Forum 171/2022 – Das Magazin der IPPNW

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ippnwforum Atomwaffenverbot – wie geht es weiter? Die erste Staatenkonferenz in Wien - Papier: Frieden für die Ukraine - Laufzeitverlängerung revisited - 6 Fragen an Gerhard Trabert IPPNW/HallXantheFoto: das magazin der ippnw nr171 sept2022 3,50€ internationale ärzt*innen für die verhütung des atomkrieges – ärzt*innen in sozialer verantwortung

Geldinstitut,IBANE-MailPlz,StraßeNameOrt BIC Datum, Unterschrift DeutscheIPPNW 10967KörtestraßeSektion10Berlin Ich ermächtige die IPPNW widerruflich, den von mir zu entrichtenden Betrag in Höhe von _____ EUR ab dem _______ zu Lasten meines Kontos monatlich vierteljährlich halbjährlich jährlich einzuziehen.8166693030FAXoderkontakt@ippnw.deAn: Bitte ver wenden Sie dafür ab sofort unsere neue Bankverbindung bei der GLS-Bank: IBAN: DE 23 4306 0967 1159 3251 01 BIC: GENODEM1GLS Sie können Ihren Mitgliedsbeitrag auch unkompliziert per Lastschrift zahlen. Indem Sie uns ein SEPALastschriftmandat erteilen, wird ihr Mitgliedsbeitrag automatisch von Ihrem Konto eingezogen. Sie zahlen Ihren Mitgliedsbeitrag per Überweisung oder Dauerauftrag? Gläubiger-Identifikationsnummer der IPPNW e.V. : DE16IPP00000010836

Im August wurden neue Studien von Klimaforscher*innen zu den Auswirkungen eines Atomkrieges auf die Welternährung veröffentlicht. Die IPPNW hat ein eigenes Paper zu sammengestellt, in dem sie verdeutlicht, dass jeder als klein bezeichnete Atomwaffen einsatz fatale globale Folgen hätte (S. 28 f.).

Der Titel zeigt eine Aktion für das Atomwaffenverbot vor der deutschen Botschaft in Wien. Eine interessante Lektüre wünscht – Ihr Daniel Becker

Mit diesem kraftvollen Satz endete das erste Treffen der Vertragsparteien zum Atom waffenverbotsvertrag in Wien, das Ende Juni 2022 stattfand. Nachdem der Vertrag im Januar 2021 in Kraft getreten war, verhandelten die 66 Vertragsstaaten in Wien die konkrete Umsetzung des noch jungen Vertrages. Die Ausgestaltung der Opferhilfe, die Beitrittsmodalitäten für Atomwaffenstaaten und das Gewinnen neuer Unterzeichner staaten standen hierbei im Fokus.

W ir werden nicht ruhen, bis der letzte Staat dem Vertrag beigetreten, der letzte Atomsprengkopf entschärft und zerstört ist und Atomwaffen von der Erde getilgt sind.

Im Anschluss an die Wiener Konferenz fand im August endlich auch die pandemie bedingt mehrmals verschobene Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (Atomwaffensperrvertrag) statt. Xanthe Hall kommentiert die Verhandlungen, auch wenn die Ergebnisse zum Zeitpunkt unserer Druckabgabe noch nicht vorlagen (S. 26 f.).

Auch zwölf Mitglieder der IPPNW Deutschland reisten nach Wien: Sigrid Klose-Schle sier aus Hamburg hat die deutsche IPPNW-Delegationsreise mitorganisiert und berich tet aus erster Hand von den Verhandlungen und von der eintätigen Konferenz zu den humanitären Folgen von Atomwaffen (S. 22). Ruth Rohde stellt den 50 Punkte umfas senden Aktionsplan der Konferenz in Wien vor, der die konkreten Schritte zur weiteren Implementierung und Universalisierung des Vertrages enthält. Die Vertragsstaaten ma chen es sich in dem Aktionsplan zur Aufgabe, nicht nur Opferhilfe und Forschung zu Atomwaffen zu fördern, sondern auch neue Staaten von dem Vertrag zu überzeugen (S. Kido25).Sueichi (Japan) und Danity Laukon (Marshallinseln) sind zwei der Atomwaffenbe troffenen, die auf der Konferenz das Wort ergriffen. Danity Laukon berichtet über zuneh mende Gesundheitsfolgen im Pazifik – fast 70 Jahre nach Castle Bravo, dem größten der zahlreichen US-Atomtests auf den Pazifikinseln. Kido Sueichi hat als Fünfjähriger die Bombardierung Nagasakis überlebt und beschreibt den Kampf der Überlebenden gegen Atomwaffen (S. 23 f.).

3 EDITORIAL Daniel Becker Vorstandsmitgliedist der deutschen IPPNW.

4 Neues WaffenstillstandPapier: & Frieden für die Ukraine 08 Israel-Palästina: 2.0BY-NCCC/ShawE.JonathanFoto:Foto:HelmutJäger Medizin & Gewissen: Das ganz große IsraelBegegnungsreise:GesundheitswesenSchiff/Palästina Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine 8 Israel-Palästina: Wir weigern uns, Feinde zu sein 10 Bollwerk des Westens: das Strategische Konzept der NATO 12 Das ganz große Schiff Gesundheitswesen 14 Laufzeitverlängerung revisited! 16 Büchel-Proteste: Dringender denn je 18 Die erste Staatenkonferenz in Wien 20 Wir werden nicht ruhen, bis der letzte Staat beigetreten ist! 22 Hibakusha sprechen 23 Wie weiter mit dem Atomwaffenverbot? 25 Von Wien nach New York 26 Nuclear Famine: Die Jahre ohne Sommer 28 Die Zusammengehörigkeit stärken 30 Editorial 3 Meinung 5 Nachrichten 6 Aktion 31 Gelesen, Gesehen 32 Gedruckt, Geplant, Termine 33 Gefragt: Prof. Gerhard Trabert 34 Impressum/Bildnachweis 33 INHALT SCHWERPUNKTTHEMENWELTRUBRIKEN102414 2.0BY-NDCC/UkraineUNDPFoto:

Das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ostukraine ist mit sei nen sechs Reaktorblöcken und einer Kapazität von 5.700 Me gawatt das größte Europas und befindet sich seit Anfang März 2022 unter Kontrolle des russischen Militärs. Die Ukraine be schuldigt die russischen Truppen, das AKW als Festung zu nut zen, um von dort auf die am anderen Ufer des Dnipro-Stausees liegenden Kleinstädte Nikopol und Marhanez zu schießen. Die Ukraine hat das Kraftwerksgelände nach eigenen Angaben mit Kampfdrohnen angegriffen – ungeachtet der Gefahren, die das für die Bevölkerung und die umgebenden Länder bedeutet.

5 MEINUNG Die Situation am von Russland be setzten Atomkraftwerk Saporischschja ist brandgefährlich. Das A KW wurde mehrfach beschossen, wofür sich Russland und die Ukraine gegen seitig verantwortlich machen.

Im Völkerrecht gibt es bisher keine klaren Regeln über Abstandsund Sicherheitszonen um Atomkraftwerke. Die internationale Ge meinschaft muss anlässlich des Ukrainekrieges diese Lücke im Völkerrecht füllen. Die Bundesregierung und die EU sowie der NATO-Russland-Rat müssen im Auftrag des UN-Sicherheitsrates und gemeinsam mit den verantwortlichen Expert*innen der IAEO die Lage entschärfen. Dazu bedarf es gleichzeitig eines Waffen stillstandes, um alle Kriegshandlungen in der Ukraine zu unter binden.

I n einer internationalen Petition, die die IPPNW mit initiiert hat, werden alle Regierungen, die an der Überprüfungs konferenz des Atomwaffensperrvertrags in New York teil nehmen, aufgefordert, sich für ein Verbot jeglicher Kampf handlungen in der Nähe von Atomreaktoren einzusetzen. Die Zone solle entmilitarisiert und durch eine „Sicherheitszone“ von mindestens 30 Kilometern geschützt werden. Die Hindernisse für einen sofortigen Zutritt der Internationalen Atomenergieorga nisation zum Atomkraftwerk Saporischschja müssen beseitigt Kriegwerden.in einem Land mit laufenden Atomreaktoren ist ein Novum und ein Tabubruch. Mit jedem Tag, den der Ukraine-Krieg an dauert, steigt rein statistisch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer nuklearen Katastrophe kommt. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte, jegliche Angriffe auf Atomkraftwerke seien „selbstmörderisch“.

Mit einem dreitägigen Kongress unter dem Motto „Ärztliche Verantwortung für eine Welt in Frieden“ hat die IPPNW in Landsberg am Lech ihr 40-jähriges Jubilä um gefeiert. Der Kongress verabschiedete ein Memorandum, in dem das Ende der nuklearen Geiselhaft und der rechtsver bindliche Verzicht Russlands und der USA auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen ge fordert wird. „Unsere ärztlich begründete Warnung vor dem nuklearen Wettrüsten der Atommächte und vor einem Atomkrieg in Europa ist real. Das hat das schwedi sche Friedensforschungsinstitut SIPRI am 13. Juni 2022 bestätigt. Alle neun Atom mächte stocken ihr nukleares Arsenal auf“, heißt es in dem Memorandum. Wenn Russland und die USA der Weltöffentlich keit rechtsverbindlich erklären würden, dass sie einen Ersteinsatz von Atomwaffen ablehnen, könnten alle neun Atommäch te dieser Erklärung schrittweise beitreten.

D as israelische Militär hat Mitte August die Büros von sieben palästinensi schen Nichtregierungsorganisationen versiegelt, die sich unter anderem für Menschenrechte sowie Kinderschutz ein setzen. Bei einer morgendlichen Opera tion schweißten israelische Soldaten die Türen zu den Büros der palästinensischen Organisationen zu und hinterließen Schil der, die sie für geschlossen erklärten. Sol daten beschlagnahmten aus einigen Büros zudem Materialien.

6 CorpsMarineU.S. NACHRICHTEN

In dem Erlass des Verteidigungsministeri ums werden die Gruppen beschuldigt, sie seien der „Arm der Volksfront für die Be freiung Palästinas“. Bis heute wurden kei ne Beweise für diese Vorwürfe vorgelegt.

Zwei der betroffenen Menschenrechts gruppen – Al-Haq und Addameer – sind langjährige Kontaktorganisationen der deutschen IPPNW im Rahmen von Begeg nungsreisen nach Palästina und Israel. Al Haq ist eine wichtige Menschenrechtsor ganisation, die Menschenrechtsverletzun gen und Völkerrechtsbrüche dokumentiert und Opfern Beistand gewährt. Die Organi sation „Addameer“ setzt sich für die Rech te von tausenden von Palästinenser*innen ein und leistet Rechtsbeistand für jene, die sich – zum Teil jahrelang ohne Anklage oder in Administrativhaft – in israelischen und palästinensischen Gefängnissen be finden.

Friedensinitiativen – darunter die IPPNW – forderten am 15. August 2022, das ein gefrorene afghanische Staatsvermögen (sieben Milliarden US-Dollar in den USA und drei Milliarden in Europa) sofort frei zugeben und den gesamten Kriegseinsatz aufzuarbeiten. Die am 8. Juli 2022 einge setzte Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte En gagement Deutschlands“ solle unter an derem die völkerrechtlichen Verstöße der militärischen Interventionen in Afghanis tan und in benachbarten Staaten aufklä ren. Zudem seien die von deutscher Sei te verfolgten Ziele, deren Begründungen und die dahinter liegenden Interessen zu klären. Schließlich sei die Frage zu beant worten, ob die Aussage des Bundesvertei digungsministeriums „es ging um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte… Zwei Jahrzehnte kämpfte die NATO für die Zu kunft des Landes“ tatsächlich haltbar sei.

Israelisches Militär versiegelt Büros palästinensischer NGOs Friedensbewegung mahnt Hilfen für Menschen in Afghanistan an 40 Jahre: Landsberger Kongress verabschiedet Memorandum

Bei einer Kundgebung vor dem Landsber ger Rathaus warnten die Teilnehmer*in nen vor der neuerdings rapide größer werdenden Gefahr einer nuklearen Eska lation. Der IPPNW-Vorsitzende Dr. Lars Pohlmeier kritisierte, dass die Bundes regierung den Atomwaffenverbotsvertrag bisher nicht unterzeichnet hat. Das Landsberger Memorandum finden Sie unter: ippnw.de/bit/memorandum

Das wäre aus Sicht der IPPNW der erste Schritt der Atomwaffenstaaten zu einem Beitritt zum UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen und ein Zeichen für Entspan nung und Frieden.

Ein Jahr nach der Evakuierungsoperation des Auswärtigen Amtes vom Au gust 2021 aus Afghanistan, ist die Situati on in dem Land katastrophal. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, rund 23 Millionen Menschen, können sich nicht mehr allein ernähren und neun Millionen erleben aku ten Hunger. Mit einem Bruttosozialprodukt von 469 US-Dollar pro Kopf im Jahr 2021 gehört das Land nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Erde. Die Flücht lingszahlen haben sich zwischen 2015 und 2021 auf 2,8 Millionen verdoppelt. Die Sicherheitslage bleibt besorgniserregend.

Der israelische Verteidigungsminister Ben ny Gantz hatte im Oktober 2021 sechs pa lästinensische Menschenrechtsgruppen zu „terroristischen Organisationen“ erklärt.

GFDL/Kogo

F ast zwei Jahre nach Beginn des TigrayKonflikts in Äthiopien fehlt es Millionen Menschen an Nahrung. Die UN warnt vor einer Zuspitzung im Herbst. Mittlerweile leidet fast die Hälfte der Bevölkerung in der Region an Nahrungsmangel. 50 Pro zent der schwangeren oder stillenden Frauen sind unterernährt, ebenso wie ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren, was zu Mangelernährung und Müttersterb lichkeit führt. Das geht aus einem Bericht des Welternährungsprogramms hervor.

Nationale Sicherheitsstrategie:

Das sei in der Tat ein Spagat, räumte Baer bock ein. Die Drohungen Russlands, auch Atomwaffen einsetzen zu können, stellten „eine neue Realität“ dar. Ziel der Bundes regierung bleibe eine atomwaffenfreie Welt. Aber solange es Atomwaffen gebe, müsse auch die atomare Abschreckung Teil der Strategie sein. Eine einseitige Abrüstung mache verwundbar. Chancen und Grenzen dieses Formates zeigten sich darin, dass zwar Fragen gestellt werden dürfen, aber keine Nachfragen erlaubt waren.

Anders als ursprünglich vom Außenmini sterium geplant, wird vorab kein Entwurf veröffentlicht, sondern die fertige Strate gie vorgelegt. Fraglich ist, ob und wie die die Bundesregierung auf die 2017 verab schiedeten Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ Bezug nimmt und welchen Stellenwert der „Strategische Kompass“ der EU und das neue strategische Konzept der NATO ein nehmen werden.

7 2.0BY-NC-NDCC/MagnusonSita(2021)2.0BY-SACC/NRWGrünen90/DieBündnis NACHRICHTEN

So sollen die deutschen Kampfjets bei spielsweise Manöver mit der Singapur Airforce abhalten. Singapur liegt nahe an der Konfliktregion. Hier sollen die Bun deswehr-Maschinen zwischenlanden, be vor es weiter in Richtung Australien geht. Auch Kurzbesuche der Luftstreitkräfte in Südkorea und in Japan sind geplant. „Deutschland signalisiert seine Bereit schaft zum militärischen Engagement in der geopolitisch vielleicht schon heute wichtigsten Weltregion. Im vergangenen Jahr kam eine deutsche Fregatte, jetzt sind Kampfflugzeuge dran“, schreibt die FAZ. Wie es in solchen Fällen üblich sei, nenne die Bundeswehr keinen potentiel len Gegner oder kein Szenario, um das es gehen soll. „Aber natürlich ist klar, worauf sich die deutschen Partner in Asien vor bereiten: auf eine mögliche Auseinander setzung mit China“, so Nikolas Busse von der FAZ.

Aufmerksamkeit Hungerkatastrophefehlt:in Äthiopien: Deutsche Luftwaffe startet Manöver im Pazifik Während der Konflikt zwischen China und Taiwan weiter brodelt, starteten Mitte August 2022 mehrere BundeswehrEurofighter aus Bayern zu einer Militärübung in den Pazifik. An der Operation „Rapid Pacific“ nehmen sechs Bundes wehr-Eurofighter teil. Begleitet werden die Kampfjets bei ihrer Mission von drei Tankflugzeugen sowie vier BundeswehrTransportflugzeugen. Insgesamt sind etwa 250 Soldat*innen der Luftwaffe an dem Einsatz beteiligt. Die Besatzungen werden im August und September an den multi nationalen Übungen „Pitch Black“ (Luft kampf) und „Kakadu“ (Seekriegsführung) der australischen Streitkräfte teilnehmen.

Wenig Beteiligung der Öffentlichkeit D ie Bundesregierung hat angekündigt, bis spätestens Anfang 2023 die erste „nationale Sicherheitsstrategie“ vorzulegen. Im März 2022 gab Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei einer Auftaktver anstaltung im Auswärtigen Amt den Start schuss für einen „inklusiven Prozess“ mit der Öffentlichkeit. In Bürgerdialogen in mehreren Städten durften zufällig ausge wählte Teilnehmer*innen Fragen zur Sicher heits- und Friedenspolitik stellen. Wie ist die NATO-Strategie der atomaren Abschre ckung mit dem Atomwaffensperrvertrag vereinbar?“, wollte der IPPNW-Vorsitzende Dr. Lars Pohlmeier bei einer Veranstaltung in Bremen von der Außenministerin wissen.

Obwohl die Hilfslieferungen wieder aufge nommen wurden, nachdem die Regierung im März 2022 einen einseitigen Waffen stillstand erklärt hatte, seien die Unter ernährungsraten „in die Höhe geschnellt“, so die HoffnungenUN. auf baldige Friedensgespräche zwischen der Regierung von Premiermini ster Abiy Ahmed und der „Volksbefreiungs front von Tigray“ schwinden derzeit. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, nicht an den Verhandlungstisch kommen zu wollen. Die äthiopische Regierung sagte Anfang August, sie wolle Gespräche „ohne Vorbedingungen“. Die Gegenseite forderte unterdessen, dass zuerst die Versorgung der Zivilbevölkerung wiederhergestellt werden müsse. Die Kämpfe in der Region haben bislang Millionen von Menschen vertrieben und Tausende von Zivilist*in nen getötet. Der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus äußerte die Sorge, dass die mangelnde Aufmerksam keit für die Not in Äthiopien auch auf Ras sismus zurückzuführen sei: „Vielleicht ist der Grund die Hautfarbe der Menschen.“

35 Prozent der Bevölkerung gehören demnach dem sogenannten „Friedenslager“ an. Sie möchten den Krieg so schnell wie mög

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Ähnliche Schritte sieht auch der Vorschlag einer internationalen Arbeitsgruppe im Vatikan vor: Einen Abbruch der Kampfhand lungen, Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Der Status der Krim soll nach einem Zeitraum von mehreren Jahren friedlich ausgehandelt werden und die Volksrepubliken Donezk und Luhansk sollen Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten.

Im Mai 2022 legte der italienische Außenminister Luigi di Maio dem UN-Generalsekretär António Guterres einen Friedensplan in vier Schritten vor. Dieser sieht vor, die UN, die EU und die OSZE in die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine ein zubinden. Unter der Aufsicht einer internationalen Vermittlungs gruppe solle ein vierstufiger Plan umgesetzt werden: Waffenstill stand, Neutralität der Ukraine, Lösung territorialer Fragen und ein europäischer und internationaler Sicherheitspakt. In jeder Etappe solle geprüft werden, ob sich die Parteien an ihre Verpflichtun gen halten, damit der nächste Schritt eingeleitet werden kann.

it einer Sammlung von Vorschlägen und möglichen diplomatischen Schritten, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden, macht die IPPNW auf Alternativen zu Waffenlieferun gen aufmerksam. Der Krieg, der seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands in der Ukraine herrscht, verursacht Leid, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, kommen mehr Menschen ums Leben, werden körperlich verletzt oder psychisch traumatisiert. Das Risiko eines Atomkrieges und einer Ausweitung des Krieges nehmen zu. Daher soll nach Ansicht der IPPNW der Fokus von der militäri schen Lösung auf eine Verhandlungslösung gerichtet werden. Die Ideensammlung beinhaltet verschiedene Konzepte auf bilateraler, multilateraler, wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebe ne. Das Papier soll einen Beitrag zu einer konsequenten Suche nach friedlichen Mitteln zur Konflikttransformation leisten. Der Text wird fortlaufend aktualisiert und ergänzt. I nitiativen für eine Verhandlungslösung sind der Zehn-PunktePlan von Istanbul sowie der Friedensplan Italiens. Im Rahmen der russisch-ukrainischen Gespräche vom 29. März 2022 in Istan bul legte die ukrainische Delegation einen schriftlichen Vorschlag für ein Sicherheitsgarantieabkommen vor. Medienberichten zu folge sei man in den Verhandlungen „nahe an eine (...) Einigung über Sicherheitsgarantien“ gekommen. Die Ukraine akzeptierte in dem Vorschlag politische Neutralität. Im Gegenzug forderte sie eine völkerrechtliche Garantie zur Umsetzung des blockfrei en und atomwaffenfreien Status. Als mögliche Garantiestaaten wurden Russland, Großbritannien, China, USA, Frankreich, Tür kei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen und Israel genannt.

Den Fokus von der militärischen Lösung auf eine Verhandlungslösung richten

Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine

Schrittweise soll die Einstellung der Sanktionen mit dem Rückzug des russischen Militärs verknüpft werden.

Die IPPNW plädiert für einen Verhandlungsfrieden und Interes sensausgleich statt des Versuchs, ohne Rücksicht auf zivile Op fer einen militärischen Sieg zu erringen. Auch der Mehrheit der europäischen Bürger*innen ist es laut einer Umfrage des Euro pean Council on Foreign Relations vom 22. Juni 2022 wichtiger, eine „friedliche Lösung“ zu finden, als eine „gerechte Lösung“.

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FRIEDEN

U m Verhandlungen und Diplomatie voranzubringen, schlägt die IPPNW den Einsatz von Mediator*innen, z. B. durch den UN-Generalsekretär, durch blockfreie Staaten oder den Papst vor. Eine zentrale Forderung der IPPNW zur Verhinderung einer ato maren Eskalation ist zudem eine Verzichtserklärung seitens der USA und Russlands auf den Ersteinsatz von Atomwaffen, um das Risiko eines Atomkrieges zu minimieren. Die Bundesregierung solle in einem ersten Schritt auf die Modernisierung und in einem nächsten Schritt auf die Stationierung der US-Atomwaffen ver zichten Ein weiterer Schritt könnte ein genereller Verzicht auf die Stationierung von US-Atomwaffen auf dem Territorium der NATOLänder sein.

Sie finden das vollständige IPPNW-Papier unter: ippnw.de/bit/waffenstillstand

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produkten aus ukrainischen Häfen ebnet. Mit der Vereinbarung ist es auch Russland trotz Sanktionen erlaubt, Getreide und Dün gemittel auszuführen. Guterres bezeichnete das Abkommen vom 22. Juli 2022 als einen „Hoffnungsschimmer“ und eine „kollek tive Errungenschaft“ des neu gegründeten gemeinsamen Koor dinierungszentrums, das unter der Schirmherrschaft der UN in Istanbul eingerichtet wurde. Auch Wolodymyr Selenskyj sieht in der Umsetzung des Getreideabkommens ein positives Signal. Es ist ein diplomatischer Erfolg, an den angeknüpft werden könnte.

2.0BY-NDCC/UkraineUNDPFoto:„Auch wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag, ist jetzt der Zeitpunkt, sich über die Schritte zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa Gedanken zu machen.“ (Friedensgutachte n 2022 )

lich beendet sehen, auch wenn die Ukraine dafür Zugeständnisse machen muss. Das „Gerechtigkeitslager“ mit 25 Prozent der Men schen hingegen verlange, dass Russland bestraft werden müsse, selbst wenn das zu einem langwierigen Konflikt und noch mehr menschlichem Leid führt. Mit Ausnahme von Polen ist das „Frie denslager“ in allen Ländern größer als das „Gerechtigkeitslager“. Gestützt wird die Forderung nach Verhandlungen auch von Frie densforscher*innen. Die vier führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute empfehlen in ihrem Friedensgutach ten 2022, Russland zu einer Verhandlungslösung zu bewegen: „Anstatt auf eine militärische Niederlage Russlands zu setzen oder gar den Sturz des Putin-Regimes zu propagieren, sollte Russland mittels Sanktionen und militärischer Unterstützung der Ukraine zu einer diplomatischen Bearbeitung des Konflikts be wegt werden.“ Das Ziel solle gleichzeitig sein, „diplomatische Aus wege aus dem Krieg aufzuzeigen, so dass sich die russische Füh rung zu Verhandlungen bereitfindet.“ Und selbst „wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag“, sei bereits heute für die Zeit nach dem Krieg zu planen und Strategien zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung zu entwickeln, so das Friedensgutachten 2022.

Die gefährliche Zuspitzung der Lage im Territorium um das rus sisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja zeigt die Dringlich keit, dass alle Konfliktparteien sich jetzt an den Verhandlungs tisch setzen müssen.

D ass Absprachen mit Russland möglich sind, zeigen die Ver handlungen über Getreideexporte aus der Ukraine. Nach einer langen Blockade der ukrainischen Häfen haben sich die Ukraine und Russland im Juli 2022 unter Vermittlung der Tür kei und der UN auf ein Abkommen geeinigt, das den Weg zur Freigabe von dringend benötigtem Getreide und anderen Agrar

Angelika ist Referentin für Frieden der deut schen IPPNW.

Als ärztlich geprägte Friedensorganisation will die IPPNW Konflik te und Krisen präventiv und zivil bearbeiten und so, wenn mög lich, Gewaltanwendungen und Schlimmeres verhindern. Diesen Ansatz will die IPPNW möglichst vielen Medizinstudierenden nahe bringen. Deswegen unterstützt sie diese besonders, wenn sie sich für das Mitreisen entscheiden. Die Reisen bedeuten für Studierende eine erhebliche materielle Anstrengung, weswegen die IPPNW sie durch einen Zuschuss fördert. Die IPPNW hofft, dass die Erfahrungen und Erkenntnisse einen Wert für die Zu kunft haben. SAHOUR

„THE CITADEL FOR CULTURE, EDUCATION & INFORMATION“, BEIT

reisenden als erkenntnisbringend, aber auch in der Massierung der Informationen als anstrengend bezeichnet wurde.

2022 S

Reiseziel: Modelle der Konflikttransformation vor Ort kennenlernen Nach zwei Jahren Aussetzen wegen strenger Corona-Auflagen unternahm eine IPPNW-Gruppe zwischen dem 29. Mai und dem 10. Juni 2022 erneut eine politische Studien- und Begegnungs reise in die Westbank, nach Ost-Jerusalem und Israel. Es geht darum, die Konfliktlagen annähernd zu verstehen und sachliche Kompetenz zu erwerben. Deswegen führen Mitglieder und Freun dinnen der IPPNW seit Jahren politische Studien- und Begeg nungsreisen in Länder mit politischen und menschenrechtlichen Konflikten durch. Diese Reise hatte ein volles Programm mit ganz unterschiedlichen Kontakten zu Menschenrechtsorganisationen und politischen Gesprächspartner*innen und vermittelte direkte Eindrücke der Kultur und des Alltags in Palästina. Das sollte auch das Nächtigen und Essen bei und mit palästinensischen Gastge ber*innen gewähren. Ein sehr volles Programm, das von den Mit

10 JägerHelmutFoto:

Israel-Palästina-Reise vom 29. Mai bis 10. Juni

IPPNW fördert Erkenntnisse zum Nahostkonflikt

chon bei der Anreise wird die IPPNW-Reisegruppe mit der israelisch-palästinensischen Konfliktsituation kon frontiert. Es ist der Jerusalem-Tag 2022, der Tag im Jahr, an dem vor allem zionistische Siedler*innen und Nationalist*innen die Eroberung Ostjerusalems im Sechs-TageKrieg begehen und mit einem Marsch durch das Damaskus-Tor in die Altstadt ihre Freude und ihre Ansprüche demonstrieren. Das Gebiet um das Tor ist weitläufig abgesperrt. Unser Hotel ist nur wenige hundert Meter vom Tor entfernt, aber der Bus kann uns nicht bis vor die Tür bringen. Also geht es zu Fuß durch die von Militär gesicherten Absperrungen. Jedes Mal muss erneut geklärt werden, dass eine deutsche Tourist*innengruppe durchgelassen werden möchte. Und dazu die Warnung, Abstand zur Demonstra tion mit ihrem blau-weißen Fahnenmeer zu halten. „Der Fahnen marsch beunruhigt uns und wir nehmen eine angespannte ag gressive Stimmung wahr,“ kommentiert eine Mitreisende. So eilen wir betroffen zum Hotel. Am Tag darauf, beim geführten Besuch in der Altstadt und aus den Medien, erfahren wir vom teilweise aggressiven Vorgehen der Demonstrant*innen.

Die IPPNW beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem (mangels Alternativen so genannten) Nahostkonflikt. Ein Thesenpapier der IPPNW Deutschland erkennt in ihm einen Schlüsselkonflikt der Region (s. IPPNW-Forum 160). Es unterstreicht, dass die IPPNW sich am Völkerrecht und den universellen Menschenrechten ori entiert. Wenn es um eine politische Positionierung oder gar Inter vention der IPPNW gehe, sollte zu gerechten und nachhaltigen Lösungen der Konflikte im Sinne der betroffenen Bevölkerungen beigetragen werden.

„Wir weigern uns, Feinde zu sein“

U nter den Mitreisenden zweifelte niemand daran, dass der Konflikt hochkomplex sei. An ihm sind verschiedene und in sich heterogene Konfliktparteien beteiligt: die israelische Regie rung und das israelische Militär, die palästinensische Autonomie behörde, die Hamas-Regierung in Gaza, die israelische Siedlerbe wegung, die israelische und die palästinensische Zivilgesellschaft sowie die jüdische und palästinensische Diaspora. Benachbarte sowie am Konflikt direkt oder indirekt beteiligte Staaten haben wesentlichen Einfluss auf die Konfliktdynamiken und tragen durch ihre Eigeninteressen mitunter zur Aufrechterhaltung des Konfliktes bei.

Denn im Mai 2021 teilte die Israelische Regierung der EU mit, AlHaq und weitere NGOs würden EU-Gelder zur Finanzierung der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) verwenden, einer mili tanten Organisation, die auf der Terrorismus-Liste der EU geführt wird. Beweise dafür gibt es nicht. Trotz internationaler Proteste, auch von der IPPNW, gegen die Gängelung der Menschenrechts organisationen erging im Oktober 2021 sogar eine militärische Or der, die neben Al-Haq Organisationen wie Addameer, Defence for Children International-Palestine, das Bisan Center for Research and Development, die Union of Palestinian Women’s Committees and die Union of Agricultural Work Committees als „terroristisch“ einstufte. Ende Juni hat die EU-Kommission zumindest den Men schenrechtsorganisationen AL-Haq und dem Palästinensischen Zentrum für Menschenrechte (PCHR) schriftlich mitgeteilt, dass die Aussetzung europäischer Fördergelder nach 13 Monaten ohne Auflagen beendet wird. Das Europäische Amt für Betrugs bekämpfung, mit der schönen Abkürzung OLAF, hat nunmehr er klärt, dass es nach Prüfung der Bücher der Organisationen für die von israelischer Seite erhobenen Vorwürfe keinerlei Belege gäbe. (Anm. der Redaktion: Kurz vor Druck dieses Heftes erreichte uns die Nachricht, dass das israelische Militär die Büros von Al-Haq und Addammeer in Ramallah durchsucht und geschlossen hat!)

Zum Schluss erwischte die Reisegruppe eine andere Realität. Denn Mitreisende mussten aufgrund von Corona-Infektionen in Isolation und Begegnungen mit Akteur*innen vor Ort wollten die se lieber übers Internet führen. Das konnte aber unterm Strich den Wert der Reise nicht schmälern.

Dr. Israel/Palästina.ReisegruppeSteffenJens-PeterwarimJuni2022mitderIPPNW-in FRIEDEN AN DER MAUER IN OSTJERUSALEM

Den Reisebericht finden Sie ab Anfang Oktober unter: ippnw.de/ bit /reise22

11 Vorsicht und Rücksicht Bei der Vorbereitung der Reise wurde öfters die Frage nach der Sicherheit gestellt. Da ist es sehr beruhigend, dass die IPPNW ein Reisevorbereitungsteam hat, das die Region, das Land und viele der politischen Kontakte dort seit Jahren gut kennt und in der Lage ist, potentielle Gefahren mit Hilfe der Kontakte vor Ort sicher einzuschätzen. Denn fraglos bestimmt politische Gewalt die Region. Laut einem Bericht des lokalen UN-Menschenrechts büros ist die Anzahl von Terroropfern im ersten Halbjahr 2022 stark angestiegen. Von Januar bis Juni dieses Jahres stieg die Zahl auf 60 getötete Palästinenser*innen, verglichen mit 41 in den ersten sechs Monaten in 2021. Die UN erwähnt ebenfalls, dass palästinensische Terroristen zwischen März und Mai des Jahres 18 Israelis auf souveränem Gebiet von Israel getötet hätten. Die UN kritisiert diese übermäßige Gewaltanwendung aller Beteiligten als im Gegensatz zu internationalen Gesetzen stehend. Tod von Shireen Abu Akleh Wer sich auf eine solche Reise in die Region vorbereitet, weiß aus den Medien um die Erschießung der Al Jazeera-Jornalistin Shireen Abu Akleh am 11. Mai 2022. Ihr international untersuchter Tod und die Frage, ob das tödliche Geschoss aus einer Militärwaffe oder von palästinensischer Seite abgefeuert wurde, hat ihr Bild in die Ahnenliste des palästinensischen Widerstandes katapultiert. In vielen Städten und Dörfern, von vielen Wänden schaute sie auf uns herab. Von einem Vertreter der Menschenrechtsorganisation Al-Haq erfuhren wir, dass er selbst an den Post-Mortem-Unter suchungen der Journalistin beteiligt war. Zahlreiche große Medien und auch das UN-OCHR haben nach Sichtung von Videomaterial und Zeugenaussagen festgestellt, dass eine Tötung durch israeli sche Soldaten, die sich in der Nähe befanden, wahrscheinlich sei.

Menschenrechtsvergehen aller Seiten Herausgegriffen seien die Treffen mit den Menschen- und Völker rechts-Jurist*innen von Al Haq und Addameer Anfang Juni als für die Gruppe sicherlich besonders aufschlussreich. Beide infor mierten uns aus erster Hand über die erschwerten Bedingungen der Arbeit der Dokumentation und Verteidigung von Menschen rechtsverletzungen an Palästinenser*innen und die Schwierig keiten oder sogar die strukturelle Unmöglichkeit, vor der in den besetzten Gebieten zuständigen israelischen militärischen Ge richtsbarkeit für Palästinenser*innen ihr Recht zu erstreiten. Seit 13 Monaten müssen beide Organisationen dabei ohne die über viele Jahre gewährte europäische Finanzierung auskommen.

Schließlich seien die „strategischen nukle aren Kräfte des Bündnisses“ der USA, mit Abstrichen aber auch die Großbritanniens und Frankreichs, „der oberste Garant für die Sicherheit des Bündnisses.“ Und aus diesem Grund wird unmissverständlich an der Nuklearen Teilhabe festgehalten: „Die nationalen Beiträge an Flugzeugen mit dualer Einsatzfähigkeit für den NATOAuftrag der nuklearen Abschreckung blei ben bei dieser Anstrengung von zentraler Bedeutung.“ Ferner wird auf der einen Seite beklagt, die „Russische Föderation modernisiert ihre nuklearen Kräfte“. Ge flissentlich unter den Tisch fällt, dass auch die USA derzeit die in Europa lagernden Atomwaffen auf den Typ B61-12 „moder nisieren“ und sie damit treffsicherer und durchschlagsfähiger – kurz: gefährlicher –Diesemachen.NATO-Schieflage hat durchaus Me

thode: „Die Volksrepublik China erweitert ihre Kernwaffenbestände rapide und ent wickelt immer fortschrittlichere Träger systeme, ohne dabei die Transparenz zu erhöhen oder sich in gutem Glauben auf Rüstungskontrolle und Risikominderung einzulassen.“ Auch hier wird natürlich mit keinem Wort erwähnt, dass die USA ihr strategisches Nuklearwaffenarsenal derzeit mit denselben Zielen wie die tak tischen in Europa lagernden Waffen „mo dernisieren“ – und zwar für eine Summe von über 630 Milliarden Dollar in den kommen Jahren. Es spricht einiges für die Annahme, dass der Ausbau des chinesi schen Atomwaffenarsenals eine Reaktion auf diese US-Maßnahmen darstellt, da an sonsten Pekings Zweitschlagfähigkeit zu nehmend in Frage stehen würde. Weiter werde die NATO dafür Sorge tragen, den von China ausgehenden „systemischen Herausforderungen“ zu begegnen. Was da runter genau zu verstehen ist, bleibt aller dings vage. Lediglich an einer Stelle wird das Konzept etwas konkreter: „Wir werden für unsere gemeinsamen Werte und die Bollwerk des Westens

FRIEDEN

Die NATO ruft mit ihrem Strategischen Konzept endgültig die globale Großkonkurrenz aus

12 E s lässt sich wohl mit Fug und Recht sagen, dass die NATO mit der Verabschiedung ihres neuen Strategischen Konzeptes auf dem Madrider Gipfeltreffen Ende Juni 2022 endgültig die „Ära der Konkurrenz großer Mächte“ (Ursula v.d. Leyen) ausgerufen hat. Das nun verabschiedete Strategische Konzept stellt den vorläufigen Höhepunkt sich bereits seit längerem abzeichnender Entwicklungen dar. Seit Jahren wird immer eindringlicher vor der Gefahr gewarnt, dass es zu einem Krieg zwischen den Groß mächten, der NATO auf der einen und Russland und/oder China auf der anderen Seite kommen könnte – nach der Lektüre des neuen NATO-Konzeptes sollte allen klar sein, dass es sich hierbei keineswegs um Panikmache handelt. Beunruhigend ist dabei vor allem die vorgenommene regio nale wie funktionale Entgrenzung der be sagten Großmachtkonkurrenz. Konkrete Kriegsvorbereitungen … Jahrelang bestimmten Fragen, wie Militär einsätze gegen kleine oder allenfalls mitt lere Gegner gewonnen werden können, die Planungen der NATO – dies ist schon länger nicht mehr der Fall, wie nun auch im wichtigsten Dokument der Allianz be stätigt wird: „Wir werden einzeln und kol lektiv das volle Spektrum an Streitkräften, Fähigkeiten, Plänen, Ressourcen, Mitteln und Infrastruktur liefern, das zur Abschre ckung und Verteidigung benötigt wird, und zwar auch für hochintensive dimensions übergreifende Kriegsführung gegen gleich wertige Wettbewerber, die Kernwaffen be Abseitssitzen.“

der zwar nüchternen, aber überaus besorgniserregenden Feststellung, dass sich die NATO nun auf Großmachtkriege vorbereitet, ist hier vor allem der Plural „interessant“, der nahelegt, dass in dieser Passage nicht nur Russland, sondern auch China gemeint ist. Gleichzeitig betont das Konzept den Anspruch, gegenüber diesen

Gegnern eine militärische Überlegenheit zu erlangen, indem in neue Technologien investiert wird: „Aufstrebende und disrup tive Technologien bergen sowohl Chan cen als auch Risiken. Sie verändern das Wesen von Konflikten, gewinnen größere strategische Bedeutung und werden zu maßgeblichen Schauplätzen des weltwei ten Wettbewerbs. Der [sic!] technologische Vorherrschaft bestimmt zunehmend den Erfolg auf dem Schlachtfeld.“ T rotz seiner begrenzten Eigenmittel dient in diesem Zusammenhang vor allem das Sicherheits- und Investitionspro gramm (NATO Security Investment Pro gramme, NSIP), dessen Budget, bei einem deutschen Anteil von rund 16,3 Prozent, im Zuge des NATO-Gipfels deutlich erhöht wurde, so die Wirtschaftswoche: „Den An gaben zufolge soll der zivile und der mili tärische Haushalt von 2023 an jährlich um je 10 Prozent erhöht werden, der für das Sicherheits- und Investitionsprogramm NSIP sogar um 25 Prozent. Für die Pe riode von 2023-30 würden nach NATOBerechnungen dann knapp 45 Milliarden Euro zur Verfügung stehen..“ Die Sicherstellung technologischer Überle genheit ist aber vor allem Sache der Einzel staaten und erfordert von ihnen erhebliche Investitionen, woran auch das NATO-Kon zept erinnert. Pünktlich kurz vor Gipfelbe ginn hatte die NATO neue Zahlen zu den Militärausgaben ihrer Mitgliedsstaaten ver öffentlicht, die von 895 Mrd. Dollar (2015) auf 1190 Mrd. Dollar (2022) deutlich ge stiegen sind. Zum Vergleich, die aktuelle Military Balance weist für China Militäraus gaben von 207 Mrd. Dollar (2021) und für Russland von 62 Mrd. Dollar (2021) aus. … gegen China Unmissverständlich wird im Konzept zu dem betont, dass nukleare Abrüstung zwar wünschenswert wäre, an sie aber auf absehbare Zeit nicht zu denken sei.

13 regelbasierte internationale Ordnung ein schließlich der Freiheit der Schifffahrt ein treten.“ Hier geht es um überaus brisante Gebietsstreitigkeiten insbesondere im Süd chinesischen Meer, wo China auf eine Reihe von Inseln und damit faktisch auch auf die Durchfahrtsrechte in der Region Anspruch erhebt. Der Westen lehnt diese Ansprüche unter Verweis auf das Seerechtsüberein kommen ab und verleiht seiner Rechtsauf fassung durch immer häufigere Manöver zur Freiheit der Schifffahrt (Freedom of Navigation Operations, FONOPs) Nach druck. Diese FONOPS sind hochriskant, die Gefahr von Zusammenstößen und da raus resultierenden Eskalationsspiralen ist erheblich. Schon vor einiger Zeit warnte die Stiftung Wissenschaft und Politik: „Solche Fahrten bergen allerdings immer die Gefahr einer Gegenreaktion und können Anlass für Zwischenfälle auf See und in der Luft sein.

Vor diesem Hintergrund fordern die Auf steiger – am lautesten China – mehr Mit spracherechte, die ihnen aber vom Westen versagt bleiben. Dieser pocht weiterhin auf eine „regelbasierte Ordnung“, in der der Westen bestimmt, wie diese Regeln aus zusehen haben und vor allem, wer sie un gestraft brechen darf und wer nicht. Dies entspricht aber schlicht nicht mehr den machtpolitischen Realitäten – und wenn die NATO nun die „immer enger werden de strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russi schen Föderation“ beklagt und deren sich „gegenseitig verstärkende[n] Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu unterhöhlen“, so hat sie sich diese Ent wicklung zu einem guten Stück selbst zu Eszuschreiben.gibtindiesem Ringen um Macht und Einfluss keine guten Akteure. Es gibt aber berechtigte Forderungen an die Bundesre gierung, dass alles dafür getan wird, dass die Großmachtkonflikte nicht immer wei ter außer Kontrolle geraten. Bisher hat sie dabei wie auch die NATO als Ganzes ver sagt und das neue Strategische Konzept gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern wird. So ist im Strategischen Konzept viel darüber zu lesen, wie sich die NATO für die globale Großmachtkonkurrenz zu rüsten gedenkt – wie sie aus ihr herauskommen möchte, bleibt aber leider völlig im Dunkeln. Dies ist ein Auszug aus der Analyse, die im Juli 2022 bei der Rosa-LuxemburgStiftung erschienen ist: ippnw.de / bit / rls

[…] Die durch amerikanische Schiffe seit Jahrzehnten regelmäßig durchgeführten Freedom-of-Navigation-Einsätze haben vor allem in den letzten Jahren im Zeichen sich anbahnender Großmachtrivalitäten im Indo-Pazifik den Beigeschmack amerika nischer Machtprojektion gegenüber China bekommen.“

Triebfeder der neuen Großmachtkonkur renz sind die dramatischen Machtver schiebungen im internationalen System: Während der kaufkraftbereinigte Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Statista von 2,27 Prozent (1980) auf 18,56 Prozent (2020) in die Höhe schnellte, schrumpfte der US-Anteil am BIP-Kuchen von 21,41 Prozent (1980) auf 15,98 Prozent (2020). Noch ausgeprägter fiel der Rückgang bei der Europäischen Union aus, die von 26,02 Prozent (1980) auf 14,9 Prozent (2020) abstürzte.

SpendingMilitaryonCampaignGlobalFoto:

A us chinesischer Sicht überdehnen die westlichen Staaten das, was unter der Freiheit der Schiffahrt verstanden werden kann, mit ihren Militärmanövern erheblich. Deshalb handelt es sich bei derlei Übun gen um ein Spiel mit dem Feuer, da China mit Maßnahmen reagiert, die das Risiko weiter erhöhen, warnt etwa Prof. Michael T. Klare: „Auf derart provozierende Manöver der US-Marine antwortet das chinesische Militär […] in der Regel herausfordernd mit eigenen Schiffen und Flugzeugen. […] Häufig entsendet die chinesische Seite ein oder mehrere eigene Schiffe, die das ame rikanische Schiff – um die Sache so höflich wie möglich zu gestalten – aus dem Gebiet herauseskortieren. Diese Begegnungen haben sich manchmal als äußerst ge fährlich erwiesen, insbesondere wenn die Schiffe nahe genug aneinander gerieten, so dass es zu einem Kollisionsrisiko kam.“

Bollwerk gegen Machtverschiebungen

Schon im Vorwort des Strategischen Kon zeptes verdeutlicht die NATO, sie verstehe sich als „Bollwerk der regelbasierten inter nationalen Ordnung“, die sie mit Klauen und Zähnen zu verteidigen gedenke. Es hat aber einen überaus faden Beigeschmack, wenn sich westliche Staaten – und nun womöglich auch die NATO als Ganzes –auf die Fahnen schreiben, mit ihren Manö vern dem Seerechtsübereinkommen und damit der regelbasierten Ordnung Geltung zu verschaffen. Schließlich hat der Haupt akteur USA besagtes Abkommen bis heute nicht einmal ratifiziert, weil es der Durchsetzung von US-Interessen in ande ren Weltgegenden im Wege steht. Und der diesbezüglich zweitumtriebigste westliche Staat, Großbritannien, verletzt – u.a. mit Unterstützung der USA und Deutschlands – zum Beispiel auf eklatante Weise die viel beschworene regelbasierte Ordnung, indem er sich weigert, einen Schieds spruch des Internationalen Gerichtshofs umzusetzen, der das Land auffordert, die Chagos-Inseln, wo sich auch die für die Machtprojektion in den Indo-Pazifik zent rale Militärbasis Diego Garcia befindet, an Mauritius zurückzugeben.

PROTEST GEGEN DEN NATOGIPFEL IN MADRID, JUNI 2022.

Jürgen Wagner ist rendesgeschäftsfühHistorikersenschaftler,PolitikwisundMitgliedderInformationsstellefürMilitarisierung(IMI)e.V.

ATOMENERGIE

In den Reaktoren der AKWs Neckarwestheim und Lingen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Risse in den Dampfer zeugern entdeckt, die im schlimmsten Fall einen Super-GAU aus lösen können. Ursache ist Spannungsrisskorrosion in den Dampf erzeugerrohren. Im AKW Neckarwestheim sind bereits mehr als 300 Risse bekannt. Deshalb haben lokale Atomkraftgegner*innen zusammen mit der Antiatominitiative „.ausgestrahlt“ Klage gegen den Weiterbetrieb eingereicht.

Laufzeitverlängerung revisited!

Die fortgesetzte Nutzung von Atomkraft blockiert die Energiewende in ganz Europa.

Das Sicherheitsrisiko ist jedoch seit 2011 noch größer geworden.

Doch darüber redet zurzeit in Deutschland kaum ein Politiker. Schon im Mai 2022 titelte die Wirtschafts- und Finanzagentur Bloomberg: „Die sich vertiefende Nuklearkrise in Frankreich wird für Europa noch mehr Energieschmerzen bedeuten“. Bloomberg warnte wegen des langfristigen Ausfalls der französischen AKWs vor hohen Preisen und Schwierigkeiten für die Energieversorgung im kommenden Winter.

14 Eine Laufzeitverlängerung deutscher AKWs kann beim Gassparen nicht helfen und wird auch die Versorgungskrise in der französischen Atomindustrie nicht lösen. Laufzeitverlängerung revisited! Wie schon 2009 trommeln Politiker*innen von FDP und Union für eine Laufzeitverlängerung deutscher AKWs – zum Beispiel Friedrich Merz, Wolfgang Kubicki und Markus Söder. Dieser hatte schon Anfang April eine Laufzeitverlängerung für das AKW Isar II gefordert. B ei genauerem Hinschauen wird deutlich, dass es sich nicht nur um eine Gaskrise handelt, ausgelöst durch den Ukraine krieg und die Wirtschaftssanktionen. Fast alle europäischen und die deutschen AKWs sind alt (mehr als 80 % laufen schon länger als 30 Jahre und sind korrosionsanfällig). Besonders die franzö sischen AKWs: Zu Anfang dieses Jahres mussten ein Drittel und jetzt mehr als die Hälfte der französischen AKWs vom Netz ge nommen werden. Fehlendes Kühlwasser in den Flüssen infolge des Klimawandels, Korrosion, Alterungsprobleme. Und wer ver sorgt Frankreich mit dem fehlenden Strom, um das Netz zu stabi lisieren und einen Blackout zu verhindern? „Aus Deutschland fließt knappes Erdgas nach Frankreich, weil dort Gaskraftwerke die AKW-Ausfälle kompensieren müssen“, kritisierte Sebastian Sladek, Vorstand der Elektrizitätswerke Schö nau (EWS). Und im Juni flossen 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom aus deutschen Gaskraftwerken nach Frankreich, auch um den Atomstromausfall der französischen AKWs zu kompensieren.

Nun erwägt laut Spiegel auch Bundeskanzler Scholz eine etwas längere Atomkraftnutzung. Nüchtern betrachtet überrascht es, wie Sicherheitsaspekte in der aktuellen deutschen Debatte füh render Politiker*innen komplett ausgeblendet werden. Die neu este Studie „Risiken einer Laufzeitverlängerung“, die Oda Becker für den BUND durchgeführt hat, erinnert daran, dass Deutsch land den Atomausstieg 2011 mit der Begründung der unbere chenbaren Sicherheitsrisiken im AKW-Betrieb beschlossen hat.

Wie oben dargestellt, zeigt sich das ganze Dilemma der Atom kraftdebatte am Beispiel der französischen Atomindustrie. Denn die fortgesetzte Nutzung von Atomkraft blockiert die dringend notwendige Energiewende in Frankreich, Deutschland und ganz Europa. Denn Atomkraft ist träge, sie kann nicht kurzfristig zu rückgefahren werden, wenn erneuerbare Energien gerade im Überfluss zur Verfügung stehen. W enn man sich fragt, wie Frankreich in diese selbstverschuldete Atomkrise rutschen konnte, kommt man an einer kritischen Betrachtung des zivil-militärischen französischen Atomindustrie komplexes nicht vorbei. Der besteht aus EDF, dem börsennotier ten staatlichen französischen Atomkonzern samt Tochtergesell schaft Framatome, der in Frankreich und international tätig ist.

Die drei am Netz verbliebenen deutschen AKWs haben ihre Be triebsdauer von 30 Jahren überschritten. Zudem erlaubten die Atomaufsichtsbehörden den Betreibern Abstriche bei Sicherheits überprüfungen, Nachrüstungen und Reparaturen.

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Dr. Angelika Claußen ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.

I m Juli 2022 äußerte dann der CDU-Politiker und ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, dass er eine nuklea re Abschreckung auf europäischer Ebene für unverzichtbar halte. Die europäische Verteidigungskapazität sei ohne nukleare Dimen sion nicht denkbar.

HuibersRobFoto: START DER AUSGESTRAHLT-RADTOUR NORD: DIE RADLER*INNEN AUS VERSCHIEDENEN LÄNDERN

Der ehemalige deutsche Botschafter Eckhard Lübkemeier hatte schon 2020 nach dem ersten Angebot Präsident Macrons, die französischen Atomwaffen zu teilen, mit Zustimmung reagiert: „Das Fundament dieser neuartigen ‚integrierten Abschreckung‘ wäre eine Solidar- und Vertrauensgemeinschaft, die abgesichert wäre durch französische Nuklearstreitkräfte, ohne die Entschei dungshoheit des französischen Präsidenten anzutasten.“

Da für eine Laufzeitverlängerung auch neue Brennstäbe ange fertigt werden müssten, hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz jetzt die Bundesregierung aufgefordert, umgehend neue Brenn stäbe zu beschaffen, denn ein vorübergehender Streckbetrieb reiche nicht aus. Doch neue Brennstäbe sind kurzfristig nicht verfügbar. Und das notwendige Uran zur Anfertigung der Brenn stäbe wird von Firmen des russischen Staatskonzerns Rosatom geliefert. Warum also beharren CDU/CSU auf Atomstrom und er neuter Laufzeitverlängerung, anstatt die Energiewende jetzt mas siv mit dem Ausbau von Wind und Sonne voranzutreiben, zum Beispiel in Bayern, indem Genehmigungsprozesse beschleunigt werden? Was steht hinter ihrer Neigung, entgegen rationalen Ar gumenten an der Atomwirtschaft festzuhalten?

STARTETEN AM 9. JULI AM AKW TIHANGE / FRANKREICH.

Im Mai 2022 nahm der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Torsten Frei, die von Macron angestoße ne Debatte in einem Gastbeitrag in der FAZ auf. Der Titel: „In der Krise das Undenkbare denken: Europa braucht eine eigene ato mare Abschreckungsstreitmacht.“

Frei plädiert für eine Europäi sierung der französischen Atommacht. Dann greift der CDU-Chef Friedrich Merz im Juni 2022 das Angebot von Präsident Macron auf: Angesichts der Weltlage sei eine gemeinsame europäische „nukleare Kapazität unsere Lebensversicherung“. Es dürfe da „keine Tabus mehr“ geben.

A uffällig ist, dass hochrangige Vertreter in der CDU mit dem Beginn des Ukrainekrieges plötzlich für europäische Atom waffen plädieren. Der französische Präsident Macron machte schon vor Beginn des Krieges das Angebot, mit der EU über Atomwaffen zu reden. „Wir glauben“, so Macron, „die französi sche nukleare Abschreckung ist ein Weg, europäische Interessen zu schützen.“

Doch eine friedvollere Welt und die Abschreckung mit Atomwaf fen schließen sich gegenseitig aus, seien sie nun in US-amerika nischem Besitz oder im Besitz der NATO bzw. EU. Es bleibt dabei: Deutschland muss am Atomausstieg festhalten. Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie, die wir in Deutschland und in ganz Europa beenden müssen. Und nicht zu vergessen: Atomkraft ist der Treibstoff für die Bombe!

Die inhumane, ja absurde Denkweise, dass Atomwaffen eine Le bensversicherung darstellen, hatte zuvor die Sicherheitsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Claudia Major, auf gebracht. Die neue Norm des Atomwaffenverbotsvertrags, der 2021 in Kraft getreten ist und der die Produktion und den Einsatz

von Atomwaffen wegen der katastrophalen humanitären Auswir kungen auf Menschen und Umwelt verbietet, ignorieren beide offensichtlich.

16 SOZIALE VERANTWORTUNG

droht ihre Schließung. Erreicht ein ganzes Krankenhaus die Ge winnzone nicht, dann droht Schließung oder Verkauf. Das führt zu einem enormen Druck der Geschäftsleitungen auf die ärzt lichen und pflegerischen Berufe. Sie werden zu ökonomischem Denken in Gewinn- und Verlustkategorien gezwungen und ver lieren dabei notgedrungen den eigentlichen ärztlichen und pfle gerischen Auftrag aus dem Auge. Nur dasjenige Krankenhaus, das mit möglichst geringen Kosten Kranke in möglichst kurzer Zeit behandeln konnte, machte nun Gewinne. Wer sich auf zeit raubende, empathische Medizin einließ, der machte Verluste. Die Frage war nicht: „Was brauchen die Kranken?“, sondern: „Was bringen sie ein?“ Die Frage war nicht: „Wie viele Ärzt*innen und Pflegekräfte werden für eine gute Medizin gebraucht?“, sondern: „Wie viele Stellen kann man streichen?“ Das Fatale an diesem Bezahlsystem war und ist die Verknüpfung der medizinischen Tätigkeit und der Diagnosen mit der Vergütung. Indem nun allein die Diagnosen die Einnahmen des Krankenhauses generierten, wurde sie zum zentralen Zielobjekt der Ökonomen. Tausende von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenhäu ser kämpfen seitdem mit Tausenden von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenkassen um jeden Euro.

Wir müssen uns darauf besinnen, worum es in der Medizin eigentlich geht D as ganze große Schiff „Gesundheitswesen“ fährt in die falsche Richtung. Kleine Kurskorrekturen werden da nicht helfen. Es muss zu einer radikalen Kursänderung kommen, sonst wird dieses solidarische Gesundheitswesen untergehen, und mit ihm die Humanmedizin.

Z wischen 1999 und 2002 wurde das zeitorientierte TagessatzSystem durch die diagnoseorientierten Fallpauschalen abge löst, die Diagnosis Related Groups (DRG). Von da an wurden die Krankenhäuser nach der Zahl und Schwere der behandelten Fälle bezahlt. Diese Umstellung hatte erhebliche Auswirkungen: Liege zeitverkürzung und Fallzahlerhöhung, um im gleichen Zeitraum maximal viele Fälle und maximal schwere Diagnosen abrechnen zu können. Die Liegezeit sank auf die Hälfte, die Zahl der Pa tient*innen stieg trotz der massiven Stellenstreichungen um ein Fünftel. Der Anstieg des Arbeitsdrucks war enorm, besonders in der Pflege. Dort wurden zehntausende Stellen gestrichen, wäh rend ärztliche Stellen zunahmen. Die einfache Logik war: Pflege kräfte verursachen Kosten, aber Ärztinnen und Ärzte generieren AusEinnahmen.demDRG-System ergibt sich der Case Mix Index. Der Case Mix Index ist der Durchschnitt aller DRGs, die ein Krankenhaus gegenüber den Kassen zur Abrechnung bringt. Je höher der Case Mix Index, desto höher die Vergütung. Erreicht eine Abteilung den von der Geschäftsleitung vorgegebenen Case Mix Index nicht,

Im Krankenhausbereich

D as Versagen der Krankenhausfinanzierung hatte neben den Privatisierungen eine zunehmende Zahl von Krankenhaus schließungen zur Folge. Weil das DRG-System beispielsweise die kinderärztliche Tätigkeit völlig unterbewertet, wurden viele Kinderkliniken wegen „roter Zahlen“ geschlossen. Eine ähnliche Entwicklung nahm die Geburtshilfe, die nie eine angemessene Abbildung in den DRGs gefunden hatte, sodass bis heute ein Kreißsaal nach dem anderen geschlossen wird. Immer mehr gan ze Krankenhäuser fielen dem Rotstift zum Opfer, denn die De fizite konnten von den kommunalen Haushalten nicht mehr aus geglichen werden. Die Vernichtung von Gemeineigentum durch

Das ganz große Schiff Gesundheitswesen

nehmen private Investoren immer grö ßeren Raum ein. Immer weiter wachsende Klinikkonzerne locken inzwischen auch internationales Kapital mit Renditen von bis zu zehn Prozent, was kein anderer Wirtschaftszweig zu bieten hat.

Man könnte derartige Dividenden auch als Diebstahl von Gemein eigentum bezeichnen. Es gibt kein Land, in dem der Anteil von Krankenhausbetten in der Hand privater, börsennotierter Klinik konzerne größer ist als in Deutschland. In Arbeitsverträgen von Chefärzten ist heute von Leitzahlen bei Diagnosen und Opera tionsziffern, vom Case Mix Index und von Akquisitionsverpflich tungen die Rede ist, weniger von Medizin. Wie konnte es so weit kommen?

Im Frühjahr 2022 ist Bernd Hontschiks Buch „Hei le und herrsche. Eine gesundheitspolitische Tragö die“ im Westend-Verlag erschienen. Hontschik wird als Referent beim Kongress Medizin und Gewissen vom 21.-23. Oktober 2022 in Nürnberg sprechen.

2.0BY-NCCC/ShawE.JonathanFoto: KlemmBarbara©Foto:

Krankenhausschließungen geschieht völlig planlos, nicht nach Bedarf, sondern nach Bilanz. Weniger bekannt ist, dass auch im Bereich der Alten- und Pfle geheime private Investoren inzwischen ganze Ketten zusammen kaufen und die stationäre professionelle Altenpflege zum Spielball von Profitinteressen geworden ist. Jedes Jahr geht es um den gro ßen Kuchen von 23 Milliarden Euro in der stationären und elf Mil liarden Euro in der ambulanten Pflege. Man müsste global aktiven Investoren, Finanzjongleuren und Immobilienkonzernen dringend Einhalt gebieten. Auch hier geht es nur mit Gemeinnützigkeit.

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Mehr unter: medizinundgewissen.de Dr. Bernd Hontschik ist Chirurg und Publizist.

Dass inzwischen aber sogar auch Arztpraxen unter dem Etikett „Medizinische Versorgungszentren“ zum Objekt international agierender Finanzinvestoren geworden sind, ist fast nicht be kannt. In Anlehnung an die Polikliniken der DDR, die 1989 im Zuge der allgemeinen Anschlusswut mit ausradiert worden wa ren, wurde 2003 durch eine Gesetzesänderung eine neue Form der kassenärztlichen Versorgung ermöglicht. Seitdem können Medizinische Versorgungszentren gegründet werden, in denen beliebig viele Ärzte und Ärztinnen und Psychotherapeut*innen, selbständig oder angestellt, in Vollzeit oder Teilzeit, fachgleich oder fachübergreifend, in Kooperation mit nichtärztlichen Heilbe rufen zusammenarbeiten können. Um Wildwuchs zu verhindern, müssen diese MVZs unter ärztlicher Leitung stehen. Das hört sich gut an. Das Modell ist flexibel, voller kreativem Potential und kann Berufs aussteiger mit familienfreundlichen Arbeitszeiten zurücklocken. Dabei hatte man aber nicht mit der Kreativität des Kapitals gerechnet. Da nämlich fort an auch Krankenhäuser ein MVZ gründen können, kann z. B. eine eigens gegründete Mini-Klinik mit vier Betten und einem Schlaflabor in Nordhessen plötzlich mehr als 150 Augenarzt-MVZs in ganz Deutschland betreiben. Diese investorenbetriebe nen MVZs suchen sich lukrative Sparten aus, also Augenheilkunde und Orthopädie, wo inzwischen schon ein Fünf tel der ambulant tätigen Ärzte in investorenbetriebenen, oder bes ser investorengetriebenen MVZs arbeiten. So entstehen immer neue, immer größere Konstruktionen: Ein augenärztliches Oligo pol wie die Ober-Scharrer-Gruppe hatte in einem Jahrzehnt vier verschiedene Eigentümer und wurde zuletzt im Dezember 2021 an den kanadischen Pensionsfonds Ontario Teacher’s Pension Plan Board bei einer Gewinnerwartung von 125 Millionen Euro für geschätzte zwei Milliarden Euros verkauft. Man könnte das unterbinden, wenn auch MVZs der Gemeinnützigkeit unterliegen würden. Mit einer derart kleinen Gesetzesänderung wäre dem Spuk ein Ende gesetzt. W ir müssen uns darauf besinnen, worum es in der Medizin eigentlich geht. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir eine Aufgabe haben. Diese Aufgabe droht unterzugehen, in Ma nagement-Programmen, in Codierungen, in Konzerninteressen, in Studien und im Kampf ums Geld. Wenn wir Ärzt*innen unsere Patient*innen zu Sachen, zu Werkstücken machen lassen, ist es aus mit der Medizin. Man müsste Ärzt*innen dann in die Rote Liste der bedrohten Arten aufnehmen. Unsere Aufgabe ist die Be gleitung unserer Patient*innen in der einsamen Welt der Krank heit, oder im günstigen Fall aus der einsamen Welt der Krankheit – so weit es eben geht – wieder zurück in die Welt der Gesund heit. Und deswegen lautet die immer wieder gleiche Botschaft: Es geht um die Rettung des solidarischen Gesundheitswesens und der Humanmedizin vor dem Würgegriff des Kapitalismus.

A uch die Zahl der US-Atombomben in Deutschland ist unklar. Man ging jah relang davon aus, dass bis zu 20 Stück in Büchel gelagert werden. Laut Hans Kristensen vom Nuclear Information Pro ject gibt es nun neue Zahlen: Insgesamt sind 150 Atomwaffen in Europa statio

SCHIFFAHRT AUF DER MOSEL VORTRAG „ATOMKRIEG AUS VERSEHEN“

niert, künftig werden es 100 Waffen vom Typ B61-12 sein. Daher können wir mit Sicherheit nur von 10-15 Atomwaffen in Deutschland reden, Anzahl und Ort unter liegen der Geheimhaltung.

D azu sollen US-amerikanische Tarn kappenbomber, die F-35, für viele Milliarden Euro neu angeschafft werden.

U nter dem Motto: „Atomwaffen abschaffen – dringender denn je“ haben ICAN und die IPPNW zum Aktionscamp vor am Atom waffenstandort Büchel aufgerufen, auch dieses Mal rund um den „Geburtstag“ des Atomwaffenverbotsvertrages. Rund 100 Menschen sind diesem Aufruf gefolgt, eini ge von ihnen waren zum ersten Mal dabei. Das bunte Programm, von der zehnköp figen Vorbereitungsgruppe über Monate konzipiert, bestand aus Aufklärung, Vor trägen, Workshops, Protest, viel Musik und Kleinkunst. Zudem hat eine Gruppe von Aktivist*innen an einem Aktionstraining teilgenommen, um eine niedrigschwellige Aktion des Zivilen Ungehorsams (mehr stündige Blockadeaktion mit Behinderung des Baustellenverkehrs) vorzubereiten. Die Presse reagierte mit verstärktem Interesse – sicherlich auch aufgrund des Ukraine krieges. Im Vorfeld hatten Militär und Poli zei mit allen Mitteln versucht, die Proteste vor dem Haupttor mit Argumenten zur mi litärischen Sicherheit in einer Kriegssitua tion einzuschränken. Dieses gelang ihnen nur in geringem Maß.

Die F-35 sind im Bundeswehr-Sonderver mögen enthalten – und damit Teil der ato maren Aufrüstungsdynamik, die von den neun Atomwaffenstaaten und ihren ato maren Vasallen aktiv betrieben wird. Büchel ist somit der symbolische Ort für die völkerrechtswidrige atomare Teilhabe, die Russland im Rahmen des Ukrainekrieges für sich mit Belarus ebenfalls beansprucht.

Wir sind in einer atomaren Aufrüstungsspi rale wie in den 1980er Jahren.

Aufgrund der Baumaßnahmen ist nicht klar, ob momentan in Büchel noch Atom bomben liegen. Das taktische Geschwader soll vorübergehend nach Nörvenich ver legt werden. Ob die Atombomben mitkom men, wissen wir nicht. Möglich ist, dass sie in die USA transportiert werden, da die Produktion der neuen B61-12 Bomben schon begonnen hat. Dafür müssen die atomaren Zünder aus den alten Bomben „recycelt“ werden.

Die atomare Katastrophe rückt näher Seit dem Auseinanderfallen des Warschau er Paktes und dem Ende der Sowjetunion ist die Atomkriegsgefahr aus den Köpfen vieler Menschen verschwunden. Selbst in der Friedensbewegung war sie kaum noch ein Thema. Die verschiedenen internatio nalen Abrüstungsverträge hatten zur Hoff nung vieler Menschen beigetragen, dass

18 Unsere Proteste: Dringender denn je Aktionscamp gegen Atomwaffen in Büchel

Warum sind diese Proteste so notwendig? Büchel wird zur Zeit für 260 Millionen Euro ausgebaut, erneuert und mit modernster Sicherheitstechnik ausgestattet, z.B. ei nem 17 km langen Hochsicherheitszaun. Dieses Geld fehlt dann an anderer Stelle.

Die USA haben die Bestellung inzwischen genehmigt – als Teil eines großen Rüstungseinkaufs, den die US-Regierung im Juli auf 8,4 Milliarden US-Dollar bezifferte.

ATOMWAFFEN

Die neuen Atombomben sollen ab 2023 nach Europa kommen. Die B61-12 wer den als „glaubwürdige“ Abschreckung gesehen, weil sie für die Kriegsführung einsetzbar sind. Sie sind in ihrem Zer störungspotential flexibel einstellbar, kön nen als „Mininuke“ oder „Bunker Buster“ eingesetzt werden. Die alten Bomben konnten nur abgeworfen werden, die neu en sind steuerbar und aus Sicht der Militärs „hochpräzise“. Damit werden sie für den militärischen Gegner unberechenbarer und bedrohlicher. Das macht sie zum ersten Ziel eines atomaren Erst- oder Vergeltungs schlages. Die Schwelle ihres Einsatzes wird in unverantwortlicher Weise herabgesetzt.

T rotz der zunehmenden Einschränkun gen der Proteste vor Ort in Büchel darf der nadelstichartige Widerstand dort nicht nachlassen. Denn nur durch einen erhöhten zivilgesellschaftlichen politischen Druck wird sich eine deutsche Regierung auf einen Wechsel in ihrer Atomwaffenpoli tik einlassen. Wir suchen neue Wege, un serem Protest Gehör zu verschaffen. Des halb planten wir einen Teil des Programms beispielsweise im Touristenort Cochem, wo wir die Öffentlichkeit zur Schiffahrt mit Vortrag und Musik einluden sowie Work shops zum „Atomkrieg aus Versehen“ und „Sicherheit neu Denken“ am Moselufer abhielten. Neue Ideen und neue Metho den, den öffentlichen Druck zu erhöhen, werden angesichts der wachsenden Ge fahr immer dringlicher. Die Blockadeaktion mit ihrer Regelübertre tung (Ziviler Ungehorsam) und der gleich zeitigen regelkonformen Präsenz vor dem Haupttor mit kreativen Aktionen unter strich noch einmal den Willen, gemeinsam einen Politikwechsel durchzusetzen. Die Aktion wurde durch drei Kamerateams verschiedener Sender begleitet, was uns weitere Öffentlichkeit brachte.

Der Ukrainekrieg mit den Drohungen von Seiten der russischen Regierung, gegebenenfalls Atomwaffen einzusetzen, macht noch einmal deutlich, dass die Ab schreckung nicht funktioniert, sondern in eine immer gefährlichere atomare Aufrüs tungsspirale mündet.

IPPNW-MitgliedErnst-LudwigIskeniusistundhatdasAktionscampmitvorbereitet.

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GEBURTSTAGSFEIER

ten haben ihn bisher unterschrieben, 66 Staaten auch ratifiziert. An dieses Zustan dekommen dieses Vertrages erinnerten wir, ICAN und IPPNW als Friedensnobel preisträger, mit einer eindrucksvollen Ge burtstagsfeier an dem Ort, wo am ehesten die atomare Zerstörung von deutschen Boden ausgehen könnte. Lisann Drews (IPPNW) und Johannes Oehler (ICAN) be richteten vom ersten Treffen der Vertrags staaten in Wien und fassten die Ergebnis se der Verhandlungen zusammen.

Wenn Ihr uns bei der Vorbereitung für das nächste Camp unterstützen wollt, meldet Euch bitte unter: antinukleareplanungs gruppe@posteo.de – Wer über Aktionen am Standort Büchel sowie andere Projek te des Arbeitskreises für die Abschaffung von Atomwaffen informiert bleiben will, kann den Nuclearban-News-letter abon nieren: www.ippnw.de/bit/newsletter

Wie geht es weiter? Attraktiv an dieser Form eines Aktions camps mit verschiedenen gemeinsam ab gestimmten Protestmethoden ist der gene rationsübergreifende Charakter. Deshalb lädt die Vorbereitungsgruppe Interessierte ein, um im nächsten Sommer die öffent lichkeitswirksame Präsenz unserer Orga nisationen fortsetzen zu können. Gerade jüngere Gesichter können auf die sonst etwas veraltete Friedensbewegung Ein druck machen – so wie Fridays for Futu re mit der Klimakatastrophe eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Gesellschaft an gehen. Denn Sicherheit muss neu gedacht werden. Vorhandene alternative Konzepte zum militärischen „Schutz“, wie z.B. so ziale Verteidigung müssen in der gesell schaftlichen Diskussion verankert werden. Denn nur eine atomwaffenfreie Welt kann uns in Zukunft die notwendige Sicherheit geben.

ICANFoto:

ZU-AKTION

ÖsterreichIPPNWFoto:

Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden. Jetzt ist die Gefahr wieder präsent. Die größte Gefahr eines atomaren Waf fenganges besteht momentan in den zu nehmenden internationalen Spannungen, die eine konstruktive Kommunikation und spannungsabbauende Interaktion zwi schen den atomaren Großmächten zer stören. Technisch nimmt gleichzeitig die Gefahr eines „Atomkrieges aus Verse hen“ zu, wie Prof. Karl-Heinz Bläsius bei einer Schifffahrt auf der Mosel erklärte: „Neue Waffensysteme wie Hyperschall waffen werden die Vorwarnzeiten weiter verkürzen. Deshalb gibt es bereits Forde rungen, mit Methoden der Künstlichen In telligenz autonome Systeme zu entwickeln, damit Bewertung und Entscheidung voll automatisch durchgeführt werden können, da für Menschen nicht genügend Zeit üb rigbleibt. Die Datengrundlage für solche Bewertungen ist jedoch vage, unsicher und unvollständig“, so der KI-Experte.

Die Zivilgesellschaft ist gefragt Es war die weltweite zivilgesellschaftliche Protestbewegung, die der Menschheit den Atomwaffenverbotsvertrages geschenkt hat. Dieser wurde von 122 Nichtatom staaten aufgegriffen und schließlich als internationaler UN-Vertrag am 7. Juli 2017 verabschiedet. Seit Januar 2021 ist er völ kerrechtlich verbindlich in Kraft. 86 Staa

PapisAlexander|ICAN©Fotos:

I ch bitte die Menschen, sich weiterhin für den Frieden ein zu setzen. Und ich sage den jungen Leuten: Ihr dürft niemals aufgeben. Miyata Takashi, Hibakusha aus Nagasaki, in Wien

MIYATA TAKASHI BEIM NUCLEAR BAN FORUM WIEN, 18. JUNI 2022

waffenverbotsvertrag

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DIE IPPNW BEIM NUCLEAR BAN FORUM BIKETOUR DURCH WIEN,

Umsetzung

JUNI

D as erste Treffen der Vertragsparteien zum Atom (AVV) fand vom 21. – 23. Juni 2022 bei den Vereinten Nationen in Wien statt. Bisher haben den am 22. Januar 2021 in Kraft ge tretenen Vertrag 66 Staaten ratifiziert und 86 unterzeichnet. Gerade in Anbetracht der angespannten Weltlage in Folge des Ukrainekrieges war die Konferenz ein hoffnungsvolles Signal für Frieden und Abrüstung. Zentrales Thema war die konkrete des noch jungen Vertrages – die Ausgestaltung der Betroffenenhilfe, die Beitrittsmodalitäten für Atomwaffenstaa ten und das Gewinnen neuer Unterzeichnerstaaten. An der Konferenz nahmen auch Vertreter*innen von 85 Nichtre gierungsorganisationen teil. Die IPPNW stellte eine 40-köpfige internationale Delegation. Die Zivilgesellschaft erhielt großzügi gen Zugang zur Staatenkonferenz – sie war an der Vorbereitung der Arbeitspapiere beteiligt und kam in der Konferenz selbst zu Wort. Die Atmosphäre zwischen den Diplomat*innen und der Zivilgesellschaft war kooperativ und vertrauensvoll.

Weitere Fotos von ICAN finden Sie https://flickr.com/icanwhier: Die erste Staatenkonferenz in Wien 49 Vertragsstaaten und die Zivilgesellschaft vereinbarten Schritte, um das Atomwaffenverbot voranzubringen KoenigMarlena|ICAN©Fotos:Fotos:©ICAN|MarlenaKoenig19. 2022

Immer wieder wurde auf die Gefahr eines Atomkrieges in der jetzigen politischen Si tuation hingewiesen, nicht nur durch den Ukrainekrieg, sondern auch durch die vorher schon begonnene Aufrüstung. Die Drohungen mit Atomwaffen stellen einen Tabubruch dar. Das aus einer anderen Zeit stammende System der Abschreckung schützt uns in keiner Weise, sondern stellt eine riesige Gefährdung dar. Darüber hi naus machen die Atomwaffenstaaten im globalen Norden die atomwaffenfreien Staaten erpressbar und halten damit kolo niale Strukturen aufrecht.

Sigrid gruppeIPPNW-RegionalSchlesierKlose-istMitgliedderHamburg.

Wir werden nicht ruhen, bis der letzte Staat beigetreten ist!

Das erste Treffen der Vertragsstaaten – ein Überblick

22 V om 21.-23. Juni 2022 nahmen wir – eine zwölfköpfige IPPNW-Grup pe – an der ersten Staatenkonfe renz zum Atomwaffenverbotsver trag (AVV) der UN in Wien teil und einen Tag davor an der Humanitären Konferenz zu Nuklearwaffen, die das österreichische Außenministerium ausrichtete. Beeindru ckend und uns höchst motivierend war die positive Energie, die von den vielen Delegierten aus aller Welt ausging, sich für eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen, beeindruckend auch die Offenheit der Konferenz: Jeder konnte jeden anspre chen, egal ob Vertreter*innen eines Staa tes, der zahlreichen NGOs oder Angehö rige der Presse. Redebeiträge, die vorher angemeldet werden mussten, kamen auch von Beobachterstaaten wie Deutschland, von Atomwaffenopfern aus Hiroshima und Nagasaki oder der Atombombentests im Pazifik – immer wieder aufwühlend – und von NGO-Vertreter*innen. Z unächst wurden Statements der teil nehmenden Staaten zum AVV ab gegeben (66 Staaten haben den Vertrag inzwischen ratifiziert), später zu Inhalten des Vertrages, z.B. zu der Frage, wie eine weitere Verbreitung erreicht werden kann oder eine weitere Forschung zu nuklearen Fragen. Zur friedlichen Nutzung der Atom kraft kamen auch positive Statements. Unverkennbar war der Stolz der Pazifik staaten und der mittelamerikanischen Staaten auf ihre atomwaffenfreien Zonen. Deutschlands Vertreter betonte unmissver ständlich, dass die Bundesregierung den AVV nicht unterschreiben werde, sondern zur „nuklearen Teilhabe“ der NATO stehe. Ebenso äußerten sich die Beobachterstaa ten Niederlande und Norwegen, letzteres ohne nukleare Teilhabe. Im deutschen Redebeitrag sahen einige dennoch einen kleinen positiven Schritt in Richtung AVV in der Aussage, Deutschland stehe Schul ter an Schulter mit denen, die Abrüstung als Ziel hätten. Außerdem könne eine Beteiligung an einem Fond zur Entschä digung der Atombombenopfer, auch der Atombombentestopfer, diskutiert werden, wenn diese Beteiligung außerhalb des AVV stattfinden könne.

ATOMWAFFENVERBOT

In Europa haben den Vertrag bis jetzt nur Österreich, Irland, Malta und der Vatikan ratifiziert. Doch sein Einfluss wächst: in Südamerika, Afrika, eventuell auch in Aus tralien. Japan als einziges Land mit dem Schicksal eines Atombombenabwurfs war staatlich offiziell nicht vertreten, dafür durch einzelne Parlamentarier*innen, die Atomwaffenopfer und durch viel Presse.

E in Vortrag beschäftigte sich mit Stu dien zu gender-abhängigen Strah lungsfolgen: nicht nur Kinder bis fünf Jahren sind am meisten betroffen, da am empfindlichsten, sondern auch Erwachse ne nach Geschlecht unterschiedlich, Frau en zu Männern im Verhältnis drei zu zwei.

Am Vortag der AVV-Konferenz wurden auf der Humanitären Konferenz zu Nuk learwaffen durch Expert*innen erneut die katastrophalen Folgen eines – selbst eines begrenzten Atomschlages durch eine so genannte „kleine“ Bombe – dargestellt: Es gäbe nicht nur hunderttausende Tote und Verletzte, die keine Hilfe erhalten würden (in Hiroshima und Nagasaki waren 1945 mindestens 80 % des medizinischen Per sonals selbst betroffen). Auch die Infra struktur eines noch so gut organisierten Landes würde völlig zusammenbrechen, das heißt, auch die Nahrungsmittelversor gung.

I m Falle eines nuklearen Schlagabtau sches droht ein nuklearer Winter mit massiven Temperaturabsenkungen bis hin zu einer Eiszeit, mit Veränderungen der Niederschläge und starker Verminderung der Sonneneinstrahlung, was wiederum einen Ausfall der landwirtschaftlichen Pro duktion mit Hungersnöten zur Folge hätte (siehe auch S. 28f.). Mit Strahlungsfolgen bei den Überlebenden wäre zu rechnen: Krebs, Strahlenkrankheiten der Haut, des Magendarmtraktes, des vaskulären Sys tems, Aborte, Fehlbildungen, usw. „Die Überlebenden werden die Toten benei den“.

Bis jetzt ist ein Atomkrieg durch einen Fehlalarm, wie er schon oft drohte, nur durch die mutige und kluge Reaktion von fähigen Mitmenschen vermieden worden, aber nicht durch staatliche Kontrollsyste me. Die Unterzeichnerstaaten des AVV waren sich einig, dass der existenziellen Gefahr, die von Atomwaffen ausgeht, nur durch ihre Abschaffung begegnet werden kann.

Testimonial Marshallinseln 20.06.2022–PapisAlexander|ICAN©Foto:

2323 DANITY LAUKON SPRICHT BEIM NUCLEAR BAN FORUM

D er Vertrag über das Verbot von Atom waffen wird nun zur Umsetzung dis kutiert, und der Schwerpunkt sollte auf der gesundheitlichen Unterstützung der Opfer liegen, die jetzt mit diesen Auswirkun gen konfrontiert sind. Als junge Frau aus den Marshall-Staaten und Befürworterin dieses Abkommens kann ich Ihnen ver sichern, dass die Auswirkungen des ver ursachten menschlichen Leids über Gene rationen hinweg andauern. Ich weiß es von den Menschen, die ich täglich sehe!

Unsere Krebspatient*innen werden meist zur Behandlung in andere Länder ge schickt. Andere bleiben unbehandelt oder werden nicht diagnostiziert, bis sie sich im Spätstadium ihrer Krankheit und ihres Le bens befinden.

Es gibt noch weitere generationsübergreifende Auswirkungen, mit denen die Mar shalles*innen heute konfron tiert sind. Ihre Ernährung ist größtenteils von verarbeiteten Lebensmitteln abhängig – aufgrund des Verlustes von Land, kulturellem Wissen und Ressourcen. Bei im mer mehr Menschen, Älteren wie Kindern, werden jetzt Diabetes, Bluthochdruck und andere nicht übertragbare Krankheiten Ichdiagnostiziert.glaube,dass dies die neuen Formen von Krankheiten sind, die wir heute als Folge der Atomwaffentests erleben. Unser Gesundheitssystem und die medizinischen Ressourcen vor Ort sind jedoch begrenzt, um die Bedürfnisse all unserer Atomwaf fenopfer zu erfüllen.

Aus: „The 2022 Vienna Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons“: ippnw.de/bit/hinw22 (Der Text wurde von uns leicht gekürzt.) Hibakusha sprechen

gemeinfreu©Foto: 23 ATOMTEST CASTLE BRAVO, 1. MÄRZ 1954

bei der Humanitären Konferenz in Wien ATOMWAFFENVERBOT

I ch heiße Danity Laukon und komme von den Marschallinseln. 2017 schloss ich mich der PacificundregionaleMarshallinselndierendenorganisationStu-deran,umdieAntiatomkampagne-bewegung„Misa4The“zugründen. Im Zuge meiner Arbeit für Solidarität in der Region wurde mir klar, wie wenig ich über die Geschichte der Atomtests wusste, ganz zu schweigen von dem radioaktiven Fall out des zerstörerischsten Atomwaffentests namens Castle Bravo am 1. März 1954 im FamilienBikini-Atoll.inverschiedenen Teilen der Mar shallinseln erlitten als Folge dieses Tests Verbrennungen, Zwangsumsiedlungen, Krebserkrankungen, Fehl- und Totgebur ten. All dies setzte sich bei den nach folgenden 67 Atmosphärentests fort, zu sätzlich zu den Schäden, die die Tests bei den Menschen, ihrem Land, ihrer Kultur verursachten. Heute sind viele von uns davon überzeugt, dass unsere größten gesundheitlichen und sozialen Probleme mit dieser nuklearen Vergangenheit zu Wassammenhängen.mirdiemeisten Sorgen macht, ist die Gesundheit meines Volkes. Als ich im Dezember letzten Jahres nach Hause zu rückkehrte, stellte ich fest, dass die Zahl der Krebserkrankungen bei Frauen, Män nern und jetzt auch bei Kindern von Mars hallesen im In- und Ausland zunimmt.

von Danity Laukon,

Die Mehrheit der Toten wurde „durch Hit zestrahlen außerhalb des Hauses getötet“ oder „innerhalb von Häusern zerdrückt und verbrannt“. Dies waren Todesfälle, die man kaum als menschliche Tode be zeichnen konnte. Selbst diejenigen, die nur knapp überlebten, starben nacheinander an akuten, durch die Atombomben verur sachten Krankheiten wie Fieber, Durchfall, Erbrechen, Blutungen und Haarausfall.

Ich erinnere mich auch daran, dass ich mitten im Sommer wollene Winterkleidung trug, weil ich 40 Grad Fieber hatte.

24 24 KIDO SUEICHI, VORSITZENDER VON NIHON HIDANKYO 24

Kido Sueichi erlebte als Fünfjähriger die atomare Bombardierung Nagasakis

PapisAlexander|ICAN©Foto: D amals waren wir mit meiner Mutter und anderen Frauen aus der Nachbarschaft vor unserem Haus, zwei Kilometer südlich vom „Ground Zero“. [...] Plötzlich hörte ich das Brummen eines Flugzeugs. Ich hörte jemanden sagen: „Seltsam, das hört sich laut an wie ein US-Flugzeug ...“, und wurde von einem Blitz erfasst – mit einem Knall von der starken Explosion getroffen und fiel be wusstlos um. Die linke Hälfte meines Ge sichts und das gesamte Gesicht und die Brust meiner Mutter waren verbrannt. Seltsamerweise kann ich mich überhaupt nicht daran erinnern, wie das Gesicht mei ner Mutter aussah.

nische Regierung ließ die Hibakusha und andere Opfer des Krieges im Stich und ergriff keine Maßnahmen. Die Hibakusha waren gezwungen, zu schweigen. U nterstützt und ermutigt durch die wachsende Bewegung gegen A- und H-Bomben, die durch den Wasserstoff bombentest auf dem Bikini-Atoll 1954 ausgelöst wurde, gründeten die Hibakusha 1956 die Japan Confederation of A- and H-Bomb Sufferers Organizations (Nihon Hidankyo). Sie führte Erhebungen und For schungen darüber durch, was die Atom bombe für die Menschheit bedeutet, und stellte fest, dass die Atombombe eine un menschliche und absolut böse Waffe ist, mit der die Menschen nicht koexistieren können und die es uns nicht erlaubt, als Menschen zu sterben oder als Menschen zu leben. Gleichzeitig haben wir unser Le ben in dem Glauben gelebt, dass die Ret tung der Menschheit vor der Zerstörung durch Atomwaffen der einzige Weg ist, um als Menschen zu leben. Wir haben deutlich gemacht, dass die Schaffung einer Welt ohne Atomwaffen und Krieg der einzige Weg ist, die Menschheit zu retten. Wir ha ben an die Welt appelliert, die Atomwaffen abzuschaffen, und die japanische Regie rung aufgefordert, die Opfer zu entschädi gen [...] Quelle: ippnw.de/bit/hinw22

koexistieren können. Sie zerstörten die Städte Hiroshima und Nagasaki in einem Augenblick und kosteten unzählige Men schenleben. Die meisten von ihnen waren schwache Menschen: Kinder, Frauen und ältere Menschen. Nur vier Prozent der To ten wurden von ihren Familien bestattet.

„Wie ich den Atombombenabwurf erlebt habe“

D ie Hibakusha konnten die Erinnerun gen an diesen Tag nicht ertragen. Sie waren nicht in der Lage, darüber zu spre chen. Die Angst und die Sorge um ihr Le ben, ihren Körper, ihren Lebensunterhalt und ihre Psyche begleiten sie ihr Leben lang. Über zehn Jahre lang vertuschten die Besatzungsmächte die durch die Atom bombenabwürfe verursachten Schäden und unterdrückten die Medienbericht erstattung und die Forschung. Die japa

Am folgenden Tag, dem 10. August, wur den wir nach Michinoo evakuiert. Meine Mutter wurde auf das Türbrett gelegt, und ich wurde in einem Korb getragen, mit dem man sonst Erde und Schmutz trans portiert. Als wir uns dem Ground Zero näherten, sahen wir auf der Straße ver streute Leichen und Menschen, die um Wasser bettelten. Wir konnten nichts ande res tun, als uns zu verschließen und vor beizugehen. Im Fluss lagen viele Leichen von Menschen, die mit letzter Kraft ver sucht hatten, an Wasser zu gelangen. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen, und ich kann es nur als Hölle beschrei ben. Das darf nie wieder passieren! [...] Atombomben sind unmenschliche und ab solut böse Waffen, die nicht mit Menschen

ATOMWAFFENVERBOT

W ir flüchteten in einen tunnelförmigen Luftschutzbunker, der in den Hang eines Hügels gegraben war. Wasser tropfte von der Decke und das Stöhnen der Ver wundeten erfüllte den Bunker. Die Augen meiner Mutter waren bald durch Verbren nungen blockiert. Sie konnte nichts mehr sehen und blieb regungslos liegen.

Der Aktionsplan aus Wien zeigt, wie Abrüstung in Zukunft aussehen kann UND SÜDAFRIKA AUF DER KONFERENZ, 21. JUNI 2022

ICAN©Foto: PALÄSTINA

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Wie weiter mit dem Atomwaffenverbot?

Ruth Rohde studiert interna tionale Geschichte und Politik in Genf. Sie ist Mitbegründerin des Corruption Tracker Projekts, das Korrup tion im internatio nalen Waffenhan del dokumentiert.

Bei ihren Aktivitäten wollen die Staaten be troffene Gemeinschaften bei jedem Schritt einbinden. Die Prinzipien, die man sich für die Umsetzung von Artikel 6 und 7 gege ben hat sind „Zugänglichkeit, Inklusivität, Nicht-Diskriminierung, Transparenz“ und Koordination mit Betroffenen. Darüber hinaus soll die Hilfe für Betroffene auf „alters- und geschlechtssensible Weise“ geleistet werden, „wegen der überpropor tionalen Auswirkungen der Atomwaffen einsätze und -tests auf Frauen, Mädchen und indigene Völker“.

Am 23. Juni 2022 ging die zwei tägige Konferenz der Vertragsstaa ten zum Atomwaffenverbotsver trag (AVV) in Wien zu Ende Es war ein Tag, auf den viele Aktivist*innen lange hingearbeitet, hingefiebert, gewartet hatten, denn die Konferenz repräsentiert einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Implementierung des Atomwaffen verbots. Wie sie sich die Umsetzung des Vertrags jetzt vorstellen, haben die Staa ten in zwei Dokumenten festgehalten: der Wiener Erklärung und einem Aktionsplan. Der 50-Punkte-Aktionsplan enthält dabei die konkreten Schritte auf dem Weg zur Abschaffung von Atomwaffen und der Umsetzung des AVV. Der Universalisie rung (Artikel 12) wird dabei besondere Bedeutung zugemessen. Universalisie rung, das bedeutet für die Vertragsstaaten nicht nur andere Staaten für den Vertrag zu gewinnen, sondern auch die Werte und Prinzipien des Vertrags weiterzuverbrei ten. Ü ber die Universalisierung hinaus be schäftigten sich der Aktionsplan und die Wiener Konferenz unter anderem da mit, wie Abrüstung aussehen soll. Unter anderem fassten die Staaten den Be schluss, dass atomar bewaffnete Staaten zehn Jahre Zeit haben ihre Atomwaffen zu vernichten, sobald sie dem Vertrag beitre ten. Staaten in der atomaren Teilhabe, wie z.B. Deutschland oder die Niederlande, haben 90 Tage Zeit, die Atomwaffen von ihrem Staatsgebiet zu entfernen. Weitere konkrete Rahmenbedingungen, z.B. zur Verifikation von Abrüstung sollen nun aus gearbeitet werden.

Die Wiener Erklärung ergänzt den Ak tionsplan mit weiteren weichenstellenden Aussagen. Sie verurteilt aufs Schärfste jegliche Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen, sich auf die humanitären Grundlagen des Vertrags berufend. Doch der vielleicht beeindruckendste Satz der Wiener Erklärung ist der Schlussatz: „Wir werden nicht ruhen, bis der letzte Staat dem Vertrag beigetreten, der letzte Atomsprengkopf entschärft und zerstört ist, und Atomwaffen von der Erde getilgt Imsind.“Kontext einer Welt, in der sich die atomare Blockbildung auszudehnen, die Atomwaffenarsenale modernisiert und an mancher Stelle aufgestockt werden, zeigte die AVV-Staatenkonferenz einen anderen Weg auf: einen Weg von Kooperation und von Abrüstung als schlichter Überlebens notwendigkeit. Die nächste Vertragsstaa tenkonferenz findet vom 27. November bis zum 1. Dezember 2023 in New York statt. Der Wiener Aktionsplan und die Wiener Erklärung zeigen auf, was es bis dahin braucht, um den AVV voranzubringen.

N eben den Bestimmungen zur Ab schaffung von Atomwaffen beinhaltet der AVV auch sogenannte „positive Ver pflichtungen“, insbesondere im Bereich Hilfe für Opfer und Umweltsanierung (Arti kel 6) und internationale Kooperation (Ar tikel 7). In diesem Bereich sind sowohl die Bestimmungen des AVV selbst als auch die geplanten Aktionen besonders progressiv. Unter anderem streben die Staaten an, die Umsetzbarkeit eines internationalen Fonds zur Unterstützung von Atomwaffeneinsatz oder Tests betroffener Staaten zu prüfen.

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P räsident Putin hat die Formel in sei nem Statement zu Beginn der Kon ferenz aus dem Off wiederholt, damit ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die anderen Atomwaffenstaaten das auch tun. Sie könnten aber erklären, dass sie auf den Einsatz der Atomwaffen im jetzi gen Konflikt verzichten. Oder vereinbaren, Atomwaffen nicht als erstes einzusetzen, wie UN-Generalsekretär António Guterres sowie China fordern. Aber am besten wäre es, die Aussage zu verabschieden, dass Atomwaffen unter keinen Umständen ein gesetzt werden dürfen. Letzteres scheint momentan kaum erreichbar zu sein, soll te aber trotzdem immer wieder gefordert werden.

Von Wien nach New York

Die Kluft zwi schen den atomwaffenbesitzenden und atomwaffenfreien Staaten ist größer denn je. Hinzu kommt die offene Feindschaft zwischen den USA, Frankreich, Großbri tannien auf der einen Seite, und Russland, China auf der anderen. Belastet wird der Nichtverbreitungsvertrag weiterhin durch den Konflikt zwischen Israel und Iran so wie das Ausbleiben der seit langem disku tierten „massenvernichtungswaffenfreien Zone“. Dennoch war es wichtig, dass die ursprünglich für 2020 geplante Überprü fungskonferenz jetzt endlich in Präsenz stattfinden konnte.

Ende des Wettrüstens und Ver hinderung des Atomkrieges

Zusammenhalt aller Staaten durch Anerkennung des AVV Um die Kluft zwischen den Befürwortern der nuklearen Abschreckung und den ca. 150 anderen, atomwaffenfreien Staaten zu überbrücken, sollten die Befürworter der Abschreckung mindestens die Existenz des Atomwaffenverbotsvertrags anerken nen. Der UN-Vertrag ist bereits seit 2021 in Kraft, daher gehört er zum internatio nalen Recht, wenn er auch umstritten ist. Deutschland hat in seinem Statement in Wien, wo es als Beobachterstaat teilnahm, eine Art Anerkennung ausgesprochen: „Wir teilen voll und ganz das Ziel, eine Welt

ATOMWAFFENVERBOT

Die Staatenkonferenz in Wien war voller positiver Kraft, die die Teilnehmer*innen getankt ha ben – auch für die eher schwie rige Überprüfungskonferenz des Nicht verbreitungsvertrags in New York im August 2022. Alle waren derselben Meinung: New York wird vom Ukrainekrieg überschat tet, deshalb ist vieles nicht mehr möglich. Am wenigsten zu er warten ist ein Konsens über ein EsAbschlussdokument.istdeutlichzuspüren:

E s gibt eine Reihe von Forderungen und Erwartungen der Zivilgesellschaft. NGOs riefen zu Beginn der Konferenz dazu auf, sich auf einen „sinnvollen“, um setzbaren Aktionsplan zu einigen. Zum Vergleich: Die AVV-Staaten hatten auf der Konferenz in Wien für die Umsetzung des Atomwaffenverbotes einen Aktionsplan mit 50 Punkten verabschiedet.

Von der Staatenkonferenz ging es weiter in die USA, wo über den Nichtverbreitungsvertrag verhandelt wurde

In New York könnte am 26. August eine „Erklärung des Vorsitzes“ verabschiedet werden, falls kein Konsens erreicht wird. Oberste Priorität sollte die Verhinderung eines Atomkriegs sein: Die NVV-Staaten sollten die eskalierende nukleare Rhetorik verurteilen und den Satz aus der Wiener Erklärung bekräftigen: „... jeder Einsatz von Atomwaffen oder die Androhung eines solchen Einsatzes stellt eine Verletzung des Völkerrechts, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, dar. Wir verurtei len unmissverständlich alle nuklearen Dro hungen, seien sie nun direkt oder indirekt und ungeachtet der Umstände.“ Während die Verhinderung des Atomkrie ges und ein Ende des Wettrüstens als drin gende Aufgabe für alle Staaten gesehen werden, wollen viele AVV-Staaten im Kon flikt zwischen dem Westen und Russland nicht instrumentalisiert werden. Deswegen wurden in Wien jegliche Drohungen mit Atomwaffen verurteilt – nicht nur die rus sischen. Diese Sichtweise aus dem Glo balen Süden wird nach wie vor ignoriert. Viele afrikanische und lateinamerikanische Staaten sind der Meinung, dass die Dro hung von allen Atomwaffenstaaten kommt. Auch der neue IPPNW-Report zur nuklea ren Hungersnot nach einem Atomkrieg (siehe S. 28f.) belegt diese Befürchtung: Die Gefahr ist nicht nur russisch – sie liegt darin, dass rund 40 Befürworterstaaten an die nukleare Abschreckung glauben. Eine Erklärung der P5, der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, zu Atom waffeneinsätzen ist überfällig. Ein ge meinsames Statement, mit Bekräftigung der „Reagan-Gorbatschow-Formel“ wäre ein allererster Schritt: Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.

NVV-Staaten anerken nen, dass die indigenen Völker dieser Welt mehr unter der Entwicklung von Atomwaf fen gelitten haben als andere. Die meisten Atomtests wurden in kolonisierten Gebie ten durchgeführt – die dort lebenden Men schen wurden ohne ihre Zustimmung und teilweise auch ohne ihr Wissen verstrahlt. Erst jetzt versuchen Forscher*innen das Ausmaß des Problems zu erfassen. Diese Forschung sollte von den Verur sacherstaaten finanziert und ermöglicht werden, durch Freigabe von Gesundheits daten. Darüber hinaus müssen die Betrof fenen entschädigt werden. Hier könnte der NVV dem guten Beispiel des AVV folgen: Die Mitgliedsstaaten könnten erklären, sich den „positiven Verpflichtungen“ des AVV anschließen zu wollen, sich also an der Betroffenenhilfe und Umweltsanierung durch einen internationalen Fonds zu be teiligen.Xanthe Hall ist Referentin derAtomwaffenfürdeutschenIPPNW.

27 ohne Atomwaffen zu erreichen, und wir erkennen die Motive und das Engagement der AVV-Vertragsstaaten in dieser Hinsicht an. Wir schätzen insbesondere die vorge tragene humanitäre Perspektive.“ (Bot schafter Rüdiger Bohn)

2. AUGUST 2022: SIT-IN VOR DER US-VERTRETUNG BEI DER UN IN NEW YORK SheldenSeth|CAN©Fotos:

A uch im Koalitionsvertrag hat die Bun desregierung erklärt, „die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten“ zu wollen. In Wien sagte Botschafter Bohn, dass die Staaten, ob befürwortend oder skeptisch, „Schulter an Schulter“ arbei ten sollen, um das wachsende Risiko des Einsatzes zu verringern und eine neue Proliferation aufzuhalten. Mit diesen Aus sagen versucht die Bundesregierung im mer noch, einer direkten Anerkennung des UN-Vertrags auszuweichen und ihn zu relativieren. Zudem liegt der Fokus auf Risikominimierung und Nichtverbreitung, nicht auf Abrüstung. Aus dem Lager der NATO-Mitglieder gibt es bisher keine positiven Signale gegen über dem AVV, außer von Außenministe rin Baerbock, die sagte: „Setzen wir uns dafür ein, die Polarisierung zu überwinden – lassen Sie uns den Auffassungen der Länder des Nordens und der Länder des Südens der NVV-Gemeinschaft gleiches Gewicht beimessen. Vor diesem Hinter grund hat sich Deutschland entschlossen, als Beobachter an der ersten Konferenz der Vertragsstaaten zum Atomwaffenver botsvertrag (AVV) teilzunehmen.“ Baer bock erklärte, dass Deutschland bei der Bewältigung der humanitären Folgen von Atomwaffen mit den AVV-Staaten zusam menarbeiten wolle. Auch das Thema ge schlechtsspezifische Folgen von Atomwaf fen hat sie in ihrer Rede anerkannt. Leider steht das Handeln der Bundesregierung noch in Widerspruch zu diesen Worten –denn mit der nuklearen Teilhabe nimmt sie aktiv an der Vorbereitung eines Atomkriegs teil.

Die kasachische Friedensforscherin Togh zan Kassenova erklärte kürzlich in einer Online-Diskussion über die Verifikation des Atomwaffenverbots, dass man Atom waffenpolitik und Atomwaffen nicht von den humanitären Folgen für die Menschen trennen könne. Das atomare Erbe muss mitbedacht werden. In derselben Diskus sion meinte Sébastien Philippe, der Autor von „Toxique“, zu den Folgen der franzö sischen Atomtests, der AVV würde mehr Forschung zu den Folgen von Atomwaffen mit sich bringen. Diese Forschung setze die Atomwaffenstaaten unter Druck, dar auf zu antworten.

E ine weitere wichtige Forderung der Zi vilgesellschaft ist es daher, die bereits bei der Überprüfungskonferenz 2010 fest gehaltene Anerkennung der humanitären Folgen von Atomwaffen zu bekräftigen. Neu hinzuzufügen wäre, dass Strahlenfol gen Frauen und Mädchen stärker betreffen. Die Mädchen, die in Hiroshima und Na gasaki der Strahlung der Atombomben abwürfe ausgesetzt waren, waren doppelt so häufig von Krebs betroffen wie Jungen.

Auch die erwachsenen Frauen waren zu 50% stärker betroffen als gleichaltrige Männer. Das erläuterte Mary Olson (NIRS) auf der Humanitären Konferenz in Wien.

Warum das so ist, muss noch erforscht werden. Eine Hypothese ist, dass Frauen mehr strahlungsempfindliches Fortpflan zungsgewebe haben. Damit wäre nukleare Abrüstung ein Beitrag zu einer feministi schen ZudemAußenpolitik.müssendie

Anerkennung der humanitären Folgen: auch geschlechtsspezifisch

IPPNW-Metastudie gibt einen Überblick Mit dem Überblickspapier „Nukleare Hun gersnot“ fasst Matt Bivens für die IPPNW die Erkenntnisse von Lili Xia und dem Team der Rutgers-Universität zusammen. Gleichzeitig gibt er einen Überblick über bisherige Forschungen, die allesamt die dramatischen globalen Auswirkungen eines „begrenzten Atomkrieges“ belegen. Schon 2007 haben die Klimaforscher Bri an Toon, Alan Robock et al. in einer weg weisenden Studie einen hypothetischen Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan modelliert. Bei dem Szenario, das auch später immer wieder genutzt wurde, wird angenommen, dass beide Länder jeweils 50 Atomwaffen gegen das andere ein setzen. Es handelte sich um ein frühes Ausloten, wie ein „begrenzter“ bzw. re gionaler Atomkrieg aussehen könnte. Sie sagten damals eine abrupte Abkühlung um 1,3 °C voraus, einen enormen Schock für den gesamten Planeten. Dies war der Anfang einer Reihe von Untersuchungen. Diese und andere Forschungsergebnisse brachten die IPPNW 2013 zu dem Ergeb nis, dass bei diesem Szenario eine Zahl von zwei Milliarden Menschen weltweit verhungern könnte. Schädigung der Ozonschicht

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zer störung der Ozonschicht. 2008 model lierten Michael Mills und ein Team des National Center for Atmospheric Research (NCAR) in einer Studie die Auswirkungen desselben hypothetischen Szenarios mit 100 detonierten Atomwaffen zwischen In dien und Pakistan – und kamen zu dem Ergebnis, dass 20 % der Ozonschicht weltweit zerstört würden. Über der nördli chen Hemisphäre – den USA und Kanada, Europa, Russland und China – wären die Auswirkungen am massivsten, 50–70 % der Ozonschicht würden hier zerstört.

ATOMWAFFENVERBOT

28 Was sind die Folgen eines Atomkrieges? Neue Simulationen von Xia, Robock et al. Neue Studien mit aktuellen Klimamodel len machen deutlich: Ein Atomkrieg hätte Auswirkungen auf den gesamten Planeten. Das Klima, die globalen Nahrungsmittel ketten und wahrscheinlich die öffentliche Ordnung kämen zum Erliegen. Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Menschen kämen durch Hungersnöte und Unruhen ums Leben.

Die Jahre ohne Sommer

SonnenlichtwirddurchRußblockiertGlobalerAbfallderTemperaturen

Ein Krieg zwischen Indien und Pakistan, die beide immer mehr Atomwaffen mit höherer Sprengkraft anhäufen, könnte eine stratosphärische Belastung zwischen

„Regionaler“Atomkrieg

Kollaps Lebensmittelglobaler-produktion

5 und 47 Tg Ruß verursachen. Ein Krieg zwischen den USA bzw. der NATO und Russland – die mehr als 90 % des weltwei ten Atomwaffenarsenals besitzen – könnte mehr als 150 Tg Ruß in die Atmosphäre Fünfschleudern.dersechs

„In einem Atomkrieg käme es durch auf Städte und Industriegegenden abgeworfe ne Atomwaffen zu Feuerstürmen, und das würde große Mengen an Ruß in die Atmo sphäre befördern, die sich dann rasch ver breiten und den Planeten abkühlen wür den“, besagt eine neue, im August 2022 in Nature Food veröffentlichte Studie. Das von Lili Xia an der Rutgers Universität ge leitete internationale Team von Klimafor scher*innen hat anhand verschiedener Szenarien eines Atomkrieges berechnet, wie viel sonnenverdunkelnder Ruß ent stünde. Berechnet wurde, wie stark die globalen Temperaturen im Ergebnis fallen würden, was mit dem Nahrungsmittelan bau in verschiedenen Ländern geschähe – und wie viele Menschen innerhalb der folgenden zwei Jahre verhungern würden.

IPPNW-Studie gibt einen Überblick über Forschungsergebnisse zur „nuklearen Hungersnot“

WeltweiteHunger-kata-strophe

Charles Bardeens Studie zur Ozonschicht (NCAR, 2021) gelangt mit Hilfe aktualisier ten Klima- und Chemiemodells zu einem ähnlichen Schluss: Ein regionaler Atom krieg würde die globale Ozonschicht um 25 % reduzieren. Das Ozon bräuchte min destens zwölf Jahre, um sich zu erholen.

von Xia et al. berechne ten Szenarien mit verschiedenen Zahlen detonierter Atomwaffen entsprechen den regionalen Atomwaffenarsenalen (Indien, Pakistan, China). Die Ergebnisse: Mit we niger als 3 % der weltweiten Atomwaffen könnte ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan ein Drittel der Menschen auf der Erde töten. In einem sechsten Sze nario berechneten sie, dass im Fall eines „großen“ Atomkrieges zwischen Russland und den USA fünf Milliarden Menschen innerhalb von zwei Jahren an Hunger ster ben könnten.

MedinaDanielZeichnung:

kcal/Tag2.8832.350kcal/Tag2.100kcal/Tag1.911kcal/Tag

Infrastrukuren & öffentliche Gesundheit

Die Gesellschaften weltweit würden verzweifelte Maßnahmen gegen den Hunger ergreifen. Xia und Kolleg*innen haben auch Berechnungen zu vielen dieser Ab hilfemaßnahmen angestellt. Das Ergeb nis: sobald die weltweit verfügbare Nah rung um ein Viertel oder um die Hälfte abnimmt, hungern die Menschen, ganz gleich, wie klug sie verwalten. Auch wenn die Modelle von Xia et al. sehr differenziert sind, modellieren sie nur die Missernten aufgrund von verdunkelndem Ruß und die damit verbundene globale Abkühlung. Viele weitere Aspekte bleiben unberück sichtigt, wie die Auswirkungen des radio aktiven Niederschlags durch den Atom krieg auf die verfügbare Nahrung oder die menschliche Gesundheit, oder die erhöhte UV-Strahlung durch die wahr scheinliche Ozonschädigung, oder die wirtschaftlichen Verwerfungen durch den Zusammenbruch von Lieferketten oder der öffentlichen Ordnung.

Gemäß UN Food & Agriculture Organization (FAO) ist der globale Durch schnitt 2.884 kcal/Tag.

Das Fazit der IPPNW Auch ein „begrenzter“ Atomkrieg wäre mit großer Sicherheit das Ende unse rer modernen Zivilisation, so Bivens: „Eine Abfolge von Jahren ohne Sommer, mit Miss ernten, Hamsterkäufen und massenhafter Hungersnot würden alles auf den Kopf stellen, vom Welthandel bis zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Keine Zivili sation konnte bisher einem Schock dieser Größenord nung standhalten. Es gibt allen Grund anzunehmen, dass die wirtschaftlichen, politischen und techni schen Systeme, die für uns selbstverständlich sind, zu sammenbrechen würden.“

29 NASA-Studie zu Pflanzen-Erträgen 2020 hat das Team von Jonas Jägermeyr (NASA Goddard Institute for Space Stu dies) anhand von Wachstumsmodellen simuliert, wie die wichtigsten Lebensmit telpflanzen auf die Abkühlung reagieren würden. In diesen Modellen führten 5 Tg Ruß zu einer globalen Abkühlung von 1,8 °C und mindestens fünf Jahren Miss ernten. Mais und Weizen – zwei der wich tigsten Grundnahrungsmittel auf der Welt – werden um 13 % reduziert. Von den Aus wirkungen wären vor allem die Länder der nördlichen Halbkugel massiv betroffen. Die Studie aus dem Waffenlabor Auch Wissenschaftler*innen aus dem USAtomwaffenlabor Los Alamos meldeten sich 2018 zu Wort – als einzige mit ab weichenden Prognosen. Das Los Ala mos-Team befasste sich mit demselben hypothetischen Krieg zwischen Indien und Pakistan. Es führte seine Simulatio nen jedoch nicht in einem pakistanischen oder indischen Stadtgebiet durch, son dern anhand von Satellitenbildern aus den USA. Robock et al. stellten fest, dass die Bilder „ein Zielgebiet in einem Vorort von Atlanta zeigen, das einen Golfplatz, einen Spielplatz und einzelne Häuser mit großen Gärten mit wenig brennbarer Materie um fasst, was nicht repräsentativ für dicht be siedelte Städte in Indien und Pakistan ist“.

Die IPPNW-Studie finden Sie zum Download ippnw.de/bit/hungersnotunter: Regine Ratke ist Redakteurin IPPNW-Forums.des

Das Team von Los Alamos hat das ver fügbare „Brennmaterial“ in dichten asiati schen Städten um mindestens das Zehn fache unterschätzt. Es geht von einem 40-minütigen Stadtbrand aus – und das, obwohl die großen Stadtbrände im Zwei ten Weltkrieg Stunden bis Tage anhielten; es simuliert keine Gasleitungsbrüche, wie es sie in Hiroshima gab, und es gibt Kli mabedingungen vor, die eine Entwicklung von Feuerstürmen verhindern. Es ist be kannt, dass das Pentagon das Potential von Atomwaffen, Feuerstürme zu erzeu gen, immer wieder heruntergespielt hat.

Die ungefähre Kalorienzahl zum Überleben in Not lagen ist 2.100 kcal/Tag, was auch als Schwelle zur Unterernährung gilt. Xia und Kollegen nennen 1.911 kcal/Tag als Hunger grenze.

Zielvorgabe in

Minimum,KalorienaufnahmelicheDurchschnitt-globaleumnormaleAktivitätundGesundheitauf-rechtzuerhalten

Das Team aus Los Alamos behauptete auch, es sei sehr unwahrscheinlich“, dass Ruß und Rauch aus einem regionalen Atomkrieg bis in die Stratosphäre aufstei gen würden. Bei den großen Waldbränden in Kanada 2017 und Australien 2019-20 zeigte sich allerdings: Riesige Mengen Rauch wurden hoch in die Stratosphäre geschleudert. Der australische Ruß und Rauch etwa war monatelang in der Strato sphäre zu verfolgen, in ähnlichen Mengen wie bei einem Vulkanausbruch.

HungergrenzeNotlagen

Der ursprüngliche Start des Associate-Projekts, in dem interes sierte Menschen aus dem Gesundheitswesen eine quasi inter nationale Mitgliedschaft in der IPPNW eingehen können, musste verschoben werden. Der Weltkongress in Mombasa fiel COVID zum Opfer. Er ist nun für die letzte Aprilwoche 2023 geplant: Save the Date! Associate: Was ist damit gemeint? Aber so lange wollen wir nicht mehr warten. Associate: Was ist damit gemeint? Die IPPNW hatte bis jetzt nur nationale Organisa tionen mit nationaler Mitgliedschaft. In einer Reihe von Ländern aber gibt es anders als in Deutschland keine funktionierenden Vereinsstrukturen – oder gar keine IPPNW. Dabei braucht es doch die Identität von IPPNW-Weltbürger*innen, am besten ab dem ersten Semester. Und das dürfen auch Menschen aus dem Bereich Public Health sein. So kann einerseits Geld eingenom men werden für unsere Arbeit, einschließlich politischer Kampa Ingnenarbeit.Europagehört

Europäisches IPPNW-Treffen in Hamburg

wollen wir uns in der internationalen IPPNW „treffen“ und die Zusammengehörigkeit stärken. Das ist wichtig, damit die Energie, die wir gemeinsam entfalten können, effektiv kanalisiert wird.

WELT

Die Zusammengehörigkeit stärken

Die deutsche IPPNW lädt die europäischen Sektionen herzlich zu einem europäischen Regionaltreffen in Hamburg ein, das im Januar 2023 stattfinden soll. Der Ukrainekrieg stellt viele unserer europäischen Schwesternsektionen vor neue Herausfor derungen, unter anderem in Schweden und Finnland nach der Entscheidung ihrer Regierungen, der NATO beizutreten. Unsere Idee ist es, einen gemeinsamen europäischen Appell an die EUKommission und das EU-Parlament zu formulieren mit dem Ziel, einen Atomkrieg zu verhindern. Unser Treffen wollen wir ab Mitte September mit einer ersten Online-Sitzung vorbereiten.

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dazu das Bewerben des Atomwaffenverbots vertrages in verschiedenen Ländern, das Unterstützen lokaler Kampagnen wie Mayors for Peace, des ICAN-Städteappells oder anderer gezielter Aktionen. Vieles ist denkbar, was gemeinsam entwickelt werden kann. Das Potential ist riesig. Auch die Asso ciates werden sich im Januar in Hamburg austauschen Anmeldungen: Wegen der Absetzbarkeit als Spende für deutsche Aktive unter: www.ippnw.de – international unter: ippnw.org Dr. Angelika Claußen ist Co-Vorsit zende der deutschen IPPNW und Co-Präsidentin der europäischen IPPNW. Dr. Lars Pohlmeier ist Co-Vor sitzender der deutschen IPPNW.

Der Krieg in der Ukraine mit seinen massiven nuklearen Risi ken macht den Menschen in Europa Angst: Einerseits das Risiko eines Atomkrieges und andererseits das Risiko einer Atomka tastrophe aufgrund der Kampfhandlungen um Europas größtes AKW, Saporischschja. Die IPPNW arbeitet derzeit intensiv daran, eine atomare Katastrophe zu verhindern. Für viele IPPNW-Sek tionen ist dabei der neue Report zur nuklearen Hungersnot ein zentrales Thema. Er zeigt, dass selbst ein „begrenzter“ regionaler Atomkrieg eine globale Klima- und Hungerkatastrophe auslösen würde. Der Bericht wurde inzwischen auch auf Deutsch veröf Friedenfentlicht ist unser oberstes Ziel, das wir im Auge haben, wenn wir unsere humanitären Anliegen in das militarisierte Sicherheitsden ken vieler Politiker*innen und Sicherheitsexpert*innen einbrin gen. Die IPPNW fordert weiterhin „hartnäckig“ die nukleare Ab rüstung, wie Bimal Kadka von Medact (UK) es formulierte. „Wenn wir überleben wollen, müssen wir unseren Kurs ändern“, forderte der ehemalige IPPNW-Co-Präsident Ira Helfand auf der Überprü fungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York. Wir stehen vor der akuten Gefahr eines Atomkrieges in Europa. Verhin dern wir ihn jetzt, indem wir das Atomwaffenverbot vorantreiben. Wir freuen uns über Rückmeldungen, falls Sie Interesse haben, am europäischen IPPNW-Treffen mitzuwirken. Weitere Informa tionen finden Sie unter: ippnw.eu Als Associate die internationale IPPNW unterstützen

Einladung zum Treffen der Europäischen IPPNW und zum Associate-Programm der IPPNW

Es gibt nichts Gutes, außer man trifft sich“, so müsste die alte Binsenweisheit für die IPPNW abgewandelt werden. Sich persön lich treffen, sich begeistern für unsere wichtige Arbeit – und all das am besten global. Mit dem Associate-Projekt der IPPNW

Spaziergang und kreative Aktionen

B eim Aktionscamp in Büchel fanden rund um das Militärge lände kreative Aktionen statt. In Workshops wurden unter an derem Papierblumen und -kraniche gebastelt. Auf der Geburts tagsfeier für das Atomwaffenverbot gab es Tanz und Theater. Der Liedermacher Gerd Schinkel sorgte mit politischen Songtexten für Begeisterung bei den Zuhörer*innen. Bei einem Wochenendspaziergang um den Fliegerhorst redete unter anderem der Medizinethiker Sebastian A. Höpfli (Freiburg). Er führte aus, dass große Krisen alle Menschen gemeinsam be träfen, aber eben deshalb auch gemeinsam angegangen werden könnten. Atomwaffenexpertin Xanthe Hall rief zur Zuversicht trotz erschwerter Protestbedingungen auf: „Ich habe vor 40 Jahren den Atomwaffenstützpunkt Greenham Commons in Großbritan nien blockiert. Dieses Gelände gehört inzwischen wieder der Ge meinde. Wir werden das auch in Büchel erleben, dass wir den Abzug der Atombomben feiern.“

Aktionscamp Büchel

31 AKTION

IMI_Handbuch_Ruestung_web.pdf

Wissenschaftliche Erkenntnisse brauchen lange, um sich durchzusetzen, wenn es sich um unbequeme Wahrheiten han delt – ein Beispiel ist die Evolutionstheorie Darwins, die Jahr zehnte brauchte, um sich durchzusetzen. Meine Erfahrung in der Klimadiskussion ist, dass das Problemverständnis sich oft noch zu sehr im Mainstream bewegt und die Wachstumsfrage nicht radikal genug ins Zentrum gerückt wird. Dabei gibt es bereits Ansätze zu einer anderen Ökonomie, die innerhalb der planetaren Grenzen bleibt und zu mehr Wohlergehen für (fast) alle führen würde. Der Autor beruft sich nicht zuletzt auch auf die Weisheit und Weltanschauung indigener Völker, in der alle Dinge miteinander verbunden sind und das Verhältnis unter einander von Respekt geleitet sei, von einem Gleichgewicht des Gebens und Nehmens. Das Prinzip des Kapitalismus sei jedoch, mehr zu nehmen als zu geben. Das führe uns unver meidlich ins Verderben.

GELESEN

32 Weniger ist mehr Jason Hickel stellt die Grundlagen unserer Wirtschaft als wesentliche Ursache der öko logischen Krise grundsätzlich in Frage – nach Einsteins Motto: Wir können die Probleme nicht mit demselben Denken lösen, das zu ihrer Entstehung geführt hat.

Das „Handbuch Rüstung“ gibt einen Überblick über 600 deutsche Rüstungsunternehmen. Die sechs Autor*innen haben wichtige Basisinformationen zur Produktion und Beschaffung von Rüstungsgütern in Deutschland zusammengetragen. S eit der Jahrtausendwende bekommt die Bundeswehr Jahr für Jahr mehr Geld: Im Jahr 2000 betrug das Budget 24,3 Milliarden Euro, 2021 waren es stolze 46,93 Milliarden –fast eine Verdoppelung. Für immer weniger scheint immer mehr Geld ausgegeben zu werden. In die aktuelle Debatte um die Aufrüstung und das 100-Milliar den-Paket mischt sich die IMI mit Fakten, die Orientierung geben: Welches sind die größten Rüstungshersteller in Deutschland und weltweit? Wie ist das Budget der Bundeswehr in den letzten Jahren gewachsen? Wie soll die Verteilung des „Sondervermögens“ ausse hen? Was sind die rechtlichen Grundlagen für Rüstungsexporte? Wie funktioniert das Beschaffungswesen der Bundeswehr? Für welche Schlüsseltechnologien ist eine Herstellung in Deutschland vorgese Diehen?IMI hat mit dem „Handbuch Rüstung“ ein informatives Verzeich nis von 600 Rüstungsfirmen in Deutschland zusammengestragen. Die Autor*innen wollen damit lokale Debatten über Sinn und Zweck einer solchen Branche anregen. Was produzieren die Firmen und wie werden die Produkte eingesetzt? Deutlich werden bei dieser Untersu chung Verflechtungen mit anderen Unternehmen sowie auch mit ein zelnen Rüstungsprojekten. Rüstung ist nicht das Produkt nur weniger großer Firmen, die wie Rheinmetall, Krauss-Maffei-Wegmann, Airbus, Heckler & Koch oder Diehl bekannte Namen tragen: „Die Produktion ist lokal – auch eine Auseinandersetzung mit Rüstung könnte daher lokal geführt werden“, schreiben die Autor*innen.

Jason Hickel: Weniger ist mehr. Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind. Oekom, München 2022, 352 S., 24,- €, ISBN: 978-3-9623 8-284-1 (Englische Ausgabe ca. 12,- €) Dieter Lehmkuhl Handbuch für Aktivist*innen

Fazit: Eine wichtige Ressource für alle, die lokal aktiv werden wol len. Gleichzeitig ist das Handbuch eine nützliche Diskussionshilfe, die wichtige Argumente zur Aufrüstungsdebatte und zum 100-Mil liardenpaket zusammenfasst und visualisiert.

IMI e.V.: Handbuch Rüstung. Von Jacqueline Andres, Christoph Marischka, Jan Sander, Andreas Seifert, Jürgen Wagner und Su sanne Weipert. Tübingen 2022, 100 S., für 8,- Euro zu bestellen unter imi-online.de, Download unter: www.imi-online.de/download/

D er Autor sieht unser Wachstumsmodell als Ursache, bei dem es primär um Expansion, weitere Extrak tion und Kapitalakkumulation geht und primär nicht um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und Wohlergehen. Er verweist auf die zugrundeliegende Philoso phie der Trennung von Geist und Materie, die Descartes und andere Philosophen der Aufklärung entwickelt haben – und die damit verbundene Trennung von Mensch und Natur, die die Setzung des Menschen über die Natur zur Folge hat. Er verweist auf die zunehmende Evidenz von Biologie, Ökologie, Quantenphysik u.a. Wissenschaftsdisziplinen, dass Menschen keine losgelösten Individuen sind. Wir alle, auch Bäume und selbst nicht lebende Materie sind untereinander in vielfältiger Weise verbunden, als ein „Web of Live“.

Das Buch hat zu einer bereichernden Erweiterung meiner Per spektive geführt: Ein wichtiger Kompass zur Orientierung!

Regine Ratke

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Herausgeber: Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzt*innen in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW) Sektion Deutschland Redaktion: Ute Watermann (V.i.S.d.P.), Angelika Wilmen, Regine Ratke Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körtestraße 10, 10967 Berlin, Tel.: 030 6980 74 0, Fax 030 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de, www.ippnw.de, Bankverbindung: GLS Gemeinschaftsbank IBAN: DE 23 4306 0967 1159 3251 01,

Aktionstag

Eine Sammlung bestehender Vorschläge und möglicher Schritte, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden. 10 Seiten A4 – fortlaufend ak tualisiert. Preis: je 0,50 zzgl. Versand Bestellen unter: shop.ippnw.de Download: ippnw.de/bit/waffenstillstand Bericht über eine Reise in die Türkei vom 12. bis 26. März 2022. 20 Seiten A4 – mit vielen Bildern. Preis: je 2,- zzgl. Versand Bestellen unter: shop.ippnw.de Download: ippnw.de/bit/tuerkei-22

Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: forum@ippnw.de

SEPTEMBER/ 13.9. Podiumsdiskussion „Der deutsche Atomausstieg im Kontext von Europa: Euratom und die EU Taxonomie“, Braunschweig 23.9. Globaler Klimastreik 23.-24.9. Attac-Tagung: „Wege zum Frieden: den globalen Krieg verhin dern“, Frankfurt / Main 3.-14.10. Menschenrechtler*innen aus Diyarbakir zu Besuch in Deutschland: ippnw.de / bit / tuerkei OKTOBER 17.10. „Klima und Gesundheit –Handlungsoptionen zum nachhaltigen Gesundheitsschutz“, Stuttgart, mit Dr. med. Robin Maitra 21.-23.10. Sechster Internationaler IPPNW-Kongress Medizin und Gewissen: LebensWert, Nürnberg 22.10. absagen!“„Atomkriegsmanöver–DemoinNörvenich NOVEMBER 25.11. „Menschenrecht auf Asyl – gesundheitliche Folgen von Abschiebung“, Stuttgart DEZEMBER 3.12. Vortrag: „Medizin im National sozialismus“, Landsberg am Lech Weitere Informationen

IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS

Das nächste Heft erscheint im Dezember 2022. Das Schwerpunktthema ist: Medizin und Gewissen

BIC: GENODEM1GLS Das Forum erscheint viermal jährlich. Der Be zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers. Nach drucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung. Redaktionsschluss für das nächste Heft: 30. Oktober 2022 Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout: Regine Ratke; Druck: DDL Berlin Papier: Circle Offset, Recycling & FSC. Bildnachweise: Fotos: privat oder IPPNW.

GEDRUCKTGEPLANT

www.ippnw.de/aktiv-werden/termineunter:TERMINE

Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 172 / Dezember 2022 ist der 30. Oktober 2022.

„Keinen Euro für Krieg und Zerstörung! Für eine soziale, gerechte und ökologische DezentralerFriedenspolitik!“bundesweiterAktionstag.MehrInfos:friedenskooperative.de

Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine

Widerstand(Un-)vergessenerReisevonIPPNW-MitgliedernindenSüdostenderTürkeiInteressiertebittenwir,sichbeiunszumelden:kontakt@ippnw.de vormerken: 11. 25. 03. 2023 1.10.2022

Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie sowie Gründer des Vereins „Armut und Gesundheit“

Fragen an …

1Wie beeinflusst Armut die Lebenserwartung? Armut geht in unserer Gesellschaft häufig mit physischem und psychischem Leid und höheren Erkrankungsraten bis zu einer signifikant gerin geren Lebenserwartung einher. Zwischen dem reichsten und dem ärmsten Viertel der deutschen Bevölkerung besteht ein Lebens erwartungsunterschied von 8,6 Jahren bei den Männern und von 4,4 Jahren bei den Frauen. Die Daten des Sozialberichtes „Daten report 2021“ bestätigen diese signifikant niedrigere Lebenserwar tung Armutsbetroffener. 31 Prozent der von Armut betroffenen Männer erreichen das 65. Lebensjahr nicht.

5 Was drückt der Begriff der „Gleichwürdigkeit“ für Sie aus ? Dieser Begriff, den der dänische Therapeut Jesper Juul in die deutsche Sprache eingeführt hat, drückt für mich eine fun damentale menschliche Beziehungs- und Kommunikationsebene aus: Menschen in Würde zu begegnen und ihnen damit ein Stück Würde, die bei armen Menschen oft verloren gegangen ist, zurück zugeben. Diese Würde spiegelt sich gerade auch in einer für jeder mann unabhängig von seinem*ihrem sozialen Status zugänglichen und umfassenden Gesundheitsversorgung wider.

TrabertGerhardFoto:

Gerhard Trabert

4Wie müsste hier gehandelt werden? Untersucht man das Ge sundheitsverhalten der von Armut betroffenen Menschen, so fällt auf, dass sie das bestehende medizinische Angebot meist nicht ausreichend wahrnehmen, bzw. dass das medizinische Ver sorgungssystem diese Mitmenschen nicht erreicht. Sie nehmen präventive Gesundheitsangebote wie z. B. Vorsorgeuntersuchungen

2 Andererseits führen chronische Krankheiten wie AIDS oder Krebs zunehmend zu materieller Armut… Die Deut sche AIDS-Hilfe und die Deutsche Krebshilfe bestätigen, dass es bei Betroffenen immer häufiger zu einer materiellen Verarmung kommt. Die Anträge auf finanzielle Unterstützung haben bei die sen Organisationen in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

Prof. Dr. Gerhard Trabert wird auf dem Kongress Medizin & Gewissen in Nürnberg zum Thema „Gesundheit ist ein Menschen recht“ referieren: medizinundgewissen.de

und Impfmaßnahmen seltener wahr. Ein niedrigschwelliges Versor gungsangebot „vor Ort“ innerhalb sozialer Brennpunkte, Wohnungs loseneinrichtungen, Drogenberatungsstellen, Arbeitsämter, Schu len, Kindergärten wurde partiell in den vergangenen Jahren ver schiedentlich praktisch umgesetzt und zeigte durchweg eine hohe Inanspruchnahme durch die Zielgruppe. Dies sollte interdisziplinär geschehen. Ziel ist dabei nicht die Schaffung einer Alternativver sorgungsstruktur. Jede Patientin und jeder Patient hat ein Recht auf eine adäquate medizinische Hilfe im Regelversorgungssystem.

6Warum sind gerechte Gesellschaften besser für alle? Richard Wilkinson und Kate Pickett belegen in „Gleichheit ist Glück“ (2009), dass mit zunehmender Ungleichverteilung der vorhande nen gesellschaftlichen Ressourcen nicht nur bei Armen, sondern interessanterweise auch bei den Reichen Problemkonstellationen ansteigen: Physische sowie psychische und soziale Probleme wie Stress, Depressionen, Gewalt, Konkurrenz, soziale Verwahrlosung nehmen zu. Mehr Gleichheit fördert das gegenseitige Vertrauen mit der Folge, dass die Menschen glücklicher sind und damit in allen gesellschaftlichen Klassen die Lebenserwartung steigt, De pressionen deutlich seltener festgestellt werden, die Quote von Gewalttaten geringer ausfällt und vieles mehr. Wir benötigen also nicht mehr Wachstum, sondern mehr Gleichheit.

34 GEFRAGT 6

3Wie sieht die finanzielle Situation der Betroffenen aus? Die derzeitige Gesundheitsversorgung vieler Bevölkerungsgruppen ist absolut unzureichend. Zahnbehandlungen, notwendige Brillen anschaffungen, Hörgerätezusatzmaterialien, physikalische Maß nahmen, um nur einige wenige zu benennen, sind für armutsbe troffene Menschen nicht finanzierbar! Das notwendige Geld können sich die Menschen, von den derzeitigen sozialen Transferleistungen (449€ für eine alleinstehende Person) die sie erhalten, nicht an sparen. Ein Budget von ca. 17,14 Euro innerhalb des Regelsatzes ist für eine sinnvolle und notwendige Gesundheitsfürsorge zuwenig – insbesondere in Pandemiezeiten.

DeutscheIPPNW 10967KörtestraßeSektion10Berlin Ihr Nachlass

Den Einsatz für Ziele, die Ihnen am Herzen liegen, können Sie durch ein Vermächt nis oder ein Erbe nachhaltig unterstützen. Diese zwölfseitige Broschüre informiert Sie, welche Fragen dabei zu bedenken sind. Broschüre zum Bestellen

6681030/693anFAXPer

Im humanitären Bereich hat das Werben um Erbschaften und Nachlässe eine lange Tradi tion. Der Vorstand der IPPNW hat sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, diese Möglichkeit den eigenen Mitgliedern, Fördererinnen und Förderern anzutragen.

...... Exemplare der Broschüre „Über den Tag hinaus die Zukunft mitbestimmen: Vererben oder vermachen an einen gemeinnützigen Verein“ gestaltet: Über den Tag hinaus

UnterschriftE-MailPlz,StraßeNameOrtIchbestelle

Unter anderem

Workshop-programm medizinundgewissen.de mit: Prof. Paul Weindling, Prof. Gerhard Trabert, Dr. Bernd Hontschik, Dr. Angelika Claußen, Prof. Gerd Antes, Eckart von Hirschhausen, Prof. Sondra S. Crosby

Samstag, 22 .10. 14 Uhr N1: „State-Sanctioned Torture Doctors: From Nuremberg to Guantanamo“ (Englisch) mit Prof. Sondra S. Crosby N2: „Solidarisches Gesundheitswesen heute und morgen“ mit Dr. Nadja Rakowitz, vdää N3: „Rassismus im Gesundheitswesen“ mit Dr. Ernst Girth, Prof. Ilhan Ilkilic und Dr. Amma Yeboah N4: „Pandemien. Pest, Cholera, Spani sche Grippe…“ mit Prof. Fritz Dross und Prof. Karl-Heinz Leven N5: „Ungleich in der Pandemie – eine globale Betrachtung“ mit Anne Jung, medico international N6: „Ausgegrenzt und eingesperrt: Medizin für Heimatlose“ mit Prof. Gerhard Trabert N7: „Fragwürdige Ethik moderner Kriegs führung“ mit Ralph Urban, IPPNW

Vollständiges Programm & Anmeldung:

6. Internationaler IPPNWKongress Medizin & LebensWertGewissen: 75 Jahre Nürnberger Ärzteprozess und Nürnberger Kodex Nürnberg, 21.- 23.10.2022 Samstag, 22.10. 9 U hr V1: Diskussion „Triage – Von der Not, entscheiden zu müssen“, NN V2: Diskussionsforum (Englisch) mit Prof. George J. Annas und Prof. Andreas Frewer V3: Seminar „Koloniale und postkoloniale Muster in der Medizin“ mit Prof. Michael Lichtwarck-Aschoff und Eric Otieno V4: „Deutsche Ärztekommission – Alice von Platen-Hallermund und Alexander Mitscherlich“ mit Dr. Helmut Sörgel und Prof. Paul Weindling V5: „Planetary Health – vom Wissen zum Handeln „mit Thomas Lob-Corzilius V6: Diskussionsforum „Gesundheit für alle – statt ausgrenzender Health-Security“ mit Thomas Gebauer V7: Diskussionsforum „Hippokrates for Sale“ mit Dr. Bernd Hontschik V8: Diskussionsforum „Sicherheit neu denken“ mit Jacqueline Andres, Dr. Angeli ka Claußen und Dr. Katja Goebbels

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