Für alle Cowgirls und Cowboys

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Für alle Cowgirls und Cowboys „I have a dream”, hat Martin Luther King in die Welt posaunt. Menschen haben Träume! Doch nur manche erfüllen sich auch ihre Träume. Sie heiraten Traumfrauen! Sie bauen (Luft-) Schlösser oder haben drei Wünsche frei, bei einer Fee - oder beim Teufel! Manche Träume und Wünsche schleppt man von Kindesbeinen an mit sich herum – und so komme ich zu meinen. „ Ich wünsche mir schon immer …“, aber der Reihe nach. Nach intensiver langwieriger Überzeugungsarbeit finden meine Frau Astrid und ich einen aufgeschlossenen Bauern für unseren Traum. Wir berechnen die Kosten- und Zeitersparnis, wir appellieren an sein Umweltbewusstsein und an die Tierliebe. Wir bringen ihm unsere Variante des „traditionellen Almauftriebs“ so nahe, dass er nicht mehr ablehnen kann und sich anstecken lässt von unserem Enthusiasmus. Wir dürfen eine dreißigköpfige Herde Blondvieh an Wiese und Wald entlang, an Gärten und Hauseinfahrten vorbei, quer über die Landstraße, durch zwei Bäche hindurch, auf eine riesige Almweide treiben, wo die Blonden den Sommer über ihre Freiheit ausleben können. Na ja, klingt nach einem Haufen Arbeit, Schweiß und Lauferei wenn, ja, wenn da nicht unsere Pferde wären. Zu zweit eine Rinderherde mit Pferden in Schach zu halten, das ist mein Traum, mein Kinderwunsch, mein persönlicher „Brokeback Mountain“. Sobald die Herde unserer Pferde ansichtig wurde, schwelte wildes Brüllen und Muhen über die Wiese auf und ab, denn sie wussten, was jetzt kommen würde. Sie stürzten mit hocherhobenen Schwänzen auf uns zu, buckelten und schlugen aus, hüpften herum wie junge Ziegen. Der Tumult und die Aufregung über das bevorstehende Ereignis übertrugen sich auf uns und unsere Araber. Das Abenteuer konnte beginnen, sobald der Bauer den letzten Zaundraht an seiner Weide durchgeschnitten hatte. Die ersten Tiere stürzten sich in die saftige Mähwiese außerhalb des Zauns. Jetzt kam Bewegung in unsere Araber. Pfeilschnell, als hätten sie nur darauf gewartet, schossen sie durch das hohe Gras, stoppten vor den behornten, breiten Schädeln der Rinder und drängten die hungrigen, störrischen und unwilligen Rindviecher mit Körpereinsatz auf dem schmalen Wiesenweg zusammen. Dann setzte sich Astrid mit Sharif an die Spitze des Zuges und ich hielt von hinten mit Samson die Ausreißer in Schach, so gut ich konnte. Wichtig war die Herde in Trab zu halten.


An der ersten Bachfurt jedoch stoppten die Tiere plötzlich und beäugten das fließende, glitzernde Unbekannte vor ihren Beinen. Ob die erste Kuh einen „Renner“ bekam oder sich selbst ein Herz nahm und lossprang, konnte ich von hinten nicht ausmachen. Sie folgten Astrids Sharif bei Fuß. Hinter einem kleinen Stall neben dem sich eine Nachbarin verschanzt hatte, und wild fuchtelnd die Blondinen von ihrem Garten fernhalten wollte, teilte sich die Herde wie ein Strom flüssiger Lava an einem festen Hindernis. Ein Teil pflügte unaufhaltsam durch den Acker und die bauchhohe Wiese, der andere Teil beschloss umzukehren und zur Heimatweide durch zu brechen. Sharif schoss in weitem Bogen um die Spitze und lenkte die Ausreißer in ein Waldstück. Derweilen verbarrikadierte mein Samson die Furt mit biblischer Gelassenheit und zwängte die Kühe wieder in die richtige Richtung. War das ein Spaß und eine Freude auf diesen Pferden zu sitzen. Als wir die Herde wieder in Schwung gebracht hatten, trottete sie brav auf den Waldwegen zur nächsten Ortschaft. Entlang der Gartenzwergwohnlandschaft, ohne einem Zwerg auch nur ein Haar zu krümmen, auf der Landstraße, an einer galoppierenden Kuhherde vorbei, die sich uns offensichtlich anschließen wollte, über frisch eingesäte Baulote kamen wir unserem Ziel schnell näher, nicht wissend, dass uns die größte Mutprobe noch bevorstand. Gut vorbereitet - wie wir dachten - hatten wir am Vortag einen Teil des Zauns der Sommerweide entfernt und die letzte Teilstrecke durch ein Waldstück vorgesehen. Doch die Blonden dachten anders und stellten kurzerhand unsere Streckenplanung auf den Kopf. Sie entschieden sich für die kürzere Route zum eigentlichen Tor. Es war unmöglich eine galoppierende, ausreißende Herde Urlaubsfreudiger so knapp vor dem Ziel umzudrehen, so setzte sich Samson an die Spitze und bremste die Tiere ein. Krampfhaft überlegte ich, wie ich die Herde stoppen, vom Pferd springen, den Karabiner öffnen, die Kette ausfädeln und das Tor zur Weide aufstoßen konnte. Unmögliches möglich zu machen, ein Wunder herbeisehnend, stellte ich Samson auf der Straße quer zur Herde, im Herabspringen bat ich ihn „Steh!“, sprintete zum Tor -ohne mich umzusehen- und nestelte an der Torkette herum. Als ich endlich das Tor aufstieß und mich umdrehte, stand „Er“ mit am Boden hängenden Zügel vor der brüllenden Herde bewegungslos aber nicht unbewegt, gefrorene Energie, zu Stein erstarrter Vulkanit. Er versperrte dreißig schnaufenden, wild mit ihren Glocken um sich schlagenden Rindern den Weg in die unbegrenzte Freiheit, allein durch seine Ausstrahlung, seine Persönlichkeit, seine Überlegenheit und Coolness.


Die Rinder bogen gemächlich in die Weide ein und verstreuten sich grasend in der Landschaft. Ich war baff, überwältigt, hingerissen und fühlte mich geehrt mit diesem Partner zusammen meinen Traum erfüllt zu haben. (Und wer weiß, vielleicht war es ja auch seiner.) Das Glücksgefühl, die Anerkennung von Samsons Stärke und ein tiefes Drücken in der Brust atmete ich ein und nahm es mit auf unseren langen Heimritt. PS: Wir haben keinen Urlaub, keine Ferien und wenig Freizeit, aber wir erleben Abenteuer, wie sie die meisten Menschen nur im Kino sehen, in Büchern lesen oder in ihren Träumen „wahr“ machen können. Vielleicht wäre es auch des Bauern Traum gewesen, seine Tiere würden in Zweierreihen hinter seinem Traktor zur Weide schreiten, aber das hätte nichts mit meinem Traum zu tun gehabt, - dem Blondvieh sei Dank!


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