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GASTKOLUMNE

Stellungnahme

Die neu aufgestellte Regierung wird Kompromisse eingehen müssen, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden

GAST KOLUMNE

Marie-Christine Kließ: „Die französische Gesellschaft ist tief gespalten.“

MARIE-CHRISTINE KLIESS. Politik in Europa Wahlen in Frankreich

In Frankreich haben am 10. und 24. April die Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Emmanuel Macron wurde mit 58,5 Prozent der abgegebenen Stimmen in seinem Amt bestätigt.

Dabei haben sich 28,1 Prozent der Wähler enthalten. Dies bedeutet, dass ca. 58 Prozent aller Wahlberechtigten nicht für Macron gestimmt haben und er somit gegenüber 2017 erheblich an Stimmen verloren hat. Die zweite 5-jährige Amtsperiode beginnt am 13. Mai, nachdem der französische Verfassungsrat das Wahlergebnis in den Tagen nach der Wahl offiziell bekanntgegeben hat. Der Sieg Macrons lässt in Europa viele aufatmen, denn die Gefahr des Populismus scheint in Frankreich vorerst gebannt. Europapolitisch will Macron sein Programm fortsetzen, das er seit Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft verfolgt. Den Ausbau einer gemeinsamen Verteidigung in Europa, besonders vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine, sieht er als eine sehr wichtige Aufgabe. Innenpolitisch dürfte es für ihn wegen der gegenüber 2017 schwächer ausgefallenen Stichwahl schwierig werden, seine geplante Renten- und Schulreform umzusetzen. Vermutlich werden daher Politiker aus dem linken und rechten Lager in seinem Kabinett vertreten sein. Eine Klärung diesbezüglich werden die Ergebnisse der am 5. und 19. Juni stattfindenden Parlamentswahlen bringen. Doch wie wird eigentlich in Frankreich gewählt? Dazu möchten wir die beiden Wahlsysteme für die Präsidenten- und Parlamentswahl näher betrachten. Das praktizierte Wahlsystem zur Wahl des Präsidenten ist ein Mehrheitswahlsystem. Um als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen zugelassen zu werden, muss dieser älter als 18 Jahre alt sein. Bis zu einem festgelegten Datum vor der Wahl muss er 500 Unterstützungsschreiben von Mandatsträgern aus mindestens 30 verschiedenen Departements sammeln. Erhält er diese nicht, wird seine Kandidatur hinfällig. Auf diese Weise sollen Spaßkandidaten abgeschreckt und Lokalkandidaten ferngehalten werden. Es soll auch sichergestellt werden, dass nur Kandidaten von nationaler Bedeutung zur Wahl antreten. Die Liste der Kandidaten muss spätestens 15 Tage vor dem ersten Wahlgang durch den Verfassungsrat, der auch die Gültigkeit der Kandidatur und die Rechtmäßigkeit der Wahl überwacht, veröffentlicht werden. Im ersten Wahlgang werden dann die beiden Kandidaten mit der höchsten

Stimmenanzahl für die anschließend im zweiten Wahlgang stattfindende Stichwahl ermittelt. Sollte ein Kandidat bereits im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten haben, gilt er als gewählt und die Stichwahl entfällt. Seit 1965 gab es bei allen Präsidentenwahlen immer einen zweiten Wahlgang. Nachdem der Präsident gewählt ist, löst dieser die bisherige Regierung auf und es finden neue Wahlen für das französische Unterhaus, die Nationalversammlung, welche 577 Sitze umfasst, statt. Anders als in Deutschland werden Exekutive und Legislative getrennt voneinander gewählt. Dadurch ist dem Präsidenten im Gegensatz zum Bundeskanzler keine parlamentarische Mehrheit garantiert. Um die Wahrscheinlichkeit für ein Ergebnis zu erhöhen, welches günstig für den Präsidenten ist, wird die Parlamentswahl daher traditionell kurz nach dessen Wahl angesetzt. Die neu gewählte Nationalversammlung ist Teil der Legislative, die aus Oberund Unterhaus besteht. Ähnlich wie der Bundestag in Deutschland ist sie die einflussreichere Kammer des Zweikammersystems. Das Oberhaus, der Senat, hat dagegen eher eine beratende Funktion. Wie auch die Präsidentenwahl findet die Parlamentswahl in zwei Wahlgängen statt, allerdings nur dann, wenn es in der ersten Runde keiner Partei gelungen ist, im jeweiligen Wahlkreis eine absolute Mehrheit zu erreichen. Im zweiten Wahlgang treten dann jene Kandidaten an, die in der ersten Runde mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erhalten haben. Für die Bildung einer Fraktion werden 15 Abgeordnete benötigt. Vor der Parlamentswahl finden daher Sondierungsgespräche zwischen den Splitterparteien und den großen Parteien der gleichen politischen Richtung statt, um so die Bildung von Mehrheiten in den Wahlbezirken zu erleichtern. Von den Ergebnissen der Parlamentswahlen wird es abhängen, ob Macron seine Reformvorhaben verwirklichen kann. Die französische Gesellschaft ist tief gespalten. Macron wird daher, wie er es bereits klugerweise angekündigt hat, mit seiner nach den Parlamentswahlen neu aufgestellten Regierung Kompromisse eingehen müssen, um den soMarie-Christine Kließ zialen Frieden nicht zu gefährden. wurde bereits zum zweiten Mal als Mandatsträgerin in beratender Funktion für die Franzosen in Norddeutschland gewählt. Ausgezeichnet ist sie mit der französischen Wir wünschen der neuen französischen Regierung viel Glück zum Wohle aller Franzosen und dass unsere sehr wichtige deutschfranzösische Freundschaft sich auf Regierungsebene in Form einer hervorraEhrenlegion und dem Ordre genden Zusammenarbeit weiter vertieft als National du Mérite. wichtigster Motor für Europas Zukunft. Marie-Christine Kließ