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In den Gefängnissen der Region liegen die Nerven blank, sagt Rechtsanwältin Lisa Grüter. Zu ihren Schwerpunkten gehört Strafvollzugsrecht. Viele Gefangene wenden sich gerade an sie, weil die Haftbedingungen wegen Corona drastisch verschärft wurden. Von Sophie Schädel

Heute: Kein Konzert

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Das Covid-19-Virus trifft auch Konzertveranstalter hart. Die Zukunft einer ganzen Branche ist ungewiss. Wir haben uns die Lage beim Instrumente- und BacklineVerleiher GateToHell in Lünen angeschaut. Von Peter Hesse

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Sefa, bodo-Verkäufer in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, schön, Ihnen mal wieder schreiben zu können. Nach einer CoronaZwangspause kann ich jetzt endlich wieder auf der Straße verkaufen. Wir treffen natürlich alle erdenklichen Vorkehrungen und versuchen, das Risiko für alle so gering wie möglich zu halten – und trotzdem vernünftig zu verkaufen. Mit bodoMaske, Handschuhen und Abstand klappt das aber bis jetzt ganz gut. Viele Leute haben nur zurzeit kein Bargeld dabei, weil sie in den Geschäften mit EC-Karte bezahlen. Einen Großteil meiner StammkundInnen habe ich aber schon wieder getroffen. Zurzeit experimentiert bodo mit niedrigen Trolleys, die auch als Ablage funktionieren, sodass meine Kundinnen und Kunden kontaktlos das Straßenmagazin nehmen können. Einen Verkaufstresen am besten mit Plexiglaswand wie im Einzelhandel haben wir auf der Straße ja nicht. Am liebsten wäre es mir, wenn wir das Schlimmste jetzt hinter uns hätten und der Verkauf ab jetzt so normal wie möglich weiter gehen kann. Ich wünsche Ihnen viel Spaß und bleiben Sie gesund. Ihr bodo-Verkäufer Sefa

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EDITORIAL

04 Menschen | Petra Landers 07 Straßenleben | Unterstützung von überall 08 Neues von bodo 12 Reportage | Vergessen 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Mietzahlungen 17 Kommentar | Äpfel und Birnen 17 Die Zahl 18 Interview | Im Gefängnis herrscht Angst vor Corona 21 Bücher | Weggesperrt 22 Wilde Kräuter | Blutweiderich 23 Kultur | Der Klassik-Bringdienst 24 Veranstaltungskalender 29 Kinotipp | Yalda 30 bodo geht aus | Freischütz 32 Reportage | Das kann man auch essen 36 Reportage | Heute: Kein Konzert 39 Bücher 40 Reportage | Unterm Aluhut 43 Eine Frage… | Verschwörungstheorien 44 bodo Shop | Leserpost 45 Leserpost | Rätsel 46 Verkäufergeschichten | Mihai

Liebe Leserinnen und Leser, da sind wir wieder! Oder vielleicht: Schön, dass wir immer noch da sind! Mitte März stand das noch in den Sternen. Nicht nur, wie viele Wochen ohne Einnahmen es sein würden, die wir überbrücken mussten, sondern auch viel grundsätzlicher: Überlebt unser Konzept? Das, was nötig war und ist zur Eindämmung von Covid-19, trifft Straßenmagazine im Kern. Es geht uns um Begegnung, um Austausch, um Kontakt. In gewisser Weise um das Gegenteil von „Social Distancing“. Mitte März, als wir von der Straße verschwanden, das soziale Leben sich in die eigenen Wohnungen und vor Bildschirme zurückzog, standen wir da: mit den Leuten ohne Wohnung, die keiner mehr sah und mit einem „Produkt“, das sich nicht digitalisieren lässt. Straßenmagazine sind Begegnung plus Journalismus plus soziale Arbeit. Das wussten wir vorher, doch der erzwungene Praxistest zeigte: Wir können in Krisen auf der Straße helfen. Wir können auch digitale Produkte erstellen (und uns damit die gleichen Refinanzierungsprobleme wie der restliche ex-Printsektor einhandeln), aber wir schaffen es nicht, den unüberschaubaren Mehrwert zu kompensieren, den der Kontakt unserer VerkäuferInnen mit unseren LeserInnen erzeugt, den Stadtführungen, Schulbesuche und gemeinsame Veranstaltungen schaffen. Nun sind wir also erstmal zurück auf der Straße. Erzählen Sie es weiter. Unsere VerkäuferInnen und wir freuen uns!

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Als wir am 16. März den Vertrieb des Straßenmagazins einstellten, wussten wir: Unsere Reserven reichen für 6 Wochen. Dass es bodo noch gibt und wir intensiver denn je Menschen in Not helfen können, verdanken wir Ihrer Unterstützung. Herzlichen Dank! Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

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Petra Landers hat sich nie bewusst zur Emanzipationsbewegung gezählt. Sie wollte sich einfach nichts verbieten lassen, war freiheitsliebend. Deshalb ist die Bochumerin Pionierin geworden: Gemeinsam mit dem Frauenfußball in Deutschland, der bis 1970 offiziell verboten war, feiert sie dieses Jahr 50-Jähriges, denn 1970 fing auch die spätere Nationalspielerin mit dem Fußballspielen an. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

Das Wunder von Bochum Noch heute müssen fußballspielende Frauen sich manchmal dumme Sprüche – vor allem von Männern – anhören. Doch immerhin gibt es heute eine Basis-Infrastruktur: Viele Vereine, eine Nationalmannschaft und möglicherweise etwas mehr Toleranz. Als Petra Landers anfing, Fußball zu spielen, da klappte das vor allem, weil sie sich meist unter Jungs aufhielt und von ihnen als gleich akzeptiert wurde. Deshalb fing ihre Vereinskarriere als Zehnjährige in der Jugendmannschaft des FC Bochum als einziges Mädchen an: „Das klappte gut, weil die wussten, die müssen keine Rücksicht auf mich nehmen.“ „Ich denke mal, ich sollte ein Junge werden“, sinniert sie rückblickend beim Treffen auf einem Bochumer Bolzplatz. „Wenn ich mal wieder Obst geklaut hab oder in die Waschkauen der stillgelegten Zechen geklettert bin, dann bestraften mich meine Eltern damit, dass ich in der Schule ein Kleid tragen musste.“ Ansonsten legten ihr die Eltern aber keine Steine in den Weg, sondern ermutigten sie im Gegenteil, ihren Weg zu gehen, sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen. Und natürlich war es ungerecht, dass es bis in die 1980erJahre keine echte Mädchenmannschaft in Bochum gab. Also gründete Petra Landers 1981 selbst eine beim TuS Harpen. Kurze Zeit später bekam sie allerdings ein verlockendes Angebot: „Du hast so ein Talent“, befand ein Bekannter, „willst du nicht mal eine Klasse höher spielen?“ Also zeigte die 19-Jährige ihr Können bei einem Probetraining in Bergisch Gladbach.

Petra Landers geboren 1962 in Bochum

Der dortige Verein SSG 09 Bergisch Gladbach hatte eine erstklassige Frauenfußballmannschaft, die bis heute deutsche Rekordmeisterin ist, und Trainerin Anne Trabant nahm die talentierte Mittelfeldspielerin Petra Landers sofort auf. Im Herbst kam nämlich eine besondere Herausfor-

Erfolge: 1981 (inoffiz.) Weltmeisterin, 1989 Europameisterin, 1982, 1983, 1988 und 1989 Deutsche Meisterin, 1982 DFB-Pokal-Siegerin 2019 war Petra Landers für den Preis „Deutscher Fußball Botschafter“ in der Kategorie „Trainer 2019“ nominiert. Gewonnen haben drei Männer: Jürgen Klopp, Marc-André Ter Stegen und Bernd Schuster.

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MENSCHEN

derung auf den Verein zu: Weil Deutschland noch keine FrauenNationalmannschaft hatte, war die von Bergisch Gladbach als deutsche Vertretung zur inoffiziellen Weltmeisterschaft nach Taiwan eingeladen worden. Mit viel Einsatz gelang es dem Team um Anne Trabant damals, Sponsoren für Reise und eine Minimalausstattung – zum Beispiel Trikots und einen mitreisenden Physiotherapeuten – zu gewinnen. Und tatsächlich gelang es dem SSG 09 Bergisch Gladbach 1981 in Taipeh, den Weltmeister-Titel zu holen. Der Regisseur John David Seidler hat über diese unglaubliche Geschichte, die den Deutschen Fußball Bund (DFB) schließlich veranlasste, ein Frauen-Nationalteam aufzubauen, im vergangenen Jahr einen Dokumentarfilm gedreht: „Das Wunder von Taipeh“ ist aktuell als einer von zwölf Kandidaten für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominiert.

Europameisterschaft 1989: „Als Preis haben wir damals ein Kaffeeservice bekommen“. Für die Herren gab es bei der WM ein Jahr später eine Prämie von 125.000 D-Mark.

Eine der Protagonistinnen im Film und bei anschließenden Filmgesprächen in Premieren-Kinos war Anfang des Jahres Petra Landers. Bis 1991 spielte sie in der (jetzt offiziellen) Nationalmannschaft der Frauen und trug 1989 trotz Kreuzbandriss dazu bei, dass sie die Europameisterschaft im eigenen Land gewann. „Als Preis haben wir damals ein Kaffeeservice bekommen“, sagt sie mit zynischem Unterton und hält eine Porzellantasse samt Untertasse hoch. Zum Vergleich: Für die Herren gab es bei der WM ein Jahr später in Italien eine Prämie von 125.000 D-Mark. Nach Ende ihrer aktiven Lauf bahn bekam Petra Landers‘ Fußballkarriere einen Knick. Sie konzentrierte sich auf ihre berufliche Lauf bahn, die eine eigene Geschichte der Ungleichbehandlung der Geschlechter in unserer Gesellschaft ist: „Ich wusste anfangs nicht, was ich machen sollte, also habe ich eine Arzthelferinnenausbildung angefangen, aber danach immer bis spät in die Nacht an Mopeds rumgeschraubt.“ Ein Cousin, der bei Opel arbeitete, verhalf ihr schließlich zu einer Ausbildung zur KfZ-Mechanikerin. Natürlich war sie die einzige Frau in der technischen Berufsschule, und später fand sie keinen Job. Es gab Anfang der 1980er-Jahre keine KfZWerkstätten mit getrennten Umkleideräumen oder Toiletten – oder der Bereitschaft, zu improvisieren. So kam Petra Landers auf Umwegen zu einer Selbstständigkeit im Druckgewerbe – und arbeitet heute in der Kindertagespflege. Ihre Liebe zum Fußball wurde erst 2009 wieder wachgeküsst, als die Regisseurin Tanja Bubbel in ihrer Tür stand, die die Doku „Die schönste Nebensache der Welt“ über Pionierinnen des Frauenfußballs in Deutschland drehen wollte. Über Kontakte, die damals entstanden, fand sie zum sozialen Engagement für die Vereine Discover Football in Berlin oder Streetfootballworld in Afrika. Die heute 58-Jährige reist regelmäßig nach Sambia – oder zuletzt auch nach Ghana – und ermutigt Mädchen und junge Frauen, Fußball zu spielen. „Ich bin auf Augenhöhe mit ihnen“, sagt Petra Landers, die sich in den Frauen, die teilweise barfuß auf felsigem Grund spielen, selbst in ihren Anfängen beim Pöhlen in den Straßen des Ruhrgebiets sieht. Die Herzlichkeit, das Willkommen-Sein und Aufgenommen-Werden gefallen ihr am Leben in den afrikanischen Ländern, die sie bereist hat, und deshalb möchte sie gern irgendwann nach Sambia auswandern. Auf den Bochumer Bolzplatz hat die Fußball-Botschafterin eine Sporttasche voller Fotos und Dokumente aus einem ereignisreichen Leben mitgebracht: Ihre Erlebnisse in Afrika; dass sie im Zuge der Frauenfußball-WM 2011 ein Buchprojekt mit der iranischen Sportfotografin Maryam Maid realisieren wollte, die das Regime in Teheran bei der Ausreise verhaften ließ; dass sie 2017 als älteste Teilnehmerin den Weltrekord im höchsten Fußballspiel der Welt auf 5.729 Metern Höhe auf dem Kilimandscharo aufstellte – all diese Geschichten müssten gesondert erzählt werden. Und bestimmt kommen noch ein paar dazu bis zum Ruhestand in Afrika.

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STRASSENLEBEN

Unterstützung von überall Ein gemeinnütziger Verein, der ohne staatliche Förderung und ohne große Rücklagen mehr als 30 Angestellte zum größten Teil aus eigenen Einnahmen bezahlt, steht, wenn diese Einnahmen fast vollständig ausbleiben, vor einem Problem. Es gibt uns noch. Das haben wir Ihnen zu verdanken.

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s gibt uns noch: unseren frisch renovierten Buchladen in Dortmund, die Anlaufstellen in Bochum und Dortmund, den Stützpunkt unseres Transportteams, unsere Kleiderkammer, das neu hinzugekommene temporäre Hygienezentrum. Und es gibt sie noch, unsere MitarbeiterInnen in Vertrieb, sozialer Arbeit, Redaktion, in unseren Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten und vor allem: unsere VerkäuferInnen und Verkäufer. Keine Selbstverständlichkeit nach Wochen der Zwangspause. Sechs Wochen hatten wir uns mit Blick auf die Konten gegeben; als alles langsam wieder anlief, waren die längst verstrichen. Wir danken dafür unseren Leserinnen und Lesern, die unsere Hefte digital oder per Post bestellten. Unseren BuchkundInnen, die, sobald es wieder möglich war, Bücher bei uns bestellten oder am Fenster unseres Buchkiosks kauften. Bochumer- und DortmunderInnen, die „jetzt erst recht“ unsere gemeinnützigen Dienstleistungen buchten, von der Transportfahrt bis zur Haushaltsauflösung. Und die Geld für unsere Arbeit für Wohnungslose spendeten.

Wir danken Musikern wie dem Bochumer Thomas Godoj (Foto), der nicht nur im coronaleeren Ruhrstadion eine vierstellige Summe für uns erspielte, sondern seine Fans auch aufrief, aus seinen MerchandiseHalstüchern Masken für Wohnungslose zu nähen: 400 kamen zusammen! (Überhaupt kam aus der selbst massiv krisengeschüttelten Kultur-, Veranstalter- und Gastrobranche Unterstützung, die wir nicht vergessen werden!) Wir danken den MitarbeiterInnen der Stadttochter „Bochum Wirtschaftsentwicklung“, die zugunsten der VerkäuferInnen des Straßenmagazins freiwillig auf Teile ihres Gehalts verzichteten, den Fußballern vom SV Blau-Weiß Weitmar 09, die für uns sammelten, den Fußballbloggern von schwatzgelb.de, die nach Feierabend mit uns ehrenamtlich ein Heft machten, dem BVB, der uns dafür die Türen öffnete, und der BVBStiftung „Leuchte auf “, die uns großzügig unterstützte. Den Anzeigenkunden, die trotz der Unsicherheiten der aktuellen Krise uns die Treue halten. Und wir danken unseren langjährigen Partnern in der Wohnungslosenhilfe für die Erfahrung, dass man in manchen Dingen gar nicht einer Meinung sein muss, um in der Krise an einem Strang zu ziehen. Tanja Walter, Geschäftsleitung bodo e.V.

Einer von so vielen Unterstützern: Der Musiker Thomas Godoj brachte 400 Masken für Wohnungslose bei uns in Bochum vorbei. Foto: Julia Scheibeck, Junited Photography

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NEUES VON BODO

Neustart Als bodo Mitte März den Vertrieb einstellte, konnte niemand absehen, ob und wie es weitergehen würde mit dem Straßenmagazin. Wir produzierten zwar ein Aprilheft, jedoch ohne zu wissen, ob es je auf der Straße erhältlich sein würde. Stattdessen stellten wir fast vollständig auf Nothilfe um und versorgten unsere VerkäuferInnen und andere Wohnungslose mit Supermarktgutscheinen und dem Nötigsten für die Zeit der heruntergefahrenen Infrastrukturen. Nun sind wir wieder auf der Straße, wir machen Hygieneschulungen mit unseren VerkäuferInnen, verteilen regelmäßig Masken und sind überwältigt von der Solidarität und dem Interesse an unserem Magazin und seinen VerkäuferInnen. Herzlichen Dank!

TERMINE

Dürfen wir Sie auf dem Laufenden halten? Dinge ändern sich schnell in Zeiten von Corona. Aktuelle Informationen auf www.bodoev.de und in unserem Newsletter:

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Wo es nötig ist

Alles neu!

Wer draußen lebt, ist von der CoronaKrise besonders hart getroffen. Ohne Wohnung zu sein bedeutet, ohne Schutz zu sein, nicht „zu Hause bleiben“ zu können, bis die Krise vorbei ist. Die erzwungene Schließung der Suppenküchen und Tagesaufenthalte verschärfte die Versorgungslage deutlich. In Dortmund stellten sich die Akteure der Wohnungslosenhilfe neu auf und schufen ein funktionierendes Angebot, in Bochum bleibt die Lage problematisch. In beiden Städten hat bodo seine „Kaffee & Knifte“-Versorgungstouren intensiviert und besucht Menschen, die auf der Straße leben. Neben Lebensmitteln und Schlafsäcken verteilen die Teams auch Hygieneartikel und Gesichtsmarken.

Eine Feier zur Wiedereröffnung unseres Buchladens nach erfolgter Renovierung musste leider ausfallen – froh sind wir trotzdem: Richtig schön ist es geworden am Dortmunder Schwanenwall! Hell und freundlich war unser modernes Antiquariat schon vor der Renovierung, nun hat es einen neuen Boden, frisch gestrichene Wände, viele schöne Detaillösungen und vor allem durch eine ausgeklügelte Aufteilung mehr Verkaufsfläche als vorher. Zusätzlich zum Besuch im Laden nach Hygieneregeln bietet unser Buchkiosk die Möglichkeit zur Abholung und zur Spendenabgabe am Fenster. Am 1. Juni kehren wir zu unseren gewohnten Öffnungszeiten zurück: Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr.


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Wieder da! Am 2. Juni kehrt bodo – bis auf weiteres – zu seinen Vor-CoronaÖffnungszeiten zurück. Es gelten die aktuellen Hygieneregeln und Zugangsbeschränkungen. Unser Buchladen ist wieder 6 Tage in der Woche für Sie da, unsere Anlaufstellen öffnen 5 Tage die Woche. Auch die Bochumer Kleiderkammer steht wieder zur Verfügung. www.bodoev.de

Bald wieder! Eine unseren Aufgaben als Organisation ist es, die Bilder von Obdachlosigkeit in der Gesellschaft zu ergänzen, zu korrigieren – durch Information und durch Begegnungen. Wichtige Foren dazu sind zurzeit verwaist: Vorträge in Schulen, Hochschulen, Gemeinden und Vereinen fallen seit März Covid-19 zum Opfer. 161 eigene Veranstaltungen zählte unser Kalender im vergangenen Jahr, in diesem Jahr wird es wohl ein Bruchteil sein. Zurzeit arbeiten wir an der technikgestützten, regelkonformen Durchführung unserer Stadtführungen. Wir hoffen, sobald es erlaubt, ist ein so sicheres wie spannendes Angebot für Sie zu haben. Neues von bodo finden Sie auf www.bodoev.de.

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

Sommer-VHS 2020 Vom 15. Juni bis 11. August 2020

Mit der Sommer-VHS haben Sie die Gelegenheit, gut über den Sommer zu kommen. Bei einem Angebot von 100 Veranstaltungen in 20 Themenfeldern von Fotografie über Ökologie bis Sprachen ist garantiert auch etwas für Sie dabei.

Jetzt anmelden! www.vhs.dortmund.de

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Susanne Schröder: anzeigen@bodoev.de oder Tel. 0231 – 950 978 0

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NEUES VON BODO

Hygienezentrum Wo kann ich duschen, wenn ich keine Wohnung habe? Mit Corona befanden sich auch niedrigschwellig zugängliche Duschen und sanitäre Anlagen plötzlich buchstäblich hinter verschlossenen Türen. Gemeinsam mit anderen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und der Stadt haben wir nun endlich eine Lösung gefunden: Jetzt gibt es in der Dortmunder Innenstadt ein temporäres Hygienezentrum, in dem Menschen ohne Wohnung an drei Tagen in der Woche kostenlos duschen können. Gast-Haus, bodo und das Wärmebus-Team betreiben den von der Stadt zur Verfügung gestellten Duschtrakt der früheren Flüchtlingseinrichtung im ehemaligen Kreiswehrersatzamt. Die Stadt und die Wohlfahrtsverbände beteiligen sich finanziell. Neben den sanitären Einrichtungen gibt es eine Kleiderkammer, in der an jedem Öffnungstag Dutzende Wäschepakete und Hygienepacks ausgegeben werden.

SOZIALES Obdachloser EU-Bürger hat Anspruch auf ALG II: Einem obdachlosen Portugiesen steht „Hartz IV“ durch das Wuppertaler Jobcenter zu. Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf hat bundesweite Bedeutung, weil es klärt, dass der Staat in der Krise das Überleben auch von Nicht-Deutschen sichern muss. Die Leistungen zu verweigern, war dem Gericht „gerade in der derzeitigen Extremsituation aufgrund der Pandemie völlig unverständlich“. „Coronazuschlag“ für Einkommensschwache: Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften fordern einen „Coronazuschlag“ für Ärmere. Monatlich 100 Euro mehr sollen coronabedingt steigende Lebenshaltungskosten auffangen. Die Sozialberatung Tacheles fordert außerdem Einmalzahlungen für SGB-II-Haushalte und die Gewährung von Schulcomputern. Trotz Unterrichtsausfall verweigern viele Ämter die Kostenübernahme, auch Masken gelten nicht als Mehrbedarf. Kurzarbeit für 50 Millionen Beschäftigte wurde bis April in der EU, der Schweiz und Großbritannien beantragt. Gemessen an der Zahl der Beschäftigten sind laut Hans-Böckler-Stiftung und dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut Beschäftigte in der Schweiz (48,1 Prozent), Frankreich (47,8 %) und Italien (46,6 %) am stärksten betroffen. Die Forscher fordern europaweit einheitliche Kurzarbeiterregelungen und eine Stärkung des Kündigungsschutzes in der Krise. Menschen in Unterkünften nicht vergessen! Das europäische Netzwerk der Wohnungslosenhilfe-Organisationen FEANTSA warnt vor „drastischen Folgen“ der Pandemie im Sozialwesen. Wer in Einrichtungen lebe, dem drohten verstärkt Vernachlässigung, Missbrauch und psychische Belastung. Die Sozialsysteme benötigten ausreichende Finanzierung, um den Risiken für Betroffene, Familien und Pflegende zu begegnen, heißt es in einem Appell an die EU-Staatschefs und die Kommission. 10

Gedenken Wir trauern um unsere ehemalige Bochumer Verkäuferin Conny, die bereits im März im Alter von 58 Jahren verstorben ist. Sie lebte auf der Straße und wurde von Bekannten schon länger vermisst, als sie Anfang April in Bochum-Gerthe tot aufgefunden wurde. Sie starb ohne Fremdeinwirkung, lebte jedoch wie alle Menschen ohne Wohnung unter Bedingungen, die sich massiv auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirken. Niemand sollte so sterben müssen. Achten Sie auch in Zeiten von „Social Distancing“ auf Ihre Mitmenschen und rufen Sie im Zweifelsfall Hilfe. Verkäuferschaft und MitarbeiterInnen bei bodo trauern mit Connys FreundInnen.


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www.facebook.com/bodoev info@bodoev.de Ansprechpartner

0231 – 950 978 0

Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de

bodo ist für Sie da

Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de

Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 9 – 16 Uhr Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20

Wir liefern Ihnen Ihre Medikamente per Botendienst - mit KONTAKTLOSER Übergabe! Kostenfrei ab 19 € und bei Rezepteinlösung. Gerne PayPal od. EC-Karte.

Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de

Spendenannahme DO

Westenhellweg 81 • 44137 Dortmund Tel./WhatsApp* 0231 84 01 00 90 schwanen@ausbuettels.de

Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de

Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr

*Bitte beachten Sie bei der Benutzung von WhatsApp unsere Hinweise zum Datenschutz. Diese erhalten Sie in unseren Apotheken oder unter www.ausbuettels.de/datenschutz.

bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de

Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Mo. 10 – 13, Sa. 10 – 12 Uhr

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100 SEITEN BORUSSIA | SONDERHEFT ZUGUNSTEN DES STRASSENMAGAZINS | 2,50 EURO

bodo DAS STRASS ENMAG

AZIN

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Dodo Dachs hat viele Fragen. Eine davon ist ganz wichtig. Und auf die will er eine Antwort. Auf der Suche erlebt er so einiges – und das haben bodo-Autor Peter Hesse und seine Tochter Lola in einem Buch festgehalten und 50 Exemplare an bodo gespendet! Die Geschichte von Dodo Dachs ist ein Kinderbuch, das ganz leise und ohne erhobenen Zeigefinger erzählt, was Glück ist – und dass es dazu nicht immer nur Feuerwerk und Palmenstrand braucht. „Dodo Dachs sucht eine Antwort“ ist für 5 Euro in unserem Buchladen in Dortmund und in unserem Onlineshop auf www.bodoev.de erhältlich – so lange der Vorrat reicht. Danke, Lola und Peter, für die schöne Aktion!

WAS UNS FUSSBALL BEDEUTET ENGAGEMENT IN ZEITEN VON CORONA HAKIMIS PLAYSTATION LUCIEN FAVRE GEGEN DAS VERGESSEN

bodo-schwatzgelb

Zum ersten Mal in 25 Jahren erschien im Mai keine reguläre Ausgabe des Straßenmagazins. Stattdessen erneuerte die bodo-Redaktion eine bereits bewährte Kooperation. Mit der Redaktion des Fußballblogs schwatzgelb.de und mit freundlicher Unterstützung des BVB ist ein 100-seitiges digitales Magazin über einen „Fußballverein außer Betrieb“ entstanden: Es gibt Rück- und Ausblicke, Innen- und Außenperspektiven, einen Schwerpunkt zum Engagement von Fans, Spielern und Verantwortlichen, Reportagen, Serien-, Hör- und Buchtipps sowie die meinungsstarken schwatzgelb-Texte zur Gegenwart und Zukunft des Fußballs. Das digitale Magazin gibt es für 2,50 Euro als Download auf bodoev.de.

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

Dodo für bodo

Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

Von einem Tag auf den anderen war quasi alles dicht. Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens bedeutet für Wohnungslose, noch mehr als ohnehin abgeschnitten zu sein vom Nötigsten. Im Lockdown geht es nicht um Lebensqualität, sondern darum, über den Tag zu kommen. Wo der Staat schnell und unkompliziert helfen müsste, wird klar: Wohnungslose sind auch in der Pandemie eine vergessene Gruppe. Ein Blick nach Bochum und Dortmund. Von Alexandra Gehrhardt | Fotos: Sebastian Sellhorst

VERGESSEN E

s hat sich eingespielt. Wer in der Schlange am Gast-Haus gegenüber dem Dortmunder U ansteht, weiß, dass gerade Abstandhalten angesagt ist, Helfer achten darauf, dass das auch passiert. Seit acht Wochen lädt das Gast-Haus nicht mehr zum Frühstück, sondern gibt Kaffee, Tee, Obst und Brötchen nur noch durchs Fenster aus, dann müssen die Gäste Platz für den nächsten machen. Wohnungslosenhilfe to go, das ist das, was gerade möglich ist. Der Lockdown hat 678.000 Menschen in Deutschland ohne eigene Wohnung in akute Nöte gebracht. Er bedeutete Frühstücksstellen, Suppenküchen und Beratungsstellen im Notbetrieb, Behörden im Homeoffice, geschlossene Türen an Orten, die sonst Aufenthalt bieten, ein offenes Ohr und sozialen Kontakt. Und er bedeutete kein Geld, machte Betteln, Pfandsammeln und auch den Verkauf des Straßenmagazins für Wochen quasi unmöglich.

Wohnungslosenhilfe in Sorge Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe BAG W ist in Sorge: „Die Corona-Krise bedeutet für wohnungslose Menschen eine dramatische Verschlechterung ihrer ohnehin bereits prekären Lebenslage.“ Und meint damit die, die komplett auf der Straße leben genauso wie die, die in Unterkünften nicht „Abstand halten“ können, um sich vor einer Infektion zu schützen. Gerade in Sammelunterkünften ist das, nicht erst seit Corona, ein Problem. Schon im März standen 300 Obdachlose in Hamburg unter Quarantäne, nachdem in der Unterkunft jemand an Covid-19 erkrankt war. Bundesweit schlagen Flüchtlingsräte Alarm: „Wir beobachten derzeit eine bewusste Gefährdung der Gesundheit, nämlich dass eine Durchseuchung in Kauf genommen wird“, kritisiert zum Beispiel der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. Laut Robert-Koch-Institut lebte ein Drittel der in Deutschland im Zusammenhang mit Covid-19 Verstorbenen in Gemeinschaftsunterkünften wie Gefängnissen, Alten- und Pflegeheimen, Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften. Die BAG W fordert Sofortmaßnahmen: die Ausweitung von Unterbringungsmöglichkeiten zum Beispiel in Hotels oder leerstehenden Wohnungen, die Reduzierung der Zimmerbelegung, für Quarantänefälle abgeschlossene Wohneinheiten, die Rückzug ermöglichen; aber auch die basale Absicherung und Notversorgung derer, die ohne Obdach auf der Straße leben.

Abstand halten beim Warten auf eine Mahlzeit. Ein Notfallplan stellt derzeit die Essensversorgung Wohnungsloser in Dortmund sicher, die mit dem Lockdown zu kollabieren drohte.

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BAG W: „Die CoronaKrise bedeutet für wohnungslose Menschen eine dramatische Verschlechterung ihrer ohnehin bereits prekären Lebenslage.“

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REPORTAGE

Ringen ums Nötigste In Dortmund schlug die Wohnungslosenhilfe früh Alarm und warnte vor den Konsequenzen des Lockdowns. Erst als in den Ruhr Nachrichten zu lesen war, wie kritisch die Lage ist, setzte sich das Sozialamt mit einzelnen Akteuren zusammen. In Woche drei des Lockdown stand ein „Notfallplan“ für die Essensversorgung, gestemmt vor allem durch Ehrenamt. Die Stadt verkauft das Konzept als das ihre. Die Kosten tragen die Initiativen selbst. Die Gastro-Initiative, die täglich 300 Lunchpakete vorbereitet (s.S. 30), hätte sich über finanzielle Unterstützung gefreut. Die Stadt sagte nein. Und dankte Gast-Haus und Gastro-Initiative für ihre Spende. Es brauchte zwei weitere Wochen, bis auch eine Lösung für die weggefallenen Duschen und Sanitäranlagen gefunden war. Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist in der Dortmunder Innenstadt ein Hygienezentrum installiert, in dem Wohnungslose duschen und sich mit Kleidung versorgen können. GastHaus, das Team des Wärmebusses und bodo organisie-

ren den Betrieb, die Wohlfahrtsverbände beteiligen sie finanziell. Die Stadt übernimmt einen Teil der Kosten und stellt die Räume. Und die Unterkünfte? Dort wird kein Handlungsbedarf gesehen. Jede Einrichtung habe einen verpflichtenden Hygieneplan, hieß es im März aus dem Dortmunder Presseamt, sofern möglich, werde die Belegung gesenkt: „Grundsätzliche Einschränkungen sind aber nicht vorgesehen.“ Auch nicht vorgesehen: Rückzugsmöglichkeiten für jeden Einzelnen. „Bei dem Angebot handelt es sich um im Ordnungsrecht verortete Notschlafstellen für obdachlose Menschen und nicht um eine Wohneinrichtung, wie sie etwa aus der Behinderten- oder Altenhilfe bekannt ist.“

Blackbox Unterkunft Wie die Bedingungen in Sammelunterkünften tatsächlich sind, ist schwer zu sagen, das System Unterbringung ist kompliziert und in jeder Kommune unterschiedlich. Oft genug reißen sich Verantwortliche nicht gerade da-

Frühstück gibts durchs Fenster, dann muss man weiter. Vor allem ehrenamtliche Strukturen stemmen die Notversorgung von Wohnungslosen in Dortmund. In Bochum gibt es keinen vollen Ersatz für die nun geschlossene Suppenküche. Der Wärmebus der Malteser versorgt fast täglich Dutzende mit einer warmen Mahlzeit. Am Gast-Haus und am Haus Wichern gibt es Frühstück to go. Die Kommunen halten sich auch in der Krise zurück, wenn es darum geht, die Existenz der Ärmsten zu sichern.

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rum, zu erzählen, wenn etwas nicht rund läuft. In Dortmund darf European Homecare (EHC), Betreiber der Männerübernachtungsstelle in der Unionstraße, nicht mehr mit der Presse reden, seit 2014 Misshandlungen an Geflüchteten in mehreren EHC-geführten Einrichtungen bekannt geworden waren. Diejenigen, die die Einrichtungen kennen, sind ihre Bewohner. In seinem Fünfbettzimmer seien sie gerade zu dritt, erzählt uns zum Beispiel ein bodo-Verkäufer aus Dortmund. Er war eigentlich schon aus der Notunterkunft raus, hatte einen Platz in einer städtischen Wohnung. Er hatte einen obdachlosen Freund auf der Couch schlafen lassen, das ist nicht erlaubt. Ein paar Tage vor dem Lockdown flog er raus, jetzt ist er wieder in der Notunterkunft.

Isolation und Mangel In Bochum stellte die Diakonie im Fliednerhaus, der Notunterkunft am Stadion, nach dem Lockdown auf eine 24-Stunden-Öffnung um und versorgt die Untergebrachten per Caterer. Weil die Suppenküche geschlossen ist, gibt es für die, die keine Wohnung und keine Kochgelegenheit haben, ein Lunchpaket zum Mitnehmen. Auch in der Notunterkunft geht die Pandemiebekämpfung über persönliche Freiheiten. Leiterin Chris Caldow erklärt: „Für Verdachtsfälle haben wir Isolierplätze in Einzelzimmern eingerichtet. Für Neuaufnahmen gibt es eine Quarantäne-Aufnahme-Station.“ Dort bleiben Neuankömmlinge mehrere Tage, bevor es in ein „normales“ Zimmer geht. Den Kontakt nach außen sollen die Bewohner minimieren. Bewohner beklagen, man dürfe nicht länger als eine Stunde am Stück wegbleiben. Ein zeitlich befristeter Ausgang, der außerhalb von Massenunterkünften wohl niemanden traf.

weil prekäre Aushilfsjobs durch Corona wegfielen, jetzt ohne jedes Einkommen dastehen. Die Stadt ist informiert und teilt auf Anfrage mit: Für die Unterkünfte gelten die allgemeinen Hygienekriterien des Robert-KochInstituts, mit dem Gesundheitsamt gebe es Absprachen, wie bei Infektionen vorzugehen sei. Auf die Frage, wie die Versorgung in den Unterkünften abläuft, heißt es: „Alle städtischen Einrichtungen sind grundsätzlich so ausgestattet, dass sich die dort wohnenden Personen selbst versorgen können.“ In der Praxis braucht man Geld, um sich selbst versorgen zu können – etwas, an dem es Wohnsitzlosen eben gerade jetzt fehlt. Mit den Lockerungen der vergangenen Wochen heißt es jetzt in vielen Lebensbereichen „Back to normal“. Bis Anlauf- und Beratungsstellen, Suppenküchen und Kleiderkammern wieder öffnen und alles wieder „normal“ ist, wird es noch dauern. Was schon jetzt feststeht: Die Krise hat klar gemacht, wo der Staat in Zukunft handeln muss, um die Schwächsten zu schützen. Ob er es tun wird, ist mehr als fraglich.

Weil mit dem Lockdown auch Duschen und Kleiderkammern unerreichbar sind, ist in der Dortmunder City ein temporäres Hygienezentrum entstanden, wo Menschen duschen können,

Auch von anderswo ist Bedenkliches zu hören. Die Containerunterkunft in Wattenscheid, in der zurzeit rund 130 Wohnungslose und Geflüchtete untergebracht sind, ist auf Hilfsgüter angewiesen, um durch die Krise zu kommen. Es scheint am Nötigsten zu mangeln, berichtet uns jemand, der die Einrichtung kennt, aber ebenfalls anonym bleiben möchte: an Platz in den kleinen Zimmern, an Duschen, Toiletten, selbst Reinigungsmitteln. Zu den Untergebrachten gehörten auch Menschen mit psychischen Erkrankungen und solche, die im Fliednerhaus Hausverbot haben. Die Initiative „Bochum hilft“ bringt einmal in der Woche Seife, Toilettenpapier, Konserven und Obst vorbei, um die zu versorgen, die keine Leistungen bekommen, oder die,

Kleidung und Hygienepacks bekommen. Mehr als 600 NutzerInnen kamen in den ersten 4 Wochen.

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DAS FOTO

Nach einem Ausbruch von Sars-CoV-2 in einer 500-BettenNotschlafstelle in Las Vegas / Nevada brachte die Stadt die Bewohner auf einem Parkplatz mit Abstandsmarkierungen unter. Auch in Deutschland sind fehlende Schutzkonzepte für Sammelunterkünfte ein Hauptproblem bei der Eindämmung des Virus. Wiederholt gibt es große Ausbrüche in Geflüchtetenund Saisonarbeiterunterkünften. Foto: Steve Marcus / Reuters

MIETEN & WOHNEN

Wenn wegen Corona die Miete zum Problem wird von Dr. Tobias Scholz, Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. Durch die Corona-Krise sind viele Menschen von Kurzarbeit betroffen, Selbstständigen brechen Einnahmen weg, gleichzeitig gibt es nur geringe Sparoptionen bei den Ausgaben. Viele Betroffene fragen sich, wie sie bei der Miete „über die Runden“ kommen, ohne Stress und Ärger zu riskieren. Der Bundestag hat Ende März beschlossen, Mieter befristet für drei Monate vor Kündigungen bei „Corona-bedingten“ 16

aktuellen Zahlungsrückständen zu schützen. Die Miete ist „am Ende“ – nach einem Zeitaufschub von bis zu 24 Monaten – aber voll zu entrichten. Der Vermieter kann Verzugszinsen von derzeit 4,12 % verlangen. Geschützt sind Menschen, die in Folge der Krise jetzt deutlich weniger Geld zur Verfügung haben. Sie sind verpflichtet, Wohngeld oder, bei sehr geringem jetzigen Einkommen, vorübergehend ergänzende

ALG-II-Leistungen beim Jobcenter zu beantragen. Dann kann dargelegt werden, dass jetzt ein nicht vermeidbarer Mietrückstand Corona-bedingt besteht. Rein rechtlich könnte gewartet und weniger gezahlt werden, bis der Vermieter nachfragt. Besser ist es, sofort Kontakt aufzunehmen und die aktuelle Arbeits- und Einkommenslage zu erläutern. Verdienstbescheinigungen, Bestätigungen des Arbeit-


KOMMENTAR

Äpfel und Birnen Von Bastian Pütter Im letzten Text an dieser Stelle – geschrieben am Tag des Inkrafttretens der Coronaschutz-Verordnung – wurde vor dem „Furor der Entschlossenheit“ gewarnt. Denn, aus Erfahrung: Staatliche Machtausübung neigt dazu, sozial und politisch selektiv zu sein. Und mehr Macht, mehr Unwucht. Eine kleine Geschichte von Äpfeln und Birnen.

Milde und Härte beim Infektionsschutz

Am 9. Mai, die Kernsätze der „CoronaSchVO“ galten weiter (§11.1 Veranstaltungen und Versammlungen sind untersagt, §12.1 Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als 2 Personen sind untersagt), demonstrierten in Dortmund rund 200 Menschen, darunter Neonazis, rechte Hools und Verschwörungsgläubige, bedrohten und attackierten Journalisten. Die Versammlung war von Stadt und Polizei verboten worden, trotzdem sammelte sie sich ungehindert auf dem Alten Markt. Man skandierte gemeinsam „Widerstand“, drängte sich dicht an dicht durch die Baustelle an der Hansastraße und marschierte fröhlich-aggressiv geschlossen durch die Innenstadt. Folgenlos. Der CDU-Ordnungsdezernent, der bislang den Law-and-Order-Mann gegeben hatte („Wir werden sanktionieren. Infektionsschutzverstöße sind strafrechtliche Verstöße“), verfiel auf der folgenden Pressekonferenz in milden Ton. Schwamm drüber. Jetzt ist Milde bei Ordnungsdezernenten etwas, das wir eigentlich schätzen, aber, wie angedeutet, mit der Gießkanne wird sie nicht verteilt. Drei Beispiele: 1) Zwei obdachlose bodo-Verkäufer, „Haushaltsgemeinschaft“ im gemeinsamen Zelt, begegnen drittem Obdachlosen. 2) Ein bodo-Verkäufer sitzt auf einer Parkbank, am anderen Ende eine Bekannte. Jemand fragt nach Feuer. 3) Wohnungslose essen die Brote, die morgens am Gast-Haus ausgegeben werden und bis zum Abend vorhalten müssen. Die dafür ausgestellten Bußgeldbescheide lauten auf „Verbotswidrige Teilnahme an einer Zusammenkunft oder Ansammlung im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen“. Die Kosten: je 200 Euro Geldbuße plus 25 Euro Gebühr plus 3,50 Euro Auslagen gleich 228,50 Euro. Danke fürs Durchgreifen. Mit den Bußgeldbescheiden in der Hand durften die Betroffenen übrigens abends in der städtischen Notschlafstelle in Mehrbettzimmern „Ansammlungen“ mit vielfachem Risiko bilden. Und einige bald auch im Gefängnis. Wer die Bußgelder nicht zahlen kann, dem drohen „Ersatzfreiheitsstrafen“. Statt einem Tausendfachen „Bleiben Sie zu Hause!“ hätte man Obdachlosen in Dortmund vielleicht einfach raten sollen, ihre Unterhaltungen auf verbotene rechte Demos zu verlegen.

gebers über Verdienstausfälle, Anträge auf staatliche Leistungen, Leistungsbescheide von Behörden sind sofort oder später vorzulegen. Für Mieter oder Pächter von Gewerbeimmobilien sind dies behördliche Verfügungen, durch die ihnen der Betrieb untersagt oder erheblich eingeschränkt wird. Sinnvoll ist, Stundungen- und Ratenzahlungen schriftlich zu vereinbaren. Dies hat Vorteile für beide Seiten: Der Vermieter weiß, in welcher Höhe er „warten muss“ und ab wann in welcher Höhe Rückzahlungen

erfolgen. Mieter haben die Sicherheit, dass es keinen Stress mit Mahnungen oder Zahlungsaufforderungen gibt, selbst wenn keine Kündigung zulässig ist.

DIE ZAHL

638 Menschen nutzten in den ersten vier Wochen das temporäre Hygienezentrum, das bodo mit Gast-Haus und Wärmebus-Team in Dortmund betreibt. Damit sind die vorhandenen Duschmöglichkeiten zu 80 Prozent ausgelastet.

Mieterfreundliche Muster und Infos gibt es z.B. auf der Internetseite des Mietervereins Dortmund: Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. Kampstraße 4, 44135 Dortmund www.mieterverein-dortmund.de 17


INTERVIEW

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Im Gefängnis herrscht Angst vor Corona Italien, Frankreich, USA, Kolumbien, Peru, Russland, Iran, Indonesien, Thailand – als Reaktion auf mangelnden Schutz und sich durch QuarantäneBestimmungen verschlechternde Haftbedingungen kommt es seit März weltweit zu Gefängnisaufständen. Auch in den Gefängnissen der Region liegen die Nerven blank, sagt Rechtsanwältin Lisa Grüter. Zu ihren Schwerpunkten gehört Strafvollzugsrecht. Viele Gefangene wenden sich gerade an sie, weil die Haftbedingungen wegen Corona drastisch verschärft wurden. Von Sophie Schädel | Fotos: Bernd Thissen dpa/lnw, Bastian Bochinski

In Gefängnissen leben Menschen auf engem Raum zusammen. Ist für sie das Coronavirus eine besonders große Gefahr? Es gibt Beobachtungen, die zeigen, dass sich das Virus in geschlossenen Institutionen wie Heimen schneller ausbreitet. Das kann man ja eins zu eins auf die Haft übertragen. Was tun Gefängnisse aktuell, um so eine kaum zu kontrollierende Situation zu verhindern? Sind Maßnahmen, wie wir sie hier draußen treffen sollen, dort überhaupt möglich? Das Justizministerium hat für die Gefängnisse einen weitgehenden Lockdown verhängt. Es sollen so wenig Personen wie möglich rein und raus. Das betrifft privaten Besuch, Therapeuten, ehrenamtliche Betreuer und so weiter. Sie alle haben keinen Zutritt mehr. Lockerungen wie die Erlaubnis, zu Ende der Haftzeit außerhalb der Anstalt zu schlafen, oder tagsüber Freigang zu haben, sind gestrichen. Zurzeit dürfen nur einige wenige Gefangene noch raus, die draußen eine feste Arbeitsstelle haben. Andere müssen nach jedem Verlassen der Anstalt, etwa zu Arztbesuchen, für 14 Tage in Quarantäne. Wie muss man sich den Alltag von Inhaftierten aktuell vorstellen? Die Nerven liegen blank. Sie sitzen überwiegend in ihren Hafträumen. Jegliches Freizeitprogramm fällt aus, Therapie und Besuch auch. Die tägliche Freistunde

an der frischen Luft kann man kaum langfristig einschränken, das wird sicherlich weiterhin stattfinden. Ich weiß auch, dass die meisten Leute noch Umschluss machen dürfen, also sich gemeinsam mit einem anderen Gefangenen in seine Zelle einschließen lassen. Insgesamt ist der Alltag noch trister, als er vorher schon war. Sie machen sich natürlich Sorgen um ihre Leute draußen und können nicht helfen. Viele haben kranke Angehörige oder kleine Kinder. Die Inhaftierten sind zunehmend verzweifelt, aber auch wütend. Viele Gefangene sind Eltern. Wie ist ihre Situation gerade? Kinder können im Moment ihre Angehörigen im Knast gar nicht besuchen, und das auf unabsehbare Zeit. Sie sind jedoch die, die überhaupt nichts für die Haft ihrer Eltern können. Artikel 6 des Grundgesetzes schützt den Kontakt zwischen Eltern und Kindern, aber der Lockdown unterbindet das komplett. Da werden Rechte von Kindern gerade massiv beschnitten, das ist schon dramatisch. Das sind ja schwerwiegende Eingriffe in die Rechte von Gefangenen. Sind die Maßnahmen sinnvoll? Ich kann das schwer einschätzen, weil ich mich mit Seuchenvermeidung nicht auskenne. Aber ich sehe viele Schwachstellen. Zum Beispiel gehen die Beamten rein und raus und haben draußen Sozialkontakte, tragen bei der Arbeit aber nicht immer Masken. Manche Gefangene müssen nach wie vor in Gruppen duschen,

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INTERVIEW

teilweise 15 Männer auf einmal. Außerdem werden sie auf den engen Fluren aneinander vorbeigeführt. Gleichzeitig haben sie aber krasse Einschränkungen des Privatlebens und ihrer familiären Kontakte. Ich halte es für fragwürdig, ob das alles so geeignet ist, die Ausbreitung des Virus einzuschränken. Sind die Anstalten fachlich und materiell gut vorbereitet auf einen Ausbruch in einem Gefängnis? Jede Anstalt hat Anstaltsärzte, quasi Hausärzte. Die haben den Erstkontakt und sind genauso gut oder schlecht wie jeder Hausarzt auf die Pandemie vorbereitet. Dann gibt es das Justizkrankenhaus in Fröndenberg, keine Ahnung, wie die sich vorbereiten. Generell weiß ich, weil mir das aus fast allen Gefängnissen berichtet wurde, dass Hygienemittel wie Seife und Desinfektionsmittel kaum vorhanden sind. Wie sind die Vorschriften, wenn Inhaftierte ins Krankenhaus müssen? Reichen die Ressourcen, um das wie gewohnt zu bewachen? Die Situation ist ja für alle neu, und es gibt keine erprobten Lösungen. Wenn Gefangene im Krankenhaus draußen behandelt werden müssen, liegen sie normalerweise in einem Einzelzimmer und werden von Beamten bewacht. Wie das auf einer Intensivstation läuft und gerade auf einer Coronastation, kann ich überhaupt nicht sagen. Ich denke, die Justiz wird versuchen, die Leute aus Sicherheits- und Personalgründen in ihren eigenen Räumlichkeiten zu halten und nur im äußersten Notfall Leute in externe Krankenhäuser bringen. Glauben die Gefangenen, sie können im Ernstfall gut versorgt werden? Überhaupt nicht. Die haben das vorher schon nicht geglaubt, weil die medizinische Versorgung in der Haft generell relativ defizitär ist. Sie glauben dementsprechend auch nicht, dass der Justizvollzug gut mit einer Pandemie umgehen kann. NRW hat viele Gefangene wegen Corona vorübergehend freigelassen. Ist das eine gute Maßnahme? Jede Entlassung freut mich. Aber der Erlass ist, so wie sich das liest, vor allem für die Öffentlichkeit geschrieben. Er gilt nur für Strafen unter 18 Monaten, keine Sexualdelikte, man muss sich vorher relativ beanstandungsfrei im Vollzug geführt haben. Manche Anstalten haben auch Gefangene mit Vorerkrankungen vorerst freigelassen. Ich weiß aber zum Beispiel von einer Gefangenen mit HIV und einer anderen mit schwerer COPD, einer chronischen Lungenerkrankung, die weiter festgehalten werden. Der Schutz von Risikogruppen hängt also auch davon ab, in welcher Anstalt sie inhaftiert sind.

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„Die Inhaftierten sind zunehmend verzweifelt, aber auch wütend“, sagt die Rechtsanwältin Lisa Grüter. Gefangene erleben durch Corona zurzeit verschäfte Haftbedingungen.

In Italien beispielsweise gab es wegen der Angst vor Corona Tote bei Aufständen im Gefängnis. Könnte so etwas in Deutschland auch passieren? Ich höre von immer mehr Gefangenen, dass die Stimmung zum Zerreißen gespannt ist. Gefangene sollen sich an die Abstandsregeln halten, dürfen ihre Angehörigen seit Wochen nicht sehen. Sie müssen aber Gemeinschaftsduschen nutzen und können den Kontakt zu Beamten, die keinen Mundschutz tragen, nicht vermeiden. Das macht die Leute sauer. Eine Anstaltsleiterin hat mir von einer „meuterungsähnlichen Situation auf dem Freistundenhof “ berichtet. Ich glaube aber, die Lage der Gefangenen ist schlimm genug, auch ohne dass es zu derartiger Eskalation kommen muss.


BÜCHER

Schafft die Knäste ab! Thomas Galli war Gefängnisdirektor. Heute arbeitet der promovierte Jurist als Anwalt und schlägt vor, die Gefängnistüren zu öffnen. Bei der Lektüre seines soeben erschienenen Buchs „Weggesperrt“ wird schnell klar: Es geht ihm nicht um Provokation und es treibt ihn kein weltfremder Idealismus. Galli stellt sich schlicht der Erkenntnis, dass unser Strafsystem nicht funktioniert. Und er hat Lösungen. Von Bastian Pütter

G

efängnisse als Orte für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen sind eine Erfindung der frühen Neuzeit. Die Begründungen, Menschen einzusperren, verändern sich im historischen Verlauf, die Institution Gefängnis erscheint jedoch weitgehend unhinterfragt. Warum eigentlich? Alles fängt bei der Frage an, warum wir strafen. Als Gesellschaften haben wir das Bedürfnis nach Rache an den Staat delegiert und damit verregelt und „abgekühlt“. In demokratischen Gesellschaften wirbt das Gefängnis nicht mehr mit Vergeltung, sondern mit Sicherheit für die Gesellschaft und der „Besserung“ der Inhaftierten. Resozialisierung ist für Galli jedoch „eine Art Zauberwort, um uns Mitarbeitern und der Allgemeinheit das Gefängnis schmackhaft zu machen.“ In der Gefängnispraxis komme der Resozialisierungsgedanke gar nicht vor. Tatsächlich bewirke Haft für die meisten das „Abgleiten in die anstaltsinterne Subkultur“ – an einem Ort der Gewalt und der Drogen. In Anstalten, in denen bis zu 80 Prozent der Inhaftierten drogenabhängig sind, sei ein verantwortungsbewusster Umgang mit Rauschmitteln nicht zu lernen. In Studien geben 25 Prozent der befragten Gefangenen an, in den vier Wochen zuvor (!) Opfer körperlicher Gewalt geworden zu sein, 5 Prozent Opfer sexueller Übergriffe. „Es werden frustrierte, gedemütigte, verbitterte, geschwächte, teils lethargische oder aggressive Menschen entlassen“, fasst Galli zusammen. Dann also Sicherheit. Wo mangels Erfolgskontrolle nicht besonders in Resozialisierung investiert werden muss, gelingt es, mit großem Aufwand praktisch ausbruchsichere Gefängnisse zu betreiben. Das lenke davon ab, „dass bei sehr vielen Straftätern präventive, langfristig orientierte und stützende Interventionen in Kindheit und Jugend die Wahrscheinlichkeit einer Straftat deutlich reduziert hätten.“ Was also tun? „Unsere Fixierung auf die Schuld verhindert“, so Galli, „einen Umgang mit Straftaten, der die Schadenswiedergutmachung, die bestmögliche ,Heilung‘ des Opfers,

Thomas Galli Weggesperrt. Warum Gefängnisse niemandem nützen Edition Körber 312 S. | 18 Euro

die Resozialisierung des Täters und die Reduzierung von Kriminalität in den Vordergrund stellt.“ In den Gefängnissen sitzen die Armen. In der Jugendhaft haben zwei Drittel keinen Abschluss, bei den Erwachsenen sitzt jeder Zehnte, weil er eine Geldstrafe für Schwarzfahren o.ä. nicht bezahlen konnte. Familien werden mitbestraft, bis zu 100.000 Kinder sind betroffen. „Wir müssen nicht nur die Vergeltung, sondern auch die Schuld als wesentlichen Bestandteil unseres Strafrechts überdenken“, sagt Galli. Eine selbstbewusste Gesellschaft müsse die sozialen Anteile an jeder Straftat erkennen und berücksichtigen können. Wie sieht sie also aus, die Zukunft der Strafe? Galli möchte die Verlagerung vom passiven Erdulden von Strafe zur aktiven Wiedergutmachung und von der Bestrafung auf die Bedürfnisse der Opfer. Er hält Haft für Bagatelldelikte für grundsätzlich falsch und fordert einen Vorrang von Alternativen – von gemeinnütziger Arbeit als Hauptstrafe über den Hausarrest mit Fußfessel bis zu dezentralen Formen des Freiheitsentzugs für gefährliche Straftäter. Das wäre richtiger und gerechter, sicherer und billiger, sagt Galli.

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

BLUTWEIDERICH Lythrum salicaria

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ine Ansiedlung, kleiner als ein Dorf, nennt der Volksmund „Drei Häuser und ein Backofen“. Niedernette ist so ein Flecken. Niederette liegt im ländlichen Nordwesten Dortmunds. Nur wenige Straßen trennen hier die flachen Felder rechter Hand von den flachen Feldern linker Hand. Eine dieser Straßen heißt Kattenstert, benannt nach einem anno 1758 erstmals erwähnten Bauernhof. Kattenstert ist Plattdeutsch und heißt Katzenschwanz. 1830 änderte die Familie auf dem Hof ihren Namen in Kattenstedt, vielleicht, weil das vergleichsweise weltläufig klingt. Das ist aber nur eine Vermutung.

REZEPT 75 g Mehl mit 125 ml Export-Bier, 1 Eigelb, 1 knappen EL Sonnenblumenöl und 1 Prise Salz zu einem Teig verrühren und 30 Minuten ruhen lassen. 1 Eiweiß zu Schnee schlagen und unter den Teig ziehen. 3 Dutzend kleine (so dass man sie im Ganzen in den Mund stecken und dann einfach mit den Zähnen vom Stängel zutzeln kann) Blütenstände vom Blutweiderich durch den Teig ziehen und in heißem Sonnenblumenöl ausbacken. Mit Puderzucker bestreuen.

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Im Frühling war ich dort oft mit dem Rad unterwegs. Immer der Emscher nach. Von der Nordstadt aus, wo ich wohne, ist es der kürzeste Weg ins Grüne. Es war trocken, es war sonnig, und ich hatte Zeit, unfreiwillig sehr viel Zeit. Keine Veranstaltungen, keine Parties, keine Stadtführungen, keine Interviews. Seit meiner Einschulung ist mein Terminkalender nie so leer gewesen, das Portemonnaie seit Ende der Schullaufbahn nicht. Reicher geworden bin ich an Wissen über Wildkräuter. Zum Beispiel habe ich den Inkarnat-Klee kennengelernt, große Bestände von Bärlauch und Kleinem Wiesenknopf entdeckt, erstmals das sehr hübsche, leider aber ebenso giftige Hasenglöckchen in freier Wildbahn gesehen (es ist tatsächlich allerliebst, so dass ich über seine Toxizität für immer hinwegsehen werde), und ich kann seit kurzem die AckerSchmalwand vom Frühlings-Hungerblümchen unterscheiden (doch ob mich diese Kompetenz im Leben einmal wirklich weiterbringen wird, dafür möchte ich meine Hand lieber nicht ins Feuer legen). Ein gutes Dutzend Rezepte mit Japanischem Knöterich habe ich mir ausgedacht und ausprobiert und die meisten davon

für gut befunden. Endlich hatte ich die Zeit, mich mit den Blüten der Traubenkirsche zu befassen. Und Kattestaart ist holländisch, heißt Katzenschwanz, wie die Straße in Niedernette, und ist im Nachbarland der gebräuchliche Name für den Gewöhnlichen Blutweiderich. Der hat es gern feucht an den Wurzeln und ist also auch an der Emscher zu Hause. Blutweiderich klingt schaurig. Im Gegensatz zu Katzenschwanz. Aber keine Angst, der Name beruht auf einer der Pflanze zugeschriebenen Heilkraft bei Bluterkrankungen. Man kann sie bedenkenlos essen. Der Geschmack der Blüten erinnert ein wenig an Dörrobst. Ausgebacken in Bierteig ergeben sie eine süße Nascherei mit leicht fruchtiger Note. Blütenbesucher des Gemeinen Blutweiderich sind vor allem Schwebfliegen, aber auch Bienen und Schmetterlinge. Blutweiderich ist ein Nektarspender von besonderem Wert. Auch ist er eine wichtige Futterpflanze für die Raupen aus der Gattung der Nachtpfauenaugen.


KULTUR

Das Theater Dortmund hat in Corona-Zeiten das Konzertformat „Musik auf Rädern“ erfunden. An verschiedenen Standorten in Dortmund haben die Oper Dortmund und die Dortmunder Philharmoniker jeweils zur Nachmittagszeit kleine Live-Konzerte von etwa 20 Minuten gegeben. Wir haben den Opernsänger Mandla Mndebele bei seinem Auftritt mit der Pianistin Satomi Nishi am Josefinenstift in der Dortmunder Innenstadt begleitet. Von Peter Hesse | Fotos: Daniel Sadrowski

Der Klassik-Bringdienst

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m Eingang müssen wir uns zuerst in eine Liste eintragen und dann wird noch Fieber gemessen. Die Hygieneauflagen sind hoch, das Konzert findet im Innenhof der Seniorenpflegeeinrichtung statt – die Bewohnerinnen sitzen auf ihren Balkonen und schauen wie aus Logen auf die improvisierte Bühne im Hof herab. Der in Südafrika geborene Bariton Mandla Mndebele ist normalerweise auf den großen Bühnen unterwegs – im Teatro Colón in Buenos Aires, in der Cape Town Opera in Kapstadt oder im Moskauer Helikon Opernhaus ist er schon aufgetreten. Satomi Nishi studierte in Kyoto und Bremen und ist an der Dortmunder Oper Solorepetitorin. „Musik soll den Menschen Kraft und Hoffnung geben“, sagt Mndebele. „Wir haben ja keine Möglichkeit, derzeit vor Publikum aufzutreten, die Theater und Opernhäuser sind geschlossen. Wir sollen zu Hause bleiben, uns schützen und gesund bleiben. Dennoch darf man ja nicht vergessen: Wir sind Künstler. Wir stehen im Dienst des Publikums und wollen auftreten.“

Pünktlich um 16 Uhr beginnt der Auftritt. Es geht los mit dem Stück „Toréador en garde!“ aus Georges Bizets Oper „Carmen“, gefolgt von „Some Enchanting Evening“ aus dem Musical „South Pacific“ von Richard Rogers und der innoffiziellen Dortmunder BVB-Hymne „You´ll Never Walk Alone“ – die Mndebele auch schon mal im ausverkauften Signal-Iduna-Park gesungen hat. „Ich bin großer Fußballfan. Für mich ist das ein ganz großes Kompliment, dass ich das auch einmal im Stadion vor so großer Kulisse singen durfte.“

Bevor es an den Abbau der Instrumente und der dazugehörigen Soundanlage geht, sagt Satomi Nishi: „Ich finde besonders die Aussage von ,You‘ll Never Walk Alone‘ sehr schön – denn wir alle brauchen ja während Corona-Pandemie ganz viel Hoffnung. Ich bin sehr glücklich, dass wir heute hier vor den älteren Herrschaften spielen durften.“ Musik hilft da, wo die Worte fehlen. So flattert ein Stück Trost auf die Balkone des Josefinenstift – und wieder zurück.

Auch den Bewohnerinnen hat das Konzert offenbar sehr gut gefallen, sie klatschen höf lich von ihren Balkonen herunter. „Hier bei uns leben insgesamt 80 Damen – und am heutigen Tag haben wir das Konzert sehr aufmerksam verfolgt. Für mich war das ein berührender Moment – und auch im Namen aller Mitarbeiter möchte ich mich herzlich bedanken, dass dieses Konzert stattfinden konnte“, sagt Heike Deimann, Heim- und Pflegedienstleitung im Josefinenstift.

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Kalender Juni | 2020

Inzwischen wissen wir: „The Hammer and the Dance“ ist keine 80er-Jahre-PopBand, sondern die Strategie, mit der wir Covid-19 die Stirn bieten. Nach dem Hammer der Ladenschließungen und Kontaktbeschränkungen sind wir gerade in der Phase des flexiblen Reagierens auf Infektionszahlen. Der „Dance“ bleibt dabei meist Metapher: Die Clubs bleiben zu, Konzerte gibt es wenn dann draußen, Kinos dürfen mit strengen Auflagen öffnen, Museen und Galerien sind wieder geöffnet und viel spielt sich im Netz ab. Ein Überblick.

MUSIK TV Noir TV Noir bietet MusikerInnen die Möglichkeit, Konzerte aus dem eigenen Zuhause über Instagram und Facebook zu streamen. Mit dabei waren bisher u.a. Lina Maly und Max Prosa. Die ZuschauerInnen haben gleichzeitig die Möglichkeit, die KünstlerInnen mit einem „Eintritt“ nach Wahl auch finanziell zu unterstützen. Cooltour.live Aufgrund der Corona-Pandemie muss Bochum Total diesen Sommer leider ausfallen. Aber die Veranstalter von Bochum Total haben sich etwas Neues ausgedacht und starteten am 15. Mai die Streamingplattform www.cooltour.live. Cooltour. live soll dabei helfen, den Corona-Blues zu vertreiben und ist eine interaktive

Plattform für live im Netz übertragene Konzerte bzw. andere Darbietungen (aus Clubs, Wohnzimmern, Balkonen, Partykellern, Gärten, Wohnmobilen etc.), deren BesucherInnen die KünstlerInnen mit virtuellen Tickets und realem Geld supporten oder besondere Performances direkt unterstützen können. www.cooltour.live

THEATER FR 05 | 06 | 20 Talk | Für uns soll’s wieder Rosen regnen Am 17. März musste der Mondpalast von Wanne-Eickel seine Tore schließen, ab 5. Juni macht er sie wieder auf – für einen vergnüglichen Talkabend unter dem Titel „Für uns soll’s wieder Rosen regnen – Der Prinzipal unterhält sich

– und andere“ mit Christian Stratmann, Thomas Rech und Überraschungsgästen. Auch wenn noch nicht allzu viel über das Programm verraten werden soll, so wird es doch eine Reihe von verblüffenden Momenten geben. In einer von MondpalastIntendant Thomas Rech konzipierten Mischung aus „Prinzipalgeburtstag und Late Night“ soll zum Beispiel Hausautor Sigi Domke erstmals höchstpersönlich auf der Bühne des Mondpalasts agieren, Mondpalast-Stars werden völlig neue Seiten zeigen. www.mondpalast.com Mondpalast, Herne, 20 Uhr Short Cuts | Schauspielhaus Bochum Das Bochumer Schauspielhaus beschloss, nicht mehr auf die Wiedereröffnung zu warten und hat 14 DramatikerInnen beauftragt, für das gesamte Ensemble – knapp 30 SchauspielerInnen – szenische Miniaturen zu

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KulturOpenAir

bis 14. Juni Flottmannhallen Herne

Als eine der ersten Kommunen im Ruhrgebiet hat die Stadt Herne im Mai wieder hochgefahren und holt mit dem KulturOpenAir die Kultur aus dem Lockdown. Es ist einiges los auf der Open-Air-Bühne an den Flottmannhallen, es gibt Poetry Slam (5. Juni) und Theater (6. Juni), Musik und Tanz (13. und 14. Juni). Am 11. Juni kommt der Herner Singer/Songwriter Edy Edwards zum Frühsommerkonzert auf die heimische Bühne, ihm folgt tags drauf der Komiker Martin Fromme (Foto, „Telök“, „Besser Arm ab als arm dran“), der die zweite Ausgabe der „Frischluft Comedy“ bestreitet und sich dafür auch noch Gäste an seine Seite holt. Ganz ohne Corona-Nebenwirkungen geht es aber nicht: Aus Infektionsschutz-Gründen gibt es maximal 100 Plätze, viel Abstand und einige Sicherheitsvorkehrungen. Demnächst steht fest, ob und wie das KulturOpenAir weitergeht. Tickets und Info: www.flottmann-hallen.de.

Liebe Freund*innen und Besucher*innen des DKH, auf uns braucht Ihr nicht zu verzichten, ab sofort gibt es unser Kulturprogramm online!

schreiben, die vom Jetzt handeln, von der außergewöhnlichen Situation, in der wir alle miteinander stecken, die für alle gleich und für jeden anders ist. Entstanden sind wundersame und verstörende, groteske und zarte Texte, die von Einsamkeit, Erinnerungen und YoutubeClips, von den vergessenen Gef lüchteten, idealen Chören und abwesenden Propheten handeln. Aus diesen Texten wurden Kurzfilme gedreht und erspielt in Küchen und Badewannen, auf Wiesen und Bürgersteigen, am Deich und im leeren Theater. Entstanden ist eine Episodencollage für den virtuellen Raum, ein schillerndes Wimmelbild unserer Zeit: Short Cuts aus Bochum. Seit dem 19. Mai sind die Filme online – wöchentlich mit drei neuen Folgen auf der Website und den Social Media-Kanälen des Schauspielhauses Bochum.

KLEINKUNST MO 01 | 06 | 20 Comedy | Ingo Appelt – „Der Staats-Trainer!“ Wenn er kommt, haben die Nörgler Sendepause. Ingo Appelt hat ein Geheimrezept gegen die deutsche Depression gefunden: Es gibt so lange auf die Zwölf, bis die Sonne wieder scheint. Schmerzen werden weggelacht. Denn Ingo Appelt gibt der allgemeinen Miesepetrigkeit den Rest. Einlass ab 20 Uhr, Start der Show bei Einbruch der Dunkelheit gegen 21.30 Uhr. Alle Infos unter www.autokino-kemnadersee.de Autokino Kemnadersee, Bochum, 20 Uhr

DO 25 | 06 | 20 Kleinkunst | Fräulein Nina – Die frontale Filosofie Fräulein Nina hat eigentlich im Rahmen von ekamina eine regelmäßig stattfindende Show in Dortmund-Hafen. Darin kombiniert sie Lesung mit spontaner Wort- und Publikumsakrobatik mit Musik. Einzelne Gäste, die sonst dabei sind, trifft sie derzeit zufällig auf der Straße und findet sich mit ihnen in zum Teil äußerst seltsamen Begegnungen wieder. Neue Orte der Performances kommen hinzu – Fan vom Bespielen abseitiger Flure war sie auch schon vor der Krise, beispielsweise auf Ämtern. Denn Fräulein Nina liebt Formulare und Verwaltungstätigkeiten und die Menschen an den Schreibtischen. Darüber kann sie viel erzählen, und das tut sie auch, denn unter Corona ist sie auf eine Art HörspielLese-Format gewechselt, das mit Klängen und Sounds aus ihrer Datenbank unterlegt wird. Die Sendung dauert etwa eine Stunde und wird im Internet abrufbar sein. Der offizielle Sendetermin ist der 25. Juni. Da der Link noch nicht feststeht, unter dem veröffentlicht werden wird, sei allen ans Herz gelegt, die mal reinhören möchten, sich bis spätestens 18. Juni für den Newsletter ekamina@web.de anzumelden.

facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghaus2go@gmail.com keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go"

Leopoldstr. 50-58 | 44147 Dortmund Fon 0231 50-25145

KINDER Tierparks | in BO und DO Seit Mitte Mai sind die Tierparks in Bochum und Dortmund wieder geöffnet. Die Öffnungszeiten und aktuellen Sicherheitshinweise und 25


KALENDER

–regelungen finden Sie auf den jeweiligen Internetseiten: Tierpark Bochum: www.tierpark-bochum.de Zoo Dortmund: www.dortmund.de/de/freizeit_und_kultur/zoo_dortmund/start_zoo/index.html Malwettbewerb | Schauspielhaus Bochum Trotz der derzeitigen Schließung des Schauspielhauses Bochum laufen die Planungen für das Familienstück der Spielzeit 2020/21 weiter auf Hochtouren. Das Theater widmet sich in der kommenden Saison Michael Endes berühmtem Abenteuerroman „Die unendliche Geschichte“. Die Bühnenadaption wird von der niederländischen Regisseurin Liesbeth Colthof inszeniert und soll am 26. November 2020 Premiere feiern. Eine Besonderheit der Inszenierung: Das Kostümbild der Romanfiguren wird ausschließlich von Kindern entworfen. Dafür startet das Schauspielhaus Bochum jetzt einen großen Malwettbewerb, an dem sich junge Men-

schen von sechs bis 14 Jahren beteiligen können. Beiträge für den Malwettbewerb können bis zum 15.6. eingereicht werden. www.schauspielhausbochum.de

Interessierten können die digitalen Angebote und Forscherideen zum Aktionstag kostenfrei unter tag-der-kleinen-forscher. de/mitforschen herunterladen.

DI 16 | 06 | 20

AUSSTELLUNGEN

Tag der kleinen Forscher Seit 2009 gehen Tausende Mädchen und Jungen jedes Jahr am „Tag der kleinen Forscher“ mit ihren Erzieherinnen und Erziehern oder ihren Lehrkräften auf Entdeckungsreise und erkunden ihre Welt. So sollte es auch in diesem Jahr wieder sein, doch die Zeiten sind andere. Bis in allen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen der Regelbetrieb wieder aufgenommen wird, bleiben viele Kinder weiterhin zu Hause oder in der Notbetreuung. Aber auch hier gilt: Entdecken und Forschen geht überall. Deshalb lädt die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ alle, die Kinder beim Forschen und Entdecken begleiten möchten, dazu ein, sich am „Tag der kleinen Forscher“ am 16. Juni zu beteiligen. Alle

ab MO 01 | 06 | 20 DASA Arbeitswelt Ausstellung Dortmunds größtes Ausstellungshaus ist Mitte Mai wieder an den Start gegangen. Die DASA Arbeitsweltausstellung bietet auf einer Größe von anderthalb Fußballfeldern ausreichend Raum, um ihre BesucherInnen einerseits wieder willkommen zu heißen und andererseits auf gebotenem Abstand zu halten. Attraktionen wie die Kinderbaustelle oder der Flugsimulator müssen erst einmal geschlossen bleiben. Dies gilt auch vorerst für die Gastronomie. Weitere Infos: www.dasa-dortmund.de DASA, Friedrich-Henkel-Weg 1 – 25, DO

Foto: Anh Nguyễn Duy auf pixabay

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BODO-TIPP

Theater digital Schauspielhaus Bochum Schauspiel Dortmund

Für die Stadttheater in Dortmund und Bochum enden die Spielzeiten ohne ausgelassene Abschlussfeiern. Besonders schmerzhaft: In Dortmund kann sich das Ensemble von Kay Voges nach 10 Jahren nur mit Videobotschaften von seinem Publikum verabschieden. Voges und seine Mannschaft hatten das Haus zu einem Hotspot der deutschen Theaterlandschaft gemacht. Ganz ohne Theater können beide Häuser aber auch in Corona-Zeiten nicht: Dortmund experimentiert mit einem digitalen 3D-Theaterprojekt namens „Das House“. Am 22. Mai gab es einen Testlauf, Junitermine wird das Schauspiel zeitnah bekanntgeben. Bochum hat für die Reihe „Short Cuts“ 14 DramatikerInnen beauftragt, szenische Miniaturen zu schreiben, aus denen Kurzfilme wurden – gedreht in Küchen und Badewannen, auf Wiesen oder im leeren Theater. Jede Woche werden drei neue Folgen auf der Theaterseite und den Social-Medi-Kanälen gezeigt. dashouse.online | schauspielhausbochum.de

gebürtigen Bambergerin entstehen meist in der Natur und beschäftigen sich mit dem Spiel jener Elemente, die sie für die „transzendente", also jenseits normaler Sinneserfahrungen liegende Bildwirkung benötigt: Licht und Schatten, Wasser und Bewegung. Der Wirkung ihrer Arbeiten kann sich der Betrachter kaum entziehen – es sind stark abstrahierte Fotografien, die auf den ersten Blick wie Malerei wirken und in intensiven Farben leuchten. Sie zeigen weder konkrete Bildmotive, noch sind sie ganz abstrakt; sie sind in der Natur aufgenommen, bilden diese jedoch nicht ab; sie sind Momentaufnahmen und dennoch zeitlos und universell. Bis 25.10., Eintritt frei. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund ab DI 02 | 06 | 20

ab DI 02 | 06 | 20 Museum Ostwall | Body & Soul – Denken, Fühlen, Zähneputzen Was macht unseren Körper aus? Was braucht er, um zu existieren? Wie nehmen wir unseren Körper und die Körper anderer wahr? Und wie ist es um unser Seelenleben bestellt? Was lieben und was fürchten wir? Woran glauben wir? Fragen wie diesen geht die neue Sammlungspräsentation des Museums Ostwall unter dem Titel „Body & Soul. Denken, Fühlen, Zähneputzen“ nach. Werke von der Klassischen Moderne bis hin zur Gegenwart untersuchen unseren Körper, ergründen sein Verhältnis zu Nahrung, Kleidung und Bewegung und trotzen seiner Sterblichkeit. Bis 27.2. 2022, Eintritt frei. Museum Ostwall im Dortmunder U, DO ab DI 02 | 06 | 20 HMKV | 25 von 78 – Medienkunst aus der Reihe Video des Monats Arbeiter verlassen den Googleplex, die rassistische English Defence League (EDL) wird in „English Disco Lovers“ umgedeutet, und ein Wurm berichtet aus seinem Leben als rechter „Aufmerksamkeitsköder“. Oder: Während Lenin eine traditionelle Thai-Massage bekommt, räumt im wilden Nordkaukasus eine Superheldin eine Straße frei, und eine künstliche Intelligenz fliegt über schneebedeck-

te Berge. Das sind sechs von insgesamt 25 Geschichten über Clowns, Tiere, die Neue Rechte, Masse und Isolation, die in der Ausstellung 25 von 78 erzählt werden. Bis 20.9., Eintritt frei. Hartware Medienkunstverein im U, DO ab DI 02 | 06 | 20 MKK | Robin Hood Die Familienausstellung „Robin Hood“ richtet sich an Kinder ab fünf Jahren, Familien und junggebliebene Erwachsene, die Freude daran haben, der Legende mit allen Sinnen nachzuspüren und in die Welt des Mittelalters einzutauchen. Basierend auf den ältesten schriftlichen Überlieferungen der Sage, den spätmittelalterlichen Balladen, führt der Ausstellungsrundgang zu den typischen Schauplätzen von Robin Hoods Abenteuern: Auf ca. 1.000 Quadratmetern zeigen detailreich inszenierte und bühnenartig begehbare Aktionsräume den Sherwood Forest, den Marktplatz von Nottingham, Nottingham Castle und das Kloster St. Mary’s. Bis 20.9. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund ab DI 02 | 06 | 20 MKK | Astrid Lowack The Elements of Transcendence Astrid Lowack (Jahrgang 1969) widmet sich seit fast einem Jahrzehnt der Fotografie. Die Arbeiten der

Deutsches BergbauMuseum Bochum Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen, hat den Betrieb am 5. Mai sukzessive wieder aufgenommen und folgt dabei den Empfehlungen des Deutschen Museumsbundes. Dazu gehört eine schrittweise Öffnung der Museumsangebote, so dass zuerst die vier Rundgänge der Dauerausstellung geöffnet werden. Der Besuch des Anschauungsbergwerks und die Turmfahrt sind erst einmal nicht möglich, um das Infektionsrisiko durch das Nutzen der Fahrstühle zu minimieren. Deutsches Bergbau-Museum, Bochum ab DI 02 | 06 | 20 Eisenbahnmuseum Bochum Das Eisenbahnmuseum hat am 12. Mai seinen Betrieb wieder aufgenommen, aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie allerdings vorerst etwas eingeschränkt. Das heißt, dass derzeit keine Führerstands-, Draisinen- und Feldbahnfahrten durchgeführt werden können. Ebenso ist der sonntägliche Pendelbetrieb zum/vom S-Bahnhof Dahlhausen nicht in Betrieb. Im Eingangsgebäude liegen Vorschläge für einen Rundgang durch das Museum aus, um Personenansammlungen an den Exponaten zu vermeiden. Eisenbahnmuseum Bochum, Bochum

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KALENDER

BODO-TIPP

ab DO 04 | 06 | 20 Künstlerhaus Dortmund | add-on – Raumerweiterung im weitesten Sinne „add-on“ als Begriff für „erweiterte Anwendungen“ bzw. für „gesteigerte Fähigkeiten“ meint hier mit Blick auf die vorgestellten künstlerischen Arbeiten eine erweiterte und gesteigerte räumliche Qualität. Räumlichkeit kann sich jeweils verschieden entfalten und führt zu divergierenden Raumvorstellungen im weitesten Sinn. Das Besondere all dieser räumlichen Verschränkungen und Erweiterungen ist, dass sie zwar wahrnehmbar sind, sich aber einer objektiven Erkenntnis entziehen und unbestimmt bleiben. Die in der Ausstellung thematisierte, gesteigerte räumliche Qualität als add-on erweist sich als Anstiftung zur Suche nach außergewöhnlichen Sinnzusammenhängen. Bis 28.6. Künstlerhaus Dortmund, Dortmund

FILM Autokinos Während die Kinos von Mitte März bis Ende Mai geschlossen waren, haben einige BetreiberInnen aus der Not eine Tugend gemacht und kurzfristig Autokinos auf die Beine gestellt. So gibt es in Bochum das Autokino an der Rombacher Hütte (www.autokinounion-bochum.de) sowie das Autokino am Kemnader See (www.autokino-kemnadersee.de). In Dortmund können vor dem alten Hochofen auf Phoenix-West Filme vom Auto aus geschaut werden (www.autokinodortmund.de). Kinos Kinos können ab dem 30.5. unter Berücksichtigung festgelegter Hygiene- und Sicherheitsvorschriften wieder öffnen. Viele Kinos in Bochum und Dortmund nehmen langsam wieder das Programm auf. So hat z.B. die Schauburg in Dortmund angekündigt, ab dem 30.5. die Filme „The Gentlemen“ und „Die Känguru-Chroniken“ zu zeigen (www.schauburg-kino.de). Leider lagen bei Redaktionsschluss noch nicht alle Informationen zu Wiedereröffnungen und Programm vor, aber ein Besuch auf der jeweiligen Homepage lohnt sich sicherlich, um aktuelle Informationen zu geplanten Filmen etc. zu bekommen.

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„Pest“

bis 15. November LWL-Museum für Archäologie Herne

Der „Schwarze Tod“ hat zwischen 1346 und 1353 fast 25 Millionen Menschen in Europa dahingerafft. Das Archäologische Museum Herne hat der Pest eine eigene Sonderausstellung gewidmet, die sich intensiv mit der Geschichte der Erregers auseinandergesetzt – und mit dem Mythos, der die todbringende Krankheit umgab. Auf der Suche nach einer Erklärung fand man schnell eine Gruppe, der man die Schuld in die Schuhe schieben konnte: jüdische Menschen. Während des Lockdown ging auch die Ausstellung in Zwangspause, wenn auch mit digitalen Angeboten für Zuhause. Jetzt ist „Pest“ wieder eröffnet und gleich bis Mitte November verlängert. Zwar gelten wie anderswo Abstands- und Hygieneregeln, auch sind die interaktiven Stationen nicht nutzbar. Dafür ist die ursprüngliche Ausstellung mit den digitalen Angeboten verknüpft worden – und schafft so noch eine neue Version von „Pest“. pest-ausstellung.lwl.org

Kinos online Weiterhin bieten viele Kinos ein umfassendes Filmprogramm zum Leihen und Streamen zu Hause gegen eine kleine Gebühr an, wie z.B. das endstation.kino in Bochum. www.endstation-kino.de.

VERSCHIEDENES ab DI 02 | 06 | 20 Audio-Installation | „Dora war nicht im Widerstand“ Dora, 45 Jahre alt, dreifache Mutter und alleinige Versorgerin, war eine von Millionen „durchschnittlichen Deutschen“ der Nachkriegszeit. Zwei Studierende der FH Dortmund, Jan und Sophia Firgau, haben sich für ihre Abschlussarbeit im Studiengang „Szenografie und Kommunikation“ am Beispiel ihrer Urgroßmutter mit der Rolle der MitläuferInnen und dem Fortbestehen der NS-Ideologie in der Nachkriegszeit beschäftigt. Entstanden ist eine Audio-Installation, die noch bis zum 11. August in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache (Steinstraße 50) zu sehen/hören ist. Der Eintritt ist frei. Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, DO FR 05 | 06 | 20 Podcast | Interkultureller Kalender: Newroz Der Interkulturelle Kalender feiert die einzigartige Vielfalt des Ruhr-

gebiets. Mit der Sonderedition des Jahres 2020 stellt Interkultur Ruhr jeden Monat interkulturelle AkteurInnen vor und empfiehlt Veranstaltungen an besonderen Orten. Im März hatte das Iranische Informations- und Kulturzentrum Essen zum gemeinsamen Newroz-Fest eingeladen. Leider konnte das Fest dieses Jahr nicht im großen Orient-Saal in Essen gefeiert werden. Im Podcast spricht Olga Felker mit Hossein Khorrami über die Arbeit im Zentrum, über die Hintergründe des Iranischen Neujahrsfests und dessen Tradition in Essen. www.interkultur.ruhr MO 08 | 06 | 20 Webinar | Einführung in die Rassismuskritik In dem Workshop werden die Entstehung und die Funktionsweise von Rassismus erarbeitet. Die Teilnehmenden werden für Stereotype sensibilisiert und setzen sich mit Bildern und Sprache auseinander. Wichtig ist das Erkennen und die Unterscheidung von strukturellem und persönlichem Rassismus. Der Zusammenhang zwischen Rassismus und Kolonialismus sowie die Auseinandersetzung mit Privilegien sind ein wichtiger Bestandteil des Workshops. Dieses rassismuskritische Webinar richtet sich primär an nicht-betroffene Personen – alle Interessierten sind aber herzlich willkommen. Die Veranstaltung findet online statt. Alle Infos zur Anmeldung gibt es unter www.bahnhof-langendreer.de


KINO-TIPP

FR 19 | 06 | 20 Podcast | Interkultureller Kalender: Haupttempelfest Der Interkulturelle Kalender feiert die einzigartige Vielfalt des Ruhrgebiets. Mit der Sonderedition des Jahres 2020 stellt Interkultur Ruhr jeden Monat interkulturelle AkteurInnen vor und empfiehlt Veranstaltungen an besonderen Orten. Im Juni hat die hinduistische Gemeinde in Deutschland zum Haupttempelfest in Hamm eingeladen. Leider muss das große Fest im Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel dieses Jahr verschoben werden. Im Podcast spricht Olga Felker mit den AkteurInnen über ihre Arbeit, über die Hintergründe des Fests und die hinduistische Gemeinde in NRW. www.interkultur.ruhr

UNTERWEGS Route Industriekultur Ob in der ältesten Eisenhütte des Ruhrgebiets in Oberhausen, in der über 200 Jahre alten Zeche Nachtigall in Wetter oder im größten Bergbaumuseum der Welt in Bochum: In den Relikten der Schwerindustrie der Metropole Ruhr kehrt schrittweise das Leben zurück. So ist die St.-Antony-Hütte in Oberhausen bis auf weiteres frei zugänglich. Auch die LWL-Museen in Hagen (Freilichtmuseum), Wetter (Zeche Nachtigall), Hattingen (Henrichshütte) und Waltrop (Schiffshebewerk) sowie das UmspannAnzeige

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werk Recklinghausen sind bereits wieder zugänglich. Weitere der 26 Ankerpunkte der Route Industriekultur folgen.

CLUBS & KNEIPEN Party im Wohnzimmer Zahlreiche Clubs und Kneipen bieten in der CoronaKrise außergewöhnliche Formate an und bringen die Party oder das Konzert direkt zu Ihnen ins Wohnzimmer. Clubs wie zum Beispiel die Rotunde Bochum, die Trompete in Bochum, der Rekorder in Dortmund oder die Großmarktschänke in Dortmund laden regelmäßig zur gestreamten Party mit ihren Club-DJs. Darüber hinaus gibt es Talks, ComedyOnline-Übertragungen etc. Es lohnt sich also, die Homepages und anderen Kanäle der Clubs und Kneipen in der Region im Auge zu behalten, um die Party ins eigene Wohnzimmer zu verlagern und Clubs und Kneipen gleichzeitig zu unterstützen.

LITERATUR Bibliotheken Die Stadtbücherei in Bochum hat seit Mitte Mai wieder geöffnet. Montags bis freitags von 12 – 18 Uhr und samstags von 10 – 13 Uhr kann die Zentralbibliothek im BVZ besucht werden. Auch die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund hat wie gewohnt für Sie geöffnet.

ab DO 04 | 06 | 20 sweetSixteen-Kino | Yalda Wie lange haben wir darauf gewartet? Gefühlt sicherlich eine Ewigkeit. Am 4. Juni geht es im SweetSixteen Kino wieder los. In Normalzeiten starten in Deutschland Woche für Woche zehn bis 15 Filme neu in den Kinos. Daraus die richtige Auswahl zu treffen und ein tolles Programm zu gestalten ist unsere große Leidenschaft. Insofern freuen wir uns natürlich, endlich wieder „loslegen“ zu dürfen. Für die Kinos in Deutschland gibt es keinen bundeseinheitlichen Kinoeröffnungstermin. Viele Filmstarts wurden darum verschoben auf unbekannte Termine. Während es derzeit also kaum Filme im Verleih gibt, müssen Kinos aufwändige Maßnahmen zur Umsetzung der Infektionsschutzverordnung realisieren. Das SweetSixteen-Kino startet trotzdem, wenn auch reduziert. Zum Beispiel mit dem im Iran spielenden Drama „Yalda“: Maryam ist des Mordes an Naser, ihrem „Ehemann auf Zeit“, angeklagt. Naser wollte Maryams Schwangerschaft nicht akzeptieren und ist im darauf folgenden Streit unter unklaren Umständen gestorben. In einer populären Reality-Show erhält Maryam die Möglichkeit, um die Vergebung von Nasars Tochter Mona zu kämpfen und der Todesstrafe zu entgehen. Das Publikum stimmt per SMS ab, ob Maryam leben darf oder sterben soll. Der geplante Bundesstart ist am 18. Juni. Alle Termine, weitere Infos zum „Post-Lockdown“-Programm des SweetSixteen und zu den Infektionsschutzmaßnahmen des Kinos gibt es online unter www.sweetSixteen-kino.de. sweetSixteen-Kino Immermannstr. 29, 44147 Dortmund www.sweetsixteen-kino.de

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BODO GEHT AUS

Freischütz Schwerte Hörder Straße 131 58239 Schwerte

Freischütz Schwerte Gastronomie in Krisenzeiten Der Freischütz am Rande des Schwerter Walds ist der jüngste Zugang bei Muto, dem Dortmunder Gastro-Unternehmen von Jan Möller und Philip Winterkamp. Mit ihren 50 Angestellten versuchen sie der Krise zu trotzen und sehen sich dabei als Unternehmer mit gesellschaftlicher Verantwortung. Draußen geht eine Kellnerin mit Mundschutz von Tisch zu Tisch, noch sind nur wenige Gäste da. Drinnen sieht es anders aus: Im 500 Quadratmeter großen Festsaal, wo sonst Familienfeiern, Tagungen und Hochzeiten abgehalten werden, haben Gymnasiasten Platz genommen, um dort ihre Abitur-Klausuren zu schreiben. 1995 begann Philip Winterkamp seine Gastro-Laufbahn in der Krone am Markt in Dortmund, anschließend arbeitete er fünf Jahre im Finanzsektor und studierte Wirtschaft an der FOM in Essen. Weil er einen Gabelstapler fahren kann, wurde sein Kompagnon Jan Möller auf ihn aufmerksam – gemeinsam hoben sie im Jahr 2005 eine ziemlich verrückte Idee aus der Taufe: Das oberste Parkdeck des Kaufhof-Hauses verwandelte sich mit viel Sand für mehrere Monate in einen Beachclub. Und der Sand wurde mit dem Gabelstapler angekarrt. 30

Von Peter Hesse Fotos: Daniel Sadrowski

Seitdem sind die beiden Gastronomen und bestreiten mit so unterschiedlichen Läden wie der Kreuzviertel-Bar Balke, der BrückstaßenKneipe Zum Schlips, der Phönixsee-Kombüse Schürmanns Hafenkantine oder dem Biergarten Spaten Garten im Westfalenpark ihr Geschäft. „Momentan funktionieren wir ziemlich schlecht. Eine Refinanzierung über den Normalbetrieb ist bei uns nicht drin – und das wird auch die nächsten Monate nicht funktionieren“, sagt Winterkamp. Ihren Tatendrang bremst das nicht. Als am 16. März alles schloss, riefen die bei-

den Gastronomen die Aktion „Wir kochen für Dortmund“ ins Leben. Via „Fensterverkauf “ gab es von Linsensuppe bis Rindergulasch fünf verschiedene Gerichte in vakuumierten Paketen – solange der Vorrat reichte. Dabei sollte jeder zahlen, was er konnte oder wollte. 20.000 Gerichte wurden so in acht Wochen verkauft! „Momentan wissen wir nicht, wie lange die ganze Corona-Sache noch dauert. Aber eins ist klar: Wenn es irgendwann wieder weitergeht, dann braucht die Gesellschaft Orte, um zusammenzukommen“, weiß Philip Winterkamp.


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Lunchpakete für die Straße Dass Restaurants in der Krise schließen mussten, traf in erster Linie Unternehmer und Angestellte – dass Suppenküchen, Essensausgaben und Tagesaufenthalte für Wohnungslose nicht wie gewohnt weiterarbeiten konnten, war und ist für die Menschen auf der Straße eine große Belastung. In Dortmund spang Muto ein: Die Küchen von Jan Möller und Philip Winterkamp produzieren seit März Lunchpakete, die seitdem sieben Tage die Woche zwischen 9 und 11 Uhr am Dortmunder Gast-Haus verteilt werden. In jeder Tüte befinden sich vier Butterbrote mit Wurst oder Käse, dazu ein Powerriegel, Obst und ein Getränk. Über sein Engagement sagt Philip Winterkamp: „Für die Gastronomie gibt es gerade Grund genug zum Verzweifeln. Doch auch andere Menschen sind von dieser Krise betroffen, sei es wirtschaftlich oder gesundheitlich. Um diesen Menschen Mut zu machen, möchten wir ein Zeichen setzen. Und wir wollen zeigen, wie viel mehr man erreichen kann, wenn man gemeinsam handelt.“

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REPORTAGE

Das kann man auch essen Wilde Kräuter erobern die Küche zurück

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Unkräuter gibt es nicht mehr. Bereits vor Jahren adelte sie der politisch korrekte Sprachgebrauch zu Wildkräutern. Kleingärtner fragen sich dennoch, wie sie Giersch, Löwenzahn und Vogelmiere ausradieren können. Wildkrautfreunde wundern sich derweil, warum man sie nicht einfach isst. Gegessen nämlich wurden die wilden Pflanzen schon immer. Allerdings stand selten der Genuss im Vordergrund. Oft genug ging es ums nackte Überleben. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

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m Anfang war das Wildkraut. Was ihre pflanzliche Nahrung betraf, haben die Jäger und Sammler vormals alles gepflückt und gegessen, wie es wuchs. Nur giftig durfte es nicht sein. Oft wird außer Acht gelassen, dass diese Zeitspanne etwa 99,5 Prozent der gesamten Menschheitsgeschichte umfasst. Erst um 9500 v. Chr. wurden unsere Vorfahren sesshaft. Damals setzten revolutionäre Umbrüche ein, die nahezu jeden Lebensbereich betrafen. Bahnbrechend war unter anderem die Kultivierung von Getreide.

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Allein durch Selektion veränderten die Menschen der Jungsteinzeit aktiv den Genpool der nutzbaren Pflanzen. Die planmäßige Produktion von Lebensmitteln und das einsetzende Bevölkerungswachstum: zwei Seiten einer Medaille. Zielgerichtet wurden später auch Obst und Gemüse domestiziert. Dafür gab es Gründe. Die Züchtungen waren ertragreich und schmeckten gut. Wilde Pflanzen gerieten als Nahrungsmittel zunehmend in Vergessenheit. Marcus Gavius Apicius, der

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römische Feinschmecker und Kochbuchautor lebte circa 25 v. Chr. bis 42 n. Chr. Er erwähnt in seinem überlieferten Werk nur noch die Brennnessel gleichberechtigt neben Brokkoli, Lauch und Rettich. Aber kein Licht ohne Schatten. Beim Züchten werden zwar bestimmte Eigenschaften betont, andere können jedoch verlorengehen. Bereits ein Zeitgenosse des Apicius, der griechischstämmige Arzt Pedanios Dioskurides, zog unter gesundheitlichen Aspekten die Wilde Möhre jeder ihrer Kulturformen vor.

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REPORTAGE

Kriegsgemüse

Prepper oder Feinschmecker

Während die wilden Kräuter allmählich aus den Küchen verschwanden, wurden sie als Heilpflanzen weiterhin geschätzt. Leider ging im Zuge der Christianisierung einiges an Wissen verloren. Die Vogelbeere, deren hoher Gehalt an Vitamin C einst den Druiden half, ihre Leute über den Winter zu bringen, sollte nun den Gebeinen des Heilandsverräters Judas Iskariot entsprungen und somit giftig sein. Der Stinkende Storchschnabel, eine mythische Fruchtbarkeitspflanze der Volksmedizin, half nach Hildegard von Bingen jetzt gegen sexuelles Verlangen.

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Bei diesem Suchbegriff wirft Google derzeit Kürbis und Bodenkohlrabi aus. Die beiden wurden auch erwähnt, als 1917 die damalige „Reichsstelle für Gemüse und Obst“ in Berlin das „Kriegsgemüse-Kochbuch“ von Gertrud Küster publizierte. Dort überwogen jedoch Brennnessel, Vogelmiere, Giersch und Co. Im Vorwort zu besagtem Buch wiederum wird eine ‚Haushaltungskunst im Kriege und in der Teuerung‘ aus dem Jahr 1755 zitiert. „Bei uns Deutschen findet sich ein Überfluss wildwachsender eßbarer Wurzeln und wohlschmeckender und gesunder Kräuter. Gott hat unserm Deutschland so viel davon mitgeteilt, dass niemand von der Hungersnot Gefahr läuft, wenn er nur die Augen auftun und sammeln will“, heißt es da.

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Kundige Frauen wurden als Hexen verbrannt. Doch auch das war nicht das Ende der Kräuter in der Heilkunst. Sie halfen ja. In bedrohlichen Situationen ist man ohnehin für jeden Strohhalm dankbar. Wobei viele Notlagen, zum Beispiel Hungerkatastrophen, aus Kriegen resultieren. Und immer „wenn es nichts mehr gibt“, wird erinnert, was man theoretisch essen könnte. Ein Schlagwort in diesem Zusammenhang ist „Kriegsgemüse“.

Im Prinzip ist das eine Sammelbezeichnung für eher unbeliebte, trotz und alledem aber wohl vorhandene Lebensmittel.

Eine gewisse Berühmtheit erlangte „10 Pfund Eicheln sind 7 Pfund Eichelmehl“, das kleine Eichelkochbuch von Erika Lüders. Erstmals erschienen im Jahr 1946, kursieren mittlerweile diverse Nachdrucke in Prepper- und Survivalkreisen. Einige Rezepte der Broschüre veröffentlichte der „Landesbetrieb Wald und Holz NRW“ auf seiner Internetseite. Lüders‘ Erfahrungen mit der Verarbeitung von Eicheln während des Hungerwinters am Ende des Zweiten Weltkriegs sind somit nachkochbar. Es mag unter Umständen tröstlich sein, dass staatliche Stellen und angeschlossene Verlage die Bevölkerung in existenziellen Krisen stets mit Ernährungsratschlägen versorgen. Und einen Prepper mag es beruhigen, dass er weiß, dass er aus Flechten Suppe kochen kann. Erstens aber dürften im Fall der Fälle diese Ersatzesswaren kaum ausreichend sein. So wie Mitte des 18. Jahrhunderts, als trotz „Haushaltungskunst“ zigtausend Hessen, Bayern, Badener und Pfälzer notgetrieben an die Wolga flohen. Und zweitens: pur gegessen sind sie selten ein Genuss. Die ährenförmigen Breitwegerich-Blütenstände beispielsweise schmecken solo einfach nur grün. Vielleicht mit einer Andeutung von Champignonaromen. Die bekommt man erst richtig auf die Zunge, wenn man die Blüten mit Pinienkernen, Hartkäse, einem guten Olivenöl und etwas Salz und Pfeffer zu einem Pesto püriert. So zubereitet sind sie tatsächlich eine Leckerei.

u b en k i r s c h a r e T

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In dieser Hinsicht ist Sachkenntnis gefragt und im Kommen. Ein Grund für das Interesse am Kochen mit Wildkräutern – seit Jahren steigt die Zahl der entsprechenden Publikationen analog wie digital, werden Kochkurse, Workshops und Führungen gut besucht und wenden sich sogar Sterneköche der Wildnis zu – dürfte ganz allgemein die Neugier sein. 2016 hielten 84 Prozent der Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage, durchgeführt im Auftrag der Merck KGaA, Neugierde für eine positive wichtige Eigenschaft. Speziell beim Thema Ernährung gesellt sich zur angesehenen Entdeckerfreude ein buchstäblich bodenständiges „zurück zu den Wurzeln“.

Regional, saisonal, bio Ende 2013 untersuchte Emnid für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft das Einkaufs- und Ernährungsverhalten in Deutschland. Jeder Vierte gab in der Befragung an, mit der Lebensmittelqualität hierzulande grundsätzlich zufrieden zu sein. Drei Viertel der Konsumenten äußerten sich jedoch im gleichen Zuge skeptisch gegenüber der verarbeitenden Lebensmittelindustrie.

Speiseplan. Heute könnte sie ein Vertrauensverlust infolge industrieller Produktion zurück auf den Teller bringen. Hinzu kommt das steigende Interesse der Verbraucher an regionalen und saisonalen Produkten – und diese gern in Bioqualität. Da haben Wildkräuter per se die Nase vorn. Regionaler als vor der Haustür geht es nicht. Und saisonale Aspekte werden einem beim Sammeln als natürlicher Kreislauf von Werden und Vergehen knallhart vor Augen geführt. Weil es normal geworden ist, neben Konserven auch Frischgemüse wie Möhren, Kartoffeln oder Tomaten ganzjährig in den Auslagen zu finden, muss man sich an die teils ausgesprochen schmalen „Erntezeitfenster“ im Grünen erst gewöhnen. Für manchen Gourmet mag der Spargelsilvester am 24. Juni ein Trauertag sein, doch er konnte sich über zwei Monate an frischen Stangen erfreuen. Bei einigen Wildkräutern endet das Angebot schon nach kaum der Hälfte der Zeit.

Aber ist das wirklich schlimm? Überhaupt nicht. Es erhöht die Wertschätzung. Es lässt Vorfreude zu. Außerdem kommt für jedes Kraut, das weg ist, ein neues aus der Erde. Und ein Sahnehäubchen, abgesehen von der meditativen Dimension des Suchens, sind die ganzen Geschichten, Mythen und Legenden, die sich um die Kräuter ranken. Oder Witze. Einer handelt vom Bärlauch. Der ist lecker, ähnlich wie der anerkannt gesunde Knoblauch. Diesem soll er bezüglich seiner Heilkraft sogar überlegen sein: Innerhalb weniger Tage stirbt ein sehr altes Ehepaar. Gleichzeitig kommen sie an der Himmelspforte an. Petrus nimmt sie in Empfang und zeigt ihnen das Paradies. Die Frau ist schlichtweg begeistert, er dagegen wird immer mürrischer. „Was ziehst du denn für ein Gesicht?“, faucht sie ihn an. „Hier ist es doch traumhaft.“ „Ja scheiße!“ knurrt er. „Ohne deinen Bärlauch hätten wird das mindestens zehn Jahre früher haben können!“

In grauer Vorzeit verdrängte ein Mehrwert aus gezielter Züchtung die Wildkräuter vom

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REPORTAGE

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Das Covid-19-Virus trifft auch Konzertveranstalter hart. Bereits seit dem 10. März sind Großveranstaltungen untersagt, zwei Wochen später folgte die Schließung aller kleineren Veranstaltungsorte. Die Zukunft einer ganzen Branche ist ungewiss. Wir haben uns die Lage beim Instrumente- und Backline-Verleiher GateToHell in Lünen angeschaut. Von Peter Hesse | Fotos: Daniel Sadrowski

Heute: Kein Konzert

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obert Dietrich steht alleine in seiner Lagerhalle. Die langen Gangreihen erinnern an einen Großmarkt. Nur stehen hier keine Nahrungsmittel oder Getränkekisten in den Regalen, sondern roadtauglich verpackte Musikinstrumente: Gitarrenkoffer, Schlagzeug- und KeyboardCases, Verstärker, Boxen, Ständer, Kabel. Hier, in einem Industriegebiet in Lünen ganz in der Nähe des Datteln-Hamm-Kanals, herrscht im normalen Regelbetrieb rege Betriebsamkeit. Dietrich ist Chef von GateToHell, seine Firma verleiht Instrumente und Equipment an tourende Bands. Es gibt Regalreihen, in denen nur Schlagzeuge einer bestimmten Marke bis unter die 10 Meter hohe Deckenhalle ordentlich aneinandergereiht stehen. Mit einem Gabelstapler sind auch die Instrumente aus dem obersten Regal erreichbar. „Vom Schlagzeugständer über Verzerrer bis hin zu Gitarrenboxen sind es derzeit 31.000 Produkte, die wir vorrätig haben“, sagt Robert Dietrich. „Ich habe hier im Lager mehr Gitarrenverstärker stehen als alle Musikgeschäfte im Ruhrgebiet zusammen.“

500 Tourneen im Jahr Vor allem für Bands aus Übersee ist es unwirtschaftlich, Instrumente und Musiktechnik nach Deutschland und Europa zu verschiffen, sie reisen mit kleinem Gepäck. Sich im Ausland an einen Verleiher zu binden ist Vertrauenssache. Und so entstehen oft langjährige Arbeitsbeziehungen. Mit Bands wie Slime, Agnostic Front oder Dead Kennedys-Sänger Jello Biafra ist er durch viele Zusammentreffen richtig befreundet. „Ich habe alle Tourneen von Biafra außerhalb der USA gemacht, hab ihn noch im Dezember in San Francisco besucht.“ Normalerweise sind Festivals seine Welt. Ob Roskilde in Dänemark, Juicy Beats in Dortmund oder das Ruhrpott Rodeo in Hünxe – Robert ist an kein Genre gebunden und hilft da, wo die Dienste von GateToHell gebraucht werden. In früheren Tagen war er mal als Roadie weltweit für AC/DC unterwegs: „Das war ein ziemlicher Knochenjob.“ Seine eigene musikalische

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REPORTAGE

Spannbreite reicht von Tourneen mit Metalbands wie Carcass bis hin zur Soulsängerin Janelle Monáe. Angefangen hat er ganz klein – irgendwann in den späten 1980er Jahren: mit einem Selfmade-Proberaum im Dortmunder Norden über einer Autowerkstatt und seiner Band Cud. „Dann kam mein Plattenlabel Friendly Cow dazu, und mit der Band Radiobaghdad hatten wir die ersten Erfolge. Ich hatte damals immer die Tourneen gebucht – und so ging es dann immer weiter. Es flatterten immer mehr Anfragen auf meinen Schreibtisch – nur fehlte mir irgendwann das geeignete Equipment, damit die Bands damit auch touren konnten.“ Da Robert zeitgleich im Lager des Musikhauses Pomerin arbeitete, konnte er sehr günstig an defektes Equipment kommen, das er in Heimarbeit reparierte. Mit den „runderneuerten“ Verstärkern gingen seine Bands dann auf Tour. Aus dieser Do It Yourself-Keimzelle hat sich ein umtriebiges Unternehmen entwickelt. Inzwischen arbeiten drei Festangestellte, ein Azubi und jede Menge Freelancer für GateToHell. Vor dem Lager stehen zehn Bandtransporter für Tourneen, die derzeit aus Versicherungsgründen in der Pandemie alle abgemeldet worden sind. „Wir machen etwa 500 Single-Shows plus 500 Tourneen im Jahr. Das ist schon eine große Nummer.“

Schlechte Prognosen Eine Art Feuertaufe erfuhr Robert im Jahr 2006 zur FußballWM. In Nordrhein-Westfalen sollte Robert gleichzeitig 16 Public-Viewing-Events technisch bestücken – und mit der Unterstützung vom Instrumentenhersteller Meinl konnte er das bewältigen. Seitdem ging es immer weiter aufwärts für seine Firma – bis der Corona-Virus alles lahmlegte. „In einem Monat wie April oder Mai mache ich normalerweise einen Umsatz in fünfstelliger Höhe. Nur aktuell habe ich nichts.“ Viele Kosten laufen weiter. Die Versicherung, die mit einer speziellen Police die teuren Gerätschaften bei Tourneen versichert, kommt ihm nicht entgegen. Seine Angestellten sind in Kurzarbeit, Robert hat nichts zu tun. Er bekam 9.000 Euro Soforthilfe als Unterstützung. „Alles weitere, was ich jetzt machen kann, muss ich genau abwägen. Ich kann mir jetzt Geld leihen, aber ich muss das ja auch zurückzahlen.“ Den Umsatz, den er normalerweise im Frühsommer macht, kann er nicht wieder einholen. „Meine Prognose ist, dass der Konzertmarkt zukünftig ganz anders aussehen wird – und ich befürchte, dass viele Firmen aus der Konzertveranstalter-Branche den Löffel abgeben werden.“ Großveranstaltungen wird es vermutlich lange nicht geben, mindestens bis zum 31. August. Wie es bei GateToHell weitergeht, weiß Robert nicht. „Wenn ich jetzt anfangen sollte, meine ganzen Geräte und Instrumente meinetwegen bei eBay zu verkaufen, ist das auch keine Lösung. Denn ich brauche die ja dann wieder, wenn die ersten Tourneen wieder losgehen.“ Nur wann das sein wird – das kann zurzeit niemand beantworten.

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BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Verzerrtes Denken Es geht gleich mal los mit einem Selbsttest. Anhand des Zustimmungsgrades zu fünf Aussagen lässt sich die eigene Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen bestimmen. Nach zentralen Begriffsdefinitionen sind Faktenchecks an der Reihe: Wie wahr sind klassische Mythen über Verschwörungsideologien? Und Kapitel 3 erklärt, dass uns Verschwörungsgläubige ähnlicher sind als wir denken. Mit großer Prägnanz machen die Netzaktivistin Katharina Nocun und die Psychologin Pia Lamberty zu Beginn ihres „Buchs zur Stunde“ (ttt) klar, dass wir alle „die Veranlagung für Wahrnehmungsverzerrungen haben“, die uns Informationen falsch bewerten und gegebenenfalls auch Verschwörungserzählungen auf den Leim gehen lassen. Nach diesem Herstellen von Nähe arbeiten sich die Autorinnen kapitelweise durch Themenfelder und Akteursgruppen, Verbreitungskanäle und Profiteure. Verblüffend aktuell ist das Kapitel zu Verschwörungsglauben im CoronaAusnahmezustand, inklusive eines kleinen Werkzeugkastens zum Entlarven von Falschmeldungen. Das Schlusskapitel liefert Tipps und Strategien zum Umgang mit Verschwörungsgläubigen im privaten Umfeld. „Fake Facts“ ist ein bemerkenswerter „Rundumschlag“ zweier ausgewiesener Expertinnen mit – und manchmal gehört das auch dazu – unglaublichem Timing. Katharina Nocun, Pia Lamberty Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen ISBN: 978-3-86995-095-2 Quadriga | 352 S. |19,90 Euro

Verschenkter Raum Vater und Sohn Der vielfach ausgezeichnete ComicKünstler (Hector Umbra) und SZ-Illustrator Uli Oesterle bringt im ersten Teil der „Irrfahrten des Rufus Himmelstoss“ so viel Disparates in eine schlüssige Form, dass man staunt: „Vatermilch 1“ ist gleichzeitig ein lässig-souveräner Pageturner im Retro-Ambiente der Münchener Disco-Ära. Es ist die Geschichte eines rasanten Abstiegs aus der Kokain- und Champagner-Glitzerwelt, die Alkoholismus und Obdachlosigkeit nicht als Kolorit oder als Klischee erzählt, sondern als existenzielle Erfahrung (recherchiert bei Selbsterfahrungen auf der Straße und bei unseren Münchner Straßenzeitungs-KollegInnen von Biss). Es ist eine Reflexion über Schuld und darüber hinaus eine „Erzählung über schwierige Vater-Sohn-Beziehungen und Wiedergutmachung“, so Uli Oesterle im Nachwort. Zu ergänzen wäre: seine eigene. Denn mehr noch als alles andere ist Vatermilch eine biografische Suche: die nach dem verschwundenen, dem abgestürzten Vater und die nach der eigenen Vaterrolle, angelegt auf mehr als 500 Seiten und vier Bände. Der erste ist am 26. Mai erschienen. Uli Oesterle | Vatermilch. Band 1: Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss ISBN: 978-3-551-71158-8 Carlsen | 128 S. | 20 Euro

Wer sich in den Wochen des weitgehend brachliegenden öffentlichen Lebens zu Fuß oder mit dem Rad durch die Innenstädte der Region bewegte, konnte zweierlei feststellen. Erstens: Die autofreundliche Stadt ist auch ohne fahrende PKW ein feindseliger Ort. Zweitens: Sie steckt voller Potenziale der Wiederaneignung. „Traffic Space is Public Space“, Verkehrsräume sind öffentliche Räume, postulieren der Architekt Stefan Bendiks und die Städtebau-Professorin Agalée Degros in ihrem aufwendig gestalteten Praxis-Band und geben bescheiden vor, „ein paar Tricks und Einsichten aus dem Berufsalltag weiterzugeben, um die Stadt und ihr Umfeld zu einem angenehmeren Ort zum Leben zu machen.“ Tatsächlich skizzieren sie in einem Essay die Geschichte und Gegenwart öffentlicher Räume und sprechen von einer Zeitenwende: Die bevorstehende Einführung autonomen Fahrens kann die Restriktionen für Radfahrer und Fußgänger weiter verschärfen – oder es wird jetzt die „Vorherrschaft aktiver Mobilität“ gesichert. Den Hauptteil bilden jedoch mit Fotos und Plänen dokumentierte Strategien der Transformation von Verkehrsflächen in Wien, Antwerpen oder Kopenhagen in Orte des urbanen Lebens. Stefan Bendiks, Aglaée Degros Traffic Space is Public Space. Ein Handbuch zur Transformation ISBN: 978-3-03860-165-4 Park Books | 224 S. | 38 Euro

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REPORTAGE INTERVIEW

Die Welt in Gut und Böse sortieren In ganz Deutschland demonstrieren wöchentlich GegnerInnen der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Sars-CoV-2. Die äußerst heterogenen und wenig organisierten Zusammenkünfte von Impfgegner- und EsoterikerInnen, Verschwörungsgläubigen und Rechtsradikalen sind der – zahlenmäßig überschaubare – „Überlauf“ eines Millionenphänomens im Netz. Beobachtungen aus Dortmund. Von Bastian Pütter | Foto: David Peters

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m Westfalenstadion läuft das „Geisterderby“ zwischen dem BVB und Schalke 04, anders als bei richtigen Fußballspielen ist die Innenstadt nicht in Schwarz-Gelb getaucht – man geht shoppen. Auf der Hansastraße am Friedensplatz folgen noch rund 100 DemonstrantInnen in einem losen Polizeikessel unschlüssig einem Herrn mittleren Alters mit Tamburin. Die einzig demoerfahrenen Teilnehmer, zwei Dutzend Nazis der Scheinpartei „Die Rechte“ mit einigen Gästen aus dem Umland, hat die Polizei medienwirksam herausgebeten, um sie wegen „Verstößen gegen die Coronaschutzverordnung“ zu belangen. In der Woche zuvor waren aus dieser Gruppe mehrfach Journalisten angegriffen worden. Begonnen hatte die Demonstration wie in der Vorwoche auf dem Alten Markt. Am 9. Mai war sie unter Coronaregeln explizit verboten worden, die Polizei auch bei einem sich anschließenden Demonstrationszug nicht eingeschritten.

Die linke Kundgebung heute „Gegen Verschwörungsideologie und rechte Umtriebe“ haben Polizei und Verwaltungsgericht hier nicht zugelassen und auf den verwaisten Friedensplatz verschoben. Verschwörungsfans und Nazis demonstrieren jetzt an gleicher Stelle unangemeldet.

Alukugeln und Bill Gates Trotz ihrer bundesweiten Ausbreitung sind die verkürzt „Hygienedemos“ genannten Versammlungen zahlenmäßig wenig relevant, in Dortmund und anderswo artikulieren sie kaum konsistente Inhalte oder konkrete Forderungen. Die vereinzelten Sprechchöre „Freiheit“ und „Wir sind das Volk“ sind die einzigen Wortbeiträge. Auf Nachfrage ist man gegen Bevormundung, Impfzwang und MainstreamMedien. Man zweifelt die Bewertung von und die Maßnahmen gegen Covid-19 an. Mit den anwesenden Neonazis hat man keine Probleme. Regional unterscheiden sich die Veranstaltungen deutlich. Allen gemein ist, dass sie Personen und Milieus gemeinsam auf die Straße bringen, die scheinbar nicht zusammenpassen wollen: EsoterikerInnen in Pluderhosen, die teils auf mitgebrachten Yogamatten meditieren, Impfgegner, Neonazis, die halb ironisch Grundgesetze verteilen, „Reichsbürger“, rechte Hools, Verschwörungsfans mit eigener Symbolik: Während Rentnerpaare Kugeln aus Alufolie um den Hals tragen, den „Querdenker-Bommel“, zeigen andere mit dem „Q“ der „QAnon“-Jünger, dass sie glauben, ein „tiefer Staat“ betreibe in unterirdischen Basen den Massenmissbrauch von Kindern. Überzeugungen, die auch der Mannheimer Sänger Xavier Naidoo teilt. Oder der Mörder von Hanau. „Alle diese verschiedenen Gruppen haben sich Corona quasi oben aufgepfropft“, sagt die Autorin und Netzaktivistin Katharina Nocun („Fake Facts“, s.S.39). „Und obwohl ihre Narrative sehr unterschiedlich sind – von ,Corona gibt es nicht‘ über ,Corona ist eine im Labor hergestellte Biowaffe‘ bis hin zur ,jüdischen Weltverschwörung‘ –, hat man gemeinsame Feinde: den Staat, die Medien, die Wissenschaft.“ In Dortmund sieht man, dass die Dämonisierung des Microsoft-Gründers Bill Gates inzwischen so etwas wie ein Bindeglied dieser heterogenen Szenen ist. „Gib Gates keine Chance“ steht auf Plakaten, Aufklebern und T-Shirts der vermeintlichen „Corona-Rebellen“, im Layout der AidsPräventionskampagne der 1980er und 90er Jahre. Ein Mittfünfziger in Jeans und Sakko, den man an diesem Samstag eher in Karstadts Feinkostabteilung vermutete als auf einer Demonstration, zischt Journalisten an: „Und ihr macht die Drecksarbeit für den feinen Herrn Gates?“ Gates‘ Reichtum, verbunden mit seinem Engagement für Impfschutz und vor allem sein frühes Warnen vor einer weiteren Corona-Pandemie nach Sars 2003 und Mers 2012 befeuern Verschwörungserzählungen. Die haben längst aus den „Spezialisten“-Kreisen in Reddit-Foren und anonymen

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REPORTAGE

Imageboards in die reichweitenstarke Infrastruktur des Internets gefunden. Vor allem Videos werden dann über Messenger-Dienste und Social Media geteilt und erreichen ein völlig neues, riesiges Publikum.

Muster, wo keine sind Andre Wolf von Mimikama, dem Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, beschreibt ein Eskalationsmodell der Verschwörungsmythen parallel zum Verlauf der Pandemie. Die erste Stufe Anfang März sei durch „einfache“ Fake News gekennzeichnet gewesen, in der zweiten Stufe erschienen Videos vermeintlicher Experten, deren Teilwahrheiten und tendenziöse Interpretationen massiv über „alternative“ Medienseiten und Blogs verbreitet wurden. Sie säten Zweifel an den staatlichen Maßnahmen und an der Gefährlichkeit oder gar Existenz des Virus selbst. „Seit Anfang April begleiten uns auf Social Media komplett evidenzfreie Mythen“, beschreibt Wolf auf dem News-Portal Golem die dritte Stufe. Dazu gehört QAnon, Mythen zur Verbindung des 5G-Mobilfunkstandards mit der Pandemie sowie die Idee, Bill Gates plane per Impfung Mikrochips zu implantieren und / oder die Weltbevölkerung drastisch zu dezimieren. Die aktuelle, vierte Eskalationsstufe sei die Übertragung in die wirkliche Welt: das Anzünden von 5GMasten, Gewalt auf der Straße. Neu ist die Bereitschaft, das Böse „da oben“ und „in Hinterzimmern“ zu verorten, nicht. In der letzten „Mitte-Studie“ der Friedrich Ebert-Stiftung – vor Corona – stimmten 45,7 Prozent der Befragten teilweise oder ganz der Aussage zu, dass „geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“. Fast ein Drittel bejahte die

Einschätzung, dass „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte“ seien. Die große Mehrheit, beinahe 80 Prozent, zeigte sich einverstanden mit der Aussage: „Ich vertraue meinen Gefühlen mehr als sogenannten Experten.“ In Phasen des gefühlten Kontrollverlustes wächst das Bedürfnis, über Verschwörungserzählungen „Ordnung“ wieder herzustellen, sagt Katharina Nocun. Wir sähen dann Muster, wo keine sind, und seien bereit, einen Plan anzunehmen, statt große Ereignisse mit Zufall, Inkompetenz der Handelnden oder dem Lauf der Natur zu erklären. „Diese beiden Effekte verkoppeln sich in der Pandemie und sorgen dafür, dass Menschen in unserem Umfeld, die wir eigentlich für ganz vernünftig gehalten haben, plötzlich in eine Parallelwelt abdriften und an eine große Verschwörung glauben.“ Rechtsextremismusforscher betonen den strukturellen und den expliziten Antisemitismus, der von Verschwörungsideologen wie Ken Jebsen im Netz als auch von Akteuren auf der Straße ausgeht. „In den Protesten brechen sich Ideologien demokratieferner Milieus Bahn und treffen auf offene Ohren und fehlende Abgrenzung“, sagte der Soziologe Matthias Quent am Tag der Dortmunder Demo dem „Spiegel“ und warnte: „Meine Sorge ist, dass sich die Normalisierung von Antisemitismus, Rechtsradikalen, Irrationalismus und Hass in einer kommenden Wirtschaftskrise in noch größerem Umfang rächen wird.“ Als sich am Derbysamstag die Demonstration bereits aufgelöst hat und die letzten TeilnehmerInnen die Hansastraße verlassenen schreit im Weggehen wie aus dem Nichts eine Frau einen auf den Feierabend wartenden Bereitschaftspolizisten an: „Auch ihr kriegt euer Fett noch weg!“

SCHAU FENS TER #23

60 JAHRE FREUNDE DES MUSEUMS OSTWALL 29.03. — 30.08.20

Museum Ostwall im Dortmunder U

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Konrad Klapheck, Der Egozentriker, 1964 © VG Bild-Kunst, Bonn 2020

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Eine Frage, Herr Reinhardt:

Was, wenn Bill Gates meinen Nachbarn „chippen“ will?

Rüdiger Reinhardt von der gemeinnützigen Organisation „Der goldene Aluhut“

Verschwörungserzählungen haben in Zeiten von Corona großen Zulauf. Millionen Menschen schauen Youtube-Videos, in denen Bill Gates zum Urheber des Sars-CoV-2 gemacht wird, zu seiner Verbreitung durch 5G-Mobilfunkstrahlen beiträgt oder die Kontrolle der Menschheit über per Zwangsimpfungen implantierte Mikrochips anstrebt. Verschwörungsnarrative können Hass befeuern, die Grenzen zu rechten Ideologien und Antisemitismus sind f ließend. Doch wie landen Menschen in diesen Verschwörungsszenen – und wie kann man ihnen wieder heraushelfen? „Es passiert natürlich nicht von heute auf morgen, dass jemand aufsteht und sich sagt: ,Die Erde ist eine Scheibe‘“, sagt Rüdiger Reinhardt vom „Goldenen Aluhut“, einer gemeinnützigen Organisation zur Aufklärung über Verschwörungsideologien, Sekten, ideologischen Missbrauch und Extremismus. „In unserer Arbeit beobachten wir aber immer wieder, dass es einige Faktoren gibt, die dazu beitragen können, dass Menschen sehr viel empfänglicher werden.“ Existenzängste können ein Faktor sein. Viele Verschwörungserzählungen setzen genau dort an. Auch Ärger mit Behörden, Ämtern oder Justiz könne Menschen in Selbsthilfeforen führen, in denen sie dann mit z.B. der Reichsbürger-Ideologie in Kontakt kommen. Mit einer schweren gesundheitlichen Erkrankung sei man sicherlich

empfänglicher für „Alternativmedizin“ oder Theorien, die mit dem Gesundheitssystem zusammenhängen, so Reinhardt. Wenn Menschen sich erstmal in diesen Glaubenssystemen bewegen, sei es sehr schwer, sie dort wieder herauszubekommen. „Ganz wichtig ist es, dabei behutsam vorzugehen und solange wie möglich direkte Konfrontation zu vermeiden. Eine Möglichkeit kann sein, gemeinsam zu recherchieren. ‚Wieso sollten die das machen? Warum glaubst du

„Wenn Menschen sich erstmal in diesen Glaubenssystemen bewegen, ist es sehr schwer, sie dort wieder herauszubekommen.“ das?‘“ Im persönlichen Gespräch könne man versuchen, herauszufinden, welchen „Mehrwert“ der Gläubige von seinem Glauben hat, und mit ihm nach Möglichkeiten suchen, diesen ohne verschwörungsideologische Gedanken zu erreichen, so Reinhard. „Der Ausstieg aus der Verschwörungswelt kann, je nach Tiefe, einem Sektenausstieg gleichgesetzt werden, und es kann sinnvoll sein, eine psychologische Beratungsstelle oder Sektenberatung hinzuzuziehen.“ Weitere Infos: www.dergoldenealuhut.de

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Ich hatte direkt am Samstagabend den Impuls, euch zu schreiben, komme aber erst jetzt dazu. Ich gehöre zu der Gruppe von Menschen, die am 18.4. auf dem Wochenmarkt politisch Schlange gestanden und mit Schildern auf die Situation der Asylsuchenden in Griechenland (Moria und andere Lager) aufmerksam gemacht haben.

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Bei unserer Aktion galt bundesweit und auch in NRW ein Demonstrationsverbot, was die Grundlage der Polizei war, dass sie unsere spontane Demonstration sofort untersagten. Dieses Verbot gilt aber auch weiterhin, und es gibt nur Erlaubnisse mit bestimmten Auflagen verbunden.

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Hallo liebes Team, mit Schrecken habe ich mitbekommen, was am Samstag, dem 9. Mai, in Dortmund und in ganz Deutschland an Demonstrationen stattfand und was für eine Bewegung sich da gebildet hat. Dass zwei der Nordstadtblogger Opfer von rechter Gewalt wurden, erschreckte mich noch mehr.

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„Hygienedemo“ in Dortmund

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Am Samstag wurde die Demo „2020“ angemeldet, aber auch von der Stadt untersagt. Warum wurde dort dann in keiner Weise eingegriffen? Bei unserer Aktion wurden von vielen Menschen die Personalien aufgenommen und Platzverweise für den gesamten Innenstadtbereich innerhalb des Walls ausgesprochen. Wieso dann nicht bei der verbotenen Demonstration am vergangenen Samstag, bei der Angriffe auf Journalisten stattfanden? Ich kritisiere da diese Unverhältnismäßigkeit und das ungleiche Einschreiten im Vergleich zu dem Polizeiverhalten bei unserer Aktion. Ich möchte hier darauf aufmerksam machen, dass wir zwei Meter Abstand zueinander hatten. Wir trugen Mundschutz, obwohl dies damals noch kein Gebot war. Wir demonstrierten passiv, ohne Radau zu machen. Als ich die Berichte über vergangenen Samstag las, war ich zum einen sehr betroffen über diese absurde Mischung aus Menschen, die aus welchen Gründen auch immer einem Verschwörungsnarrativ folgen und sich dabei oft bewusst nicht von Rechtsradikalen und bekennenden Nazis abgrenzen. Zum anderen über die Aggressivität der Demos und die zahlreichen Angriffe auf die Journalisten. Last but not least auch Wut und Unverständnis über das Verhalten der Polizei. Warum wurde bei der „Hygienedemo“ nicht eingegriffen und diese beendet – vor allem wenn die Polizei selber schon in Vorhinein Informationen hatte, dass mit Neonazis zu rechnen ist? Wieso werden Neonazis nicht entfernt? Wieso können sie sich unter die Demonstration mischen? Herzliche Grüße, J. M.


RÄTSEL

Als Reaktion auf Covid-19 verbreiten sich im ganzen Dortmund Stadtgebiet fröhliche Geister-Graffiti – „illegal“ gesprüht, aber mit regelkonformer Schutzmaske. Und wie im wirklichen Leben ist auch so mancher Geist ohne Dach über dem Kopf. Foto: Sebastian Sellhorst

„Die Solidaritäts-bodo“ Liebe bodo-Leute, ich bin so froh, dass es das Straßenmagazin wieder gibt. Ich fand es schon eine tolle Idee, dass ihr überall, wo die Verkäufer standen, Plakate geklebt habt mit Fotos und „Wir sind noch da“. Und dann gehe ich zum Rewe und plötzlich steht mein Verkäufer da mit der „Soli-bodo“ und sagt, im Juni gibt es wieder eine ganz normale bodo. Klasse! Bleibt gesund und alles Gute I. W.

bodo-schwatzgelb Hallo bodo, ich lese regelmäßig im Blog schwatzgelb.de und kaufe immer mal die bodo, und da war es klar, dass ich auch bei Eurem digitalen Magazin zuschlage. Ganz ehrlich: Ich finde, ein PDF ist ja nicht das ideale Format. Im Netz liest man halt Einzeltexte, und in einem Magazin will ich blättern. Trotzdem ist das ziemlich beeindruckend, was Ihr da abgeliefert habt. Trotz dem nervigen Scrollen und Zoomen am Handy hab ich fast jede Geschichte gelesen. Respekt!

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

2007 ist Mihai aus Rumänien nach Deutschland gekommen. Seitdem kämpft er auf der Suche nach einer festen Arbeit mit Rückschlägen, bürokratischen Hürden und Arbeitgebern, die seine Situation ausnutzen. In der Corona-Zwangspause hat er uns erzählt, wie schnell man auf der Straße in einen Teufelskreis gerät, aus dem man nur noch schwer herauskommt. Text und Foto: Sebastian Sellhorst

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eine erste Station damals in Deutschland war Kiel. Dort kannte ich einige Leute“, sagt Mihai. „Ich hatte etwas Geld gespart und bin in der Hoffnung, Arbeit zu finden, dort hin. In meiner Heimatstadt Bârlad im Osten Rumäniens an der Grenze zu Moldawien war zu der Zeit kaum daran zu denken, eine richtige Anstellung zu finden.“ In Kiel mietet sich der heute 51-Jährige eine kleine Wohnung, einen Job findet er nicht, da er als rumänischer Staatsbürger nur mit einem eigenen Gewerbeschein selbstständig arbeiten kann. So landet er beim Straßenmagazin Hempels.

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„Du drehst dich immer wieder im Kreis“ dort Hilfe zu bekommen, weil ich ja im Gefängnis gearbeitet hatte. Unter anderem habe ich mich dort als Gebäudereiniger zertifizieren lassen und in der Gefängnisküche gearbeitet“, erzählt Mihai. EU-Bürger haben in Deutschland Anspruch auf Sozialleistungen, wenn sie mindestens fünf Jahre dauerhaften Aufenthalt nachweisen können und mindestens ein Jahr beschäftigt waren. Mihai fehlten nur wenige Arbeitstage, erfährt er bei der Arbeitsagentur.

Nach zwei Jahren in Kiel zieht er nach Hamburg. „Dort habe ich ein eigenes Gewerbe angemeldet und in einem Hotel die Zimmer und Flure gereinigt. Das hat einige Zeit funktioniert, ich habe etwas Geld verdient und konnte mir eine Wohnung leisten. Eine Krankenversicherung hatte ich in der Zeit nicht, aber wenigstens ein Dach über dem Kopf “, erinnert er sich. Das geht eine Weile gut, bis immer öfter für seine Arbeit nicht oder nur teilweise bezahlt wird. Irgendwann sind die Mietschulden so hoch, dass er seine Wohnung verliert und auf der Straße landet.

Mihai lebt weiter auf der Straße, wo es immer wieder zu Rückschlägen kommt. „Zweimal musste ich hier in Dortmund Strafe zahlen, weil ich in Parks geschlafen habe.“ Zweimal 45 Euro wegen „Lagern und Campieren“. Das Geld hat er nicht. Weitere Haftstrafen kommen auf ihn zu. Als ihm eines Nachts sein Rucksack geklaut wird, steht er ohne Papiere da. „Bis heute versuche ich, an Kopien wichtiger Dokumente von alten Arbeitgebern oder Hilfseinrichtungen zu kommen. Von den meisten werde ich einfach ignoriert.“

„In Hamburg habe ich dann das erste Mal richtig auf der Straße gelebt. Ich habe in leerstehenden Häusern oder in Parks geschlafen“, erzählt er uns. Strafzettel wegen Schwarzfahrens führen zu einem weiter wachsenden Schuldenberg, Geldstrafen wegen Diebstahls in einem Supermarkt kommen hinzu. „Da ich diese nicht zahlen konnte, wurde ich zu einer Ersatzfreiheitshaftstrafe verurteilt. Nach meinem Gefängnisaufenthalt bin ich zum Arbeitsamt gegangen in der Hoffnung,

Zurzeit verbringt Mihai die Nächte im Fliednerhaus, der Bochumer Notschlafstelle. „Du drehst dich im Kreis. Du findest keine Arbeit, verlierst deine Wohnung. Dann landest du irgendwann im Gefängnis, weil sich deine Schulden immer weiter anhäufen. Dann kommst du irgendwann wieder raus und bist verschuldet und vorbestraft. Da kannst du dir die Wohnungssuche gleich sparen. Dabei nicht verrückt zu werden, ist manchmal gar nicht so einfach.“


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Evolutionstheorie, Urknalltheorie, das sind extrem komplexe, präzise und nachdenkbare Ansätze. Da ist es schon beleidigend, wenn diese mobilen Wahnwichtel, die sich jetzt in den Städten breitmachten, als Anhänger von Verschwörungs-„Theorien“ geistig geadelt werden. Sie sind, was die Sache mit dem Denken angeht, allenfalls illegitime Nachfahren ostpommerscher Grafen mit jahrhundertealtem Inzesthintergrund. Viele können als höchsten erlangten Schulabschluss mit gutem Gewissen „Fahrradführerschein“ angeben, wenn sie nicht auch da schon in der Theorie durchgeknallt sind. Was verwundert: Sie alle wissen schon vor der Morgenzigarette, was Topexperten in zwanzig Jahren Forschung nicht rausbekommen. Das ist wie bei den Außerirdischen. Die sind trotz Superbrain stets so blöde, immer bei Dörflis im Westerwald zu landen, schaffen es aber nie in die Tagesthemen oder wenigstens zu Armin Laschet. Dazu gesellen sich Leute, die auf fiese Weise schlau sind, Leute wie Thomas Kemmerich, dieser FDP-Mann, der bald nur noch für die 100-Euro-Frage bei Günther Jauch taugt (Größter Irrtum mit kürzester Amtszeit). Er singt lachend zweimal „Happy Birthday“, er wäscht also seine Hände in Unschuld, wie man vor Corona sagte. Eskortiert wird er dabei vom Nazipack, das Grundgesetze schwenkt. Da macht sich der Bock ausnahmsweiMartin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

se gleich selbst zum Gärtner. Kleiner Tipp: Dieser Text kommt auf exakt 1848 Zeichen. Das

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO li g it M r h e m Je hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil .awo-ww.de ww.de • www

ergibt die Quersumme 21. Der 21. Buchstabe des Alphabets ist das U. Ja, das hier war mein Versuch, den Jungs mit Fahrradführerschein ein X für selbiges vorzumachen. Gescheitert. Denn die wissen genau, das Coronavirus ist nicht auf dem Markt in Wuhan auf Menschen übergesprungen. In Wahrheit stammt es von einem Einhorn auf dem Gnadenhof von Attila Hildmann in Brandenburg. Woher man das weiß? Weil sie es nie in der Tagesschau gebracht haben.

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Klosterstraße 8-10 • 44135 Dortmund 0231 - 99 340

Bleichstraße 8 • 44787 Bochum 0234 - 96 47 70

Unnaer Straße 29a • 59174 Kamen 02307 - 91 22 10 47


Diέ ‫ق‬esɛll‫ى‬cჩafէ Ժᇀr Vię‫ٱ‬en ლαcㅐt k‫ع‬ī‫ת‬e Paύรϵ. 가자!

Hadi!

!‫تكان بده‬

加油!

აბა წავიდეთ!

Auf!

!‫יאללה‬

Vamonos!

գնացինք!

Πάμε!

Andiamo!

www.interkultur.ruhr 48

!‫يال‬


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