bodo September 2021

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bodo DAS

09 | 21 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für die Verkäuferin den Verkäufer

SCHAFEN BEGEGNEN TRAUERREDEN HALTEN HÄUSER DRUCKEN CONTAINERN WÄHLEN

Streetwork in Hörde Seite 18

KlimaStreik Seite 7

? N E D E R T U M W I E Ü BE R A R A N NA M AY R

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Tierbegegnungen

Von Wolfgang Kienast

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Verena Bentele, Carvey L. Biron, Alexandra Gehrhardt, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Bastian Pütter, Ralf, Petra von Randow, Markus Roeser, Sophie Schädel, Sebastian Sellhorst Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: ICON (S. 43), Susie Knoll (S. 33), David Peters (S. 16), Regan Morton Photography (S. 42), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 5, 6, 12, 13, 14, 15, 18, 19, 20, 21, 22, 30, 34, 35), Katja Saemann (S. 8), Sebastian Sellhorst (S. 2, 8, 9, 10, 11, 23, 38, 39, 40, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22), Timeckert / Shutterstock (S. 7) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Oktober-Ausgabe 10. September 2021 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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„Auf einem Begegnungshof werden Tiere nicht benutzt oder ausgenutzt“, erklärt Lexa Voss. Dennoch gibt es hier für die meisten von ihnen etwas zu tun. „Ich habe gemerkt, dass die Leute Nähe vermissen. Uns fehlten Einnahmen. Und die Schafe mögen es, wenn sie Besuch bekommen.“

Von der Brücke zum See

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Als 2018 am Hörder Bahnhof eine 15-Jährige bei einem Streit durch Messerstiche starb, reagierte die Stadt nicht mit Repression, sondern installierte ein Streetwork-Projekt. Zum Ende der Projektlaufzeit der „Rampe 2“ fragt bodo: Hilft Straßensozialarbeit gegen Jugendgewalt? Von Bastian Pütter

Menü aus dem Müll

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„Es kommt immer mal wieder vor, dass man Leute trifft, wenn man Containern ist“, erzählt Stina, die an diesem Samstagabend Lebensmittel „rettet“. „Die Vorstellung, dass da jemand im Müll nach Essen sucht, weil er keine andere Möglichkeit hat, schockiert mich aber jedes Mal aufs Neue.“ Von Sebastian Sellhorst

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Ralf, bodo-Verkäufer in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, Ihnen geht es gut und Sie sind gesund. Vielleicht konnten Sie sogar trotz Corona ein bisschen in Urlaub fahren. Seit ich wieder eine Wohnung habe, lege ich jeden Monat ein paar Euro zur Seite, um mir irgendwann den Traum von einem schönen Urlaub zu erfüllen. Am liebsten würde ich dann zusammen mit einer Freundin nach Ägypten reisen. Einmal im Leben vor der Cheopspyramide stehen und im Roten Meer schwimmen. Das war schon immer mein Traum. Ich hab gefühlt schon jeden Reiseführer gelesen, den es gibt, jetzt fehlt nur noch etwas Geld. Bis ich das zusammen habe, ist hoffentlich das Thema Corona endlich erledigt und ich muss mir keine Gedanken mehr um Reisevorschriften und so was machen. Bis das soweit ist, genieße ich erst mal meinen ersten Sommer seit vier Jahren in den eigenen vier Wänden. Zum Glück haben wir im Sozialen Zentrum einen großen Garten, und Sonne bekomme ich ja auch an meinem Verkaufsplatz reichlich – wenn sie denn scheint. Bis bald, Ihr bodo-Verkäufer Ralf

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

04 Menschen | Anna Mayr 07 Straßenleben | Klimastreik 08 Neues von bodo 12 Reportage | Unbegleitete Schafbegegnungen 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Starkregen und die Folgen 17 Kommentar | Zu groß, zu kompliziert, das Wetter 17 Die Zahl 18 Interview | Streetwork in Hörde 22 Wilde Kräuter | Walnuss, Beifuß, Malve 23 Soziales | 50.000 ohne Wohnung 24 Kulturkalender 29 Kinotipp | Atomkraft Forever 30 bodo geht aus | Neuland 32 Soziales | Zwei-Klassen-Medizin 34 Reportage | TrauerrednerInnen 37 Bücher 38 Reportage | Containern 41 Eine Frage… | Wie alt ist Bochum wirklich? 42 Reportage | Ein Haus aus dem Drucker 44 Rätsel | Leserpost 45 Leserpost 46 Verkäufergeschichten | Frühstück mit Katze

manchmal steht an dieser Stelle, was Sie auf den folgenden Seiten erwartet und was wir uns dabei gedacht haben. Diesmal machen wir es andersrum. Weil es im Heft fehlt, hier ein Nachtrag zum Dortmunder Theater Fletch Bizzel und zur gekündigten künstlerischen Leitung Cindy Jänicke und Till Beckmann in Stichworten: Das Dortmunder Arbeitsgericht befindet, die fristlose Kündigung ist rechtsunwirksam, vereinbart wird eine schmale, nicht bestandsgefährdende Abfindung. Theater-Boss Horst Hanke-Lindemann verpflichtet sich, die vor Gericht widerlegten Vorwürfe zu unterlassen, nicht ohne sie am selben Tag öffentlich zu wiederholen. Die Einmischung des Vermieters wird im Prozess nachgewiesen. Dortmund hat nun sein „Haus & Grund“-Theater (Martin Kaysh), bei dem der Vermieter ein Auge auf Personalien und Programmgestaltung hat. Die neu bestellte Leitung teilt den Ruhr Nachrichten dann auch gleich mit, sie habe die Stelle angenommen, „weil ich dem Haus gegenüber loyal bin“. Vorhang. Man mag an dieser Stelle empört nach den Folgen für die Kulturförderung fragen, bedauern, wieviel Porzellan zerschlagen wurde oder lakonisch mit den Worten der ehemaligen WDRJournalistin Sabine Brandi befinden: „Das Ding ist durch.“ Ich finde spannender, darauf zu schauen, wie konfliktreich sich Generationswechsel in der Theaterszene gestalten und warum. In Bochum fühlt man sich ans „Prinz Regent Theater“ erinnert, aber auch anderswo knallt es vernehmbar. Aber das schauen wir uns im nächsten Monat an.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Wir beraten und begleiten Menschen in sozialen Notlagen, in Armut und in Wohnungslosigkeit. Wir helfen, Wohnungsverluste abzuwenden und Wohnungslosigkeit zu beenden. Mit Ihrer Hilfe. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 3


MENSCHEN

Mit „Die Elenden“ hat die Journalistin Anna Mayr vor knapp einem Jahr ein vieldiskutiertes Buch veröffentlicht. Eine Kernaussage: Unsere Gesellschaft braucht Arbeitslose, um sie verachten und sich von ihnen abgrenzen zu können. Das Besondere: Mayr schreibt als jemand, deren Eltern arbeitslos waren und deren Kindheit deshalb „beschissen“ war. Und warum das so gewollt ist. Im August war sie zu Gast bei bodo. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Daniel Sadrowski

Über Armut reden Als sie ankommt, wirkt Anna Mayr ziemlich entspannt für jemanden, der gerade schon anderthalb Stunden Lesung in Gelsenkirchen und eine Taxifahrt durchs halbe Ruhrgebiet hinter sich hat. Runde zwei steht am Abend in Dortmund an. Noch kurz besprechen, mit dem Fotografen fürs Foto vor die Tür, dann geht es los. Es gibt Menschen, die sind nervös vor Publikum. Anna Mayr wirkt routiniert und locker, obwohl das Thema so ernst ist und persönlich. Es geht um Arbeitslosigkeit und Armut, auch die eigene. Knapp zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland sind, statistisch, arbeitslos. Fast 3,9 Millionen beziehen mit Hartz IV das, was als Existenzminimum gesehen wird. Laut dem Paritätischen sind 13 Millionen Menschen arm. Was das bedeutet – Arme wohnen schlechter, gehen seltener wählen, sind öfter psychisch oder suchtkrank, sterben früher – ist gut erforscht. Und oft erzählt, von Sozialforschern und Journalistinnen, von Journalisten, von „Aufsteigern“. Nicht so oft von Betroffenen, sagt Anna Mayr. Sie ist beides. Anna Mayr ist Ende 20, arbeitet als Journalistin auch zum Thema Armut, und hat sie als Kind erlebt. „Die Elenden“ heißt das Buch, in dem sie das aufgeschrieben hat und aus dem sie am Abend des 7. August in Dortmund liest. Die Lesung

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Anna Mayr ist eine von rund 40 Veranstaltungen, die an diesem Tag unter dem Dach der „Literatour 100“ im ganzen Ruhrgebiet stattfinden. Der Dortmunder Buchladen von bodo ist Teil des Marathons – und der Tag die erste Veranstaltung seit Beginn der Pandemie. „Nehmen wir mal an“, beginnen das Buch und Anna Mayr am Tisch, „Sie werden krank.“ Oder: „Ihre Frau verlässt sie und nimmt die Freunde mit.“ Oder: „Sie verlieben sich in jemanden, und er verarscht Sie und am Ende besitzt er das Auto und Sie nur den Fötus, den er Ihnen eingepflanzt hat.“ X Gründe, warum Menschen keine Arbeit (mehr) haben. Und was das mit ihnen macht. „Nach etwa anderthalb Jahren müssen Sie aus Ihrer Wohnung ausziehen.“ – „Nach etwa zwei Jahren werden Sie nicht mehr eingeladen.“ – „Nach etwa drei Jahren Arbeitslosigkeit sieht man Ihnen deutlich an, wo Sie wohnen, wie Sie wohnen und dass Ihnen nichts mehr einfällt.“

Geboren 1993 im Ruhrgebiet. Studierte in Köln und war Schülerin der Deutschen Journalistenschule in München. Mit dem Team von Correctiv recherchierte sie investigativ zum „Apothekerskandal“ in Bottrop und war damit 2018 für den Nannen-Preis nominiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin im Hauptstadtbüro der ZEIT in Berlin.

Anna Mayrs Geschichte könnte man als eine des Aufstiegs erzählen, vom Kind zweier arbeitsloser Eltern, aufgewachsen im Ruhrgebiet, zur preisgekrönten Journalistin und Redakteurin in der ZEIT-

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MENSCHEN

Hauptstadtredaktion. Um Einzelschicksale geht es aber eigentlich nicht. „Ein armes Kind erweckt Mitleid, aber es ändert die Verhältnisse nicht, es macht die Welt nicht gerechter“, schreibt sie. „Die Elenden“ ist persönlich und wütend, behandelt aber vor allem die Strukturen und das System, das Arbeitslose und Arme produziert und mithilft, dass sie es, meistens, bleiben. Eine Kernaussage: dass Armut politisch gewollt ist. Und dass Arme und Arbeitslose eine soziale Funktion haben, nämlich die, das Schreckensbild und der Abgrund zu sein, der droht, wenn man sich nicht genug anstrengt, konkret: nicht arbeitet. In einer Gesellschaft, in der sich die Einzelnen über ihre Arbeit definieren, und in der „zur Arbeit gehen“ das „Normale“ ist, ist Nicht-Arbeiten die Antithese. Mayr liest und erzählt, verknüpft das Komplizierte mit eigenen Erfahrungen. Dass Kinder von Arbeitslosen nicht nur vom Konsum ausgeschlossen sind, sondern auch von Arbeit, weil es auch für Kinder im Hartz-IV-Bezug Zuverdienstgrenzen gibt. Von der Gegenwart, in der man mehr Geld hat als

Die von Betty Schiel moderierte Lesung fand im Rahmen der „Literatour 100“ statt. Sie war die erste Veranstaltung im Dortmunder bodo-Buchladen seit Beginn der Pandemie.

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unbedingt nötig und im Supermarkt oder bei H&M sich trotzdem manchmal überlegt, ob es okay ist, die teureren Äpfel oder das teurere Kleid zu wollen. Davon, dass es geholfen hat, Bourdieu, Weber und Foucault zu lesen und sich das Systemische und das Erlebte erklären zu können. Wer darf überhaupt über Armut sprechen?, fragt Moderatorin Betty Schiel. „Alle sollen, die ganze Zeit“, antwortet Anna Mayr. Und schiebt hinterher, wie schlecht sich das Thema eigne, um Wählerstimmen zu gewinnen. So hätten zum Beispiel die Grünen zwar viele gute sozialpolitische Forderungen, „sie sagen das aber nie.“ Ob arm gleich arm ist, fragt ein Gast. „Ich glaube, dass nicht arbeiten nochmal etwas Besonderes ist, man wird noch mehr gehasst.“ Und wie solidarisch unsere Gesellschaft ist, wenn sie die Situation von Arbeitslosen nicht verbessert, fragt ein anderer. In den 90er- und Nuller-Jahren, sagt Anna Mayr, sei diese Frage den Arbeitslosen gestellt worden. „Ich glaube, heute sind wir weiter“, auch weil finanzpolitisch erkannt worden sei, dass man mit Geld Leid verhindern kann. Als der Abend zu Ende geht, ging es viel um Wut. Und es wurde gelacht, mehr, als man erwarten würde. Dazu hatte Anna Mayr auch aufgerufen: dass man lachen darf, es auch lustige Stellen gibt. „Die Realität ist unglaublich absurd.“


STRASSENLEBEN

Für den 24. September ruft „Fridays for Future“ zu einem globalen Klima-Aktionstag auf. Rund 200 Demonstrationen sind allein für Deutschland angekündigt, auch in Dortmund und Bochum wird demonstriert. Für die Bewegung, die in der Pandemie lange auf Großveranstaltungen verzichtet hatte, ist es ein entscheidendes Datum: Nach einem Sommer der Wetterextreme, nach dem Report des Weltklimarats im August und unmittelbar vor der Bundestagswahl soll sich zeigen, wie groß der Druck ist, den ein außerparlamentarischer Akteur aufbauen kann. Von Bastian Pütter | Foto: Tim Eckert / Shutterstock

Die Drastik der Lage

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aran, dass es diesen Druck braucht, lässt „Fridays for Future“ keinen Zweifel. Sprecherin Luisa Neubauer begründete den Aufruf damit, keine der Parteien habe „eine angemessene Antwort auf die Drastik der Lage“. Die Einhaltung des Pariser Abkommens und damit die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels scheitere bislang „nicht an der Physik, sondern am politischen Willen“. Der Ton der Dringlichkeit, für den die von Greta Thunberg initiierte Bewegung belächelt wurde, hat längst weitere Kreise gezogen. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte auf den Bericht der 1. Arbeitsgruppe des Weltklimarates (IPCC) Anfang August mit den Worten: „Die Alarmglocken sind ohrenbetäubend, und die Beweise sind unwiderlegbar“, Milliarden Menschen seien in Gefahr. Die Bundesumweltministerin spricht von einem Planeten „in Lebensgefahr“. In der Tat hat der IPPC frühere konservative Annahmen über die verbliebenen Handlungsspielräume korrigiert. Das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels erscheint ihm nur noch unter extremen Annahmen möglich. Schon bei einer Erwärmung um durchschnittlich 2 Grad seien Hitzeereignisse 14-mal wahrscheinlicher, Starkregenereignisse nähmen um 70 Prozent zu und fielen deutlich heftiger aus.

Der zurückliegende Sommer bot einen Ausblick auf das Wetter der Zukunft. Die Flutkatastrophen u.a. in Deutschland, Flächenbrände in Nordamerika, brennende Wälder und tauende Permafrostböden in Russland fasste die Sprecherin der Weltwetterorganisation WMO Clare Nullis so zusammen: „Wir haben wieder einen Sommer mit beispielloser Hitze, Dürre, Kälte und Nässe.“ Für Greta Thunberg (bodo 6.21) ist das Sprechen über die Symptome der Klimakrise allerdings wenig hilfreich. Es müsse über die Krise selbst berichtet werden. Dabei gehe es um Zeit, um die Menge an CO2 in der Atmosphäre und darum, was jetzt zu tun sei. Die neuen Klimadaten, der Wahlkampf und der Druck der Klimabewegung sorgen zurzeit dafür, dass das geschieht. Und „Fridays for Future“ will die Gunst der Stunde nutzen, um der Politik „sozial gerechte, konsequente Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe“ abzufordern.

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NEUES VON BODO

Tiefbau und Buchkauf Das Gute vorab: Wir freuen uns riesig an unserem immer noch recht frischen Buchladen an der Bochumer Königsallee, an unseren KundInnen, an der tollen Qualität der Buchspenden, an den netten Nachbarn. Und mit Blick auf Dortmund auch an der guten Erreichbarkeit. Die ist nämlich am Dortmunder Schwanenwall – eigentlich eine tolle Innenstadtadresse mit Parkplätzen vor der Tür und U-Bahnhaltestelle um die Ecke – inzwischen ein wirkliches Problem. Während ganz Dortmund eine Baustelle zu sein scheint, bleibt es am Wall wohl auf längere Zeit besonders schwierig. Wir haben weiterhin geöffnet, informieren telefonisch gerne über den aktuellen Stand der Sperrungen und empfehlen die Anreise per Bahn. Wir bedanken uns für Ihre Treue und Geduld – und freuen uns auch über einen Besuch in unserem Online-Shop: bodoev.shopnetzwerk.com

TERMINE

Saša Stanišić

Barber Angels

Saša Stanišić Lesung, online in Kooperation mit der AWO-Integrationsagentur Dortmund 13. September, 19.30 Uhr

Am 13. September liest der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Saša Stanišić auf Einladung der AWO-Integrationsagentur Dortmund in Kooperation mit bodo. Der Roman „Herkunft“, für den Stanišić den Deutschen Buchpreis erhielt, ist eine Erinnerung an eine Kindheit in Bosnien und eine Jugend in Deutschland nach der Flucht vor dem Bürgerkrieg. Die eigene Herkunft ist nur in Geschichten zu fassen, weiß Stanišić. Sein Roman ist ein Plädoyer für das Vielstimmige, das Viel- und Uneindeutige, für das Abschweifen und Fabulieren. Lesung und Gespräch finden digital statt, Beginn ist um 19.30 Uhr, Anmeldung unter praktikumia@awo-dortmund.de, mehr auf www.bodoev.de.

Wir freuen uns, dass die Kooperation mit den „Barber Angels“, dem Netzwerk aus Friseurinnen und Friseuren, die Wohnungslosen ehrenamtlich die Haare schneiden, wieder einen festen Rhythmus hat. Nach längerer Corona-Pause und erfolgreichen Testläufen unter Hygieneschutzbestimmungen geht es weiter: Abwechselnd in Bochum und Dortmund kommen jeweils an einem Tag Dutzende bodo-VerkäuferInnen und NutzerInnen anderer Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe für ihren Wunschhaarschnitt, einen Kaffee und ein freundliches Gespräch. Die 2016 gegründeten Barber Angels kommen inzwischen deutschlandweit auf eine fünfstellige (!) Zahl kostenloser Haarschnitte für Wohnungslose.

Wohnen für alle! Bundesweite Mietendemo, Berlin 11. September, 13 Uhr

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Stadtführungen Erst Weiterbildung, dann Neustart: In der langen Corona-Pause hat sich so viel in unseren Städten und bei unseren Stadtführern verändert, dass wir unser Angebot gleich ganz neu konzipieren. Dafür reisen Anfang September unsere Stadtführer zu einem Workshop unseres internationalen Netzwerks für soziale Stadtrundgänge INST.

Wäre doch schade, Sie würden darauf verzichten, oder?

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Wohnungslos wählen Eine Teilnahme an der Bundestagswahl am 26. September ist auch für Wohnungslose möglich. Bedingungen sind die deutsche Staatsbürgerschaft und ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland in den vergangenen drei Monaten. Wer sich dauerhaft in einer Stadt aufhält und in keiner anderen einen Wohnsitz hat, darf hier wählen. Falls kein gültiges Ausweisdokument vorliegt, muss das vorab beantragt werden. Dann muss der Eintrag ins Wählerverzeichnis beantragt werden, in Dortmund bis zum 3. September. Die Stadt Dortmund hat Flyer für die Wohnungslosenhilfe erstellt, Einrichtungen wie bodo informieren und unterstützen beim Erlangen der Wahlberechtigung. 9


NEUES VON BODO

Vielen Dank! Als im März 2020 in der ersten Corona-Welle auch die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe schließen mussten, verlagerten wir einen großen Teil unserer Arbeit auf die Straße. Zu Streetwork und täglichen Versorgungstouren mit „Kaffee & Knifte“ kamen bald stationäre Versorgungsangebote wie die gemeinsame Essenausgabe mit unseren Dortmunder Partnern oder das Hygienezentrum in der Dortmunder Innenstadt, das die weggefallenen Duschen in den Versorgungseinrichtungen zu ersetzen suchte. Auch wenn Einrichtungen teilweise wieder öffnen, merken wir, wie groß der Bedarf vor allem nach Hygieneartikeln auf der Straße bleibt. Wir sind weiterhin täglich mit unseren Teams unterwegs – und bedanken uns herzlich für die zweckgebundenen Spenden für „Kaffee & Knifte“, die dazu führen, dass der Nachschub nicht versiegt.

SOZIALES Wer arm ist, wählt seltener. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin zeigt: Das gilt auch für kurzfristige finanzielle Engpässe, auch für Hartz-IV-Bezieher, bei denen spätestens am Monatsende das Geld knapp ist. Solch ein Engpass an einem Wahltag reduziert bei der von Armut bedrohten Bevölkerung „die beabsichtigte wie die tatsächliche Wahlbeteiligung um fünf Prozentpunkte“ – bei der Bundestagswahl bis zu 500.000 Stimmen. 82 Euro Abzug: Wer Hartz IV erhält, bekommt Miete und Heizkosten vom Jobcenter erstattet – eigentlich. Denn es gibt Obergrenzen, die Differenz muss aus eigener Tasche gezahlt werden. 450.000 Bedarfsgemeinschaften waren laut Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken 2020 von einer solchen Wohnkostenlücke betroffen. Im Schnitt mussten sie 82 Euro aus dem Hartz-IV-Satz – damals 432 Euro – draufzahlen. Kritik an Klinikreform: Die NRW-Landesregierung hat ihre Pläne zur Krankenhausreform vorgestellt. Ziel ist, Kliniken stärker zu spezialisieren, um so Konkurrenz und Überversorgung in Ballungsräumen und Unterversorgung auf dem Land zu vermeiden. Die wohnortnahe Versorgung solle aber gesichert bleiben, heißt es aus dem NRW-Gesundheitsministerium. Die SPD fürchtet einen „Kahlschlag“ und warnt vor Klinikschließungen. Mittagstisch Wattenscheid bleibt: Seit vielen Jahren bietet die Diakonie Gelsenkirchen und Wattenscheid den Mittagstisch zur Versorgung und Beratung von Wohnungslosen und Bedürftigen an. Im Juni wollte sie das Angebot aus Kostengründen einstellen. Nun gibt es eine Einigung: Nachdem die Stadt Bochum in Zukunft die Miete übernimmt und sich an Personalkosten beteiligt, kann der Mittagstisch bleiben. 10

1.000 Stunden Die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Post bieten ihren BeamtInnen ein besonderes Vorruhestandsmodell an: Mit einer einjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit kann nach dem 55. Lebensjahr der „engagierte Ruhestand“ beginnen. Fatima Haoua hat nach 40 Dienstjahren als Postbeamtin diesen Weg gewählt und in mehreren Dortmunder Einrichtungen – unter anderem bei bodo – 1.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet. „1.000 Stunden, an denen ich wachsen konnte und die mir neue Horizonte eröffnet haben“, sagt Fatima. Wie engagiert ihr Ruhestand tatsächlich ist, können unsere Dortmunder BuchkundInnen weiterhin an jedem Samstag sehen, denn Fatima ist uns erhalten geblieben.


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Ansprechpartner

0231 – 950 978 0

Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de

Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 10 – 14 Uhr Mail: info@bodoev.de Buchladen Dortmund Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 bis 18 Uhr Sa. 10 bis 14 Uhr Buchladen Bochum Königsallee 12 44789 Bochum Mo. – Fr. 14 bis 18 Uhr Sa. 10 bis 14 Uhr

Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de

PERSÖNLICH VOR ORT, TELFONISCH UND DIGITAL - IMMER FÜR SIE DA! Wißstraße 7 - 44137 Dortmund Tel./WhatsApp* 0231 52 29 96 hansaplatz@ausbuettels.de *Bitte beachten Sie bei der Benutzung von WhatsApp unsere Hinweise zum Datenschutz. Diese erhalten Sie in unseren Apotheken oder unter www.ausbuettels.de/datenschutz.

bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauf lösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

Grundsicherung

Wohnen für Alle!

Das Bündnis „AufRecht bestehen“ ruft zu einer Aktionswoche vom 6. bis zum 12. September auf, um vor der Bundestagswahl für ein Ende des „Systems Hartz IV“ zu werben. Es soll ersetzt werden durch Versicherungsleistungen, die durch die Arbeitgeber mitfinanziert sind, sowie durch eine armutsfeste und repressionsfreie Grundsicherung. Kernforderung ist eine menschenwürdige Existenzsicherung, zu der die sofortige Erhöhung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro, Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten und die Abschaffung der Sanktionen gehört. Das Bündnis „AufRecht bestehen“ wird von Arbeitslosengruppen und Zusammenschlüssen aus der ganzen Bundesrepublik getragen.

Am 11. September 2021 rufen MieterInneninitiativen und -vereine, stadtpolitische Gruppen, Gewerkschaften und Verbände zu einer Großdemonstration in Berlin auf, um in bundesweiter Solidarität mit den vielen einen radikalen Kurswechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik von der zukünftigen Bundesregierung einzufordern. Im Aufruf heißt es: „Explodierende Mieten sind kein Naturgesetz, sondern Ergebnis einer verfehlten Wohnungspolitik, die Profitinteressen über das Recht aller Menschen auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum stellt. (…) Doch wir wissen: Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware!“ Alle Informationen zur Anreise auf mietendemo.org

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

bodo ist für Sie da

Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

„Alle, die hier leben, sind wunderbar“ Lexa Voss und ihr Begegnungshof In der Espe

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„Was möchtest du werden, wenn du groß bist?“ Die Frage ist bekannt, die Antworten auch. Bei Jungs führen Feuerwehrmann oder Pilot die Liste an, bei Mädchen sind es Ärztin, Lehrerin und Model. Oder etwas mit Tieren. So wie bei Lexa Voss. Als Kind schrieb sie auf, mit welchen Tieren sie später zusammenleben wollte. Ihr Wunsch sollte in Erfüllung gehen. Es sind sogar mehr Tiere geworden, als sie sich damals vorstellen konnte. Lexa Voss hat einen Begegnungshof gegründet. Wir haben sie auf ihrer „Oase des friedlichen Zusammenlebens aller Wesen“ besucht. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

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REPORTAGE

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er Landstrich zwischen Hattingen und Wuppertal, Gevelsberg und Velbert ist dünn besiedelt. Wiesen, Wälder, Hügel, Täler, bisweilen ein einsam gelegener Bauernhof. Dass es von Hausnummer 21 der Straße „In der Espe“ kaum mehr als fünf Kilometer ins bevölkerungsreiche Ruhrgebiet sein sollen, wollen wir kaum glauben, als wir uns auf der schmalen Piste nähern. Nur das Navi meint, wir wären richtig. Wir müssen ihm vertrauen. „Die letzten Meter sind etwas abenteuerlich“, wird Lexa Voss später lachen. „Aber bislang hat uns jeder gefunden, der uns besuchen wollte.“ Auf dem Hof angekommen, nähern sich neugierig zwei Hühner. Kurz bellt ein Hund, dann blöken einige Schafe. Vielleicht ist es der Hitze des Sommertags geschuldet, vermutlich tauchen wir tatsächlich ein in eine durch und durch entspannte Atmosphäre. Lexa Voss öffnet die Tür zum Fachwerkhaus. Dreadlocks, bequeme Kleidung, Lächeln. Sie stellt sich vor und dann das Federvieh, Lisann und Frida. Hier haben alle Tiere einen Namen und eine Biografie. Lisann wurde umherirrend von einer stark befahrenen Straße in Wuppertal gerettet, Frida war Legehenne auf einem Bauernhof. „Das war sogar ein Bio-Betrieb“, sagt Lexa Voss. „Aber auch da leben Hühner nur zwölf bis fünfzehn Monate. Danach sind sie unrentabel. Hätten wir sie nicht aufgenommen, wäre Frida ein Brühwürfel geworden. Sie kam über einen Tierschutzverein zu uns, der ein Zuhause für solche Tiere sucht.“

„Ich bin so eine Weltretterin“ Schnell wird klar, dass sich ein Begegnungshof in nahezu jeder Hinsicht von einem gewöhnlichen Bauernhof unterscheidet, egal, ob bio oder konventionell. Lexa Voss bringt die ungeschriebene Richtlinie auf einen knappen Satz: „Auf einem Begegnungshof werden Tiere nicht benutzt, ausgenutzt oder zu irgendwelchen anderen Zwecken verwendet.“ Dennoch gibt es hier für die meisten von ihnen etwas zu tun. Das unterscheidet einen Begegnungs- von einem Gnadenhof, wo sie in der Regel einfach nur die letzte Lebenszeit verbringen dürfen. Lexa Voss aber möchte Mensch und Tier auf Augenhöhe in Kontakt tre-

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ten lassen. Sie glaubt fest daran, dass beide voneinander lernen können, vorausgesetzt, eine absolut artgerechte Haltung ist gesichert. Dieser Maßstab gilt auch auf ihrem Hof. Zum Beispiel gehörte dort anfangs noch das therapeutische Reiten zum Angebot. Sie hat es aus dem Programm gestrichen, weil kein Pferd dazu geboren wurde, Menschen auf seinem Rücken zu tragen. Nichtsdestotrotz verfolgt sie therapeutische wie pädagogische Ziele. „Mein Anliegen ist, Menschen in ihrer Persönlichkeit zu stärken und sie in Kontakt mit der Natur, mit Tieren und letztendlich mit sich selbst zu bringen.“ Dann macht sie eine kurze Pause. „Vielleicht hinterfragen sie ihre Lebensweise und überdenken, wenn sie unsere Gänse kennengelernt haben, den Braten fürs nächste Weihnachtsfest. Ich bin so eine Weltretterin. Schon als Kind war ich das. Das habe ich in mir.“ Zum Angebot auf dem Hof gehören unter anderem Workshops, Coaching und Seminare. Hier spielen die Tiere eine besondere Rolle. Lexa Voss gibt ihnen eine Stimme, ermöglicht so den Mensch-Tier-Kontakt. Dabei erkennen die Menschen ihre ureigenen Bedürfnisse, freiwillig übernehmen die Tiere ihren Part. Auf dem Hof werden sie als vollwertige Familienmitglieder betrachtet, und Lexa Voss legt großen Wert darauf, dass sie stets eigenständig rote Linien ziehen dürfen. Das selbstverständliche „Nein heißt Nein“ gilt hier ausnahmslos und in jeder Hinsicht.


Derzeit leben acht Schafe, acht Hühner, vier Pferde, drei Gänse sowie je zwei Hunde, Katzen und Schildkröten auf dem Hof, außerdem ihr Mann Markus und Sohn Fionn. Mit Ausnahme der Katzen, die eventuell keine Lust haben, mit uns Bekanntschaft zu schließen, lernen wir alle Tiere kennen. Relaxt wie sie sind, scheint es beim Grenzenziehen keine Probleme zu geben. Offensichtlich sind sie es gewohnt, regelmäßig von fremden Menschen besucht zu werden. Letztere können viel lernen, weil selbst fundamentale Vorgänge der Natur in Vergessenheit geraten sind. „Das sind Geschichten“, lacht Lexa Voss. „Zu den Schafen gehören ja auch einige Milchschafe. Das ist eine Rasse. Und da fragte mich eine Frau, ob die täglich Milch geben würden. Es war aber weit und breit kein Lamm zu sehen. Und die war von Beruf Hebamme. Sollte sie nicht gerade als Hebamme wissen, wann Säugetiere Milch geben?“

„Unbegleitete Schafbegegnungen“ Eine ganz andere Geschichte begann während des Lockdowns. Da nämlich hatte Lexa Voss ihren Schafen vonseiten Presse, Funk und Fernsehen eine erhöhte Aufmerksamkeit zu verdanken. Kontaktbeschränkung und Mindestabstand galten selbstverständlich auch auf dem Hof – und beides steht in unbestreitbar klarer Opposition zur Philosophie eines Begegnungshofs. So kam die Idee der ‚unbegleiteten Schafbegegnungen‘ in die Welt. „Ich habe gemerkt, dass die Leute Nähe vermissen. Uns fehlten Einnahmen. Und die Schafe mögen es, wenn sie Besuch bekommen. Ich weiß ja selbst, wie traumhaft es ist, in einer Schafherde zu sitzen. Da kann man total runterfahren. Die Schafe nehmen einen auf. Natürlich könnte man sich auch zwischen die Hüh-

ner setzen. Alle, die hier leben, sind wunderbar. Aber Hühner sind nicht so kuschelig. Schafe schenken einem Geborgenheit, Nähe und Liebe. Die chillen. Ich weiß nicht, vielleicht liegt das an ihrem Wesen als Wiederkäuer. Gleichzeitig sind sie super körperlich. Sie lehnen sich an und wollen gestreichelt werden. Eigentlich wollen sie auf deinen Arm. Bis sie keine Lust mehr haben. Zwangskuscheln ist nicht.“ Während Lexa Voss sonst die Leute zu den Schafen brachte, ihnen etwas über deren Lebensweise allgemein oder zu jeder Schafpersönlichkeit im Einzelnen erzählte, Fragen beantwortete, konnten die Besucher jetzt ohne Aufsicht in die Herde eintauchen. Das Angebot klang irritierend, hip, verlockend, unkalkulierbar, kurz, es klang nach einem Event. „Da kamen sogar Leute per Cabrio aus Düsseldorf. Über die habe ich mich besonders gefreut, denn ich vermute mal, die würden nicht unbedingt einen Workshop bei mir buchen.“ Diese Art der Schafbegegnung ist im Programm geblieben. Doch nach dem Lockdown können jetzt endlich wieder die Pferde besucht werden. Aus rein versicherungstechnischen Gründen wäre das ganz ohne Begleitung nicht möglich, Pferde sind einfach zu groß. „Da könnte tatsächlich was passieren, auch wenn diese Pferde sehr nett sind.“ Pierre mit seinen 27 Jahren ist ein weiser Fels in der Brandung, den die anderen als solchen akzeptieren. Pedro kam ursprünglich per Schiff aus Argentinien und sollte in Italien zu Salami werden. Aufgrund seines guten Aussehens blieb es ihm erspart und er fand seinen Weg über den Freizeitreitermarkt zum Begegnungshof. Melvin muss traumatisierende Erfahrungen gemacht haben. Ihn vermittelte der Tierschutz auf den Hof; er benötigte viel Zeit, um wieder Vertrauen zu fassen und gilt jetzt als besonders sensible Pferdeseele. Shadow dagegen ging es wohl immer gut. „Bei den Pferden ist mir wichtig, dass die Leute sehen, wie sie eigentlich leben“, erklärt Lexa Voss. „Sie benötigen, um als Herde herumzuziehen oder zu galoppieren, ein abwechslungsreiches Gelände mit viel Platz.“ Lexa Voss ist glücklich, dass sie Menschen und Pferde wieder zusammenbringen kann. „Da entstehen berührende Momente. Ich habe erlebt, wie ein Mensch neben einem Pferd steht, und plötzlich beginnt der Mensch zu weinen. Da ist gefühlt nicht mehr passiert, als dass zwei Wesen eine Weile nebeneinander stehen. Ich weiß nicht, wie sie es machen. Pferde schauen bis auf den Grund unserer Seele.“

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DAS FOTO

In der Dortmunder Nordstadt erinnert jetzt ein Platz an der Flensburger Straße an den Edelweißpiraten Kurt Piehl. Schon 2020 hatte eine Antifa-Gruppe den Platz symbolisch benannt, um seiner und anderer NS-WiderstandskämpferInnen zu gedenken. Die Aktion war Auslöser für den Gang durch die Gremien: Am 23. August wurde der Platz offiziell eingeweiht. Foto: David Peters

MIETEN & WOHNEN

Starkregen und die Folgen Von Markus Roeser, Mieterverein Dortmund und Umgebung Die extremen Hochwasser im Juli haben eindrücklich gezeigt, welche Gefahren von Starkregen ausgehen. Gerade im Sommer treten Starkregen mittlerweile regelmäßig auf, wenn auch in der Regel mit milderen Folgen. Keller und Wohnungen laufen aber auch dann voll Wasser. Gerade zwischen Mietern und Vermietern kommt es dann häufig zum Streit über die Kosten und Schadensersatz.

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Grundsätzlich gilt: Der Vermieter ist verpflichtet, alle Schäden am Gebäude zu beheben, um es wieder nutzbar zu machen. Hierzu zählt, den Keller auszupumpen oder möglichen Schlamm zu entfernen. Wichtig ist, auch die Wände zu entfeuchten, um möglichen Schimmel zu vermeiden. Für Schäden an allem, was im Keller lagert, oder an Möbeln in der Wohnung muss grundsätzlich der Mieter aufkommen.

Das kann schnell teuer werden, gerade wenn auch die Wohnung betroffen ist. Einen Schadensersatzanspruch haben Mieter in der Regel nicht. Denn Schadensersatzpflichtig ist nur, wem Verschulden vorgeworfen werden kann. Hat der Vermieter alle notwendigen Maßnahmen getroffen, dann muss er für den entstandenen Schaden auch nicht zahlen. Anders sieht es aus, wenn beispielsweise der Abfluss im Keller trotz mehrfacher Auffor-


KOMMENTAR

Zu groß, zu kompliziert, das Wetter Von Bastian Pütter Ganz ehrlich: Ich schaff’s nicht. Ich darf hier etwas schreiben, das 20.000-mal gedruckt, bis zur Bundestagswahl verkauft und irgendwie auch gelesen wird. Gut, das erreicht weniger Menschen als der Abspann bei Lanz, aber deutlich mehr als Philipp Amthor bei seinem berüchtigten Haustürwahlkampf. Ich möchte das irgendwie nutzen.

Statt eines Textes

Also fange ich an. Der erste Versuch ist eine Aufzählung der Skandale der amtierenden Bundesregierung, verschnitten mit denen der Landesregierung. Ja, ok, wow. Aber es liest sich wie das Skript zum aktuellen Rezo-Video, nur literally ohne englische Füllworte. Und ich denke: Wir wissen das doch alles. Ich versuche es geordneter: Jetzt, wo es nur noch um das Finetuning der Klimakatastrophe geht, wo wären die Stellschrauben, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern? Radikale Energiewende, sofortiger Umbau der Landwirtschaft, disruptive Verkehrspolitik, vielleicht ab Mittwoch. Und ich frage, welche Kaltschnäuzigkeit Leute wie Andy Scheuer, Julia Klöckner und Peter Altmaier besitzen müssen. Jetzt ist es einer dieser verbitterten Einverständnistexte, aus denen deutsches Kabarett besteht. Ist doch so, oder? Also meta: Ich rede von Timothy Mortons Konzept der Hyperobjekte und dass es schlicht schon ein kognitives Problem ist, etwas zu erkennen, dass so sehr „überall“ ist, dass es Zeit und Raum durchdringt wie die globale Erwärmung. Von da komme ich auf das beinahe ähnlich ungreifbare Hyperobjekt Kapitalismus, zu dem wir uns gar kein Außen mehr vorstellen können, und erzähle davon, wie beides zusammenhängt. Und von Nathaniel Rich, der in „Losing Earth“ rekonstruiert, wie knapp es war, Ende der 1980er den Klimawandel gänzlich abzuwenden. Danke, Neoliberalismus. Ich versuche, es wieder Richtung Wahl zu biegen und erzähle von Ulf Poschardts „Welt“, die quasi erst gestern mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels aufgehört hat und jetzt einfach ohne eigenes Konzept Leute vor den Bus schubst, spreche von der Ex-Bild-Chefin, die Armin Laschets „Wahlkampf“ managt, aber das habe ich alles schon mal erzählt. Also lösche ich alles, versuche ich es mit einer Wahlempfehlung, scheitere und spreche ersatzweise vom Gesetz der 3,5 Prozent. Die Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth hat die Protestbewegungen der letzten 100 Jahre untersucht und festgestellt: Schließen sich mehr als 3,5 Prozent der Bevölkerung Straßenprotesten an, sind sie erfolgreich. Naja. Immerhin ist der Text fertig.

derung nicht repariert worden wäre. Leider ein Phänomen, das immer wieder auftaucht. Mieter schützt eine Hausratsversicherung, die auch Elementarschäden abdeckt. Inzwischen sind Elementarschäden häufig bereits standardmäßig abgedeckt. Informationen zur sinnvollen Abdeckung von Risiken liefert zum Beispiel die Verbraucherzentrale. Die Versicherung kommt allerdings nur für finanzielle Schäden auf. Ideelle Werte wie Erinnerungsstücke, Fotoalben lassen sich natürlich nur bedingt ersetzen.

Den Regen selbst können wir nicht verhindern, aber wir können versuchen, gemeinsam den Schaden zu reduzieren. Hierzu müssen wir unsere Häuser, Siedlungen und Städte fit machen, dass sie viel Wasser aufnehmen können, aber an Orten, wo es keinen Schaden anrichten kann.

DIE ZAHL

94.991

Fast 100.000 Kinder lebten 2020 in Haushalten im Hartz-IV-Bezug, in denen mindestens eine Sanktion verhängt wurde. Das teilte die Bundesregierung auf Anfrage der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping (Die Linke) mit. Die Sanktionen genannten Leistungskürzungen des Regelbedarfs treffen Kinder als Teil der Bedarfsgemeinschaft immer mit.

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. Kampstraße 4, 44137 Dortmund

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INTERVIEW REPORTAGE

„Jugendliche haben ein Recht auf den öffentlichen Raum“ Am 24. Februar 2018 gerieten zwei Mädchen in Streit, die sich in einer größeren Gruppe im Parkhaus am Hörder Bahnhof aufhielten. Die 17-Jährige zog ein Messer und verletzte die 15-Jährige tödlich. Die Stadt reagierte nicht mit Repression, sondern installierte ein StreetworkProjekt, das als „Rampe 2“ an ein vorangegangenes Angebot anschließt. Zum Ende des ersten Projektzeitraums fragt bodo die StreetworkerInnen Lena Terstegge und Johann Zenses sowie Harald Landskröner vom Jugendamt: Hilft Straßensozialarbeit gegen Jugendgewalt? Von Bastian Pütter | Fotos: Daniel Sadrowski

Hörde ist der wohl dynamischste Dortmunder Stadtteil. Die erst 1918 eingemeindete ehemalige Stadt Hörde ist nur einen Spaziergang von der Dortmunder Innenstadt entfernt. Trotzdem hat sie sich lange eine eigene Identität bewahrt und lange auch in Abgrenzung zum Zentrum definiert. Nicht zuletzt, weil Hörde lange im Gegensatz zum erst bäuerlichen, dann bürgerlichen Dortmunder Süden, in dem es geographisch liegt, ein Zentrum der Montanindustrie war. Die Deindustrialisierung traf Hörde entsprechend hart und bescherte Sozialdaten wie im Dortmunder Norden. Mit dem Verkauf des Stahlwerks auf Phoenix-Ost, der Demontage und dem Wiederaufbau in China wurde Hörde zum Symbol für das Ende der prägenden Industrie im Ruhrgebiet. Das darauf folgende Infrastrukturprojekt Phoenix-See und große Investitionen in den Stadtumbau veränderten den Hörder Stadtkern nachhaltig, führte zu einem teilweisen Austausch der Wohnbevölkerung, wirtschaftlicher Belebung und stellenweise neuen Konflikten.

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Prävention zu Fuß statt Streetwork-Feuerwehr in Hörde: Das Team der „Rampe 2“ Lena Terstegge und Johann Zenses (rechts) mit Harald Landskröner vom Jugendamt.

Als Reaktion auf eine Gewalttat mit Straßensozialarbeit beauftragt zu werden, erzeugt einen gewissen Erwartungsdruck. Hatten Sie 2018 den Eindruck, als Streetwork-Feuerwehr gestartet zu sein? Zenses: Zu Beginn haben wir uns bei vielen Leuten vorgestellt und erklärt, wer wir sind. Es gab auch Gespräche mit der Polizei, mit der Staatsanwaltschaft und mit der Jugendgerichtshilfe. Unsere Position war: Es gibt hier einen Bedarf, es ist wichtig, dass wir für die Jugendlichen ansprechbar sind – aber insgesamt ist das doch ein schöner Ort. Da sind dann schon die unterschiedlichen Standpunkte und Wahrnehmungen deutlich geworden. AnwohnerInnen, Geschäftsleute, Polizei und die Jugendlichen schauen da natürlich jeweils auf einen ganz anderen Stadtteil. Landskröner: Das ist es, was wir auch als Jugendamt vermitteln: dass Jugendliche und junge Erwachsene ein Recht haben auf ein Leben im öffentlichen Raum – und Hörde ist ein ganz attraktiver Ort. Auf der einen Seite ist er viel frequentiert wegen der Verkehrsanbindung und dem neuen Bahnhof, als Drehscheibe eben auch für Jugendliche aus anderen Stadtteilen. Es ist für junge Leute ein Ort, um zu sehen und gesehen zu werden. Die Problematik entsteht dort, wo viele unterschiedliche jugendliche Gruppen unterwegs sind. Da entstehen Konflikte und Auseinandersetzungen, die dann sehr sichtbar sind.

Was können Sie tun, um diese Konflikte zu entschärfen? Landskröner: Die Vorgeschichte des tragischen Vorfalls von 2018 war, dass sich im Parkhaus ein relativ unbeobachteter Hotspot entwickelt hatte. Da trafen sich Jugendliche aus anderen Stadtteilen, ab und an kam aufgrund der Beschwerde des Parkhausbesitzers die Polizei vorbei und löste die Versammlung auf, aber die ist dann Stunden später wieder zusammengekommen. Hier braucht es eben ein Angebot wie die Rampe und funktionierende Netzwerkarbeit, wenn es um Gruppen aus anderen Stadtteilen geht. Man kann nicht sicher sagen, so etwas wäre nicht passiert, aber ein besserer Austausch, Kontakt vor Ort und dadurch ein Gespür, wie sich Dinge entwickeln – und die Situation wäre eine ganz andere gewesen. Wie sieht Ihr Auftrag denn konkret aus? Terstegge: Ein Kernziel ist, in Kontakt zu kommen und in Kommunikation zu bleiben mit den jungen Menschen, die nicht Freizeitstätten aufsuchen, nicht oder unregelmäßig in der Schule sind, die in manchen Fällen zu keinem Erwachsenen mehr ein Vertrauensverhältnis haben. Wir möchten sie zurück ins System holen, möchten, dass sie zur Schule gehen und wieder Gespräche mit den Eltern möglich werden. Unsere Statistik zeigt, dass die größte Gruppe die 14bis 18-Jährigen sind.

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INTERVIEW

Das heißt, Sie sind vielleicht auch vor Ort, wenn es zu Konflikten kommt. Terstegge: Da sind unsere Möglichkeiten zu deeskalieren oft hilfreich. Wir kennen dann meist einen Teil der Jugendlichen. Das Ziel kann nicht allein sein, Jugendliche zu vertreiben oder Dinge zu verbieten. Es geht darum, rechtzeitig zum Gespräch zur Verfügung zu stehen. Durch ihren Beruf hat die Polizei natürlich schon einen anderen Blick auf die Sache. Und natürlich gibt es ihr gegenüber Misstrauen auf Seiten der Jugendlichen. Aber wir sind froh, dass sie da ist, und wir machen das auch den Jugendlichen klar: Wenn sie ein Problem haben, können sie die Polizei rufen, denn dafür ist sie da. Zenses: Insgesamt steht aber in unserer Arbeit der Aspekt der Langfristigkeit im Vordergrund, auch hinsichtlich unserer Rolle gegenüber der Polizei. Jugendliche, die stark delinquentes Verhalten aufwiesen, haben wir erfolgreich bei der Ausbildungsplatzsuche unterstützt und weiter begleitet – und die Straftaten hörten auf. Jugenddelinquenz ist eben auch ein Symptom, und nicht etwas, das nur mit Strafverfolgung allein zu bekämpfen ist. Landskröner: Es ist ein wichtiger Punkt, dass das Team im Vorfeld von Strafverfolgung unterwegs ist. Präventive Arbeit kann verhindern, dass Jugendliche wirklich delinquent werden. Der präventive Aspekt in der Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Ordnungsamt ist auch an dieser Stelle nicht zu unterschätzen. Die haben eher einen Fokus auf Orte: Wo entstehen gerade Hotspots? An diesen vielleicht konfliktlastigen Treffpunkten frühzeitig mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, kann größere Probleme verhindern. Wie direkt ist denn der Zusammenhang zwischen dem Lösen privater Probleme und dem Abmildern von Konflikten im öffentlichen Raum? Landskröner: Die Konflikte kommen nicht aus dem blauen Himmel. Es gibt Dynamiken in Gruppen. Die wirklichen Konflikte gehen von einem Kern von Jugendlichen aus, die ein echtes Problem haben, vor allem mit sich selbst. Wenn ich an die herankomme und Hilfestellung, Unterstützung oder eine Weitervermittlung ermöglichen kann, dann habe ich in der ganzen Gruppe Ruhe. Terstegge: Wenn der familiäre Rückhalt fehlt, scheitert man an ganz einfachen Dingen: Nicht zu wissen, wann ich wo, wie, was machen kann, muss oder soll. Weil man nicht weiß, wie man ein offizielles Telefonat führt, weil man keine eMail-Adresse hat, nichts ausdrucken kann, weil etwas 5,80 Euro kostet oder man keine Fahrkarte hat. Zenses: Jugendliche, die 50 und mehr Bewerbungen schreiben, aus denen nichts wird, sind natürlich

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frustriert, und in Corona hat sich das alles noch verschlimmert. Aus Frustration entsteht ein bestimmtes Verhalten. Da frühzeitig Hilfestellung zu geben – auch bei der Wohnungssuche, der Führerscheinprüfung usw. – verhindert Probleme an ganz anderer Stelle. Hörde hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Der See und das Areal von Phoenix West haben eine neue Aufenthaltsqualität, aber auch neue Konfliktpunkte geschaffen. Mit dem „You Point“ gibt es ein dezidiertes Jugendangebot, interessanterweise unter einer Brücke der B236. Wo halten sich die Hörder Jugendlichen auf?

Zenses: Das Gebiet, in dem wir unterwegs sind, umfasst auch den Phoenix-See, Phoenix West und den neu eingerichteten „You Point“. Wir bemerken aber recht klare räumliche Trennungen: Für die Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, ist der See eigentlich kein Ort, mit dem sie sich auseinandersetzen. Der wird wirklich von Menschen genutzt, die von außerhalb kommen. Terstegge: Ich glaube, dass die Jugendlichen dort keinen Wirkungsbereich finden, wenn man das so sagen darf. Es dominiert das Gefühl: Wahrscheinlich gehöre ich da nicht hin. Die Faßstraße ist eine Grenze, die eigentlich nicht überschritten wird. Für die Jugendlichen aus Hörde sind der Bahnhof und die Schlanke Mathilde ihr Wohnzimmer. Zenses: Es kommt immer mal vor, dass 15 Leute auf der Brücke stehen, aber die sind jetzt nicht den ganzen Tag da und blockieren die Brücke. Trotzdem nehmen das ältere Menschen, die dort langgehen, vielleicht als problematisch wahr, für gewöhnlich ist die Situation aber recht entspannt. Es ist recht viel Bewegung, man bekommt den Eindruck, dass es sogar unterschiedliche Orte für unterschiedliche Stimmungen gibt. Wegen seiner Drehscheibenfunktion ist der Bahnhof, vor allem an Wochenenden, ein Ort, an dem sich Jugendliche aus anderen Stadtteilen vorübergehend aufhalten.


Dieser Erfolg stellt sich nur da ein, wo Zusammenarbeit stattfindet, wo der Zugang da ist, wo der Vertrauensaufbau stattgefunden hat und wo sich dann alle respektieren. Das wird auch in der Szene weitergetragen. Es darf ja nicht peinlich sein, mit einem Sozialarbeiter zu sprechen. Und das öffnet dann eben auch den Raum für junge Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen: Da kann es sein, das eine Abiturientin bei uns den Raum zum Lernen nutzt. Gemeinsam mit jemandem, der zuletzt die vierte Klasse nicht mehr besucht hat.

Auch wir haben in der Pandemie erfahren, dass nachhaltige Sozialarbeit nicht allein auf dem Bordstein geht. Auch Sie haben eine einladend und modern gestaltete Anlaufstelle. Welche Rolle spielt die? Zenses: Unsere Anlaufstelle hat sich bereits ein paar Mal verändert, eben weil die Jugendlichen eingebunden sind, ihre Ideen mitbringen und mitwirken.

Der dreijährige Projektzeitraum endet nun. Glauben Sie, ein Streetwork-Angebot in Hörde ist weiterhin sinnvoll? Landskröner: Ja, genau, und wir sind dabei, eine Vorlage zu erarbeiten, um der Politik vorzuschlagen, dieses Projekt zu verlängern. Das Projekt ist für uns eine Erfolgsgeschichte. Es hat eine Evaluation gegeben, wir haben noch mal die Daten geprüft und sind zu guten Ergebnissen gekommen.

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O REZEPT Einen Tag vor dem eigentlichen Backtag einige Beifußblätter mit wahlweise dunkler oder heller Kuvertüre überziehen und auskühlen lassen. Am Backtag 225 g bittere Schokolade in Stücke brechen und mit 3 EL Wasser in einer Schüssel über heißem Wasserdampf schmelzen lassen. 150 g braunen Zucker mit dem Schneebesen einrühren; sobald der sich aufgelöst hat, die Schüssel aus dem Dampf nehmen und 175 g weiche Butter in Flöckchen zugeben und schmelzen lassen. 30 g fein gemahlene Walnüsse, 3 EL Mehl sowie 1 Msp Backpulver einrühren, behutsam 5 Eigelb unterheben und 100 g grob gehackte Walnüsse und 2 TL abgerebelte Beifußblüten einrühren. 5 zu steifem Schnee geschlagene Eiweiß mit einem Löffel vorsichtig unterheben. Die Masse in eine gefettete Springform geben und bei 180 Grad im vorgeheizten Backofen etwa 40 bis 45 Minuten auf mittlerer Stufe backen. Den Kuchen danach weitere 45 Minuten in der Form abkühlen lassen, aus der Form nehmen und mit dunkler Kuvertüre bestreichen, dann mit Puderzucker bestreuen und anschließend mit Malvenblüten und den überzogenen Beifußblättern dekorieren.

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b ein solches Statement mit Belegen aus einem klimaskeptischen Paralleluniversum unterfüttert wird, reine Provokation sein soll oder aber denjenigen, der sich entsprechend äußert, einfach als naiven bis strunzend dummen Zeitgenossen demaskiert, möchte ich im Einzelfall gar nicht wissen. Jedenfalls ist mir – vor den verheerenden Unwettern an Ahr und Erft wohl häufiger als danach – die Ansicht zu Gehör gekommen, über den Klimawandel könne man sich durchaus freuen, dann werde es hier endlich wärmer werden, man könne im Sauerland Weinbau betreiben und in Bochum, vom Strandkorb aus, den Blick über sich schäumend brechende Nordseewellen schweifen lassen. So weit, so dämlich. Bekräftigt werden solche Aussagen gern mit Sätzen wie „Das Klima wandelt sich, solange die Erde existiert. … Seit die Erde eine Atmosphäre hat, gibt es Kalt- und Warmzeiten.“ Das Zitat stammt aus dem 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm der AfD – und lässt sich leicht widerlegen, denn der gegenwärtig global zu beobachtende Temperaturanstieg verläuft deutlich schneller als, ohne menschliches Zutun, in jeder anderen Erwärmungsphase während der letzten Jahrtausende. Eine solche Periode könnte der Malve geholfen haben, in unseren Breiten ansässig zu werden. Da kannte man hier den Beifuß bereits; vermutlich halfen ihm, während der Jungsteinzeit, die Anfänge des Ackerbaus, dauerhaft bei uns Wurzeln zu schlagen. Anders die Walnuss. Sie gelangte mit den Römern über die Alpen und erhielt, weil von Süden, also aus der „Fremde“ kommend, im deutschsprachigen Raum zunächst den Namen „Welschnuss“. Im Ruhrgebiet muss man die stattlichen

Bäume mit den großen eiförmigen Fiederblättern noch suchen, nahezu allgegenwärtig sind sie im wärmeren Rheinland. Es wird dauern, bis in unseren Gefilden die Kakaobäume außerhalb der Treibhäuser botanischer Gärten gedeihen. Sie benötigen wirklich sehr viel Wärme und sehr viel Regen und werden aus diesem Grund aktuell in Westafrika, Teilen Asiens und natürlich den heißen Gebieten Südamerikas angebaut. Damit wären die geschmackliefernden Bestandteile einer unglaublich gut schmeckenden Torte genannt: Schokolade, Walnuss, Beifuß und Malve. Sie finden alles im Supermarkt, Beifuß (als Gewürz) und Malve (als Tee) jedoch nicht in der Form, die Sie zum Backen benötigen. Gehen Sie raus in die Natur. Und helfen Sie bitte, das Klima zu schützen, dass Kakao nicht heimisch wird.


SOZIALES

Die Zahl der Wohnungslosen in NRW ist auch 2020 weiter gestiegen. 49.987 Menschen zählt die Wohnungslosenberichterstattung des Sozialministeriums für das vergangene Jahr – gut 3.000 mehr als im Jahr zuvor. Aus den Zahlen lässt sich schließen: Es fehlt sowohl an Wohnraum als auch an gut funktionierender Prävention. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Sebastian Sellhorst

J

Fast 50.000 ohne Wohnung

edes Jahr erfasst das Land NRW statistisch jene Menschen, die als Wohnungslose in kommunalen Unterkünften und über freie Träger untergebracht werden oder bei Beratungsstellen als wohnungslos bekannt sind. Die Statistik hat Lücken: Wer im Hilfesystem und in den Beratungsstellen nicht ankommt, ohne Unterkunft auf der Straße lebt oder nur einen Schlafplatz bei FreundInnen hat, wird nicht erfasst. Zum Stichtag am 30. Juni 2020 waren in Dortmund 1.666 Menschen ohne eigene Wohnung, in Bochum 595.

Im vergangenen Jahr hat sich gezeigt, dass sich in der Pandemie die Lebenssituation wohnungs- und obdachloser Menschen drastisch verschlechtert hat – auch, weil die Wohnungslosenhilfe oft eingeschränkt war. Diese Entwicklung lässt sich nicht statistisch abbilden. Trotzdem sind die Zahlen, die das Land erhebt, überraschend stabil. Umso mehr überrascht, dass Bochum als eine von zwei Städten im Land eine Ausnahme gegen den Trend bildet: Hier ist die Zahl um ein Drittel gesunken. Auch in Bochum waren Beratungsstellen und Versorgungsangebote eingeschränkt oder geschlossen – woran es auch Kritik gab. Die Dortmunder Ruhr Nachrichten berichteten im August 2020 über Wohnungslose, die vermehrt aus Bochum nach Dortmund kamen. Ob das den starken Rückgang erklärt, darüber gibt die Statistik keinen Aufschluss. Auch wenn die Steigerung weniger dramatisch ist als in den letzten Jahren, zeigt sich: Das Problem wird größer. Und das nicht nur bei den „klassischen“ Wohnungslosen, die zum Beispiel nach Jobverlust oder Trennung ihre Wohnung verlieren und keine neue finden, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen. Ein Fünftel der Wohnungslosen war jünger als 18 Jahre. Die Statistik zeigt auch, dass mehr als die Hälfte der ordnungsrechtlich Untergebrachten länger als zwei Jahre wohnungslos war. Das unterscheidet

sich zwar je nach Art der Unterbringung und in den Städten. Es bedeutet aber, dass die Übergänge von der Wohnungslosigkeit in eine Wohnung offenbar nicht so gut funktionieren wie sie sollten. Was fehlt, ist bezahlbarer Wohnraum. Die Landesinitiative „Endlich ein Zuhause“ arbeitet daran, finanziert in ausgewählten Städten Projekte zur Wohnraumversorgung. Genauso wichtig ist aber Prävention und Hilfe dabei, dass ein drohender Wohnungsverlust im besten Fall gar nicht eintritt. Hier gibt es Nachholbedarf. In Dortmund wurden im vergangenen Jahr 524 Wohnungen zwangsgeräumt.

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Kulturkalender September | 2021

Konzerte, Theaterabende, Ausstellungen, Lesungen – vieles ist zurück, auf das wir lange verzichten mussten. Und doch ist alles anders: reduzierte Besucherzahlen, aufwendige Hygienekonzepte, die Unwägbarkeiten beim Fortgang der Pandemie, der schmerzliche Wegfall der Clubkultur. Veranstalter- und KünstlerInnen trotzen Bedingungen, unter denen es so schwierig ist, Kunst zu machen wie Geld zu verdienen. Aber sie freuen sich auf ihr Publikum. Hier unsere Empfehlungen für den September.

FR 03 | 09 | 21 Musik | Hildegard Knef Hildegard Knef, deren Leben einer Achterbahn glich, begann ihre Karriere als Schauspielerin im ersten deutschen Nachkriegsfilm „Die Mörder sind unter uns“ und ergatterte Mitte der 60er Jahre ihren Stammplatz in der ersten Reihe der Chanson-Texterinnen und -Interpretinnen ihrer Zeit. Bis heute gilt Hildegard Knef als eine Frau und Künstlerin, die in ihrem Leben Bedeutendes geschaffen hat und viele Menschen mit ih-

rer Kunst und auch mit ihren Lebensdramen berühren konnte. Stoff und Grund genug für eine außergewöhnliche Hommage an Hildegard Knef von Nina Tripp, begleitet von Martin Brödemann am Piano. Eine Anmeldung ist erforderlich: www.auslandsgesellschaftev.de Café Orchidee, Dortmund, 19 Uhr Revue | Hurra, wir leben noch Vorhang auf für die Zauberwesen der Nacht: Im RevuePalast Ruhr auf Zeche Ewald ist endlich wieder Showtime. In der neuen

Revue gibt’s ein Wiedersehen mit all den Künstlerinnen und Künstlern, die die Gäste so lange vermissen mussten. „Die neue Revue wird ein Abend zum Genießen – voller Glitzer, Glanz und Lebensfreude – immer getreu dem Motto: The Show must go on!“, verspricht Kuta. „Die Vorfreude, im Showtempel endlich wieder Gelächter und Applaus zu hören, ist überall vor, auf und hinter der Bühne riesig.“ Weitere Termine: www.revuepalast-ruhr.com RevuePalast Ruhr, Herten, 20 Uhr

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Visual Sound Outdoor Festival 9. bis 12. September Kulturort Depot Immermannstraße 29 Dortmund Programm und Tickets: www.parzelledortmund.de und www.depotdortmund.de

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Klein, fein, hochkarätig, international und draußen: Vom 9. bis zum 12. September bringt das „Visual Sound Outdoor Festival“ Musik, Theater und Perfomance unter freiem Himmel in die Dortmunder Nordstadt. Der Innenhof des Kulturortes Depot an der Immermannstraße wird zum Labor für visuelle und animierte Theaterformen, die mit Musik und Klangkunst in spannende Wechselbeziehungen gesetzt werden.

Kath St Paulus Gesellschaft Jugendhilfe St Elisabeth Dortmund

Essen & Lernen St. Antonius

Jazz, Rock‘n‘Roll, „Glam-Grunk“, Industrial und Ambient Noise geben sich ein Stelldichein mit Licht- und Schattentheater, Objektperformances, bildender Kunst, Geräuschgestalten und emotionalem Rock. Das Line-Up verspricht eine hochkarätige Mischung aus regionaler Kulturszene, einer gehörigen Portion Internationalität und jeder Menge multikultureller Power, die sich nicht in Schubladen stecken lässt. Für das leibliche Wohl sorgen die Women of Hope, die zu einer kulinarischen Reise einladen.

SA 04 | 09 | 21 Kabarett | Johannes Flöck „Entschleunigung, aber zack, zack!“ „Einige unter uns kommen doch heute vor lauter Yoga gar nicht mehr zum Entspannen.“ Im Zeitalter des Turbokapitalismus und der digitalen Revolution ist „Entspann dich mal“ auch einfacher gesagt als getan. In seinem Programm bietet Johannes Flöck ganz persönliche Denk- und Humoranstöße, die eigene Situation neu zu betrachten. Sein Auftrag: mehr Lebensqualität generieren, ohne sich zu genieren. Seine sympathische, persönliche Art lässt nur eins zu: Leichtigkeit für alle. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

SO 05 | 09 | 21 Musik | Weekend Irgendwo zwischen dem blonden Jungen, der ein bisschen weniger Coolness in die Waagschale zu werfen hat als gut für das Ego ist, und einem schwierigen Jugendlichen, der die Schule zwischenzeitlich abbricht und sich zukünftig eher auf Partys sieht, stolpert Weekend irgendwann im Freundeskreis über ein Mikrofon. Ausverkaufte Konzerte und ein Album an der Spitze der Charts folgten. Im September 2020 erschien mit „Lightwolf“ Weekends viertes Studioalbum. FZW, Dortmund, 20 Uhr

MI 08 | 09 | 21 Musik | Kulturgarten: Karmakind Wie ein neugieriges Kind erforscht das in Bochum gegründete Projekt Karmakind die Welt der elektronischen Musik. Es entsteht

Deutsch, Mathe, Bio oder Geschichte … Helfen Sie Kindern in unserer Hausaufgabenbetreuung!

eine lebendige Fusion zwischen Gesang, Querflöte, Gitarre und elektronischen Beats. Mal meditativ, mal verspielt, mal druckvoll und energetisch bewegen sich Karmakind frei zwischen den Welten des Downtempo und Dub, von House und Techno und immer wieder im Überraschungsmoment der Improvisation. Mit Texten auf Arabisch, Kurdisch, Deutsch, Englisch und Spanisch entstehen fantasievolle Sets, die das Publikum unmittelbar auf eine Reise mitnehmen. Werkstadt, Witten, 19 Uhr

FR 10 | 09 | 21 Ausstellung | „gegenüber“ Mit der Ausstellung „gegenüber“ präsentiert das MKK zum zweiten Mal eine künstlerische Intervention in der eigenen Dauerausstellung. Das Museum hat KünstlerInnen des Westfälischen Künstlerbundes Dortmund eingeladen, sich mit einzelnen Exponaten oder thematischen Abteilungen des Hauses auseinanderzusetzen. Vom 10.9. bis 3.10. zeigt das MKK Arbeiten von Thomas Autering, Petra Böttcher-Reiff, Marc Bühren, Walter Hellenthal, Christoph Ihrig, Claudia Karweick, Andi Knappe, Irmhild Koeniger-Rosenlecher, Axel M. Mosler, Philipp Pohl, Brigitte Felician Siebrecht sowie Mathias Schubert. Museum f. Kunst u. Kulturgeschichte, DO 2021_06_15

SO 12 | 09 | 21 Kunst und Kultur | Der Tag des offenen Denkmals im Museum Strom und Leben Ob Befestigungsanlagen, Schiffe oder Kirchen, Industrieanlagen, Schlösser oder Windmühlen, Wohnbauten, Gärten oder

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Denkmale ist Deutschland genauso abwechslungsreich wie seine Landstriche. Über 7.500 historische Stätten öffnen an diesem Tag kostenfrei ihre Türen. Dabei ist in diesem Jahr auch wieder das Museum Strom und Leben im 1928 erbauten und seit 1994 denkmalgeschützten Umspannwerk Recklinghausen, 25


KULTURKALENDER

das mit einer Lesung, Sonderführungen sowie einer Ausstellungseröffnung ein spannendes Programm zusammengestellt hat. wwwumspannwerk-recklinghausen.de Museum Strom und Leben, RE, 10 – 20 Uhr Fest | 9. Sommerfest im Union Gewerbehof Das Sommerfest im Union Gewerbehof ist für Sonntag, den 12. September 2021 geplant. Zwischen 11 und 16 Uhr locken, sofern pandemiebedingt möglich, diverse Flohmarktstände, Bier vom Brautum e. V., Grillstand und Spezialitäten vom Hofcafé zum Stöbern und Verweilen. Gleichzeitig findet der Tag des offenen Denkmals statt, zu dem Union Gewerbehof-Mitgründer Hans-Gerd Nottenbohm einen Hofrundgang anbietet. Er lässt die Entwicklung des Hofs an verschiedenen Stationen lebendig werden: von der Schließung der Mitteleisenwalzstraße 1984 über betriebliche Arbeitskreise zu alternativen Produkten und innovativen Arbeitsbedingungen. Treffpunkt ist um 16 Uhr das Eingangstor zum Union Gewerbehof, Huckarder Straße 10. Wegen der Corona-Lage kann am Freitag (10.9.) unter info@union-gewerbehof.de erfragt werden, ob das Sommerfest stattfindet. Union-Gewerbehof, Dortmund, 11 – 16 Uhr

Theater | Ich lieb dich Nur eine Stunde haben Julian und Lia Zeit, bevor sie abgeholt wird. Dabei brennen Julian doch so viele Fragen unter den Nägeln: Gibt es die Liebe, was ist Liebe und wie kann man sich überhaupt sicher sein, dass man jemanden liebt oder selbst geliebt wird? Seitdem feststeht, dass sich Julians Eltern scheiden lassen, ist nichts mehr wie zuvor. Wie durch ein Kaleidoskop betrachten Julian und Lia die verschiedenen Formen, Beziehungen und Konzepte der Liebe, die sich neu zu formieren scheinen. Immer neue Begegnungen liefern Julian Gründe anzunehmen, dass es sie gibt, die Liebe. Da ist zum Beispiel das Meerschweinchen Muppi, das Zitroneneis, die Kastanien und Lia... Eins wird aber immer deutlicher: Antworten auf die große Frage „Was ist die Liebe“ gibt es viele. Flottmannhallen, Herne, 16 Uhr Theater | Das neue Leben. Where do we go from here Christopher Rüping inszeniert frei nach Dante Alighieri, Meat Loaf und Britney Spears einen Abend über verpasste Chancen, die Liebe in Gedanken und die Frage, wie man eigentlich neu anfängt, wenn das alte Leben

nicht mehr möglich ist. Dantes mehr als 700 Jahre alten Werke Vita Nova und Die Göttliche Komödie inspirieren eine emotionale Erkundungsreise rund um die großen und kleinen Lebensfragen, im Gepäck einige der größten Liebeslieder aller Zeiten. Schauspielhaus, Bochum, 19.30 Uhr (auch 11.9., 19.30 Uhr und 12.9. & 19.9., 17 Uhr)

MO 13 | 09 | 21 Theater | Der Reichsbürger Nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es Menschen, die bestreiten, dass die Bundesrepublik Deutschland eine souveräne und legitime Nation ist. Als „Reichsbürger“ werden vor allem diejenigen bezeichnet, die behaupten, das Deutsche Reich bestünde stattdessen noch fort. Mit einer kruden Mischung aus Verschwörungstheorien und Geschichtsrevisionismus „beweist“ der titelgebende Reichsbürger, dass die BRD eigentlich eine GmbH ist, „eine Art kapitalistisches Erlebnis-Wunderland“ und wir, ihre vermeintlichen Staatsangehörigen, „gleichzeitig Parkbesucher und Aufsichtspersonal“. Prinz Regent Theater, Bochum, 19.30 Uhr (auch 22.9. und 23.9.)

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Allgemeinmedizin plus+ in Witten. Die Uniambulanz Witten ist eine Praxis für Allgemeinmedizin. Sie befindet sich direkt am Campus der Universität Witten/Herdecke, in zentraler und verkehrsgünstiger Lage mitten im Ruhrgebiet. Nach einem deutschlandweit einzigartigen Konzept werden hier neue Ansätze für die medizinische Primärversorgung erprobt. Kern ist die Annahme, dass wir Menschen grundsätzlich das Potenzial haben, gesund zu sein. Ausgehend von dieser These betrachten wir die Menschen, die uns besuchen, ganzheitlich und helfen ihnen dabei, langfristig mehr Gesundheit und Wohlbefinden zu erreichen. Wir sind überzeugt: Jeder Mensch kann selbst ganz viel für sich und seine Gesundheit tun. Daher setzen wir auf eine aktive Patientenrolle, eine Kommunikation auf Augenhöhe und eine gezielte Anregung der Selbstheilungspotenziale. Unsere Patient*innen sind dadurch ganz aktiv in die Versorgung eingebunden. Die Basis für unsere Arbeit bildet ein umfassendes allgemeinmedizinisches Leistungsspektrum, das wir um naturheilkundliche Ansätze, eine ganzheitliche Herangehensweise und ein Kursangebot zur Gesundheitsförderung ergänzen. Dieses neuartige Konzept nennen wir Allgemeinmedizin plus+. 26

UNIVERSITÄTSAMBULANZ für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde Alfred-Herrhausen-Straße 44 58455 Witten Fon 02302 926-38001 Mail info@uniambulanz-witten.de uniambulanz-witten.de universitaetsambulanz.witten uniambulanzwitten


BODO-TIPP

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Klangvokal Musikfestival Ab 12. September Informationen, Termine und Karten: www.klangvokal-dortmund.de

Am 12. September startet das Klangvokal-Festivaljahr. Das Dortmunder Musikfestival präsentiert die Vielfalt der Vokalmusik aus aller Welt – von der Oper, der klassischen Vokalmusik über Jazz und Weltmusik bis hin zum Pop – und zeigt bereits im September seine ganze Bandbreite: Der Countertenor Jakub Józef Orlinski eröffnet mit dem Alte-Musik-Ensemble Il Pomo d’Oro und Barockgesangskunst von Händel und Zeitgenossen. Christina Pluhar und ihr Ensemble L´Arpeggiata verleihen mit der Sopranistin Céline Scheen und mit Countertenor Valer Sabadus deutschsprachigen Sakralwerken aus der Vor-Bach-Zeit Flügel. „Masaa“, ausgezeichnet mit dem deutschen Jazzpreis, verbinden Orient und Okzident, Jazz und arabische Kunstmusik. Lisa Simone (Foto), die Tochter der Soul-Legende und Bürgerrechtlerin Nina Simone, gilt als eine der spannendsten JazzSängerinnen der Gegenwart und kommt mit ihrem sehr persönlichen Album „In Need of Love“.

02.09. bis 02.10.2021 Ausstellung Vergiss Deinen Namen nicht Die Kinder von Auschwitz Vernissage 02.09. 17 Uhr

10.09.2021

DI 14 | 09 | 21 Theater | Nachdem der Himmel glühte Ob durch Wasserknappheit oder Überschwemmungen: Anhand von Wasser lassen sich die Folgen des Klimawandels ganz unmittelbar beobachten. Wasser ist Leben – und für Menschen, Tiere, Pflanzen sowie jede Art von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung unabdingbar. Amelie Barth, Norman Grotegut und Clara Minckwitz von „pulk fiktion“ begeben sich auf das Gelände der Kokerei Hansa und entwickeln ein spezielles Theaterformat: eine installative Ortsbegehung. Die Zuschauenden erkunden das Gelände der Kokerei, folgen dem Wasser und verlieren es, begegnen RegenmacherInnen, kämpfen sich durch eine Dürre und suchen nach Lösungen. Kokerei Hansa, Dortmund, 18 Uhr (auch 18.45 Uhr, 19.45 Uhr und 20.30 Uhr)

MI 15 | 09 | 21 Musik | Tatort Jazz mit Matthias Nadolny und der Tatort Jazz Hausband Mit seinem wandlungsfähigen, stets identifizierbaren individuellen Ton und seiner melodischen Phantasie ist der Tenorsaxophonist Matthias Nadolny zu einer festen Größe in der deutschen Jazzszene geworden. Als 21-Jähriger wurde er Ende der siebziger Jahre als Mitglied von „Toto Blanke‘s Electric Circus“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und konzertierte u.a. auf der „Jazz Jamboree“ in Warschau. Konzerte und Tourneen u.a. für das Goethe-Institut führten ihn durch ganz Europa. Eintritt frei. Kunstmuseum, Bochum, 20 Uhr

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Einlass ab 16 Uhr | Eintritt frei

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DO 16 | 09 | 21 Film | Made in Bangladesh Der Film „Made in Bangladesh“ erzählt die Geschichte einer Textilarbeiterin, die sich mit den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen nicht abfinden will. Sie kämpft dagegen an und gründet eine Gewerkschaft. Im Anschluss an den Film gibt es ein Gespräch mit Reiner Kajewski, Gewerkschaftssekretär, ver. di, Bezirk Westfalen, Ida Henke, Regionalgruppe Dortmund der Kampagne für Saubere Kleidung, und Dietrich Weinbrenner, Beauftragter für nachhaltige Textilien in der Ev. Kirche von Westfalen und der Vereinten Evangelischen Mission. Schauburg, Dortmund, 20 Uhr

Buchvorstellung von Aladin El- Mafaalani 16.09.2021 Erzählcafé - Lasst uns reden in Kooperation mit dem Seniorenbeirat Innenstadt Nord 25.09.2021 Nachtfrequenz Die Nacht der Jugendkultur im DKH mit E-Gaming Angebot

SA 18 | 09 | 21 Performance | anfassen! Vier PerformerInnen und ein digitaler Sprechchor begeben sich auf die Suche nach Kontaktaufnahmen. Mal freundschaftlich und mal distanziert. Erforscht werden Zustände und Zwischenräume, es geht um das Aushalten von Nähe und den Wunsch nach Berührung in einem scheinbar endlosen Neuanfang. Pia Alena Wagner, Elina Ritzau, Jubril Sulaimon und Matthias Damberg werfen einen Blick auf Momente des Anfassens, auf Begrüßungen als Neubeginn und auf menschliche und gesellschaftliche Kontaktaufnahmen – in einer Makroperspektive auf den Status quo. Es entsteht eine Bühnen-Performance über das Verhältnis von Nähe und Distanz, Körper und Geist und die Fülle der Zwischenräume. Theater im Depot, Dortmund, 19 Uhr (auch 19., 25. und 26.9.)

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Die Plätze sind begrenzt! Bitte sichert euch euren Platz unter: keuninghaus2togo@gmail.com Mehr Infos auf unseren Social Media Kanälen. Klickt rein!

facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go" Dietrich-Keuning-Haus Leopoldstr. 50-58 | 44147 Dortmund Fon 0231 50-25145 | Fax 0231 50-26019 27


KULTURKALENDER

Performance | All the Sex I‘ve ever had An diesem Abend, der in immer wieder neuen Besetzungen bereits weltweit Erfolge feierte, erzählen diesmal sechs SeniorInnen aus Bochum ihre Geschichten: von der ersten Verliebtheit über den ersten Herzschmerz, (un)geplante Schwangerschaften, aufregende Affären, sexuelle Reorientierungen bis hin zum Tod von Geliebten. Dabei entsteht ein ergreifendes Gesellschaftspanorama ihrer Zeit. Kammerspiele, Bochum, 19.30 Uhr (auch 19.9., 19 Uhr) Kabarett | Hans Gerzlich „Das bisschen Haushalt ist doch kein Problem“ „Du bist doch den ganzen Tag zu Hause!“ Kennen Sie diesen Satz? Hans Gerzlich auch. Aus seinem eigenen Mund. Er hat ihn oft genug gesagt. Zu seiner Frau – bis diese den Spieß umgedreht hat. Er wollte immer der Herr im Hause sein, jetzt ist er es: Nun macht sie Karriere, er den Haushalt. Und lernt ein Leben kennen, in dem er sich nicht mehr fit hält durch Tennis mit den Kumpels nach Büroschluss, sondern durch Betten aufhängen und Wäsche beziehen, Hemden wischen und Staub bügeln. Prozess-Neustrukturierung in Küche und Waschkeller. Chaos vorprogrammiert. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

MI 22 | 09 | 21 Musik | Simon und Jan Auf den ersten Blick erscheinen Simon und Jan wie ein klassisches Singer-/SongwriterDuo. Doch hört man nur ein einziges Lied, wird einem sofort klar: Diesem Vorurteil stellen die beiden mit diabolischem Spaß ein Bein nach dem anderen. Mit ihren blitzgescheiten, hintersinnigen und wunderbar satirischen Texten singen sich Simon Eickhoff und Jan Traphan in den Kopf ihrer ZuhörerInnen, um ihnen im nächsten Moment vor selbigen zu stoßen. In ihrem aktuellen Programm kom-

BODO-TIPP

700 Jahre Bochum

Festwoche vom 15. – 18. September Informationen und Termine: wwww.bochum-700.de

Am 8. Juni 1321 erhielt Bochum erweiterte Marktrechte auf der Burg Blankenstein, überreicht mit einer Urkunde von Graf Engelbert II. von der Mark. Die Festwoche zum 700. Jahrestag wurde aus dem Juni in den September verschoben, in dem Bochum nun versucht, so gut es geht sein Stadtjubiläum zu feiern. Das große Stadt-Picknick auf dem Innenstadtring zum Abschluss ist zwar leider abgesagt, doch starten soll die Festwoche wie geplant. Am Mittwoch, dem 15. September, soll der Festakt „Best of Bochum“ als bunte Unterhaltungsshow im Anneliese Brost Musikforum stattfinden. Die 700 Eintrittskarten werden verlost. Am Donnerstag öffnen städtische Institutionen und Betriebe am „Werk. Stadt.Tag“ ihre Türen und erlauben Blicke hinter die Kulissen. Das gleiche tut am Samstag das Rathaus, das dann seinen 90. Geburtstag feiert. Am Freitag, dem 17. September, steigt das Mittelalterfest „anno 1321“ auf Burg Blankenstein.

men Simon und Jan, um uns zu retten und die Probleme der Menschheit zu lösen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und sie versprechen: „Alles wird gut!“ Flottmannhallen, Herne, 20 Uhr

FR 24 | 09 | 21 Kabarett | Duo Diagonal Branka und Roger Zwei wie Paprika und Pantoffel: Ein unglaubliches Paar in einer Comedy-Show, die mit viel Aktion direkt ins Zwerchfell geht. Slawische Seele trifft auf deutschen Humor. Das Schicksal hat sie zusammengeführt: Die draufgängerische Branka wirft mit ihrer unausweichlichen Art Klischees über den Haufen und bleibt ihrem Motto treu: „Egal, was Leben bringt – trinkt!“. Roger, Entertainer mit einem Charisma zwischen Gebrauchtwagenhändler und Goofy, will mit Branka den internationalen Durchbruch erreichen. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

SA 25 | 09 | 21 Ausstellung | World Press Photo Ausstellung Jedes Jahr zeichnet die World Press Photo Foundation in einem internationalen Wettbewerb die besten Pressefotografien aus. In einer Wanderausstellung werden die preisgekrönten Fotos rund um den Globus gezeigt. Vom 25.9. bis zum 17.10. zeigt der Kulturort Depot in Kooperation mit DEW21 die Ausstellung in Dortmund. Die World Press Photo Ausstellung umfasst über 150 Fotos – es gibt spektakuläre Aufnahmen aus dem Sport, poetische Naturbilder und Fotoreportagen, die ganz intime Einblicke in persönliche Geschichten gewähren. Da alle wichtigen nachrichtenbezogenen Ereignisse des Vorjahres abgebildet sind, bietet die Ausstellung außerdem einen Rückblick auf das vergangene Jahr. Depot, Dortmund So. bis Do. 11 – 20 Uhr, Fr. & Sa. 11 – 22 Uhr

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KINO-TIPP

Kultur | nachtfrequenz21 Nacht der Jugendkultur Von Aachen bis Wuppertal haben Jugendliche gemeinsam mit Kulturschaffenden und SozialarbeiterInnen Projektideen geschmiedet. Skaten, Streetart, Upcycling, Parkour, Slammen und Beatboxen, Malen, Theaterspielen – für andere live zu performen und Spaß zu haben, das hat es viel zu lange nicht mehr gegeben. Damit kommt der nachtfrequenz – Nacht der Jugendkultur in diesem Jahr besonders große Bedeutung zu. Das spiegelt auch die Rekordzahl von 100 beteiligten Städten und Gemeinden wider. Vom 25. auf den 26.9. finden an mehr als 180 Orten weit über 300 verschiedene Aktionen, Auftritte, Konzerte und Workshops statt. Programm unter: www.nachtfrequenz.de versch. Städte, NRW

SA 25 | 09 – SO 03 | 10 | 21 Festival | Blaues Rauschen Blaues Rauschen ist ein Festival für elektronische Musik und digitale Experimente und präsentiert KünstlerInnen, die die Möglichkeiten analog/digitaler oder rein digitaler Technik nutzen, um künstlerische und politische Positionen zu Fragen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen einzunehmen. Vom 25.9. – 3.10. finden dazu in Dortmund, Bochum und Essen Konzerte, Performances, Installationen und Vorträge statt. Mit dabei sind in diesem Jahr u.a. BBB, Electric Indigo, Rikkert Brok, Hyun-Jin Kim, Freya Hattenberger und Peter Simon, Julia Eckhardt, Caroline Profanter, Miki Yui, Liz Allbee, Wei Kang Beh, Gruppe Moment, Echo Ho, Bellchild, Ozan Tekin, Bit Tuner, Rasmus

Nordholt-Frieling, Pan Daijing, Enrique Tomás, Balázs Kovács, Max Schweder, Claudia Robles-Angel, die Angel und Tomoko Mio, Jasmine Guffond und Ilan Katin. Programm: www.blauesrauschen.de versch. Orte in Bochum, Dortmund & Essen

endstation.kino | Atomkraft Forever

SO 26 | 09 | 21 Musik | itROCKX, Prism Effect & The Smigx Das Musikbüro Bochum organisiert seit vielen Jahren eine Konzertreihe für semiprofessionelle Bands und MusikerInnen aus der Region und fördert damit die Musikszene. Traditionell finden diese Konzerte in wechselnden Locations in Bochum statt. In diesem Jahr treten itROCKX, Prism Effect und The Smigx in der Gastronomie Kumpels im Bergbaumuseum Bochum auf. Gastronomie Kumpels im Bergbaumuseum, Bochum, 18 Uhr

DI 05 | 10 | 21 Comic-Lesung & Ausstellung | Nino Paula Bulling und Anne König Bruchlinien – 3 Episoden zum NSU Der Comic rekonstruiert drei Episoden, die im fünfjährigen Gerichtsprozess unter den Tisch gefallen sind. Ergänzend zu den Bildgeschichten erscheinen Gespräche: mit Candan ÖzerYilmaz, Witwe von Atilla Özer, Ayse Güleç, Mitbegründerin der »Initiative 6. April« zur Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat, Sebastian Scharmer, Nebenklagevertreter von Gamze KubaŞik, den Journalisten Christian Fuchs und Toralf Staud sowie Barbara John, Ombudsfrau für die Opfer des NSU. Bahnhof Langendreer, Bochum, 19 Uhr

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2022 steigt Deutschland endgültig aus der Atomkraft aus: Das letzte Atomkraftwerk wird abgeschaltet, weil die Erfahrung von Fukushima gezeigt hat, dass das Risiko zu hoch ist und die Technik nicht beherrschbar. Doch dass damit das nukleare Problem gelöst wäre, erweist sich bei genauerer Betrachtung als Illusion: für zigtausende Tonnen radioaktiven Müll, dessen Lagerung völlig unklar ist. Ein gefährlicher Rückbau der Kraftwerke, der Jahrzehnte dauern und viele Milliarden Euro verschlingen wird. Und europäische Nachbarn, die an der vermeintlich sauberen Kernenergie festhalten: Von 27 EU-Staaten betreiben 13 Atomkraftwerke – und der Ausbau geht weiter. Die sechs miteinander verwobenen Episoden im Kino-Dokumentarfilm „Atomkraft Forever“ von Carsten Rau erzählen Erstaunliches: vom irrwitzigen Aufwand beim Abriss eines Atomkraftwerkes. Über die Suche nach einem Endlager, das eine Million Jahre und die nächsten zehn Eiszeiten überstehen soll. Bis hinein in die französische Atomindustrie, die dem deutschen Ausstieg mit Unverständnis begegnet und noch mehr Kraftwerke bauen will und wird, denn auf kurze Sicht im Hinblick auf den Klimawandel scheint die Kernenergie sauberer zu sein als die Kohleverstromung. Zur Premiere des Bundesstarts am 16. September um 20 Uhr wird der Regisseur Carsten Rau für ein Filmgespräch im endstation.kino zu Gast sein. Do. 16.9. bis Mi. 22.9., Do. 20 Uhr, Fr. bis Mi. jeweils 18 Uhr (außer Mo.) endstation.kino im Bahnhof Langendreer Wallbaumweg 108, 44894 Bochum www.endstation-kino.de

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BODO GEHT AUS

Neuland Rottstraße 15 44793 Bochum

Neuland

Der Nachbarschaftsbaukasten Mit einer fast 100 Personen starken Vereinsstruktur ist das Neuland im Bochumer Rottstraßenviertel mehr als nur eine SzeneKneipe. Es wartet mit Kunstausstellungen, Live-Konzerten und Lesungen auf, zudem stellt es das Catering für die Ruhrtriennale – denn die vegane Küche von den Grünkernfrikadellen bis hin zur BelugalinsenSuppe ist eine Klasse für sich. Als wir zum vereinbarten Termin kommen, ist Jan Behling, der erste Vorsitzende der Neuland-Crew, noch im BauarbeiterModus. „Sorry, aber bei uns gibt es immer was zu tun“, sagt er lächelnd. Jens kam für das Studium nach Bochum, arbeitet nun als Unternehmensberater. Das Neuland liegt im Rottstraßenviertel und somit geografisch genau zwischen Westend und Ostspitze der Stadt – so dass mit dem Kunstwort „Wostspitze“ jetzt mehr für das Viertel geworben werden soll. „Es gibt hier so viel an Kunst und Kultur zu entdecken. Viele ältere Bochumer wissen nicht, dass in unserem Viertel gar nicht mehr das Rotlichtviertel beheimatet ist.“

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Von Peter Hesse Fotos: Daniel Sadrowski

In der direkten Nachbarschaft haben sich Selfmade-Dienstleister preiswerte Büros eingerichtet. Nebenan findet sich das Theater Rottstr5, und mit dem Absinth liegt eine weitere Kneipe nur wenige Meter entfernt. „Wir wollen allen Akteuren, also vom Kindergarten bis zur Omi, die hier gegenüber im dritten Stock wohnt, mit dem Neuland als gemeinnütziger Verein ein Forum bieten“, erklärt Jens. „Für mich ist das ein phantastischer Baukasten mit viel Potenzial, weil wir so viele unterschiedliche Menschen zusammenbringen können.“

Vereinsmitglieder zahlen einen Beitrag von 20 Euro pro Jahr. „Wir müssen unsere Miete als Geschäftsbetrieb verdienen – da führt kein Weg dran vorbei“, sagt Jens. So ist das Neuland gleichzeitig Bar, Restaurant und Stadtzimmer: „Die Idee beruht auf der Verbindung von positivem Konsum, nachhaltiger Gastronomie, Raum für kulturellen Austausch und einem Treffpunkt für jeden Anlass.“ Das kann der gemeinschaftliche Tatort-Sonntag sein oder die Arbeit im kleinen Garten, wo der Bärlauch für das Nudel-Pesto wächst.


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Der Projektraum

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

AUSSTELLUNG 2021

25 Sep. – 17 Okt. Kulturort Depot Dortmund

R ALPH PACE

Das Neuland war in den 1970er Jahren eine typische Arbeiterkneipe mit Gesellschaftsraum. Und dieser große Projektraum ist inzwischen Ausstellungen oder sogar Film-Festivals wie der „Too Drunk To Watch“Filmreihe vorbehalten, auf der ausschließlich Werke mit Punkrock-Bezug gezeigt werden. Dieser Raum ist nicht nur als Galerie gedacht, sondern soll integrativ agieren und die künstlerischen und kreativwirtschaftlichen Elemente im offenen Dialog mit der Nachbarschaft zusammenbringen. Und natürlich kommt die Kunst nicht zu kurz. Im August war die Künstlerin Chun Lan Hermann aus Taiwan im Neuland-Projektraum zu Gast. Seit vielen Jahren lebt sie in Duisburg und zeigte ihre Skulpturen und Objekte aus Rohr, Metall und Haaren. Den Kontakt stellte der Künstler Christian Gode her. Er führt in direkter Nachbarschaft die adhoc-Galerie in einer ehemaligen Garage. Inzwischen ist Christian im Neuland für die Ausstellungen zuständig. Er betont: „Wir laden Leute ein, von denen wir denken, dass sie zu uns passen. Unsere Ausstellungen sind trotzdem gerne mal eine Art Überraschungsei.“

Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

www.depotdortmund.de www.worldpressphoto.org Veranstalter

Musikförderung

Kunstförderung

Sponsor

Förderer

Wissenschaft

WPP Global Partner

Denkmalschutz

WPP Partner

Jugendsport

Soziales & Bildung

Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung Herdecke

12.09.2021 | Ensemble Nobiles | „Meister von Morgen“ Vokalquintett - Werner Richard Saal 19.09.2021 | 10 Jahre Dr. Carl Dörken Galerie| Ausstellung zum Jubiläum bis 30.01.2022 Das aktuelle Programmheft 2021/2022 steht unter: www.doerken-stiftung.de/infocenter/downloads/programmheft-2020-/-2021 zur Verfügung. Dr. Carl Dörken Galerie der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung | Infos, Tickets & Öffnungszeiten: s. Website

Wetterstraße 60 · 58313 Herdecke · www.doerken-stiftung.de 31


SOZIALES

VdK-Präsidentin Verena Bentele fordert eine Reform des Krankenkassen-Systems Verena Bentele ist seit 2018 Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK. Bentele ist blind von Geburt an. Als Biathletin und Skilangläuferin errang sie zwischen 1995 und 2011 vier Weltmeistertitel und zwölf Paralympics-Goldmedaillen. Die studierte Literaturwissenschaftlerin war von 2014 bis 2018 Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. In ihrem aktuellen Buch denkt sie pointiert, lösungsorientiert und auf nur 136 Seiten den bundesdeutschen Sozialstaat neu. Wir bringen Auszüge aus dem Kapitel „Neue Wege im Gesundheitssystem“. Von Verena Bentele | Foto: Susie Knoll

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ür mich bedeutet ein wirklich gutes Gesundheitssystem, dass jeder die Behandlung erhält, die seinem Bedarf – also der Art und Schwere seiner Erkrankung – entspricht. Nicht die Region oder der Wohnort, nicht Einkommen, Vermögen oder Herkunft dürfen über die medizinische Versorgung entscheiden. Die Realität sieht leider anders aus. Wir haben in Deutschland eine Zwei-, im Prinzip sogar eine Dreiklassenmedizin. Zusätzlich kommt es in unserem Gesundheitssystem zu der paradoxen Situation, dass ein Teil der Menschen unter Überversorgung leidet, weil sie aus Profitgründen zu schnell operiert werden, während andere aus Kostengründen Schmerzmittel statt Physiotherapie verordnet bekommen, und in Regionen, in denen sich kaum noch Fachärzte ansiedeln, die Menschen medizinisch unterversorgt sind. Verena Bentele, Philipp Stielow, Dr. Ines Verspohl Wir denken neu. Damit sich Deutschland nicht weiter spaltet ISBN 978-3-95890-361-6 Europa Verlag | 136 S. | 12 Euro

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Während die meisten Sozialversicherungssysteme vereinfacht so funktionieren: Geld rein – Verteilungsformel – Geld raus, ist unser Gesundheitssystem ein großes schwarzes Loch. Hier lautet die Formel: Geld rein – dann teilen sich Krankenhäu-

ser, Ärzte, Heilmittelerbringer, Pharmaindustrie, Apotheken, Labore und große Verwaltungsapparate das Geld auf – und hinten kommt entweder eine mehrstündige Rücken-OP oder nur eine orthopädische Schuheinlage heraus. Der Weg, den die vielen Milliarden nehmen, ist selbst für Fachleute nicht immer nachvollziehbar. Nur eines ist ganz sicher: Es gibt auf der einen Seite Konzerne, die Milliarden verdienen, und viele Menschen mit unglaublich hohen Gehältern, und auf der anderen Seite gibt es Physiotherapeuten oder Krankenschwestern, die hart arbeiten und mit niedrigen Gehältern oder Honoraren abgespeist werden. Und es gibt die oben angesprochene Über-, Unter- und Fehlversorgung. Wenn man das Gesundheitssystem in Deutschland verbessern will, muss man sich eines klar machen: Armut macht krank, und Krankheit macht arm. Eine der häufigsten Krankheitsursachen sind schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsverhältnisse, Niedriglöhne und Armut. Bereits seit Jahrzehnten belegen empirische Studien, dass sich geringes Vermögen und niedrige Einkommen auf die Gesundheit von Menschen auswirken: „Menschen mit geringer Bildung, niedrigem Einkommen und geringem beruflichen


„Die Zweiklassenmedizin beenden“ Status unterliegen einem zwei- bis dreifach erhöhten Risiko, an Diabetes oder Krebs zu erkranken, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen. Bei ihnen treten diese Krankheiten vergleichsweise früher auf, verlaufen schwerer und ziehen gravierendere Folgen für Alltag und soziale Teilhabe nach sich“, zitiert der Deutschlandfunk den Mediziner Dr. Thomas Lampert vom Robert Koch-Institut, das in regelmäßig durchgeführten Studien den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit erforscht. Eigentlich haben diese Menschen einen höheren Bedarf an ärztlichen Leistungen, jedoch fehlt ihnen das Geld, um nicht verschreibungspflichtige Medikamente sowie zahlreiche Hilfsmittel bezahlen zu können. Oft verlieren sie mit der Zeit den Mut und die Kraft, etwas für ihre Gesundheit zu tun, und sind immer mehr sozial isoliert, was ebenfalls bewiesenermaßen krank macht. Ein wichtiger Schritt also, um die Gesundheit in diesem Land zu verbessern, wäre daher auch, den in den letzten Jahren massiv gewachsenen Niedriglohnsektor zurückzudrängen. Dort arbeiten rund acht Millionen Menschen, die weniger als 12 Euro brutto pro Stunde verdienen – und dies sind Zahlen aus der Zeit vor der Corona-Krise.

Deshalb brauchen wir eine Veränderung des Gesundheitssystems, das die Versorgung für die 90 Prozent Kassenpatienten in Deutschland strukturell nicht schlechter, sondern besser macht. Einer der wichtigsten Schritte wäre, die Teilung in privat und gesetzlich Versicherte und damit die Zweiklassenmedizin in Deutschland zu beenden. Es gibt in Europa kein anderes Land, das ein so streng in eine private und eine gesetzliche Krankenversicherung unterteiltes System hat wie Deutschland. In Holland wurde beispielsweise die private Vollversicherung 2006 abgeschafft. Seitdem müssen sich alle Bürger in einem System mit Solidarausgleich versichern. Dass selbst ein grundsätzlich sehr wirtschaftsliberal aufgestelltes Land wie die Niederlande hier eine grundlegende Veränderung vollzogen hat, zeigt deutlich, dass auch in Deutschland endlich das System der privaten Krankenkassen abgeschafft werden muss. Eine Mehrheit in der Bevölkerung spricht sich seit Jahren in Umfragen für diesen Schritt aus. Ich wünsche mir eine Krankenversicherung, die sich nicht am Profit orientiert, und bin deshalb für einen schnellen, grundlegenden Systemwechsel. Widersprechen muss ich

dem Argument, dass die privaten Krankenversicherungen über ihre Honorare die Leistungen der GKV quasi subventionieren. Private Versicherungen könnten eine eigene flächendeckende Infrastruktur von Krankenhäusern und Arztpraxen mit ihrer relativ kleinen Gruppe von Versicherten nicht finanzieren. Sie profitieren im Gegenteil von den gesetzlich Versicherten, die schon allein aufgrund ihrer großen Zahl, insbesondere in strukturschwachen Regionen, die medizinische Versorgung finanzieren. Für welchen Weg sich die künftig politisch Verantwortlichen entscheiden werden, kann ich nicht voraussagen. Allerdings bin ich mir sicher: Je schneller das Nebeneinander der beiden Systeme beendet wird, desto eher ist die Voraussetzung dafür geschaffen, die Ungleichbehandlung zwischen privaten und gesetzlich Versicherten zu beenden. Auch müssten viele Privatversicherte nicht länger Angst davor haben, dass die Krankenversicherungsbeiträge ihre Altersversorgung auffressen oder dass sie in einer finanziell schwierigen Situation zu Patienten dritter Klasse werden. Es wäre also allen geholfen.

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REPORTAGE

Über Tote reden TrauerrednerInnen in der Ausbildung Ein hölzerner Sarg steht am Fenster. Ein weißes und ein grünes Tuch sind darauf drapiert. Rechts neben dem Sarg ein Schild über den Verstorbenen: „Abschied von Willi Bergmeister. 1. April 1938 bis 13. April 2021.“ Doch niemand liegt im Sarg: Willi Bergmeister hat es nie gegeben. Er soll einer Gruppe angehender Trauerredner helfen zu lernen, wie man über Tote spricht. Von Sophie Schädel | Fotos: Daniel Sadrowski

Felix macht den Anfang. Es läuft „I did it my Way“ von Frank Sinatra. Felix kommt herein, durchschreitet die vermeintliche Trauergemeinde seiner Mitauszubildenden und bleibt dann kurz vor dem Sarg stehen, mit gesenktem Kopf. Dann stellt sich der Mittdreißiger mit ernstem Gesichtsausdruck an das Rednerpult neben dem Sarg, aufrecht und selbstbewusst. Einmal holt er tief Luft, dann beginnt seine Rede. Er erzählt von Willi. Die anderen zehn TeilnehmerInnen des Kurses im Raum kennen die Fakten, denn an den Wochenenden zuvor haben schon einmal einige von ih-

nen ihre Trauerreden über Willi vorgetragen. Doch jede Rede ist individuell. Und jede davon der Versuch, etwas in Worte zu fassen, über das viele kaum sprechen können. Wie spricht man über Sterben, Tod und Trauer? Felix fängt im Gegensatz zu den meisten anderen hier nicht bei Null an, denn er ist Bestattungsmeister und hat schon die ein oder andere Trauerrede selbst gehalten. So richtig gelernt hat er es aber nie, wie er sagt, und ist darum froh, hier üben zu können. Man merkt ihm die Übung an, denn er webt schöne Bilder in seine Rede ein. Sie beginnt mit einem Stern, von dem aus der Verstorbene zu seinen Lieben herunterlacht und sagt: „Du wirst froh sein, mich gekannt zu haben.“

Sind Tote makellos? Was es über Willi zu sagen gibt, haben die Auszubildenden in Einzelgesprächen mit der Mutter und der Tochter von Willi erfahren. Diese Rollen haben die Trauerrednerin und Ausbilderin Beate Schwedler und die Schauspielerin Barbara Müller übernommen. Sie haben darin liebevoll von ihrem Willi erzählt, aber auch so manche Tücke für die angehenden Trauerredner eingebaut: Willi hatte keinen Kontakt mehr zu einer seiner Töchter. Und er hatte einmal eine Affäre, was seine Frau tief verletzt hat.

Beate Schwedler (rechts) ist selbst freie Trauerrednerin und bildet aus. Regisseurin und Coach Barbara Müller gibt Tipps zum Auftritt.

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Wie bindet man solche Themen in die Trauerrede ein? Lässt man sie aus und zeichnet Tote in den schönsten Farben, aber wird dabei ihrer Person und dem Bild, das die Angehörigen von ihr haben, nicht gerecht? Oder spricht man alles aus und nimmt ihnen damit die Möglichkeit, sich bei der Abschiedsfeier an die schönen Erlebnisse mit Willi zu erinnern? Damit ihre Kursteilnehmer mit solchen Fällen in der Praxis umgehen können, hat Beate Schwedler sie in den Fall Willi Bergmeister eingebaut.


Felix lässt die Affäre aus und erzählt stattdessen einige Anekdoten, die manche im Saal schmunzeln lassen. Zum Beispiel, dass Willi Bergmeister im leidenschaftlich gehegten Schrebergarten immer eine Schnur spannte, um die Karotten in einer perfekten Linie einzupflanzen. Am Ende der Rede läuft Willys Lieblingslied: „Biskaya“ von James Last, bei dessen Akkordeonklängen man Willi vor innerem Auge in seinem geliebten Schrebergarten schunkeln sehen kann. Dann bekommt Felix Feedback von den anderen Teilnehmern. Eine von ihnen lobt ihn dafür, den richtigen Ton getroffen zu haben: „Das ist ein Spagat, nicht ganz schwer und nicht zu leicht zu sein.“ Das sieht auch Ausbildungsleiterin Beate Schwedler so: „Deine Rede war sehr respektvoll. Sie war leidenschaftlich, aber du hast auch ein paar Dönekes eingebracht.“

Üben, um den richtigen Ton zu treffen: „Das ist ein Spagat, nicht ganz schwer und nicht zu leicht zu sein.“

Keine Berührungsängste Was ist im Umgang mit dem Tod erlaubt, was ist angemessen? Vor nicht allzu langer Zeit gab noch das Christentum für die überwiegende Mehrheit der Deutschen vor, mit welchen Ritualen der Tod und die Trauer ihren Platz im Leben bekommen. Je weniger Wert die Menschen auf solche Praktiken legen, desto mehr verschwindet der Tod aus dem Alltag, und desto schwerer fällt vielen der Umgang damit. Schwedler selbst hat keine Berührungsängste. Sie arbeitet nicht nur schon lange als freie Trauerrednerin, sondern arbeitet auch im Dortmunder

Hospizdienst Dunkelbunt und kommt dort ständig mit dem Sterben in Kontakt. Als freie Trauerrednerin steht sie den Menschen zur Verfügung, die eine Abschiedsfeier ohne Orgeln, Gebete und Pfarrer wollen. Offenbar ist die Frage, was eine gute Trauerrede ausmacht, eng mit der eigenen Haltung zu Leben und Tod, Trauer und Sterben verknüpft. Anette, eine Teilnehmerin des Kurses, erinnert sich wütend an eine Beerdigung einer Freundin: „Der Pfarrer hat eine Rede

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REPORTAGE

gehalten, die war wie eine Schablone.“ Die Freundin hieß mit vollem Namen Christina, aber alle nannten sie Tina. Der Pfarrer sprach immer von Christina, und Anette fühlte sich, als würde über eine Fremde gesprochen. Sie hätte sich eine persönliche, individuelle Rede gewünscht. „Im Idealfall will ich es in meinen Reden besser machen“, nimmt sie sich vor.

Frauke wagt es, auch die Konf likte zur Tochter anzusprechen, die den Kontakt zu Willi abgebrochen hatte. „Es gibt Wünsche, die unerfüllt, Fragen, die unbeantwortet bleiben“, formuliert sie. Dann erklingt wieder „Biskaya“ und einige Füße im Raum wippen zum Akkordeon.

„Mein Beruf ist schön, und das ist doch gut“

Der Blick auf Verstorbene ist individuell Nach einer kurzen Kaffeepause steht die zweite Rede für diesen Tag an. Frauke ist sichtlich nervös und unzufrieden mit dem, was sie vorbereitet hat. Wieder läuft Frank Sinatras „I did it my Way“, wieder steht vorn der leere Sarg von Willi, der nie lebte und nie starb. Wie Felix vor ihr geht auch Frauke gemessenen Schrittes zum Sarg, verweilt kurz davor und beginnt dann ihre Rede. Sie hat sich für den Anlass schick gemacht, trägt eine sandfarbene Strumpfhose und ein farblich passendes Kleid. Zufällig passt beides perfekt zum hellen Holz von Sarg und Rednerpult. Frauke fährt sich durch ihre kurzen Locken, dann fängt sie an. „Es ist traurig, dich verlassen zu haben, und tröstlich, dich erlöst zu wissen.“ Willi starb qualvoll an Krebs, da nimmt Frauke kein Blatt vor den Mund. An ihrer Rede wird deutlich: Ein Menschenleben – und wenn es nur das des fiktiven Willi ist – ist eine solche Fülle und der Blick von Trauerrednern so individuell, dass über einen Toten hundert verschiedene Reden entstehen könnten.

Als ihre Rede vorbei ist, wischt sich Frauke pantomimisch den Schweiß von der Stirn und ist erleichtert. Ganz zufrieden ist sie aber nicht: Sie hadert mit einigen Versprechern, die sich wegen der Nervosität eingeschlichen haben. Die bühnenerfahrene Barbara Müller beruhigt sie: „Das wird sich mit der Zeit legen.“ Und empfiehlt als Gegenmaßnahme gegen das Lampenfieber: „Ausatmen!“ In den kommenden Wochen werden auch die restlichen Teilnehmer ihre Reden über Willi halten und sich noch viele hilfreiche Tipps von Beate Schwedler einholen. Am Ende können sie selbst Trauerreden halten. Über echte Menschen, die wirklich tot sind, und für echte Trauernde. Beate Schwedler erzählt, dass sich viele Trauernde mit ihren eigenen Gefühlen schwertun. „Einer hat mir mal nach meiner Rede gesagt: Mann, das war jetzt – darf ich das jetzt sagen – richtig schön!“ Solche Situationen machen ihren Job zur Leidenschaft. Auf die Frage, ob man hier von Spaß sprechen kann, sagt sie: „Naja, man muss schon sehen: Wir haben es mit Trauernden zu tun. Aber mein Beruf ist schön, und das ist doch gut.“

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BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Waldfakten, tipptopp Der Katapult-Verlag ist selbst ein Buch wert – und natürlich gibt es das auch schon. „Die Redaktion“ heißt der Roman des Gründers Benjamin Fredrich, der erzählt, wie man mit 20.000 Euro Schulden ausgerechnet in Greifswald einen Verlag gründet, der dann in der wirklichen Welt die Branche auf den Kopf stellt. Auf sein Magazin für „Eis, Kartografik und Sozialwissenschaft“, das ausschließlich mit Karten und Infografiken arbeitet, und anschließende Buchveröffentlichungen folgten Verblüffung, dreiste Plagiate, Solidarität und rasant steigende Abozahlen. Auf der Welle des Erfolgs sorgte der Verlag dann für eine weitere kleine Mediensensation, als er dem rechtslastigen Nordkurier als verbliebener Tageszeitung in der Region den Kampf ansagte und am 1. Juni eine digitale Tageszeitung für Mecklenburg-Vorpommern startete: bunt, laut, mit „ordentlicher politischer Berichterstattung“ und „Tipptopp Statistikjournalismus“.

Arbeitsteilung, global Nach jahrelangem Ringen hat Deutschland nun ein Lieferkettengesetz. Am 25. Juni hat es Bundesrat gebilligt. „Mir fällt ein großer Stein vom Herzen, dieses Gesetz wird Millionen von Kindern und Familien in Entwicklungsländern ein Stück bessere Lebenschancen und Zukunftsperspektiven geben“, lässt sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) zitieren. Aber ist das so? Wie wirksam kann ein nationales Gesetz sein, das Firmen bei Verstößen nicht gegenüber den Betroffenen haftbar macht, sondern mit Sanktionen droht? Und grundlegender: Wie ist die Situation auf den Feldern, in den Minen, den Fabriken und Sweatshops am Beginn der globalen Wertschöpfungskette wirklich, und was braucht es, um sie nachhaltig zu verbessern?

Weil man es in Greifswald auch mit der Weltrettung ernst meint, hat Katapult inzwischen ein eigenes Waldstück, schließlich arbeitet man mit Papier. Weil so etwas in Deutschland gar nicht so einfach ist und weil das gesammelte Waldwissen sich mit der typischen Katapult-KartenZahlen-Grafik-Kreativität hervorragend verträgt, gibt es dieses großartige Buch.

Der Wirtschaftsjournalist und Autor Caspar Dohmen ist ausgewiesener Experte für globale Lieferketten und ihre sozialen wie ökologischen Folgen. Er kennt die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie wie im Kakaoanbau und ebenso die Teppichetagen von Politik und Lobbyismus. Auf nur gut 150 Seiten gelingt es ihm, Orientierung zu vermitteln – und auf die Frage, was es brauchte für eine fairere globale Arbeitsteilung, mit acht klar umrissenen Stichpunkten zu antworten.

Katapult (Hg.) Wie man illegal einen Wald pflanzt ISBN: 978-3-948923-18-1 Katapult | 176 S. | 18 Euro

Caspar Dohmen | Lieferketten. Risiken globaler Arbeitsteilung für Mensch und Natur ISBN: 978-3-8031-3706-7 Wagenbach | 176 S. | 18 Euro

Sprachlos, wortlos Ipek kehrt für ein Wochenende in die Kleinstadt zurück, in der ihre Eltern leben, seit die als „Gastarbeiter“ aus der Türkei nach Deutschland kamen. Die Mutter ist ein paar Tage verreist, und der Familienbesuch wird zum ZweiPersonen-Stück, zu einem Kammerspiel um die verlorene gemeinsame Sprache: Vater und ich. Es ist eine eigentlich durchaus liebevolle Beziehung, die zwischen Vater und Tochter, doch Ipek ist herausgewachsen aus der Welt ihrer Eltern, die hart arbeiteten, um irgendwann zurückzukehren in die Türkei. Ipek erlebt zwar Ausgrenzung und Rassismus und ist doch „von hier“. Als Journalistin lebt sie in der deutschen Sprache; dass sie „richtig“ Türkisch gelernt hat und nicht im elterlichen Dialekt spricht, vergrößert den Graben nur. Tastend nähert sich die Ich-Erzählerin Dilek den Bruchstellen an, den erinnerten peinlichen Situationen, den Kränkungen. Der Riss, den sie beschreibt, ist ein doppelter: einer im Verhältnis zu „Heimat“ – zwischen erster und zweiter Zuwanderergeneration – und einer von „Klasse“, der zwischen Gastarbeiter und deutschtürkischer Akademikerin. Eine prototypische Geschichte, klug, einfühlsam und formbewusst erzählt. Dilek Güngör | Vater und ich ISBN: 978-3-95732-492-4 Verbrecher | 112 S. | 19 Euro

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REPORTAGE

Menü aus dem Müll

Samstagabend, zehn Uhr. In der Dortmunder Nordstadt treffen sich Maya, Frieda und Kim. In zwei Stunden werden die drei Studentinnen wieder hier sein. Dann mit Rucksäcken voller Lebensmittel aus den Mülltonnen der umliegenden Super- und Biomärkte. Wir haben die drei beim Containern begleitet. Text und Fotos: Sebastian Sellhorst

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n unregelmäßigen Abständen treffen sich die drei am Wochenende zu einer abendlichen Runde entlang der Mülltonnen der großen Supermarktketten auf der Suche nach entsorgten, aber noch verwertbaren Lebensmitteln. „Eigentlich sind wir immer samstags unterwegs“, sagt Maya. „Das ist der beste Zeitpunkt zum Containern, weil die Mülltonnen dann am vollsten sind“, erzählt sie, während wir uns mit dem Fahrrad auf den Weg zum ersten Stopp machen, einem Supermarkt im Dortmunder Kaiserstraßenviertel. Als Verbraucher sind wir mittlerweile an volle Regale und frisches Gemüse bis Ladenschluss gewöhnt. Ein Großteil der verderblichen Ware, die am Samstag, dem umsatzstärksten Tag im Lebensmittelhandel, keinen Abnehmer findet, landet im Müll. Eine vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beauftragte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich im Müll landen. Rund die Hälfte davon, bevor sie überhaupt in Privathaushalten angekommen sind.

Im Licht des Bewegungsmelders Die rechtliche Situation beim Containern ist komplex und immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht haben sich schon mit der Frage befasst. Laut Abfallrecht bleibt Müll auf Privatgelände bis zur Abholung Eigentum des Wegwerfers. Regelmäßig kommen also Diebstahl oder gar schwerer Diebstahl in Betracht. Wird beim Containern ein Hindernis überwunden, kommt Hausfriedensbruch hinzu. Dass man nicht nichtsahnend diese möglichen Rechtsverstöße begeht, wird klar, als wir den ersten großen Biomarkt erreichen. Ein Schild warnt vor Videoüberwachung. Ein hoher Holzzaun schützt die beiden großen 1.100-Liter-Müllcontainer vor unbefugtem Zugriff. Ein Bewegungsmelder sorgt für gute Beleuchtung, als sich Maya und Frieda gekonnt über den Zaun

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schwingen. „Erwischt wurden wir bisher zum Glück noch nie. Es kommt schon mal vor, dass ein Anwohner irgendwas aus dem Fenster ruft, wenn er uns sieht. Aber das war es eigentlich auch schon“, erzählt Kim, während sie den beiden anderen leere Jutebeutel anreicht. Die meisten Leute würden sie einfach ignorieren. Im Inneren des Holzverschlags haben Maya und Frieda die beiden großen Mülltonnen geöffnet. Mit einer Taschenlampe versuchen sie, sich einen Überblick zu verschaffen. „Juhu, rote Beete und Spargel“, freuen sie sich über die saisonale Ausbeute. In einem großen, blauen Müllbeutel finden sie eine bunte Auswahl an Brötchen und anderen Backwaren. Alles wird auf Schimmelbefall geprüft, bevor es in einem der Jutebeutel landet. „Gemüse, das nicht mehr perfekt aussieht, landet im Müll. Lebensmittel mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum werden in der Regel auch nicht mehr verkauft. Gemüse, Brot und Joghurts finden wir daher eigentlich immer. Tiefkühlkost eher seltener“, erzählt Maya, während sie Zitronen in „gut“ und „nicht mehr gut“ sortiert. Man müsse den Speiseplan allerdings schon nach den gefundenen Lebensmitteln ausrichten. Sich ein Rezept herauszusuchen und dann Containern zu gehen, das funktioniere nicht. Die Zahl der Initiativen und Onlineportale, die sich mit dem Thema Lebensmittelverschwendung beschäftigen, ist mittlerweile unüberschaubar. Unzählige Internetplattformen versuchen mit verschiedensten Konzepten der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken. Foodsharing.de, ein großes Internetportal, verteilt Lebensmittel, bevor sie entsorgt werden. Die App „Too

good to go“ will Gastronomen die Möglichkeit bieten, Überproduktion zu reduzierten Preisen anzubieten. Die Tafeln sind bei den großen Ketten längst fest in die Kalkulation integriert. Die meisten Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe pflegen Kooperationen mit Lebensmittel-Einzelhändlern oder Bäckereien. Substanziell verringert hat das den Müllberg aus noch verzehrfähigen Lebensmitteln kaum. 2019 hat das Bundeskabinett eine Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung verabschiedet mit dem Ziel, bis 2030 in Deutschland die Menge weggeworfener Lebensmittel pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren. Sie setzt dabei auf Freiwilligkeit und „Dialogforen“. 39


REPORTAGE

Ein voller Kühlschrank Als wir an der nächsten Station die Verladerampe zu den Containern herunterfahren, treffen wir auf eine ältere Dame. Mit einem alten Einkaufs-Trolley und einer Taschenlampe ausgerüstet sortiert sie neben einem Container ihr gefundenes Essen. Schnell wird uns allen klar, hier vertreibt sich niemand die Zeit an einem Samstagabend, hier sucht jemand nach Essen. Nach anfänglicher Verunsicherung auf beiden Seiten kommen wir ins Gespräch. „Möchten Sie Brot“, fragt Maya. „Wir kommen grad vom Biomarkt, da gab es viel.“ Das Angebot nimmt sie gerne an. Dann sitzen wir schnell wieder auf unseren Rädern. „Es kommt immer mal wieder vor, dass man Leute trifft, wenn man Containern ist. Die Vorstellung, dass da jemand im Müll nach Essen sucht, weil er keine andere Möglichkeit hat, schockiert mich aber jedes Mal aufs Neue“, erzählt Maya, während wir vom Parkplatz rollen. „Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir auf die gefundenen Lebensmittel nicht angewiesen sind. Menschen, bei denen wir den Eindruck haben, dass es bei ihnen vielleicht anders ist, denen lassen wir natürlich den Vortritt“, erzählt Frieda, während wir auf dem Weg zur letzten Station des Abends sind. Auch bei der Auswahl der Supermärkte, die sie anfahren, versuchen die drei, niemandem etwas wegzunehmen. „Wir sind fit und können auch mal über einen Zaun klettern. Die gut zugänglichen Container lassen wir daher meist für Leute, die das nicht können, aus.“ In einem kleinen Innenstadtpark halten wir an. „Natürlich ist uns klar, dass Containern nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, aber wir haben Spaß dabei,

retten ein paar Lebensmittel und haben für null Euro etwas im Kühlschrank“, erzählt Kim während sie die gefundenen Lebensmittel auspackt, um sie aufzuteilen. Am Ende ihrer Tour liegen unzählige Brötchen, diverse Joghurts und Smoothies, eine Tüte voller Gemüse und diverse Brotlaibe vor uns. „Wir haben kein professionelles Netzwerk. Aber wenn wir von irgendetwas zu viel haben, teilen wir das natürlich mit unserem Freundes- und Bekanntenkreis“, sagt Maya. Ob wir auch etwas mitnehmen wollen, werden wir gefragt, bevor wir uns verabschieden. Wir sind skeptisch und lehnen dankend ab. Eine Entscheidung, die wir bereuen, als uns später Fotos der zubereiteten Gerichte erreichen.

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Eine Frage, Herr Dr. Rawe:

Wie alt ist Bochum wirklich? Kaum eine Stadt, die nicht bereits ihr Bestehen mit einem großen, runden Jubiläum gefeiert hat. Dieses Jahr ist Bochum an der Reihe. 700 Jahre werden mit vielen unterschiedlichen Veranstaltungen und Aktionen begangen. Aber es ist nicht so, dass vor 700 Jahren auf einer leeren Wiese plötzlich Bochum auftauchte. Doch was ist vor 700 Jahren passiert, und wie alt ist Bochum eigentlich wirklich?

Dr. Kai Rawe, Leiter des Stadtarchivs Bochum

„Wenn wir heute den Begriff ‚Stadt‘ hören, dann kommen uns vielleicht Dinge wie Rathaus, Stadtrat oder Bürgermeister in den Sinn. Diese Dinge haben mit einer Stadt vor 700 Jahren allerdings nicht viel zu tun“, erklärt Dr. Kai Rawe, Leiter des Stadtarchivs Bochum. Auch wird niemand vor 700 Jahren einfach gesagt haben: Wir gründen jetzt eine Stadt. Daher sei es oft sehr schwierig zu sagen, ab wann eine Stadt eine richtige Stadt war, besonders, weil die Quellenlage oft nicht die beste sei. Als Historiker hat Kai Rawe nur die Möglichkeit, rückblickend auf die Stadtgeschichte zu schauen und zu rekonstruieren, wann welche entscheidenden Schritte im Stadtwerdungsprozess gemacht wurden. Und einer dieser Schritte liegt in Bochum nun eben 700 Jahre zurück. Am 8. Juni 1321 nämlich wurden Bochum auf Burg Blankenstein die erweiterten Handlungs-, Selbstbestimmungs- und Marktrech-

te verliehen. Belegt wird das Ganze durch eine Urkunde, die noch heute erhalten im Stadtarchiv archiviert ist. In dieser Urkunde wurden Dinge wie die Kontrolle von Maßeinheiten, das Erbrecht und das Schultheißen geregelt. „Was jetzt vielleicht etwas unspektakulär klingt, war damals ein wichtiger Schritt, damit Bochum weiter wachsen konnte“, so Dr. Rawe.

Oft ist es schwierig zu sagen, ab wann eine Stadt eine richtige Stadt war, besonders, weil die Quellenlage oft nicht die beste ist. Natürlich gebe es auch noch viele andere wichtige Daten, derer man gedenken könnte, zum Beispiel 1461 dem ersten belegbaren Rathaus in Bochum oder dem Wiederaufbau der Stadt 1517 nach einem Großfeuer. „Wir könnten“, sagt der Stadtarchivar mit einem Augenzwinkern, „auch guten Gewissens 6.500 Jahre Jubiläum feiern. So alt sind nämlich archäologische Reste eines jungsteinzeitlichen Langhauses, die in den 1950er Jahren in Bochum-Hiltrop ergraben worden sind und die zu den ältesten Siedlungsspuren in Bochum zählen.“

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REPORTAGE

Ein Haus aus dem Drucker Tim Shea (70) hat nun seine eigenen vier Wände. Das ist gleich zweifach bemerkenswert: Erstens haben diese Wände ihm nach einer langen Zeit der Obdachlosigkeit wohl das Leben gerettet; zweitens stammen sie aus dem 3D-Drucker. Tims Haus mit den produktionsbedingt runden Ecken entstand in 48 Stunden und kostete nur 8.500 Euro. Eine Lösung für die globale Wohnraumkrise? Von Carey L. Biron | Fotos: ICON, Regan Morton Photography

„Es ist einfach phänomenal schön“, sagt Tim Shea, „die Wände geben mir einfach ein Gefühl von Sicherheit“. 46 Quadratmeter Wohnfläche hat das Haus, das Teil einer kleinen Siedlung für ehemals Obdachlose in Austin, Texas, steht. „Die hohen Decken, die großen Fenster und Oberlichter lassen das Haus größer erscheinen, als es von außen aussieht“, ergänzt er. Tim Shea durfte zusehen, wie sein Haus vor Ort von einem großen „Drucker“ erstellt wurde, der von dem in Austin ansässigen Bauträger ICON entwickelt wurde. ICON baute das erste zugelassene 3D-gedruckte Gebäude in den Vereinigten Staaten im Jahr 2018 und ist eine der wenigen 3D-Baufirmen, die sich speziell auf erschwinglichen Wohnraum spezialisiert haben.

Die Anfänge dieser Technologie gehen auf das Jahr 2004 zurück, als ein Professor der Universität in South Carolina versuchte, eine Wand zu drucken. Seitdem ist viel passiert. Die Einsatzbereiche der Technik reichen inzwischen vom medizinischen Sektor bis zum Brückenbau. Im Gegensatz zu anderen Anwendungen des 3D-Drucks wird im Bausektor in der Regel ein schnell trocknender Beton verwendet, der von einem computergesteuerten Extruder präzise aufgetragen wird. Der Ansatz wurde in den vergangenen Jahren für Nischenprojekte wie die erste 3D-gedruckte Brücke der Welt genutzt, die 2016 in Madrid der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Doch laut Marktanalysten steht es nun an der Schwelle zu einer größeren Expansion. Während der globale Markt für 3D-gedruckte Konstruktionen im Jahr 2019 bei 3 Millionen US-Dollar lag, wird er laut einer Studie des Beratungsunternehmens „Research and Markets“ bis 2024 auf mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar anwachsen. Jason Ballard ist Mitbegründer von ICON, für ihn überzeugt vor allem das Handling: Die Häuser können nämlich einfach vom I-Pad oder Smartphone aus gedruckt werden. Die Struktur der Häuser ist dazu auch noch verhältnismäßig energieeffizient und resistent gegen Wetterextreme. „Was uns aber am meisten überzeugt, ist das Versprechen, das mit der Technologie einhergeht, erschwingliche Infrastruktur zu schaffen“, so Ballard. Für die USA könnte er sich „Hunderte oder Tausende dieser Drucker vorstellen, die Obdachlosigkeit und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum beenden.“

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In Mexiko entstehen derweil Häuser aus dem 3D-Drucker für Fischer- und ArbeiterInnen aus Textilfirmen. Vorher hatten viele Anbieter auf einfache Betonhäuser gesetzt, doch man ist interessiert, die Häuser noch schneller und effizienter zu bauen – hier kommt die 3D-Technik ins Spiel. Das Projekt in Mexiko wurde durch Corona verlangsamt, doch schon in wenigen Monaten sollen die ersten Familien einziehen. Tim Sheas Haus steht in einem Wohnpark in Austin, in dem ICON seine ersten gedruckten Häuser baute. Betreut wird das „Community First! Village“ genannte Projekt von der gemeinnützigen Organisation „Mobile Loaves and Fishes“. „Das Dorf wird derzeit erweitert, um etwa 500 Personen ein Zuhause zu bieten“, so die Präsidentin der Organisation, Amber Fogarty, darunter Tiny Houses, Wohnmobile und sechs 3D-gedruckte Häuser. „Was uns angezogen hat, ist das Versprechen dieser Technologie", sagte Fogarty. „Oft wird Innovation nur für Menschen mit Ressourcen verfügbar. Dass dies hier für unsere Bewohner möglich ist, ist also etwas ganz Besonderes.“

„Ein Gefühl von Sicherheit“: Tim Shea (links) hat wieder ein Zuhause. Als es „gedruckt“ wurde, konnte er zusehen.

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RÄTSEL

LESERPOST & MEINUNGEN

bodo 08.21

Spritze und Selfie Es ist schon verrückt. Monatelang haben wir auf den Impfstoff gehofft, dann kam er und war knapp. Impfneid war ein Wort. Nun ist genug da und er funktioniert. Und jetzt gibt es Menschen, die ihr Risiko nur reduzieren wollen, wenn sie sich davor mit einem Fußballpokal fotografieren lassen dürfen. Wie gesagt: Es ist verrückt. Aber richtig vom BVB, das anzubieten. C. W. bodo 07.21

Kraniche für Kniften Ich finde, es ist so eine tolle Initiative Eurer Ehrenamtlichen! Es passt super zu bodo. Die Verkäufer betteln ja auch nicht, sie haben etwas anzubieten. Wenn ich die Arbeit für die Obdachlosen auf der Straße unterstütze, bekomme ich nun etwas Hübsches. Mir gefallen die Kraniche sehr gut! H. E. bodo 08.21

„Die bodo im Büro“ Liebe bodo-Redaktion, immer wieder liest man bei euch über Obdachlose, die wieder ein „normales“ Leben führen. Oft mit eurer Hilfe. Die Geschichte über den Betriebsrat, der früher obdachlos und bei bodo war, war besonders beeindruckend, und ist auch der Anlass, euch zu schreiben. Wenn es auf das Thema kommt, hört man oft: Die sind alle selbst schuld, die saufen nur, die sind halt so. Das heißt dann auch: Die bleiben so. Wahrscheinlich haben es in der langen Zeit, die es bodo gibt, viele Menschen heraus aus dem Elend geschafft, dass ihr ein Buch darüber schreiben könntet. Ich weiß, es gehört auch viel Mut dazu, zu seiner Geschichte zu stehen, aber wäre es nicht toll, eine ganze Sammlung zu haben, die heute vielleicht Familie und Beruf hat wie der Herr aus dem Artikel? Um zu zeigen, dass es jedem passieren kann, und dass man es heraus schaffen kann? Nur als Anregung. Macht weiter mit eurer wichtigen Arbeit! H. W.

AUFLÖSUNG HEFT 08.21

Lieber Herr W.,

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vielen Dank für die schöne Idee! Wir haben in der Tat immer wieder darüber nachgedacht, solche Geschichten zu sammeln. Viele ehemalige bodo-VerkäuferInnen haben nach ihrer Zeit auf der Straße Arbeit gefunden, Schulabschlüsse nachgeholt und Ausbildungen gemacht, haben anderswo neu angefangen: als Koch in München, als Handwerker in den Niederlanden, als ITler im westlichen Ruhrgebiet, als Gastronom am Mittelmeer.


Das Hochhaus an der Kielstraße 26 in Dortmund kennen viele nur als „Horrorhaus“. Vor 50 Jahren errichtet, steht es heute gleichermaßen als Symbol für die lange vernachlässigte Nordstadt wie für die Folgen blinder Immobilienspekulation. Nun wird es abgetragen. Foto: Sebastian Sellhorst

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Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

Genauso wichtig wie diese klassischen Aufstiege sind uns aber die persönlichen Siege: Wir freuen uns über eine große Zahl ehemaliger bodo-VerkäuferInnen, die es geschafft haben, ihre Sucht unter Kontrolle zu bekommen, die ihre psychische Erkrankung in guter Behandlung und im Griff haben oder die den Teufelskreis wiederkehrender Wohnungsverluste durchbrochen haben. Und, ehrlich gesagt, ist uns das sogar wichtiger als die Messbarkeit von Erfolg in der Leistungsgesellschaft. Wir freuen uns mit jedem und jeder, die aus der eigentlich unerträglichen Situation der Wohnungslosigkeit herausgefunden hat und nun sagt: „Mein Leben gefällt mir wieder.“ Da kann der offizielle Stempel auch „langzeitarbeitslos“ oder „frühverrentet“ lauten. Unsere KollegInnen des Schweizer Straßenmagazins „Surprise“ haben vor einigen Jahren ein schönes Buch gemacht (Standort Strasse, C. Merian Verlag). So haben die KollegInnen es selbst beschrieben: „Das Buch liefert keine beschönigten Erfolgsgeschichten, sondern stolze Menschen, die trotz sozialer Not alternative Lebensentwürfe abseits staatlicher Hilfe gefunden haben.“ Und das ist auch der Zugang, der uns für unsere „Verkäufergeschichten“ gefällt. Viele Grüße von bodo, Bastian Pütter

Buchladen Dortmund Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 bis 18 Uhr Sa. 10 bis 14 Uhr Buchladen Bochum Königsallee 12 44789 Bochum Mo. – Fr. 14 bis 18 Uhr Sa. 10 bis 14 Uhr Online stöbern: bodoev.shopnetzwerk.com

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Sechs Jahre am Stück wohnt Franz jetzt in seiner eigenen Wohnung. Ein persönlicher Rekord, auf den er sehr stolz ist. Welche Rolle dabei Kater Amigo spielt und in was für skurrilen Situationen man landen kann, wenn man abends keine Wohnungstür hinter sich schließt, hat er uns beim Brunch erzählt. Text und Fotos: Sebastian Sellhorst

„Tut mir leid, wenn es etwas chaotisch ist, ich renoviere gerade“, sagt Franz, als er uns hereinbittet. Abgesehen von einigen fein säuberlich aufgereihten Farbeimern und einer Leiter lässt aber nichts auf sein Vorhaben schließen. Immer, wenn die Zeit und das Geld es zulassen, versucht er, es sich etwas schöner zu machen, erzählt er uns. Im Wohnzimmer, hinter dem mit bodo-Titeln dekorierten Flur, hat er bereits den Tisch gedeckt, der von Kater Amigo mit Interesse begutachtet wird. So nett wie auf seinen knapp fünfzig Quadratmetern habe er es nicht immer gehabt. „Mindestens genauso lange, wie ich jetzt meine Wohnung habe, hab ich draußen gelebt“, erinnert er sich. „Düsseldorf, Berlin, Frankfurt, Aschaffenburg. Ich bin schon reichlich rumgekommen und hab dabei so manch verrückte Geschichte erlebt.“

Frühstück mit Katze lettenhäuschen verbracht. „Dort hatte ich Wasser, Strom und es war warm. Mehr als einmal sind Pärchen da reingekommen, die sich dort vergnügt haben, während ich eine Kabine weiter geschlafen habe. Oder versucht habe zu schlafen“, erzählt er und lacht. Eine zeitlang habe er am Rande eines kleinen Friedhofs übernachtet. „Eines Morgens kamen früher als sonst üblich Spaziergänger vorbei und waren völlig schockiert, als ich dort an einem kleinen

unten im Haus gratis nutzen. „Ich hab zwar kein Auto, aber dort lagere ich den ganzen Kram, der sich in den letzten Jahren angesammelt hat. Auch ein Luxus, den die meisten Menschen gar nicht zu schätzen wissen: Dinge besitzen und auch behalten können, auch wenn es nur Kleinigkeiten wie Fotos oder Erinnerungen sind. Wenn du aus dem Rucksack lebst, dann ist für sowas einfach kein Platz. Oder es ist irgendwann einfach weg.“

Brunnen stand und mir die Zähne putzte.“ Und das seien nur einige der vielen Geschichten aus seiner Zeit auf der Straße.

Am Anfang sei es schwierig gewesen, sich auf das neue Leben einzulassen. Abends habe er oft nichts mit sich anzufangen gewusst. Die größte Hilfe dabei: Kater Amigo. „Da ist jemand, der sich freut, wenn du nach Hause kommst und der auch was von dir will, um den du dich kümmern musst“, erzählt Franz, während er Amigo ein Leckerchen zusteckt. „Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum für viele Leute von der Straße Tiere so eine große Rolle spielen.“ Und es steht Zuwachs ins Haus. Bald soll eine zweite Katze einziehen. „Damit Amigo nicht so alleine ist, wenn ich beim Verkaufen bin.“

Lange habe Franz mit Bekannten am Rheinufer gewohnt. „Wir hatten uns da eine richtig kleine Zeltstadt aufgebaut und uns wirklich Mühe gegeben, damit wir keinen Ärger bekommen. Das ging so weit, dass abends regelmäßig die Wasserschutzpolizei vorbei kam, aber nur um zu fragen, ob bei uns alles okay ist“, erinnert er sich. Einen Winter habe er alleine in einem Toi-

Nach so vielen Jahren auf der Straße sei der Schritt zurück in die eigenen vier Wände nicht einfach gewesen. „Ich weiß noch, als ich das erste Mal hier rein kam und mir die Wohnung anschaute. Alles war noch relativ baufällig, und ich war erst skeptisch, ob das etwas für mich ist“, erinnert er sich. Es war etwas für ihn. Mittlerweile kümmert sich Franz nicht nur um seine eigene Wohnung, sondern übernimmt auch Hausmeistertätigkeiten im ganzen Haus und befreit die dazugehörigen Parkplätze von Unkraut. Dafür kann er die Garage

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Anzeige Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Westliches Westfalen e.V.

Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Es gibt Menschen, die haben zwei linke Hände. Armin Laschet muss drei haben. Jedenfalls stellt er sich so an, wenn es um existenzielle Bedrohungen geht. Neulich nach den Fluten, reiste er ins Katastrophengebiet. Dort verspricht er, eine Woche nach dem Unglück, endlich schnelle Hilfe, naja, so etwas ähnliches: „Die Formulare müssen ganz simpel sein. Und sie sollen noch in dieser Woche fertig sein.“ Der Volksmund kennt das: „Von der Wiege bis zur Bahre - Formulare, Formulare!“ Bei der Bundestagswahl 2017 musste man Christian Lindner noch wählen, um ihn hier in NRW loszuwerden. Das ist bei Laschet anders. Er geht auch nach Berlin, wenn er nicht gewählt wird. Im Kleinen ist Politik anders wundersam. Vor vier Jahren moderierte ich eine Wahlrunde. Was gegen Altersarmut helfe, fragte ich. Antwort der CDU-Vertreterin und ihres FDP-Kollegen: Einfach in Immobilien investieren, das sei eine sichere Methode - wahrscheinlich sogar eine todsichere. Bis Du mit dem, was dir vom Mindestlohn bleibt, auch nur eine Gartenlaube erspart hast, dürfte der Tod dich längst ereilt haben. Für die Kandidatin der Linken entrollte ich ein Seidenbild von Karl Marx, made in China. Sie glotzte ratlos und fragte, wer dieMartin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

ser Zausel sei. Ich, sprachlos, erinnerte mich an ihre Biografie: Sie sei seit 2010 „Medium für Jesus von Nazareth und Lady Rowena“. Da bleibt kein Platz für den Gottvater der Linken mit seinen dicken Büchern.

„Pandemiekosten - Wer zahlt?“ (2.9.21, 17 Uhr) mit dem AWO UB Dortmund/Projekt Zukunft mit Herz https://youtu.be/OtiVLCEW9lM „Verlorene Jugend durch Corona?“ (9.9.21, 17 Uhr) mit dem AWO UB Hagen-Märkischer Kreis https://youtu.be/IM5CQnp3IYQ „Gute OGS – aber wie?“ (21.9.21, 17 Uhr) mit dem AWO UB Münsterland-Recklinghausen https://youtu.be/J_pcd1dzyPU

Jetzt, 2021, kommt die AWO mit erkenntniserweiternden Angeboten. Noch dreimal im September lädt sie Bürger*innen ein, über ihre Erfahrungen in bestimmten sozialen Bereichen zu diskutieren. Erst danach dürfen die Kandidierenden der großen Parteien sich dazu äußern. Zwischendurch noch ich, einmal nicht zurückhaltend moderierend, sondern satirisch zuspitzend. Das Ganze kann man online verfolgen. Dafür gibt es links die QR-Codes.

Unterbezirk Dortmund

Unterbezirk Ruhr-Mitte

Unterbezirk Ruhr-Lippe-Ems

Klosterstraße 8-10 • 44135 Dortmund 0231 - 99 340

Bleichstraße 8 • 44787 Bochum 0234 - 96 47 70

Unnaer Straße 29a • 59174 Kamen 02307 - 91 22 10 47


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Hin und weg

So 19.09.2021 JazzNights – Michael Wollny solo

Do 23.09.2021 Warsaw Village Band Polka mit einem Schuss Techno

So 26.09.2021 Pop Abo – William Fitzsimmons

Sa 09.10.2021 The Queen’s Cartoonists Musik aus CartoonKlassikern und modernen Animationsfilmen

Di 02.11.2021 Force & Freedom: Beethoven-Performance Kuss Quartett & Nico and the Navigators

Do 04.11.2021 Aynur Kurdische Volksmusik neu interpretiert

So klingt nur Dortmund. Tickets unter konzerthaus-dortmund.de 48

Do 30.09.2021 Stegreif.orchester – Beethoven 9 plus Beethoven trifft ›Bella Ciao‹


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