bodo Dezember 2020

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bodo DAS

12 | 20 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für die Verkäuferin den Verkäufer

EIN ZELT FÜR DORTMUND LIEBLINGSBÜCHER FASIA JANSEN

In der Schokoladenfabrik Seite 12

JORDAN MAI

Peter Wohlleben Seite 4

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NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Ferdinand, Alexandra Gehrhardt, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Olaf Neumann, Bastian Pütter, Petra von Randow, Markus Roeser, Sophie Schädel, Sebastian Sellhorst Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Bochum Tourismus (S. 34), Karl Heinz Jardner (S. 35), Lutz Leitmann (S. 35), Kay Macquarrie (S. 42), Jens Nieth (S. 41), Presseamt Bochum (S. 32), K. Rade (S. 33), Daniel Sadrowski (S. 3, 12, 13, 14, 15, 16, 28, 36, 37, 48, 49, 50), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 19, 20, 23, 24, 25, 26, 27, 38, 39, 46, 53, 54), Shutterstock.com (S. 28), Martin Steffen (S. 31), Frank Vinken (S. 31, 33, 34), Anneke Wardenbach (S. 30), Tobias Wohlleben (4, 6) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 30.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Januar-Ausgabe 10.12. 2020 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

INHALT

Peter Wohlleben

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Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben hat mit seinen Thesen vom „Sozialleben“ der Bäume Millionen von Lesern gefunden. Ein Gespräch mit dem 56-jährigen Bestsellerautor über intelligente Pflanzen, die Reaktion der Bäume auf den Klimawandel und die Coronakrise. Von Olaf Neumann

Im Schokoladenwerk

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„Weihnachten beginnt für uns im August“, sagt Max Ruth, Junior-Chef des Wattenscheider Schokoladenwerks Ruth. In dritter Generation wird hier alles produziert, was man aus Schokolade machen kann. Mit verschobenen Jahreszeiten: Vor Weihnachten sind die ersten Osterhasen fertig. Von Wolfgang Kienast

Das Glück in der Tasche

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„Was hast Du immer dabei?“ Das haben wir Wohnungslose in Bochum und Dortmund gefragt. Überraschenderweise zeigten die meisten keine praktischen Hilfsmittel für das Leben auf der Straße, sondern „Überlebenshelfer“, die Halt geben, Beistand versprechen, Erinnerungen festhalten. Von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Ferdinand, bodo-Verkäufer aus Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, in den letzten Monaten geht es drunter und drüber auf der Straße. Zusätzlich zu Corona hat ja letzten Monat die Kaufhoffiliale in Dortmund, vor der ich verkaufe, geschlossen. Da hatte ich ja anfangs ein bisschen Sorge, dass ich hier auf dem Westenhellweg ohne Kunden stehe, aber das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Der Weihnachtsmarkt ist ja leider abgesagt, doch bis jetzt klappt es mit dem Verkauf ganz gut, man braucht einfach nur einen etwas längeren Atem. Besorgt bin ich eher um die Leute, die im Moment auf der Straße schlafen. Wenn es jetzt noch kälter wird, dann ist das richtig gefährlich. Es gibt zwar die Männerüberachtungsstelle, in der ich selbst mal vier Wochen geschlafen habe, als ich keine Wohnung hatte, aber da gehen viele nicht hin und bleiben lieber draußen. Wenn ich daran denke, bin ich heilfroh, dass ich abends wieder meine Wohnungstür hinter mir zumachen kann. Ihnen wünsche ich viel Spaß mit der Dezember-bodo und ein gesundes Weihnachtsfest. Ihr bodo-Verkäufer Ferdinand

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EDITORIAL

04 Menschen | Peter Wohlleben 07 Straßenleben | Bewegung im Hannibal 08 Neues von bodo 12 Reportage | Schokolade aus Wattenscheid 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Wohnungsverlust verhindern 17 Kommentar | Das Leuchten der Schnabeltiere 17 Die Zahl 18 Reportage | Ein Zelt für Dortmund 22 Grußwort | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 23 Fotostrecke | Das Glück in der Tasche 28 Wilde Kräuter | Fichte 29 Kultur | Fasia Jansen 30 Kulturlandschafts-Kalender 36 bodo geht aus | Café Barbera 38 Interview | Nirgends wachsen nur Disteln 41 Eine Frage | Macht Schokolade wirklich glücklich? 42 Interview | Barrierefreiheit bei der Bahn? 44 K inderbücher 46 Verlosung | Lieblingsbücher 48 Reportage | Bruder Jordan Mai 52 Rätsel | Leserpost 54 Mit Ihrer Hilfe | Mehr als Kaffee und Knifte

Liebe Leserinnen und Leser, wir haben dann mal ein Weihnachtsheft gemacht. Gut, dieser Satz ist irgendwie doppelt unrichtig. Erstens ist es mit Weihnachten es ja diesmal so eine Sache. Aus dem Stadtraum hält es sich heraus: Die Weihnachtsmarktbuden bleiben im Lager, selbst das Dortmunder Fichtengesteck mahnte einige Wochen halbfertig an Pieter Bruegels (d.Ä.) Turmbau zu Babel, bevor es wieder abgebaut wurde. (Auf starke Symbole versteht man sich in Dortmund.) Die WeihnachtsFamilien-Homestorys sind schwer zu erzählen; in der Schublade bleiben auch die Fotos für eine Weihnachts-Rockabilly-KonzertReportage, die wir schon im vergangenen Jahr gemacht haben – ist das plötzlich lang her. Früher war mehr Lametta. Auch die Lakonik im ersten Satz ist vorgeschoben. Die Einsicht in die Unmöglichkeit von Planung unter den Bedingungen der Pandemie führt ja nicht dazu, dass man einfach macht. Stattdessen „jonglieren wir mit Szenarien, verheddern uns in Prognosen“, stand im Vorvormonat an dieser Stelle. Ja, so halt. Ob Sie dieses Heft bei unseren VerkäuferInnen erstehen konnten, oder ob uns Corona wie im Frühjahr einen Strich durch die (im Wortsinne) Rechnung macht, weiß ich noch nicht, als ich dass hier schreibe. Auch das ist Corona, radikale Gegenwart. Dass es trotzdem Schönes und Spannendes, Wichtiges und Überraschendes aus unseren Städten zu erzählen gibt, wollen wir auf den nächsten Seiten – es sind sogar mehr als sonst – zeigen. Wir wünschen Ihnen frohe Feiertage. Bleiben Sie gesund.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 52

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Corona trifft Wohnungslose besonders hart. Wir haben zusätzliche Angebote geschaffen und stehen an der Seite derer, die ein „Bleiben Sie zu Hause!“ nicht schützen kann. Mit Ihrer Hilfe. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Ich ziele auf das Herz Deutschlands bekanntester Förster Peter Wohlleben hat mit seinen Thesen vom „Sozialleben“ der Bäume Millionen von Lesern gefunden, jedoch werfen manche Wissenschaftler ihm vor, Pflanzen zu vermenschlichen. Eins aber ist sicher: Wohlleben hat ein wichtiges Thema auf die Agenda gesetzt. Mit dem 56-jährigen Bestsellerautor sprach Olaf Neumann über intelligente Pflanzen, die Reaktion der Bäume auf den Klimawandel und die Coronakrise. Von Olaf Neumann | Fotos: Tobias Wohlleben

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Wer die Coronavirus-Thematik hinter sich lassen will, sollte einen Spaziergang machen und in die meditative Ruhe unserer heimischen Nadel-, Laub- und Mischwälder eintauchen, raten derzeit Forstleute. Ist der Wald für Sie persönlich momentan mehr Zufluchtsort denn je? Nein, auf gar keinen Fall. Von Wald allein kann man nicht leben. Gerade die Corona-Krise zeigt, dass alle gegenwärtigen Maßnahmen dazu dienen, die schwächere Minderheit zu stärken. Alles, was wir jetzt sehen, ist eine gigantische Solidaritätsaktion. Würde man sich in den Wald flüchten, würde man das alles ausblenden. Bei aller Tragik ist es schön zu sehen, dass Solidarität funktioniert.

Warum wirken Bäume so besonders beruhigend auf uns? Diese Wirkung ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Wir nehmen Teil an der Baumkommunikation. Wir atmen Gase ein, die Bäume über die Blätter und Nadeln ausdünsten. Deswegen ist es gut, wenn man in gesunden Wäldern ist. Die Bäume machen das natürlich nicht für uns, sondern um sich selbst zu schützen. Wenn sie zum Beispiel von Raupen befallen werden, locken sie kleine Schlupfwespen an. Die räumen dann mit den Raupen auf. Werden diese Gase von uns eingeatmet, senken sie den Blutdruck. Und unser Unterbewusstsein übersetzt das in ein Gefühl: Hier ist es schön.

Fühlen Sie sich im Wald sicherer als in der Stadt? Das ist natürlich der Fall. Bäume sind nicht ansteckend. Es wäre aber nur dann sicher, wenn man sich auf Dauer im Wald aufhielte. Ich bunkere mich aber nicht in unserem Forsthaus ein, sondern bin nach wie vor ab und zu unterwegs. Die Mischung von Natur und Menschen macht mich aus. Auf direkte Kontakte muss ich natürlich, wie alle anderen auch, verzichten.

Umgekehrt reagieren aber auch Pflanzen positiv auf menschliche Berührung. Können Sie dafür einmal ein Beispiel nennen? Für dieses Phänomen gibt es sogar eine wissenschaftliche Erklärung, die allerdings auf einer ganz anderen Tatsache fußt. Bäumchen, die an einem Wildwechsel stehen, kommen immer wieder mit Rehen in Berührung. In dem Moment versteift sich das Bäumchen, damit es nicht umgeknickt wird. Und eine Pflanze, die im Wind steht, muss sich verstärken. Das trifft auch auf Zimmerpflanzen zu, die zu wenig Licht bekommen. Das dünne, wackelige Hochwachsen auf der Fensterbank wird in der Fachsprache „Geilwuchs“ genannt. Wenn wir diese Pflanzen regelmäßig streicheln, verstärken sie sich mehr und mehr und wachsen weniger schnell in die Höhe. Das ist für Zimmerpflanzen viel gesünder und natürlicher. Die Ursache ist wissenschaftlich gesehen nicht unsere Zuneigung, sondern im Gegenteil die Absicherung der Pflanze gegen Berührung. Wir Menschen leben längst jenseits dessen, was die Natur zu tolerieren gedenkt. Wird der Wald die Spezies Mensch überleben? Das wird er definitiv. Wälder gibt es seit über 300 Millionen Jahren. Uns Menschen erst seit 300.000 Jahren. Das ist nichts. Wald ist ein Ökosystem, das irre viel aushält. Außer, wir sägen alle Baume ab, dann ist es

Peter Wohlleben geboren 1964 in Bonn Studium der Forstwirtschaft Arbeit in der Landesforstverwaltung Rheinland-Pfalz und als Förster in der Eifel seit 2007 Autor, Bestseller u.a. „Das geheime Leben der Bäume“, „Gebrauchsanweisung für den Wald“ und „Das geheime Netzwerk der Natur“ 2017 Gründung der Waldakademie Hümmel 2022 Tournee „Ein Abend für den Wald“ www.wohllebens-waldakademie.de | www.peter-wohlleben.de

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MENSCHEN

weg. Wir Menschen werden aber nicht sämtliche Wälder beseitigen. Außerdem sind diese als große Gesamtorganismen sehr anpassungsfähig. Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde hat herausgefunden, dass alte Laubwälder sich im Vergleich zu einer Stadt im Sommer durchschnittlich um 15 Grad herunterkühlen. Wenn es in Berlin also 40 Grad heiß ist, ist es in einem Buchenwald nur 25 Grad warm. Das zeigt, was ein Wald alles abfangen kann. Damit Bäume so alt werden, muss der Wald sich quasi selber ein unabhängiges Kleinklima schaffen. Das ist nebenbei ein Hinweis, wo die Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels liegen könnte – neben der CO2-Reduktion. Man muss einfach mehr natürliche Wälder zulassen. Die vergangenen Winter waren viel zu warm. Wie reagieren Bäume auf solche Klimaveränderungen? Bäume sind nicht dumm. Frühling hatten wir dieses Jahr schon im Januar, aber die Tageslänge spielt auch eine Rolle. Buchen etwa lassen sich durch Temperaturen maximal zwei, drei Wochen aus der Reserve locken, ohne früher als üblich auszutreiben. Apfelbäume hingegen „zählen“ Tage über 20 Grad. Das haben Forscher aus Deutschland herausgefunden. Erst wenn sie eine bestimmte Anzahl an Tagen über 20 Grad re-

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gistrieren, fangen sie an zu blühen. Sie können sich aber auch mal vertun, was wir alle paar Jahre erleben, und die Blüte erfriert dann doch noch. Aber grundsätzlich sind Apfelbäume vorsichtig. Bei Gras sieht es anders aus. Da spielt es keine Rolle, ob es nach dem Sprießen der ersten Halme noch einmal schneit oder friert. Sie haben mit „Das geheime Leben der Bäume“ viele Leser den Wald mit anderen Augen sehen lassen. Für manche Wissenschaftler ist das zu viel Romantisierung und Vermenschlichung. Kritik wird im Wesentlichen von drei oder vier Wissenschaftlern aus der Forstindustrie geäußert – und von einem vermeintlichen Biologen, der ein Jahr als Biologielehrer gearbeitet hat und jetzt Lobbyist beim Deutschen Forstwirtschaftsrat ist. Das ist sowas Ähnliches wie der Bauernverband. Umgekehrt hat eine ganze Reihe von Forst- und anderen Wissenschaftlern gesagt, dass die Wissenschaft schon viel weiter ist als das, was Peter Wohlleben da in seinen Büchern beschreibt. Mein Ansatz lautet: Ich ziele nicht aufs Hirn, sondern aufs Herz. Sie plädieren dafür, eine nachhaltige Forstwirtschaft zu betreiben und die industrielle Ausbeutung des Waldes zu beenden. Ist Baumfällen für Sie grundsätzlich etwas Unmoralisches? Nein, natürlich nicht. Für mich ist auch Essen nichts Unmoralisches. Um Nahrungsmittel anzubauen, wurde in ganz Europa Wald abgeholzt. Ich schreibe übrigens auch Bücher, dafür braucht man Papier. Und ich sitze an einem Holzschreibtisch. Obwohl die Forstwirtschaft behauptet, sie agiere ökologisch, handelt sie brutal konventionell. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das sogar noch verschärft. Sie hat kaum etwas dazugelernt. Es geht gerade darum, schon wieder neue Plantagen anzulegen. Dabei haben sich nach schweren Orkanen wie Lothar, Kyrill und Sabine freie Flächen kostenlos von selbst und viel besser bewaldet, wenn man es zugelassen hat. Ich plädiere dafür, mit der Natur zu wirtschaften. Wichtig ist, dass wir in den nächsten Jahrzehnten überhaupt Wald behalten und erst dann schauen, wieviel Holz er uns liefern kann. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1990 festgesetzt, dass im öffentlichen Wald, der 52 Prozent des Gesamtbestandes ausmacht, die Holzerzeugung nachrangig zu sein hat.


STRASSENLEBEN

Bewegung im Hannibal Erst passierte eine ganze Menge rund um den Hannibal II in Dortmund-Dorstfeld, dann lange nichts. Jetzt hat nach drei Jahren Leerstand, Hängepartien für Hunderte MieterInnen und Kosten in Millionenhöhe, von denen noch unklar ist, wer sie trägt, die Stadt Dortmund die Genehmigung zur Sanierung des Wohnkomplexes erteilt. Von Alexandra Gehrhardt Foto: Sebastian Sellhorst

I

m September 2017 räumte die Stadt Dortmund den Hannibal II, nachdem bei Brandschauen so gravierende Mängel aufgetreten waren, dass die Stadt eine Gefahr für Leib und Leben sah. 753 Menschen verloren binnen Stunden ihr Zuhause. Zwei Jahre, hieß es damals, könnte eine Sanierung dauern. Der Wohnkomplex steht beispielhaft für die Folgen gescheiterter Wohnungspolitik in den 2000er-Jahren. In den 70ern von der Dogewo-Vorgängerin öffentlich gefördert gebaut, wurde das Haus 2005 „abgestoßen“ und mehrmals verkauft, bekannte Baumängel wurden von Besitzer zu Besitzer verschleppt. Nach der Räumung mussten sich BewohnerInnen neue, oft teurere Wohnungen suchen. Der Eigentümer, Lütticher 49 Properties, und seine Verwaltung Lianeo, vorher Intown, klemmten den Hannibal von der Versorgung ab und legte ihn still, MieterInnen mussten sich Zutritt zu ihren Wohnungen erklagen. Hochtrabende Sanierungspläne ent-

puppten sich als Luftnummer, die Stadt lehnte zwei eingereichte Bauanträge ab – wegen eines unzureichenden Brandschutzkonzeptes. Nun hat die Stadt grünes Licht gegeben. „Eine sehr gute Nachricht“, sagt Mietervereins-Sprecher Tobias Scholz, denn das ist die Voraussetzung, um den Hannibal und die auf dem Wohnungsmarkt dringend benötigten 400 Wohnungen zu sanieren. Er mahnt aber: „Nun liegt die Verantwortung bei der Eigentümerin, die Arbeiten kurzfristig auszuschreiben und mit diesen zu beginnen.“ Denn noch immer laufen Mietverträge für Wohnungen, viele MieterInnen sind auf Folgekosten bisher sitzengeblieben. Erst im November sicherte die Hausverwaltung zu, auf die Verjährung von Schadenersatzansprüchen zu verzichten. Die erste Frist wäre zum Jahresende verstrichen. Und noch immer ist juristisch nicht geklärt, ob die Räumung 2017 gerechtfertigt war. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gab es bisher nicht einmal eine mündliche Verhandlung. 7


NEUES VON BODO

Bücher zum Fest Unsere Buchläden in Dortmund und Bochum sind bis zum 23. Dezember für Sie da. Bei uns finden Sie ausgewählte gebrauchte, oft neuwertige oder gar ungelesene Bücher aus allen Bereichen: von Romanen und Krimis über Koch-, Sach- und Fach- bis zu Kinderbüchern. Außerdem haben wir ein breites Angebot an CDs und DVDs, in Dortmund zusätzlich Schallplatten. Sofern die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie keine Ladenschließungen erfordern, gelten unsere üblichen Öffnungszeiten. In Dortmund haben wir Mo. bis Fr. von 10 bis 18 Uhr geöffnet und samstags von 10 bis 14 Uhr. In Bochum sind die Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. 14 bis 18 Uhr, Sa. 10 bis 14 Uhr. Zwischen den Jahren machen unsere Buchläden Pause und öffnen am 2. Januar wieder. Wir wünschen frohe Festtage!

TERMINE

Was wir tun, wie es weitergeht bei bodo – aktuelle Kontaktund Öffnungszeiten und vieles mehr finden Sie auf www.bodoev.de

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Kaffee & Knifte

4.000 Duschgäste

Die Hygieneschutzvorschriften erlauben seit März nicht, dass wir unser Dortmunder Verkäufercafé nutzen. Im Bochumer Tagesaufenthalt in der Henriettenstraße haben seit März bodo-Verkäufer keinen Zutritt. Wir haben den Sommer über unsere aufsuchende Arbeit massiv ausgebaut. Unsere „Kaffee & Knifte“-Teams in Dortmund und Bochum sind regelmäßig in den Innenstädten unterwegs. Aufgrund der unzureichenden Versorgungssituation in Bochum bauen wir dieses Angebot im Winter dort noch einmal deutlich aus. Auch Sie können helfen: Wenn Sie Wohnungslose sehen, die möglicherweise Hilfe benötigen, sprechen Sie sie an. Im Zweifel rufen Sie einen Rettungswagen.

Seit April kompensieren Gast-Haus, bodo und das Wärmebus-Team mit Unterstützung der Stadt Dortmund die in der Pandemie weggefallenen Duschmöglichkeiten und Kleiderkammern. Im temporären Hygienezentrum im ehemaligen Kreiswehrersatzamt in der Leuthardstraße stehen jeweils fünf Duschen für Frauen und Männer zur Verfügung. An den drei Öffnungstagen pro Woche ist das Angebot praktisch voll ausgelastet. Nach jedem Gebrauch werden die Duschbereiche von einer professionellen Reinigungsfirma fachgerecht gereinigt und desinfiziert. Bis November nutzten bereits mehr als 4.000 Gäste das Duschangebot, Tausende Hygiene- und Wäschepakete wurden ausgegeben.


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Helden im Zelt Wir sind begeistert, wie viele Menschen dem Aufruf gefolgt sind, Gast-Haus, Kana, bodo und das Wärmebus-Team bei der „Winternothilfe am U“ zu unterstützen. Die Bereitschaft zur Mitarbeit in unserer Zeltlösung zur Versorgung Wohnungsloser in Dortmund übertrifft alle Erwartungen. Herzlichen Dank!

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

bodo

Haushaltsauflösungen

SCH AFF T CHA NCE

Entrümpelungen

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Entsorgungen Transporte bodo packt an Rufen Sie uns an – wir erstellen Ihnen ein unverbindliches Angebot. Tel.: 0231 – 950 978 0 | E-Mail: transport@bodoev.de Ansprechpartnerin: Brunhilde Posegga-Dörscheln

bodo DAS STRASSEN MAGAZIN

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Teddy ist tot Am 19. November wurde ein 32-jähriger Obdachloser an seinem Schlafplatz nahe dem Dortmunder Westenhellweg tot aufgefunden. Die Polizei sieht keine Hinweise auf ein Fremdverschulden. Da, wo Teddy gestorben ist, haben Freunde Grablichter aufgestellt. „Es ist das, was wir mit unseren Möglichkeiten machen können“, sagt Marc, der gemeinsam mit Teddy hier Platte gemacht hat. Auch Nachttemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt können lebensbedrohlich sein, betont die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W). Hilfseinrichtungen warnen in Dortmund angesichts des schlechten Gesundheitszustands vieler Obdachloser vor den Gefahren des Winters.

Sie

ͫ​ͫ verschaffen sich Erholung

von der Pflege

ͫ​ͫ denken auch einmal an sich ͫ​ͫ tauschen sich mit anderen

Betroffenen aus

ͫ​ͫ partizipieren voneinander ͫ​ͫ erhalten neuen Input.

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NEUES VON BODO

Wir machen weiter Der Dezember ist für unsere Verkäuferinnen und Verkäufer die spannendste Zeit des Jahres. Normalerweise. Vor allem die Weihnachtsmärkte erhöhen die Nachfrage deutlich. Viele LeserInnen von Straßenzeitungen aus ganz Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien, die als TouristInnen nach Dortmund oder Bochum kommen, lassen es sich nicht nehmen, neben Weihnachtsprodukten und Fußballdevotionalien auch eine bodo mitzunehmen. Der Einkaufstourismus aus der Region bringt zusätzlich KundInnen in die Städte. In diesem Jahr ist auch für uns alles anders. Wir machen das Beste draus und setzen darauf, dass bei gegenseitiger Rücksichtnahme der Verkauf an unseren festen Verkaufsplätzen weiter möglich ist. Unsere VerkäuferInnen sind mit Masken und Handschuhen ausgestattet, wir unterstützen sie so intensiv wie nie zuvor. Schön, dass Sie dabei sind.

SOZIALES Der Armutsbericht des Paritätischen konstatiert mit 15,9 Prozent (13,2 Millionen Menschen) die höchste Armutsquote seit der Wiedervereinigung, „Problemregion Nummer 1“ sei das Ruhrgebiet. Corona habe lange verharmloste und verdrängte Probleme sichtbar werden lassen. Der Verband fordert eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze, die Einführung einer Kindergrundsicherung sowie Reformen von Arbeitslosen- und Rentenversicherung. 70 Prozent prekär Beschäftigte in der Fleischindustrie: Wie aus Daten der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) hervorgeht, auf die sich die Bundesregierung stützt, haben 48.200 Beschäftigte in der Fleischindustrie Werkverträge, weitere 7,5 Prozent sind Leiharbeiter. Der Entwurf für ein Arbeitsschutzkontrollgesetz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wird zurzeit von der Union gebremst. Winter ohne zusätzliche Notschlafstellen in Dortmund: Die bereits vor zwei Jahren beschlossene Erweiterung des Angebots an Notunterkünften für Obdachlose verzögert sich. Die für November geplante Eröffnung einer Einrichtung für junge Erwachsene durch den kommerziellen Betreiber European Homecare verschiebt sich auf den Sommer, eine Schlafstelle für suchtkranke Obdachlose kann ebenfalls noch nicht starten. Vermögensabgabe brächte 310 Milliarden: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat im Auftrag der Partei Die Linke und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Modelle einer Abgabe durchgerechnet, mit der die Folgekosten der Pandemie bewältigt werden könnte. Bei einem Freibeitrag von 2 Millionen Euro beträfe sie 0,7 Prozent der Bevölkerung und könnte über 20 Jahre 310 Milliarden Euro einbringen. 10

bodo-Bringdienst Das Wichtigste am Straßenmagazin ist sein „Vertriebsweg“: Ohne unsere VerkäuferInnen würde und müsste es bodo nicht geben. Es geht um die Erfahrung, dass eigenes Handeln Positives bewirkt, darum, in Kontakt zu kommen, Verantwortung zu übernehmen, die nächsten Schritte zu machen. Auch unter dem Eindruck von Corona suchen wir neue Möglichkeiten, die positiven Effekte dieses Angebots für unsere VerkäuferInnen zu vergrößern: Unser Firmenabo ermöglicht Einrichtungen und Betrieben, bequem per Rechnung zu bezahlen. Ihr fester bodo-Verkäufer / Ihre bodo-Verkäuferin kommt ab fünf bestellten Exemplaren jeden Monat mit der druckfrischen bodo zu Ihnen. Rufen Sie uns gerne an.


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0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 10 – 14 Uhr Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Spendenannahme DO Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Sa. 10 – 12 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

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Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

KoFabrik für bodo

Sachspenden

Das Stadtteilzentrum KoFabrik in der Stühmeyerstraße, in dem zuvor unsere Bochumer Anlaufstelle untergebracht war, realisiert mit dem „Weihnachtsgabenbaum am Imbuschplatz“ ein Nachbarschaftsprojekt, das bodo und das Kinderheim St. Vinzenz unterstützt. Der Baum soll in der Adventszeit mit bis zu 120 von Nachbarn des Viertels gestalteten Anhängern geschmückt werden. Für jeden Anhänger soll an eine der beiden Organisationen eine Spende in Höhe von 25 Euro gehen. Wie erhofft, kehrt bodo auch mit einer Ausgabestelle in die KoFabrik zurück. Eine Kooperation mit dem Café STÜH33 in bodos ehemaligen Räumen schafft am alten Ort eine Ausgabestelle für das Straßenmagazin.

Wir bedanken uns herzlich für die riesige Zahl an Kleiderspenden in den vergangenen Wochen. Inzwischen sind unsere Lagerkapazitäten vollständig erschöpft. Wir bitten um Verständnis, dass wir im Dezember keine gespendete Kleidung mehr annehmen können. Großen Bedarf haben wir weiterhin an Schlafsäcken und Isomatten, die wir ebenso wie Bücher und Tonträger gerne während der Öffnungszeiten unseres Dortmunder Buchladens und samstags in unserer Bochumer Kleiderkammer entgegennehmen. Sollten die CoronaAuf lagen verschärft werden, bitten wir um einen Blick auf unsere Homepage oder einen Anruf, damit Sie nicht etwa vor verschlossenen Türen stehen. 11


REPORTAGE

Weil es so unglaublich klingt Schokolade aus Wattenscheid

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Vom Bistro aus, durch eine gläserne Wand, haben Besucher im Wattenscheider Schokoladenwerk Ruth die Möglichkeit, in die neuen Produktionsräume zu schauen. Das Bistro wurde im Frühjahr eröffnet. Man kann live beobachten, wie die begehrten Naschereien entstehen. Verborgen in anderen Räumlichkeiten lagern mehrere tausend Formen zur Herstellung verschiedenster Marzipan- oder Schokoladenfiguren. Selbstverständlich findet man in den meterhohen Regalen auch solche für Weihnachtsmänner und Osterhasen. Wahrscheinlich gibt es nichts, was in Wattenscheid noch nicht aus feinster Schokolade hergestellt worden wäre – seit 1968, basierend auf überlieferten Hausrezepten. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

U

nter den vielen Aphorismen, die von Schokolade handeln, ist der folgende ein besonders schöner: „Solange Kakao auf Bäumen wächst, ist Schokolade für mich Obst.“ Besonders schön, weil er mit der Frage spielt, ob etwas derart Leckeres gleichzeitig gesund sein kann. Vorweggenommen die Antwort: Ja, Schokolade kann. „Im Grunde genommen reichen für eine dunkle Schokolade drei Zutaten“, erklärt Max Ruth, der Junior-Chef des Famili-

enunternehmens in dritter Generation. „Mehr als Kakaomasse, Kakaobutter und Zucker benötigt man nicht. Bei einer Vollmilchschokolade kommt Milchpulver hinzu. Auf den Packungen industrieller Billigschokolade sind manchmal zwanzig oder mehr Zutaten gelistet. Butterreinfett zum Beispiel. Das kostet nichts, damit lässt sich strecken, in eine gute Schokolade gehört das aber definitiv nicht hinein.“

Von Philipp II. bis Rodolphe Lindt Viele Nahrungsmittel sind im Zuge ihrer Industrialisierung billiger, nicht unbedingt aber besser geworden. Als kostengünstiges Massenprodukt kann Butterreinfett hochwertige Zutaten ersetzen. Qualitätsvolle Schokoladen zeichnen sich durch einen vergleichsweise hohen Anteil an Flavonoiden, Polyphenolen und Catechinen aus. Was so kompliziert klingt, macht sie ge-

sünder. Diese Stoffe können, wie aktuelle Forschungen belegen, sogar vorbeugend gegen Tumorbildung und Herzversagen wirken. Und längst dürfte die Binsenweisheit, dass Schokolade „glücklich machen“ kann, in aller Munde sein. Es hat gedauert, bis Schokolade selbst in aller Munde war. Im Zuge einer frühen Phase der Globalisierung tritt sie ins Leben der Menschen Mitteleuropas. Deren Speiseplan wurde durch das Entdecken ihnen bislang verborgener Welten erweitert. Lebhaft wurde in jenen vergangenen Tagen über die Wirkung neuartiger Stimulanzien wie Kaffee, Tabak, Schokolade und Tee debattiert. Noch im 18. Jahrhundert verurteilte ein königlich schwedisches Gericht einen Mörder zum „Tod durch Tee“. Er starb mit zweiundachtzig Jahren – und

Links: Juniorchef Max Ruth vor einem Teil des Formarchivs. Der Modell- und Formenbau ist auch in der dritten Generation ein wichtiges Standbein im Schokoladenwerk.

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REPORTAGE

überlebte sowohl seinen Richter als auch die Ärzte, die nach vollstrecktem Urteil das Ableben protokollieren sollten. Zwischen Tabak und Tee liegt Schokolade im sehr gesunden Mittelfeld. Als Genussmittel kommt sie leidlich schleppend in Fahrt. Vorreiter war der Spanische Hof. Dort wurde Schokolade 1544 nachweislich als Getränk serviert. Annähernd dreihundert Jahre später, anno 1828, erfand der Holländer Coenraad Johannes van Houten die Kakaopresse. Mit ihrer Hilfe kann die Kakaobutter gerösteter Kakaobohnen separiert werden. Es entsteht eine feste Masse, Voraussetzung für Schokolade in Tafelform. Als deren Erfinder wiederum gilt Fry & Sons im englischen Bristol. In der Fabrik wurde besagte Masse mit zuvor geschmolzener Kakaobutter und Zucker vermengt und zum Auskühlen in Formen gegossen. Man schrieb das Jahr 1847. Eine weitere wichtige Erfindung ist die 1879 von Rodolphe Lindt entwickelte Conchiermaschine. Sie verleiht der Schokolade den typisch schmelzenden Charakter.

Wattenscheid, 1968 Wer heute an das bereits sprichwörtliche Jahr 1968 denkt, denkt vermutlich an zivilgesellschaftliche Proteste, an Rudi Dutschke in Berlin oder die Schwabinger Krawalle, weder aber an Kakaoboh-

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nen noch an eine schwerindustriell geprägte und damals noch kreisfreie Stadt im mittleren Ruhrgebiet. Das weiß auch Markus Lauter, verantwortlich für das Marketing im Schokoladenwerk Ruth. Er freut sich. „Wir sind wirklich begeistert, wie die Leute das Thema ‚Schokolade aus Wattenscheid seit 1968‘ annehmen. Die Leute sind interessiert, eben weil es so unglaublich klingt.“ Das Fundament legte seinerzeit Gerhard Ruth, dem Vernehmen nach ein Tüftler mit sensiblen Geschmacksknospen an Gaumen und Zunge. „Mein Opa hat als Bäcker und Konditormeister angefangen und ein Café eröffnet“, sagt Max Ruth. „Er hat seine eigene Hausschokolade und Pralinen kreiert. An seine Rezepte halten wir uns bis heute. Das ist nicht einfach eine Grundmasse, die jeweils unterschiedlich aromatisiert wird. Jede Praline hat ihre eigene, ganz spezielle Rezeptur. Er war aber auch ein Macher. Er hat immer überlegt, wie den Kollegen in der Branche zu helfen wäre. Damals hat jeder Konditor mit hohem Aufwand Lebensmittelfarbe selbst hergestellt. ‚Das muss doch

einfacher gehen‘, hat mein Opa gemeint, hat Farbe in großem Stil gekocht, in Spraydosen gefüllt und portionsweise verkauft. Die Dosen hat er mit einem Kompagnon in einer Garage erfunden. Und er hat, mit meinem Vater und dessen Bruder, auch den Formenbau angestoßen.“ Nur vom Werksverkauf und der Präsenz in den Regalen diverser Lebensmittelund Fachgeschäfte könnte der Familienbetrieb nicht überleben. Der Modell- und Formenbau ist nach wie vor ein wichtiges Standbein im Schokoladenwerk. Werbemittel spielen in diesem Segment eine große Rolle. Derzeit wird an einem Modell des Audi e-tron gefeilt. Der soll bald in Schokolade gegossen werden. Was die Kundschaft wünscht, wird in präziser Handarbeit gefertigt. Markus Lauter berichtet vom VW Beetle: „Unter der größtmöglichen Geheimhaltung haben wir damals die Konstruktionspläne von Volkswagen bekommen. Unter gar keinen Umständen durfte die Öffentlichkeit erfahren, was bei VW in Mexiko vom Band rollen sollte.“


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Osterhasen kurz vor Weihnachten Fertig ist die Darbohne, das Maskottchen der Kaffeerösterei Darboven. Vom Modell wurden zunächst Formen für Rück- und Vorderseite in transparentem Kunststoff gezogen. Jetzt kann die Produktion des Maskottchens als bunte Schokofigur beginnen. „Wir malen zuerst das Gesicht aus“, erklärt Max Ruth den Herstellungsprozess. „Das Figürchen bekommt Augen und einen Mund. Das wird in Handarbeit mit eingefärbter Schokolade in die Form gepinselt. Anschließend wird Schokolade in eine der beiden Formen gegossen, das Gegenstück wird aufgesetzt und beides in einen stabilen Rahmen gespannt. Der kommt dann für zehn bis fünfzehn Minuten in die Schleuder. Die Schokolade wird gleichmäßig verteilt und kühlt dabei aus. Das Ergebnis ist eine Hohlfigur mit einer drei bis vier Millimeter starken Wand.“ In der Versandabteilung warten bereits Nussknacker, Tannenbäumchen sowie eine Armee der Schneemänner darauf, in die Welt geschickt zu werden. Die Jahreszeiten sind im Werk verschoben. „Wenn unsere Mitarbeiter in den Winterurlaub

gehen, dann sind schon die ersten Osterhasen fertig“, sagt Max Ruth. „Die richtige Weihnachtsstimmung, auf die sich eigentlich jeder freut, ist dann leider hinüber. Weihnachten beginnt für uns im August. Da produzieren wir die ersten Adventskalender.“ Schokolade macht zwar glücklich, sie enthält die Aminosäure Tryptophan, welche vom Körper in das Glückshormon Serotonin umgebaut wird, doch die Herstellung hat ihre Schattenseiten. Ein viel größerer Schatten als verschobene Jahreszeiten liegt unseligerweise meist über Anbau und Handel. Die Arbeitsbedingungen auf den Kakaoplantagen in Afrika oder Südamerika sind häufig miserabel. Schon früh engagierte sich Gerhard Ruth deswegen sozial, zum Beispiel beim „Kindergarten Wattenscheid in Gambia“. Und auch in diesem Bereich sieht Max Ruth seinen Opa als Vorbild. Fairtrade ist im Schokoladenwerk eine Selbstverständlichkeit. Das zeigt sich unter anderem bei der Kooperation mit der gemeinnützigen Stiftung Cocoa Horizons, die vor Ort den Aufbau selbstversorgender landwirtschaftlicher Gemeinschaften fördert und für Naturschutz sowie den Schutz von Kindern eintritt.

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DAS FOTO

Vor-Vergangenheit: „Rockin‘ around the Christmas Tree“ heißt das traditionsreiche Rockabilly-Festival vor Weihnachten im Dortmunder Piano. Auch die Zeitreise in die Welt von Petticoat und Schmalztolle und Kreppsohle entfällt im Corona-Winter der leeren Konzertsäle. Und so wirkt unser Foto aus dem vergangenen Jahr doppelt nostalgisch. Foto: Daniel Sadrowski

MIETEN & WOHNEN

Wohnungsverlust in der Pandemie verhindern Von Markus Roeser, Mieterverein Dortmund und Umgebung Wir nähern uns dem Ende eines verrückten Jahres. Die Einschränkungen und Entwicklungen hätte im Januar vermutlich keiner für möglich gehalten. Für viele sind die aktuellen Einschränkungen nur noch nervig, man möchte zurück zum ‚normalen‘ Leben und das Jahr in Ruhe ausklingen lassen. Für viele Menschen bedeuteten die Einschränkungen in 2020 starke finanzielle

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Einbußen. Die Schließung von Geschäften, Restaurants, Kultur- und Freizeitbetrieben über mehrere Wochen hinweg sorgten für ausbleibende Einnahmen sowohl bei vielen Beschäftigten als auch bei Eigentümern. Für Mieterinnen und Mieter bedeutet dies auch, dass es zu Zahlungsschwierigkeiten und Kündigungen kommen kann. Der Verzicht auf Urlaube und Freizeitaktivitäten dürfte etwas Luft gegeben haben, damit die

Miete weitergezahlt werden konnte. So manche Ersparnisse dürften im Laufe des Jahres aber drastisch geschrumpft sein. Im Frühjahr reagierte die Politik mit einem Kündigungsmoratorium: Vermieter durften dann nicht mehr kündigen, wenn die Miete aufgrund der Corona-Pandemie nicht gezahlt werden konnte. Die Miete musste freilich trotzdem nachgezahlt werden. Es brachte den betroffenen Personen


KOMMENTAR

Das Leuchten der Schnabeltiere Von Bastian Pütter Als 1798 ein Tier mit Entenschnabel, Biberschwanz und Maulwurfspfoten nach Europa gebracht wurde, stand die junge Wissenschaft Kopf. Was tun mit einem geradezu klassischen Fabeltier, das sowohl Eier legte als auch seine Jungen säugte, wo es doch um Klassifikation und die (Ein-)Ordnung der Welt ging? Die Mystiker frohlockten, aber Wissenschaft adaptierte, erweiterte und fand eine immer noch gültige Lösung.

Corona, Stress und Wissenschaft

Als 2017 ein Forschungsteam um Paula Spaeth Anich aus Wisconsin nächtens unterwegs war, um die Bioluminiszenz von Flechten zu untersuchen, erstrahlten im Licht der UV-Lampe auch in den Bäumen hockende Flughörnchen leuchtend bunt. Irritiert untersuchten die WissenschaftlerInnen ausgestopfte Exemplare im Museum und strahlten aus Neugier auch die vorhandenen Schnabeltier-Exponate an. Seit ihrem im Herbst veröffentlichen Paper wissen wir: Schnabeltiere leuchten in ultraviolettem Licht blaugrün. Noch weiß kein Mensch, warum zum Kuckuck das. Nun hat die Durchdringung der Welt offensichtliche Schattenseiten – auch dem Lebensraum des Schnabeltiers geht es gerade an den Kragen –, Erkenntnis (und ihre systematische Erzeugung) ist jedoch keine davon. Wir erleben gerade in Echtzeit, wie Wissenschaft uns neben leuchtenden Fotos von putzigen Ursäugern auch einen Weg aus dieser so nervigen wie tödlichen Pandemie zeigt. Und wie viel Stress ihre Mechanismen verursachen, wenn sie so sichtbar sind wie jetzt. Wir sind gewohnt, das Korrigieren von Positionen als Schwäche zu sehen. Der Wahrheitsbegriff von Wissenschaft ist nicht kompatibel mit unseren eingeübten Entscheidungstechniken, sei es Kompromissfindung oder Niederbrüllen des Kontrahenten. Uns ist unwohl mit Zusammenhängen, die wir in ihrer Komplexität nicht durchdringen, die in ihren Folgen aber konkret spürbar sind. Das alles ist nicht neu, und die Schnittstellen von Wissenschaft und politischem System oder von Wissenschaft und Öffentlichkeit sind immer schon Kampfzonen „interkultureller“ Kommunikation. Diesmal geht es halt um mehr als sonst. Das Leugnen empirischer Befunde oder das Konstruieren ganzer scheinwahrer Systeme in Verschwörungserzählungen sind immer schon Wege, mit der Brechstange aus Überforderung Ordnung zu schlagen. Aber so ist es eben, und die Chancen stehen gut, dass diesmal Irrationalität in der Krise kein Mehrheitsvotum wird. Dann lassen wir bald dieses Covid-Dings hinter uns und können endlich unsere Energien darauf verwenden herauszufinden, warum diese Schnabeltiere leuchten.

aber eine Atempause. Leider galt die Regelung nur bis Ende Juni, obwohl die Pandemie noch lange nicht überstanden war und auch noch immer nicht ist. Im Herbst wurden erneut Betriebe geschlossen. Es ist möglich, dass wir über den Winter mit weiteren Einschränkungen leben werden. Wenn wir wollen, dass wir alle gemeinsam und in Ruhe das Jahr ausklingen lassen, dann brauchen wir, gerade in der Krise, einen stärkeren Schutz vor Kündigungen. Niemand darf in oder durch die

Pandemie seine Wohnung verlieren. Wir müssen sicherstellen, dass bei aller Unsicherheit zumindest der Verbleib in der Wohnung garantiert ist, auch wenn es zu finanziellen Schwierigkeiten kommt.

DIE ZAHL

41,1 Prozent Je geringer das Einkommen, desto höher die monatlichen Einbußen durch die Corona-Pandemie. Erwerbstätige mit einem Nettoeinkommen unter 1.700 Euro hatten im Juni im Schnitt 41,1 Prozent weniger Einkünfte, so eine Studie des WSI mit Daten der HansBöckler-Stiftung.

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V. Kampstraße 4, 44135 Dortmund www.mieterverein-dortmund.de

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REPORTAGE

Ein Zelt für den Winter Covid-19 und die Schließung vieler Einrichtungen stellt die Wohnungslosenhilfe mehr denn je vor die Frage: Wohin im Winter? In Dortmund haben sich mehrere Initiativen und Vereine zusammengeschlossen und betreiben im Verbund mit der Stadt die Winternothilfe am U: Zweimal täglich stellen sie eine Essensversorgung in einem beheizten Großzelt in der Innenstadt auf die Beine. Ein Besuch. Von Alexandra Gehrhardt | Fotos: Sebastian Sellhorst

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„Die Leute würden das ohne auch nicht über den Winter schaffen. Du kannst nicht den ganzen Tag draußen sein und dich dann zum Essen auf den Parkplatz setzen. Du musst irgendwann am Tag die Füße warm kriegen.“

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raußen ist noch nicht viel los so früh am Morgen. Erst drei, vier Männer stehen vor dem Toreingang auf dem ehemaligen Parkplatz am Fuß des Dortmunder U und warten darauf, dass der Einlass ins große, weiße Zelt beginnt. Hinter ihnen, über den Platz und am Zaun entlang, sind in Gelb Striche auf den Boden gemalt, alle eineinhalb Meter einer. Ein Zeichen für alle späteren Wartenden, wie groß der Abstand ist, den sie einhalten sollen. Drinnen im Zelt ist schon deutlich mehr los. Halb acht, in einer halben Stunde geht‘s los. Schon vor einer Stunde haben HelferInnen Brote geschmiert und Tüten gepackt, jetzt macht sich das Team fertig für die Premiere der „Winternothilfe am U“ im Großzelt: Wer ist am Eingang, wer an den Servierwagen, welche Thermoskannen sind die mit Tee, welche mit Kaffee, wo gibt es die Lunchpakete mit Käse, wo die mit Wurst? Seit im Frühsommer klar wurde, dass die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe – seit März zumeist nur mehr im Notbetrieb – wohl sehr lange Zeit nicht mehr so würden arbeiten können wie vor Corona, war klar: Es müssen Lösungen für den Winter her. Fast alle Hilfsangebote waren mit dem ersten Lockdown nach draußen verlagert worden; Beratung fand und findet oft unter freiem Himmel statt, wer etwas zu Essen holen oder duschen will, stand und steht Schlange, ob in großer Hitze oder bei Regen. Das Wegbrechen der Infrastruktur hat Spuren hinterlassen; bundesweit berichten Akteure der Wohnungslosenhilfe nach neun Monaten im Ausnahmezustand von starker Verelendung der Betroffenen, die Bundesarbeitsgemeinschaft mahnt und fordert „sofort zusätzliche Räumlichkeiten für Beratungen, Tagesaufenthalte, Essensausgaben und Übernachtungsstellen. […] Bund und Länder sollten die Kommunen sowie die Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe dabei unterstützen.“

300-mal Frühstück Bereits im Frühjahr haben sich das GastHaus, der Dortmunder Wärmebus der Malteser, der katholischen Stadtkirche und der St. Johannes-Gesellschaft und bodo zusammengeschlossen und betreiben unter dem Dach des Paritätischen seit April ein temporäres Hygienezentrum in einer städtischen Immobilie. Dreimal in der Woche können Menschen ohne eigene Wohnung hier duschen, sich mit Kleidung und Hygieneartikeln versorgen. Doch die Frage, wie und wo sich ein Ort schaffen lässt, an dem Wohnungslose im Corona-Winter im Trockenen, im Warmen und im Sitzen essen können, blieb lange offen. Schon im Sommer starteten die Verhandlungen mit der Stadt Dortmund, im Oktober gab der Rat in seiner allerletzten Sitzung den endgültigen Anstoß zur Umsetzung. Jetzt, Mitte November, starten das GastHaus, die Kana Suppenküche, das Wärmebus-Team und bodo in Kooperation mit der Stadt Dortmund mit der Winternothilfe am U. Zweimal täglich ist das Großzelt geöffnet, morgens zum Frühstück und nachmittags für einen warmen Eintopf, Kaffee und Kuchen. Das Gelände, das Zelt, einen Toilettenwagen und einen Sicherheitsdienst stellt und finanziert die Stadt Dortmund, den Betrieb und die Versorgung stemmen die Vereine und viele ehrenamtliche HelferInnen. Gut 200 Menschen haben sich auf den gemeinsamen Unterstützungsaufruf gemeldet, um bei der Essensausgabe mitzuhelfen. Im Gast-Haus gingen, seit es wegen der Schließung vieler Einrichtungen Frühstück nur durchs Fenster gab, jeden Morgen rund 300 Lunchpakete durch die Ausgabe. Mit so vielen Gästen rechnen die Betreiber auch hier. Angesichts dessen wirken die gut 15 Leute, die heute Morgen im Einsatz sind, sehr

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REPORTAGE

„Du siehst das, wie die Leute hier rauskommen: Hier ist richtig gute Laune. Einfach mal in Ruhe drinnen sitzen, was Leckeres essen, hinterher draußen ein bisschen quatschen.“

entspannt. „Ach, wir kennen das ja schon, nur der Ort ist ein anderer“, sagt ein Helfer, während er einen der Servierwagen schon mal in einen der Gänge schiebt. „Ich weiß nicht, was kommt, aber egal“, lacht Peter. Er ist zum ersten Mal dabei, nachdem er den Aufruf bei Facebook gesehen und sich gemeldet hat. „Ich hab montags frei und dachte mir, ich kann was Sinnvolles tun.“ Er ist heute zwischen den Tischen unterwegs, schenkt Kaffee und Tee aus. Sein erster Eindruck: „Es ist entspannt und die Leute friedlich. Und alles ist gut organisiert – macht Spaß.“

Um 16.30 Uhr öffnet die Winternothilfe noch einmal für drei Stunden, Kaffee, Kuchen und eine warme Mahlzeit, die Premiere übernimmt das Team des Dortmunder Wärmebusses. Seit zwei Jahren gehört das Angebot der Malteser, der Katholischen Stadtkirche und der St.-Johannes-Gesellschaft in den Wintermonaten fest zur Obdachlosenhilfe auf der Straße, als im März die Kana Suppenküche schließen musste, fuhren die ehrenamtlichen HelferInnen weiter, erst täglich, dann zweimal in der Woche, den ganzen Sommer hindurch.

Abstand halten und Fieber messen

Zwei Gerichte gibt es heute, eine KartoffelGemüse-Suppe und einen Eintopf mit Hack. Sandra steht im abgetrennten Küchenbereich und schöpft aus den großen Wärmebehältern Suppen in weiße Einmalschalen. Sie ist neu im Team, mit Wohnungslosen hatte sie bisher noch nicht zu tun. „Aber das Kind ist groß, ich habe keine kranken Eltern zu versorgen und kann was Gutes tun. Also war das die beste Gelegenheit.“

8 Uhr, los geht‘s, die ersten Gäste kommen durch den Eingang. An der Tür ein kurzer Stopp zum Temperaturmessen und zur Händedesinfektion, wer keine Maske hat, bekommt eine. Die HelferInnen warten schon an der Ausgabe, jedeR bekommt ein fertig gepacktes Lunchpaket mit ein paar Broten, Obst und etwas Süßem und sucht sich einen Platz. Kaffee, Tee und Wasser schenken die HelferInnen am Platz aus. Bernard ist schon seit 7 Uhr am Zelt: „Das ist ja meine Ecke hier, ich hab mir auch den ganzen Aufbau angeguckt. Das ist schon superprofessionell gemacht: richtiger Boden, Heizung, alles vom Feinsten.“ Er schaut sich um: „Die Leute würden das ohne auch nicht über den Winter schaffen. Du kannst nicht den ganzen Tag draußen sein und dich dann zum Essen auf den Parkplatz setzen. Du musst irgendwann am Tag die Füße warm kriegen.“ Nach einer Pause sagt er: „Es sind wirklich viele Leute, die das hier brauchen. Es sind auch mehr geworden mit Corona.“

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Als gegen 19.30 Uhr die letzten gegangen sind, werden es 560 Menschen sein, die an diesem ersten Tag da waren. Ein Zeichen, wie nötig das Projekt ist. Oder, wie es Nutzer Norbert sagt: „Du siehst das, wie die Leute hier rauskommen: Hier ist richtig gute Laune. Die haben hier seit dem letzten Winter auf sowas gewartet: einfach mal in Ruhe drinnen sitzen, was Leckeres essen, hinterher draußen ein bisschen quatschen.“


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Grußwort von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die Weihnachtsausgaben der deutschen Straßenmagazine und -zeitungen

Liebe Leserinnen und Leser, seit mehr als 25 Jahren gibt es Straßenmagazine und -zeitungen in Deutschland. Seit zweieinhalb Jahrzehnten sind sie Menschen, die auf der Straße leben, eine Hilfe zur Selbsthilfe. Und sie leben von der Straße, vom Straßenverkauf. Monat für Monat – bis zu diesem April, als viele von ihnen nur mehr digital erscheinen konnten. Denn die Straße, das öffentliche Leben, unser aller Leben, steht seit nunmehr einem dreiviertel Jahr unter dem Einfluss der weltweiten Corona-Krise. Was bedeuten die Infektionsgefahr und die Kontaktbeschränkungen für Menschen, die weiter auf der Straße leben, die auf Einkünfte aus dem Straßenverkauf angewiesen sind, deren Anlaufstellen nur noch im Notbetrieb arbeiten können, die keinen Rückzugsraum haben? Ein öffentlicher Raum ohne Menschen, ohne Kommen und Gehen, ist wie ein blinder Fleck. Doch gerade jetzt sind die Menschen, die weiter auf der Straße und von der Straße leben, auf Wahrnehmung angewiesen, darauf, dass sie nicht aus dem Blick geraten in dieser Krise. Durch Corona sind wichtige Anlaufstellen und Aufenthaltsorte für wohnungslose Menschen nur noch eingeschränkt nutzbar. Im bevorstehenden Winter heißt das für viele – trotz großer Anstrengungen einer Vielzahl von karitativen Organisationen: weniger Orte zum Aufwärmen, und, gerade in dieser Gesundheitskrise, weniger Möglichkeiten für einfachen medizinischen Rat. Straßenmagazine wie bodo und andere Einrichtungen der Obdachlosenhilfe können hier Unterstützung leisten. Sie verlie-

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ren ihre Leute nicht aus den Augen. Wir sollten es auch nicht. Wer obdachlos ist, ist schutzlos, wenn ihm nicht geholfen wird. Alle Institutionen der Obdachlosenhilfe sind deshalb auf unsere Wahrnehmung und Hilfe angewiesen, gerade in dieser Zeit, in der sich Deutschland und Europa darauf konzentrieren, die Corona-Krise zu überwinden. Denn: Wenn wir alle aufgefordert sind, zu Hause zu bleiben, was bedeutet das für Menschen, die kein Zuhause haben? Müssen wir diejenigen, die kein Zuhause haben, in einer solchen Zeit nicht erst recht stützen, damit sie nicht fallen? Daran könnten wir denken, wenn wir uns in diesem Jahr nicht auf festlich geschmückten Straßen und Weihnachtsmärkten begegnen, sondern im engsten Kreis Weihnachten feiern. Ich wünsche uns allen ein frohes Weihnachtsfest, Gesundheit und ein gutes neues Jahr!

Frank-Walter Steinmeier


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„Was hast Du immer dabei?“ Das haben wir VerkäuferInnen des Straßenmagazins und Wohnungslose, die wir auf unseren Versorgungstouren in Bochum und Dortmund treffen, gefragt. Und überraschenderweise zeigten die meisten keine praktischen Hilfsmittel für das Leben auf der Straße, sondern „Überlebenshelfer“, die Halt geben, Beistand versprechen, Erinnerungen festhalten und der Hoffnung auf ein besseres Leben eine Form geben.

Das Glück in der Tasche

Von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst

Ali, bodo-Verkäufer in Dortmund Ein Freund hat mir die geschenkt. Das sind chinesische Glücksmünzen. Ich trag sie immer an der Kette mit meinem Verkäuferausweis.

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Georg, Bochum Ich bin gelernter Pferdepfleger. Gerade hatten wir noch Witze gemacht, dass ich mir einen Pferdeanhänger kaufen will. Ich meinte einen Anhänger für die Halskette, aber die anderen sagten: Und den ziehst du dann selber? Für ein Pferd oder für zwei? Und wo parkst du den? Na, und dann kommt gerade ein Kumpel vom Gast-Haus und schenkt mir das hier. Guck mal, das ist eigentlich ganz gut gearbeitet. Die Muskulatur ist ein bisschen übertrieben, aber alles an der richtigen Stelle. Das ist eigentlich gut für Kinder, die lernen da was.

Ferdinand, bodo-Verkäufer in Dortmund Das Kreuz habe ich von meinem Bruder. Es gefällt mir einfach gut. Die Steine darauf sind natürlich nicht echt, aber ich mag, wie sie leuchten. Es ist gut, etwas zu haben, das immer da ist. Und natürlich: Es beschützt und bringt Glück.

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Harald, bodo-Verkäufer in Dortmund Geld ist eigentlich das einzige, ohne das gar nichts geht. Ich habe immer Münzen in der Tasche. Die halte ich zusammen. Denn auch wer nicht viel hat, braucht Geld: Wenn du nicht rausgeben kannst, dann verkaufst du keine einzige bodo.


Christian, bodo-Verkäufer in Dortmund

Dennis, Dortmund Ich hab diesen Buddha als meinen Glücksbringer. Mein Vater hat ihn 26 Jahre lang besessen, jetzt gehört er mir. Er hilft mir wirklich hier auf der Straße, ich könnte so viele Geschichten erzählen. Du brauchst einfach auch etwas, das auf Dich aufpasst. Die Kette ist aus Tigerauge, einem Halbedelstein. Sie war in einem Rucksack, den ich geschenkt bekommen habe. Ich trag sie immer um den Hals, nur für Euch nehme ich die ab.

Ich kaufe mir gerne schöne Sachen: Ketten, Amulette und so. Ja, das ist verrückt, wenn Du auf der Straße lebst. Aber ich mag Fernöstliches und alles, was glänzt und glitzert. Das Wichtigste ist aber ein Glückspfennig, den ich zu einem Anhänger umgearbeitet habe. Unauffällig, aber besonders.

Steffi, Dortmund Ich hab zwei Glücksbringer neben meinem Bettelbecher. Das eine ist eine kleine Babyrassel, ganz schön, die muss hier aus einem Kinderwagen gefallen sein. Ich hab die dann lange hier sichtbar liegen gehabt, weil ich dachte, die Mutter kommt vielleicht zurück und sieht sie. Jetzt gehört sie wohl mir. Die ist auch inzwischen zu dreckig für ein Baby. Der andere Glücksbringer ist dieses Bärchen mit Herz. Das hat mir eine Frau geschenkt, die kommt ganz regelmäßig bei mir vorbei. Die ist sehr nett. Es gibt viele Leute, die freundlich sind und auch mal quatschen. 25


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Ela, bodo-Verkäuferin in Bochum Das ist Lumlum. Den habe ich meinem Sohn damals zur Geburt gekauft. Jeden Abend habe ich ihm vorgelesen, er hat nie am Daumen gelutscht, er wollte nur mit Lumlum kuscheln. Jetzt ist mein Sohn erwachsen, und Lumlum ist wieder bei mir und hilft mir durch schwere Nächte.

Andreas, Dortmund

Bernhard, Dortmund Meine Freundin hat mir dieses Peace-Zeichen geschenkt. Das trag ich seit Jahren. Ja, es bringt Glück. Und es bedeutet Frieden. „Lasst die Tauben fliegen“, haha. Aber eher als eine Idee oder ein fernes Ziel. Es heißt nicht, dass ich mich nicht wehre, wenn es sein muss. Ich mag, dass mich etwas immer begleitet. 26

Mein Einkaufschip ist mein Glücksbringer. Was du sonst im Portmonee hast, ist ja schneller weg, als du gucken kannst, aber der Chip, der bleibt. Vielleicht hilft der mir jetzt auch: Ich bin gerade auf der Straße, aber ich habe nächste Woche einen Termin. Vielleicht hab ich dann ein Dach über dem Kopf. Dann kriegt der Chip einen Ehrenplatz.


Ralf, bodo-Verkäufer in Bochum Immer dabei hab ich natürlich meine beiden Hunde, mehr brauch ich nicht. Und in der Tasche sind immer eine paar Leckerlis. Tyson ist eindeutig der Verfressenere von beiden. Wenn ich in die Tasche greife, kommen aber beide sofort angelaufen.

Marc, Bochum Die Kette hat mir eine Freundin geschenkt. Das Kreuz habe ich mir selbst gekauft. Der Ring gehörte dem Großvater einer Freundin.

Jagjit, bodo-Verkäufer in Bochum

Mario, bodo-Verkäufer in Bochum

Familie ist das Wichtigste. Sie ist ein Glück, auch wenn Vieles sonst schwierig erscheint. Und Kinder sind Hoffnung. Ich habe immer Fotos von Eknur und Jandantarit dabei, wenn ich bodo verkaufe. Und ich freue mich jeden Tag, zu ihnen nach Hause zu kommen.

Den Dollar hat mir vor 20 Jahren mein Bruder geschenkt. 2004 ist er leider gestorben. Seitdem trage ich den Schein immer bei mir. Früher hat mir mein Bruder Glück gebracht, jetzt der Dollar. Und noch was Gutes: Ich habe nie komplette Ebbe im Portemonnaie. 27 27


WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

FICHTE Picea abies

REZEPT 750 g Hirschbraten (von der Keule) mit ein wenig frisch gemahlenem schwarzen Pfeffer einreiben. 3 Eiweiß zu einem weichen Schnee verschlagen und mit 1 kg grobem Meer- oder Steinsalz sowie 2 EL gesiebtem Mehl zu einem Teig vermengen. Den Boden einer Bratenform mit einer Schicht Salzteig ausstreichen, 5 bis 6 Fichtenzweiglein und 5 bis 6 Wacholderbeeren auf dem Teig verteilen, den Braten auflegen, weitere Fichtenzweiglein auf das Fleisch legen und alles mit dem verbliebenen Teig ummanteln. Im vorgeheizten Backofen bei 200 Grad eine knappe Stunde garen – zur Kontrolle ein Bratenthermometer verwenden, bei etwa 80°C ist der Braten gar. Für die Sauce: 2 kleine Zwiebeln hacken und in Butter anschwitzen, 1 TL Tomatenmark einrühren, mit 400 ml Wildfond ablöschen und pürieren. 6 mittelgroße Champignons, in dünne Scheiben geschnitten und angebraten, zugeben, 125 ml Rotwein angießen und 1 EL Creme Fraiche einrühren. Die Sauce kurz aufkochen lassen und mit schwarzem Pfeffer aus der Mühle abschmecken.

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raußen, vorm Fenster, spielt der November goldener Oktober. Auch schön: Gerade hat Trump die Wahl verloren. Nicht schön: In Leipzig sind wohl 40.000 Verschwörungstheoretiker samt Sympathisanten (inklusive *innen) auf die Straße gegangen. Ich schreibe meine DezemberKolumne. Und wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, jetzt diesen Text lesen, ist es vermutlich nicht mehr weit bis Weihnachten. Wie das Fest 2020 aussehen wird? Wie viele Gäste zusammenkommen dürfen? Keine Ahnung. Noch zeigen die Corona-Maßnahmen keine Wirkung, noch steigen Fallzahlen und Inzidenz. Trump reagiert, wie man es von Trump erwarten durfte. Meine virtuellen Freunde posten im Facebook hübsche Karikaturen dazu. Weniger hübsch: in Leipzig hat Heike Oehlert, Kommunalpolitikerin der Freien Wähler – diese Partei verortet sich irgendwo zwischen AfD und CDU – der applaudierenden Menge eine Reihe rhetorischer Fragen gestellt. Sie hat Dinge angesprochen, über die sich durchaus diskutieren ließe. Sie hat das Publikum aber auch gefragt: „Warum steht jede unkontrollierte Bewegung unseres rechten Armes unter dem Generalverdacht des Zeigens von verfassungsfeindlichen Symbolen?“ Ja hallo, Frau Oehlert, warum wohl? Ich war aber auch naiv. Ich hatte Verschwörungstheoretiker samt Sympathisanten (inklusive *innen) beinahe vergessen, nachdem ich mich nach langwierigen und teils enervierenden Diskussionen im Sommer von den letzten ihrer Art in meiner eigenen kleinen Facebook-Filterblase entfreundet hatte. Mittlerweile ist es Winter. Ich vermute mal, meine persönlichen VsS*innen hätten mir ohnehin keine Weihnachtsgrüße mehr geschickt. Im analogen realen Freundeskreis gibt es Menschen mit rustikalem Humor. Doch so weit, mir zum Fest eine Xavier-Naidoo-Platte oder

ein Attila-Hildmann-Kochbuch zu schenken, wird wohl niemand gehen. Hoffe ich. Seitens meiner Familie droht diesbezüglich wohl kaum Gefahr. Davon abgesehen ist ein Weihnachtsfest ohne sie für mich nur schwer vorstellbar. Die Sippschaft lebt in Sauerländer Randlage. Einmal, vor vielen Jahren, musste ich mir am Heiligen Abend von Dortmund aus ein Taxi nehmen, weil wegen heftigem Schneegestöber kein Zug mehr fuhr. Tatsächlich, damals war weiße Weihnacht. Sollte, ein Albtraum, das Virus in diesem Jahr den Familientreff vereiteln, würde ich etwas kochen, saisonalen Hirsch wahrscheinlich. Es wäre ein schwacher Trost – von zugegeben phantastischem Geschmack.

Die hellgrünen, jungen und noch dichten Triebspitzen der Picea abies schmecken sauer und herb zugleich (etwas wie harzige Zitrone) und eignen sich als säuerliche Ergänzung zu einem Karottengemüse ebenso wie für eine Frischkäse-Zubereitung oder als Beigabe zum Dessert. Nordamerikanische Ureinwohner verwendeten Fichtensprossen, um daraus ein haltbares Getränk herzustellen, mit dem auch in den Wintermonaten eine Vitamin-C-Quelle zur Verfügung stand.


KULTUR

Wiederentdeckung einer Ikone der Friedensbewegung Gleich aus zwei Richtungen wird gerade die politische Liedermacherin und Aktivistin Fasia Jansen wiederentdeckt. Von den 1950er-Jahren bis zu ihrem Tod 1997 unterstützte sie vom Ruhrgebiet aus die Friedensbewegung, feministische und Arbeitskämpfe. Jetzt untersuchen zeitgenössische Künstlerinnen in der Region einen bisher nicht so stark beachteten Aspekt ihrer Biographie: ihre Position als Schwarze Künstlerin in einer weißen Gesellschaft. Von Max-Florian Kühlem | Abbildungen: Plattencover aus Privatsammlung In Oberhausen, wo Fasia Jansen jahrzehntelang gelebt und gewirkt hat, trägt zwar seit 2014 eine Gesamtschule ihren Namen. Ansonsten ist er heute allerdings nicht mehr sehr bekannt. Dabei kam kaum an Fasia Jansen vorbei, wer etwa zwischen den 1960er- und 80er-Jahren auf den friedensbewegten Ostermärschen dabei war oder an den großen Streiks bei Krupp, Hoesch oder Thyssen teilnahm.

Zwei Plattencover: Fasia „Porträt“ von 1975 und „Los kommt mit – OstermarschLieder an der Abschußrampe“ von 1980.

Geboren wurde Fasia Jansen 1929 in Hamburg als uneheliche Tochter eines liberianischen Generalkonsuls und eines deutschen Zimmermädchens. Wegen der dunklen Hautfarbe wurden sie und ihre alleinerziehende Mutter überall abgewiesen, 1944 fand die 15-Jährige keine Familie, in der sie das im Nationalsozialismus übliche Pflichtjahr in einem Privathaushalt absolvieren konnte. So landete sie als Küchenhilfe im Konzentrationslager Neuengamme, musste Hunger, Krankheit und Misshandlung der Häftlinge erleben und erkrankte auch selbst. Trotz Spätfolgen aus dieser belastenden Zeit fand Fasia Jansen zu großer Stärke, wählte das Ruhrgebiet als Heimat und wurde von hier aus bekannt als Friedensaktivistin und Liedermacherin. Ihre Freundin Petra Eberhardt schrieb: „Und sie sang im strömenden Regen, als die Hoesch-Frauen in Dortmund für den Erhalt der Arbeitsplätze ihrer Männer kämpften, bis die Gitarre vor Nässe den

Geist aufgab. Sie freute sich riesig, als die HoeschArbeiter ihr eine neue Gitarre schenkten.“ Ihr Lied „Verbrannte Erde in Deutschland“ wurde zu einer Hymne des linken Widerstands in Deutschland. Das Netzwerk Interkultur Ruhr hat jetzt eine Recherche-Residenz vergeben: Die Künstlerinnen Princela Biyaa und Marny Garcia Mommertz haben dafür unter anderem das Internationale Frauen-Friedensarchiv Fasia Jansen in Oberhausen begutachtet, aber gehen vor allem mit eigenen Forschungsfragen an ihre Biographie: „Wir wollen die Schwarze Perspektive einbringen. Vieles, was archiviert wurde, ist aus einer weißen, vor allem feministischen Perspektive heraus entstanden“, sagt Marny Garcia Mommertz. „Wir fragen: Was können wir von Fasia lernen?“ Dafür haben sie bereits schwarze Weggefährten und Verwandte ausfindig gemacht und interviewt. Nach dem zweiten Residenzmonat im Januar entscheidet sich, was für ein künstlerisches Projekt aus ihrer Recherche wird. Bereits abgeschlossen hat die Künstlerin Aline Benecke ihre Beschäftigung mit Fasia Jansen: Sie hat ein „Fasia Jansen Ensemble“ mit überwiegend Schwarzen SängerInnen gegründet, mit ihm die alten Lieder neu aufgeführt und daraus einen vielschichtigen Film gemacht, der Anfang 2021 auf der Ausstellung „Geister, Spuren, Echos – Arbeiten in Schichten“ der Akademie der Künste der Welt in Köln zu sehen sein wird. www.interkultur.ruhr

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Kulturlandschaft Dezember 2020

Seit mehr als 25 Jahren ist ein Teil der Geschichte von bodo die enge Verbindung zur Kulturszene unserer Städte, zu freien Theatern und den Schauspielhäusern, zu Ateliers und Museen, zu Clubs, Konzerthallen und -sälen und den Menschen, die sie bespielen. Vom ersten Heft an gehört ein kommentierter Veranstaltungskalender zu bodo. Weil so gar nicht klar ist, was wie im Dezember an Kultur möglich ist, möchten wir stellvertretend einen Teil dieser Kulturlandschaft abbilden: Besuchen Sie diese Orte im Netz, schauen Sie, was kurzfristig möglich oder an Unterstützung nötig ist, und vergessen Sie nicht, was ein Teil des Reichtums dieser Region ist.

Auslandsgesellschaft e.V. (Dortmund) 1949 wurde die Auslandsgesellschaft als Initiative engagierter BürgerInnen gegründet. Sie entstand aus dem Trauma des Zweiten Weltkrieges, getragen von dem Wunsch nach Verständigung. Dieser Ursprung prägt ihr Ziel zur Völkerverständigung im Sinne von Humanität und Toleranz. Die Auslandsgesellschaft bietet Veranstaltungen mit gesellschaftspolitischem und interkulturellem Fokus, Lernen vor Ort in Seminaren, Gedenkstättenfahrten und Studienreisen weltweit, internationalen Austausch, Fremdsprachenkurse und Kurse für Deutsch als Fremdsprache. www.auslandsgesellschaftev.de

Bahnhof Langendreer (Bochum) Der Bahnhof Langendreer verbindet als soziokulturelles Zentrum Kultur mit gesell-

schaftspolitischen Inhalten. Mit seinen über 30 Jahren gehört es zu den ältesten soziokulturellen Zentren in NRW. Das Programm umfasst Kabarett, Comedy, Theater, Konzerte und Partys. Zudem haben politische Themen in verschiedenen Veranstaltungsformaten, Reihen und Projekten ihren festen Platz. Von Anfang an dabei und seit 2012 ein eigenständiger Betrieb: das endstation.kino. Das Programmkino bietet mehrere Vorstellungen pro Tag und ein vielfach prämiertes Programm. www.bahnhof-langendreer.de

Cabaret Queue (Dortmund) Im Jahr 1985 gegründet, entwickelte sich die Kleinkunstbühne zu einem festen Bestandteil der Dortmunder Kultur- und Unterhaltungsszene, die heute für Kabarett-, Comedy- und Kleinkunstveranstaltungen steht. Das Café

Queue öffnet morgens seine Türen, bietet Frühstück sowie hausgemachten Kuchen in gemütlicher Atmosphäre an, abends gibt es dann verschiedenste Veranstaltungen sowie Dinner Shows. www.cabaretqueue.de

Christuskirche (Bochum) Eine Kirche der Kulturen für eine Stadt der Kulturen, ihre Subkulturen und Stile, ihre Szenen und Milieus. Neben Konzerten mit nationalen und internationalen KünstlerInnen aus den verschiedensten Genres steht in der Christuskirche auch das Format Urban Urtyp auf dem Programm, das regelmäßig

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DASA (Dortmund) Die DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund präsentiert auf 13.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche Arbeitswelten von gestern, heute und morgen. Sie ist die ständige bildungsaktive Einrichtung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und informiert die Öffentlichkeit über die Arbeitswelt, ihren Stellenwert für Individuum und Gesellschaft sowie über die Bedeutung menschengerechter Gestaltung der Arbeit. Das Ausstellungskonzept setzt dabei auf sinnliches Erleben und eigenes Erfahren – ein Ort zum Entdecken, Nachdenken oder Nachfragen. www.dasadortmund.de

Deutsches BergbauMuseum (Bochum) Das Deutsche Bergbau-Museum Bochum – gegründet 1930 – ist eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft. Erforscht, vermittelt und bewahrt wird epochenübergreifend die Geschichte der Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Georessourcen. Vier Rundgänge – Steinkohle, Bergbau, Bodenschätze und Kunst –

führen über Tage durch das Haus. Mit dem Anschauungsbergwerk werden die Einblicke in die Facetten des Bergbaus auch unter Tage vermittelt. Des Weiteren bietet das Museum begleitende Veranstaltungen an. www.bergbaumuseum.de

Dietrich-Keuning-Haus (Dortmund) Das Dietrich-Keuning-Haus ist ein kulturelles Veranstaltungszentrum und eine stadtteilorientierte Begegnungsstätte in der Dortmunder Nordstadt. Als Veranstaltungszentrum bietet das Dietrich-Keuning-Haus ein vielfältiges Programm: Hier finden Konzerte, Kabarettund Comedyveranstaltungen, Discos, Tanzveranstaltungen, Fachtagungen und Feste aller Art statt. Als stadtteilorientierte Begegnungsstätte bietet das DKH sozial- und kulturpädagogisch gestaltete Angebote für Menschen aller Altersgruppen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. www.dortmund.de/dkh

domicil (Dortmund) Das domicil ist ein gemeinnütziges Kulturzentrum und Spielstätte für zeitgenössischen Jazz, Weltmusik, Avantgarde-Musikprojekte und ambitionierte Popmusik. Seit 1969 hat sich der Club als Veranstalter überregional einen Namen gemacht, zunächst mit dem ProEntwurf_Anzeige_Bodo_klein_03072020.indd gramm im legendären Kellerclub an der Leopoldstraße 60 im Dortmunder Norden, dann ab 2005 am neuen Standort im umgebauten UFA-Studio-Kino im historischen und zentral gelegenen Westfalenhaus in der Hansastraße. Im März 2019 konnte das domicil auf 50 Jahre Kulturarbeit zurückblicken. www.domicil-dortmund.de

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Dortmunder U Das Dortmunder U verbindet als ein Kulturzentrum neuen Typs Kunst, Forschung, kulturelle Bildung und Kreativität. Zu erleben sind Ausstellungen, Filmprogramme, Workshops, Vorträge, Gespräche, Konzerte, Club-abende, Video- und Klangkunst sowie weitere Veranstaltungsformate. Im „U“ kooperieren u.a. das Museum Ostwall, der Hartware MedienKunstVerein, die UZWEI_Kulturelle Bildung, die Fachhochschule Dortmund, die Technische Universität Dortmund, das european centre for creative economy (ecce) und der Verein Kino im U e.V. www.dortmunder-u.de

Fletch Bizzel (Dortmund) Das Theater Fletch Bizzel hat vor 35 Jahren, im Herbst 1985, im Hinterhof an der Humboldtstraße 45 seinen Spielbetrieb aufgenommen. Das damalige kleine Dachbodentheater in Dortmund-Dorstfeld hat sich in den letzten drei Jahrzehnten schnell vergrößert und bietet neben Theaterinszenierungen des hauseigenen Ensembles viele weitere Veranstaltungen sowie Projekte und Events wie z.B. den Geierabend, Theaternacht, Kriminacht und RuhrHOCHdeutsch an. Darüber hinaus gibt es ein breitgefächertes Angebot aus Kursen und Workshops in der Kulturwerkstatt im Theater. www.fletch-bizzel.de

Flottmann-Hallen (Herne) Eine kleine Epoche lang war Herne vor allem unter einem Begriff bekannt: als „Stadt der Bohrhämmer“. Zweitnamen und Bekanntheit verdankte Herne vor dem Zweiten Weltkrieg dem Unternehmer Heinrich Flottmann, der

aus Schlägel und Eisen eine einzige Maschine konstruierte. Heute kennt die Region die Flottmann-Hallen als kulturelles Zentrum, in dem zeitgenössische bildende Künstlerinnen und Künstler Raum finden, Kabarettisten und Comedians Station machen, Figurentheater oder moderner Tanz aufgeführt wird, wo zeitgenössische oder populäre Musik zu hören ist und Einblicke in die freie Theaterlandschaft möglich sind. www.flottmann-hallen.de

Fritz-Henßler-Haus (Dortmund) Als das „alte“ Haus der Jugend 1929 als erstes kommunales Jugendhaus in der Weimarer Republik eröffnet wurde, ahnte niemand, dass es genau vier Jahre später von den nationalsozialistischen Machthabern für ihre Zwecke missbraucht werden würde. 1945 wurde es bis auf die Grundmauern niedergebombt. Nach dem Krieg wurde schon bald der Ruf nach einem neuen Haus der Jugend laut. Die eifrigsten Vertreter dieser Idee waren der Dortmunder Oberbürgermeister Fritz Henßler und der Stadtverordnete Paul Kaufmann, der erste Leiter des „alten“ Hauses der Jugend. 1956 wurde das Fritz-Henßler-Haus seiner Bestimmung übergeben. Heute finden dort Veranstaltungen verschiedenster Art statt. www.fhh.de

FZW (Dortmund) Das Freizeitzentrum West (FZW) wurde 1968 von der Stadt Dortmund am alten Standort am Neuen Graben im Dortmunder Westen als Stadtteilzentrum eröffnet. Mit der Zeit entwickelte sich das FZW immer mehr zu einem Veranstaltungs- und Kulturzentrum.

Heute, in einem größeren Gebäude in der Ritterstraße direkt neben dem Dortmunder U beheimatet, gilt das FZW bundesweit als kreativer und erfolgreicher Veranstalter innovativer Jugend- und Popkultur. Im FZW werden Partys und Konzerte für verschiedene jugendliche Subkulturen und musikalische Szenen angeboten. www.fzw.de

Großmarktschänke (Dortmund) Die Cosmotopia-Crew hat bereits eine lange Reise von der Dortmunder Nordstadt bis zum Großmarkt hinter sich gebracht und dabei 18 Jahre erfolgreiche Club-Geschichte geschrieben. Nachdem die Location einem Supermarkt weichen musste, hat sich die sog. „Organisation zur Erquickung des grauen Alltags“ in den Räumen der legendären Großmarktschänke neu erfunden und pflegt dort jedes Wochenende und vor Feiertagen die Tradition des wilden Teppichtanzes. Das

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Konzerthaus Dortmund Nach nur zweijähriger Bauzeit öffnete das Konzerthaus Dortmund im September 2002 feierlich seine Pforten. Auf 1.550 Plätzen genießen BesucherInnen seitdem Konzerte in akustisch optimaler Umgebung. Das Konzerthaus Dortmund ist programmatisch breit aufgestellt, doch gibt es darüber hinaus einen wichtigen dramaturgischen Kern, der sich aus verschiedenen Reihen und Konzepten zusammensetzt: der „Dortmunder Dramaturgie“. Ein Ausdruck, der am Konzerthaus inzwischen genauso geflügelt ist wie sein Wappentier, das Flugnashorn, oder, wie der Experte sagt, rhinoceros alatus. www.konzerthaus-dortmund.de musikalische Repertoire reicht dabei von Soul, Funk und Classics über Old School Hip Hop, Dancehall und Urban Beats bis hin zu Rock, Indie-Tunes und 80s/90s. www.grossmarktschaenke.de

Jahrhunderthalle (Bochum) Die Jahrhunderthalle Bochum ist ein Kraftwerk für Kultur, Wirtschaft und Entertainment – und ein Beispiel für den industriekulturellen Wandel. Aus der ehemaligen Gaskraftzentrale des Bochumer Vereins ist mit den Jahren eines der außergewöhnlichsten Festspielhäuser Europas geworden. Die Jahrhunderthalle Bochum ist ein Raum der Möglichkeiten. Aufgrund ihrer unvergleichlichen Architektur und Atmosphäre ist sie Anziehungspunkt für Preisverleihungen wie die 1LIVE Krone, für Festivals, Galas, Messen, klassische Rock-, Pop- und Jazz-Konzerte. www.jahrhunderthalle-bochum.de

Kunstmuseum Bochum 1960 unter dem Namen „Städtische Kunstgalerie“ in der historischen Villa Marckhoff gegründet, erhielt das heutige Kunstmuseum Bochum 1983 einen großzügigen Neubau der dänischen Architekten Bo und Wohlert. Die Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit widmet sich der internationalen Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Eine Außenstelle des Kunstmuseums Bochum bildet das Haus Kemnade. Der im Laufe des 17. Jahrhunderts im Stil der Renaissance wiedererrichtete Bau beheimatet

heute neben der Musikinstrumentensammlung Grumbt auch die Sammlung Ehrich. www.kunstmuseumbochum.de

Kulturort Depot (Dortmund) Eine ehemalige Straßenbahnwerkstatt mit außergewöhnlicher Architektur und Industriecharme, rund 40 Kunst- und Kulturschaffende und jede Menge Programm bestehend aus u.a. Ausstellungen, Märkten, Filmvorführungen im Sweet Sixteen Kino, Theaterinszenierungen im Theater im Depot, das seit Januar 2001 Räumlichkeiten im Kulturort Depot bespielt, Tanz, Workshops und familienorientierte Veranstaltungen – das alles findet man unter einem Dach in der Dortmunder Nordstadt. www.depotdortmund.de

Kulturzentrum Balou (Dortmund) Der balou e.V. ist ein gemeinnütziger Verein in freier Trägerschaft, bestehend aus den Bereichen Erwachsenenbildung, Jugendkunstschule, café balou und galerie:balou. Der Verein ist Mitglied im DPWV, LKD-NRW, LAG Soziokultur, JKS -Verband. Die Leitidee ist, Freiräume für die individuelle Entfaltung der Kreativität und Persönlichkeitsentwicklung der BesucherInnen bereitzustellen. Die

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angebotenen Kurse, Vorträge und Workshops sind informativ, kreativ, gesundheitsfördernd. Die Jugendkunstschule ist eine außerschulische Bildungseinrichtung mit dem Ziel der ästhetisch-kulturellen Arbeit. www.balou-dortmund.de

Planetarium Bochum Das Planetarium Bochum wurde im Jahr 1964 als erstes deutsches Großplanetarium der Nachkriegszeit erbaut und gehört zu den meistbesuchten Sternentheatern in Europa. Ansichten ferner Welten füllen die gesamte Kuppel mit neuartiger digitaler Technik, ferne Galaxien erscheinen im Bild, und FilmSequenzen verdeutlichen kosmische Zusammenhänge. So entstehen Shows, in denen der Blick über den mit bloßem Auge sichtbaren Himmel weit hinaus ins All geht. www.planetarium-bochum.de

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Prinz Regent Theater (Bochum) Die traditionsreiche freie Bühne südlich der Bochumer Innenstadt blickt auf eine fast 30-jährige Geschichte zurück: 1991 wurde das Prinz Regent Theater als Zusammenschluss freier KünstlerInnen in Bochum gegründet. Seit Juni 2018 betreiben Anne Rockenfeller und Hans Dreher zusammen mit einem insgesamt achtköpfigen Team das Theater. Das Prinz Regent Theater unterhält kein eigenes Ensemble; stattdessen greift es auf freiberuflich arbeitende SchauspielerInnen, RegisseurInnen und AusstatterInnen zurück, die im gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus tätig sind. www.prinzregenttheater.de

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Rottstr5 Theater (Bochum) Das Rottstr5 Theater ist eine Off-Bühne in der Bochumer Innenstadt. Unter den Schienensträngen der „Glückaufbahn“ bietet das Rottstr5 Theater spannende Inszenierungen, Lesungen und Konzerte. Zuletzt standen unter anderem Stücke wie „Eine Enthandung“, „Schöne neue Welt“, „Aggro Alan“, „Fight Club“, „Misery“, „Lenz“, „Der Wendepunkt“ auf dem Spielplan. www.rottstr5-theater.de

Rotunde (Bochum) Die Rotunde – Alter Katholikentagsbahnhof ist eine Kulturspielstätte im alten Hauptbahnhof in der Bochumer Innenstadt zwischen dem Bermuda3Eck und dem Szeneviertel Ehrenfeld. 2010 wurde sie eröffnet, zwischen 2015 und 2017 aufwendig umgebaut und renoviert. Das Programm setzt sich aus Clubkultur, Konzerten, Subkultur, Kunst, Workshops, Festivals, Kabarett, Theater, Lesungen, Märkten u.v.m. zusammen. www.rotunde-bochum.de

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RuhrCongress (Bochum) Der RuhrCongress Bochum ist ein Kongressund Veranstaltungszentrum im Bochumer Stadtteil Grumme. Durchschnittlich finden hier jährlich etwa 200 Veranstaltungen ver-

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schiedener Art statt. Mal ist das Kongresszentrum eine Bühne für Rock-, Pop- und Jazzkonzerte, mal Parkett für Tanzturniere und dann wieder Live-Arena für Komiker und Kabarettisten oder auch Austragungsort für Besucher- und Fachmessen, große Kongresse und Tagungen. www.ruhrcongress-bochum.de

Schauspielhaus Bochum Das Schauspielhaus Bochum besteht seit 1919 als städtische Bühne der Stadt Bochum. Als Sprechtheater gehört auch ein Angebot im Bereich Kinder- und Jugendtheater zum Profil des Hauses. Seit der Saison 2018/2019 ist der niederländische Theater- und Opernregisseur Johan Simons Intendant. Kern des Theaters ist ein festes Schauspielensemble, das kulturelle Einflüsse aus unterschiedlichen Ländern Europas und der Welt mitbringt. Die vier Spielstätten sind das Schauspielhaus, die Kammerspiele, das Oval Office (ehem. Theater Unten) sowie das Theaterrevier (Zeche Eins). www.schauspielhausbochum.de

Thealozzi (Bochum) Das Thealozzi ist seit nunmehr 38 Jahren alternativ-kulturell unterwegs. Unter den Dächern des malerisch zwischen Friedhof und Sportplatz gelegenen ehemaligen Schulgebäudes am Rande Bochums tummeln sich SchauspielerInnen, TheatermacherInnen, AutorInnen, MalerInnen, BildhauerInnen, TänzerInnen und MusikerInnen. Ergebnis dieses Tummelns sind Ausstellungen, Theaterprojekte, Lesungen, Konzerte und alles, womit man ein Publikum erfreuen kann. www.thealozzi.de

Theater Dortmund Das Theater Dortmund gehört zu den größten Mehrsparten-Häusern Deutschlands und zählt mit einer über 100-jährigen Tradition


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Werkstadt (Witten)

zu den bedeutenden Bühnen des Ruhrgebiets. An einer Vielzahl von Spielstätten bietet das Theater Dortmund Vorstellungen in den Bereichen Oper, Operette und Musical, Ballett, Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater sowie Konzerte. Zu den Spielstätten gehören das Opernhaus, das Schauspielhaus, das Konzerthaus, das Kinder- und Jugendtheater, das Ballettzentrum Westfalen, das Orchesterzentrum NRW sowie das Lensing-Carrée Conference Center. www.theaterdo.de

Union Gewerbehof (Dortmund) Der Union Gewerbehof ist in den 1980er Jahren durch die Eigeninitiative arbeitsloser Menschen entstanden. Heute beherbergt das Gebäudeensemble ca. 90 kleine Unternehmen und um die 200 Beschäftigten aus unterschiedlichsten Branchen. Das Raumangebot setzt sich aus Büro-, Werkstatt-, Atelier und Lagerräumen verschiedenster Größe zusammen. In diesem engen Nebeneinander unterschiedlicher Menschen, Zielen und Unternehmen ist ein soziales Gebilde entstanden, das fruchtbare Formen der Zusammenarbeit hervorgerufen hat. Regelmäßig finden auf dem Gelände und in der Werkhalle des Union Gewerbehofs Veranstaltungen statt. www.unionviertel.de

Varieté et cetera (Bochum) Sieben Jahre war Deutschlands einziges reisendes Zeltvarieté auf Tournee quer durch die Republik – unzählige Gastspiele, Zusammenarbeit mit internationalen KünstlerInnen, über 50 Shows und begeisterte ZuschauerInnen. Im Dezember 1999 entschied man sich, die aufgeschlagenen Zelte in Bochum nicht wieder abzubauen. Inzwischen gehört das Varieté et cetera zu den wichtigsten kulturellen Einrichtungen des Ruhrgebiets und zählt zu den Top-Adressen für Varieté und Live-Entertainment. www.variete-et-cetera.de

Es war im Mai 1977: In einer ehemaligen Verladehalle fällt der Startschuss für das soziokulturelle Jugend- und Kulturzentrum Werkstadt. Kultur für alle – dieser Grundgedanke des Trägervereins hat von 1977 bis heute nichts an seiner Aktualität verloren. Das Programmangebot wird ständig weiterentwickelt. Das Konzept der Haus-in-HausArchitektur wurde Schritt für Schritt durch neue Räumlichkeiten ergänzt. In den 90er Jahren erweiterte der große Saal die Möglichkeiten für neue Eventformate. www.werk-stadt.com

Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung (Herdecke) Am 20. August 1987 unterschrieb Werner Richard die Gründungssatzung und übertrug einen Teil seines Vermögens auf eine Stiftung, die an seinen Schwiegervater, den Unternehmer Dr. Carl Dörken erinnern sollte. Zweck der Stiftung ist die Förderung des Kulturlebens, insbesondere der Musik und der Musikerziehung sowie die Erhaltung und Wiederherstellung von anerkannten Baudenkmälern. Zweck ist es weiterhin, die Ausbildung junger Menschen im Bereich der Wissenschaft und des Sports zu fördern sowie die Unterstützung hilfsbedürftiger Mitmenschen. www.doerken-stiftung.de

Liebe Freund*innen und Besucher*innen des Dietrich-Keuning-Hauses, unser Kulturprogramm findet ihr online auf unserem YouTube Kanal Keunighaus to Go! Viel Spaß beim Stöbern!

Wir wünschen euch schöne Feiertage und freuen uns darauf, euch im nächsten Jahr wieder begrüßen zu dürfen.

Zauberkasten (Bochum) Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit öffnete sich am 13.11.1993 in Bochum-Gerthe ein Zauberkasten. Nicht weiter aufregend, wird man meinen. Doch dieser Zauberkasten ist nicht einfach eine Schachtel. Dieser Zauberkasten ist so geräumig, dass er Platz hat für 18 Bistrotische, 3 Stehtische und ca. 80 BesucherInnen. Seit den 90er Jahren bietet der Zauberkasten ein laufend wechselndes Kleinkunst-Programm sowie unterschiedliche Zaubervorstellungen für Kinder und Erwachsene an. www.zauberkasten.de

Mehr Keunighaus findet ihr unter: facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go"

Zeche (Bochum) Viele bekannte Künstlerinnen und Künstler standen bereits auf der Bühne der Zeche in Bochum, die im November 1981 gegründet wurde. Bis heute bietet die Club-Ikone der 80er Jahre, die in den letzten Jahrzehnten mehrfach umgebaut und modernisiert wurde, Konzerte mit nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern sowie Partys verschiedenster Couleur im Zechenflair an. www.zeche.com

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BODO GEHT AUS

Café Barbera Bleichstraße 2a 44787 Bochum

Café Barbera

Typisch Neapel – mitten in Bochum Die Liste der Bochumer Orte, an denen man richtig guten Kaffee bekommt, wird glücklicherweise länger: Seit einem Jahr gibt es das Café Barbera an der Bleichstraße. Inhaberin Susanne Barbera trägt wie ihr Café einen traditionsreichen Namen und führt dessen Tradition weiter. „Mein ursprüngliches Konzept war das einer typisch italienischen Kaffeebar, an der man schnell seinen Espresso oder Cappuccino trinkt“, sagt Susanne Barbera. Die „Marktforschung" beim Kontakt mit ihren zukünftigen Kunden ließ sie aber davon abrücken. „Wir würden uns gerne hinsetzen“, sagten die. Oder fragten: „Warum bietest du nicht auch Kuchen an?“ Mittlerweile ist die Inhaberin glücklich, einen Ort geschaffen zu haben, an dem die Menschen gerne verweilen, sich begegnen, ein gutes Buch lesen – und vor allem: guten Kaffee genießen. Dass das Konzept der Kaffeebar mit kurzer Verweildauer, das in Italien üblich ist, sich in Deutschland aber kaum durchgesetzt hat, sogar funktionieren würde, kann man in den Lockdown-Monaten beobachten: Da stehen beständig Menschen mit Abstand Schlange, um an den guten, schwarzen Stoff zu kommen. Beim „To Go“ setzt Susanne Barbera

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Von Max Florian Kühlem Fotos: Daniel Sadrowski auf Nachhaltigkeit: Ihr Kaffee wird in den pflanzenbasierten Bio-Pfand-Bechern des Start-Ups Cuna aus Mettmann ausgegeben. Susanne Barbera wusste, dass ihr Kaffee gut ankommen würde: Er stammt aus der 150 Jahren alten Rösterei Barbera aus Neapel, in die sie vor Jahren eingeheiratet hatte. Als ihr Sohn anfing, sich für das Erbe des mittlerweile in sechster Generation wirkenden Familienbetriebs zu interessieren, lernte auch die gelernte Kinderkrankenschwester die Kunst der guten Kaffeeherstellung, gab ihren sicheren Job in der Gesundheitsforschung auf und gründete das Café, das

schon nach einem Jahr viele begeisterte Stammkunden hat. Zu ihrem erweiterten Konzept gehören vegane Köstlichkeiten, Florentiner vom Götterspeisenmann (Moltkemarkt), Dolci aus der Essener Bäckerei Förster, Kuchen von der Kleinen Zuckerbäckerei und Kakao vom Bochumer Start-Up beSchoki. Und auch die Tees sind nicht einfach aus dem Supermarkt, sondern kommen in BioQualität von der Potteery aus Hattingen. Ein besonderes Herz hat Susanne Barbera übrigens für Studierende: Die bekommen immer zehn Prozent auf alles.


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Die Rösterei Die Geschichte des Caffè Barbera reicht zurück bis ins Jahr 1870. Damals kaufte Domenico Barbera eine kleine Kaffeeröstmaschine, stand jeden Tag auf den Straßen Süditaliens und zauberte einen fein duftenden und aromatischen Kaffee, weswegen er von seinen Kunden liebevoll „Il Mago“ („Der Magier“) genannt wurde. Sein Wissen um die Magie des Kaffeeröstens gab er an seine Kinder weiter, die nach Domenicos frühem Tod die Rösterei übernahmen. Mittlerweile wird sie in Neapel von der sechsten Generation geführt und auf der ganzen Welt verkauft. Seine besondere Qualität hat der Kaffee der Kombination aus sieben Sorten und einem sorgfältigen Röstverfahren zu verdanken: Die Bohnen werden langsam und schonend geröstet und anschließend mit trockener Luft abgekühlt, statt wie üblich mit Wasser. Auch bei Barbera in Bochum sind die gerösteten Bohnen der Sorte „Il Mago“ zu bekommen – in goldgelben Tüten mit dem klassischen Logo – und werden von dort auch an Kunden in ganz Deutschland verschickt.

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INTERVIEW

Nirgends wachsen nur Disteln

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und kostenfrei unter den Rufnummern 0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222 zu erreichen. Unter online.telefonseelsorge.de ist auch eine Beratung über Email möglich.

Wie kann man sich einen klassischen Anruf bei Ihnen vorstellen? Kay: Mich hat zum Beispiel kürzlich eine junge Studentin angerufen, die überfordert war. Dann stelle ich immer offene Fragen. Wie lange ist das schon so? Ist das schon mal passiert und wie sind Sie da rausgekommen? Haben Sie jemanden, der Sie unterstützen kann? Damit tasten wir uns an die Frage heran, wie sie ihre Situation verbessern kann. Ich kann ewig telefonieren, aber in der Regel dauert ein Gespräch zwischen zehn und 30 Minuten. In dieser Zeit hat sich gezeigt, dass die Anruferin schon die ersten Schritte gemacht hat. Sie hat schon entschieden, dass sie ihre Prüfungen machen will, braucht dafür aber Hilfe. Sie hat sich auf einen Therapieplatz beworben, auf den muss sie aber noch einige Monate warten. Christiane: Wir schauen auf das Feld des Anrufenden, und da wachsen nicht nur Disteln. Es geht auch um Interessen, schöne Erfahrungen oder eine gute Urlaubserinnerung. Wir machen das Fenster auf, erweitern die Perspektiven. Man muss nicht die ganze Zeit auf diesen einen Problempunkt starren. Wenn der Anrufer am Ende sagt: Mir geht es immer noch so schlecht. Dann sage ich: Aber die letzte Viertelstunde waren Sie doch richtig gut drauf. Was machen Sie denn jetzt? Dann überlegen wir gemeinsam, und er kann sich einen Spaziergang vornehmen oder seine Wohnung aufräumen. Wer ruft hier an und mit welchem Thema? Gibt es da Standardfälle? Ingrid Behrendt-Fuchs: Statistisch gesehen rufen uns eher Menschen über 40 oder 50 an. Man kann uns auch per Mail und Chat erreichen, da ist der Schnitt deutlich jünger. Dieses Angebot wird auch häufiger für heikle Themen wie Missbrauch und sexualisierte Gewalt genutzt, weil es sehr niedrigschwellig ist. Dort kann ich das Schrecklichste aussprechen beziehungsweise ausschreiben, weil sie dort ganz geschützt sind. Christiane: Die Spannweite geht wirklich von Grundschule bis zum Ende des Lebens. Manche haben Pubertätsprobleme, aber auch Freundschaftsfragen, es

Links: Ingrid Behrendt-Fuchs, Leiterin der Dortmunder Telefonseelsorge. Rechts: Christiane und Kay engagieren sich ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge.

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Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr für alle erreichbar, die reden wollen – ob kurz vor dem Suizid, geplagt von Einsamkeit oder mittendrin im ersten Liebeskummer. Die Leiterin der Dortmunder Telefonseelsorge Ingrid Behrendt-Fuchs sowie Christiane und Kay, zwei Ehrenamtliche, haben mit bodo darüber gesprochen, wie Corona und die Weihnachtszeit sich bei ihnen bemerkbar machen, wie sie mit der Herausforderung umgehen, ständig die Probleme Fremder zu hören, und was sie tun, wenn ein Anrufer keinen Ausweg als den eigenen Tod mehr sieht. Von Sophie Schädel | Fotos: Sebastian Sellhorst

geht um Gesundheit und psychische Erkrankungen. Einsamkeit ist ein ganz großes Thema, soziale Verwerfungen, also Armut oder Ämterstress. Oft geht es auch um Beziehungsfragen, Trennungen, Familienstreitigkeiten. Das ist ein großes Feld. Auf Ihrer Homepage steht, dass Sie keine Probleme lösen. Ist das nicht das, was Anrufer von Ihnen erwarten? Und ist das nicht unbefriedigend für Sie? Kay: Letztlich sind die Anrufenden sehr in der Selbstverantwortung, welche Schritte sie tun wollen. Indem ich vorgreife und sage, was zu tun ist, habe ich meine

Lösung im Kopf für diesen Menschen, den ich aber überhaupt nicht kenne. Wenn er jetzt losgeht und das tut und dann einen Misserfolg hat, dann stehe ich doof da. Die Verantwortung möchte ich nicht haben. Die Ressourcen liegen häufig schon im Menschen begründet, die Lösung ist häufig schon da, man muss manchmal nur die richtigen Fragen stellen. Ich finde es sehr respektvoll, jemanden zu begleiten und ihm Raum für seine Probleme zu geben, statt direkt mit einer sachlichen Hilfe reinzugrätschen. Vielen Menschen ist es ein großes Bedürfnis, erstmal etwas loszuwerden, nicht, dass ich viel spreche. Das ist ein Lernprozess.

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INTERVIEW

Wir befinden uns in einer Pandemie mit Kontaktbeschränkungen, und Weihnachten steht vor der Tür. Bekommen Sie jetzt mehr Anrufe von Einsamen? Ingrid Behrendt-Fuchs: Im Frühjahr war Corona ein großes Thema. Die Einsamkeit ist gestiegen, das lässt sich statistisch nachweisen. Wir haben deutlich mehr Anrufe bekommen. Das hat sich aber jetzt wieder auf ein normales Maß eingependelt. Das Thema Corona spielte lange keine Rolle mehr. Das wird sich aber wegen der steigenden Zahlen voraussichtlich wieder ändern. Ein Weihnachtshoch gibt es aber normalerweise nicht. Sogar an Heiligabend ruft man uns nicht vermehrt an. Ich glaube, das liegt daran, dass die Menschen, die dauerhafte Not haben, auch dauerhaft anrufen. Vielleicht sind auch mehr Menschen in Gemeinschaft, als wir denken. Wie gehen Sie damit um, wenn jemand anruft und sagt, dass er sich töten will? Ist die Anonymität da nicht ein großes Problem? Ingrid Behrendt-Fuchs: Suizidgedanken werden manchmal en passant erwähnt. Aber wir haben prozentual nur ganz wenige Menschen, die da einen konkreten Plan haben. Wenn es nun doch mal vorkommt, sagen wir: Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie mir Ihren Namen nennen und mir sagen, wo Sie wohnen. Dann kann ich für Sie die Rettung anrufen. Ganz selten kommt es vor, dass jemand das nicht möchte. Kay: Häufig verbirgt sich hinter dem Suizidgedanken etwas anderes. Derjenige will meistens gar nicht tot sein, sondern sein Leben wie es ist, nicht mehr aushalten, die Traumata, den Druck. Das ist dann eine Tür, die aufgeht, denn dann kann man schauen, ob es noch Ressourcen

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gibt. Viele empfinden es als entlastend, über ihre Suizidgedanken mal sprechen zu können, das streut man ja nicht mal eben so in die Kaffeerunde. Christiane: Manche Anrufer haben schon Erfahrungen mit Suizid und dem Apparat danach gemacht. Wenn ich ihnen anbiete, Hilfe zu schicken, kommt: „Oh Gott, wenn ich das jetzt mache, dann muss ich wieder in die Klinik.“ Es kommt oft vor, dass jemand das schon mal versucht hat. Er lebt dann in einer schrecklichen Paradoxie: Auf der einen Seiten wollen sie nie wieder die Folgen eines Suizidversuchs erleben. Aber sie sind nach wie vor belastet von dem Gedanken, dass sie so nicht mehr leben wollen. Jetzt mal ab von solchen extremen Einzelfällen: Ist es nicht belastend, sich den ganzen Tag die Probleme von Fremden anzuhören? Kay: Das kann natürlich so sein. Aber wir achten ja auf unsere Psychohygiene, wir reinigen uns bei der Supervision von den Dingen, die wir hier so hören. Und die Anrufe sind auch sehr unterschiedlich und nicht immer belastend. Es ist auch sehr bereichernd, dass Menschen ihre Erfahrungen mit uns teilen. Das Leben ist nun mal nicht immer nur Käsekuchen. Und dann ist es doch schön, dass es Menschen gibt, mit denen man diese Themen teilen kann. Christiane: Ja, bei aller Belastung erfahren wir ja auch ein unglaubliches Vertrauen. Sie vertrauen uns Dinge an, die sie sonst niemandem sagen. Das stärkt. Und so viel wie hier hätte ich sonst nie über das gesellschaftliche Leben erfahren. Wenn ich es zulasse, kann die Tagesschau ja auch belastend sein. Hier kann ich demütig werden und lernen, dass ich manche Probleme nicht lösen kann und auch nicht lösen muss.


Eine Frage, Frau Moser:

Macht Schokolade wirklich glücklich?

Julia Moser, Konditormeisterin und geprüfte Schokoladen-Sommelière.

Knapp sechs Kilogramm Schokolade nascht jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr. Ein Großteil davon auch dieses Jahr zum Weihnachtsfest als Schokoweihnachtsmann und Co. Die Mythen, die sich dabei um die Schokolade ranken, sind unzählig: Schokolade ist Nervennahrung. Schokolade macht süchtig. Schokolade macht glücklich. Doch was davon macht sie wirklich?

bei den Mayas diente Kakao als Stärkung und als Aufputschmittel“, so Moser. Des Weiteren enthält Schokoladen Tryptophan, eine Aminosäure, die vom Körper in Serotonin umgewandelt wird und dazu führt, dass wir uns wohlfühlen. Der entscheidende, aber wohl auch unbeliebteste Faktor, dem die Schokolade ihren Ruf als Hüftgold-Produzentin verdankt, ist die extrem hohe Energiedich-

„Glücklich macht sie auf jeden Fall“, sagt Julia Moser, Konditormeisterin und geprüfte Schokoladen-Sommelière. Das habe aber nur teilweise mit den Inhaltsstoffen zu tun. Ein ganz wichtiger Faktor sei dabei die Konditionierung, die wir im Kindesalter erfahren. „Als Kind ist es ja oft so, dass, wenn man für etwas belohnt werden soll, man ein Stück Schokolade bekommt. Auch wenn man getröstet wurde, gab es oft ein Stück Schokolade. Solche Erlebnisse bleiben natürlich in Erinnerung und wecken oft auch viele Jahre später noch positive Emotionen“, so Moser. Diese Konditionierung funktioniere teilweise so gut, dass es schon reiche, ein Stück Schokolade zu sehen, um sie auszulösen.

Eine Tafel Vollmilchschokolade deckt mit rund 500 Kalorien ein Viertel des Tagesbedarfes an Kalorien eines durchschnittlichen Erwachsenen. te. Eine Tafel Vollmilchschokolade besteht zur Hälfte aus Zucker und einem Drittel aus Fett und deckt mit rund 500 Kalorien ein Viertel des Tagesbedarfes an Kalorien eines durchschnittlichen Erwachsenen. Zurückgehend auf die Zeit als Jäger und Sammler, als es überlebenswichtig war, möglichst viel energiereiche Nahrung zu sich zu nehmen, aktiviert dieser Energieschub umgehend das Belohnungssystem im Gehirn.

Natürlich spielen aber auch die Inhaltsstoffe der Schokolade eine wichtige Rolle. Das im Kakao enthaltene Koffein und Theomobrin sorgen für eine anregende Wirkung. „Schon

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INTERVIEW

Kay Macquarrie ist ein Mitinitiator der Initiative Barrierefreie Bahn. Der Ursprung der Initiative war eine Petition, die mehr Barrierefreiheit im Zugverkehr forderte, denn immer wieder beklagen Betroffene, dass die Bahn ein „normales“ Reisen für sie unmöglich mache. Von David Peters | Foto: Kay Macquarrie

Barrierefreiheit – keine Priorität bei der Bahn? Warum ist die Bahn nicht barrierefrei? Kay Macquarrie: Die Probleme sind vielfältig. Im Gegensatz zu allen anderen Menschen, die die Bahn nutzen, müssen wir, die Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die Bahn vorher um Hilfe fragen. Mindestens einen Tag vorher, idealerweise 48 Stunden vor Antritt der Reise. Im Bereich des Fernverkehrs läuft alles nur mit Anmeldung. Eigentlich möchte die Bahn ja nicht, dass man eine Reservierung für die Bahnfahrt benötigt, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Die Bahn setzt das aber für Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen voraus. Die dürfen nur mit Vorankündigung reisen.

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Wie genau läuft denn so eine Anmeldung? Man kann sich per Telefon über eine kostenpflichtige Hotline anmelden. Ich muss also eine kostenpflichtige Hotline anrufen, um eine Mobilitätshilfe zu beantragen, die ich nur deswegen brauche, weil die Bahn es nicht auf die Schiene bringt, stufenlosen Verkehr anzubieten. Die Anmeldung geht auch per Mail, aber eigentlich will die Bahn das über ein eigenes Formular machen. Als ich das das letzte Mal gemacht habe, umfasste das Formular 70 Felder. Diese sind alle händisch einzutragen. Inzwischen gibt es einige Profildaten, die man abspeichern lassen kann. Das ist sozusagen ein neues Formular, das sie im September rausgebracht haben.


Was ich aber eigentlich möchte, ist, dass ich ein Ticket buche und dann ein Häkchen setze, dass ich Hilfe benötige. Alles andere ist nur eine weitere Barriere, der ich begegne, wenn ich mit der Bahn fahren möchte. Die Bahn gibt zwar an, dass man sie kontaktieren kann, aber die Wege sind maximal kompliziert und auch nicht im Digitalen angekommen. Sie sind einfach zum Abschrecken. Wie geht es weiter, wenn man so ein Formular ausgefüllt hat? Die Bahn meldet sich und prüft, ob Personal an dem Bahnhof vorhanden ist. Von den rund fünfeinhalbtausend Bahnhöfen in Deutschland ist nur ein Bruchteil mit Personal ausgestattet. Dieses Personal ist wiederum an Öffnungszeiten gebunden. An größeren Bahnhöfen ist das von 6 bis 22 Uhr, an kleineren auch mal von 8 bis 18 Uhr. Und zu Coronazeiten war das sogar noch stärker eingeschränkt. Wenn man dieses enge Korsett der Bahn für den Mobilitätsdienst berücksichtigt, dann wird geprüft, ob das Personal vor Ort und auch nicht durch eine andere Hilfeleistung belegt ist. Wenn man das am Telefon macht, dann dauert das rund eine Viertelstunde, bis man eine Rückmeldung bekommt. Insgesamt dauert der Anruf rund 25 Minuten, um eine Fahrt anzumelden. Bei einer E-Mail kann es auch mal einen Tag dauern. Je weiter die Fahrt in der Zukunft liegt, desto mehr Zeit lässt sich die Bahn aber auch. Und wenn mal ein Aufzug nicht funktioniert? An dem Tag, an dem man die Fahrt beantragt, wird das geprüft. Im Prinzip müsste man am Tag der Fahrt nochmal überprüfen, ob wirklich alle Aufzüge funktionieren. Das ist aber auch nur eine Komponente. Genauso gut kann am Wagen etwas defekt sein. Zum Beispiel funktioniert die Tür nicht, und ich habe nur eine Tür, durch die ich durchkomme – weil es meistens nur einen einzigen barrierefreien Wagen in den Zügen des Fernverkehrs gibt. Oder es ist Personal krank oder der barrierefreie Wagen fehlt. Und das kommt nicht selten vor. Selbst wenn man also die Bestätigung der Bahn für eine Fahrt hat, gibt es noch viele Stolperstellen, die auftreten können. Wenn man spontan verreisen will, wie funktioniert das dann? Das geht nicht. Die nehmen dich nicht mit. Da gibt es auch keine Ausnahmen. Die einzige Ausnahme ist Berlin-Hauptbahnhof, wo es rund um die Uhr Personal gibt. Wenn man da als Bittsteller oder total resolut auftritt, dann machen sie das schon, aber es ist formell nicht vorgesehen. Wie reagiert die Bahn auf eure Petition und die damit verbundenen Forderungen? Wir haben den Bahnchef eingeladen, eine Reise mit mir zu machen, bei der er und ich jeweils im Rollstuhl sitzen, um einfach mal zu erleben, wie es als Fußgänger ist, in diese Hebebühne reingesetzt zu werden. Dafür war Bahnchef Richard Lutz aber nicht verfügbar. Er hat uns ein dreiseitiges Schreiben zurückgeschickt. Das war eine Absage, weil sein Terminkalender sehr voll sei.

Darüber hinaus ist nichts passiert? Nein, es gab keine Handreichung, keine Art des konstruktiven Auseinandersetzens. Wie fühlt man sich als Betroffener, wenn man da keinen Willen erkennen kann, diese Barrieren abzubauen? Wenn man die Bahn fragt, sagt sie, dass sie eine programmbegleitende Arbeitsgruppe habe, so nennt sie eine Art Beirat von Menschen mit Behinderungen für die Bahn. In der sitze ich auch, und man trifft sich zweimal im Jahr und überprüft die Produkte der Bahn auf Barrierefreiheit und gibt Feedback. Insofern sagt die Bahn, dass sie in dem Bereich etwas tut und auch Bahnhöfe barrierefrei ausbaut. Aber die Bahn denkt nicht so weit, dass ein barrierefreier Bahnhof nicht gleich bedeutet, dass man auch barrierefrei in den Zug kommt. Es gibt auch keinen Ausstieg aus den Stufen. Es gibt noch nicht einmal eine Perspektive für 2050, wo die Bahn sagen könnte: Bis dahin wollen wir so barrierefrei sein, wie der ÖPNV in vielen Großstädten heute schon ist. Viele S- und U-Bahnen sind stufenlos und niveaugleich zu besteigen. Ich finde, das zeigt, dass die Bahn Barrierefreiheit stiefmütterlich behandelt. Das ist keine Priorität und das interessiert bei der Bahn kaum jemanden. In dem Bereich hat die Bahn also nicht nur in der Vergangenheit Fehler gemacht, sondern dahinter steckt ein System? Es ist ein infrastrukturelles, aber auch ein strukturelles Problem in der Haltung. Die Bahn hat keine Haltung zu Barrierefreiheit. Solange sie sagt, dass sie ein paar Bahnhöfe im Jahr barrierefrei macht, bleibt es ein Tropfen auf den heißen Stein. Und das sind übrigens auch nur die Bahnhöfe, von denen die Bahn sagt, dass es sich überhaupt lohnt, diese barrierefrei zu machen. Mit solchen Mustern arbeitet die Bahn. Es ist vor allem viel Schein. Was muss sich jetzt konkret ändern? Der digitale Prozess muss vereinfacht werden. Es muss möglich sein, beim Ticketkauf auch ein Häkchen zu setzen, dass der Hilfedienst beantragt wird. Außerdem möchte ich immer noch die gemeinsame Bahnfahrt mit dem Bahnchef. Das eine ist Infrastruktur und rollendes Material, das über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen ist, und das wird auch nicht von heute auf morgen barrierefrei zu erschließen sein. Das zweite ist das Digitale. Da hängt die Bahn uns Betroffene genauso ab. Sie setzt die Barrieren aus der physischen Welt fort in die digitale. Die Bahn hat eine App namens „DB Barrierefrei“. Die DB App gibt’s seit einigen Jahren, und da ist Barrierefreiheit nicht mitgedacht worden. Jetzt baut man nochmal eine extra App, und ich frage mich, warum man diese Informationen nicht aus einer App bekommen kann. In der App steht zum Beispiel, wo ein Aufzug ist und welcher funktioniert. Das ist grundsätzlich eine gute Information, aber die möchte ich an zentraler Stelle haben und nicht die Infos aus zwei oder drei Apps ziehen müssen.

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KINDERBÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Blümchenschlüpper „Der Hinterhof vom Penny-Markt ist mehr als ein Hinterhof.“ Das Betonkarree mit Containern irgendwo im Ruhrgebiet, auf das hin und wieder der Marktleiter tritt, um die Aushilfen, die hier abhängen, zusammenzufalten, ist der Gravitationspunkt des großartigen Debütromans. Und die Bühne für die in ein komplexes Beziehungsgeflecht verstrickten jungen Jobber aus ganz unterschiedlichen, meist prekären Milieus. Can, Vika, Marie, Otto, Pavel und die anderen, die eigentlich ihre gesamte Freizeit hier verbringen, haben jeweils ihre eigene Sprache und ihren eigenen unbeholfenen Umgang mit den Anforderungen des Erwachsenwerdens unter eher mittelschlechten Startbedingungen. So wenig Glamour wie dieser Hinterhof versprüht auf den ersten Blick der Plot. Der 16-Jährige Jo ist irgendwann einfach nicht mehr aufgetaucht. In der Sommerhitze im Kleinwagen ohne Klimaanlage („Einmal Corsa ohne alles, bitte“), mit einer von Selbstzweifeln geplagten Erzählerin ohne Fahrpraxis am Steuer geht es auf eine, naja, Odyssee. Alles in „Nach vorn, nach Süden“ ist ein Unterlaufen. Kein Feuerwerk, keine plot twists, kein ausgestelltes Milieu, kein schlaues Psychologisieren. Alles geschieht wie beiläufig und ist doch groß und wahr wie der Hinterhof vom Penny-Markt. Sarah Jäger | Nach vorn, nach Süden ISBN: 978-3-499-00239-7 Rowohlt | 224 S. | 18 Euro Ab 14 Jahren

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Alien-Shopping Was hat in diesem Jahr eigentlich noch gefehlt? Ja, ok, ein unbekanntes Flugobjekt, das neben dem Reichstag landet. An Bord sind drei erstaunlich menschenähnliche Aliens (mittelmodische Jeans, leichte Slipper), deren Interesse an Kommunikation mit den Erdlingen sich in engen Grenzen hält. Stattdessen gehen sie shoppen. Erst in der Friedrichstraße, später im Netz. Sie bauen eine Art Terrasse mit schicken Gartenmöbeln an ihr Ufo an und lassen liefern, bis ihre mit einer Staatsbürgschaft abgesicherte Kreditkarte fast das Land ruiniert hat. Dass alles gut ausgeht, liegt an Fipp und Vanessa, aber das sollte man selbst lesen, auch wenn man nicht mehr 12 ist. Denn der Münsteraner Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Burkhart Spinnen, der lange den Vorsitz des Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerbs in Klagenfurt innehatte, schreibt zwar nur alle zehn Jahre ein Kinderbuch, das hat es aber dann in sich.

Ego-Hörnchen So als einzelnes Eichhörnchen hat man es nicht leicht. Da hat man vielleicht eine schöne Kiefer – mein Baum – mit leckeren Kiefernzapfen – meine Zapfen –, aber was, wenn da wer anders kommt? „Man weiß ja, wie das ausgeht: Am Ende gehört der Baum allen, gehören die Zapfen allen und der Schatten auch.“ Also am besten ein Zaun, noch besser: eine Mauer! Aber was, wenn hinter der Mauer ein ganzer Kiefernwald voller Zapfen wäre?

Teilen lernen ist schwer. Vorbilder an Großzügigkeit helfen, Zwang oder Belohnungen sind eher kontraproduktiv, sagt die Kinderpsychologie. Besonders nützlich sind regelmäßige Kontakte mit Gleichaltrigen, von denen Kinder lernen und mit denen sie Grenzen aushandeln. Soso, ätzt die Kindergartengeneration Corona aus der Quarantäne. Zeit zum Lesen ist immerhin. Und dann vielleicht das herrlich humorvolle „Das ist mein Zusammengehalten durch einen höchst Baum“ des französischen Designers und aktiven Erzähler sind die „Koofmichs“ eine Illustrators Olivier Tallec in der Überkindgerecht-kluge Parabel auf Konsum, setzung von Ina Kronenberger, erschieMarkt und Aufmerksamkeitsökonomien nen bei Gerstenberg. Ohne erhobenen und nebenbei eine Satire auf MediendemoZeigefinger, aber mit strahlenden Bildern, kratie und Krisenstabpolitik. Federleicht hintergründigem Witz und einem herrerzählt und unglaublich komisch. lich muffig guckenden Eichhörnchen. Burkhard Spinnen Olivier Tallec | Das ist mein Baum Fipp, Vanessa und die Koofmichs ISBN: 978-3-8369-6069-4 ISBN: 978-3-89561-513-9 Gerstenberg | 36 S. | 13 Euro Schöffling und Co. | 304 S. | 18 Euro Ab 3 Jahren Ab 12 Jahren


Anzeige Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Westliches Westfalen e.V.

Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Der Weg durch die Adventszeit wird kein leichter sein, Lichterketten all überall werden uns fehlen. Der Tand aus den Bretterbuden auf dem Parkplatz des Baumarkts, süßliche Klingelingelingmusik und noch süßlicher Glühwein eher nicht. Wem das ans steinweiche Herz geht, tröste sich mit dem alljährlich verhökerten Weihnachtsklopapier mit Lebkuchenduft. Es steht für den ewigen Kreislauf von Kauen und Verdauen und erinnert an die erste Papierhamsterwelle im Frühjahr. Damals kam es günstiger, sich direkt mit Euroscheinen den Hintern abzuwischen, als das Geld erst im Supermarkt gegen Papier anderer Qualität einzutauschen. Jetzt, wo Corona zum Jahresende noch einmal alles gibt, frohlocken manche Familien, als sei ihnen der Heiland auf dem Schottervorgarten des Reihenhäuschens erschienen. „Tante Karin, du wirst uns auch fehlen. Aber Quarantäne, du weißt, ganz plötzlich, bei Leon in der Kita. Wir können ja skypen“, lügt mit Engelsstimme Papa Carsten ins Telefon, legt auf und reckt die Beckerfaust empor. Krisengewinnler gab es immer schon. Irgendwann greift man dann fürs Gesamtdesign des Festes doch zu den guten, alten Geschichten, liest Märchen vor für den Nachwuchs. Dornröschen entpuppt sich plötzlich als klassische Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

Lockdowngeschichte und Frau Holle mit ihrem Kissengeschüttel als Symbol für den Superspreader. Dass Rotkäppchen heimtückisch das Kontaktverbot im Seniorenheim umgehen will,

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO li g it M r h e m Je hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil

muss zwangsläufig grimmig und drastisch geahndet werden. Auch in der Weihnachtsgeschichte ergibt plötzlich alles neuen Sinn. Maria und Josef, Bethlehem, klar, ein frühes Beherbergungsverbot treibt sie in den Stall. Mit Ochs und Esel beschwören sie die Gefahr neuer Zoonosen herauf. Diese drei Weisen aus dem Morgenland schließlich kommen nur deshalb so spät zur Geburt, weil sie nach der Einreise aus einem Risikogebiet erst mal für zehn Tage in Quarantäne mussten.

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Lieblingsbücher gewinnen! In jedem Monat stellen wir im Straßenmagazin drei Neuerscheinungen vor: Romane, Krimis, Sachbücher, ab und an einen Comic oder einen Fotoband. Es sind gänzlich subjektive Empfehlungen, unabhängig ausgewählt, gelesen und für gut befunden. Sechs der Bücher dieses Jahres haben wir ausgewählt und die Verlage um je drei Verlosungsexemplare für unsere LeserInnen gebeten. Viel Glück! Die Teilnahme ist ganz einfach: Schicken Sie Ihren Wunschgewinn mit Name, Telefon, Adresse und dem Betreff „Verlosung“ an redaktion@bodoev.de oder auf frankierter Postkarte an bodo e.V., Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund. Teilnahmeschluss ist der 15. Dezember 2020. Bei mehreren TeilnehmerInnen entscheidet das Los. Wir versenden die Gewinne an die angegebene Adresse. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich.

Übrigens: Wir nehmen gerne Ihre gut erhaltenen, gebrauchten Bücher an – die schaffen bei uns Stellen!

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Teilnahmeschluss: 15. Dezember 2020

Christian Baron | Ein Mann seiner Klasse „Christian Baron hat die Geschichte seiner Kindheit aufgeschrieben – einer je nach Sprachgebrauch des Bewertenden armen, ,asozialen‘ oder bildungsfernen Kindheit. Unmittelbar, ungeschützt, fast zärtlich und allein mit der Sprachlosigkeit seines ehemaligen Milieus als Material.“ Claassen | 288 Seiten | 20 Euro Melisa Erkurt | Generation haram. Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben „Melisa Erkurt zeigt in ihrer mitreißenden Streitschrift auf, wie Schule weiter Dinge voraussetzt, die in einer Zuwanderungsgesellschaft nur ein Teil der SchülerInnen erbringen kann, und was Lösungen wären.“ Zsolnay | 192 Seiten | 20 Euro Zoë Beck | Paradise City „Zoë Beck hat einen weiteren klugen Thriller verfasst, der – vor Corona geschrieben – die Gegenwart aus Erderwärmung, Pandemie, Gesundheitstracking und Wohlfühl-Überwachung nur leicht weiterdreht, um in einem spannenden Plot grundsätzliche Fragen zu Technologie, Demokratie und Selbstbestimmung zu stellen.“ Suhrkamp | 280 Seiten | 16 Euro Anna Mayr | Die Elenden „In einer besseren Welt wäre die Lektüre von ,Die Elenden‘ die Einstiegsqualifikation für jede Hartz-IV-Wortmeldung und jede Armut-in-Deutschland-Talkshow.“ Hanser Berlin | 208 Seiten | 20 Euro Jasmin Schreiber | Marianengraben „Ein auf seltsame Art gleichzeitig trauriges und leichtes, ernsthaftes und versponnenes und stellenweise unglaublich komisches Buch.“ Eichborn | 254 Seiten | 20 Euro Katharina Nocun, Pia Lamberty | Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen „Fake Facts ist ein bemerkenswerter Rundumschlag zweier ausgewiesener Expertinnen mit – und manchmal gehört das auch dazu – unglaublichem Timing.“ Quadriga | 352 Seiten | 19,90 Euro

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REPORTAGE

Am 1. September 1866 kommt Heinrich Theodor Hermann Mai in Gelsenkirchen-Buer zur Welt. 1894 fällt der spätere Bruder Jordan Mai die Entscheidung, Franziskaner zu werden. Als hilfsbereit und demütig auftretender Mönch wird er geschätzt. Sein Lebensweg endet am 20. Februar 1922 im Franziskanerkloster zu Dortmund. Bereits am Morgen nach seinem Tod melden sich Gläubige an der Klosterpforte, um an seinem Sarg zu beten. 1934 wird ein bischöflicher Informationsprozess zur Vorbereitung seiner Seligsprechung eröffnet. An der Überführung seiner sterblichen Überreste vom Ostfriedhof in die Franziskanerkirche nehmen am 20. August 1950 an die 100.000 Menschen teil. Von solchen Zahlen hört man in Dortmund sonst bei Fußballspielen. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski, Archiv Bruder-Jordan-Werk

„Da ist diese Grauzone, die mir Respekt abverlangt“ Auf Bruder Jordans Weg

Unten: Am 20. April 1950 wurden die Gebeine Bruder Jordans vom Ostfriedhof in die benachbarte Franziskanerkirche übertragen. Obwohl nur eine Zeitungsnotiz auf die Zeremonie hingewiesen hatte, versammelten sich bis zu 100.000 Gläubige zu den Feierlichkeiten.

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V

iele obdachlose oder auf andere Weise bedürftige Menschen in Dortmund kennen die Adresse. Im Tiefparterre des Klosters, Franziskanerstraße 1, liegt der „Jordan-Treff“. Hier gibt es ein kostenloses Frühstück. Zubereitet wird es von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Lebensmittel werden gespendet. An jedem Werktag ist der Treff vormittags zwischen 9 und 10 Uhr geöffnet. An der Treppe zum Tiefparterre bildet sich dann eine kleine Schlange. Die Stimmung unter den Wartenden ist entspannt, obwohl derzeit nur Getränke, Kaffee ist sehr gefragt, und vorgepackte Tüten am Eingang ausgehändigt werden dürfen. Coronabedingt kann der dahinterliegende Raum mit Tischen, Stühlen – und im Winter ganz wichtig, einer Heizung – von Gästen leider nicht betreten werden. Bei der Ausgabe an der Tür hilft Bruder Klaus Albers. Er leitet das „Bruder-Jordan-Werk“ und hat den Treffpunkt vor acht Jahren ins Leben gerufen.

Weniger beten, mehr arbeiten „Der Jordan-Treff geht gewissermaßen zurück auf die Klosterpforte“, erklärt er. „Zu allen Klöstern kommen Leute und betteln, um es mal so auszudrücken, um Geld, um etwas zu essen, um Hilfe. Aber an der Pforte ist keine Zeit für Kontakte. Da gibt es kaum die Gelegenheit, miteinander zu reden. Und jeder hat ja sein ganz individuelles Ziel. Der eine hat Hunger, der andere möchte ins Pfarrbüro, der dritte vielleicht das Kloster besichtigen. Das führt automatisch zu unausgesprochenen Reibungsflächen. Aber als 2012 das Kloster saniert wurde, bekamen wir plötzlich diese Räume hier. Unsere Idee war, das Anliegen, Bruder Jordan an der Klosterpforte und seine Sorge für die armen Menschen, aufzugreifen und an die heutigen Verhältnisse anzupassen.“

Bruder Klaus Albers leitet das Bruder-JordanWerk und versorgt Arme und Wohnungslose im „Jordan-Treff “.

An der Pforte saß Bruder Jordan häufig. Eigentlich war er als Koch ausgebildet, doch machten ihm erhebliche gesundheitliche Problemen zu schaffen. Starke Kopfschmerzen zwangen ihn mehrfach ins Krankenhaus. Die Ärzte vermochten nicht, ihn zu heilen. Körperlich geschwächt übernahm er Hilfsarbeiten. Er machte

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REPORTAGE

sich in der Sakristei nützlich, in der Küche, im Speisesaal und eben an der Klosterpforte, der Schnittstelle zwischen klösterlichem und weltlichem Lebensbereich. Bei den Menschen, die dort anklopften, war er beliebt. Sein offenes Ohr für sämtliche Sorgen und Nöte hatte sich herumgesprochen. Er half, wenn es irgend ging. Und er betete – so oft und inbrünstig, dass es selbst seine Mitbrüder für übertrieben hielten. „Seine Art war schon sehr fremd“, sagt Bruder Klaus. „Klösterliches Leben bedeutet beten und

arbeiten. Es gibt ja auch genug zu tun. Es geht um das richtige Maß. Bei ihm bekam es so ein bisschen den Touch, dass man sagte, er möge doch bitte etwas weniger beten und dafür mehr arbeiten. Von daher hatten es die Brüder nicht immer leicht mit ihm. Aber wahrscheinlich hatte er es auch nicht immer leicht mit den Brüdern.“ Eine sonderbare Geschichte rankt sich um die Begleitumstände seines Todes. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1922 wurde

in die Klosterkirche eingebrochen. Die Diebe raubten das Tabernakel mit Kelchen und Hostien, eine für einen gläubigen Christen unvorstellbare Tat. Unabhängig voneinander berichteten mehrere Menschen aus Bruder Jordans Umfeld, er habe daraufhin seinen Tod innerhalb eines Monats angekündigt; es hieß, er wolle sein Leben hingeben als Opfer oder Sühne für das begangene Verbrechen. Auf den Tag genau einen Monat nach dem Einbruch starb Jordan Mai.

82.000 Briefe „Das ist so protokolliert worden“, sagt Bruder Klaus. „Im Zuge der Vorbereitung seiner Seligsprechung wurden viele Zeugen befragt. In diesem Zusammenhang ist das ein wichtiger Punkt. Wobei der Gedanke, sein Leben zu opfern für irgendein Verbrechen, der ist uns heute natürlich völlig fremd. Das war die Frömmigkeit der damaligen Zeit. Aber dann passierte etwas ganz Seltsames. Die Presse schrieb, seine Beerdigung wäre wie eine Fronleichnamsprozession gewesen. Eine Fronleichnamsprozession, das war seinerzeit noch ein großes Ereignis. Und dieses Bindeglied dazwischen, das fehlt. Das ist ein Geheimnis. Wie kann es sein, dass dieser relativ harmlose Mann, der schlicht seine Sachen gemacht hat, der nie groß in der Stadt gewesen ist, der nichts geschrieben, der nichts veröffentlicht hat, dass der plötzlich so verehrt wurde?“ Die Verehrung sollte noch zunehmen. Seine Anhänger entwendeten Erde vom Grab. Sie wurde als Reliquie betrachtet. Vergeblich zäunte man die Grabstelle ein, mehrmals mussten Friedhofsgärtner den Mutterboden erneuern. Der 1934 begonnene bischöfliche Prozess zur Seligsprechung wurde 1937 abgeschlossen. Aus dem bischöflichen ist mittlerweile ein päpstlicher Fall geworden. 1950 erfolgte die angesprochene Umbettung der Gebeine. Und bis heute sind 82.000 Briefe im Kloster eingetroffen, in welchen die Absender darlegen, Bruder Jordan habe in einer bestimmten Lebenslage geholfen.

Links: Andenken an Bruder Jordan: „Wie kann es sein“, fragt Bruder Klaus Albers, „dass dieser relativ harmlose Mann, der schlicht seine Sachen gemacht hat, der nie groß in der Stadt gewesen ist, der nichts geschrieben, der nichts veröffentlicht hat, dass der plötzlich so verehrt wurde?“ – „Das ist ein Geheimnis.“

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AZ_GIS_BODO:AZ_BODO 12.11.20 18:13 Seite 1

„Ich sage das mal ein bisschen simpel: Der Gedanke war immer, Bruder Jordan ist jetzt im Himmel, und wenn ich hier unten meine Not habe, bitte ich ihn, doch mal dem lieben Gott zu sagen, er möge mir helfen. Das ist so eine Art stellvertretende Fürbitte. Und viele Menschen hatten das Empfinden, er habe ihnen geholfen. Wie auch immer. Man kann das nicht erklären. Ich würde sagen, manchmal hat die Zeit geholfen, manchmal vielleicht ein Medikament. Manchmal habe ich bei der Ruhe des Gebets eine gute Idee, und wenn ich daran glaube, kann ich sagen, mein Gebet ist erhört worden. Das ist diese Grauzone, die mir aber Respekt abverlangt.“

Kein Wunder. Eine Idee. Selig- und Heiligsprechungen sind Verfahren nach kirchlichem Recht, die sich über viele Jahrzehnte hinziehen können. Sollen sie erfolgreich sein, müssen drei Bedingungen erfüllt werden. Eine Grundvoraussetzung ist, dass der Kandidat oder die Kandidatin ein tugendhaftes Leben im kirchlichen Sinn geführt hat. Für Bruder Jordan Mai wurde es festgestellt. Außerdem muss eine Verehrung aus dem Volk stattfinden, die auf gar keinen Fall „von oben“ befeuert oder initiiert werden darf. Eine Gratwanderung. Die Zeiten haben sich geändert, und die ganz große Begeisterung ist auch in Sachen Jordan Mai längst abgeebbt. An ihn mag erinnert werden, unmittelbar gefeiert werden, zum Beispiel im Rahmen eines Gottesdienstes, darf er unter keinen Umständen. Und drittens muss ein Wunder nachgewiesen werden. „Ein Wunder ist etwas, das natürlich nicht zu erklären ist“, sagt Bruder Klaus. „Das wird kirchlich sehr streng gehandhabt. Man kann ja sagen, allein die Tatsache, dass es diese 82.000 Briefe gibt, ist ein Wunder. Aber es ist eben kein Wunder im Sinne der klassischen Definition. Bei Jordan Mai fehlt es bis heute. Punktum.“ Zerknirscht wirkt Bruder Klaus Albers nach dieser Feststellung nicht. Er freut sich, dass die monatlich stattfindenden Pilgermessen noch immer besucht werden, wenn auch die Zahl 100.000 Lichtjahre entfernt scheint. „Das ist der Lauf der Zeit“, sagt er. „Und seien wir ehrlich: All die vielen Seligsprechungen während der letzten Jahrzehnte haben kirchlich nichts bewegt. Das greift nicht mehr. Entscheidend ist nicht, dass der Jordan seliggesprochen wird, entscheidend ist, dass es Leute gibt, die seine Idee lebendig halten. Oder aktualisieren. Seine Idee, sich um die Armen zu kümmern, die lebt weiter. Auch daran arbeiten wir mit dem Bruder-Jordan-Werk.“

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RÄTSEL

LESERPOST & MEINUNGEN

bodo-Verkauf und Corona Guten Tag, ich bin seit vielen Jahren treue bodo-Leserin, und ich freue mich darüber, dass ich die Zeitschrift weiterhin kaufen kann. Jetzt ist mir bei „meinem“ bodo-Verkäufer (Alexandru, den Nachnamen konnte ich mir leider nicht merken) aufgefallen, dass er einen Hackenporsche (Ich musste es gerade googeln, es heißt richtig Einkaufsroller) benutzt. Er sitzt auf seinem kleinen Klappstuhl, grüßt jeden sehr freundlich und trägt natürlich eine Maske, vor ihm circa einen Meter entfernt steht sein Hackenporsche (der Name gefällt mir wirklich besser) und wurde als eine Art Tisch umfunktioniert, auf dem die bodo-Zeitungen stehen und eine Dose für das Geld. Jeder kann sicher eine bodo entnehmen und das Geld in die dafür vorgesehene Dose werfen, wobei Alexandro nicht sehen kann, wieviel Geld jemand hineinwirft, aber anscheinend hat er bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich wollte einfach mal mitteilen, dass mir dieser mobile Verkaufsstand sehr gut gefällt, gerade in diesen ungewöhnlichen Zeiten. Lieben Gruß, C. S. Liebe Frau S., vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir experimentieren in der Tat schon seit dem Frühjahr, wie wir einen kontaktlosen Verkauf am besten umsetzen können. Zu diesem Zweck haben wir für den interessierten Teil der VerkäuferInnen solche Trolleys angeschafft. Sie funktionieren nicht für jedeN, große Strecken zu Fuß lassen sich damit nicht bewältigen. Die meisten fühlen sich mit Maske, Handschuhen und ausreichendem Abstand beim Verkauf sicher, den Eindruck haben wir bisher auch bei unseren KundInnen. Wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Tipps, Ideen und Ihre Meinung senden, wie wir das „In-Kontakt-Bleiben mit Abstand“ am besten umsetzen können. Viele Grüße von bodo bodo 11.20

Alles Theater Wie Sie Fröhliches und Düsteres einfach so miteinander mischen, und am Ende hat man viel gelernt über „oben“, „unten“ und „nebenan“ begeistert mich immer wieder. Weiter so. K. M.

AUFLÖSUNG HEFT 11.20

bodo 11.20

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Die andere Seite Liebe bodo, für mich ist es die wahre Stärke einer Straßenzeitung, dass ihr neben den leichten und schönen Geschichten auch den Menschen eine Stimme gebt, die in anderen Medien nur ignoriert oder vorgeführt werden. Euer


Bericht „Die andere Seite“, der schonungslos Obdachlose erzählen lässt, ist so schmerzhaft wie wichtig. Unsereins kann es sich gar nicht vorstellen, nirgendwo hinzukommen, die Kälte nicht loszuwerden und all das. Umso wichtiger ist eure Arbeit: Die Hilfe für diese Menschen, aber auch, dass ihr ihnen eine Stimme gebt. Danke dafür. Viel Kraft und alles Gute, S. W.

Winternothilfe am U

Sie wollen helfen? Wir bedanken uns herzlich für die große Anteilnahme der WittenerInnen anlässlich des Todes unseres langjährigen Verkäufers Michael Coenen. „Mit ihm hat Witten ein Original verloren“, schrieb die WAZ in ihrem Nachruf. Wir verlieren einen Freund und besonderen Kollegen.

Zum Tod von Michael Coenen Lieber bodo e.V., es war ein großer Schreck, als wir vom Tod Ihres Mitarbeiters hörten. Für uns war Herr Coenen das Gesicht von bodo. Wir beide erinnern uns an viele tiefsinnige Gespräche an seinem Verkaufsplatz, immer mit einer Wärme und einem Optimismus, wie man sie von einem Menschen mit einer so schweren Lebensgeschichte nicht erwarten kann. Wir werden ihn vermissen und übermitteln seinen Freunden unser aufrichtiges Beileid. A. W. und P. W. Mit Bestürzung und Trauer habe ich der Wittener WAZ entnommen, dass „mein“ langjähriger bodo-Verkäufer Michael Coenen den Kampf gegen seinen schlimmen Lungenkrebs nun doch verloren hat. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich ihn kannte und immer bei ihm gekauft habe. Und es war immer Zeit für ein Gespräch auf der Bahnhofstraße in Witten. War ich im Urlaub, so hat er das aktuelle Heft im türkischen Bistro nahe seiner Wohnung in Annen abgegeben. Meine Frau und ich hatten uns schon gefragt, warum wir ihn nicht mehr gesehen haben. Und dann die Nachricht in dieser Woche… Leb‘ wohl, Michael. Wir werden immer wieder an Dich denken, wenn wir an Deinem Platz vorbeilaufen. P. W.

Von Anfang November bis Ende März versorgen das Gast-Haus, die Kana Suppenküche, der Dortmunder Wärmebus (Katholische Stadtkirche Dortmund, Malteser Hilfsdienst und St. JohannesGesellschaft) und bodo e.V. wohnungslose Menschen zweimal täglich mit Frühstück und einer warmen Mahlzeit. In einem Zelt werden wir morgens und nachmittags Mahlzeiten ausgeben und Heißgetränke ausschenken.

Dazu brauchen wir Ihre Hilfe! Frühstück Einsatz von 7 Uhr bis 12 Uhr Vorbereiten/Befüllen der Frühstückspakete Essensausgabe Ausschenken von Kaffee, Tee etc. Kaffee & Kuchen, Suppe Einsatz von 15.30 bis 20 Uhr Annahme und Warmhalten der gelieferten Suppe Ausschenken der Mahlzeiten und Getränke

mitmachen @ winternothilfeamu.org Unterstützen Sie uns bei der Winternothilfe am U. Wir freuen wir uns über Ihre E-Mail.

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

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MIT IHRER HILFE

Mehr als Kaffee und Knifte F

ür uns bedeutet es zweierlei: Einerseits sehen wir mit Schrecken, wie die Pandemie die Erfolge der vergangenen Jahre gefährdet. Die Schließung der Anlaufstellen und Tagesaufenthalte ließ Beratungsprozesse abbrechen, an die Stelle von freundlichen Schutzräumen mit offenen Türen ist die Arbeit auf der Bordsteinkante getreten. Die Versorgung der Menschen auf der Straße ist ein Kraftakt geworden, gleichzeitig steigt die Zahl der psychischen Krisen auf der Straße – und auch Verelendung und sichtbare Straßenobdachlosigkeit nehmen zu. Andererseits ist es die Zeit der schnellen Problemlösungen, der neuen Kooperationen und der Hilfsbereitschaft. Wir erleben, dass die besondere Last, die Wohnungslose in der Pandemie tragen, gesehen wird – von den BürgerInnen unserer Städte und (hier mehr, dort weniger) von Verwaltungen und Politik. In neuen und alten Kooperationen schließen sich Initiativen und Akteure der Wohnungslosenhilfe zusammen und schaffen Strukturen und Angebote, die auch unter Pandemie-Bedingungen funktionieren. Am sichtbarsten vielleicht im beheizten Großzelt der „Winternothilfe am U“, das den ganzen Winter hindurch Mahlzeiten im Warmen ermöglicht. Nicht weniger wichtig im Dortmunder Hygienezentrum, das – ebenfalls mit einem Akteursverbund

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Corona trifft Wohnungslose besonders hart. Weil viele Versorgungseinrichtungen und Tagesaufenthalte seit März nicht öffnen können, sind entscheidende Orte im Alltag weggefallen. Ämterkontakte sind massiv erschwert, die Angst vor Ansteckung lässt viele auch die Mehrbettzimmer der Notunterkünfte meiden. Die Zunahme sichtbarer Straßenobdachlosigkeit erinnert an die Wohnungslosigkeitskrise der frühen 1990er Jahre, die Anlass zur Gründung von bodo war. Von Bastian Pütter | Foto: Sebastian Sellhorst

und der Unterstützung der Stadt Dortmund – Ersatz für die corona-bedingt weggefallenen Duschmöglichkeiten und Kleiderkammern schuf. Das Herstellen von Nähe, das In-KontaktKommen ist gleichzeitig Programm und Erfolgsrezept bei bodo. Mit dem Straßenmagazin bringen wir Menschen zusammen, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären, im Idealfall eine Bereicherung für beide Seiten. In jedem Fall ist der Kauf eines Magazins, sogar jedes freundliche „Guten Morgen“ ein Schritt auf dem Weg aus der Krise, einer, der hilft, Wohnungslosigkeit zu beenden. Genau so – mit Nähe, Zugewandtheit und einem Kontakt auf Augenhöhe – arbeiten unsere Anlaufstellen. Eigentlich. Vielleicht ist das die größte Herausforderung zurzeit: Die Nähe mit Abstand ohne die Orte, die wir eigentlich brauchen. Orte, an denen Menschen

von der Straße die ständigen Belastungen der Wohnungslosigkeit für ein paar Stunden hinter sich lassen, zur Ruhe kommen, mit uns lachen können. Um dann die ungeöffneten Briefe auf den Tisch zu legen und mit uns die nächsten Schritte zu machen. Seit März versuchen wir alles, diese Verluste, die die geschlossenen Tagesaufenthalte, Anlauf- und Versorgungsstellen bedeuten, aufzufangen. Täglich sind wir unterwegs, an den Verkaufsplätzen unserer VerkäuferInnen, mit unseren „Kaffee & Knifte“-Versorgungstouren, mit Schlafsäcken, der Zeit, Ämterschreiben zu erklären und Termine zu vermitteln – und einem offenen Ohr. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX


WASSER

WIE ES UNSERE ERDE FORMT FOTOAUSSTELLUNG VON BERNHARD EDMAIER 06.12.2020–11.04.2021 Naturmuseum Dortmund

Online-Voranmeldung erforderlich unter naturmuseum-dortmund.de

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SPARBAU seit 1893

Spar- und Bauverein eG Dortmund

WENN NACH DER MIETE NOCH GENUG

fĂźr einen groĂ&#x;en Weihnachtsbaum

DRIN IST ‌!

Faires Wohnen mit Sparbau. In der Genossenschaft zu Hause. 56


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