bodo November 2020

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bodo DAS

11 | 20 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für die Verkäuferin den Verkäufer

CHRISTOPH BU T TERWEGGE GREGG SEGAL

Draußen: Obdachlose erzählen Seite 18

SONDENGÄNGER GEIERABEND

Endlich ein Zelt Seite 7

R E T A E H T S ALLE K IN DE R M N E T S R O T D N U A R SE L E N K A

DR A M A C ONTROL

ANN NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Theaterpaar

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Die Geschichte der Regisseurin Selen Kara und des Musikers Torsten Kindermann ist die Geschichte eines Paares, das sich im Theaterbetrieb gefunden hat. Dabei haben beide das Glück, in Bochum leben und an den großen Stadttheatern in Bochum und Dortmund arbeiten zu können. Von Max Florian Kühlem

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Benjamin, Christoph Butterwegge, Andreas Eberhard, Alexandra Gehrhardt, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Bastian Pütter, Petra von Randow, Sebastian Sellhorst, Knut Unger Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Bussenius & Reinicke (S. 11), Simon Gerlinger (S. 28), Fumiko Kikuchi (S. 27), Francis Mascarenhas / Reuters (S. 16), Burkhard Peter (S. 25), Sabrina Richmann (S. 36, 38), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 6, 12, 13, 14, 30), Wolfgang Schmidt (S. 40), Gregg Segal (S. 32, 33, 34), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 19, 20, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Dezember-Ausgabe 10.11. 2020 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

Die andere Seite

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Die Krise hat Straßenobdachlosigkeit sichtbarer gemacht und die Lebenslagen der Betroffenen drastisch verschärft. In der Berichterstattung fehlt meist die Perspektive derer, um die es geht. Was bedeutet es, draußen zu sein? Wie beschreiben Wohnungslose in Dortmund ihren Alltag? Von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst

Über den Tellerrand

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„Überrascht hat mich, dass in armen Ländern tendenziell gesünder gegessen wird“, sagt der US-amerikanische Fotograf Gregg Segal zu seiner Arbeit „Daily Bread“. Auf der ganzen Welt hat er Kinder mit dem, was sie in einer Woche essen, fotografiert. Von Andres Eberhard

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Benjamin, bodo-Verkäufer in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, in den letzten Monaten habe ich mich sehr gefreut, wie viele Menschen trotz der Corona-Situation und Maske bei mir das Magazin gekauft haben. Anfangs war ich noch besorgt, dass jetzt alle zu Hause bleiben und ich auf meinen Heften sitzen bleibe. Aber das ist zum Glück nicht passiert. Von dem ganzen Ärger, den Corona so mit sich bringt, mal abgesehen, läuft es aber eigentlich ganz gut bei mir. Seit gut zehn Monaten habe ich wieder eine Wohnung mit eigenem Mietvertrag am Rand von Dortmund-Marten. Das ist zwar ganz schön weit weg von meinem Verkaufsplatz, dafür ist es schön ruhig und niemand geht einem auf die Nerven. Ohne eigene Wohnung wäre es zurzeit aber auch wirklich unerträglich. Jetzt hoffe ich, dass das mit Corona nicht schlimmer wird, damit ich auch in den Wintermonaten vernünftig verkaufen kann. Vielen Dank an all meine Kundinnen und Kunden, die mir die Treue gehalten haben. Bis bald, und bleiben Sie gesund, Ihr bodo-Verkäufer Benjamin.

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EDITORIAL

04 Menschen | Kara & Kindermann 07 Straßenleben | Ein Platz im Trockenen 08 Neues von bodo 12 Reportage | Mit Sondengängern unterwegs 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Falsche Nebenkostenabrechnungen 17 Kommentar | Warum nicht Hotels? 17 Die Zahl 18 Reportage | Die andere Seite 22 Wilde Kräuter | Schlehe 23 Kultur | Theaterrevier Bochum 24 Veranstaltungskalender 29 Kinotipp | Now 30 bodo geht aus | Café Desaster 32 Reportage | Über den Tellerrand 35 Bücher 36 Interview | Die Neuen beim Geierabend 40 Gastbeitrag | Die soziale Schlagseite der Pandemie 43 Eine Frage… | Schnee oder Hagel? 44 Leserpost | Rätsel 45 Leserpost 46 Verkäufergeschichten | David

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Liebe Leserinnen und Leser, schön, dass Sie hier sind. – Und wir schauen mal, ob wieder einschneidende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nötig sein werden. Im März mussten wir den Verkauf einstellen, auch die Existenz unseres Vereins war wie die Vieler in Gefahr, ein zweiter Lockdown würde es noch schwieriger machen. Besonders hart aber traf es diejenigen, die in verwaisten Innenstädten ohne Einkunftsmöglichkeiten auf der Straße waren. Wir haben seit dem Frühjahr die drastischen Verschlechterungen der körperlichen und psychischen Gesundheit der Wohnungslosen in unseren Städten beschrieben. Als eine Art Antwort auf die lokale Berichterstattung, in der von sichtbarer Armut genervte AnwohnerInnen und Gewerbetreibende zu Wort kamen, haben wir auf Seite 18 ein paar der Gespräche, die wir täglich führen, aufgeschrieben – mit denen, um die es eigentlich geht. Aber auch in der Pandemie gibt es gute Nachrichten. Auch diesmal besteht unser Heft zum großen Teil aus durchaus positiven Geschichten, und auch für die Situation der Dortmunder Wohnungslosen stehen deutliche Verbesserungen in Aussicht. Nach monatelangen Verhandlungen mit der Stadt, schließlich getragen durch Anträge aller großen Ratsfraktionen, wird die Essensversorgung unter freiem Himmel ein Ende haben. Wir bekommen ein Zelt (s.S. 7), freuen uns über tatkräftige Unterstützung und hoffen auf Bewegung in den Nachbarstädten. Bleiben Sie gesund. Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Der erste Corona-Winter ist vielleicht die größte Herausforderung unserer 25-jährigen Vereinsgeschichte. Nie mussten wir mehr Überlebenshilfen für Wohnungslose leisten – auf der Straße, bei der Versorgung mit Essen, mit Duschmöglichkeiten. Nie war Ihre Hilfe nötiger. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Theaterpaar

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Selen Kara und Torsten Kindermann Die Geschichte der Regisseurin Selen Kara und des Musikers Torsten Kindermann ist die Geschichte eines Paares, das sich im Theaterbetrieb gefunden hat. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die Privates und Berufliches kaum trennen können, es aber zumindest versuchen müssen. Es ist die Geschichte zweier Künstler, die immer wieder gegen die Festlegung auf ein Thema arbeiten müssen. Dabei haben sie das Glück, in Bochum leben und an den großen Stadttheatern in Bochum und Dortmund arbeiten zu können. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

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ls die 1985 in Velbert geborene Selen Kara an der Ruhr-Universität Theater- und Medienwissenschaften studierte, da konnte sie nicht viel anfangen mit der pauschalen Skepsis, die unter ihren KommilitonInnen gegenüber dem Stadttheater herrschte. „Meine Erfahrung als Jugendliche im Theater war immer magisch“, erinnert sie sich. Deshalb musste sie auch nicht lange überlegen, als sie von der Leitung des Musischen Zentrums an der Uni ein Jobangebot gesteckt bekam: Das Schauspielhaus Bochum unter Intendant Anselm Weber suchte eine Übersetzerin für die „Faust“-Inszenierung eines türkischen Regisseurs, der mit einem vorwiegend deutschsprachigen Ensemble zusammenarbeitete. Vielleicht trug zu ihrer Faszination bei, dass die Theaterwelt für Selen Kara eigentlich eine fremde war. Ihre Eltern sind die zweite Generation türkischer Gastarbeiter und hatten eigentlich andere Pläne für ihre Tochter: „Sie sprechen zwar bis heute davon, in die Türkei zurückzukehren, aber fanden für mich auch eine Schulund Studienkarriere in Deutschland reizvoll – in einem Fach wie Medizin oder Jura. Trotzdem haben sie mich immer unterstützt.“ Durch ihren Studienhintergrund und die guten Kontakte während des Übersetzungsjobs konnte Selen Kara eine Regieassistenz am Schauspielhaus Bochum ergattern – eine deutschlandweit begehrte Stelle. Dabei ist es üblich, im zweiten Jahr selbst inszenieren zu dürfen. „Ich wollte auf keinen Fall in die Türkei-Schublade gesteckt werden“, sagt Selen Kara. Also wählte sie „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ von Dea Loher. Ein Achtungserfolg, der aber noch kein großes Publikumsinteresse hervorrief.

Kurz vorher hatte Selen Kara den Multiinstrumentalisten Torsten Kindermann kennengelernt, der als Live-Musiker bei der Produktion „Vor Sonnenaufgang“ von Anselm Weber mitwirkte. Der Ur-Bochumer hatte über Umwege an das Theater gefunden: Er studierte Schulmusik mit Hauptfach Saxophon an der Universität Dortmund und später Jazz-und Pop-Gesang in Arnheim, aber beides nicht zu Ende, weil er vor allem ein Ziel im Leben hatte: Musik machen. Das tat er zum Beispiel erstaunlich erfolgreich mit der christlichen Reggae-Band „Heaven Bound“, in der auch der Rock- und spätere Theatermusiker Karsten Riedel Mitglied war und deren Geschichte wahrscheinlich einen eigenen Text wert wäre. Mit unter anderem Karsten Riedel und dem heutigen Bochumer Konzerttechnik-

Kara & Kindermann Selen Kara | geboren in Velbert Studium der Theater- und Medienwissenschaften in Bochum freie Regiearbeiten u.a. am Theater Bremen, Staatstheater Nürnberg, Nationaltheater Mannheim Torsten Kindermann | geboren in Bochum Studium in Dortmund und Arnheim 12 Jahre tourender Bandmusiker, seit 2007 Theatermusiker, Komponist, musikalischer Leiter Nächste gemeinsame Inszenierung: Mit anderen Augen. Ein Abend über das Sehen, Schauspielhaus Bochum, Premiere: 11.12. 5


MENSCHEN

Unternehmer und Rotunde-Betreiber Sven Nowoczyn gründete er später die bis heute legendäre Ska-Band Alpha Boy School und gelangte später über Riedels Kontakte ans Theater. Torsten Kindermann spielte in der Band des legendären Johnny-Cash-Abends, konzipierte dafür einen Nachfolger, übernahm die musikalische Leitung bei den tollen Projekten „Hauptschule in Bewegung“ und schließlich „Schule in Bewegung“, bei der SchülerInnen aller Schulformen zusammenkamen und in die seinerseits viel Herzblut floss. Als Selen Kara und Torsten Kindermann, die mittlerweile eine Familie gegründet haben, ein Paar wurden, da waren eigentlich zwei Dinge klar: „Wir wollten nicht zusammenarbeiten“, sagt er. „Und ich wollte nicht in die Türkei-Schublade gesteckt werden“, sagt sie. Doch bekanntlich sind Pläne machen und das Leben leben zwei

„Wir wollten nicht zusammenarbeiten“, sagt er. „Und ich wollte nicht in die Türkei-Schublade gesteckt werden“, sagt sie.

grundverschiedene Dinge. 2017 eröffnete der Intendant des Theaters Bremen Torsten Kindermann die Idee eines Liederabends über Gastarbeiter, um mal ein anderes Publikum in den Saal zu locken. Und da fragte er: „Ist Ihre Frau nicht Regisseurin?“ Das Angebot ließ den Musiker daraufhin nicht los: „Ich war selbst überrascht, wie wenig ich als Kind des Ruhrgebiets über die Geschichte der Gastarbeiter wusste, war vom Thema angefixt.“ Auf der heimischen Couch spann das Paar Ideen und kam auf ein spannendes Konzept: Warum die Geschichte nicht mal umgekehrt erzählen? So hat im Stück „Istanbul“, das sie gemeinsam mit dem jungen Autor Akın Emanuel Sipal entwarfen, das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg in der Türkei stattgefunden. Es waren deutsche Gastarbeiter, die halfen, die Türkei wiederaufzubauen. Statt Bremen oder das Ruhrgebiet oder Mannheim – überall dort ist der Abend schon gelaufen – war Istanbul die Stadt, welche die Neuankömmlinge willkommen hieß. Mit einem deutschsprachigen Ensemble und einer deutsch-türkischen Band setzt sich das Team diesem Gedankenspiel aus und bringt dabei Lieder der türkischen Popsängerin Sezen Aksu auf die Bühne. „Bis heute sind immer mindestens 40 Prozent Menschen mit türkischem Hintergrund im Publikum, die laut mitsingen“, sagt Selen Kara. „Bei Proben in Mannheim sangen die Frauen vom Reinigungsdienst mit. Das brachte uns auf die Idee, eine öffentliche Probe nur für sie und ihre Familien anzubieten.“ Solche Geschichten erzählt sie nicht ohne Stolz, aber auch nicht ohne Angst, auch heute noch auf das Thema Migration festgelegt zu werden. „Viele Theater schmücken sich jetzt mit Diversität, aber auf den Leitungsebenen sieht es nach wie vor anders aus.“ Aber immerhin: Wenn sie im Jahr 2020 in einer Gruppe vor dem Bühneneingang steht, dann wird sie nicht mehr unbedingt in erster Linie als Ghetto-Jugendliche wahrgenommen, die zum Beispiel an einem Club des Jungen Schauspielhauses teilnimmt. Heute ist die Möglichkeit größer, dass sie Regisseurin ist – oder, mit Blick nach Dortmund – vielleicht sogar die Intendantin. Für die Zusammenarbeit hat das frei arbeitende Paar mit Basis in Bochum einen guten Modus gefunden: „Man muss die Perspektiven klarkriegen: Wenn ich von der Regisseurin Selen genervt bin, dann muss ich es nicht auch von meiner Ehefrau sein“, sagt Torsten Kindermann. Und was beide auch gerade ziemlich gut schaffen, ist, die thematische Festlegung zu umschiffen: In Dortmund haben sie erfolgreich den Folk-, Pop- und Rock-Liederabend „Lust for Life“ auf die Bühne gebracht. Und für Bochum erarbeiten sie gerade „Mit anderen Augen“ – einen musikalischen Abend, der Geschichten blinder oder sehbehinderter Menschen erzählt. Premiere ist am 11. Dezember.

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STRASSENLEBEN

In seiner letzten Sitzung hat der Dortmunder Rat im Oktober beschlossen, die Wohnungslosenhilfe stärker zu unterstützen, und damit den Grundstein für die gemeinsame Winternothilfe von Gast-Haus, der Suppenküche Kana, dem Dortmunder Wärmebus und bodo gelegt. Es ist ein Erfolg nach monatelangem, zähem Ringen, bleibt aber eine Lösung auf Zeit – und eine, bei der Fragen offen bleiben. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Sebastian Sellhorst

Ein Platz im Trockenen

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edes Jahr zum Welttag zur Beseitigung der Armut am 17. Oktober laden das Gast-Haus, die Kana Suppenküche, der Dortmunder Wärmebus und bodo vor das Dortmunder Rathaus, um auf die Situation von Wohnungslosen vor dem Winter aufmerksam zu machen. Diese ist seit Jahren gleichbleibend schwierig; ein Winternotprogramm wie in anderen Städten gibt es hier nicht. Nun trifft der nahende Winter auf eine globale Pandemie, die seit Monaten wichtige Infrastrukturen, vor allem aber Aufenthalts-, Beratungs-, und Begegnungsorte wegbrechen lässt – mit drastischen physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen. Für das drängende Problem der winter- und corona-tauglichen Essensversorgung ist, auch dank der Anträge mehrerer Ratsfraktionen und der Verwaltung, die den Ernst der Lage erkannt hat, eine Lösung gefunden. Im November startet die Winternothilfe am Dortmunder U: In einem Großzelt können Wohnungslose vor Witterung und Kälte geschützt, täglich frühstücken und in den Nachmittagsstunden eine warme Mahlzeit zu sich nehmen. Das Gelände und die nötige Infrastruktur stellt die Stadt Dortmund, den Betrieb

des Angebots organisieren, mit viel ehrenamtlicher Hilfe, Gast-Haus, Kana, das Wärmebus-Team und bodo im Verbund.

Die Frage „Wohin im Winter?“ stellen Dortmunder NGOs jedes Jahr aufs Neue. Wegen des corona-beding-

Alle Probleme löst dies nicht. Im Winter obdachlos zu sein, ist potenziell lebensbedrohlich, es mangelt jedoch an coronakonformen Tagesaufenthalten oder Wärmestuben. Auch in Sachen Unterbringung bleibt alles, wie es ist: Die kommunale Wohnungslosenhilfe ist explizites Angebot für DortmunderInnen mit Anspruch auf Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt. Wohnungslose mit Wohnsitz in Bremen bleiben genauso ausgeschlossen wie die aus Polen oder Spanien.

ten Mangels an Aufwärmorten ist die Sorge vor Kältetoten in diesem Jahr umso größer.

Darum bleibt auch der Ruf nach Sofortmaßnahmen: Zugänge zu Unterkünften für alle, die in Not sind, die Schaffung von Tagesaufenthalten oder die Öffnung von U-Bahn-Stationen in Frostnächten, um Kältetote zu verhindern.

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NEUES VON BODO

Hilfe auf drei Rädern Das Dortmunder Spendenparlament Spendobel hat unser Wunschprojekt „Streetwork per Lastenfahrrad“ ausgewählt und wirbt nun um Unterstützung bei der Finanzierung. Seit zwei Jahren unterstützen umgebaute Postwagen unsere „Kaffee & Knifte“-StreetworkTeams. Mit ihnen sind wir unterwegs, um mehrmals in der Woche Wohnungslose mit heißen Getränken, Obst und Broten, Gesichtsmasken und Desinfektionsmitteln sowie Isomatten und Schlafsäcken zu versorgen. Wir informieren über die gerade in Corona-Zeiten sich ändernden Angebote und werben für ihre Nutzung. Der rapiden Zunahme von Straßenobdachlosigkeit in der Pandemie können wir in Bochum bereits mit einem Lastenfahrrad begegnen, das wir mit einer Großspende der MitarbeiterInnen der Wirtschaftsentwicklung anschaffen konnten. Nun hoffen wir auch in Dortmund auf diese Unterstützung auf drei Rädern. www.spendobel.de

TERMINE Soziale Stadtführungen Dortmund, 14. Nov., 11 Uhr Bochum, 21. Nov., 11 Uhr 9 Euro (inkl. Straßenmagazin) Anmeldung unter Tel. 0231 – 950 978 0 Bochum hilft Weihnachtspäckchen für Wohnungslose Annahme im Schauspielhausfoyer Montag, 30. November bis Mittwoch, 2. Dezember 10 bis 18 Uhr 8

Gute Arbeit

bodo macht Schule

Unser Team führt Haushaltsauflösungen durch – von der Einzimmerwohnung bis zum großen Wohnhaus –, entrümpelt Keller- und Dachböden besenrein, transportiert Kartons und Kisten, entsorgt Gartenabfälle und entfernt Tapeten und Bodenbeläge. Möchten Sie die Unterstützung unseres Teams? Wir freuen uns auf Ihren Anruf. Jeder Auftrag ist anders. Zwar können wir Ihnen am Telefon noch nicht sagen, welche Kosten genau auf Sie zukommen, jedoch verabreden wir gerne kurzfristig einen Besichtigungstermin mit unserer Teamleiterin Brunhilde Posegga-Dörscheln und erstellen einen unverbindlichen Kostenvoranschlag: 0231 – 950 978 0 oder transport@bodoev.de.

Warum haben manche Menschen eigentlich keine Wohnung? Wie ist es dazu gekommen und wie haben sie vorher gelebt? Soll man Bettlern Geld geben? Wie kann man helfen, und was kann Obdachlosigkeit beenden? Ein wichtiger Arbeitsbereich bei bodo ist die Vermittlung von Informationen zu Wohnungslosigkeit. Neben unseren Stadtführungen bieten wir Vorträge, Filmgespräche und Moderationen an. Unsere guten Erfahrungen bei Schulbesuchen möchten wir in eine feste Projektstruktur gießen, um im Kontext von demokratischer Bildung und von Gewaltprävention einen praktischen Beitrag zum Verstehen von Marginalisierung und sozialen Randgruppen leisten zu können.


Anzeigen

Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Schlafsäcke Haben Sie einen Schlafsack oder eine Isomatte aus Ihrem – hoffentlich nicht ausgefallenen – Sommerurlaub übrig? Feste Herrenschuhe, -hosen und warme Jacken nehmen wir ebenfalls gerne in unserem Dortmunder Buchladen und in unserer Bochumer Kleiderkammer entgegen.

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

bodo

Haushaltsauflösungen

SCH AFF T CHA NCE

Entrümpelungen

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Entsorgungen Transporte bodo packt an Rufen Sie uns an – wir erstellen Ihnen ein unverbindliches Angebot. Tel.: 0231 – 950 978 0 | E-Mail: transport@bodoev.de Ansprechpartnerin: Brunhilde Posegga-Dörscheln

bodo DAS STRASSEN MAGAZIN

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Winternothilfe Gemeinsam mit Gast-Haus, Suppenküche Kana und dem Wärmebus-Team organisiert bodo den Winter über in einem Großzelt am Dortmunder U die Versorgung der Dortmunder Wohnungslosen mit zwei Mahlzeiten täglich – an sieben Tagen in der Woche. Möglich wird diese Kraftanstrengung durch die Unterstützung der Stadt Dortmund bei Infrastruktur und Logistik, durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit der beteiligten Akteure – und durch freiwilliges Engagement. Gemeinsam werben die vier Organisationen um MitstreiterInnen: Wenn Sie sich vorstellen können, bei der Zubereitung und der Ausgabe von Mahlzeiten tageweise mitzuarbeiten: Wir freuen uns auf Sie! www.winternothilfeamu.de

Sie

ͫ​ͫ verschaffen sich Erholung

von der Pflege

ͫ​ͫ denken auch einmal an sich ͫ​ͫ tauschen sich mit anderen

Betroffenen aus

ͫ​ͫ partizipieren voneinander ͫ​ͫ erhalten neuen Input.

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NEUES VON BODO

Neueröffnung

SOZIALES EU-BürgerInnen können Anspruch auf Sozialleistungen haben, wenn sie hier gearbeitet haben und ihre Kinder hier zur Schule gehen. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Die Frage nach Leistungsansprüchen und der Gewährung eines Existenzminimums ist seit Jahren umstritten: Das deutsche Sozialgesetzbuch schließt EU-BinnenmigrantInnen häufig davon aus, Sozialgerichte hatten immer wieder gegenteilig entschieden. Sozialer Aufstieg bleibt in Deutschland schwierig: Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, bleiben im deutschen Bildungssystem benachteiligt, sagt die Stiftung Arbeiterkind. Während von 100 Kindern in akademischen Haushalten 74 studieren, sind es in nicht-akademischen 21. Zum Masterabschluss schaffen es 45 bzw. acht, zum Doktorgrad zehn bzw. eineR. Laut Arbeiterkind fehlen oft finanzielle Ressourcen, aber auch unterstützende Vorbilder. Arm trotz Arbeit: 4,06 Millionen Menschen verdienten nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums 2019 trotz Vollzeitjob unter 2.267 Euro brutto, also weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttogehalts. Im Bezirksverband Bochum-Dortmund waren es laut IG Bau 88.500 Menschen. In der Region seien besonders die Branchen Landwirtschaft, Gebäudereinigung und Floristik betroffen – vor allem wegen fehlender Tarif bindung. Energiesperren: Rund 289.000 Haushalten in Deutschland wurde 2019 wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgedreht, rund 7.000 weniger als 2018. 31.000 Mal wurde das Gas abgestellt. Stromversorger dürfen Sperren androhen, wenn KundInnen mit mehr als 100 Euro im Verzug sind. Das trifft vor allem Menschen in Armut – Wohlfahrtsverbände kritisieren die Praxis und fordern die Erhöhung des Energiekostenanteils in der Grundsicherung. 10

Den Wunsch, auch in Bochum ein modernes Antiquariat zu eröffnen und unser Qualifizierungsprojekt „Bücher schaffen Stellen“ auszubauen, gab es bei bodo schon lange – nun war es endlich soweit: Am 30. September eröffnete unser gemeinnütziger Buchladen an der Königsallee, vis à vis dem Schauspielhaus. Wir freuen uns über die freundliche Aufnahme in der Nachbarschaft und durch die Geschäfte, Lokale und Galerien im Ehrenfeld sowie über das große Kundeninteresse. Wir bitten um Verständnis für die vorerst begrenzten Öffnungszeiten (montags bis freitags 14 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 14 Uhr) und dafür, dass wir größere Buchspenden nur in unserer Kleiderkammer in Altenbochum, Liebfrauenstraße 8 – 10 (montags von 10 bis 13 Uhr und samstags von 10 bis 12 Uhr) annehmen können. Vor allem aber freuen wir uns darüber, wie schön unser Laden geworden ist und laden Sie herzlich ein, in unserem Sortiment guter, gebrauchter Bücher zu stöbern.


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instagram.com/bodo_ev facebook.com/bodoev

0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 9 – 16 Uhr Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Spendenannahme DO Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Mo. 10 – 13, Sa. 10 – 12 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

info@bodoev.de

Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

Trikotwerbung

Geierabend

Die erste Herrenmannschaft des ATV Dorstfeld wirbt auf Trikots für soziale Einrichtungen in Dortmund – unter anderem für bodo: „Die Unterschiedlichkeit von Menschen ist für uns ein hohes Gut, niemals ein Grund für Diskriminierung – der ATV bietet jedem Platz in seiner Mitte. Um dieser Überzeugung Ausdruck zu verleihen, hat sich die erste Herrenmannschaft entschieden, ein Zeichen zu setzen und unterschiedliche Organisationen auf einem eigenfinanzierten Sondertrikot zu bewerben.“ Die Trikots können auch beim ATV erworben werden. Ein Drittel des Verkaufspreises und alle eingehenden Spenden werden unter den beworbenen Organisationen verteilt.

Zum Comedy-Kabarett-Musik-Karneval Geierabend besteht seit vielen Jahren eine enge Verbindung. Die BesucherInnen gehören zu unseren größten UnterstützerInnen. Nach jeder Vorstellung spenden sie ihre übriggebliebenen Wertmarken an bodo. Dem Geierabend geht es zurzeit so wie der gesamten Kultur- und Veranstaltungsbranche: An die sonst mindestens 15.000 Gäste auf Zeche Zollern ist nicht zu denken. Im Gegenteil ist nicht klar, wie und ob überhaupt gespielt werden kann. Unsere Solidarität gilt allen Veranstalter- und KünstlerInnen, die Corona besonders hart trifft. Dem Geierabend drücken wir alle Daumen und stellen auf S.36 schon mal die Neuen im Ensemble vor. 11


REPORTAGE

Die Geschichte liegt nicht als aufgeschlagenes Buch vor uns. Die Historie ähnelt einem gigantischen Puzzle, bei welchem obendrein die allermeisten Teile fehlen. Das vollständige Bild wird Wunschtraum bleiben, archäologische Funde aber helfen, das bestehende Wissen Stück für Stück zu erweitern. Allein: Nicht zuletzt die zeitliche Kapazität eines Archäologen ist begrenzt. Von daher setzen die Fachleute längst auf die Unterstützung von Hobbyforschern und enthusiastischen Autodidakten, auf Menschen wie Vater und Sohn Evers. Mit ihren Sonden erkunden die beiden die Felder im Dortmunder Süden. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

Der Jackpot im Heuhaufen Mit Sondengängern unterwegs

Von weitem gesehen ähnelt das Gerät, das Rainer Evers in seinen Händen hält, einem ultramodernen Staubsauger. Unten am Gestänge sitzt jedoch kein Bürstenkopf, sondern eine flache Suchspule. Auch schiebt Herr Evers die Apparatur nicht über das Feld, er schwenkt die Spule, ebenso zügig wie gleichmäßig, knapp über dem Boden im Halbkreis hin und her. Zudem trägt er einen Kopfhörer. Wir hören, wie es aus dem Kopfhörer piept – mal laut, mal leise, mal hell und mal dunkel. Die unterschiedlichen akustischen Signale verraten Sondengängern, ob und was der Boden vor ihren Füßen verbergen könnte. Plötzlich bleibt Herr Evers stehen, kniet sich hin und beginnt vorsichtig zu graben. Es dauert eine Weile, dann fördert er ein verbogenes, stark verschmutztes Stück Metall zu Tage. Er lacht. Das Teil könnte von einem Pflug oder einer Egge abgebrochen sein. „Meinem Sohn wäre das garantiert nicht passiert“, meint er. „Der versteht sich wesentlich besser darauf, die Töne zu interpretieren.“

Oben: Stadtarchäologe Ingmar Luther (m.) von der Dortmunder Denkmalbehörde freut sich über die enge Zusammenarbeit mit den Sondengängern Rainer und Stefan Evers. Rechts: „Eine vorgeschichtliche Scherbe ist umso vieles aussagekräftiger als beispielsweise ein Reichspfennig“, sagt Luther. „Die Pfeilspitze ist der Jackpot im Heuhaufen.“

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„Der Hauptfokus liegt natürlich auf dem Ohr.“

Dennoch war es Rainer Evers, dem im Mai dieses Jahres ein spektakulärer Fund gelang – und zwar mit bloßem Auge. „Der Hauptfokus liegt natürlich auf dem Ohr“, verrät Herr Evers. „Aber das Auge ist beim Suchen ja permanent auf den Boden gerichtet. Man verfolgt die Spule immerzu. Und dann habe ich das kleine Ding da liegen gesehen. Ich wusste zwar nicht sofort, was das war, wohl aber, dass es etwas Besonderes sein musste. Dafür bekommt man mit der Zeit einen Blick. Und dann bin ich mit geschwellter Brust rüber zu meinem Sohn und konnte sagen: ,Hey, guck mal, was ich hier gefunden habe!‘“

Vor viereinhalbtausend Jahren Bei dem besagten Ding handelt es sich um eine Pfeilspitze aus Feuerstein. „Als ich die Spitze gesehen habe, hätte ich Luftsprünge machen können“, erzählt Ingmar Luther. Seine Begeisterung über den Fund ist dem Archäologen der Dortmunder Denkmalbehörde noch Monate später anzumerken. „Selbst wenn man steinzeitliche Gräber untersucht, findet man selten ein so gut erhaltenes Stück. Für Dortmund kennen wir bislang nur ein vergleichbares Objekt, aus Oespel. Schauen Sie sich diese Pfeilspitze genau an: keine Patina, keine Haarrisse, keine Absplitterungen. Der unbeschädigte Flügel endet annähernd auf gleicher Höhe wie der Stiel. Das ist ein ganz klassisches Zeichen für ein Relikt der Glockenbecherzeit. Die Spitze dürfte demnach etwa 2.600 bis 2.200 vor unserer Zeit hergestellt worden sein.“ Die Bedeu-

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REPORTAGE

tung des Fundes seines Vaters hatte Stefan Evers sogleich einordnen können. Unverzüglich hatte er dem Dortmunder Archäologen ein Foto geschickt. Man steht seit Jahren in gutem Kontakt. Das Verhältnis zwischen Privatperson und Amt basiert einerseits auf geltendem Recht, ist im konkreten Fall aber auch ein Ausdruck großen Vertrauens. Die rechtliche Seite regelt das Denkmalschutzgesetz. Demnach benötigt, wer mittels Metalldetektor im Boden gezielt nach Gegenständen sucht, Fachbegriff „sondeln“, eine Genehmigung der zuständigen Denkmalbehörde. Ferner muss der Grundbesitzer seine Erlaubnis geben. Wer keine Autorisierung hat, macht sich strafbar. Prinzipiell verboten ist das Sondeln auf Wiesen und in Wäldern. Tatsächlich ist in erster Linie der Schutz der Sondengänger Grund für diese Ausschlüsse. Es drohen nämlich, weil der Wald- und Wiesenboden eventuell seit Jahrzehnten unberührt ruht, noch dicht unter der Oberfläche liegende Weltkriegsblindgänger bei unfachmännischem Kontakt zu explodieren.

„Reichspfennige sind IKEA-Ware“ Rainer und Stefan Evers sondieren grundsätzlich das Erdreich auf Äckern und Feldern. Gelegentlich aber werden sie bei Grabungen in durchaus sensiblen Bereichen miteinbezogen. Dann sind sie gleichsam im Auftrag der Denkmalbehörde unterwegs. Ob ein Autodidakt in diesen engeren Kreis eingeladen wird, hängt letztlich von seinem individuellen Motiv als Sondengänger ab. „Wer das macht, weil er Silber vom Dänenkönig Blauzahn finden möchte oder vielleicht einen zweiten Dortmunder Goldschatz, der gibt sich Illusionen hin“, sagt Ingmar Luther. „Und wenn wir den Eindruck haben, dass jemand das schnelle Geld mit Devotionalien aus dem Dritten Reich machen möchte, kommt er für eine Zusammenarbeit mit uns auch nicht in Frage. Unsere Arbeit hat nichts mit rein fundorientiertem Suchen zu tun. Im Vordergrund steht der historische Stellenwert. Ich bin nicht naiv. Ich weiß natürlich, dass die meisten unterwegs sind, um Bunt- oder Edelmetallfunde zu machen. Deswegen bin ich dankbar, dass es Leute wie die Herren

„Wer das macht, weil er Silber vom Dänenkönig Blauzahn finden möchte, der gibt sich Illusionen hin.“

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Dabei sein Evers gibt, die im Hinterkopf haben, wie ein Stück gebrannte Keramik aussieht. Die fällt ja auf dem Acker kaum auf. Wie denn auch? Es handelt sich um bei 600 Grad Celsius gebrannten Dreck, um es mal stark vereinfacht auszudrücken. Der gibt uns aber Informationen.“ „Eine vorgeschichtliche Scherbe ist umso vieles aussagekräftiger als beispielsweise ein Reichspfennig. Reichspfennige hat man, ohne Struktur oder Muster, flächendeckend verloren. Für uns ist das IKEA-Ware. Die Archäologie setzt andere Schwerpunkte. Was für uns relevant ist, mag auf Außenstehende womöglich unscheinbar wirken. Aber wer ein Auge dafür entwickelt hat, und zwar, weil ihn die Geschichte vor Ort interessiert, dem gelingen unter Umständen sogar Funde wie die Pfeilspitze. Die Pfeilspitze ist der Jackpot im Heuhaufen.“

hat viele

Vorteile Mehr Schutz im Betrieb, mehr Sicherheit im Leben und dadurch mehr persönliche Freiheit. Wäre doch schade, Sie würden darauf verzichten, oder?

Wenn Geschichte verschwindet Da stellt sich die Frage nach einem zu beziffernden Wert des besagten Jackpots. Der Materialwert läge bei etwa zwei Cent, meint Herr Luther. Das ist nichts, spielt aber keine Rolle. Entscheidend ist der ideelle Wert, festgesetzt durch die oberste Denkmalbehörde anhand einer Tabelle. Doch sollte man, trotz regionaler Besonderheit, keine beeindruckenden Summen erwarten. Höher einzuschätzen wäre der Fund, würde er eine Art Missing Link zwischen zwei Kulturen darstellen. Bei der Pfeilspitze ist das leider nicht der Fall. Wie auch immer, Eigentümer sind, laut Denkmalschutzgesetz, Rainer und Stefan Evers, und die sondeln nicht, um reich zu werden.

Die IG Metall finden Sie 3 x in Ihrer Region: 44793 Bochum, Alleestraße 80 Tel. 0234 0234 – Tel. – 96 96 44 44 60 60 44135 Dortmund, 44135 Dortmund, Ostwall Ostwall 17 17 –– 21 21 Tel. 0231 – 57 70 60 Tel. 0231 – 57 70 60 44623 Herne, Schulstraße 24 44623 Herne, Viktor-Reuter-Str. 23 Tel. 02323 – 14 63 80 Tel. 0234 – 964 46-24

„Der Fund an sich ist in dem Moment, wo man ihn macht, natürlich ein ganz tolles Erlebnis“, erzählt Stefan Evers. „Es geht uns nicht darum, die Dinge später zu veräußern. Ebenso wenig geht es darum, diese Pfeilspitze, quasi als Jagdtrophäe, zu Hause in einer Vitrine auszustellen. Da würde ich ja ohnehin nicht jeden Tag draufschauen. Wir möchten anderen Leuten die Gelegenheit geben, sie zu sehen. Deswegen haben wir verabredet, dass sie bei der Behörde bleibt.“ Es ist also gut möglich, dass die Pfeilspitze, eventuell als Leihgabe, der Öffentlichkeit demnächst im Rahmen einer Ausstellung präsentiert werden kann. Einer Meinung sind Evers und Luther auch in ihrer Verurteilung illegaler Grabungen. Grabungen, bei denen zahllose historische Objekte für immer abhandenkommen und mit ihnen die Chance, Licht ins geschichtliche Dunkel zu bringen. Selbst bei einer Fläche, die heute „leer“ scheint, weiß man nicht, ob das immer so war oder ob sie ausgeplündert wurde. „Da blutet das Herz, zu sehen, wie manche Menschen die Dinge zerstören“, ärgert sich Stefan Evers. „Da werden Fundstücke entfernt und niemand bekommt es mit. Sogar im Wald. Man muss sich nur die Wälle an der Hohensyburg anschauen. Die sind gespickt mit Löchern. Da findet man absolut nichts mehr. Da ist Geschichte unwiederbringlich verlorengegangen.“ Und diese Geschichte hat ihn schon immer fasziniert, schon als Kind, als er aus dem Fenster des Elternhauses über die Felder schaute und sich fragte, wie es hier vor langer, langer Zeit ausgesehen haben könnte.

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DAS FOTO

Mumbai, Indien: Ein Arbeiter mit Mund-Nasen-Schutz trägt einen Sack an einem Graffito vorbei, das den Einsatz von Pflegekräften würdigt. So global wie die Corona-Krise und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung – Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht –, so global sind auch die Formen ihrer künstlerischen Bearbeitung. Streetart ist die Kunstform der Pandemie. Auf der ganzen Welt erlebt sie einen Boom, mit mutmachenden, dystopischen und explizit politischen Inhalten. Foto: Francis Mascarenhas / Reuters

MIETEN & WOHNEN

Die zweite Miete von Vonovia, LEG & Co Von Knut Unger, MieterInnenverein Witten, Plattform kritischer ImmobilienaktionärInnen Wer als Mieter noch keine Nebenkostenabrechnung für das vergangene Jahr erhalten hat, dem flattert sie bald ins Haus. Oft sind diese Abrechnungen, die eigentlich nur „durchlaufende“ Posten des Vermieters enthalten sollten, jedoch falsch und überhöht. Besonders für börsennotierte Wohnungskonzerne wie Vonovia und LEG ist die „zweite Miete“ zu einem lukrativen Geschäftsfeld

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geworden, das systematisch beackert wird. Dabei greifen sie zu einem plumpen Trick: Sie gründen Tochtergesellschaften, die der Kontrolle der Konzernspitze unterworfen sind. Diese rechnen ihre Leistungen so ab, dass dem Konzern durch die Umlage auf die Mieter ein Gewinn entsteht. Inzwischen beruhen bei Vonovia fast alle Garten- und Reinigungsarbeiten, viele

Wartungstätigkeiten, Stromkosten, Kabelgebühren, die Anmietung von Verbrauchserfassungsgeräten und Gasabrechnungen auf konzerninternen Festsetzungen, die MieterInnen nicht überprüfen können. Auch Modernisierungen werden überwiegend „konzernintern“ abgerechnet. Die Gewinne aus diesem System betragen weit über 100 Millionen Euro im Jahr. Auch die LEG Immobilien AG geht so vor: Sie plant, alle


KOMMENTAR

Warum nicht Hotels? Von Bastian Pütter Sobald es kälter wird, erreichen uns Fragen, die die Unterbringung von Wohnungslosen betreffen. Bis 2015 war das meist verbunden mit dem Verweis auf Leerstände. Seit der „Flüchtlingskrise“ wurde auf die mit beeindruckendem Tempo geschaffenen Unterkünfte für Geflüchtete verwiesen. Vor dem ersten Corona-Winter lautet die Frage oft, ob nicht in der Pandemie kaum belegte Hotels genutzt werden können. Die Antwort lautet immer: Im Prinzip ja.

Unterbringung von Obdachlosen

Obdachlose haben ein Recht auf Unterbringung. Interessanterweise begründet sich dieser Anspruch ordnungsrechtlich: „Unfreiwillige“ Obdachlosigkeit stellt eine Beeinträchtigung des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit dar. Es ist deshalb staatliche Aufgabe, Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr zu ergreifen. Die Kommunen kommen dieser Aufgabe nach, indem sie Notunterkünfte vorhalten, die sie selbst betreiben, an gemeinnützige Betreiber oder wie in Dortmund an gewinnorientierte Dienstleister vergeben. In der Praxis gibt es zwei Hürden auf dem Weg in die Unterbringung: eine subjektive und eine objektive. Bürokratische Hürden wie Ämtervorsprachen, Distanzen und die Qualität der Unterbringung entscheiden, ob Wohnungslose die Straße vorziehen. Mit Freiwilligkeit hat das meist wenig zu tun, eher mit Ängsten, Handicaps und fehlenden Ressourcen. Die zweite Hürde sind rechtlich hochproblematische Zugangsbeschränkungen: Zugang zu Notunterkünften erhält nicht, wer obdachlos ist, sondern bei wem der Kostenträger (meist das Sozialamt) die Kosten der Unterbringung übernimmt. In der Pandemie hat sich die Situation verschärft. Sammelunterkünfte sind weltweit Hotspots der Ansteckung, viele Wohnungslose haben berechtigte Angst vor Ansteckung. Am 28. Mai forderten wir mit 14 Organisationen in einem Offenen Brief an Bochums OB Thomas Eiskirch, den Schutz der Bewohner in den Unterkünften zu verbessern. Am 23. Oktober erhielten wir auf Nachfrage diese – gelinde gesagt unbefriedigende – Antwort: „Generell werden Offene Briefe nicht beantwortet. Der Brief wurde aber zum Anlass genommen, in der Sitzung der AG ,Flüchtlinge‘ im Juni 2020 zu den Inhalten des Briefes zu berichten.“ Hotels können eine geeignete Unterbringungsform sein. Wenn es an etwas mangelt, dann nicht an Räumen und guten Ideen, sondern eher an der Entschlossenheit der Kommunen, ihrer Pflicht nachzukommen, für sichere und menschenwürdige Unterbringung zu sorgen.

Zentralheizungen an eine eigens gegründete Tochtergesellschaft auszulagern. Die Mieter sollen dann die ins Haus gelieferte Wärme bezahlen, ohne die tatsächlichen Kosten kontrollieren zu können. Natürlich ist diese Bereicherungsmethode rechtlich angreif bar. Der MieterInnenverein Witten widerspricht allen konzerninternen Belegen, doch Vonovia weigert sich, die realen Kosten nachzuweisen. An Grundsatzklagen und im Zweifel gesetzlichen Klärungen führt kein Weg

vorbei. MieterInnen sollten die Betriebsund Modernisierungskostenabrechnungen der Konzerne nicht einfach akzeptieren. Am besten wenden sie sich an ihren Mieterverein, zahlen allenfalls unter Vorbehalt und unter der Bedingung, dass die tatsächlichen Kosten nachgewiesen werden.

DIE ZAHL

3.500 Euro würde im Mittel die Ausstattung einer Schulklasse mit einem hocheffizienten Luftreiniger und Plexiglastrennwänden kosten. Nach einer Studie der Bundeswehruniversität München / Neubiberg seien die Alternativen „weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll“. Dauerlüften sei „keine Option für Herbst und Winter“, sichere FFP2/3-Masken kosten rund 20.000 Euro pro Jahr und Klasse.

MieterInnenverein Witten und Umgebung e.V. Schillerstraße 13, 58452 Witten www.mvwit.de

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REPORTAGE

Die Krise hat Straßenobdachlosigkeit in Dortmund sichtbarer gemacht und die Lebenslagen der Betroffenen drastisch verschärft. In der Berichterstattung kommen AnwohnerInnen und Gewerbetreibende zu Wort, die sich gestört fühlen, und Hilfsorganisationen, die einordnen und Defizite in der Versorgung benennen. Meist fehlt die Perspektive derer, um die es geht. Was bedeutet es, draußen zu sein? Wie beschreiben Wohnungslose in Dortmund ihren Alltag? Von Bastian Pütter und Sebastian Sellhorst Fotos: Sebastian Sellhorst

DIE ANDERE SEITE BERND

(Alle Namen geändert) „Ich bin auf der Straße, seit ich 14 oder 15 bin. Als Kind war ich im Heim. Seitdem bin ich unterwegs. Natürlich hatte ich zwischendurch auch immer mal wieder eine Wohnung. Aber mittlerweile findest du einfach überhaupt nichts mehr. Mein Kumpel Achim und ich haben uns ein Zelt hier vom Hygienezentrum besorgt und uns was ein bisschen außerhalb gesucht. Nicht zu weit weg, damit du zu Fuß noch überall hinkommst. Wir gehen jeden Tag in die Stadt, um uns was zu essen zu besorgen und dreimal die Woche hier duschen.

Wir sind immer zu zweit unterwegs, weil im Moment so viel auf der Straße passiert.

Du musst schon viel beachten, wenn du draußen bist. Wir haben uns jetzt Styroporplatten aus dem Baumarkt besorgt und die unter unser Zelt gelegt. Das isoliert zusätzlich zu den Isomatten. Dazu zwei Schlafsäcke, und es geht, wenn es nicht zu kalt ist. Und du musst dein Essen immer luftdicht verschließen! Wenn man sich kümmert und das alles organisiert, kommt man irgendwie klar. Ich hab aber auch schon in Aufzügen von U-Bahn-Stationen geschlafen. Aber wenn du dich einfach irgendwo hinlegst, wird’s spätestens im Winter lebensgefährlich. Wir sind immer zu zweit unterwegs, weil im Moment so viel auf der Straße passiert. Neulich haben sie jemanden, der hinten am Hornbach geschlafen hat, mit weißer Farbe übergossen. Da hat man noch tagelang weiße Fußspuren gesehen. Ich frage mich immer, warum Leute so was machen. Am besten bist du mit Leuten unterwegs, denen du vertrauen kannst, damit immer einer aufpasst. Ob das wegen Corona gerade so schwierig ist auf der Straße? Vielleicht. Die Einrichtungen tun ja was sie können, aber es läuft halt alles auf Sparflamme.“

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Meinen Rucksack kann ich kaum tragen, ist ja mein Leben drin. MARC

„Jetzt schlaf ‘ ich hier vorne auf dem Treppenabsatz. Da bin ich auch überfallen und ausgeraubt worden. Es ist unglaublich viel Gewalt auf der Straße. Angst hilft Dir nicht. Ich hab keine Angst vor Schmerzen mehr, ich hab zu viel erlebt. Aber ich nehm‘ auch viel. Benzodiazepin, Oxazepam, Alkohol, das geht nicht anders. Wegen der Kälte, um lächeln zu können beim Schnorren. Die Straße schaffst du nicht nüchtern. Ich warte auf einen Therapieplatz. Das ist eigentlich schon alles in die Wege geleitet. Vielleicht geht es Anfang Dezember los, vielleicht im Januar. Vor meinem Rückfall hatte ich fast meine Ausbildung zum Fitnesstrainer fertig. Hier, ich zeig‘ Dir mal die Fotos: Ich war richtig fit, top Körperfettwert, sehr definiert. Ich wollte als Personal Trainer arbeiten, hatte schon Kunden. Die Trinkbrunnen sind abgestellt, alle Toiletten in den Ämtern und so sind zu. Die Citytoiletten, die für 50 Cent, sind abgerissen. Letzte Woche hab ich heimlich in eine Flasche gepinkelt. Das kostete dann 50 Euro, sagt das Ordnungsamt. Meinen Rucksack kann ich kaum tragen, ist ja mein Leben drin. Ich beweg‘ mich nicht weit weg. Ein heißer Kakao kostet da vorne zwei Euro, den gibt’s bis 18.30 Uhr, danach musst du gucken, wie du warm bleibst. Dein Kollege kommt ja hier immer vorbei mit Kaffee und so. Der bringt mir morgen so eine Cargohose mit, die groß genug ist, dass ich sie über die Trainingshose ziehen kann. Ich hab‘ zwei Schlafsäcke, einer muss trocken bleiben, Pappe zum Drauflegen und das war‘s.“

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REPORTAGE

KATRIN

„Es ist rau auf der Straße. Ich rede nicht schlecht über andere, ich mische mich nicht ein, ich versuche, mich aus allem rauszuhalten. Auch von den Einrichtungen bleibe ich meist weg. Die machen da, was sie können, das ist nicht deren Schuld, aber es gibt viel Stress und Konkurrenz. Man wartet lange für ein Butterbrot, manche wollen nicht warten – und dann wird man schnell in was hineingezogen. Ich bettle deshalb. Dann kann ich mir meist einen Kaffee selbst kaufen. Viele Kalorien bekommt man nicht auf der Straße. Klar ist es mehr geworden hier. Viele Süchtige betteln inzwischen aggressiv, stellen sich in den Weg. Das ist nicht gut. Ich schlafe in der Innenstadt, ein bisschen abseits. Ich habe alles, was ich brauche. Letztens kam nachts ein Opa – ich sag das so: ein Opa – vorbei und hat mich angeschnauzt: Ich soll verschwinden oder er ruft die Polizei. Ich bin geblieben und er hat die Polizei angerufen. Die haben gefragt, ob Platz genug ist, an mir vorbeizugehen. Da war ja riesig breiter Bürgersteig, also ja. Darauf haben sie gesagt, dass sie nicht kommen. Es sind viele in der Stadt, die sind so elend, für die ist es schon zu viel, sich zu merken, wann die Obdachlosenärzte wo Sprechstunde haben. Ich habe jetzt so eine kleine Verbandstasche dabei. Es kommen oft Leute zu mir, die eigentlich einen Arzt brauchen. Seit Monaten sag‘ ich: Die sollen endlich Toilettenwagen aufstellen. Ganz lange war alles zu. Ich habe weniger Probleme, aber wenn man elend aussieht, kommt man in keinen Laden, und sonst gibt es fast nichts. Dafür gibt’s dann die ,nette Toilette'. Keine öffentlichen Klos, aber man darf ins Restaurant, wo so ein Schild dran ist. Die würden sich bedanken, wenn die Obdachlosen kämen, aber die trauen sich nicht. Dafür verdreckt die Stadt. Man könnte da schon was machen. Flugzettel mit Cartoons, mit einem Augenzwinkern zum Beispiel. Was stört und was nicht. Oder kleine Zelte für die Habseligkeiten, dass nicht alles rumfliegt. Wenn jetzt ein Zelt kommt, wenn es warmes Essen gibt, ohne dass man dabei im Regen steht, mit Toiletten, ist das sehr gut.“

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Wenn jetzt ein Zelt kommt, wenn es warmes Essen gibt, ohne dass man dabei im Regen steht, mit Toiletten, ist das sehr gut. CHRISTIAN

„Ich hab mit Olli Platte gemacht, mit anderen zusammen. Eigentlich hab ihn in der Adlerstraße kennengelernt. Da war mal die Notschlafstelle, damals war es ok. Zwischenzeitlich hat er mal ‘nen Job gehabt, nach drei Monaten war das wieder vorbei. Zuletzt hat er in der Nähe vom Hauptbahnhof geschlafen.

ANDREJ

„Wir schlafen in der Notübernachtungsstelle. Seit drei Monaten ungefähr, einige auch schon länger. Es soll Notwohnungen geben, in die man ziehen kann, wenn man hier zwei Wochen aushält. Aber, naja. Wegen Corona haben sie das eine Bett in der Mitte rausgenommen, jetzt ist es ein Vierbettzimmer. Um sieben Uhr ist Wecken, um acht musst du draußen sein. Wenn du zu langsam bist oder verschläfst, gibt es Strafen. Dann darfst du erst um 22 Uhr wieder rein. Am Eingang wirst du kontrolliert wie im Knast, wenn du dich beschwerst, fliegst du raus. Mein Kollege hat mal auf Russisch geschimpft, einer der Security-Leute hat das falsch übersetzt, sagt er, wie eine Drohung, dabei war das nur Fluchen. Dann musste er eine Woche draußen schlafen. Das war die Hölle, sagt er. Das geht nicht. Man ist doch sowieso schon den ganzen Tag draußen. Wir sind tagsüber hier am Supermarkt, aber das nervt die Leute auch, oder wir stellen uns in die Essenschlangen. Man läuft viel. Wichtig ist, dass du Leute hast. Allein macht dich das fertig. Ich glaub schon, dass es weitergeht. Ich bin ja noch jung. Im Moment kümmern sich die Sozialarbeiter um meine Papiere, ich hab nur Taschengeld gerade. Das mit dem neuen Leben, das scheint noch was zu dauern.“

Sein Platz war am Ende der Fußgängerzone. Da hat er geschnorrt. Irgendwann kannte ihn da jeder. Die Leute haben ihm auch mal eine Pizza vorbeigebracht oder einen selbstgemachten Eintopf. Es ging ihm schon schlecht. Ich habe ihn am Tag vorher noch gesehen. Er hat gesagt: Ich glaub, ich schaff’s nicht. Ich wusste gar nicht, was er meint. Abends hatten wir dann Bekannte getroffen, die haben eine Wohnung. Die haben gesagt, es ist in Ordnung, wenn er sich da eine Woche ausruht. Als er ins Auto gestiegen ist, war er wie verwandelt, als wär alles abgefallen von dem. Nachts um 2 Uhr hat er aufgehört zu atmen. Entkräftung oder so etwas haben die Ärzte gesagt. Wir haben dann eine kleine Trauerfeier gemacht, an seinem Schnorrplatz. Mit Kerzen, und wir haben mit Kreide auf den Boden geschrieben, über ihn gesprochen, ein Bier auf ihn getrunken, sowas. Wir waren ein Dutzend Leute oder so, viele hatten es aber nicht mitbekommen. Es wären mehr gekommen. Die Stadtreinigung hat das dann ein paar Tage stehenlassen. Hätte ich gar nicht gedacht. Jetzt ist alles weg. Nein, ein bisschen Schrift sieht man noch. Wir haben mit der Polizei gesprochen. Aber die dürfen die Adresse der Familie nicht herausgeben. Wir hätten denen gern was erzählt über ihn. An seinem Platz schlafen jetzt zwei Rumänen. Die sind wohl aus England gekommen, die schmeißen da alle Ausländer raus. Wir haben mit denen nichts zu tun, aber bei unserer Gedenkfeier kam einer und stellte sich dazu.“

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

SCHLEHE

Prunus spinosa

A REZEPT 750 g Schlehen entkernen und mit 150 g getrockneten Pflaumen, gehackt, 1 Zwiebel, gehackt, 150 g Rohrzucker sowie 1 Zimtstange in 250 ml Cidre auf kleiner Flamme und unter ständigem Rühren 45 Minuten lang köcheln lassen. Den Zimt entfernen, die Masse pürieren, mit 4 EL Balsamico mischen, noch einmal kurz aufkochen lassen und heiß in sterile Gläser füllen. Als Beilage zu Wild oder herzhaftem Käse.

nno 1658 erschien „Die Truckene Trunkenheit“. Der Verfasser, Sigmund von Birken, war Mitglied der literarischen Vereinigung „Die Fruchtbringende Gesellschaft“ und ein seinerzeit viel gelesener Autor von Dramen, Liedtexten und Gedichten. Außerdem war er Prinzenerzieher am Hof zu Wolfenbüttel, aber das ist eine andere Geschichte. Seine truckene Trunkenheit basiert frei auf Jakob Baldes „Satyra contra abusum tabaci“. Beide Schriften sind launige Traktate über das Für und Wider des Rauchens – ein Thema, welches enorme Sprengkraft birgt. Heute noch. Einen Coup konnten die Tabakgegner 2008 mit der Verschärfung der Nichtraucherschutzgesetze für Gaststätten landen. Das ist schön für das Wohl von Personal und Gästen, schlecht für die finanzielle Situation zahlreicher Gastronomen. Deren Einnahmen schmolzen. Die Abstinenzler sind seither beflügelt. „Nach dem erfolgreichen Kampf gegen den volksschädlichen und auch individuell nicht eben gesundheitsförderlichen Tabak stehen die nächsten Schlachten auf dem langen Marsch in die Gesundheits(-korrekte)gesellschaft an: Gegen Alkohol. Er macht bekanntlich krank, enthemmt und führt zu sozialem Fehlverhalten…“ las man darob im „Spiegel“. Rauchen war nie Thema der Wildkräuterkolumne. Hier geht es um andere Genüsse, meist ums Essen. Alkohol kommt schon mal vor, so im vergangenen Monat. Vorgestellt hatte ich einen sauer-herben Vogelbeerlikör. Ob ein solcher für ein Straßenmagazin taugt, wird sehr wohl diskutiert. Ich finde es grundsätzlich okay, würde sonst kaum darüber schreiben. Heuer aber steht ein feines Mus im Mittelpunkt. Die Anmoderation des bezüglichen Rezeptes überlasse ich nur zu gern der Alko-

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gegenseite – in Person von Carlotto Schulz, Gesundheitslehrer und 1906 Verfasser eines vegetarischen Kochbuchs. Schönstes Jugendstildesign ziert dessen Einband. Ich liebe auch den Tonfall. Es geht um die Schlehe: „Diese gesunde Frucht, welche wild wächst, d.h. ohne alle menschliche Pflege, ist zwar wegen ihrer Herbheit zum Rohgenuss für die verwöhnte Zunge des Kulturmenschen nicht recht geeignet. Dennoch verschmäht er es nicht, die äußerst heilsamen Eigenschaften der Schlehen sich nutzbar zu machen, leider meist in der verkehrtesten Weise von der Welt: es wird nämlich in der Regel ein Schnaps davon bereitet. Überlassen wir dieses Getränk denen, die es nötig haben…“ Wer im Mus den Cidre meiden möchte, kann Apfelsaft nehmen.

Die Schlehe wird auch Schlehdorn, Heckendorn oder Schwarzdorn genannt. Der Name der Schlehe ist wohl auf die Farbe ihrer Frucht zurückzuführen und leitet sich von dem indogermanischen Wort (S)li ab, was „bläulich“ bedeutet. Man findet diese ursprüngliche Bedeutung auch als Silbe im Pflaumenschnaps Sliwowitz wieder. Das russische Wort „Слива” (Sliwa) oder das serbokroatische „šljiva” bedeuten Zwetschge.


KULTUR

Neues Revier für das Junge Schauspielhaus Die Bochumer Zeche 1 hat in den vergangenen Jahren häufig ihre Gestalt gewandelt. Seit neuestem heißt sie Theaterrevier und ist das Zuhause für das Junge Schauspielhaus der Stadt. Ausgestattet mit einer großzügigen Förderung des Landes und spannenden, innovativen Konzepten, steht das neue Projekt offenbar auch zukunftssicher. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Martin Steffen

J

ohan Simons hatte die Zeche 1 zu Beginn seiner Intendanz am Schauspielhaus Bochum wieder zur Spielstätte des Hauses gemacht – und damit Unmut in der freien Szene der Region ausgelöst: Vorher war sie Heimat der Streetdance-Kompanie Renegade, die dort ein Zentrum für urbane Kunst aufzubauen versuchte. Das stieß zwar auf Interesse und Unterstützung aus der jungen, freien Kulturszene – aber nicht bei den großen Geldgebern. Auch der erste Plan von Johan Simons‘ Team, dort einen Raum für Theaterexperimente zu schaffen, schlug fehl: Zu gering war das Interesse des eher klassisch orientierten Schauspielhaus-Publikums an Performances und Stückentwicklungen. Gleichzeitig wurde in der Stadt Kritik laut, weil das Junge Schauspielhaus, das in der neuen Intendanz ohne festen Ort agierte, an Sichtbarkeit verlor. Dass das Land NRW 1,3 Millionen Euro aus seinem Programm „Neue Wege“ für das Projekt Theaterrevier bereitstellte, kam also wie gerufen.

Mit dieser Förderung im Rücken kann die Leiterin des Jungen Schauspielhauses Cathrin Rose erstmal in den kommenden drei Jahren ein Programm umsetzen, das in besonderem Maße von den jungen Teilnehmern selbst gestaltet wird. Herzstück des Theaterreviers ist die Drama Control, ein 15-köpfiger Aufsichtsrat aus Menschen zwischen fünf und 21 Jahren. Sie ist so besetzt, dass sie die verschiedenen Lebensrealitäten innerhalb der Bevölkerung abbildet. In den Jugendclubs, die jetzt Banden heißen, wurde gezielt nach Mitgliedern gesucht, die Interesse haben, künstlerische und programmatische Entscheidungen für den neuen Ort zu treffen. Sie sollen Themen setzen oder konkrete Stücke auswählen und schauen sich dafür Theater an – im Schauspielhaus Bochum, aber auch an anderen Orten. Mit den Mitgliedern des Bochumer Ensembles bilden sie „Spielzeitpaare“: Sie besuchen gemeinsam mit ihnen Proben, tauschen sich aus und diskutieren über die Schauspielkunst. Und sogar Unternehmungen außerhalb des Theaterbereichs, zum Beispiel gemeinsam zur Schule zu gehen, sind angedacht. Wegen der Corona-Maßnahmen kann das Theaterrevier momentan zwar noch nicht volle Fahrt aufnehmen, im September konnte es jedoch immerhin eröffnen: Die Uraufführung „The Last Minutes Before Mars“ der Gruppe Mammalian Diving Reflex besteht aus einer Kombination von 360-Grad-Videos, Virtual-Reality-Technologien und Live-Performances, die zeigen, was Jugendliche aus dem Ruhrgebiet machen würden, wenn sie nur noch ein paar Minuten auf der Erde hätten. 23


Kalender November | Dezember | 2020

Es sind karge Zeiten für das Lebensmittel Kultur. Gleichzeitig macht die Pandemie Planung, Vorausschau und, ja: Vorfreude zu recht unsicheren Beschäftigungen. Wir haben trotzdem zusammengestellt, welche Alternativen zum heimischen Sofa sich in diesem Monat bieten. Natürlich kann auch alles ganz anders kommen, Veranstaltungen können nicht oder anders stattfinden. Aber unser Kalender ist auch so etwas wie ein Statement: (Freie) Kultur ist auf eine Art immer unsicher, prekär und muss sich der Frage stellen: Braucht es sie denn? Die einfache Antwort ist: Ja.

SO 01 | 11 | 20 – SO 28 | 03 | 21 Ausstellung | Gesichter der Arbeit Rauchende Schlote, Menschen in Kittelschürze und Blaumann: Die Ausstellung „Gesichter der Arbeit – Fotografien aus Ostberliner Industriebetrieben von Günter Krawutschke“ Anzeige

VieL MEhr

SIBYLLE KLEFINGHAUS CHRISTIAN BERKEL UTA ROTERMUND DIETRICH SCHULZE-MARMELING BEN REDELINGS FRITZ ECKENGA FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH DANNY DZIUK HARTMUT EL KURDI RAYK WIELAND LÜTFIYE GÜZEL MAX CZOLLEK WLADIMIR KAMINER JUDITH KUCKART RICHARD DAVID PRECHT U. V. A.

LITERATURFESTIVAL DORTMUND

VOM 05. BIS 15. NOVEMBER 2020 WWW.LESART.RUHR Veranstalter: Kultur und Projekte e.V. Dortmund • Kulturbüro Stadt Dortmund • Stadt- und Landesbibliothek Dortmund

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holt sie nun in die DASA Arbeitswelt Ausstellung. 50 ausgewählte Aufnahmen vermitteln ungeschönte und teils intime Einblicke in diese verschwundene Welt. Sie dokumentieren emotionale Momente und starke Charaktere vor dem nüchternen Hintergrund des harten Arbeitsalltags: Aufnahmen, die zu DDR-Zeiten zumeist nicht veröffentlicht werden konnten. Bis 28.3.2021, www.dasa-dortmund.de DASA, Dortmund

und Markus Schimpp das Publikum in der Atmosphäre eines alten Kinofoyers und bringt dieses glanzvolle und legendäre Jahrzehnt ins Hier und Jetzt. Mit dabei sind das Duo Heart's Desire (Pole), Roman & Slava (Stepptanz), Nikita Boutorine (Leiterakrobatik), Alex & Lisa (Partnerakrobatik) und Viktoriia (Strapaten). Weitere Termine : www.variete-et-cetera.de Varieté et cetera, Bochum, 19 Uhr

SO 01 | 11 | 20 – MO 09 | 11 | 20

DI 02 | 11 | 20 – MI 25 | 11 | 20

Ausstellung | Gegen das Vergessen Seit 2014 trifft und porträtiert der deutschitalienische Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano weltweit Überlebende der NS-Verfolgung. Mehr als 400 dieser Begegnungen gab es bereits in Deutschland, den USA, Österreich, der Ukraine, Russland, Israel, den Niederlanden und Weißrussland. Unter dem Titel „Gegen das Vergessen“ präsentiert er sein multimediales Erinnerungsprojekt auf der ganzen Welt. Auf Initiative des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NordrheinWestfalen kommen seine überlebensgroßen Porträts nun auch nach Dortmund. Rund 70 Werke säumen den Weg vom Eingang Ruhrallee bis zum Florianturm. Bis 9.11.20 Westfalenpark, Dortmund

SO 01 | 11 | 20 Show | Hurra, wir lachen noch! 100 Jahre nach den „Goldenen 20ern“ befinden wir uns wieder in einer Zeit, in der sich die Welt lebenshungrig nach ausgelassenen Festivitäten und berauschenden Nächten sehnt. Unter der Regie von Sammy Tavalis empfängt das Moderatoren-Duo Chantall

Ausstellung | „Ni una Menos!“ „Ni una Menos!“, so lautete die Forderung, mit der am 3. Juni 2015 Tausende Frauen und Queers in Argentinien auf die Straße gingen, um ein Ende der sexualisierten und geschlechtsbasierten Gewalt zu fordern. Die breiten, radikalen und vielfältigen Proteste, die daraus folgten, erschütterten die argentinische Regierung und leiteten massive gesellschaftspolitische Veränderungen ein. Weltweit inspirierte „Ni Una Menos!“ eine neue Welle der Frauenbewegung, die sich heute mit ihrem intersektionalen Ansatz gegen das Patriarchat und für ein solidarisches Miteinander einsetzt. Die Proteste für Freiheit und Selbstbestimmung wurden vom argentinischen Fotografen Juan Mathias in beeindruckenden und bewegenden Fotografien festgehalten. Bis 25.11.20, Eintritt frei. Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund, Di. bis Sa., 10 – 22 Uhr

DI 02 | 11 | 20 – SO 22 | 11 | 20 Ausstellung | #onthemove – Stadt in Bewegung Das Ausstellungsprojekt zeigt gewohnte und ungewöhnliche Sichtweisen auf die Stadt als


BODO-TIPP

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Dortmunds großes Literaturfestival trotzt Corona. Auch in diesem Jahr bietet LesArt ein breitgefächertes Programm an besonderen Orten: im wahrsten Sinne von jung bis alt – beginnend mit dem Kindergartenbuchtheaterfestival und den Schulschreibwerkstätten – und von avantgardistisch bis populär.

LesArt. Literaturfestival

5. bis 15. November Dortmund

Fritz Eckenga, Friedrich Küppersbusch u.a. gestalten einen Abend für den im vergangenen Jahr verstorbenen Wiglaf Droste, die Dortmunder Stadtbeschreiberin Judith Kuckart (Bild) geht mit ihrem Erzähltheaterprojekt Hörde auf die Bühne, Wladimir Kaminer, Lütfiye Güzel und Max Czollek, Richard David Precht, Christian Berkel und viele andere kommen. Außerdem wird der LesArt.Preis der jungen Literatur 2020 verliehen. Veranstaltungsorte sind neben Fletch Bizzel, Depot, Domicil und Literaturhaus auch das Hörder HansaTheater, das MKK sowie die Süd- und die Nordtribüne im Westfalenstadion.

30.10. - 25.11.2020 Fotoausstellung „Ni Una Menos“

Ausstellungseröffnung IM RECHTEN LICHT

14.11.2020 Konzert

Infos und Karten auf www.lesart.ruhr

Ort der Transformation und Interaktion, der Wege und Umwege. Das Projektteam verhandelt die Stadt als multicodierten Raum und diskutiert die Wahrnehmungsprozesse, ihre Themen, Fragen und Perspektiven – auf der Ausstellungsfläche im Dortmunder U, an konkreten Orten im Stadtraum und im digitalen Space. Bis 22.11., Eintritt frei. Infos: www.tu-kultur.de Dortmunder U, Dortmund

DI 02 | 11 | 20 Film | The Whale and the Raven Die Dokumentarfilmerin Mirjam Leuze begleitet zwei Walforscher, die an der kanadischen Pazifikküste leben. Noch ist der Kitimat-Fjord ein stiller, einsamer Rückzugsort für Buckelwale und Orcas, doch ihre Existenz wird durch eine geplante Schiffsroute bedroht. In beeindruckenden, oft meditativen Bildern lädt die Filmemacherin das Publikum in die Wildnis ein und wahrt dabei – ebenso wie die beiden Wissenschaftler – eine respektvolle Distanz zu den Meeresgiganten. Im Anschluss Gespräch der Club-TeilnehmerInnen „Silver Screen“ mit Regisseurin Mirjam Leuze. sweetSixteen, Dortmund, 19 Uhr

MI 04 | 11 | 20 Musik | Tatort Jazz mit Gastsolist Andreas Wahl „Play and Smile!“ ist das Thema des Konzertabends im Kunstmuseum Bochum. Ein Abend gefüllt mit wunderbaren Interpretationen von verschiedensten Jazzstücken. Andreas Wahl beschreitet mit seiner Gitarre einen schillernden Klangkosmos und zaubert vielseitige Gefühlserlebnisse. Unterstützt wird er von der Tatort Jazz Hausband (Matthias Dymke,

Uwe Kellerhoff) Als weiterer Gastsolist steht Sebastian Raether an diesem Abend auf der Bühne. Der Eintritt ist frei, eine Reservierung erforderlich. Infos: www.tatort-jazz.de Kunstmuseum, Bochum, 20 Uhr

MI 04 | 11 | 20 – SA 07 | 11 | 20 Film | KinoFilmFest Lünen 2020 Kino in all seiner Kraft und Vielfalt steht vom 4. bis 7. November beim KinoFilmFest Lünen auf dem Programm. Alles situationsbedingt eine Nummer kleiner, dafür konzentrierter und intensiver. 13 aktuelle deutschsprachige Lang- und sechs Kurzfilme sind zu sehen. Insgesamt werden vier Filmpreise vergeben. Alle Vorstellungen finden analog in der Cineworld Lünen statt – voraussichtlich mit Gesprächsgästen. Das Programm und Infos zum KinoFilmFest Lünen gibt es unter www.kinofilmfest.de Cineworld, Lünen

21.11.2020 Check Your Head IV Samavayo | Black Voodoo Train | Scorched Oak

27.11.2020 Bastiaan Ragas X-Mas Concert mit Meet and Greet

SA 07 | 11 | 20 Comedy | Roberto Capitoni In seinem Bühnenprogramm begibt sich Roberto Capitoni auf die Suche nach seinen Wurzeln und letztlich nach sich selbst. Dabei fragt er sich mit zunehmendem Alter immer häufiger: Wer oder was bin ich? Und wenn ja, spielt es eine Rolle? Ein großer Deutscher gefangen in einem kleinen italienischen Körper? Mit schwäbischer Seele? Oder gar umgekehrt? Auf charmante Weise entführt Roberto sein Publikum für einen Abend in seinen alltäglichen Wahnsinn, schlüpft in zahlreiche unterschiedliche Charaktere und Rollen und lässt diese auf der Bühne lebendig werden. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

04.12.2020

Dietrich-Keuning-Haus Leopoldstr. 50-58 | 44147 Dortmund Fon 0231 50-25145 | Fax 0231 50-26019

facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go" 25


KALENDER

Lesung | Lesart.Festival Dortmund 2020: Christian Berkel In seinem neuen Roman erzählt Christian Berkel die Geschichte von Ada: Mit ihrer jüdischen Mutter aus Nachkriegsdeutschland nach Argentinien geflohen, vaterlos aufgewachsen in einem katholischen Land, kehrt sie 1955 mit ihrer Mutter Sala nach Berlin Anzeige

Jugendhilfe St. Elisabeth

Essen & Lernen St. Antonius Deutsch, Mathe, Bio oder Geschichte … Helfen Sie Kindern in unserer Hausaufgabenbetreuung!

zurück. In eine ihr fremde Heimat, deren Sprache sie nicht spricht. Dort trifft sie auf den lange ersehnten Vater Otto, doch das Familienglück bleibt aus. In einer noch immer sehr autoritär geprägten Gesellschaft wächst Adas Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Die Studentenbewegungen der sechziger Jahre werden ihre Rettung. Im Rahmen des Lesart.Festivals (5.11. bis 15.11.). Weitere Veranstaltungen unter www.lesart.ruhr Theater im Depot, Dortmund, 20 Uhr

SO 08 | 11 | 20 – FR 20 | 11 | 20 Festival | WORTWORTWORT-Festival: Odysseus WORTWORTWORT ist ein deutschlandweit einmaliges Literatur- und Wortfestival für das digitale Zeitalter. Es wird die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung kreativ und innovativ nutzen, um dem literarischen und nicht-literarischen Schreiben im 21. Jahrhundert neue Formen und ein neues Forum zu bieten. Das Festival findet vom 8.11. – 20.11. statt und wird am 8.11. in der Jahrhunderthalle Bochum eröffnet. Größen der Comedy-, Literatur- und Kabarettszene, wie zum Beispiel Dietmar Wischmeyer, Tobi Katze, Frank Goosen, Sandra Da Vina und Jochen Malmsheimer werden in einer Welturaufführung Odysseus neu erzählen. Weitere Veranstaltungen unter www.wortwortwort.digital Jahrhunderthalle Bochum, BO, 18.30 Uhr

SO 08 | 11 | 20

Nehmen Sie Kontakt auf

Martina Buchbinder Projektleiterin

Tel.: (0160) 74 42 333 E-Mail: Martina.Buchbinder@ jugendhilfe-elisabeth.de

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Musik | Kleine Novembermusik Seit mehr als 20 Jahren findet an einem der ersten Novembersonntage ein Novemberkonzert mit Gemeindechören, Gesangs- und Instrumentalsolisten statt. In diesem Coronajahr ist alles anders. Dennoch soll es in der Sölder Kirche in kleinerem Rahmen eine Novembermusik geben. Aus vergangenen Konzerten bekannte Gesangs- und Instrumental-Solisten werden ein wenig Farbe in den grauen Corona- und Novemberalltag bringen. Eintritt frei, Spenden werden gerne entgegengenommen. Anmeldung unter www.georgsgemeinde.de erforderlich. Sölder Kirche, Dortmund, 17.30 Uhr

DI 10 | 11 | 20 Musik | Oleksandr Loiko Oleksandr Loiko absolvierte erfolgreich die Nationale Musikakademie in Odessa (Ukraine). Heute studiert er Klavier an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Der Pianist hat mehrere Musikwettbewerbe gewonnen (u.a. Grand Prix in der Nominierung Kammermusik, Kiew, 2016), ist Preisträger inter-

nationaler Festivals in der Ukraine, Deutschland und der Türkei. Im Konzert erklingen klassische Werke von Chopin, Rachmaninow und Piazzolla. Anmeldung erforderlich, Infos unter www.auslandsgesellschaftev.de Auslandsgesellschaft e.V., DO, 18.30 Uhr

MI 11 | 11 | 20 Comedy | Matthias Reuter Matthias Reuter öffnet den Unfugskarton und spielt Songs, Gedichte und Geschichten aus fünf Programmen. In den letzten 15 Jahren hat sich einiges angesammelt, das man aus dem Karton holen kann: Stories aus der Ruhrgebietsreihe „Schrecken des Alltags“, Songs über maulende Handys und russische Hacker, Gedichte über die kriminelle Ader der Kanzlerin oder chattende Letten im Schatten von Lappland. Flottmannhallen, Herne, 20 Uhr

FR 13 | 11 | 20 Theater | Miss you Was mache ich, wenn ich ganz allein bin und niemand mich besuchen kommt? Ich suche mir ein Stück Nähe. Wir bauen uns gemeinsam eine eigene Welt, in der wir uns nahekommen, und finden Wege des Zusammenseins in Zeiten der Isolation. Individuell verfasste und gestaltete Corona-Tagebücher der Klasse 6c des Goethe-Gymnasiums sind als wichtige Zeitzeugnisse aus der Zeit des Lockdowns in die Stückentwicklung von „Miss you“ eingeflossen. Im Stück werden sie als Tonaufnahmen und Videoprojektionen verarbeitet. KJT in der Sckellstraße, Dortmund, 11 Uhr Film | #UnsereDämonen Unsere Dämonen sind da, wenn es dunkel wird und wenn wir alleine sind. Sie ziehen uns am Ärmel und sagen: „Ich bin noch da, vergiss mich nicht.“ Wer sind sie, und was wollen sie wirklich? Diese spannenden Fragen möchte das Filmprojekt #UnsereDämonen der Theaterforschungsbande #bettertogether im Rahmen eines Abends voller Geheimnisse und Geflüster aufgreifen. Kammerspiele, Bochum, 19.30 Uhr

SA 14 | 11 | 20 Ballet | Abstand Unserem sozialen Leben ist eine Bremsspur eingezogen: 1,5 Meter „Abstand“ ist die neue Nähe. „In meiner Muttersprache besteht das Wort für ,Krise‘ aus zwei Zeichen“, bekennt Dortmunds Ballettintendant Xin Peng Wang. „Jedes für sich gelesen, bedeuten sie: ,Gefahr‘ und ,Chance‘. Wir sind in Gefahr. Wir haben


BODO-TIPP

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Jedes Jahr im November ist das endstation.kino Austragungsort eines Filmfestivals, das sich als „Festival über das Ruhrgebiet und ein Festival für das Ruhrgebiet“ beschreibt: Zum 28. Mal lädt „blicke“ für fünf Tage ins Kino im Bahnhof Langendreer.

blicke 28

filmfestival des ruhrgebiets

18. bis 22. November endstation.kino im Bahnhof Langendreer Bochum

5.0 MEETS LUZI

35 Dokumentationen, Spielfilme und Produktionen aus Experimental- und Videokunst begeben sich auf Spurensuche durch die Geschichte der Region, befassen sich zum Beispiel mit japanischen „Gastarbeitern“ in der Kohleindustrie der 50er Jahre („Glück auf “) oder den Kontinuitäten rassistischer Gewalt und vergessenen Opfern („Dunkelfeld“). Andere Filme reisen durch die Gegenwart, ans Ende Europas, behandeln Alltagsgeschichten genauso wie das große Ganze.

IM DEPOT DORTMUND

WORKSHOP & TALK 21.11.–13.12.20

In Zeiten von Corona gelten auch hier Hygiene- und Abstandsregeln – während des Festivals steht das Filmprogramm in diesem Jahr auch online bereit. Infos und Karten auf www.blicke.org

eine Chance.“ Abstand ist ein Zeitballett, das Wangs Eindrücke gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen widerspiegelt, ein Porträt einer Situation, die von der Sehnsucht nach Rückkehr zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit gesellschaftlichen Lebens geprägt ist, und die doch erkennen muss: Es ist noch ein weiter Weg dorthin. Opernhaus, Dortmund, 19.30 Uhr Musik | Teranga Afrika Festival Bochum: Anewal (Niger) Anewal ist das jüngste Projekt des Musikers Alhousseini Anivolla, der ein langjähriges Mitglied der Gruppe Tinariwen war. Gegründet wurde das Trio Anewal 2014. Tief verwurzelt im nordafrikanischen Liedgut und in Rhythmen und Melodien der Wüstenkulturen, verbindet sich die Musik des Trios mit den Elementen des global trance. In den Texten der Songs wird die politisch und kulturell schwierige Situation in der Sahara und der Sahelzone thematisiert. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

SO 15 | 11 | 20 Theater | Der letzte Vorhang Das einst sehr erfolgreiche SchauspielerDuo Lies und Richard trifft nach zehn Jahren wieder aufeinander. Vordergründig eine Beziehungsgeschichte, man verletzt und manipuliert sich gegenseitig. Vergangenes wird glorifiziert, Lebensentwürfe werden hinterfragt und nicht zuletzt die Frage nach dem Sinn von künstlerischem Schaffen gestellt: Was treibt uns immer wieder an? Es spielen Jutta Seifert und Karl Hartmann. Fletch Bizzel, Dortmund, 18 Uhr

SA 21 | 11 | 20 Musik | Schlakks & Opek & Razzmatazz Bei der Silent Session spielen Schlakks, Opek und Razzmatazz in intimster Runde. Die „üblichen“ Konzerte der drei Dortmunder sind sehr tanzbar – einige ihrer ruhigsten Songs fallen dabei oft weg. Doch genau diese Songs sind ein wichtiger Teil der Band. Am 12.11. erscheint Schlakks neue EP „Marseille“, auf der natürlich mehrere Produktionen von Opek und Razzmatazz zu finden sind. Die Drei präsentieren ihre ruhigen und atmosphärischen Songs an diesem Abend exklusiv live. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

ANMELDUNG / INFOS UNTER TRASHUP-DORTMUND.DE

SO 22 | 11 | 20 Theater | Die Ermittlung Ausgangspunkt der Ermittlung ist der Frankfurter Auschwitz-Prozess. Sie gibt Zeugnis vom Völkermord, der in Auschwitz geschehen ist. In seinem „Oratorium in 11 Gesängen“ schildert der Autor den Alltag des Lagers, die Schauplätze des Verbrechens und begleitet die Häftlinge von ihrer Ankunft bis zu den Orten ihrer Vernichtung. Den Zeugnissen der Überlebenden stehen die Aussagen der Täter gegenüber, die jede Mitschuld leugnen. Eine Produktion von Theater Gegendruck. Kunstmuseum, Bochum, 18 Uhr

MO 23 | 11 | 20 Treffen | Social Startup Stammtisch Netzwerken, Kooperationen bilden, gemeinsam Ideen entwickeln, Pläne schmieden, Erfahrungen austauschen, sich gegenseitig Tipps geben – alles ist möglich beim Social 27 Entwurf_Anzeige_Bodo_klein_03072020.indd 4

09.07.2020 09:29:20


KALENDER

BODO-TIPP

Startup Stammtisch, dem Treff für GründerInnen, etablierte SozialunternehmerInnen und alle am Thema Interessierte. Beginnen wird der Stammtisch mit einem fachlichen Input. Anmeldung erforderlich: www.wirtschaftsfoerderung-dortmund.de Werkhalle im Union Gewerbehof, Dortmund, 17 Uhr

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TRASH UP! im Depot geht in die fünfte Runde. 2016 als Do-it-yourself-Upcycling-Festival für nachhaltiges Wirtschaften gestartet, ist „Trash up“ Austausch- und Vernetzungsplattform für alle, die sich mit sozialen und technischen Innovationen für die Städte der Zukunft beschäftigen (wollen).

Trash Up! 5.0 Veranstaltungsreihe für Nachhaltigkeit und Konsumverhalten

21. November bis 13. Dezember

Depot, Dortmund

Wir suchen Dich,

Infos und Anmeldung: www.trash-up-dortmund.de

interessiert an spannenden Arbeits‐ feldern in der Unterstützung von psychisch erkrankten Menschen, bereit herausfordernde Situationen anzunehmen, nach Lösungen zu suchen und diese verantwortungsvoll, kompetent und manchmal auch kreativ mit tollen Kolleginnen und Kollegen umzusetzen,

zur Verstärkung unseres Teams in der Ergo‐ und Physiotherapie.

Wir sind der PTV ‐ Psychosozialer Trägerverbund Dortmund. Uns gibt es seit 1983 als sozialen Dienstleister mit aktuell rund 200 Mitarbeitenden. Wir erbringen Leis‐ tungen des ambulant betreuten Wohnens, der ambulanten Pflege, der Ergo‐ und Physiotherapie, der erzieherischen Hilfen und in unserer Tagesstätte für psychisch erkrankte Menschen. Wir stehen für einen kollegialen Um‐ gang miteinander und fördern die Eigenverantwortung und Handlungs‐ fähigkeit jedes Einzelnen.

Interessiert?

Weitere Informationen und Stellen‐ angebote gibt es hier: www.ptv‐dortmund.de

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Trash Up! 5.0 setzt auf praxisnahe UpcyclingWorkshops und theoretische Vortrags- und Diskussionsreihen zum Beispiel zu sozialem Handeln in Unternehmen oder der nachhaltigen Transformation von Stadtteilen. Zehn Workshop- und Vortragsreihen werden in Zusammenarbeit mit dem „Labor für urbane Zukunftsfragen und Innovation“ (LUZI) angeboten – das Projekt erforscht, wie soziale und technische Innovationen für eine Stadt der Zukunft gemeinschaftlich entstehen können, und wie BewohnerInnen, Unternehmen und Initiativen zusammen urbane Herausforderungen angehen und Lösungen entwickeln können.

DI 24 | 11 | 20 Vortrag | Mit dem Fahrrad durch Osteuropa und Russland Alexander Austenfeld bereiste Russland viele Male und studierte die Kultur und Sprache des Landes. In seinem Vortrag berichtet er vor allem von seinen Trekking- und OutdoorErlebnissen in der wilden Schönheit des Riesenlandes. Er erzählt von Gesprächen mit den Bewohnern, deren Ängsten und Sorgen. Dazu gibt er Einblicke in die russische Mentalität, die untrennbar mit der Geschichte Russlands verwoben ist. Anmeldung erforderlich, Infos unter www.auslandsgesellschaftev.de Auslandsgesellschaft e.V., DO, 18.30 Uhr

MI 25 | 11 | 20 Vortrag | Depressionen verstehen Laut Bundesgesundheitsministerium leiden weltweit inzwischen circa 350 Millionen Menschen unter einer Depression. Woran erkenne ich eine Depression, und wie kann ich betroffenen Personen in meinem Umfeld unterstützend zur Seite stehen? Diese und mehr Fragen zum Thema beantworten Dr. Christian Funke, Heilpraktiker für Psychotherapie, und Thomas Becker, Psychologischer Berater, in ihrem Vortrag. Anmeldung erforderlich: www.balou-dortmund.de Kulturzentrum Balou, Dortmund, 18.30 Uhr

DO 26 | 11 | 20 – SO 29 | 11 | 20 Festival | Zeitzeug_Festival 2020 Das Zeitzeug_Festival ist ein interdisziplinäres Festival der freien darstellenden Künste

und richtet sich an junge Kunstschaffende auf der Schwelle zur Professionalität. Unter dem diesjährigen Motto „Apparat“ werden elf Arbeiten in verschiedenen Bochumer Spielorten gezeigt. Neben einem Programm aus Performances, Sound Art, Installationen und Konzerten bietet das Festivalzentrum in der Bongardstraße 2 einen Diskursraum in der Innenstadt. Bis 29.11., Infos: www.zeitzeug.net Verschiedene Orte, Bochum

FR 27 | 11 | 20 Theater | All das Schöne Was tun, wenn man als Kind damit konfrontiert ist, dass die eigene Mutter versucht hat, sich das Leben zu nehmen? Verzweifeln? Aufgeben? Nein: Man schreibt ihr eine Liste der vielen schönen Dinge, für die es sich zu leben lohnt. 1. Eiscreme. 7. Leute, die stolpern. 26. Ins Meer pinkeln und keiner merkt’s. Das Theaterstück „All das Schöne“ des britischen Dramatikers Duncan Macmillan erfreut sich seit der Uraufführung 2016 auch auf deutschsprachigen Bühnen großer Beliebtheit. Prinz Regent Theater, Bochum, 19.30 Uhr (auch 28.11., 19.30 Uhr & 29.11., 18 Uhr)

SA 28 | 11 | 20 Theater | Die unendliche Geschichte Das Land Phantásien ist in Gefahr. Atréju und der Drache Fuchur machen sich auf den Weg, Rettung zu finden für die Irrlichter und Felsenbeißer, die Winzlinge, Hexen und Zentauren und alle anderen Wesen dieses Landes. Ein Kind aus der Menschenwelt muss her, um der Kindlichen Kaiserin einen


KINO-TIPP

neuen Namen zu geben. Nur so kann Phantásien gerettet werden. Schauspielhaus, Bochum, 15 Uhr (auch 29.11., 16 Uhr) Theater | Storytelling: Fighting Depression Geschichten vom Umgang mit Krise(n), entstanden aus fiktiven Texten und biografischen Momenten, entwickelt und gesprochen von Ekkehard Freye, Beran Kosan, Mattis Krems, Malin Laurenz und Lea Schwarze in Zusammenarbeit mit Hauke Berheide, Lorenz Hippe und Sarah Jasinszczak. Schauspielhaus, Dortmund, 19.30 Uhr

SO 29 | 11 | 20 Kinder | Pidos kreativer Kindertag Pinguin Pido und das Pido Club Team der DEW21 freuen sich auf einen weihnachtlichen Sonntag mit allen Kids und Eltern, die Lust auf kreatives Miteinander haben. Ob Kindertrödel, Adventsbasteln oder spannende Wasserexperimente – aufgrund von Corona steht noch nicht zu 100 Prozent fest, wie genau der gemeinsame Tag aussehen wird. Sicher ist aber auf jeden Fall: Es gibt ein vielseitiges Programm, Fotos mit Pido und seinen Weihnachtselfen natürlich inklusive. Weitere Informationen auf www.depotdortmund.de Depot, Dortmund

DO 03 | 12 | 20 Comedy | Jan Philipp Zymny Jan Philipp Zymny präsentiert in seinem mittlerweile vierten abendfüllenden Soloprogramm unter dem Titel „surREALI-

TÄT“ Betrachtung, Kritik und Verbesserungsvorschlag der Wirklichkeit, wobei er Stand Up, Kurzgeschichten, philosophische Überlegungen und surreale Absurditäten der Bauart Nonsens wild, aber keines Falls planlos durchmischt. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr Comedy | Andreas Weber Wäsche waschen, Essen kochen, Klamotten kaufen. Frauensache? „Ganz sicher nicht!“, weiß auch Single-Dad Andreas Weber, der als frischgebackener Junggeselle vor den Herausforderungen der Erziehung zweier pubertierender Söhne steht. In seinem ersten Solo-Programm „Single Dad – Teilzeit alleinerziehend“ wird Andreas Weber zum Ratgeber für geschundene Männernerven und bietet der Frauenwelt Einblicke in die Psyche des angeblich starken Geschlechts. Werkstadt, Witten, 20 Uhr

FR 04 | 12 | 20 Theater | 1984 Winston Smith arbeitet für die Victory Corporation, ein Technologieunternehmen, das die Weltbevölkerung zu einer globalen Community vereint hat. In unbändigem Innovationsdrang hat das Unternehmen eine Welt erschaffen, in der es keine Geheimnisse mehr gibt. Der Community steht Winston insgeheim ablehnend gegenüber, und er sucht nach Wegen ihr zu entfliehen. Ein Tagebuch wird zum Spiegel seiner Seele, bis er sich in Julia, ebenfalls Rebellin, verliebt. Nach George Orwell in einer Fassung von Oliver Paolo Thomas. Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr

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Kunstförderung

Wissenschaft

Denkmalschutz

Jugendsport

Soziales & Bildung

Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung Herdecke

22.11.2020 | Sophie u. Vincent Neeb | „Meister von Morgen“ - Klavierduo 06.12.2020 | Emil Brandqvist Trio | „Jazz“ - Pianotrio mit dem Album „Entering the woods“ 20.12.2020 | Tübinger Kammerorchester | „Meister von Morgen“ Werner Richard Saal 28.02.2020 | Huldrelokkk | „Meister aus aller Welt“ Werner Richard Saal Dr. Carl Dörken Galerie der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung | Infos, Tickets & Öffnungszeiten: s. Website

Wetterstraße 60 · 58313 Herdecke · www.doerken-stiftung.de

ab DO 12 | 11 | 20 endstation.kino | Now „If you fail, we will never forgive you!“ Zornig appelliert die Generation junger Klimarebellen an die Vernunft der Erwachsenen und machte 2019 zum Jahr ihres Protests. Der Grund: Die globale Erwärmung bedroht unser aller Zukunft. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 ist eine Phrase, wenn es nach den „Fridays for Future“ geht. Die schwedische Schülerin Greta Thunberg stieg innerhalb weniger Monate zur Leitfigur einer weltweiten Bewegung auf, die mit zivilem Ungehorsam, Streiks und Demos die breite Öffentlichkeit wachrüttelte und rasant an Einfluss gewann. Endlich, mag man sagen, horchen auch die Regierungen auf. „Now“ ist das Kinodebüt des berühmten Berliner Fotografen Jim Rakete und befasst sich, nach einem Drehbuch von Claudia Rinke, mit der „Generation Greta“, die das Klischee der politikverdrossenen Jugend seit dem vergangenen Jahr eindrücklich widerlegt. Was die Klimaproteste und ihre ProtagonistInnen so besonders macht: Sie haben klare Forderungen und klare Vorstellungen davon, wie sie umzusetzen sind. Jim Rakete begleitete sechs junge deutsche KlimaaktivistInnen, darunter Luisa Neubauer (Fridays for Future), Felix Finkbeiner (Plant for the Planet) und Nike Mahlhaus (Ende Gelände), und lässt sie erzählen: Warum sind sie Aktivisten geworden? Was steht auf dem Spiel? „Erwachsene“ Stimmen kommen zum Beispiel von Punk-Legende Patti Smith, Autorenfilmer Wim Wenders und vielen anderen Unterstützern. Im endstation.kino vom 12. bis 17. November, jeweils 18 Uhr. endstation.kino im Bahnhof Langendreer Wallbaumweg 108, 44894 Bochum www.endstation-kino.de

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BODO GEHT AUS

Café Desaster Mont-Cenis-Straße 26 44623 Herne

Café Desaster Ein Ort der Begegnung Ein Ort, an dem sich Menschen treffen können, unabhängig, woher sie kommen oder wie viel Geld sie haben – diese Idee spukte Nadja Mosch schon lange im Kopf herum. Erst kam ständig das Leben dazwischen, dann Corona. Nun gibt es diesen Ort mitten in Herne, der hell und freundlich ist, Café Desaster heißt und sagt: Hier sind alle willkommen. Eigentlich arbeitet Nadja in einem Kinderheim. Dort hat sie festgestellt: „Gerade für Personen mit Handicap gibt es einen Mangel an Orten, wo sie sich treffen können.“ Mit einer Gruppe Ehrenamtlicher hat sie ihn also kurzerhand selbst geschaffen. In einem ehemaligen Ladenlokal betreibt der gleichnamige, gemeinnützige Verein das „Café Desaster“ und serviert Kaffee, vegetarischen Mittagstisch und Waffeln zum kleinen Preis. Jeden Mittwoch ist Nudeltag, dazu gibt es jeden Tag frisch gekochte Gerichte. „Wichtig ist, dass wir bezahlbare Speisen anbieten. Das Eintopfgericht von heute kostet 3,50 Euro, und mehr Geld wollen wir auch nicht nehmen“, sagt Nadja. Noch läuft alles in Eigeninitiative: Mal steht Nadjas Schwiegermutter mit in der Küche zum Waffelbacken, mal bringen Eh-

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Von Peter Hesse Fotos: Daniel Sadrowski renamtliche die Speisen und Getränke zu den Tischen. Das Café Desaster bietet auch Praktikumsplätze für Menschen mit Behinderungen an. „Wir möchten damit auch einen kleinen Beitrag leisten gegen Isolation und Ausgrenzung. Wenn der bestellte Kaffee dann ein bisschen länger dauert, ist es doch egal.“ Nach und nach will das Team auch Jugendangebote ausarbeiten. „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Jugendliche oftmals eine große Hemmschwelle haben, irgendwo hinzugehen“, sagt Nadja Mosch.

Auch mit Bildungseinrichtungen wie der Löchterschule in Gelsenkirchen kooperiert der Verein. Was im Laden sonst passiert, entscheiden die NutzerInnen: Abends und am Wochenende kann er für Familienfeiern, Workshops oder Feste gemietet werden oder aber für Lesungen, Seminare, Kindernachmittage genauso wie für Seniorenbingo. Und er ist damit auch ein offenes Angebot: Wir haben den Raum – ihr die Ideen.


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Von allen getragen Ganz am Rand hat es wohl auch mit diesem Straßenmagazin zu tun, dass es das Café Desaster gibt, schrieb Nadja Mosch im Frühjahr in einer Mail an die Redaktion. „Aufgrund meiner Tätigkeit und Begegnungen entstehen immer mal wieder Ideen, Wünsche – rückblickend habe ich alles immer wieder verworfen.“ Bis sie in bodo (12.19) den Artikel über das inklusive Restaurant „Denkma(h)l“ in Hamm las – „das kam einer der immer wiederkehrenden Ideen sehr nah“. Und so ist aus dieser Idee, einem leerstehenden Ladenlokal und viel Unterstützung von Familie und FreundInnen der gemeinnützige Verein „Café Desaster, Begegnungsstätte Herne“ entstanden, der ein Ort der Begegnung und des Austauschs sein und einen Beitrag gegen Isolation und Ausgrenzung leisten will. Erschwinglich, ohne Hürden und Zielgruppenbeschränkung. „Es soll im Café nicht um eine gastronomische Leistung gehen, sondern darum, dass sich hier jede und jeder einbringen kann“, sagt Nadja Mosch. „Und dass unser Café etwas darstellt, das von allen getragen wird.“ 31


REPORTAGE

Sira Cissokho, Dakar, Senegal

Andrea Testa, Catania, Italien

11 Jahre, acht Geschwister, Vater Musiker, Mutter Hausfrau

9 Jahre, eine Schwester, Vater Soldat, Mutter Hausfrau

Sira hat nicht immer genug zu essen. Das meiste wächst im

Andreas Lieblingsessen ist Pasta Carbonara mit viel Speck.

Garten der Familie, so auch Hirse und Erdnüsse. Für spezielle

Blumenkohl kann er nicht ausstehen.

Anlässe kocht die Mutter Siras Lieblingsessen: Poulet.

Über den Tellerrand Was essen Kinder in verschiedenen Teilen der Welt in einer Woche? Der US-Fotograf Gregg Segal hat es bildlich festgehalten. Und staunte darüber, dass in ärmeren Ländern häufig gesünder gegessen wird. Von Andres Eberhard Fotos: Gregg Segal

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Nach wie vor ist eine einfache, aber irreführende Vorstellung über unsere Ernährung weit verbreitet: Wer auf dieser Welt genug zu essen hat, ist gesund. Und wer kein Geld hat, hungert und leidet. Zwar gibt es trotz des insgesamt wachsenden Wohlstands noch immer viele Menschen, die aufgrund von Armut hungern. Gemäß aktuellen Zahlen der UNO sind es weltweit 821 Millionen oder ein Neuntel der Weltbevölkerung. Neun Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Unterernährung, jede dritte Sekunde einer. Das ist viel. Viel zu viel.

Dass Wohlstand allein aber nicht ausreicht, damit wir uns gesund ernähren, zeigt die Arbeit des Fotografen Gregg Segal auf plastische Art und Weise. Der Amerikaner reiste um den halben Globus, um Kinder inmitten des Essens zu fotografieren, das diese in einer Woche zu sich nahmen. Herausgekommen ist eine Serie namens „Daily Bread“, in der man auf den ersten Blick erkennt, was auf unsere Teller kommt und was fehlt. „Überrascht hat mich, dass in armen Ländern tendenziell gesünder gegessen wird“, schreibt Segal zu seinem Projekt, das Anfang des Jah-


Razan Habib, Ajman, Vereinigte Arabische Emirate

Meissa Ndiaye, Dakar, Senegal

11 Jahre, Mutter Event-Koordinatorin, alleinerziehend

11 Jahre, ein Bruder, Vater Techniker, Mutter Hausfrau

Razans Lieblingsessen ist der Whopper von Burger King mit

Meissa liebt Ziegenfleisch und süße Speisen wie Porridge. In

vielen Essiggurken. Ihre Mutter sagt, dass sie immer Gemüse

dieser Woche machte er viele Sandwiches, die er mit allem

auftische. „Doch sie rührt es einfach nicht an.“

Möglichen füllte: Spaghetti, Erbsen oder Pommes frites.

res auch auf Deutsch als Buch erschienen ist. So dominieren auf dem Bild mit der 11-jährigen Sira aus Senegal, die von sich selbst sagt, dass sie nicht immer genug zu essen bekommt, Getreide, Reis und Gemüse. Die Büchse Fanta sowie einige eingepackte süße Snacks wirken wie Fremdkörper. Bei der 7-jährigen Greta aus Hamburg hingegen sucht man detektivisch nach Vitaminspendern zwischen Kalorienbomben wie Pommes, Pizza, Pouletschenkeln und Fischstäbchen. Segals Beobachtungen decken sich mit einer 2015 erschienenen Studie der Universität

Cambridge. Diese zeigt auf, dass gerade die Menschen in ärmeren afrikanischen Ländern wie Tschad und Mali sich weltweit am gesündesten ernähren. Hinzu kommt, dass es in vielen Schwellenländern, etwa in Indien oder Malaysia, nicht die Ärmsten sind, die den ungesunden westlichen Fast Food konsumieren. „Die 13 Dollar für eine Pizza von Domino’s können sie sich nicht leisten“, schreibt Segal. Vielmehr ist es die aufstrebende Mittelschicht, die Pizza, Burger und Chicken Nuggets isst – weil schnelle Kalorien süchtig machen, manchmal auch aus Statusgründen.

Ungesunde Ernährung führt zu Übergewicht, welches wiederum häufig für chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Nierenprobleme verantwortlich ist. Laut Weltgesundheitsorganisation sterben weltweit jährlich vier Millionen an den Folgen von Übergewicht und Fettleibigkeit. Dabei handelt es sich längst nicht mehr nur um ein Problem westlicher Gesellschaften wie den USA, Australien oder Europa. So gibt es etwa auch im Nahen Osten immer mehr übergewichtige Menschen, die unter ihren Kilos leiden. In den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo Segal bei seinem Besuch die

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REPORTAGE

Kawakanih Yawalapiti, Brasilien

Greta Möller, Hamburg, Deutschland

9 Jahre, aus dem Yawalapiti-Stamm, der im Xingu-National-

7 Jahre, eine Schwester, Mutter alleinerziehend

park im brasilianischen Amazonasbecken lebt

Gretas Lieblingsessen sind Fischstäbchen mit Kartoffelstock

Kawakanih ernährt sich von Fisch, Maniok, Haferbrei, Früchten

und Apfelmus. Nicht ausstehen kann sie Milchreis.

und Nüssen. Das Essen zu besorgen dauere fünf Minuten, sagt sie. „Wenn du hungrig bist, gehst du mit deinem Netz zum Fluss.“

11-jährige Razan fotografierte, existierte vor 30 Jahren Diabetes praktisch nicht. Im Jahr 2014 hatte bereits jeder Fünfte oder 803.900 Menschen diese Krankheit. Warum nutzen wir den Wohlstand nicht zugunsten unserer Gesundheit? Segal sieht den Grund darin, dass wir uns dazu verleiten lassen, die Produktion unseres Essens an große Nahrungsmittelkonzerne auszulagern – mit der Folge einer immer stärkeren Verbreitung von ungesundem Fast Food und Fertiggerichten. Beispiel Nestlé: In Brasilien, das noch vor nicht langer Zeit mit vielen Unterernährten zu kämpfen hatte, versorgt der Schweizer Nahrungsmittelkonzern die Menschen mit günstigen Fertigprodukten – dank der Hilfe von lokalen „Mikroun34

ternehmern“, welche die Produkte in entlegene Gebiete transportieren. Nun nimmt der Anteil an hungernden Menschen in Brasilien tatsächlich ab. Dafür ist ein neues Problem geschaffen worden: 57 Prozent der Bevölkerung sind übergewichtig, jeder Fünfte gilt als fettleibig. Für den Fotografen Segal sind Hunger und Übergewicht deswegen zwei Seiten derselben Medaille. „In beiden Fällen fehlt den Menschen der Zugang zu nahrhaftem, gesundem Essen.“ Dies hat auch die UNO erkannt, die unter dem Begriff „Mangelernährung“ heute nicht nur mehr zu wenig, sondern eben auch falsche Nahrung versteht – zu viele sogenannte leere Kalorien und tierische Fette, dafür zu wenig Vitamine, Mineralstoffe oder Eiweiße.

Gregg Segal Über den Tellerrand ISBN: 978-3-522-30552-5 Gabriel | 120 S. | 20 Euro

Was also tun? Gregg Segal ist überzeugt, dass es nur eine Möglichkeit gibt: den Nahrungsmittelkonzernen und ihrer Snackkultur den Rücken kehren und wieder öfter selbst zum Kochlöffel greifen. Auch wenn er damit vor allem die weit verbreitete Take-away-Kultur der USA im Blick hat, trifft Segal einen wunden Punkt, wenn er schreibt: „Nur wenn wir selbst kochen, wird uns bewusst, was wir zu uns nehmen.“


BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Dylan & Buddy Holly Als der große Wolfgang Welt vor vier Jahren starb, erinnerten an einem denkwürdigen Abend in unserem Buchladen Kollegen, Fans und Wegbegleiter an einen, der sich verrückt schrieb. In den 1980er Jahren hatte „WoW“ für Marabo, Sounds und Musikexpress Kritiken und Reportagen in bis dahin ungekannter Radikalität verfasst. Seine Verrisse von Grönemeyer, Westernhagen oder Heinz Rudolf Kunze sind legendär. Er verpasste ein Interview mit Lou Reed und schrieb stattdessen über sich, in einer TourReportage mit Motörhead verlor er kein Wort über die Konzerte. Aus der journalistischen Egomanie wurde schließlich eine schizophrene Psychose. Seit Mitte der achtziger Jahre veröffentlichte Wolfgang Welt fünf Romane, zunächst im Konkret-Verlag, dann bei Suhrkamp. Trotz Förderern wie Peter Handke bleibt er ein großer Verkannter. Von 1991 bis zu seinem Tod arbeitet er als Nachtportier im Bochumer Schauspielhaus. Mit dabei übrigens im Juli 2016 bei bodo war Martin Willems, Freund und Begleiter, Nachlassverwalter, Propagandist und Herausgeber der inzwischen vergriffenen Anthologie „Ich schrieb mich verrückt“. Diese Sammlung der journalistischen und kurzen erzählenden Texte Welts ist nun erweitert und um viele Fotoseiten ergänzt in zwei Bänden bei Reiffer erschienen. Ein Pflichtkauf. Wolfgang Welt | Kein Schlaf bis Hammersmith | Die Pannschüppe ISBN: 978-3-945715-81-9 u. -82-6 Reiffer | 368 u. 400 S. | je 20 Euro

#tradwife

Wer bewältigt was?

„Mein Freund kommt vom Kaufland immer nach Hause mit so einem traurigen Blick wie Gandhi, weil er gerade einkaufen gewesen ist und kein Mensch je zuvor so gelitten hat“. Jacinta Nandi schreibt Bücher und für Missy und die Jungle World, ist Mutter, in einer Beziehung mit Verbesserungspotenzial – und hat richtig miese Laune.

Der Lyriker, Publizist und promovierte Politologe Max Czollek ist eine der wichtigsten, und fast hätte ich gesagt: wohltuendsten Stimmen in den deutschen Debatten um die (post-)migrantische Gesellschaft, regressiven deutschen Leitkultur- und Heimatkitsch und jüdisches Leben in Deutschland.

„Die schlechteste Hausfrau der Welt“ schafft es mit beeindruckender Wut, kein Essay über sich fortschreibende Geschlechterrollen und kein feministischer Empowerment-Roman zu sein – und irgendwie ist der Text doch beides. Mit einer irritierend rohen Form und gleichzeitig mit einem auf Lesebühnen geschulten Beat erzählt Nandi davon, wie Emanzipation und Selbstverwirklichung dann doch wieder Verliererinnen ausspucken, weil die besserverdienende Hälfte der Paarbeziehung wie eh rational-arbeitsteilig den Kinder-Küche-Kotze-Platz der Frau zuweist. Die hasst Putzen und versucht es doch mit Youtube-„Cleanfluencerinnen“, hasst Conni, Bobo und den Nie-Feierabend der Carearbeit und analysiert mit schneidender Schärfe das Elend der Hausfrau im Spätkapitalismus. Literarisch radikal, fast übergriffig distanzlos, unglaublich komisch – und unangenehm wahr. Jacinta Nandi Die schlechteste Hausfrau der Welt ISBN: 978-3-96054-240-7 Edition Nautilus | 208 S. | 16 Euro

Wohltuend zumindest für diejenigen, denen selbst die Sprache versagt angesichts des gegenwärtigen Stands der „Wiedergutwerdung der Deutschen“ (Eike Geisel), symbolisiert etwa durch Philipp Amthor (CDU), der am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und vier Monate nachdem an Jom Kippur nur die Synagogentür in Halle ein Massaker durch einen „Stephan“ verhindert hatte, Antisemitismus zum „muslimischen“ Problem erklärte, das in „unsere(r) Kultur keinen Platz“ habe. Wohltuend aber auch für die, die sich in klarer Sprache und mit immer wieder aufblitzendem Humor ausmalen lassen wollen, wie die durch ForscherInnen wie Naika Foroutan und Aladin El-Mafaalani beschriebene radikal vielfältige Gesellschaft der Gegenwart ohne Griffe in kulturnationale Mottenkisten gestaltet werden kann. Max Czollek kommt im Rahmen der „Tage der jüdisch-muslimischen Leitkultur“ am 5. und 6. November ins Schauspiel Dortmund. Max Czollek | Gegenwartsbewältigung ISBN: 978-3-446-26772-5 Hanser | 208 S. | 20 Euro

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INTERVIEW

Der Luxus der Anarchie Nina Mühlmann und Angelo Micaela sind die Neuen beim Geierabend. Statt Teil der gut geölten Maschinerie einer Großveranstaltung mit fünfstelliger Besucherzahl zu sein, stecken sie nun in einem Prozess, in dem sich das Traditionsevent unter den Bedingungen der Pandemie fast täglich neu erfinden muss. Doch statt um Prognosen geht es im Gespräch mit bodo um Familiengeschichten, die Lust am Moment, stolpernde Kellner und kontrolliertes Chaos. Von Bastian Pütter | Fotos: Sabrina Richmann

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Gibt es eine Urszene bei Euch, in der Euch klar wurde, dass Ihr auf die Bühne musstest? Angelo Micaela: Ich hab als Fünf- oder Sechsjähriger bei meiner „Oma Deutschland“ – die andere Seite kommt aus Portugal – den Kellner gespielt. Ich hab die Feiern meiner Oma geliebt: Die war voller Liebe, hatte das dicke Taschentuch im Ärmel, diese Sätze – „Dreck reinigt den Magen“. Alle Frauen haben so schön nach 4711 gerochen und nach Frisur. Da hab ich als Kind die halben Eier, den falschen Forellenkaviar serviert mit Tuch über dem Unterarm. Und ich hab gemerkt – das ist meine erste Erinnerung an Publikum –, wenn ich stolpere, mir aber

nichts tue, erschrecken alle kurz und lachen dann. Die Grundform der Komik. Nina Mühlmann: Bei mir war es eigentlich genau andersrum. Familie war bei uns immer Bühne. Alles war laut und performativ, und ich wusste, dass alle anderen witziger sind als ich. Ich fand lange Zeit die Position am interessantesten, nur teilnehmende Beobachterin zu sein. Ich hab mich dann provozieren lassen, das war auf der Silberhochzeit meiner Eltern, 1999. Auf Geburtstagen wurden immer Dinge aufgeführt, nachgespielte Fernsehgeschichten. Ich fand aber, wir alle sind viel lustiger als die im Fernsehen. Und dann wurde wieder gesagt: „Frau Akademikerin, setzt du dich wieder bei einer Feier hinten rein? Das geht nicht, das sind deine Eltern.“ Also hab ich eine Figur entwickelt, mir ein Kostüm zugelegt, eine Nummer geschrieben und die Familie durch den Kakao gezogen. Und alle haben gelacht. So ging’s los. Dazu gehört bei Dir, Nina, auch immer schon die deutschitalienische Identität Deiner Großfamilie. Mit dem Programm „Migrantenpop“, das du lange mit Murat Kayi – auch im Geierabend-Ensemble – gespielt hast, mit den italienischen Liedern. NM: Das ist ja auch schon die Komik, dass damit auch immer schon gespielt wurde bei uns. Ich bin Viertelitalienerin, aus deutscher, staatsbürgerlicher Sicht, ja. Aus italienischer Perspektive bin ich Italienerin, die aus Versehen auch deutsche Verwandte hat und hier geboren wurde. Übrigens ist diese gleichzeitige Nähe zu Drama und zu Komik erstmal gar nicht selbst lustig, sondern einfach real. Und das ist ja immer noch so. Ich habe oft den Eindruck, ich beschreibe nur, was ich sehe, und kann nichts dafür, dass alle die ganze Zeit lachen. Ich meine die Sachen schon auch ernst. AM: Das ist die Figur des Clowns. NM: Ja, wobei ich ja gar nicht aus so einem Theaterdenken komme wie du. Ich komme ja eher vom Text. Meine Oma sagt immer, alle unsere Kinder sind eigentlich Zirkuskinder. Ich hab aber erstmal studiert und gedacht, ich bleibe als Wissenschaftlerin – kulturwissenschaftlich, kulturpädagogisch – im Feld. Ich hab stadtteilvergleichend geforscht und erstmal geguckt, was machen alle andern. Heute mache ich in Hamburg und Dortmund Kunstworkshops für Kinder und Jugendliche und andere Formate. Und unter anderem geh ich auf die Bühne. Angelo, Dich hingegen zog es bald auf die Theaterbühne. AM: Ja, ich bin immer fasziniert, wenn jemand wie Nina sich so in ein Thema versenkt und es durcharbeitet, aus Lindenholz eine Puppe schnitzt, mit Fäden, die man irgendwann nicht mehr sieht. Für mich ist es der Live-Moment, die Bühne, den Moment spielen. Ich hab in Hamburg in einer Rockband gesungen. Ich hab die Töne nicht gehalten, aber ich hatte eine Form auf der Bühne, ich wusste, ich kann das zusammenhalten. Irgendwann war klar, wir werden nicht die Chili Peppers. Dann bin ich nach Dortmund und habe da Anja Bechtel getroffen, die mich in ihre Schauspielgruppe geholt hat.

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INTERVIEW

„Stückgut“, das Programm hieß „Die anonymen Lästerer“. So fing das Ende der 90er an und hört seitdem nicht auf. Ich hab 10 Jahre Krimidinner gemacht, bin seit 10 Jahren im KRESCHtheater in Krefeld, lange im Stratmann’s , in Dortmund als Gast im Fletch Bizzel und im Depot, seit letztem Jahr bin ich im Ensemble im Theater Freudenhaus in Essen. Über Anja Bechtel bin ich dann auch zu „Mein Körper gehört mir“ gekommen. Wir spielen vor Grundschulklassen, es geht um Prävention, darum, seinen NeinGefühlen zu vertrauen. Eine wunderbare Form, junge Menschen zu erreichen, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie Rechte haben, dass sie Dinge machen dürfen. Zu dem Stück gehört eine Haltung, wir sind jedes Jahr fünf Tage auf Fortbildung, das ist gut und wichtig. Ich bin da Angelo, wir spielen Erwachsene, die Kindergefühle spielen. Das sind tolle Szenen. Zu denen gehört auch Humor, denn der ist eine wahnsinnige Energie, die wir nutzen müssen, auch bei starken Themen. Kinder haben da eine tolle Art, auch mit solchen Themen umzugehen, die sorgen schon für sich. Betroffen sind Erwachsene.

Nina, Deine Soloprogramme brechen intensiv mit Erwartungshaltungen eines Kleinkunstpublikums… NM: Ich möchte kurz erzählen, wie Angelo im September in einer Show von mir war. Vorher hatte er gesagt: Ich weiß nicht, ob ich das kann, du machst das alles so komisch, das ist ja kein Theater. Er saß in der ersten Reihe und hat zwei Stunden eineinhalb Meter von mir entfernt gesessen und die ganze Zeit kommentiert: „Furchtbar, furchtbar, furchtbar! Toll! Toll! Furchtbar!“ Dann hat er das Publikum gefragt: „Wie haltet Ihr das aus?“ Wir haben dann einen Streit inszeniert, es war wunderbar.

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Ist Überforderung des Publikums Dein Konzept? NM: Ich bestimme ein Thema für eine Show, kombiniere Texte, die ich habe, mit neuen, es gibt Elemente, die sich immer wiederholen, damit Leute mich wiedererkennen können, ein bisschen Sicherheit erleben und gut versorgt sind. Das ist fast wieder pädagogisch gedacht, und dann gibt es eine Teiloffenheit. Ich möchte mich selbst überraschen können. Ich bin sehr strukturiert in Arbeitsprozessen, 80 Prozent ist Disziplin, Schreibtisch, Bürokratie, 20 Prozent ist der Luxus der Anarchie auf der Bühne. Ich hab ja auch andere Berufe und erst spät damit angefangen. Das, was ich weiß, ist, dass ich so eine Gruppe sichern kann. Auch in dem, wie ich sie dann auf dem Floß auf dem Fluss treiben lasse, und klar ist: Es steuert gerade keiner. Die sollen aber auch ein bisschen Angst haben und können auch zwischendurch gehen – oder übernehmen, ich teile auch die Bühne. Das ist alles ganz schlimm für manche Leute. Um im Bild zu bleiben: Ich weiß auch nicht, ob da gleich der Wasserfall kommt, aber ich kann mit Katastrophen umgehen. Wie kommt man eigentlich aus zwei so unterschiedlichen Richtungen zum Geierabend? NM: In der Rückschau ist das übrigens ganz spannend: Mit 24 saß ich das erste Mal im Geierabend und dachte: Wie kommt man da hin? AM: Wir hatten vor ein paar Jahren eine Inszenierung von „Die Nervensäge“ im Fletch Bizzel mit HansPeter Krüger, Sandra Schmitz und Murat Kayi – und das war ja schon ein Teil des Geierabend-Ensembles. Seitdem kennen wir uns persönlich. Den Geierabend kannte ich natürlich. Vor allem seit Till Beckmann da als Regisseur ist, war ich sehr beeindruckt, wie viel dichter es noch geworden ist, wie die Energie auf der Bühne gehalten wird, aber das ist die Spielersicht, ich bin nicht das repräsentative Publikum. Irgendwann war klar, dass Franziska Mense-Moritz und eben Fips, Hans-Peter-Krüger, aufhören, der aber noch weiter für den Geierabend schreibt, und da wurden quasi zwei Planstellen frei. Da haben sie dann Nina und mich gefragt. Im August waren wir dann das erste Mal bei der jährlichen viertägigen Klausur, wo gebrainstormt, geplant und sehr effektiv gearbeitet wird. Ich bin sehr froh, ein Teil von dem zu sein. Und auch von so einem Veränderungsprozess – andere Menschen machen andere Sachen – eben auch mit der Gefahr, die es immer so prickelnd macht, damit zu scheitern, wenn die Leute sagen, das wollen wir nicht. Davon gehen wir aber mal nicht aus. NM: Naja, und dann ist Corona. Die Situation ist neu. Keiner weiß, was wie gehen kann, lass uns anfangen. AM: Es geht ja auch nicht um was Neues, sondern immer um das Gleiche: Die Leute zu unterhalten in einer Form, die im besten Fall begeistert, die diesen ganzen Scheiß gerade auch mal vergessen lässt, und daran erinnert, dass Lachen Freiheit bedeutet.


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Die neue deutsche Waldliebe hat es mir angetan. Persönlich bleibe ich zwar gern in meinem betonösen Habitat. Ich mag weder von Eichenprozessionsspinnern noch von Zecken angesprungen werden. Aber ein Baum-Buddy und Bestsellerautor mit angegliederter Verwertungskette (Film, Magazin, Diavorträge, demächst auch Saatgut und Badeschaum) behauptet, selbst in Schriftform säuselnd, es gebe bäumliche Intelligenz. Mich würde nicht wundern, wenn Wälder demnächst wählen dürften. Auch das Neogrüne in unseren Städten geht meist fürsorglich mit Wald und Wiese um, handelt gern stellvertretend aus der Ferne. In Herne weiß man halt, was naturnah gut ist und wählt und wäscht sich grün. In Datteln, Ruhrpottrand, tobt vermeintlich ein Kampf um das Kohlekraftwerk Datteln IV; die Grünen dümpeln hier weit unter dem Landessschnitt. Nebenan in Waltrop soll ein furchtbares Gewerbegebiet entstehen. Die Leute wählen einen SPD-Jungpolitiker mit Zweidrittelmehrheit zum Bürgermeister. Ahaus, Stadt des Atommülls, Gemeinden rund um den Braunkohletagebau Garzweiler, stets landet die Umweltpartei in den Öko-Hotspots unter Niveau. In Niederzier, Zentrum des Kampfes um den Hambacher Forst, fällt das Bündnisgrüne gar ins Bergfreie. Die Sozis verteidigen dort die absolute Mehrheit. Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

Der Hambi ist out. Jetzt wird der Danni gerettet, ein Waldi in Hessen. Er soll der Autobahn A49 weichen. Protestfrei fällt bei Berlin der Forst für die Teslafabrik. Elektroautos nutzen später

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO li g it M r h e m Je hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil .awo-ww.de ww.de • www

keine Autobahn, sondern werden naturnah durchs Unterholz geschoben. Wälder sind hip. Die AWO sollte ein Waldheim eröffnen. So etwas wie einen Waldkindergarten, nur am anderen Ende des Lebens, als Seniorenwohnheim. Diese Waldbodenhaltung wäre nicht toll für die Alten. Aber die Angehörigen im hippen Dortmunder Kreuzviertel oder Bochumer Ehrenfeld hätten dabei ein nachhaltig wohliges Gefühl.

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GASTBEITRAG

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enannt seien nur die Gesundheit, die Bildung und das Wohnen. Obdachlose leben auf der Straße, Wohnungslose oft in Notunterkünften und TransferleistungsbezieherInnen meist in verkehrs-, emissions- und schadstoffreichen bzw. lauten Stadtteilen sowie hygienisch bedenklichen Wohnverhältnissen (z.B. in Mietskasernen und sanierungsbedürftigen Alt- oder Plattenbauten). Sofern als „AufstockerInnen“ erwerbstätig, haben sie eher schadstoffbelastete oder aus anderen Gründen ungesunde Jobs, aber auch einen schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung als die große Mehrheit der Bevölkerung. Armut macht krank, und Krankheiten, die eine aufwendige medizinische Behandlung oder die Einnahme teurer Medikamente erfordern, machen auch viele Menschen arm, besonders im Alter. Denn in einem höheren Lebensalter

steigen die Ausgaben für ärztliche Behandlungen, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, Krankenhausaufenthalte sowie Pflegedienstleistungen in einem Gesundheitssystem, das im Zeichen des Neoliberalismus zunehmend ökonomisiert, privatisiert und kommerzialisiert wurde, während die Einnahmen eher sinken. Wegen der rund zehn Jahre geringeren Lebenserwartung von Armen gilt selbst in einer wohlhabenden Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland die zynische Grundregel: Wer arm ist, muss früher sterben. Während der pandemischen Ausnahmesituation gilt: Wer arm ist, muss eher sterben. Denn das Infektionsrisiko von Arbeitslosen, Armen und sozial Ausgegrenzten ist deutlich höher als das von Reichen.

Schieflage vorab Bevor die Frage erörtert wird, welchen Einfluss die Coronakrise auf die sozioökonomische Ungleichheit in Deutschland hatte und noch hat, sollen ein paar Zahlen deren erhebliches Ausmaß schon vor dieser Pandemie belegen. Sie stehen für die

Die soziale Schlagseite der Pandemie Christoph Butterwegge ist Armutsforscher und emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. 2017 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten. Im September erschien sein Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ (Papyrossa | 183 S. | 14,90 Euro ISBN 978-3-89438-744-0)

Einkommens- und die Vermögensverteilung in Deutschland, weil sich der Reichtum eines Menschen nach der Art und dem Umfang seines Vermögens bemisst, während die Armut eines Menschen an der Höhe seines Einkommens im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung festgemacht wird. 45 hyperreiche (Unternehmer-)Familien besitzen laut Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung, also über 40 Millionen Menschen. Laut den jüngsten Forschungsergebnissen des DIW entfallen 67 Prozent des Nettogesamtvermögens auf das oberste Zehntel der Verteilung, 35 Prozent konzentrieren sich auf das reichste Prozent der Bevölkerung, und

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das reichste Promille kommt immer noch auf 20 Prozent des Nettogesamtvermögens. Auf dieser Basis wurde ein Gini-Koeffizient von 0,83 errechnet, was beinahe dem US-amerikanischen Vergleichswert entspricht und die ganze Dramatik der Verteilungsschieflage hierzulande zeigt. Nach den Maßstäben der Europäischen Union galten über 13,3 Millionen Menschen im Jahr 2019 hierzulande als von Armut betroffen oder bedroht. Sie hatten weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung, was für Alleinstehende 1.074 Euro im Monat entsprach. Mit 15,9 Prozent erreichte die offizielle Armuts(gefährdungs)quote einen Rekordstand im vereinten Deutschland. Die höchsten Armutsrisiken wiesen Erwerbslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent) und Nichtdeutsche (35,2 Prozent) auf. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende waren ebenfalls stark betroffen, während das Armutsrisiko der SeniorInnen seit geraumer Zeit am stärksten zunimmt.

nicht einmal für wenige Wochen ohne seine ungeschmälerten Regeleinkünfte auskommt. Da sozial bedingte Vorerkrankungen wie Adipositas (Fettleibigkeit), Asthma, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Rheuma oder COPD (Raucherlunge), katastrophale Arbeitsbedingungen (z.B. in der Fleischindustrie) sowie beengte Wohnverhältnisse das Risiko für eine Infektion mit SarsCoV-2 und für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf erhöhten, traf die Pandemie arme Personen stärker als reiche. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass die afroamerikanische Minderheit besonders stark betroffen ist, und in Brasilien hat sich das Virus hauptsächlich in den Favelas eingenistet, wo diejenigen wohnen, die das Leben der Reichen durch ihre meist schlecht entlohnten Servicedienste erleichtern und verschönen.

Armut ist die wohl bedrückendste Erscheinungsform der sozioökonomischen Ungleichheit, was in einer Krisenzeit wie der Covid-19-Pandemie mehr als deutlich wurde. Sie schlägt sich nicht bloß in einem leeren Portemonnaie nieder, sondern bewirkt auch eine manchmal lebenslange Benachteiligung der Betroffenen in fast allen Lebensbereichen. Von Christoph Butterwegge | Foto: Wolfgang Schmidt

Ungleiche Risiken Die von ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen begleitete Covid-19-Pandemie hat das Phänomen der Ungleichheit nicht bloß wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht, sondern auch verschärft. Wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erkennbar, dass trotz eines verhältnismäßig hohen Lebens- und Sozialstandards im Weltmaßstab sowie entgegen den Beteuerungen von politisch Verantwortlichen, die Bundesrepublik sei eine „klassenlose“ Gesellschaft mit gesichertem Wohlstand all ihrer Mitglieder, ein großer Teil der Bevölkerung

Hierzulande wurde die ohnehin brüchige Lebensgrundlage von BettlerInnen, PfandsammlerInnen und VerkäuferInnen von Straßenzeitungen durch Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen und Einrichtungsschließungen zerstört, was stärkere Verelendung nach sich zog. Außerdem nahm die finanzielle Belastung von Transferleistungsbezieher-, KleinstrentnerInnen und Geflüchteten durch die Schließung der Tafeln weiter zu. Aufenthaltsbeschränkungen und Abstandsregelungen förderten tendenziell Vereinsamung und soziale Isolation, von der Arme, Alte und Menschen in beengten Wohnverhältnissen grundsätzlich am stärksten bedroht sind.

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Kreislauf-Effekte Wahrscheinlich hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich auch deshalb weiter vertieft, weil kleine EinzelhändlerInnen und Soloselbstständige wegen der Schließung ihrer Läden oder fehlender Aufträge und Auftritte ihre Existenzgrundlage verloren. Unter dem Druck der Krise, die zu Einkommensverlusten durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und Bankrotten geführt hat, kauften mehr Familien bei Lebensmittel-Discountern ein, um zu sparen, wodurch die Besitzer von Ladenketten wie Aldi Nord, Aldi Süd und Lidl, die ohnehin zu den vermögendsten Deutschen gehören, noch reicher geworden sein dürften. Schon vorher wurde das Privatvermögen von Dieter Schwarz, dem Eigentümer von Lidl und Kaufland, mit 41,5 Milliarden Euro (Stand: Sept. 2019) veranschlagt. Infolge der Coronakrise sind auch mehr Girokonten von prekär Beschäftigten, Soloselbstständigen, Kurzarbeiter- und KleinstunternehmerInnen ins Minus gerutscht, weshalb gerade die finanzschwächsten KontoinhaberInnen hohe Dispound Überziehungszinsen zahlen mussten. Dadurch wurden jene Personen, denen die Banken oder Anteile daran gehören, noch reicher. Vergleichbares gilt für die Kassen- bzw. Liquiditätskredite überschuldeter Kommunen, die geringere Gewerbesteuereinnahmen, aber höhere Sozialausgaben als vor der Covid-19-Pandemie hatten. Daher hat die öffentliche Armut zugenommen, während der private Reichtum weniger Hochvermögender gestiegen ist.

Leistungsgerechtigkeit? Bund, Länder und Gemeinden haben in der Coronakrise nach kurzem Zögern fast über Nacht mehr als 1,5 Billionen Euro für direkte Finanzhilfen, Bürgschaften und Kredite mobilisiert. Letztere kamen in erster Linie großen Unternehmen zugute, während kleine und mittlere Unternehmen mit einmaligen Zuschüssen unterstützt wurden, die laufende Betriebskosten decken, aber nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwendet werden

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durften. Während zahlreiche Unternehmen, darunter auch solche mit einer robusten Kapitalausstattung, von der Bereitschaft des Staates zu einer hohen Neuverschuldung (Abschied von der Schwarzen Null und den Restriktionen der Schuldenbremse) profitierten, mussten sich die Finanzschwachen verglichen mit den Fördermaßnahmen für die Wirtschaft bescheiden. Selbst die beiden Sozialschutzpakete von CDU, CSU und SPD wiesen eine verteilungspolitische Schieflage auf. Überbrückungshilfen für Branchen, die von einem „coronabedingten Umsatzausfall“ betroffen sind, stellen mit Kosten in Höhe von 25 Milliarden Euro maximal den größten Einzelposten des „Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets“ der Großen Koalition dar. Kaum weniger teuer wird die Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent auf 16 Prozent bzw. von sieben Prozent auf fünf Prozent, die dem Staat einen Einnahmeausfall in Höhe von 20 Milliarden Euro bescheren kann. Ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz ist an sich durchaus wünschenswert, weil diese Steuerart arme Personen, die einen Großteil ihres Einkommens in den Alltagskonsum stecken (müssen), am härtesten trifft. Wenn die Bundesregierung im Rahmen ihrer Hilfsmaßnahmen einem Vergabeprinzip folgte, war es die „Leistungsgerechtigkeit“, bei der es um den ökonomischen Erfolg einer Personengruppe geht, die Unterstützung braucht: Gewinneinbußen vor der Covid-19-Pandemie rentabler Unternehmen wollte die Große Koalition mittels finanzieller Soforthilfen ausgleichen, und Lohnbzw. Gehaltseinbußen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter sollten mittels Kurzarbeitergeld abgemildert werden. TransferleistungsempfängerInnen hatten durch den Lockdown hingegen scheinbar nichts verloren und daher auch wenig zu erwarten. Stattdessen hätte die Bedarfsgerechtigkeit als Ziel von Hilfsmaßnahmen im Mittelpunkt aller Bemühungen der politisch Verantwortlichen stehen und das Motto lauten sollen: Wer wenig hat, muss besonders viel, und wer viel hat, muss entsprechend wenig Unterstützung seitens des Sozialstaates bekommen.


Eine Frage, Herr Dr. Lüftner:

Was ist der Unterschied zwischen Schnee und Hagel? Auch wenn die Hoffnung auf weiße Weihnachten nicht schwindet, ist Schnee in unseren Breitengraden selten geworden. Als Hagel gibt es gefrorenen Niederschlag trotzdem, und das auch im Sommer. Was ist eigentlich der Unterschied?

Dr. Herbert Lüftner, Leiter der Wetterstation der TU Dortmund

„Ursprung beider Niederschlagsarten sind sogenannte Wolkentropfen, die sich in unseren geografischen Breiten zu Wolken von bis zu 12 Kilometern Höhe auftürmen können. Da sich die Luftmassen in der Höhe alle 100 Meter um 0,5 bis 1 Grad Celsius abkühlen, bestehen diese Wolkentürme in oberen Bereichen oft aus Eiskristallen“, sagt Dr. Herbert Lüftner, Leiter der Wetterstation der TU Dortmund. Schnee entsteht, wenn in einer Wolke bei Temperaturen um den Gefrierpunkt Wolkentropfen an kleinen Staubteilchen zu Eisplättchen gefrieren. Diese Eisplättchen verhaken sich untereinander, bis sie so schwer geworden sind, dass sie als Schneef locke zu Boden fallen. Bei passenden Lufttemperaturen schneit es. „Über einen längeren Zeitraum sind die Temperaturen in den Wintermonaten leider gestiegen, sodass immer häufiger Regen statt Schnee fällt. Im vergangenen Winterhalbjahr hatten wir im Ruhrgebiet nicht einen Schneetag, und das Thermometer kletterte am Heiligen Abend bei uns auf 9,3 Grad Celsius“, so Lüftner.

Anders als Schnee entsteht Hagel in Gewitterwolken, in denen starke vertikale Aufwinde herrschen. „Wie in einem Paternoster zirkuliert das gefrorene Hagelkorn oft mehrfach zwischen den unteren nassen und den oberen gefrorenen Luftschichten“, sagt Lüftner. Während dieses Prozesses gefriert immer mehr Wasser an den Hagelkörnern und lässt sie so weiter wachsen. Erst wenn der Aufwind in der Wolke nicht mehr in der Lage ist, die Hagelkörner nach oben zu transportieren, dann fallen sie aus

Im vergangenen Winter hatten wir im Ruhrgebiet nicht einen Schneetag, und das Thermometer kletterte am Heiligen Abend auf 9,3 Grad Celsius. der Wolke. Wie groß so ein Hagelkorn dann letztendlich ist, hängt davon ab, wie lange es in der Wolke gewachsen ist, bevor auf es den Boden fällt. In den allermeisten Fällen haben die schalenförmigen Körner einen Durchmesser von 5 bis 50 Millimetern. Das größte in Deutschland gemessene Hagelkorn fiel im August 2013 bei einem Unwetter in Baden-Württemberg. Sein Durchmesser betrug 14 Zentimeter.

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RÄTSEL

LESERPOST & MEINUNGEN

„Wohin im Winter?“ Liebes bodo-Team, ich war am Samstag auf Eurer Demo am Rathaus in Dortmund und beobachte die Situation der Menschen, die auf der Straße leben, ebenfalls mit Sorge im Hinblick des anstehenden Winters. Mich würde diesbezüglich interessieren, ob es Überlegungen gibt, Wohnungslosen in Notfällen bei besonders kalten Temperaturen für einzelne Nächte Hotelzimmer anzubieten. Freundliche Grüße, F.R. In der Tat sind schon im Frühjahr weltweit Obdachlose in leerstehenden Hotels unterbracht worden. Fast alle gehören (Hoch-)Risikogruppen an, gerade Massenunterkünfte sind unter Infektionsschutzgesichtspunkten eine große Gefahr. In den USA war das aufgrund der schlechten Infrastruktur in der Wohnungslosenhilfe beinahe ein Standardvorgehen. Auch in Deutschland gab es längere Unterbringungen einer größeren Zahl Wohnungsloser, meist auf Spendenbasis. Sinnvoll erscheint uns ein solches Vorgehen, wenn es Teil der kommunalen Unterbringungsstrategie ist. Die Städte sind zur Unterbringung Obdachloser verpf lichtet. Wer „freiwillig“ draußen bleibt, lehnt entweder die angebotenen Unterbringungsformen ab – zum Beispiel in den städtischen Notschlafstellen – oder erhält keinen Zugang, weil etwa der letzte Wohnort in einer anderen Stadt war und das Sozialamt die Kosten nicht übernimmt. Wir kritisieren diese Ausschlüsse seit Jahren. Bereits im Mai haben wir etwa die Stadt Bochum in einem Offenen Brief aufgefordert, auf die Pandemie mit einer Entlastung der Sammelunterkünfte zu reagieren. Wir haben keine Antwort erhalten. Die Redaktion bodo 10.20

Avalonia: Kunstwerk, Kletterpark, Freiluftkloster

AUFLÖSUNG HEFT 10.20

Unsere Titelgeschichte im Oktober zog eine Diskussion in der Westfalenpost nach sich, ob die – unter anderem durch unsere Reportage – steigende Popularität des Boulder-Areals im Zillertal zwischen Wetter und Herdecke nicht auch Probleme brächte. Unter anderem wurde auf das ordnungswidrige Campen im Wald am Harkortsee verwiesen. In einem Leserbrief der WP schreibt Dr. Rutger Booß, den viele auch als Gründer des ehemaligen Dortmunder grafit-Verlags kennen:

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„Bouldern wird ein immer beliebterer Freizeitsport, und Herdecke verfügt mit der vorhandenen Einrichtung über ein besonders attraktives Angebot, das weiter professionalisiert werden sollte – im Interesse der Freizeitsportler und im Interesse der Herdecker Touristik. Was spricht zum Beispiel gegen einen lizensierten Übernachtungsplatz für die Kletterer im Zillertal?“


Winternothilfe am U „Bochum hilft“ – Vereine, Verbände und Kulturschaffende sammeln bis Anfang Dezember Weihnachtspäckchen für wohnungslose Menschen. Die Übergabe findet am 2. Dezember in und an der Rotunde statt. Zwischen 18 und 21 Uhr wird es dort auch eine warme Mahlzeit geben.

bodo 10.20

Kein Dach über dem Kopf Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Beharrlichkeit! Glückwunsch, dass nun endlich eine Zelt-Lösung gefunden wurde, damit in Dortmund Obdachlose nicht mehr in Schlangen auf Brote warten, die sie dann auf dem Bordstein verzehren müssen. Über Monate musste ich in bodo lesen – und in Interviews mit ihren Mitarbeitern lernen, dass nichts vorwärts ging: geschlossene öffentliche Toiletten, abgestellte Wasserbrunnen, wegen Corona unzugängliche Essensausgaben und Wärmestuben. Das Elend, wenn ich es so sagen darf, ist im ganzen Stadtgebiet augenfällig. Gut, dass es nun weitergeht. Mit Obdachlosigkeit lässt sich nicht werben, aber ich finde, dass dieses Engagement der Stadt Dortmund gut zu Gesicht steht. F.G. bodo packt an

Liebes bodo-Team, zunächst vielen Dank dafür, dass die Entrümpelung unseres Kellers in Altenbochum heute so reibungslos, schnell und freundlich geklappt hat – wir würden Sie auf alle Fälle jederzeit weiterempfehlen! Mit den besten Grüßen verbleiben – J.G. & A.O.

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

Sie wollen helfen? Von Anfang November bis Ende März versorgen das Gast-Haus, die Kana Suppenküche, der Dortmunder Wärmebus (Katholische Stadtkirche Dortmund, Malteser Hilfsdienst und St. JohannesGesellschaft) und bodo e.V. wohnungslose Menschen zweimal täglich mit Frühstück und einer warmen Mahlzeit. In einem Zelt werden wir morgens und nachmittags Mahlzeiten ausgeben und Heißgetränke ausschenken.

Dazu brauchen wir Ihre Hilfe! Frühstück Einsatz von 7 Uhr bis 12 Uhr Vorbereiten/Befüllen der Frühstückspakete Essensausgabe Ausschenken von Kaffee, Tee etc. Kaffee & Kuchen, Suppe Einsatz von 15.30 bis 20 Uhr Annahme und Warmhalten der gelieferten Suppe Ausschenken der Mahlzeiten und Getränke

mitmachen @ winternothilfeamu.org Unterstützen Sie uns bei der Winternothilfe am U. Wir freuen wir uns über Ihre E-Mail.

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Seit einem halben Jahr ist David bei bodo. Trotz seines jungen Alters hat der gebürtige Iserlohner schon viel erlebt. Bei einem Spaziergang von unserer Anlaufstelle zu seinem Verkaufsplatz hat er uns von seiner Zeit auf der Straße, vielen Rückschlägen und kleinen Erfolgen erzählt. Text und Foto: Sebastian Sellhorst

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ährend wir zu seinem Verkaufsplatz am Bio-Supermarkt in der Dortmunder Kaiserstraße laufen, erinnert sich David an seine Zeit in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen: „Ich war damals, als ich noch im Heim gelebt habe, immer viel unterwegs. Da bin ich auch nur alle paar Tage mal für eine Dusche und ein paar Nächte zum Ausruhen nach Hause gekommen, und dann war ich wieder weg. Bin mit Freunden rumgezogen, hab bei denen geschlafen, die Nächte zum Tag gemacht.“ Nach seinem Realschulabschluss fängt er eine Ausbildung zum Hotelfachmann an. „Damals hatte ich ehrlich gesagt überhaupt keine Ahnung, was ich machen möchte, also hab ich einfach irgendwas angefangen, wo man damals eine Stelle bekommen hat. Bevor ich das abgeschlossen habe, kamen mir dann aber die Drogen dazwischen.“ Mit 18 lebt er ganz auf der Straße. Die Nächte verbringt er in einem Schrebergarten. Das sei sehr verbreitet unter Leuten ohne Wohnung, er kenne viele, die das eine Zeitlang gemacht hätten. „Du suchst dir einfach ein Eckchen, das nicht be-

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„Ich bin ja noch jung, da kann ja noch was kommen“ wohnt ist. Im Winter ist ja auf vielen Parzellen überhaupt nichts los. Auf einigen sind kleinere Geräteschuppen, die nicht abgeschlossen sind. Da bin ich dann spät abends hin und hab mir eine Ecke gesucht. Morgens bin ich dann immer ganz früh wieder abgehauen, sodass mich keiner gesehen hat.“ Fast ein Jahr verbringt er die Nächte so, bis er erwischt wird und sich nach anderen Schlafplätzen umsieht. „Du bist immer hin und her gerissen, einerseits willst du möglichst weit weg von allem sein, weil das sicherer ist, andererseits musst du ja auch in die Stadt, um dich zu versorgen.“ Er schläft mit Freunden in der Innenstadt. Bekommt Ordnungsstrafen wegen Schwarzfahrens. „Wenn du morgens aufstehst und dein erster Gedanke ist, wo du deine Drogen herbekommst, dann hat ein Bahnticket für dich einfach keine Priorität. So habe ich im Laufe der Zeit eine ganze Menge Strafen gesammelt und deswegen auch eine Zeit im Gefängnis verbracht.“

Vor sechs Monaten schickt ein Freund David in bodos Anlaufstelle in Dortmund. „Damals war ich noch ohne festen Wohnsitz. Hab keine Leistungen vom Arbeitsamt bekommen und mich irgendwie so durchgemogelt.“ In unserer Anlaufstelle findet er dann doch die Kraft und stellt sich den vielen liegengebliebenen Briefen. Mittlerweile bekommt David wieder Leistungen vom Jobcenter. „Ich glaube, ich habe einfach jemanden gebraucht, der mir in den Hintern tritt und sich mit mir durch die ganzen Formulare kämpft.“ Die Wohnungssuche gestaltet sich allerdings auch weiterhin schwierig. Zurzeit lebt er bei seiner Freundin. „Jetzt bist du mit 21, ohne festen Wohnsitz und mit SchufaEinträgen natürlich auch nicht derjenige, um den sich die Vermieter reißen“, erzählt er und lacht. „Aber ich bin ja noch jung, da kann ja noch was kommen.“


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Stadt Dortmund Kulturbetriebe

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Klima Eine Ausstellung im öffentlichen Raum in Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen und Haltern am See.

Gestaltung: Lamm & Kirch, Berlin / Leipzig Fotografie: Heinrich Holtgreve, Ostkreuz

8.5.– Urbane Künste 27.6. Ruhr 21

Gesellschafter und öffentliche Förderer

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