BIORAMA #70

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E lt e r na l ltag

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Pandemieterrorverarbeitungsstrategien Text Ursel Nendzig

Es klingt nicht nur so, sondern ist tatsächlich ein langer, grässlicher Rattenschwanz. Warum ein Achtjähriger mir in der Bewältigung desselben um Nasenlängen voraus ist.

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn.

illustrat ion Nana Mandl

D

er Sohn meiner Freundin E. ist mein neues Idol. Mittendrin in dieser chaotischen Zeit, bestehend aus Unsicherheit, Pandemie, Terror, Angst, schulfrei und zu allem Überfluss noch Novemund welche Bestimmung ist stärker als ber, hat er mich so sehr auf die richtige Spur gebracht die andere? Wer bestimmt das überwie keiner der zwölf Trillionen schlauer Artikel und haupt und warum ist heute was erlaubt, Ratschläge, die ich mir reingezogen habe. Das kam was gestern verboten war? Warum konnso: E. und ich, wir leben beide in Wien, telefonierte nicht einmal alles bleiben, wie er es ten und tauschten uns darüber aus, wie wir den Tag gewohnt war? Dieses letzte Spitzerl des nach dem Terroranschlag gehandelt haben, an dem langen Rattenschwanzes, die eine Panes unseren (wie allen Wiener) Kindern freistand, demie gepaart mit einem Terroranschlag zur Schule zu gehen. Meine Söhne – der kleine nach sich zog, war es, das ihn schließlich Volksschüler, der große Gymnasiast – blieben an überforderte. dem Tag zu Hause, weniger aus Angst vor den Meine Freundin tröstete ihn, selbst etsich vielleicht noch auf der Flucht befindenwas ratlos, aber egal, denn der Kleine wussden TäterInnen. Eher aus Angst vor den Mitte sich ohnehin zu helfen: Er würde darüber schülerInnen des großen Sohnes, die, das Hanjetzt in sein Tagebuch schreiben, verkündete dyverbot an der Schule dezent übergehend, er. Wischte die Tränen fort, nahm Buch und sicher das eine oder andere verstörende Video verachtenswerter »Nachrichten«-Plattformen parat haben » Warum kleine und große Leute würden. A., der Sohn von E., ging jedenfalls zur Schule, was für ihn einander brauchen. Nicht nur, auch völlig in Ordnung war. weil die großen auf die kleinen Dort verwirrte ihn dann aber eines: Der Turnsaal, der eigentlich aufpassen und ihnen sagen, was wegen Corona gesperrt war, war zu tun ist.« an diesem Tag offen und die Kinder durften sich darin frei beweStift zur Hand und fühlte sich augenblicklich besser. gen. Die LehrerInnen, die in die Schule Mich rührte diese Geschichte sehr. Erstens, weil kamen, beaufsichtigten dort die Kinder, der kleine, unschuldige A. sich aus diesem ganzen die in die Schule kamen, und weil alles Chaos eigenmächtig herausgezogen hat. Und zweitens, irgendwie spontan organisiert werden weil mir dadurch wieder einmal klar geworden ist, wamusste und niemand so genau wussrum kleine und große Leute einander brauchen. Nicht te, wurde eben der Turnsaal geöffnet. nur, weil die großen auf die kleinen aufpassen und ihnen Der Kleine begegnete dieser Veränsagen, was zu tun ist. Die großen mögen für die kleinen derung im ersten Moment mit Fasdie Gesamtheit im Überblick haben, sie abwägen, bewersung, bis er nachmittags zuhause ten, in Relation setzen. Die kleinen zeigen aber den grodann aber doch darüber zusammenßen, was jetzt zu tun ist, wenn der ganze Zusammenhang brach und bitterlich weinte. Es verzu überwältigend wird, es am besten ist, sich auf den einen, wirrte ihn einfach zu sehr. Wieso kleinen nächsten Schritt zu konzentrieren. ist jetzt die eine Regel außer Kraft


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