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Von Wien nach New York

Von der Staatenkonferenz ging es weiter in die USA, wo über den Nichtverbreitungsvertrag verhandelt wurde

Die Staatenkonferenz in Wien war voller positiver Kraft, die die Teilnehmer*innen getankt haben – auch für die eher schwierige Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags in New York im August 2022. Alle waren derselben Meinung: New York wird vom Ukrainekrieg überschattet, deshalb ist vieles nicht mehr möglich. Am wenigsten zu erwarten ist ein Konsens über ein Abschlussdokument.

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Es ist deutlich zu spüren: Die Kluft zwischen den atomwaffenbesitzenden und atomwaffenfreien Staaten ist größer denn je. Hinzu kommt die offene Feindschaft zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien auf der einen Seite, und Russland, China auf der anderen. Belastet wird der Nichtverbreitungsvertrag weiterhin durch den Konflikt zwischen Israel und Iran sowie das Ausbleiben der seit langem diskutierten „massenvernichtungswaffenfreien Zone“. Dennoch war es wichtig, dass die ursprünglich für 2020 geplante Überprüfungskonferenz jetzt endlich in Präsenz stattfinden konnte.

Es gibt eine Reihe von Forderungen und Erwartungen der Zivilgesellschaft. NGOs riefen zu Beginn der Konferenz dazu auf, sich auf einen „sinnvollen“, umsetzbaren Aktionsplan zu einigen. Zum Vergleich: Die AVV-Staaten hatten auf der Konferenz in Wien für die Umsetzung des Atomwaffenverbotes einen Aktionsplan mit 50 Punkten verabschiedet.

Ende des Wettrüstens und Verhinderung des Atomkrieges

In New York könnte am 26. August eine „Erklärung des Vorsitzes“ verabschiedet werden, falls kein Konsens erreicht wird. Oberste Priorität sollte die Verhinderung eines Atomkriegs sein: Die NVV-Staaten sollten die eskalierende nukleare Rhetorik verurteilen und den Satz aus der Wiener Erklärung bekräftigen: „... jeder Einsatz von Atomwaffen oder die Androhung eines solchen Einsatzes stellt eine Verletzung des Völkerrechts, einschließlich der Charta der Vereinten Nationen, dar. Wir verurteilen unmissverständlich alle nuklearen Drohungen, seien sie nun direkt oder indirekt und ungeachtet der Umstände.“

Während die Verhinderung des Atomkrieges und ein Ende des Wettrüstens als dringende Aufgabe für alle Staaten gesehen werden, wollen viele AVV-Staaten im Konflikt zwischen dem Westen und Russland nicht instrumentalisiert werden. Deswegen wurden in Wien jegliche Drohungen mit Atomwaffen verurteilt – nicht nur die russischen. Diese Sichtweise aus dem Globalen Süden wird nach wie vor ignoriert. Viele afrikanische und lateinamerikanische Staaten sind der Meinung, dass die Drohung von allen Atomwaffenstaaten kommt. Auch der neue IPPNW-Report zur nuklearen Hungersnot nach einem Atomkrieg (siehe S. 28f.) belegt diese Befürchtung: Die Gefahr ist nicht nur russisch – sie liegt darin, dass rund 40 Befürworterstaaten an die nukleare Abschreckung glauben. waffeneinsätzen ist überfällig. Ein gemeinsames Statement, mit Bekräftigung der „Reagan-Gorbatschow-Formel“ wäre ein allererster Schritt: Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.

Präsident Putin hat die Formel in seinem Statement zu Beginn der Konferenz aus dem Off wiederholt, damit ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass die anderen Atomwaffenstaaten das auch tun. Sie könnten aber erklären, dass sie auf den Einsatz der Atomwaffen im jetzigen Konflikt verzichten. Oder vereinbaren, Atomwaffen nicht als erstes einzusetzen, wie UN-Generalsekretär António Guterres sowie China fordern. Aber am besten wäre es, die Aussage zu verabschieden, dass Atomwaffen unter keinen Umständen eingesetzt werden dürfen. Letzteres scheint momentan kaum erreichbar zu sein, sollte aber trotzdem immer wieder gefordert werden.

Zusammenhalt aller Staaten durch Anerkennung des AVV

Um die Kluft zwischen den Befürwortern der nuklearen Abschreckung und den ca. 150 anderen, atomwaffenfreien Staaten zu überbrücken, sollten die Befürworter der Abschreckung mindestens die Existenz des Atomwaffenverbotsvertrags anerkennen. Der UN-Vertrag ist bereits seit 2021 in Kraft, daher gehört er zum internationalen Recht, wenn er auch umstritten ist. Deutschland hat in seinem Statement in Wien, wo es als Beobachterstaat teilnahm, eine Art Anerkennung ausgesprochen: „Wir teilen voll und ganz das Ziel, eine Welt

2. AUGUST 2022: SIT-IN VOR DER US-VERTRETUNG BEI DER UN IN NEW YORK

ohne Atomwaffen zu erreichen, und wir erkennen die Motive und das Engagement der AVV-Vertragsstaaten in dieser Hinsicht an. Wir schätzen insbesondere die vorgetragene humanitäre Perspektive.“ (Botschafter Rüdiger Bohn)

Auch im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung erklärt, „die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten“ zu wollen. In Wien sagte Botschafter Bohn, dass die Staaten, ob befürwortend oder skeptisch, „Schulter an Schulter“ arbeiten sollen, um das wachsende Risiko des Einsatzes zu verringern und eine neue Proliferation aufzuhalten. Mit diesen Aussagen versucht die Bundesregierung immer noch, einer direkten Anerkennung des UN-Vertrags auszuweichen und ihn zu relativieren. Zudem liegt der Fokus auf Risikominimierung und Nichtverbreitung, nicht auf Abrüstung.

Aus dem Lager der NATO-Mitglieder gibt es bisher keine positiven Signale gegenüber dem AVV, außer von Außenministerin Baerbock, die sagte: „Setzen wir uns dafür ein, die Polarisierung zu überwinden – lassen Sie uns den Auffassungen der Länder des Nordens und der Länder des Südens der NVV-Gemeinschaft gleiches Gewicht beimessen. Vor diesem Hintergrund hat sich Deutschland entschlossen, als Beobachter an der ersten Konferenz der Vertragsstaaten zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) teilzunehmen.“ Baerbock erklärte, dass Deutschland bei der Bewältigung der humanitären Folgen von Atomwaffen mit den AVV-Staaten zusammenarbeiten wolle. Auch das Thema geschlechtsspezifische Folgen von Atomwaffen hat sie in ihrer Rede anerkannt. Leider steht das Handeln der Bundesregierung noch in Widerspruch zu diesen Worten – denn mit der nuklearen Teilhabe nimmt sie aktiv an der Vorbereitung eines Atomkriegs teil.

Anerkennung der humanitären Folgen: auch geschlechtsspezifisch

Die kasachische Friedensforscherin Toghzan Kassenova erklärte kürzlich in einer Online-Diskussion über die Verifikation des Atomwaffenverbots, dass man Atomwaffenpolitik und Atomwaffen nicht von den humanitären Folgen für die Menschen trennen könne. Das atomare Erbe muss mitbedacht werden. In derselben Diskussion meinte Sébastien Philippe, der Autor von „Toxique“, zu den Folgen der französischen Atomtests, der AVV würde mehr Forschung zu den Folgen von Atomwaffen mit sich bringen. Diese Forschung setze die Atomwaffenstaaten unter Druck, darauf zu antworten.

Eine weitere wichtige Forderung der Zivilgesellschaft ist es daher, die bereits bei der Überprüfungskonferenz 2010 festgehaltene Anerkennung der humanitären Folgen von Atomwaffen zu bekräftigen. Neu hinzuzufügen wäre, dass Strahlenfolgen Frauen und Mädchen stärker betreffen. Die Mädchen, die in Hiroshima und Nagasaki der Strahlung der Atombombenabwürfe ausgesetzt waren, waren doppelt so häufig von Krebs betroffen wie Jungen. Auch die erwachsenen Frauen waren zu 50% stärker betroffen als gleichaltrige Männer. Das erläuterte Mary Olson (NIRS) auf der Humanitären Konferenz in Wien. Warum das so ist, muss noch erforscht werden. Eine Hypothese ist, dass Frauen mehr strahlungsempfindliches Fortpflanzungsgewebe haben. Damit wäre nukleare Abrüstung ein Beitrag zu einer feministischen Außenpolitik.

Zudem müssen die NVV-Staaten anerkennen, dass die indigenen Völker dieser Welt mehr unter der Entwicklung von Atomwaffen gelitten haben als andere. Die meisten Atomtests wurden in kolonisierten Gebieten durchgeführt – die dort lebenden Menschen wurden ohne ihre Zustimmung und teilweise auch ohne ihr Wissen verstrahlt. Erst jetzt versuchen Forscher*innen das Ausmaß des Problems zu erfassen.

Diese Forschung sollte von den Verursacherstaaten finanziert und ermöglicht werden, durch Freigabe von Gesundheitsdaten. Darüber hinaus müssen die Betroffenen entschädigt werden. Hier könnte der NVV dem guten Beispiel des AVV folgen: Die Mitgliedsstaaten könnten erklären, sich den „positiven Verpflichtungen“ des AVV anschließen zu wollen, sich also an der Betroffenenhilfe und Umweltsanierung durch einen internationalen Fonds zu beteiligen.

Xanthe Hall ist Referentin für Atomwaffen der deutschen IPPNW.