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Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine

Den Fokus von der militärischen Lösung auf eine Verhandlungslösung richten

Mit einer Sammlung von Vorschlägen und möglichen diplomatischen Schritten, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden, macht die IPPNW auf Alternativen zu Waffenlieferungen aufmerksam. Der Krieg, der seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands in der Ukraine herrscht, verursacht Leid, Tod und Verwüstung. Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, kommen mehr Menschen ums Leben, werden körperlich verletzt oder psychisch traumatisiert. Das Risiko eines Atomkrieges und einer Ausweitung des Krieges nehmen zu.

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Daher soll nach Ansicht der IPPNW der Fokus von der militärischen Lösung auf eine Verhandlungslösung gerichtet werden. Die Ideensammlung beinhaltet verschiedene Konzepte auf bilateraler, multilateraler, wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene. Das Papier soll einen Beitrag zu einer konsequenten Suche nach friedlichen Mitteln zur Konflikttransformation leisten. Der Text wird fortlaufend aktualisiert und ergänzt.

Initiativen für eine Verhandlungslösung sind der Zehn-PunktePlan von Istanbul sowie der Friedensplan Italiens. Im Rahmen der russisch-ukrainischen Gespräche vom 29. März 2022 in Istanbul legte die ukrainische Delegation einen schriftlichen Vorschlag für ein Sicherheitsgarantieabkommen vor. Medienberichten zufolge sei man in den Verhandlungen „nahe an eine (...) Einigung über Sicherheitsgarantien“ gekommen. Die Ukraine akzeptierte in dem Vorschlag politische Neutralität. Im Gegenzug forderte sie eine völkerrechtliche Garantie zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status. Als mögliche Garantiestaaten wurden Russland, Großbritannien, China, USA, Frankreich, Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen und Israel genannt.

Im Mai 2022 legte der italienische Außenminister Luigi di Maio dem UN-Generalsekretär António Guterres einen Friedensplan in vier Schritten vor. Dieser sieht vor, die UN, die EU und die OSZE in die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine einzubinden. Unter der Aufsicht einer internationalen Vermittlungsgruppe solle ein vierstufiger Plan umgesetzt werden: Waffenstillstand, Neutralität der Ukraine, Lösung territorialer Fragen und ein europäischer und internationaler Sicherheitspakt. In jeder Etappe solle geprüft werden, ob sich die Parteien an ihre Verpflichtungen halten, damit der nächste Schritt eingeleitet werden kann. Ähnliche Schritte sieht auch der Vorschlag einer internationalen Arbeitsgruppe im Vatikan vor: Einen Abbruch der Kampfhandlungen, Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Der Status der Krim soll nach einem Zeitraum von mehreren Jahren friedlich ausgehandelt werden und die Volksrepubliken Donezk und Luhansk sollen Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten. Schrittweise soll die Einstellung der Sanktionen mit dem Rückzug des russischen Militärs verknüpft werden.

Um Verhandlungen und Diplomatie voranzubringen, schlägt die IPPNW den Einsatz von Mediator*innen, z. B. durch den UN-Generalsekretär, durch blockfreie Staaten oder den Papst vor. Eine zentrale Forderung der IPPNW zur Verhinderung einer atomaren Eskalation ist zudem eine Verzichtserklärung seitens der USA und Russlands auf den Ersteinsatz von Atomwaffen, um das Risiko eines Atomkrieges zu minimieren. Die Bundesregierung solle in einem ersten Schritt auf die Modernisierung und in einem nächsten Schritt auf die Stationierung der US-Atomwaffen verzichten Ein weiterer Schritt könnte ein genereller Verzicht auf die Stationierung von US-Atomwaffen auf dem Territorium der NATOLänder sein.

Die IPPNW plädiert für einen Verhandlungsfrieden und Interessensausgleich statt des Versuchs, ohne Rücksicht auf zivile Opfer einen militärischen Sieg zu erringen. Auch der Mehrheit der europäischen Bürger*innen ist es laut einer Umfrage des European Council on Foreign Relations vom 22. Juni 2022 wichtiger, eine „friedliche Lösung“ zu finden, als eine „gerechte Lösung“. 35 Prozent der Bevölkerung gehören demnach dem sogenannten „Friedenslager“ an. Sie möchten den Krieg so schnell wie mög-

„Auch wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag, ist jetzt der Zeitpunkt, sich über die Schritte zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa Gedanken zu machen.“ (Friedensgutachten2022)

lich beendet sehen, auch wenn die Ukraine dafür Zugeständnisse machen muss. Das „Gerechtigkeitslager“ mit 25 Prozent der Menschen hingegen verlange, dass Russland bestraft werden müsse, selbst wenn das zu einem langwierigen Konflikt und noch mehr menschlichem Leid führt. Mit Ausnahme von Polen ist das „Friedenslager“ in allen Ländern größer als das „Gerechtigkeitslager“.

Gestützt wird die Forderung nach Verhandlungen auch von Friedensforscher*innen. Die vier führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute empfehlen in ihrem Friedensgutachten 2022, Russland zu einer Verhandlungslösung zu bewegen: „Anstatt auf eine militärische Niederlage Russlands zu setzen oder gar den Sturz des Putin-Regimes zu propagieren, sollte Russland mittels Sanktionen und militärischer Unterstützung der Ukraine zu einer diplomatischen Bearbeitung des Konflikts bewegt werden.“ Das Ziel solle gleichzeitig sein, „diplomatische Auswege aus dem Krieg aufzuzeigen, so dass sich die russische Führung zu Verhandlungen bereitfindet.“ Und selbst „wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag“, sei bereits heute für die Zeit nach dem Krieg zu planen und Strategien zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung zu entwickeln, so das Friedensgutachten 2022.

Dass Absprachen mit Russland möglich sind, zeigen die Verhandlungen über Getreideexporte aus der Ukraine. Nach einer langen Blockade der ukrainischen Häfen haben sich die Ukraine und Russland im Juli 2022 unter Vermittlung der Türkei und der UN auf ein Abkommen geeinigt, das den Weg zur Freigabe von dringend benötigtem Getreide und anderen Agrarprodukten aus ukrainischen Häfen ebnet. Mit der Vereinbarung ist es auch Russland trotz Sanktionen erlaubt, Getreide und Düngemittel auszuführen. Guterres bezeichnete das Abkommen vom 22. Juli 2022 als einen „Hoffnungsschimmer“ und eine „kollektive Errungenschaft“ des neu gegründeten gemeinsamen Koordinierungszentrums, das unter der Schirmherrschaft der UN in Istanbul eingerichtet wurde. Auch Wolodymyr Selenskyj sieht in der Umsetzung des Getreideabkommens ein positives Signal. Es ist ein diplomatischer Erfolg, an den angeknüpft werden könnte.

Die gefährliche Zuspitzung der Lage im Territorium um das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja zeigt die Dringlichkeit, dass alle Konfliktparteien sich jetzt an den Verhandlungstisch setzen müssen.

Sie finden das vollständige IPPNW-Papier unter: ippnw.de/bit/waffenstillstand

Angelika ist Referentin für Frieden der deutschen IPPNW.