bodo November 2019

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bodo DAS

IN STRASSENMAGAZ

E L A N I G I R O POT T-

M L I F T A M I E H ‘N H C O N

11 | 19 Die besten Geschichten auf der Straße

2,50 Euro Die Hälfte für den Verkäufer

TRAUERREDEN, DUNKELBUNT MATISSE WAR SCHOCKIERT LEBEN IM MOTEL WOHIN IM WINTER?

Wendegeschichten Seite 12

Heinz Ratz Seite 4

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Heinz Ratz

Von Peter Brandhorst

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: René Boyke, Peter Brandhorst, Alexandra Gehrhardt, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Nathan Poppe, Bastian Pütter, Tillmann Radix, Ralf, Petra von Randow, Sebastian Sellhorst Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Bianka Boyke (S. 16), Alexandra Gehrhardt (S. 8), Daesung Lee (S. 16), LWL / S. Leenen (S. 23), Markus Nass (S. 25), Nathan Poppe (S. 36, 37, 38), Daniel Sadrowski (S. 3, 12, 14, 15, 18, 19, 20, 30, 32, 33, 34, 35, 40, 41, 42), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22), Pe Werner (S. 5, 6), ZDF / Martin Rottenkolber (S. 27) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Dezember-Ausgabe 10.11.2019 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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Der vielfach ausgezeichnete Liedermacher ist ein radikal Gebender. Schon wieder stemmt er ein Mammutprojekt: 100 Konzerte zugunsten alternativer ostdeutscher Jugendzentren, denen bei wachsendem AfD-Einfluss auf Kultur- und Sozialpolitik das Aus droht.

Wendegeschichten

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Wenn von der „Wende“ gesprochen wird, rückt meist das Weltgeschehen in den Fokus. Doch die DDR – und ihr Ende – ist Teil von Lebensgeschichten, die selten erzählt werden. 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnern sich Menschen, die heute in Bochum und Dortmund leben. Von Alexandra Gehrhardt

Dunkelbunt

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„Hier ist richtig Action“ ist ein Satz, den man von einer Trauerrednerin nicht unbedingt erwartet. Überhaupt ist vieles unerwartet im Gespräch mit Beate Schwedler, Trauerrednerin und Gründerin des Vereins Forum Dunkelbunt. Von Tilmann Radix

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Ralf, bodo-Verkäufer in Bochum Liebe Leserinnen und Leser, viele von Ihnen, die regelmäßig bei mir am Dr.-Ruer-Platz in der Bochumer Innenstadt die bodo kaufen, haben es schon mitbekommen: Tyson hat eine Spielkameradin bekommen, und ich bin jetzt jeden Morgen mit zwei Hunden unterwegs. Eine Bekannte von mir musste Casey abgeben. Dann wäre die Mischlingshündin ins Tierheim gekommen. Das wollte ich aber nicht, also hab ich sie genommen. Und weil sie sich so gut mit Tyson versteht, bleibt sie jetzt bei mir. Die beiden freuen sich über den vielen Auslauf. Von meiner Wohnung bis zu unserer neuen bodo-Anlaufstelle an der Henriettenstraße sind es ja ein paar Meter. Und da ich dort fast jeden Tag bin, kommen wir schon auf reichlich Strecke. Auf dem Weg kommen wir auch an einem Hundeplatz vorbei. Aber da waren wir bis jetzt noch nicht. Die beiden sollen sich erst mal aneinander gewöhnen. Bis jetzt vertragen sie sich aber ganz hervorragend und kommen gerne mit zum bodo-Verkauf. So mancher Stammkunde nimmt nicht nur die bodo, sondern bringt den beiden auch noch ein Leckerchen mit. Bis bald auf der Straße, Ihr Verkäufer Ralf

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EDITORIAL

04 Menschen | Heinz Ratz 07 Straßenleben | Wohin im Winter? 08 Neues von bodo 12 Reportage | Wendegeschichten 16 Das Foto 16 Recht | Verspätete Mietzahlungen 17 Kommentar | Hashtag Meinungsfreiheit 17 Die Zahl 18 Reportage | Asche zu Asche 22 Wilde Kräuter | Taubnessel (2) 23 Kultur | „Pest!“ 24 Veranstaltungskalender | Verlosungen 29 Kinotipp | Land des Honigs 30 bodo geht aus | BierCafé West 32 Reportage | Dunkelbunt 36 Reportage | Kein Urlaub 39 Bücher 40 Reportage | Pott-Originale 43 Eine Frage… | Vögel füttern im Winter? 44 bodo Shop | Leserpost 45 Leserpost | Rätsel 46 Verkäufergeschichten | Dennis

Liebe Leserinnen und Leser, das geht ja wieder schnell. Gerade eben waren unsere „Kaffee & Knifte“Teams noch mit Wasserflaschen in der Stadt unterwegs, um Obdachlose in der Sommerhitze zu versorgen, da steht plötzlich der Winter vor der Tür. In Dortmund wird bereits am Gerüst für das megalomane Fichtengesteck geschraubt, der Cranger Abklatsch wird bald nachziehen, und bei uns steigt bei nasskalter Witterung die Nachfrage nach Schlafsäcken und Isomatten. Deswegen auch an dieser Stelle der Wunsch: Wenn Sie solche z.B. aus Ihrem Campingurlaub übrighaben – wir freuen uns! Bei der Arbeit am – huch – bereits vorletzten Heft dieses Jahres sind mir vielleicht zwei Dinge besonders aufgefallen. Zuerst, wie sehr wir seit 30 Jahren Mauerfall und „Wende“ mit weiter politischer oder soziologischer Optik betrachten, und wie wenig es die Geschichten der einzelnen Menschen sind, die im Mittelpunkt stehen. Alle Biografien, denen wir bei der Recherche nach RuhrgebietsbewohnerInnen mit DDR-Vergangenheit begegneten, sind eigentlich ein eigenes Buch wert. Drei finden Sie ab Seite 12. Das zweite ist, wie leicht es eigentlich ist, die gerne verdrängten Themen Sterben, Tod und Trauer ins Leben zu holen. Wenn man zum Beispiel Beate Schwedler trifft (Seite 32). Oder wenn man Birgit Schulte auf den Friedhof Hagen-Delstern begleitet (Seite 18). Gute Unterhaltung mit diesen und den anderen Geschichten in diesem Heft.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Von der Straße direkt in eine eigene Wohnung: Wir arbeiten als zertifizierte „Housing first“-Coaches daran, Obdachlosigkeit direkt und dauerhaft zu beenden. Mit Ihrer Hilfe.

Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Der Musiker Heinz Ratz ist seit Anfang des Jahres mit einem ungewöhnlichen Projekt unterwegs: Mit hundert Konzerten in hundert Städten will er eine Million Euro einsammeln. Mit dem Geld sollen von Schließung bedrohte soziokulturelle Zentren in Ostdeutschland bei ihrer Arbeit gegen Rechts unterstützt werden. Von Peter Brandhorst | Fotos: Peter Werner

Veränderungen bewirken „Na ja“, sagt Heinz Ratz dann ganz zum Schluss und kommt noch auf Ernst Barlach zu sprechen, den lange verstorbenen Bildhauer und Schriftsteller. Über das Gute im gesellschaftlichen Zusammenleben hatte Ratz zuvor laut nachgedacht, über die „anständigen Menschen, die es überall gibt“, aber vor allem auch über jene, deren Handeln „durch zerstörerische Gier bestimmt ist und die sich nicht mäßigen“. Wenn man seine Ausführungen einigermaßen richtig verstanden hat, ein insgesamt eher pessimistischer Rundblick auf den Zustand der Welt. „Na ja“, sagt Ratz jetzt also, „Barlach hat mal geschrieben: Wer die Augen vor dem Unheil in der Welt verschließe, trage mit dazu bei.“ Zu denen, das will Ratz mit Barlachs Worten sagen, möchte er nicht gehören.

„Barlach hat mal geschrieben: Wer die Augen vor dem Unheil in der Welt verschließe, trage mit dazu bei.“ Ein trübgrauer Wintermittag im Kieler Arbeiterstadtteil Gaarden. Ein Café mitten im Viertel hatte Ratz als Interviewort vorgeschlagen. „Ich fühle mich dort am wohlsten, wo sich die Realität spiegelt.“ Heinz Ratz, 51 Jahre alt, privat in der Nähe von Kiel zu Hause und als Rockmusiker und Schriftsteller beruflich im ganzen Bundesgebiet unterwegs, ist gekommen, um über sein neuestes Projekt zu sprechen. Bis März will er mit seiner Band „Strom & Wasser“ bei hundert Konzerten in hundert deutschen Städten „Eine Million gegen Rechts“ einspielen. Mit dem Geld sollen von Schließung bedrohte Jugend- und Kulturzentren in Ostdeutschland bei ihrer Arbeit gegen rechte und ausländerfeind-

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liche Strömungen unterstützt werden. Unmöglich? Vielleicht. 100.000 Euro sind es bereits, „und das ist ja schon Geld“, sagt Ratz. Und warum braucht es Geld für selbstverwaltete Jugendhäuser und soziokulturelle Zentren? „Seit 20 Jahren erlebe ich, dass sie auf dem Land die einzigen sind, die den faschistischen Strömungen entgegentreten, einen eigenen kleinen Kosmos schaffen, wo sich geflüchtete Menschen angstfrei bewegen können, wo es einen Kicker gibt und Sprachkurse und Weltmusik und eine wirklich alternative Kultur, die aber dort eben nicht gewollt ist.“ Ratz, an diesem Tag mit dunklem Kapuzenpulli und ausgewaschener blauer Jeans unterwegs, will kein Aufhebens machen um seine Person; leise spricht er und unaufgeregt, wenn er seine Motivation beschreibt. Von Menschlichkeit ist dann die Rede, für die er sich einsetze. „Ich will gesellschaftliche Veränderungen bewirken“, sagt Ratz, und auf dem Weg dahin verknüpft er seinen Bereich des Wortes, den des Liedes mit dem der Tat. Bereits zwischen 2008 und 2011 ist er von Dortmund aus tausend Kilometer durch Deutschland gewandert, um Geld für Obdachlose zu sammeln. Er ist vom Bodensee aus durch Flüsse und Seen bis nach Kiel geschwommen, um auf das Artensterben aufmerksam zu machen. Und er hat mit dem Fahrrad 5.000 Kilometer zurückgelegt mit dem Ziel, auf die Situation Geflüchteter hinzuweisen. „Moralischer Triathlon“ hat er diese körperlichen Kraftanstrengungen genannt, zu denen an jeder Etappe auch Konzertveranstaltungen gehörten und bei denen insgesamt 100.000 Euro Spenden zusammenkamen. „Plus ein paar hundert Musikins-trumente als Sachspenden für Geflüchtete“, wie er sagt.


Heinz Ratz aufgewachsen in Dortmund, Saragossa (Spanien), Tabuk (Saudi-Arabien), Amman (Jordanien), Peru und Baden-Württemberg Band: Strom & Wasser, strom-wasser.de Moralischer Triathlon: 2008 „Lauf gegen die Kälte“, 2009 „Die Lee(h)re der Flüsse“, 2011 „Tour der 1.000 Brücken“ Flüchtlingsprojekte: 150 Konzerte mit Geflüchteten-Band „The Refugees“, „Fluchtschiff“-Sommer-Floßtour mit geflüchteten Frauen „Eine Million gegen Rechts“ läuft bis Ende 2019, Tourplan: www.offensivbuero.de

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MENSCHEN

Und noch etwas ist wichtig: Der in Bad Godesberg als Sohn eines deutschen Arztes und einer peruanischen Indigena Geborene hat in acht Ländern fünfzigmal den Wohnort wechseln müssen und sechzehnmal die Schule. Mit 22, nach seiner Totalverweigerung, lebte er ein Jahr lang obdachlos im Kölner Raum. Erst vor zwölf Jahren ist er bei Kiel heimisch geworden. „Ich wollte meinen beiden Kindern ein Zuhause in Meernähe schaffen.“ Ratz weiß aus eigenem Erleben, was Armut bedeutet, als Heranwachsender prägte ihn der Aufenthalt in den Armenvierteln von Peru und Argentinien. Noch bis zu seinem 30. Lebensjahr hat er in extremer Armut gelebt, bis heute ist ihm materieller Reichtum kein erstrebenswertes Ziel. Sein Wertegefühl orientiert sich an

„Die Demokratie ist nicht einfach eine Selbstverständlichkeit. Die muss beschützt werden, und dafür muss man auch bereit sein, Stellung zu beziehen und den Mund aufzumachen.“

dem indianischer Völker. „Angesehen ist dort, wer abgibt“, sagt Ratz, „nicht, wer besitzt.“ Und so engagiert er sich seit vielen Jahren für jene Menschen, die nicht auf dem Sonnendeck durchs Leben segeln. Zurück zu der Million, zurück zu den hundert Konzerten in hundert Städten. Der Eintritt ist immer frei, Besucher werden um Spenden gebeten. Befreundete Künstler werben bei eigenen Auftritten weitere Unterstützung ein. Für die Million brauchte es die Großen – Unternehmen, Städte, Gewerkschaften, Kirchen. „Aber“, gibt Heinz Ratz sich keinen Illusionen hin, „wie so oft ist da, wo das Geld sitzt, eher nichts zu holen.“ Unterstützung erfährt Ratz hingegen von verschiedenen Stiftungen, sie tragen die reinen Veranstaltungskosten und kleine Gagen für die professionellen Bandmusiker. Auch die 2.500 Euro Preisgeld, die Ratz vergangenen Herbst für die Auszeichnung „Applaus“ von der „Initiative Musik“ erhalten hat, sind in diesen Topf geflossen. Er selbst, der in der Vergangenheit für drei seiner insgesamt 20 CDs mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichnet worden ist, lebt während der Millionen-Tour vom Verkauf seiner CDs und Bücher. „Ich bin zwar ewig pleite“, sagt Ratz, „aber ich komme zurecht.“ Anlass für die Tour ist die Wahl dreier Landtage und verschiedener Kommunalparlamente in Ostdeutschland. „Was wir mit den AfD-Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen gesehen haben, ist ein Riesenproblem, weil jetzt über Ausschüsse und Gremien Kultur- und Sozialpolitik gemacht wird“, sagt Ratz. Ein Dorn im Auge seien den Rechten die soziokulturellen Zentren. Das über seine Tour gesammelte Geld soll besonders gefährdeten Einrichtungen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Weiterarbeit ermöglichen. Natürlich will der Liedermacher Ratz mit seiner Kunst unterhalten. Genauso selbstverständlich ist ihm, dem politisch denkenden Künstler, jedes Handeln auf der Bühne immer im Zusammenhang zu sehen mit der Lebenswirklichkeit derjenigen, die seiner Musik zuhören, seine Gedichte und Novellen lesen. Ratz will nicht nur einfach da sein, er will auch Akteur sein. Er will Teil derer sein, die ihre Augen nicht verschließen vor den Zuständen in der Welt. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Hempels / INSP.ngo

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STRASSENLEBEN

Kaum Schutz vor dem Winter D

er Bedarf an Lösungen bleibt hoch: 1.400 Wohnungsnotfälle waren allein in Dortmund für 2018 gemeldet – Menschen, die über die Kommune oder freie Träger untergebracht sind, weil sie keinen eigenen Mietvertrag haben.

Seit drei Jahren laden stets am 17. Oktober, dem Welttag zur Beseitigung der Armut, die Kana Suppenküche, das Gast-Haus und bodo vor das Dortmunder Rathaus, um auf die Situation Wohnungsloser aufmerksam zu machen. Trotz Verbesserungen in der kommunalen Wohnungslosenhilfe fehlt es, vor allem im Winter, an funktionierenden Lösungen. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Sebastian Sellhorst

Die Stadt hat 2018 begonnen, ihre Wohnungslosenhilfe neu auszurichten. Erste Schritte sind bereits gemacht, doch es bleiben Lücken. Zwei im städtischen Konzept angekündigte neue Unterkünfte fehlen nach wie vor. Wie gut der Plan, Betroffene zeitnah in städtische Wohnungen zu vermitteln, auf Dauer funktioniert, ist schwer abschätzbar. Und es bleiben Ausschlüsse: Die Angebote sind für DortmunderInnen, nicht für Menschen, die woanders gemeldet oder EUZugewanderte ohne Leistungsanspruch in Deutschland sind. Gast-Haus-Geschäftsführerin Katrin Lauterborn stellte die Frage: „Warum gibt es in Dortmund kein Winternotprogramm wie in anderen Städten?“ Das Gast-Haus hat ehrenamtlich im vergangenen Winter bei Minusgeraden seine Räume geöffnet – für Obdachlose mit Hund oder Menschen,

denen die Stadt den Anspruch auf Unterbringung nicht zugesteht. Das sind viele. Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der FH Dortmund wurden im Mai Wohnungslose in Dortmund gezählt und zu ihrer Situation interviewt. Ein Ergebnis: Mindestens 606 Menschen leben nach eigenen Angaben ohne Wohnung oder ungeschützt auf der Straße, weitere 200 sind akut davon bedroht. Die Einrichtungen – in diesem Jahr waren auch die Suppenküche Wichern und das Obdachlosenkaffee St. Reinoldi dabei – haben außerdem eine Erklärung der Suppenküchen und Tagestreffs in NRW vorgestellt, in denen Forderungen nach Sofortmaßnahmen formuliert sind: die

Vertreibung Wohnungsloser und armer Menschen aus dem öffentlichen Raum und den Konsumbereichen der Städte zu beenden und bei Minusgraden geschützte, öffentliche Räume zu öffnen. Dennoch: „Eine U-Bahn-Station ist kein Zuhause“, heißt es in der Erklärung. Daher fordern die Initiativen auch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und eine Unterbringung, die sich nicht nach Kostenträgern oder Leistungsanspruch richtet, sondern nach den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen.

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NEUES VON BODO

Auf Augenhöhe Wohin lädt man Gäste ein, wenn man keine eigene Wohnung hat? Yoana Todorova beantwortete im April diese Frage künstlerisch: Mitten in der Dortmunder Innenstadt baute sie ein Wohnzimmer auf. Den ganzen Nachmittag über luden bodo-VerkäuferInnen die Vorbeikommenden zu Gesprächen „Auf Augenhöhe“, so der Titel des Projekts. Mit verblüffendem Erfolg: Wunderbare Gespräche unter völlig Fremden ergaben sich. Yoana Todorova, die an der FH Dortmund Kommunikationsdesign studiert, filmte die Wohnzimmerdialoge und fotografierte unsere VerkäuferInnen. Im November präsentiert sie eine Ausstellung mit Videoinstallationen und Foto-Collagen in der Nordstadtgalerie, Bornstraße 142, Ecke Schüchtermannstraße in Dortmund. Vernissage am Freitag, 8. November, 19 Uhr

TERMINE Soziale Stadtführungen Dortmund, 9. November, 11 Uhr Bochum, 16. November, 11 Uhr Anmeldung unter 0231 – 950 978 0 Auf Augenhöhe Ausstellung von Yoana Todorova mit bodo-Verkäufern Nordstadtgalerie Bornstraße 142, Dortmund Vernissage: 8. November, 19 Uhr Spendenflohmarkt der Initiativen So., 10. November, 11 – 15 Uhr Bahnhof Langendreer Bochum hilft Weihnachtsaktion für Wohnungslose Di., 3. Dezember, 18 – 22 Uhr Rotunde, Konrad-AdenauerPlatz 3, Bochum 8

Bochum hilft

Spendenflohmarkt

Auch in diesem Jahr engagiert sich die Initiative „Bochum hilft“ für die Armen und Wohnungslosen der Stadt. Initiator Michael Doering, Techniker am Schauspielhaus, hatte vor drei Jahren erstmals Kulturschaffende und Hilfsorganisationen zusammengebracht und eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Auch in diesem Jahr werden in Betrieben Weihnachtspakete für Wohnungslose gesammelt. Vor der großen Feier am 3. Dezember wird in der Kantine des Schauspielhauses gekocht, in der Rotunde selbst gibt es ein Musikprogramm und das große gemeinsame Essen mit Geschenkübergabe. Spenden nehmen wir und die Diakonie in der Henriettenstraße entgegen.

Das Kulturzentrum Bahnhof Langendreer lädt in diesem Jahr am Sonntag, dem 10. November, zum 11. Spendenf lohmarkt. Eine ganze Reihe Gruppen, Vereine und Initiativen räumen erneut Keller, Garagen, Bücherregale und Kleiderschränke, um Geld für ihre Arbeit zu sammeln. In diesem Jahr sind auch wir von bodo wieder dabei. Am Wallbaumweg gibt es Kaffee und Kuchen, gute Musik, nette Gespräche mit engagierten Menschen und die Möglichkeit, mit lokalen Initiativen in Kontakt zu kommen – aber vor allem natürlich gibt es die Chance auf Trödel- und Flohmarktschnäppchen für den guten Zweck. Kulturzentrum Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, Bochum, 11 – 15 Uhr


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Schlafsäcke Gemeinsam mit den Dortmunder WohnungslosenhilfeEinrichtungen Gast-Haus und Kana und mit der Diakonie Ruhr bittet bodo um Schlafsackspenden. Schlafsäcke und Isomatten nehmen wir gerne in unserem Dortmunder Buchladen am Schwanenwall 36 – 38 und in unserer Bochumer Kleiderkammer, Liebfrauenstraße 8 – 10 entgegen. Vielen Dank!

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

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Courage-Tag Am 27. November findet im DFB-Fußballmuseum in Dortmund der 3. Courage-Tag des europäischen Jugendnetzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ statt. Schüler-, Lehrer- und SchulsozialarbeiterInnen arbeiten an diesem Tag in Workshops zu Themen wie Flucht und Migration oder Homophobie, Nationalismus oder Rassismus im Fußball und absolvieren einen Stadtrundgang zur Dortmunder Geschichte im Nationalsozialismus. Zum Auftakt diskutieren bei einer Podiumsdiskussion VertreterInnen von bodo, des BVB, der Fridays for Future und der Dorstfelder Quartiersdemokraten über Zivilgesellschaft, Aktivismus und Engagement. Danke für die Einladung. 9


NEUES VON BODO

Klima lokal angepackt Vier Tage lang ging es im Oktober in unserem Buchladen um ein Thema: Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv hatte in Kooperation mit bodo zur Klima-Themenwoche nach Dortmund geladen. Jeder Abend wurde mit ExpertInnen zu einem anderen Schwerpunkt diskutiert: Wie verändert der Klimawandel unsere Städte? Wie steht es um die Mobilität in Dortmund, was plant die Stadt und was ist nötig, wenn der Weg von A nach B ressourcenschonend, günstig und einfach sein soll? Bedeutet Klimaschutz wirklich Verzicht? Was sind die Strategien der Klimaleugner? Und was passiert, wenn Aktivismus auf Realpolitik trifft? Eine Erkenntnis der Themenwoche: Lösungen zu finden, mit denen alle gut leben können, ist schwierig – und es braucht den Willen, etwas zu verändern, zu Hause und in den Rathäusern. Vom 4. bis 7. November findet die nächste Klimawoche im Bochumer Theater „Rottstr 5“ statt. www.correctiv.org

SOZIALES Eine jährliche, bundesweite Wohnungslosenzählung ab 2022 wurde im September durch die Bundesregierung beschlossen. Sie entspricht damit den langjährigen Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe BAG W nach verlässlichen Daten über Ausmaß und Struktur, auch wenn nur untergebrachte Wohnungslose erfasst werden, nicht Menschen, die bei Bekannten unterkommen oder die ungeschützt auf der Straße leben. Niederlage bei der Vertreibung von Obdachlosen: Die Stadt Düsseldorf ist dabei gescheitert, eine „Platte“, einen Lagerplatz Obdachloser unter der Rheinkniebrücke in unmittelbarer Nähe zum Landtag, zu verdrängen. Die Findlinge, mit denen der Platz unter der Brücke belegt worden war, wurden von Obdachlosen und Mitarbeitern des Straßenmagazins fiftyfifty unter großem Medieninteresse vor dem Rathaus abgelegt. Wohnkostenlücke: Bei mehr als einer halben Million Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften zahlen die Jobcenter nicht die tatsächlichen Kosten der Unterkunft, so die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Katja Kipping (Die Linke). Im Schnitt sparen sich Bedarfsgemeinschaften fast tausend Euro pro Jahr vom Munde ab, um steigende Mieten und Heizkosten, die das Amt nicht übernimmt, zu bezahlen. Beispielhafte Bürgerbeteiligung: Der Paritätische lobt die Ergebnisse des „Zukunftsdialogs“ des Bundesarbeitsministeriums. Die Reformpläne, die Hubertus Heil Ende September präsentierte, seien in ihrer Erarbeitung „beispielhaft“, die Vorschläge zur Reform von Kindergeld und Teilhabeleistungen seien gar eine „kleine Revolution“. Kritisiert wird hingegen die ausbleibende Anhebung der Regelsätze. 10

Bildungskonferenz Unter dem Thema „Migration, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit“ findet am Dienstag, dem 19. November, von 13 bis 17.30 Uhr die zweite Bildungskonferenz Nordstadt statt. Die von der AWO Dortmund ausgerichtete Konferenz tagt in diesem Jahr im Dietrich-Keuning-Haus. In Impulsvorträgen, Talkrunden und Workshops geht es um Wege zu einem verantwortlichen Miteinander verschiedener Kulturen, zu nachhaltiger Bildung für alle und ökologischem Wirtschaften. Bastian Pütter (bodo e.V.) moderiert die Vorträge und Diskussionen mit unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Akteuren und Organisationen. Der Eintritt ist frei.


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www.facebook.com/bodoev info@bodoev.de 0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 9 – 16 Uhr Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Spendenannahme DO Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Mo. 10 – 13, Sa. 10 – 12 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Suzanne Präkelt buch@bodoev.de Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

Die Welt besser verstehen aft.nrw

esellsch interkulturell lesenwww.auslandsg diskutieren nachfragen Verständigung politische Seminare Freundschaften lachen mitfühlen Ehrenamt Austausch denken Musik Begegnung schreiben Erinnerung Kultur Toleranz lesen Zusammenleben erzählen weltoffen Völkerverständigung weltoffen Reisen erklären lernen diskutieren Erinnerung Sprache Zivilgesellschaft Zusammenleben Miteinander Beratung lernen Integration Internationale Politik Europa berichten Auslandsaufenthalte offen schreiben Politische Bildung Austausch Brücken bauen informieren bürgerschaftliches Engagement lernen reden streiten Demokratie mitwirken lernen Engagement weltoffen schreiben Sprache nachdenken Politik Zusammenleben Reisen Demokratie Veranstaltungen Reisen Erinnerung mitfühlen Kultur Vorträge Ehrenamt erklären berichten Offenheit Humanität Verständigung interkulturell international Studienreisen nachfragen miteinander lachen informieren reden mitfühlen erzählen Dialog lernen erleben Musik Sprache mitwirken diskutieren Austausch

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Gedenken

Kaffee & Knifte

Auf dem Dortmunder Ostfriedhof findet am Freitag, dem 28. November, die jährliche Gedenkfeier für verstorbene Wohnungslose statt. Beginn ist um 15 Uhr in der Franziskanerkirche. In Bochum laden beide christlichen Kirchen alle zwei Monate zu einer Gedenkfeier für die „Unbedachten“, BochumerInnen, die ohne Angehörige sind und von der Stadt anonym beerdigt werden. Die Feier findet am 26. November um 17 Uhr in der Pauluskirche in der Bochumer City statt. Auch wir gedenken der bodo-VerkäuferInnen, der Gäste unserer Bochumer und Dortmunder Anlaufstellen und der Bekannten aus der Wohnungslosenszene, die in diesem Jahr verstorben sind.

Auf regelmäßigen Touren durch die Bochumer und die Dortmunder Innenstadt versorgen wir Wohnungslose mit „Kaffee und Knifte“. Außerhalb der Öffnungszeiten der Anlaufstellen gehen unsere Teams auf festen Routen durch die beiden Innenstädte. In umgebauten und bodo-rot lackierten alten Zustellwagen der Post haben sie heiße Getränke, belegte Brote, Hygieneartikel und Schlafsäcke dabei. Wir informieren über die bestehenden Hilfsangebote und werben in der Winterkälte dafür, Anlaufstellen und die bestehenden Notübernachtungsstellen zu nutzen. Für unser Dortmunder Angebot suchen wir noch Unterstützung: ehrenamt@bodoev.de oder 0231 – 950 978 0.

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REPORTAGE

Wenn von der „Wende“ gesprochen wird, rückt meist das Weltgeschehen in den Fokus: die Demonstrationen, der Kommunikationsunfall, der am 9. November 1989 zur Grenzöffnung führte, Menschen, die auf der Mauer tanzen. Doch die DDR – und ihr Ende – ist Teil von Lebensgeschichten, die selten erzählt werden. 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnern sich Menschen, die heute in Bochum und Dortmund leben, wie sie die Wendejahre erlebten. Von Alexandra Gehrhardt | Fotos: Daniel Sadrowski

Sarah Sarah Jasinszczak, 54, ist Theaterpädagogin am Schauspiel Dortmund, aufgewachsen ist sie in Ostberlin. In den 80er Jahren war sie in der Jugendopposition aktiv. Als andere gingen, blieb sie.

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Wende geschichten

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Ich habe als Kind direkt an der Mauer gewohnt, das durften wir, weil mein Vater Polizist war. Mich hat wahnsinnig interessiert, was auf der anderen Seite ist. Im Stadion in der Nähe haben wir versucht, von den oberen Reihen einen Blick in den Wedding zu erhaschen. Aber das war nicht sehr spannend, an der Grenze war der Wedding auch zu Ende. Auf der Oderberger Straße sind wir als Kinder Rollschuh gefahren. An der Grenze war ein Turm, von dem aus man aus Westberlin zu uns herübergucken konnte. An einem Tag war dort eine Schulklasse. Es hatte geregnet und alle hatten gelbe Friesennerze an. Ich sagte zu meiner Freundin: „Guck mal, die Armen, die sind da drüben eingesperrt und haben alle das Gleiche an.“ Für mich waren, zumindest vor der Schulzeit, die Westberliner eingesperrt. Als Jugendliche habe ich mit meinem Vater zusammen Nachrichten geschaut, „Aktuelle Kamera“ und „Tagesschau“. Ich habe viel mit ihm diskutiert, weil ich vieles anders sah als er. Mit 15 bin ich zu sogenannten Blues-Messen gegangen, wo die Hippies und die Intellektuellen waren. Ich wollte Germanistik studieren, wurde aber abgelehnt wegen „politischer Auffälligkeiten“. Das hat innerlichen Protest erzeugt. Ab 1987 war ich in der Umwelt-Bibliothek aktiv, einem getarnten Umweltkreis, wo man verbotene Literatur ausleihen konnte. Im Keller der Zionskirche haben wir die „Umweltblätter“ gedruckt und nach Mitternacht den „Grenzwall“, das Verbotenste vom Verbotenen. Einmal wurden wir beim Drucken erwischt und verhaftet, sind aber schnell wieder freigekommen. Zur RosaLuxemburg-Demonstration im Januar ‘88 hatten wir dann Transparente gemalt mit „Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden.“ Da kam mein Freund dann für sechs Monate ins Gefängnis. Der Anwalt sagte mir, wir könnten

jederzeit zusammen einen Ausreiseantrag stellen und wären am nächsten Tag im Westen. Das hat mich erschüttert. Bis dahin dachte ich: Ich bin vielleicht ein bisschen ungehorsam, aber die ungehorsamen Menschen muss es geben. Ich bin doch hier aufgewachsen, ich will hier was verändern. Plötzlich sagte man mir: Du musst hier nicht mehr mitspielen. Ab Sommer ‘89 waren immer mehr Leute in die Umwelt-Bibliothek gekommen, man hat die Stimmung schon gemerkt. Am 9. November saßen wir in der Umwelt-Bibliothek und fragten uns: Was bedeutet das jetzt? Wir sind zum Übergang Bornholmer Straße gelaufen und gehörten zu den ersten, die über die Bornholmer Brücke gingen. Wir haben eine Freundin im Westen besucht – sie ist heute eine meiner besten Freundinnen – und sind eine ganze Woche dort geblieben, weil wir nicht wussten, ob die Mauer wieder geschlossen wird. Theater war immer ein Hobby gewesen, schon mit 14 an der Volksbühne. In Schwerin hatte ich dann durch Zufall meine erste Regieassistenz und habe dann in Köln die Ausbildung zur Theaterpädagogin gemacht. Ich möchte weitergeben, was ich erlebt habe; junge Menschen durch Erleben auf neue Ideen bringen, sie anregen, ihren Horizont zu erweitern. Das ist das, worin ich mich sehe und seit mehr als 20 Jahren sehr gut fühle.

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REPORTAGE

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Mein Vater wollte immer, immer weg. Meine Eltern haben irgendwann Briefe geschrieben, um auszureisen, aber ohne Reaktion. Dann haben sie die erste Flucht geplant, lange vorbereitet, und geübt, im Kofferraum still zu liegen. Die Stasi hat es trotzdem mitbekommen, dann wurde es von meinem Vater abgeblasen. Erstmal passierte nichts. Aber wir wurden beschattet. Meine Eltern wussten immer, es wird alles abgehört, man bespricht nichts zu Hause. Im Auto haben wir die Kennzeichen von den Autos aufgeschrieben, die uns folgen, wie im schlechten Film. An einem Morgen im Frühjahr 1978 wurden sie verhaftet. Sie wurden verurteilt, meine Mutter war neun Monate weg, mein Vater anderthalb Jahre. Wir Kinder hatten das unfassbare Glück, dass wir nicht in eines der berüchtigten Heime kamen. Es gab eine Familie, die hat uns aufgenommen. Ganz herzliche Leute waren das. Das war ein großer Triumph. Die Stasi hatte ja versucht, unsere Familie zu zerstören, das haben sie nicht geschafft. Ich habe von meiner Mutter in dieser Zeit mal ein Ausmalbild bekommen. Sie hatte es vorgemalt, ein Schmetterlings-Mädchen. Das hab ich ganz langsam ausgemalt in der Hoffnung, dass sie das noch sieht, bevor es fertig ist. Das war, als wenn ich sie vergesse, wenn ich das einfach ausmale. Und ich war sehr glücklich, als sie wiederkam. Mein Vater war schon fertig nach der Haft. Er wurde degradiert auf der Arbeit, hatte Schlafprobleme und sehr gelitten. Sie haben weiter Fluchtpläne geschmiedet, aber keinen umgesetzt.

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Ich bin in einer Plattenbausiedlung groß geworden, direkt am Wald. Also hab ich viel Zeit meiner Jugend im Wald verbracht und hab da Buden gebaut. Als Kinder haben wir extrem viel Sport gemacht, es war fast jeder in unserer Klasse im Sportverein. Das war dem Staat wichtig, Sport auch eine Form von Klassenkampf. Und ich bin viel ins Kino gegangen. Wir haben Altstoffe gesammelt, für ein Kilo Papier 50 Pfennig, für jedes Glas 5 Pfennig. Von zwei Kilo Papier wegbringen konntest du zweimal ins Kino gehen. Wir haben E.T. geguckt oder BMX-Bande, das lief im Osten auch. Geschichte war immer mein Lieblingsfach. Aber als 1992 der West-Lehrplan eingeführt wurde und ich nach den Ferien in die Schule kam, lernte ich plötzlich das genaue Gegenteil von dem, was man acht Wochen vorher gehört hatte. Das hat mein Bild von Realität extrem geprägt. 1994 war ich mit der Schule fertig. Damals war eine ziemliche Wirtschaftskrise im Osten, aber in Bamberg gab es Jobs. Dort hab ich eine Steinmetzlehre gemacht, bin tagsüber in die Werkhalle gegangen und abends ins Fotolabor. Spannend ist die Zeit ab 1989/90, die war heftig. Erst die Euphorie: Die Mauer ist weg, wir können uns frei bewegen! Dann die Ernüchterung: Scheiße, dazu brauchen wir ja Geld. Und du brauchtest einen Job, und die waren auf einmal weg. Mein Vater hatte was mit Informatik studiert, das konntest du in die Tonne kloppen. Die Euphorie ist einer totalen Angst gewichen. Bei uns im Haus haben zehn Familien gewohnt, die Hälfte von denen hat sich innerhalb von zwei Jahren scheiden lassen. Da ist viel kaputt gegangen. Diese Zukunftsangst haben meine Eltern auch auf mich übertragen.

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Christiane Christiane Gurung, geb. 1973, ist Geigerin bei den Bochumer Symphonikern und stammt aus Neuruppin. Die Eltern wollten weg und gingen ins Gefängnis. Den Mauerfall erlebte sie aber doch im Westen.


`85 sind wir endlich raus. Es war Januar, richtiges Schneetreiben, ein total vollbeladenes Auto. Mein Vater ist 40 oder 50 km/h gefahren, damit wir bloß keinen Unfall bauen und die uns doch noch drin behalten. Dann, bei den Verwandten in Bielefeld, war es ein einziges Feiern. Und nach drei, vier Wochen hatte mein Vater schon Arbeit gefunden. Meine Eltern sind dann nochmal richtig durchgestartet. Zum Mauerfall war ich in England auf Schulaustausch, ohne Lehrer. Niemand hat nach Hause telefoniert, und wenn Nachrichten liefen, hat man weggeschaltet. Erst drei Tage später sahen wir: Da stehen ja Menschen auf der Mauer. Ich habe neue Lehrer und besseren Geigenunterricht bekommen. Es war einfach nur positiv in jeder Hinsicht. Meine Eltern haben geschafft, was sie immer wollten: Ihre Kinder wachsen in Freiheit auf. Es ist schön für mich, dass ich erleben kann, dass sie null verbittert sind. Mir hängt bis heute an, dass ich ein bisschen anders bin. Als ich nach Wuppertal zog, war ich 14, kam aus dem Osten, war nicht modisch, hatte keinen Freund, hörte die falsche Musik und spielte auch noch Geige. Aber das hat unheimlich gut getan für mein Leben. Ich kann einfach überall anfangen, mit Leuten schnell Kontakt aufbauen. Ich bin seit 17 Jahren in Bochum und hab mich hier sofort wohlgefühlt. Das Ruhrgebiet ist ein bisschen wie Osten in mancher Hinsicht, zum Beispiel dieses Rumbasteln an den Lauben und Kleingärten. Dass man die Schönheit manchmal suchen muss, und dass die Leute hier nicht so verwöhnt sind. Es klingt wie ein Klischee, aber sie haben das Herz auf dem rechten Fleck.

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Marco Marco Wittkowski lebte in Potsdam. Er war 12, als die Mauer fiel. Seit 20 Jahren lebt der Künstler in Dortmund. Das Spannende, sagt er, waren nicht die Jahre vor der Wende, sondern die danach.

Die haben Wahnsinnsdruck gemacht und hatten Angst, dass ich nie ein Vorstellungsgespräch bestehe. Das hat dazu geführt, dass ich mich irgendwann in der Psychiatrie ausruhen musste. Als Künstler habe ich immer ein Tristesse-Thema. Das entspricht den Bildern meiner Jugend. Eine Freundin war die einzige in ihrer Klasse mit einem Ausbildungsplatz. Manche sind anschaffen gegangen, andere haben Drogen verkauft und Autos geknackt. Mein ganzes Viertel, eigentlich eine gute Gegend, war mit einem Mal völlig anders. Ich musste mich ständig prügeln, viele Schüler waren bewaffnet: CS-Gas, Messer, Gasknarren waren Standard. Alles war aufgeladen. Es gab dann auch die ersten Neonazi-Anschläge. Und dann hat man sich positioniert, entweder links oder rechts. In Potsdam ist eine Hausbesetzerszene prosperiert. In der DDR musstest du heiraten, um ein Anrecht auf eine Wohnung zu haben. Manche wollten das nicht und haben Häuser besetzt und es sich kommod gemacht. Eine ganze Straße mit 120 Hausnummern war bis 1994 besetzt, da gab es Kneipen, Straßentheater und Jugendkultur. Als ich 1999 nach Dortmund gekommen bin, ging es immer um „Strukturwandel“. Da dachte ich: Ja, das hier ist vielleicht ein Strukturwandel, aber das bei uns war ein Systemwandel. Da ist keiner aufgefangen worden. Insgesamt habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht und wurde mit viel Interesse empfangen. Ich würde mir wünschen, wenn das Interesse am Westen im Osten genauso wäre.

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DAS FOTO

„Gerechtigkeit“ lautet das Thema des Festivals für zeitgenössische Fotografie „f²“, das vom 7. bis 24. November in Dortmund stattfindet. Das Bild des in Paris lebenden Fotografen Daesung Lee stammt aus einer Serie über die Insel Ghoramara im Gangesdelta, die durch den steigenden Meeresspiegel langsam verschwindet. Es ist Teil der Ausstellung „Follow the Water“, die ab 7. November im Depot gezeigt wird. Foto: Daesung Lee | Infos: www.f2fotofestival.de

RECHT

Jobcenter zahlt verspätet – Wohnung gekündigt Von René Boyke Jobcenter verlangen von ALG-IIBeziehenden die penible Einhaltung von Regeln und sprechen bei Nichteinhaltung einschneidende Sanktionen aus. Allerdings halten sich Behörden häufig nicht an Regeln oder das Gesetz. Sanktioniert werden sie dafür nicht. Im Gegenteil: Nicht selten halten für das Fehlverhalten der Behörde die Leistungsempfänger den Kopf hin.

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So etwa bei einem Mann, dem die Wohnung gekündigt wurde, weil das Jobcenter die Miete dauernd zu spät überwies. Die Behörde zahlte sogar in Raten und zu häufig erst nach Monatsende. Doch gegen die Wohnungskündigung musste sich nicht das Jobcenter wehren, sondern der Mieter. Er hatte zunächst auch Erfolg, weil das Gericht der Ansicht war, das Jobcenter sei nicht Erfül-

lungsgehilfe des Mieters und daher seien die Verspätungen nicht dem Mieter zurechenbar. Der Bundesgerichtshof entschied jedoch im Berufungsverfahren, dass der Vermieter möglicherweise doch kündigen dürfe, etwa wenn er auf die pünktlichen Mietzahlung angewiesen sei oder einen Kredit bedienen müsse. Zwar ist der Rechtsstreit noch nicht abschließend entschieden, jedoch zeigt


KOMMENTAR

Hashtag Meinungsfreiheit Von Bastian Pütter Ok, wir führen also tatsächlich eine Debatte zur Frage, ob man in diesem Land noch seine Meinung sagen darf? Das ist ermüdend. Ermüdend, weil die radikale Rechte auch diese Erfindung an Union und FDP, an Bild und Welt weitergeschenkt hat. Die Rede von der eingeschränkten Meinungsfreiheit ist das neue „Merkels Grenzöffnung“.

Der Populismus der Mitte

Vom AfD-Parlamentarier bis zum Rechtsterroristen dominiert die Vorstellung, den eigentlichen „Volkswillen“ zu repräsentieren. Statt Aushandlungen zwischen Mehr- und Minderheiten sieht die radikale Rechte ein von Feinden – Elite, Linke, Migranten – belagertes völkisches Wir. Zum Verteidigungskampf entlang dieser Linien gehören Opferpathos und Hemmungslosigkeit gleichermaßen. Die hunderttausendfach geäußerten, gedruckten und geposteten Widerlichkeiten, die Verrohung des Diskurses und die Verschiebung der Sagbarkeitsgrenzen können so einfach neben der Behauptung versagter „Meinungsfreiheit“ stehen. Denn die meint eigentlich ein „Widerspruchsverbot“. Wie jedes rechte Narrativ seit 2015 findet die Nummer mit der Meinungsfreiheit dankbare Abnehmer in der behaupteten Mitte. Nach den Nazi-Morden von Kassel und Halle fällt der CSU zu studentischem Protest an einer Hochschule ein: „Wer Lesungen verhindert, würde auch Bücher verbrennen!“ Was? Dass die Gesellschaft „gegen die Antifa-Meinungsdiktatur“ zusammenstehen müsse, brüllt kein NPD-Kader vom LKW, sondern teilt der medienpolitische Sprecher der Jungen Union mit. Und natürlich springt auch Christian Lindner (FDP) mit einer Ich-ich-ich-Geschichte auf den rechten Zug auf. Hashtag Meinungsfreiheit. Dass die verdrehte Definition bereits bei konservativen Demoskopen und nennenswerten Teilen des Wahlvolks angekommen ist, zeigt eine AllensbachUmfrage vom Mai, die ein Hintergrund der Debatte ist. Den Befragten wurde eine Liste mit Themen vorgelegt mit der suggestiven Frage, welche davon heikel seien und an welchen man sich „leicht den Mund verbrennen“ könne. Gut zwei Drittel entschieden sich für „Flüchtlinge“, gefolgt von „Islam“ und etwa „Homosexualität“, „Juden“ usw. Abgefragt wird also der Wunsch, unwidersprochen zu bleiben. Der ist verständlich, aber pardon, diese Zeiten sind vorbei. Minderheiten, die „Meinungen“ jahrzehntelang erduldet haben, weisen sie inzwischen zurück. Das ist lauter und anstrengender, aber ein Fortschritt. Das Ziel demokratischer Politik müsste sein, den Streit zu kultivieren und nicht Arm in Arm mit den Rechtsradikalen Opfermythen zu kultivieren.

er, wer letztlich Leidtragende sind, wenn Jobcenter Fehler machen. Sollte sich die Kündigung als wirksam erweisen, sollte der Mann Ansprüche gegen die Behörde prüfen lassen. Jobcenter kürzen auch Mietzahlungen, wenn sie meinen, die Miete sei zu hoch; so geschehen in Remscheid, Solingen, Kaarst und Neuss. Fatal angesichts der seit Jahren steigenden Mieten. Wie kamen die Behörden zu dieser Behauptung? Ganz einfach: Sie ließen überproportional viele Daten aus dem

Leistungsbezug von ALG II und von großen Vermietern wie Wohnungsbaugesellschaften ermitteln und errechneten daraus eine Mietobergrenze. Dass das nicht repräsentativ sein kann, drängt sich auf. Das Sozialgericht Düsseldorf forderte die Behörden auf, mehr Miete für die erwähnten Städte zu zahlen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Jobcenter sich diesmal an die Regeln halten und die Vermieter der Betroffenen noch keine Kündigungen ausgesprochen haben.

DIE ZAHL

39,35 Euro kostet ab 2020 im VRR das Sozialticket für Menschen im HartzIV-Bezug (SGB II). Der Preis hat sich in den vergangenen sechs Jahren um mehr als 30 Prozent erhöht. Im Regelsatz sind nur 28,39 Euro für Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr vorgesehen.

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REPORTAGE

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asant wuchsen ab Mitte des 19. Jahrhunderts Städte als Standorte industrieller Produktion. Notwendigerweise war ihre Infrastruktur dabei der Masse der arbeitsuchenden Männer und Frauen anzupassen. Und weil Menschen älter werden und irgendwann auch sterben, mussten in diesem Zusammenhang Antworten auf die Frage gefunden werden, wie nach deren unvermeidlichem Ableben zu verfahren sei. Bis dato fanden Bestattungen meist im Zentrum der Kommunen statt, auf den Gräberfeldern rund um die in aller Regel zentral gelegenen Kirchen. Hier reichte der Platz bald nicht mehr aus. Zudem empfand man es zunehmend als unhygienisch, die Toten in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern zu bestatten.

Ein sensibles Thema In der Konsequenz entstanden Begräbnisstätten an der Peripherie, so auch in Hagen, wo in Delstern 1883 ein neuer Gemeindefriedhof angelegt wurde. Neben dem Ort wurde gleichfalls die Art und Weise der Bestattung diskutiert. Das erfahren wir von Birgit Schulte, ihres Zeichens stellvertreten-

Das Eduard-Müller-Krematorium gestern und heute: Eine zeitgenössische Postkarte zeigt die exponierte Hügellage und die breite Treppenverbindung zum Gräberfeld.

Dr. Birgit Schulte, stellvertretende Direktorin des Hagener Osthaus Museums: „Man hatte bereits zu Zeiten der Französischen Revolution darüber nachgedacht, die Toten nicht mehr in der Erde beizusetzen, sondern einzuäschern.“

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Der Friedhof im Hagener Ortsteil Delstern, am Hang über der Volme gelegen, ist einer der ältesten kommunalen Friedhöfe der Stadt. Nicht zufällig erinnert das dort im Jahr 1907 errichtete EduardMüller-Krematorium an die Kirche St. Miniato al Monte in Florenz. Bauhausgründer Walter Gropius bezeichnete das von Peter Behrens entworfene Bauwerk seinerzeit als maßstabsetzend und herausragend aufgrund seiner gelungenen Verbindung von Funktionalität und Ästhetik. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

Asche zu Asche im „Hagener Impuls“ de Direktorin des Hagener Osthaus Museums. „Man hatte bereits zu Zeiten der Französischen Revolution darüber nachgedacht, die Toten nicht mehr in der Erde beizusetzen, sondern einzuäschern“, erklärt sie uns. „Auslöser waren Fäulnis- und Verwesungsgase, die sich bei einer Erdbestattung bilden. Man zog es in Erwägung, große Scheiterhaufen zu errichten. Ein sensibles Thema. Menschen verbrennen? Das galt als Sakrileg. Grundbedingung war, die Menschenwürde nicht zu beeinträchtigen. Dann war es der Ingenieur Friedrich Siemens, der in den 1850er Jahren einen Ofen entwickelt hat, in dem man Leichen mit heißer Luft diskret einäschern konnte, kremieren, wie das in der Fachsprache genannt wird. In der christlichen Tradition lautet die Formel der Beerdigungszeremonie ‚Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub‘. Da steckt ja eigentlich alles drin, die Erd- und die Feuerbestattung.“ In progressiv denkenden Kreisen war man der Ansicht, mit diesem Verfahren die Würde des Menschen zu respektieren. In der Folge entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert entsprechende Initiativen. 1892 beispielsweise wurde ein solcher „Verein für Feuerbestattung“ in Hagen gegründet. 1903 stellte dessen erster Vorsitzender, der Sanitätsrat Dr. Eduard Müller, einen Bauantrag für ein Krematorium. Die gewünschte Genehmigung wurde zwar erteilt, enthielt jedoch den Zusatz, dass Einäscherungen in Preußen nicht zulässig seien. Müller und seine Mitstreiter aber waren optimistisch genug, dass sich das in naher Zukunft ändern würde. Sie schrieben das Projekt aus.

Aufbruch in die Moderne „Für Architektur mit dieser Funktion gab es damals kaum Gestaltungslösungen“, sagt Frau Schulte. „Aus anderen Städten, wo bereits gebaut worden war, kannte man Historisierendes. Ägypten wurde gern zitiert. Die Hagener gaben einem F. Sander, wahrschein-

lich Friedrich, aus Berlin den Zuschlag. Der hatte sich mit einem Gebäudekomplex beworben. Sein Hauptgebäude erinnerte ein wenig an den Reichstag. Das Problem war immer der Schornstein. Der sollte bei Sander in ein kleineres Nebengebäude integriert werden, das romantisierend einer Burgruine nachempfunden war. Dessen Turm, der Bergfried, barg den Schornstein. Gleichzeitig sollte er das Häuschen heizen können. So dachte man das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.“

Nichts geschah damals in Hagen ohne die Beteiligung von Karl Ernst Osthaus. Leidenschaftlich engagierte sich der schöngeistige wie millionenschwere Erbe für eine kulturelle Neuausrichtung seiner Heimatstadt. Zur Realisierung seiner Visionen konnte Osthaus namhafte Künstler gewinnen. Henry van de Velde,

Richard Riemerschmid, Christian Rohlfs, Matthieu Lauweriks, Peter Behrens, Walter Gropius, um nur einige zu nennen, fanden sich, von Osthaus gerufen, in Hagen ein. Ihr Besuch fällt in einen Zeitraum, in welchem der Jugendstil im Prinzip passé, das Bauhaus aber noch nicht in der Welt war. In dieser stürmischen Phase des Aufbruchs suchten viele Architekten nach einer neuen Formsprache. Rückblickend prägte der Kunsthistoriker Nic Tummers

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REPORTAGE

den Begriff „Hagener Impuls“ für das, was zwischen 1900 und 1920 unter Osthaus‘ Regie möglich war und den Industriestandort am südöstlichen Rand des Ruhrgebiets für einen kurzen Moment zu einem der international wichtigsten Zentren des kulturellen Fortschritts werden ließ.

Eleganz und Ausgeglichenheit „Osthaus hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als man ihm die vergleichsweise traditionellen Bauzeichnungen von Sander zeigte“, sagt Frau Schulte. „Obwohl die Konzeption den Feuerbestattungsverein bereits überzeugt hatte, beauftragte er auf eigene Kosten Peter Behrens mit einem Gegenentwurf. Und der ist zum Zuge gekommen. Osthaus, das wissen wir, war charismatisch und rhetorisch begabt.“ Architektonische Vorbilder hatten beide Entwürfe. Bei Sander war es eine Kombination aus klassischer Repräsentationsfassade und Ruine, bei Behrens ganz konkret die Kirche St. Miniato al Monte in Florenz. Diese liegt, wie das Krematorium, erhöht auf einem Hügel und ist ebenfalls über einen Treppenaufgang erreichbar. Geschickt nutzte Behrens den Campanile, den bei italienischen Gotteshäusern meist freistehenden Glockenturm, die leidige Schornsteinfrage zu lösen. Und obwohl das erkennbare Vorbild wirklich alt ist, die florentinische Kirche stammt aus dem 11. Jahrhundert, hinterlässt sein Entwurf keinen historisierenden Eindruck.

„Im Inneren fällt die Farbgestaltung auf, das konsequente SchwarzWeiß, konstruiert aus repetitiven Kreisen und eckigen Formen. Das Ergebnis ist, bei großer Strenge, eine ebenso große Variabilität. Behrens nimmt hier Motive auf, die man von maurischen Teppichen kennt.“ Dr. Birgit Schulte

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„Das Gebäude wirkt modern, elegant und ausgeglichen. Gestaltet ist es nach dem Prinzip des goldenen Schnitts, zum Beispiel im Verhältnis zwischen dem Bereich für die Trauernden und dem für die Toten. Die Segmentierung ist von außen sichtbar. Dabei ist die Sphäre für die Toten überhöht, was sich als Hinweis auf das Jenseits deuten lässt. Im Inneren fällt natürlich die Farbgestaltung auf, das konsequente Schwarz-Weiß, konstruiert aus repetitiven Kreisen und eckigen Formen. Das Ergebnis ist, bei großer Strenge, eine ebenso große Variabilität. Behrens nimmt hier Motive auf, die man von maurischen Teppichen kennt. Die waren damals angesagt. Aus dem farblichen Rahmen fällt das Mosaik in der Apsis. Es zeigt drei Jünglinge, einen schlafenden, einen erwachenden und einen segnenden. Als Sinnbilder des Werdens und Vergehens ergeben sie eine überkonfessionelle Allegorie.“

Ein schockierter Matisse 1907 waren die Arbeiten am Krematorium abgeschlossen. Das einzigartige Bauwerk wurde von der Fachwelt bejubelt. Gegen eine Gebühr von dreißig Pfennigen konnte es besichtigt werden, die Nachfrage war rege. Osthaus war zufrieden, der Verein stolz. Leider fehlte noch immer die Betriebsgenehmigung aus Berlin. „Aus diesen Tagen gibt es die schöne Geschichte um den Maler Henri Matisse“, erzählt uns Frau Schulte. „Osthaus hatte ihn mit einem Fliesentriptychon beauftragt, für seinen privaten Wohnsitz Hohenhof, und Matisse wollte das Ergebnis vor Ort in Augenschein nehmen. Osthaus lädt ihn ein, sich bei der Gelegenheit auch das Krematorium anzuschauen. Für das Datum ist eine Probeeinäscherung angesetzt. Schließlich wollte man das Geschaffene promoten. Matisse nimmt die Einladung an. Als sie hier ankommen, ist das Gebäude bis auf den letzten Platz besetzt. Die Orgel braust. Der Katafalk mit dem Sarg fährt rauf und runter. Und Matisse ist völlig geschockt. Zurück in Paris berichtet er, noch immer irritiert, von morbiden Hagenern, die gegen Eintritt eine nicht vorhandene Leiche verbrennen.“ Und schlussendlich traf auch die lang ersehnte Genehmigung ein. Am Montag, dem 16. September 1912, wurden hier die sterbliche Überreste der Krefelder Hausfrau Charlotte Seidel kremiert. Es war die erste Feuerbestattung auf preußischem Boden.

Eduard-Müller-Krematorium Friedhof Delstern Am Berghang 30, 58093 Hagen Für eine Führung ist eine vorherige Absprache mit dem Osthaus Museum erforderlich, Tel. 02331 – 207 2740


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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

TAUBNESSEL (2)

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undert Gramm Kopfsalat enthalten 37 mg Kalzium, Taubnesseln bringen es auf 270 mg, Brennnesseln sogar auf 630. Bei B-Vitaminen sind Taubnesseln kaum zu toppen. 2.000 µg B1 stecken in 100 g sowie 2.700 μg B2 . Über entsprechende Werte bei Kopfsalat decke ich das Mäntelchen des Schweigens.

REZEPT 750 g Schwarzwurzeln unter fließend Wasser schälen (weil sie arg kleben) und, damit sie nicht bräunen, in eine Mischung aus 1 l Wasser, 3 EL Kräuteressig und 1 EL Mehl geben. Das Gemüse in gesalzenem Essigwasser etwa 10 bis 12 Minuten garziehen lassen. Für die Sauce 75 g Taubnesseln grob hacken. 1 Zwiebel würfeln und in Butter glasig dünsten. Mit ½ Tasse leichter Gemüsebrühe ablöschen, die Nesseln zugeben und 2 bis 3 Minuten köcheln lassen, bis das Grün zerfallen ist. Die Brühe per Pürierstab bearbeiten und mit ein wenig Mehl bestäuben. Mit etwas Muskatnuss verfeinern und 1 Becher Sahne zugeben. Die Sauce in etwa 10 Minuten auf die Hälfte einkochen. Zum Schluss noch den Saft von ½ Zitrone unterrühren, mit schwarzem Pfeffer abschmecken und über die Schwarzwurzeln geben. Dazu: Kartoffeln.

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Die Daten hat Ursula Stratmann in „Mein Stadtkräuterbuch“ veröffentlicht. Beeindruckend, oder? Wobei es mir in dieser Kolumne ja selten um rein gesundheitliche Aspekte geht, die kommen bei Wildkräutern sowieso nie zu kurz, sondern darum, dass das Essen schmeckt. Taubnesseln schmecken prima, auch das schreibt Frau Stratmann – und räumt dem vielseitigen Lippenblütler sattsam Platz ein. Letzteres ist in anderen Büchern (leider) eher die Ausnahme. Das hatte ich bereits im Oktober so geschrieben, jetzt befasse ich mich erneut mit dem oft übersehenen Pflänzchen. Es ist nicht nur Sturheit, es gibt noch einen anderen, einen maßgeblichen Grund: Taubnesseln kann man sogar im späten November noch finden. Die sind eben in vielerlei Hinsicht klasse. Neben Kräutern sammle ich ihre (gern auch skurrilen) Geschichten. Das wissen Sie, wenn Sie hier gelegentlich reinlesen. Solche zu finden war heuer gleichwohl schwieriger als die Taubnessel selbst. Ihr widmet Friedrich Jantzen in „Amors Pflanzenkunde“ kein einziges Wort. Erotisches hatte ich bei dem graumausigen Image der Taubnessel ohnehin nicht erwartet. Bedauerlicherweise übergehen aber auch Hugo Cramers volksreligiöse „Blumenlegenden unserer Lieben Frau“ mein Kraut des Monats. Fehlanzeige, wenig überraschend, in Amy Stewarts „Gemeine Gewächse“.

Lamium

Rettung nahte, wieder einmal, aus dem „Handbuch des Deutschen Aberglaubens“. Nun wird es allerdings ein wenig eklig, also bitte vom Zauberspruch nicht die Lust auf das nebenstehende Gericht verderben lassen. „Wenn einer das kalte Fieber hat, so muß er sein Wasser (Harn) auf die Nesselblumen machen und sprechen ‚Hier mach ich mein Wasser auf diesen Samen / In allen Fieber Namen / Das Fieber will mich meiden / Bis daß ich komm und will die Sonne abschneiden / Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes… .‘“ Kaltes Fieber meint im Übrigen eine Form der Malaria. Im Mittelalter war sie hier noch verbreitet. Zum Glück gibt‘s die nicht mehr – folglich auch nicht solcherlei Pinkelmänner. Sammeln Sie an vertrauenswürdigen Orten, dann sind Sie stets auf der sicheren Seite. Und gründlich Waschen sollte man sowieso.

Die Taubnessel stammt aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae). Die Blüten stellen Lippenblumen bzw. Hummelblumen dar und werden durch Hummeln und andere Apoiden bestäubt. Die Ausbreitung ihrer Früchte erfolgt durch Ameisen.


KULTUR

Was als museumsreif gilt, hat den Zenit seiner Vitalität meist überschritten. Allein aus gesundheitlichen Gründen also ist es ein gutes Zeichen, dass man sich im Archäologiemuseum zu Herne jetzt die Pestilenz anschauen kann. Von Wolfgang Kienast | Foto: LWL / S. Leenen

Der Schwarze Tod im Museum Mit der Pest verbinden wir heute vornehmlich den Schwarzen Tod, jene Pandemie, die zwischen 1346 und 1353 in Europa 25 Millionen Todesopfer forderte. Ein Drittel der damaligen Bevölkerung raffte sie dahin – und hat einen derart nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass das gegenwärtige pestbezügliche Allgemeinwissen relativ hoch ist. Dennoch vermag die Ausstellung zu überraschen. Das Exponat mit der Nummer 1032 beispielsweise ist ein Rasenmäher. „Im Jahr 1995 infizierte sich eine Frau in Kalifornien mit der Pest, als sie ihren Rasen mähte und dabei versehentlich ein infiziertes Grauhörnchen überfuhr“, heißt es im Text zu diesem Objekt. Daran nämlich hat sich seit jeher nichts geändert: Das Pest erregende Bakterium Yersinia pestis lebt im Blut von Nagetieren, wird von Flöhen im Fell der Tiere aufgenommen und lässt sich von diesen zu einem nächsten Wirt transportieren. Das kann, wenn das Schicksal zuschlägt, eventuell ein Mensch sein. Die Geschichte mit dem Grauhörnchen belegt die leidige Tatsache, dass die Pest nicht überwunden ist. Doch keine Panik, rechtzeitig diagnostiziert ist sie heilbar, eine Krankheit unter vielen. Einst wurde sie Geißel der Menschheit genannt. Detailliert erzählt die Ausstellung vom ehemaligen Horror, beginnend mit einem kurzen Ausflug in die Steinzeit und dann chronologisch von epidemischem Ausbruch zu Ausbruch. Gruseliger als die Krankheit war in solchen Zeiten oft das Ver-

halten der Menschen. Die Objekte in den Vitrinen berichten von Ängsten, Religion und Aberglaube sowie dem verzweifelten Bemühen der Betroffenen, sich zu schützen. Gegen die Pest war kein Kraut gewachsen, ganz im buchstäblichen Sinn. Weil es keine Erklärung gab, wurden Sündenböcke gesucht – gefunden wurden sie meist in Minderheiten oder Fremden. Letztlich gelang es erst im Jahr 1894, und zwar dem schweizerisch-französischen Arzt Alexandre Yersin, den später nach ihm benannten Erreger zu identifizieren. Weil er sich in diesem Zusammenhang aufopfernd um die ärmeren Bevölkerungsschichten im Land gekümmert hat, wird er heute in Vietnam verehrt.

„Pest!“ Noch bis zum 10. Mai 2020 im LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne Europaplatz 1, 44623 Herne pest-ausstellung.lwl.org

Bis in unsere Tage gilt das 1943 entdeckte Antibiotikum Streptomycin als effizienter Wirkstoff gegen die Pest. Eine Ampulle wird gezeigt. Gezeigt wird aber auch, welche Rolle der Erreger im Rahmen biologischer Kriegsführung spielte. Wie bereits erwähnt, gruseliger als die Krankheit… Umfassend, bis hin zur morbiden Faszination, die sich in Büchern, Filmen und Spielen offenbart, haben sich die Kuratoren von „Pest!“ dem schaurigen Thema gewidmet. Der beeindruckenden Zahl der Exponate wegen – das kleinste ist, unterm Mikroskop zu betrachten, Yersinia pestis selbst – sollten Besucher ausreichend Zeit mit ins Museum bringen.

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Kalender 11 & 12 | 2019

2 x 2 Karten | Fairytale – „Der Elfen-Thron von Thorsagon“ | Seite 25 2 x 2 Karten | Herbert Knebels Affentheater | Seite 26 2 x 2 Karten | Marco Göllner | Seite 29 bodo 1 x 2 Karten | Land des Honigs | Seite 29 gen

Verlosun – mitmachen und gewinnen

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DO 07 | 11 – SO 24 | 11 | 19 Festival | f² Fotofestival Dortmund Nach dem erfolgreichen Auftakt 2017 zum Thema Grenzen setzt das f² Fotofestival auch in diesem Jahr auf ein großes Thema: Gerechtigkeit. Zahlreiche Ausstellungen in Museen, Galerien und Hochschulen, die unabhängig voneinander kuratiert werden, bieten wieder unterschiedliche Perspektiven zu einem gemeinsamen Thema, mit dem kritischen Blick der Fotografie. Infos: www.f2fotofestival.de versch. Orte, Dortmund

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Die Verlosungsteilnahme ist ganz einfach: Schicken Sie Ihren Wunschgewinn mit Name, Telefon, Adresse und dem Betreff „Verlosung“ an redaktion@bodoev.de oder auf frankierter Postkarte an bodo e.V., Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund. Teilnahmeschluss ist jeweils drei Tage vor der Veranstaltung. Bei mehreren Teilnehmern entscheidet das Los. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich.

ker, präsentiert der Allrounder Sammy Tavalis eine junge, dynamische und musikalische Show, die Farbe und Glanz in die Winterzeit bringt. Mit dabei sind Bianca Capri (Vertikalseil), Duo One Line (Diabolo), Elena & Olga (Pole), Rostyslav Hubaydulin (Strapaten), Trio Essence (Akrobatik) und Donial Kalex (Jonglage). Bis 1.3.2020, weitere Termine: www.variete-et-cetera.de Varieté et cetera, Bochum, 20 Uhr Musik & Lesung | Martin Paul & Claudia Roth: „Rio, seine B-Seiten und das ganze Theater“ Rio Reisers Lebenswerk besteht nicht nur aus Songs der Band „Ton Steine Scherben“ und den Liedern seiner späteren Solokarriere. Eher unbekannt sind seine Theatermusiken und die vielen Songs, die er für andere ge-

schrieben hat. Diese Songs hat Martin Paul, der als Keyboarder mit Reiser gearbeitet hat, nun zum Anlass genommen, ein Programm daraus zusammenzustellen. Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die in den 1980er Jahren Managerin der Band „Ton Steine Scherben“ war, wird an diesem Abend Texte um die Lieder herum lesen. Kulturzentrum balou, Dortmund, 20 Uhr

SO 10 | 11 | 19 Flohmarkt | Spendenflohmarkt der Initiativen Zum 11. Mal findet im Bahnhof Langendreer der Spendenflohmarkt statt, bei dem lokale Initiativen mit Flohmarktständen Geld für ihre Arbeit sammeln. Dazu wird Musik aufgelegt, und im endstation.kino Café gibt es ein Kuchenbuffet, dessen Erlös ebenfalls den Initiativen zugute kommt. Mit dabei sind der World Beat Club, der Alsengarten, die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum, Aktion pro Afrika Mali, bodo e.V., Fridays for Future, Stadt für alle und andere. Eintritt frei. Bahnhof Langendreer, Bochum, 11 – 15 Uhr Ausstellungseröffnung | Janna Banning – „Wir arbeiten für Gentrifizierung ehrenamtlich“ Das Dortmunder Union-Viertel ist ein Stadtteil, der ideale Voraussetzungen für Gentrifizierungsprozesse bietet. Ehemals sozialschwach, jetzt Kreativ-Viertel – hier wird das Thema Gentrifizierung durch Pioniere mit künstlerischen Interventionen, Installationen und Performances in den Fokus gerückt. Es wird zahlreiche Stationen auf und um die Rheinische Straße herum geben. Bis 8.12. Atelier Janna Banning, Rheinische Straße 143, Dortmund, 15 Uhr


BODO-TIPP

LesArt. Literaturfestival 6. bis 18. November Dortmund

Schon zum zwanzigsten Mal lädt das Dortmunder LesArt.Festival zu den unterschiedlichsten Literaturveranstaltungen an besonderen Orten ein. Unter dem Motto „Laut, Lebendig, Literarisch“ bildet das Festival die ganze Breite literarischer Produktion ab: Mit Chuck Miller kommt einer der letzten Beat-Poeten und einer der ungewöhnlichsten Lyriker der USA. Schauspielerin Andrea Sawatzki (Foto) liest aus ihrem neuen Roman, Kollege August Zirner tritt mit Sven Pfaller in einen musikalischen Dialog – „Transatlantische Geschichten“ heißt das Programm. Seenotretterin Pia Klemp und Romancier Robert Prosser stellen ihre grundverschiedenen Bücher zum Themenkomplex Flucht vor. Die Schriftstellerinnen Chrizzi Heinen, Emma Braslavsky kommen, Thomas Koch lädt unter anderem die Meister lyrischer Hochkomik Thomas Gsella und Fritz Eckenga ein und, und, und. Das ganze Programm auf www.lesart.ruhr.

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09.11.19 St. Martin Laternenumzug

16.11.19 Check your Head II mit Mother's Cake + Support

23.11.19 Navidad im Pott - Feiern wie zuhause

27.11.19 Ensemble Rosa - Die Truhe

29.11.19

Theater | WERDEN – muss ich wohl allein Im Märchen „Hyazinth und Rosenblütchen“ von Novalis sind das Sein und das Werden ein zentrales Thema. Hier ist es Hyazinth, der sich auf die Suche nach Erkenntnis begibt und sie schließlich in der Liebe findet. Als roter Faden zieht sich das Märchen durch die Performance, die den Fragen „Wer bin ich?“ und „Was werde ich?“ in vielen kleinen Geschichten und mit einer Kombination aus Pappe, Tanz, Licht und Musik auf die Spur kommen will. Weitere Termine: www.theatertotal.de TheaterTotal, Bochum, 17 Uhr

DI 12 | 11 | 19 Comedy | Sisters of Comedy Humor ist die Reinform des Widerstands – unter diesem Motto feiert auch der Bahnhof Langendreer alle Facetten des Frau-Seins. Die geballte Künstlerinnenoffensive startet erneut den Angriff auf Herz, Hirn und Humorzentrum. Zeitgleich finden zahlreiche Shows in über vierzig Städten statt. In Bochum sind Senay Duzcu, Nina Knecht, Frau Bode, Ariane & Roxana mit dabei. Ein Teil der Einnahmen wird für den guten Zweck an das Bochumer Frauenhaus gespendet. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

DO 14 | 11 | 19 Kabarett | René Steinberg trifft Doc Esser Der eine ist Mediziner und Rockmusiker, der andere Kabarettist und gelernter Literaturwissenschaftler. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche: Was tut einem Menschen gut? Wie lebt es sich gesund und glücklich, ohne dass der innere Schweinehund zu laut

winselt? Was benötigt der Kopf, während der Körper etwas anderes will, und wie bekommt man beide bestenfalls in Einklang? Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

FR 15 | 11 | 19 bodo verlost 2x2 Karten

VERLOSUNG Fairytale – „Der ElfenThron von Thorsagon“ Mit viel Leidenschaft, Herzblut und musikalischem Fingerspitzengefühl hat sich das Mystic Folk Ensemble Fairytale auf diesen spannenden Ausflug in die Welt des Musicals eingelassen. Die Songs von „Der Elfen-Thron von Thorsagon“ entstammen der Feder von Laura Isabel Biastoch und Oliver Oppermann, die in enger Zusammenarbeit mit dem renommierten Bühnenautor Karl-Heinz March (u.a. bekannt durch seine Kindermusicals „Lauras Stern“, „Der kleine Vampir“) ein fesselndes Musicalerlebnis erschaffen haben. Ruhrfestspielhaus, Recklinghausen, 20 Uhr Literatur & Film | Christus kam nur bis Eboli – Carlo Levi und das Exil in Lukanien Anlässlich der Ernennung Materas zur Kulturhauptstadt Europas 2019, schlägt die Auslandsgesellschaft die Geschichte eines Turiners aus dem Süden auf, der Lukanien interpretiert und erzählt hat: Carlo Levi. Als jüdischer Intellektueller wurde er 1935 von Faschisten ins Exil nach Lukanien geschickt. Er beschrieb diese Erfahrung in seinen Gedichten, in seinen Gemälden und in seinem berühmten Roman „Christus kam nur bis

mit Deniz Yücel

30.11.19 Fado-Konzert mit Elsa Gomes und Antoniete Leopoldstr. 50-58 · 44147 Dortmund Tel. 0231 50-25145 · Fax 0231 50-26019 facebook.com/DietrichKeuningHaus

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KALENDER

Eboli“ (1945), der 1979 verfilmt wurde. Literaturveranstaltung mit Filmpräsentation (auf Deutsch und Italienisch): Elisa Occhipinti Auslandsgesellschaft e.V., Dortmund, 19 Uhr Lesung | Dunja Hayali – Auf Tour durch's Haymatland Dunja Hayali, geboren in Datteln als Tochter irakischer Eltern, präsentiert seit 2010 als Hauptmoderatorin das „ZDF morgenmagazin“, zuvor war sie Co-Moderatorin in „heute journal“ und „heute“. In ihrem sehr persönlichen Buch fragt Dunja Hayali uns alle: Wie können wir gemeinsam das sichern, was auf dem Spiel steht – nämlich unsere liberale Demokratie, die den Deutschen über Jahrzehnte ein friedliches Miteinander garantiert hat? FZW, Dortmund, 20 Uhr

SO 17 | 11 | 19 Musik | 1. Sitzkissenkonzert – Fine und der Zaubertrank Man nehme eine spannende Geschichte, abwechslungsreiche Musik, ein Programm zum Mitmachen und jede Menge Spaß – die Zutaten für ein Sitzkissenkonzert. Ein besonderes Konzerterlebnis für Kinder ab drei Jahren, hautnah auf den Plätzen direkt vor der Bühne. Weitere Termine: www.theaterdo.de Opernfoyer, Dortmund, 12 Uhr

MI 20 | 11 | 19 Tanztheater | Future Island Das Onlinespiel Future Island flimmert auf allen Bildschirmen der Jugendlichen. Durch unerklärliche Umstände wird eine Gruppe in die virtuelle Welt des Onlinespiels hineingezogen. Ist alles nur ein Spiel? Sie müssen dort plötzlich wichtige Entscheidungen treffen. Miteinander, gegeneinander, allein und gemeinsam. Die Kinder und Jugendlichen der Jungen Tanztheaterwerkstatt Dortmund erzählen mit Humor

und Nachdenklichkeit über Egoismus, faires Miteinander und Verantwortung. Theater im Depot, Dortmund, 19 Uhr (auch 21.11., 11 Uhr)

gendwo zwischen Free Jazz, Noiserock und Ambient. Weitere Termine: 22. und 23.11., 21.30 Uhr: Konsens | 23.11., 20 Uhr: Ericson/ Nästesjö/Berre Trio. Parzelle im Depot, Dortmund, 20 Uhr

DO 21 | 11 – SO 24 | 11 | 19

SA 23 | 11 | 19

Festival | DIVE – Festival für immersive Künste DIVE ist die erste Zusammenarbeit zwischen Planetarium und Bochumer Schauspielhaus. Über vier Tage hinweg wird im Rahmen von DIVE eine Vielzahl an immersiven Installationen, Surround-Konzerten und 360-GradPerformances gezeigt, die dazu einladen, in ganz neue Erfahrungswelten einzutauchen. Infos und Programm: www.divefest.de versch. Orte, Bochum

bodo verlost 2x2 Karten

VERLOSUNG Herbert Knebels Affentheater „Außer Rand und Band“ ist ein Affentheater-Programm, das es in sich hat. Wieder einmal setzt es auf die altbewährte Mischung aus Musik, egal ob von Bee Gees, The Clash, The Who, Creedence Clearwater Revival, Roy Orbinson oder David Bowie, herrliche Ensemble-Nummern und die schönen Knebel-Geschichten. Viele werden vielleicht sagen: Och, das ist ja so wie immer. Stimmt. Weil Tanztheater und Performance können sie nicht, obwohl... RuhrCongress, Bochum, 20 Uhr

FR 22 | 11 | 19 Musik | Annett Louisan Annett Louisans neues Album ist ein Album, auf dem sie erzählt, das noch mehr als zuvor von ihr handelt, das ihr näher kommt als jedes ihrer bisherigen Alben und das schlüssig in ihre Lebens- und Künstlergeschichte passt. Auf ihrer Tour „Kleine große Liebe“ erzählt Annett Louisan von dem Weg einer Künstlerin, erwachsen zu werden, aufmerksam zu bleiben, Verantwortung zu übernehmen, und sich selbst treu geblieben zu sein. Jahrhunderthalle Bochum, Bochum, 20 Uhr Musik & Performance | Visual Sound: Camatta Kirchhoff Duo Die Parzelle im Depot präsentiert ein neues Veranstaltungsformat, das auf lange Sicht angelegt ist. Das Konzept von „Visual Sound“ ist, hochkarätige Visual-Sound-Performances mit experimentellen Klang-Kunst-Konzerten in Beziehung zu setzen. Mit präparierter Gitarre, Schlagzeug und klangvollen Objekten erschaffen Simon Camatta und St. Kirchhoff Musik und Geräuschflächen, ir-

Musik | Gee and the Plastic Strings Die unendliche Schleife ist in der Welt der Computer ein unerwünschtes Ding: Ein Programmteil wird immer wieder ausgeführt, ohne Möglichkeit zum Ausbruch. In der Welt von Gee And The Plastic Strings ist Raimund Gitsels seine eigene, lebende Escape-Taste, die bestimmt, wann die Schleifen enden oder neu beginnen. Eine Batterie von Loop- und Effektpedalen macht aus seiner Geige ganz viele: gestrichen, gezupft oder geklopft. Langer August, Dortmund, 20 Uhr

SO 24 | 11 | 19 Musik & Lesung | Lutz Görner und Nadia Singer Das Brahms-Programm ist nunmehr das elfte Programm, das Lutz Görner und Nadia

Foto: Julio Bittencourt

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BODO-TIPP

Kinofest Lünen

13. bis 17. November Cineworld Im Hagen 3, Lünen

Das Kinofest Lünen feiert Geburtstag. Seit 30 Jahren wird die Stadt im Osten des Ruhrgebiets im November zur Filmmetropole. Ein Programm zwischen Ambition und Unterhaltung und der unkomplizierte Kontakt zwischen Filmbranche und Publikum zeichnen das Festival aus. bodo empfiehlt den Eröffnungsfilm „Sterne über uns“. Christina Ebelts Debüt erzählt die Geschichte der alleinerziehenden Melli, die trotz ihres Jobs als Flugbegleiterin ihre Wohnung verliert und so schnell keine neue findet. Sie zieht mit ihrem neunjährigen Sohn Ben in ein Zelt im Wald. Eine weitere Empfehlung ist ein Roadmovie mit Bastian Pastewka, Fabian Busch und Hans Löw, die nach 20 Jahren den ausgefallenen „Sommer nach dem Abitur“ nachholen wollen. Die Hauptdarsteller stellen den Film als Vorpremiere in der beliebten Sonntags-Matinee persönlich vor. Das ganze Programm auf www.kinofest-luenen.de.

Singer in den letzten sechs Jahren gemeinsam erarbeitet haben. Es ist ein Erlebnis, zu hören und zu sehen, wie die beiden den Planeten Johannes Brahms in die Umlaufbahn schicken. Wort und Musik verschmelzen und garantieren einen Abend voller neuer Einblicke in das Leben und Schaffen Brahms. Kunstmuseum, Bochum, 19.30 Uhr

DO 28 | 11 | 19 Musik | Tinto – Flamenco Jazz In der ungewöhnlichen Besetzung Gitarre, Trompete und Bass spielen die drei Musiker Afshin Ghavami, Edmund Held und Jens Pollheide Flamenco mit Jazzelementen. Auch die

Kompositionen der Bandmitglieder speisen sich aus diesen Einflüssen. Darüber hinaus gibt es Bearbeitungen bekannter und weniger bekannter Jazz- und Flamenco-Standards. Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr

FR 29 | 11 | 19 Theater | Maria Stuart Königin Elisabeth ist Realistin bis zur Ruchlosigkeit, während Königin Maria Romantikerin ist. In der Unbefangenheit, mit der die beiden Königinnen ihr Duell vor den Augen einer Welt austragen, scheint es ihnen, wie ihren Völkern, legitim, ja selbstverständlich, dass ihr Lieben und Hassen, Wollen und Dulden Welten in Bewegung setzt. Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr Revue | Der Trainer muss weg Das neunköpfige Team von „Der Trainer muss weg“ bittet zum nächsten Showdown. An sieben Terminen ist das Deutsche Fußballmuseum wieder Schauplatz dieser Mischung aus Musik, Show, Film und Kabarett. Das Team blickt satirisch auf das Sportjahr zurück, lässt Höhepunkte aufleben und geht dahin, wo es weh täte, wenn es nicht so komisch wäre. Mit Fritz Eckenga, Peter

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MO 25 | 11 | 19 bodo verlost 2x2 Karten

VERLOSUNG Marco Göllner Marco Göllner ist Lipper und fünf Jahre alt. Beides bis heute. Geboren wurde er 1971 in Herford (Preußen), weil sein Vater sich verfahren hatte. Großgeworden allerdings ist er in Bad Salzuflen, Ortsteil Aspe, (Lippe), wo er die ersten Lebensjahre bei seiner Oma Martha verbrachte. Heute lebt er im Teutoburger Wald und in Berlin und ist seit Jahren Superheld im Sparten-Medium Hörspiel als Regisseur und Autor. Der Masse wurden er und seine Stimme durch die Intros von „Fest & Flauschig“ bekannt, dem Podcast von Jan Böhmermann und Olli Schulz. Dampfgebläsehaus an der Jahrhunderthalle Bochum, Bochum, 20 Uhr Musik | Umut Adan Umut Adan stammt aus Istanbul. Auf seinem aktuellen Album „Bahar“ setzt sich der Musiker mit aktuellen politischen Geschehnissen seines Heimatlandes auseinander. Seine Lieder erinnern an den Protestvibe der späten 60er. Labsal, Dortmund, 20 Uhr

Weihnachtsstadt Dortmund 21. November bis

30. Dezember

Mo - Do 10 - 21 Uhr // Fr - Sa 10 - 22 Uhr // So 12 - 21 Uhr www.weihnachtsstadt-do.de 27


KALENDER

BODO-TIPP

Freiberg, Peter Großmann, Dirk Jöhle, Thomas Koch, Peter Krettek, Ullrich Meier, Uli Schlitzer und Mathias Schubert. Weitere Termine: www.fussballmuseum.de Deutsches Fußballmuseum in der Arena, Dortmund, 20 Uhr Performance | Das Lackballett Das Lackballett ist eine neuinterpretierte, intermediale Tanzperformance, die von 1940 entworfenen Skizzen aus dem Spätwerk Oskar Schlemmers ausgeht, 1941 nur ein einziges Mal nicht-öffentlich aufgeführt wurde. Ein sinnliches Live-Erlebnis, zeitgenössisch weiterentwickelt als Farb-KlangRausch, in dem Klänge, Farben, Tanz, elektronische Musik und Echtzeit-Video miteinander verschmelzen. Flottmann-Hallen, Herne, 20 Uhr

SA 30 | 11 | 19 Musik | PeterLicht Nach sieben Jahren ist dem Musiker, Autor und Theater-Macher PeterLicht mit „Wenn wir alle anders sind“ ein ganz und gar gegenwartsbezogenes Album gelungen. Er erhebt seine Stimme direkt, euphorisch und existenziell. Auf der Suche nach der Wahrheit. Oder Falschheit. Gemeinsam mit dem Multiinstrumentalisten Benedikt Filleböck präsentiert PeterLicht bei seinem Konzert kurioses, melancholisches und einzigartiges Liedgut. Schauspielhaus, Dortmund, 19.30 Uhr Kabarett | Dagmar Schönleber Alle fordern ihn, niemand hat ihn zu verschenken und angeblich ist er nicht käuflich:

Pia sagt Lebwohl

bis 9. August 2020 DASA Arbeitswelt-Ausstellung Friedrich-Henkel-Weg 1 – 25 Dortmund

In der ungewöhnlichen DASA-Ausstellung „Pia sagt Lebwohl“ geht es um die dunklen Stunden des Lebens, aber auch um Erhellendes zu Berufen rund um den Tod und Erbauliches in Sachen Stärke und Stütze für alle Beteiligten. Die Besucher-Innen tauchen in eine erzählte Handlung ein, die sie mit fiktiven Elementen konfrontiert, dicht verwoben in ein Netz aus realen Hintergrundinformationen. Pia, eine 17-jährige Schülerin, muss mit dem Tod ihrer geliebten Oma Ruth fertigwerden. Am Anfang stehen die traurige Nachricht und der Schock. Im Verlauf der Geschichte trifft der Besuchende gemeinsam mit Pia auf Menschen, die in ihrem Beruf beinahe täglich mit dem Sterben konfrontiert sind. Sie arbeiten als Pf leger, als Ärztin, im Bestattungswesen oder in der Trauerbegleitung. Wie finden sie eine Balance zwischen emotionaler Betroffenheit und professioneller Distanz?

Respekt. Aber wer hat ihn denn wirklich verdient? Dagmar Schönleber macht sich auf die Suche nach den Anfängen des richtigen Umgangs und blickt auf die Zukunft des Miteinanders im Durcheinander. Ein Abend zwischen Anstand und Aufstand, Etikette und Ekstase, Knigge und Knast. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

SO 01 | 12 | 19 Lesung | Schöne Bescherung: Eine satirischliterarische Weihnachtsmatinée Ob sinnierende Weihnachtstrilogie, satirische Gedichte oder Weihnachten mit Peter Alexander, Uwe Seeler und Onkel Klaus: Eine humorvoll-nachdenkliche Weihnachtsmatinée versprechen die AutorInnen des Autoren-

stammtisches LiteraturRaumDortmundRuhr, die eigene Texte vorlesen. Mit Reinhard Bottländer, Matthias Engels, Cornelia Ertmer, Cornelia Franken, Claudia Hummelsheim, Anne-Kathrin Koppetsch, Bianca Lorenz, Patricia Malcher, Helmut Martens, Gerd Puls, Isabell Reiff und Eva von der Dunk. Studio B, Stadt- und Landesbibliothek, Dortmund, 11 Uhr

MI 04 | 12 | 19 Markt | Büchermarkt Bücherwürmer und Leseratten finden auf dem Bücher-Schnäppchenmarkt Literatur aus allen Sparten zu günstigen Preisen. Veranstalter ist die Buch- und Medienfernleihe für Gefangene und Patienten. Diese finanziert

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ten lassen.“ „Nicht ärgern. Bera

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Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

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Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

10.11.2019 | Maryam Akhondy‘s Paaz (Iran) | Persian voice meets Jazz / Chanson, Weltmusik 17.11.2019 | Kunstprojekt Friedrich-Harkort-Schule | Kl. 7c / Farbklänge einer Jahreszeit 24.11.2019 | Eliot Quartett, Dmitry Ablogin | Klassik-Konzert Violine, Violoncello, Klavier 30.11.2019 | Die letzten schönen Tage | Lesung mit Kurt Holzkämper & Mehrdad Zaeri Dr. Carl Dörken Galerie der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung | Infos, Tickets & Öffnungszeiten: s. Website

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Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

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Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund


KINO-TIPP

mit dem Büchermarkt den Ankauf dringend benötigter neuer Fach- und Sachliteratur für die von ihr betreuten Strafgefangenen. Dietrich-Keuning-Haus, DO, 11.30 – 17.30 Uhr Kabarett | Stefan Waghubinger In seinem dritten Soloprogramm hat es Stefan Waghubinger ganz nach oben geschafft: auf den Dachboden der Garage seiner Eltern. Dort sucht er eine leere Schachtel und findet den, der er mal war, den, der er mal werden wollte und den, der er ist. Es wird also eng zwischen zerbrechlichen Wünschen und zerbrochenen Blumentöpfen, zumal da noch die Führer der großen Weltreligionen und ein Eichhörnchen auftauchen. Werkstadt, Witten, 20 Uhr

DO 05 | 12 | 19 Musik | Altın Gün Altın Gün steht für einen aufregenden Mix aus türkischem Folk, Psychedelic Rock, Funk und Rock. Inspiriert vom türkischen Sound der 70er-Jahre, in denen Künstler wie Selda, Barıs Manco und Erkin Koray traditionelle Musik mit westlichen Einflüssen kombinierten, suchte Bassist Jasper Verhulst nach türkischen MusikerInnen, um diesen Sound neu zu beleben. Als Altın Gün spielt die Band Songs aus den Siebzigern und steuert eigene Arrangements türkischer Klassiker bei. Konzerthaus, Dortmund, 20 Uhr Musik | Raul Midòn Der blinde US-Amerikaner Raul Midón, mit argentinischen und afro-amerikanischen Wurzeln, gilt als Gitarrenvirtuose und arbei-

tete mit vielen Jazz-Größen zusammen. Dabei hatte der Sohn einer Afro-Amerikanerin und eines Argentiniers seine Karriere als Backgroundsänger von u.a. Shakira und Christina Aguilera begonnen. Seine Musik ist geprägt von Soul und Jazz, Flamenco und Latin. domicil, Dortmund, 20 Uhr

endstation.kino | Land des Honigs

FR 06 | 12 | 19 Theater | Die Dämonen Fjodor Dostojewski lässt in seinem von wahren Begebenheiten inspirierten Welterfolg die Vielstimmigkeit verschiedenster Ideologien aufeinanderprallen. Im Widerstreit der Überzeugungen verrohen die Sitten zu einem Klima der Skrupellosigkeit, das jede Moral hinter sich lässt und in dem jedes Mittel zur Durchsetzung der Ideen recht erscheint: auch die strategische Anwendung von Gewalt. Nicht von ungefähr scheinen bei Dostojewski die Dämonen von Terror, Krieg und Populismus auf. Schauspielhaus, Dortmund, 19.30 Uhr

DI 10 | 12 | 19 Lesung | Watt’n Hallas: Wladimir Kaminer – „Liebeserklärungen“ Der Autor Wladimir Kaminer verbindet gekonnt Kultur und Humor. Und sein neues Buch ist ein gutes Stück Unterhaltung: Es huldigt der Liebe und dem Leben. „Liebeserklärungen“ ist eine besondere Liebeserklärung, eine Liebeserklärung an die Freude, die Leidenschaft, das Glück und das Leben. Weitere Veranstaltungen von Watt’n Hallas – Comedy-Festival: www.fhh.de Fritz-Henßler-Haus, Dortmund, 20 Uhr

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08. NOV. 2019 – 01. MÄRZ 2020

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Eine Antwort auf die Frage zu finden, wie wir es schaffen sollen, nachhaltig und ressourcenschonend zu leben, ist eine der größten bodo Herausforderungen unverlost serer Zeit. Gleichzeitig 1x2 Karten sind die Lebensräume für Menschen, die der technisierten Welt ein Vorbild sein könnten, rar und bedroht. „Land des Honigs“, der erste lange Dokumentarfilm von Regie-Duo Ljubomir Stefanov und Tamara Kotevska, erzählt von einer dieser Welten. In einem entlegenen mazedonischen Dorf steigt die etwa 50-jährige Hatidze täglich einen Berghang hinauf, um zu ihren zwischen den Felsspalten lebenden Bienenvölkern zu gelangen. Ohne Gesichts- oder Handschutz entnimmt sie die Honigwaben und singt dabei ein uraltes Lied. Zurück auf ihrem Bauernhof kümmert sich Hatidze um ihre handgemachten Bienenkörbe und ihre Mutter. Hin und wieder fährt sie in die Hauptstadt Skopje, um ihren Honig und die Körbe zu verkaufen. Eines Tages lässt sich eine Nomadenfamilie auf dem Nachbargrundstück nieder, und in Hatidzes beschauliches Bienenkönigreich ziehen schallende Motoren, kreischende Kinder und 150 Kühe ein. Hatidze freut sich über die neue Gesellschaft und lässt weder sich noch ihre bewährte Imkerei oder ihre Zuneigung zu den Tieren stören. Doch bald trifft Hussein, das Oberhaupt der Familie, Entscheidungen, die Hatidzes Lebensweise für immer zerstören könnten. „Land des Honigs“ erzählt eine beeindruckende Naturgeschichte, in der die Biene im Epizentrum eines fundamentalen Widerspruchs unserer Zeit steht. Der Film feierte Weltpremiere beim Sundance Filmfestival und erhielt dort den Preis der Großen Jury als bester Dokumentarfilm. Ab Sonntag, 24. November, alle Termine unter www.endstation-kino.de.

SHOW Do., Fr., Sa. 20 Uhr & So. 19 Uhr

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endstation.kino im Bahnhof Langendreer Wallbaumweg 108, 44894 Bochum www.endstation-kino.de 29


BODO GEHT AUS

BierCafé West Lange Straße 42 44137 Dortmund

BierCafé West

Ein Jugendzentrum für Erwachsene Schon im Eingang des BierCafés hängen überall bunte Aushänge und Plakate von den vielen Initiativen, die sich hier treffen. Aus einem der Räume klingen Gitarren von einer Chorprobe, im gemütlichen großen Gastraum im Dortmunder Unionviertel sitzt Cüneyt an einer langen Tafel. Seit Mitte des vergangenen Jahres betreiben Gülten und Cüneyt Karadas das ehemalige „Schneckenhaus“ am nördlichen Ende des Westparks. Sein Einstieg in die Gastronomie ist mehr als 20 Jahre her, erzählt Cüneyt: „Das erste Mal habe ich 1996 in einer Kneipe auf der Lindemannstraße gekellnert, als der BVB die Champions League gewonnen hat. Als Kellner war ich allerdings nie besonders gut. Ich hab schon damals oft an der Bar gestanden.“ Während seine Frau und er gemeinsam mehrere Kantinen in der Stadt betreiben, holt Cüneyt sein Abitur nach und studiert BWL. Er hatte viel Glück, sagt er. „Und davon möchte ich etwas mit den Menschen um mich herum teilen. Also gebe ich Initiativen und Organisationen die Möglichkeit, sich hier zu treffen.“ Ein bestimmtes Konzept hat er dabei nicht. „Es muss weltoffen sein. Bier für Nazis gibt es bei mir nicht.“

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Von Sebastian Sellhorst Fotos: Daniel Sadrowski

Was Cüneyt ganz wichtig ist: Kinderfreundlichkeit. „Wir wurden als junge Eltern immer komisch angeguckt, wenn wir mit unserem Kind irgendwo waren und es mal laut wurde. Deshalb wollen wir jetzt so kinderfreundlich wie möglich sein.“ Die große Spielecke und der Wickelraum sind genauso selbstverständlich wie Eisstand und Popcornmaschine. „Wenn die Leute gerne hier sind und wiederkommen, bin ich mit mir zufrieden“, sagt Cüneyt.

„Ich bin gebürtiger Nordstädter und wohne auch immer dort. Obwohl wir hier im Dortmunder Westen sind, versuche ich in unserem Laden einen Hauch von Nordstadt zu versprühen“, offen zu sein, viele Menschen zusammenzubringen. „In meiner Jugend hatten wir es nicht immer leicht. Wir mussten dreimal die Wohnung wechseln, weil wir die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Deshalb bin ich heute dankbar dafür, wo ich jetzt bin.“


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Man bekommt im BierCafé West zwar wunderbare mediterrane Küche, tagsüber – wie sich das für ein Parkcafé gehört – selbstgemachte Kuchen, Torten und Desserts und mehr als 50 verschiedene Craft-BeerSorten aus unabhängigen Brauereien. Das, was ihren Laden ausmache, sei aber kein Gericht oder ein bestimmtes Bier, sondern die vielen Menschen, die hier zusammen kommen und sich begegnen, sagen Gülten und Cüneyt. „Einmal in der Woche haben wir hier eine AkustikSession. Da kommen hier teilweise 20 Leute zusammen, von denen sich viele noch nie gesehen haben, und machen gemeinsam Musik.“ Regelmäßig finden im BierCafé Lesungen und Diskussionsveranstaltungen statt, Nachbarschafts- oder Polit-Initiativen laden hierher zu ihren Treffen ein, Bands können hier Konzerte veranstalten, Chöre und Musikgruppen ungestört proben. „Viele der Menschen, die hierher kommen und irgendetwas veranstalten, sind mittlerweile nicht nur Kunden, sondern Freunde geworden.“

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REPORTAGE

„Hier ist richtig Action“ ist ein Satz, den man von einer Trauerrednerin nicht unbedingt erwartet. Überhaupt ist vieles unerwartet im Gespräch mit Beate Schwedler, Trauerrednerin und Gründerin des Vereins Forum Dunkelbunt. Zwangsläufig muss man eigene Vorstellungen über Tod und Sterben hinterfragen. Genau das ist das Ziel des Vereins, der mit dem Slogan „Lasst uns reden über den Tod, den Schmerz, die Trauer“ exakt an der gesellschaftlichen Verschlossenheit ansetzt, die mit dem Tod immer noch verbunden ist. Ein Besuch. Von Tilmann Radix Fotos: Daniel Sadrowski

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„Kein Lebensweg geht golden und geradeaus“ W

er in den Räumlichkeiten des Vereins schwarz gestrichene Wände und Kerzen erwartet, wird enttäuscht. Die zu Büro und Gruppenraum umfunktionierte kleine Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss unweit des Dortmunder Ostentors bringt man erst auf den zweiten oder dritten Blick mit dem Thema Tod und Trauer in Verbindung. Bücherregale und ein Küchentisch strahlen Gemütlichkeit aus, im kleineren Büroraum reichen die Regale nicht mehr aus für die zu verstauenden Ordner und Kartons voller Broschüren. Es sieht tatsächlich ein bisschen nach Action aus. Schließlich fällt der Blick auf ein angelehntes Bild, das den Besucher direkt mit eigenen Vorurteilen konfrontiert. Zwei Kreisdiagramme stellen Vorstellung und Wirklichkeit gegenüber: Ist der Kreis mit der Überschrift „Was alle denken“ zu 90 Prozent mit dem Wort „Weinen“ gefüllt, sind im Kreis „Wie es wirklich ist“ Worte wie „Lachen“, „Persönliche Entwicklung“ und „Selbsterfahrung“ zu lesen. Beate Schwedler hat genau diese Erfahrung machen müssen. Sie weiß, wie man sich fühlt, wenn einem der Tod völlig unerwartet „ins Leben reindonnert“, wie sie es nennt. Bis zu diesem Moment hätte die heute 57-Jährige niemals damit gerechnet, sich einmal als freie Trauerrednerin und Gründerin des Vereins Dunkelbunt e.V. so intensiv dem Thema Trauern zu widmen. Die ersten Stationen ihrer beruflichen Laufbahn folgen mit abgeschlossenem Studium der Publizistik und anschließenden Jobs im Journalismus und Marketing der Logik des klassischen Lebenslaufs, mit 28 wird sie Mutter. „Alles gut“, lautet ihre knappe Zusammenfassung. Doch einige Jahre später versterben plötzlich Partner und Schwester. „Ich habe beide innerhalb von einem halben Jahr mit Krebs in den Tod begleiten müssen. Und das hat dann in mir gearbeitet und dazu geführt, dass ich privat, aber auch beruflich viele Dinge überdacht habe.“ Galt das berufliche Interesse zuvor als Agenturmitarbeiterin noch dem Wohl der auftraggebenden Firmen, will sie nun „wieder näher an den Menschen.“ Eine der Ideen, die in ihrem Kopf herumschwirren: „Gute Trauerreden halten.“

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REPORTAGE

„Lasst uns reden über den Tod, den Schmerz, die Trauer.“

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Erzählen von Lebensgeschichten

Friedhof und Krematorium

Die Berufsbezeichnung Trauerredner ist nicht geschützt. Jede und jeder kann ohne Vorwissen oder Ausbildung die rückblickenden Worte über das Leben einer verstorbenen Person sprechen und damit Erinnerungen prägen. Das gelingt längst nicht immer. „Eine gute Trauerrede bezieht sich auf den Menschen und gibt nicht nur Allgemeinplätze von sich. Eigentlich nenne ich es auch lieber ‚erzählen von Lebensgeschichten‘“, präzisiert Schwedler. Zunächst erzählen jedoch die Angehörigen. In zwei- bis dreistündigen Gesprächen hört Beate Schwedler zu, fragt nach, schreibt mit. „Aus meiner Sicht gibt es keinen Lebensweg, der golden und geradeaus geht. Ich versuche nicht zu bewerten. Manchmal ist das schwer, man steckt ja in seiner eigenen Haut. Wirklich objektiv ist man nie und kann es auch nicht sein. Ich versuche aber immer, einzuordnen und auch Krisen in einen Hintergrund einzubetten.“

Genau diesen Austausch versucht der Verein seit seiner Gründung zu fördern. Einmal monatlich werden mittlerweile Friedhofsspaziergänge angeboten, auch eine Krematoriumsführung stand schon auf dem Programm. Das Interesse ist groß. „Bei wie zuletzt 40 Teilnehmern beim Friedhofsspaziergang kann das mit den persönlichen Gesprächen manchmal eine Herausforderung werden. Bei der Krematoriumsführung mussten wir sogar einen zusätzlichen Termin anbieten.“

Für sie sind Trauerreden mittlerweile zu einer echten Leidenschaft geworden. „Solange ich stehen kann, werde ich Trauerreden halten.“ Dabei hielt sie die Idee anfänglich für „verwegen“. Schließlich ist das Thema Tod und Trauer gesellschaftlich stigmatisiert. „Was mit dem Tod zu tun hat, wird weggeschoben. Das möchte ich niemandem zum Vorwurf machen, aber für Menschen, die das konkret erleben, ist es ein Debakel. Die können das kaum teilen.“ Wer setzt sich schon gerne mit dem eigenen Tod oder dem eines Angehörigen auseinander? Im vergangenen Jahr trifft sie mit Thorsten Haase zufällig einen alten Bekannten aus längst vergangenen Wolfsburger Schultagen. Haase und Schwedler verbinden auch Parallelen im Lebensweg. Der gelernte Betriebswirtschaftler Haase leitete lange Jahre ein Reiseunternehmen in Oldenburg, bevor er der Liebe wegen ins Ruhrgebiet zog und dort zum Zeitpunkt der Begegnung im Kinderhospizdienst in Unna tätig war. „Da hatten wir dann also in gewisser Weise ein ähnliches Thema. Seine Aufgabe liegt vor dem Tod, meine danach. Wir haben festgestellt, dass das Thema viel weggeschoben wird und im Alltag gar nicht präsent ist.“ Schnell kam der Gedanke, einen Verein zu gründen, der sich genau diesem Aspekt widmet. „Lasst uns reden über den Tod, den Schmerz, die Trauer“ lautet daher auch die Unterzeile des Vereinsnamens.

Im August des vergangenen Jahres ist neben der gezielten Thematisierung ein weiterer Schwerpunkt hinzugekommen: Dortmunds zweiter Ambulanter Kinderhospizdienst „Löwenzahn“, ebenfalls unter dem Dach des Forum Dunkelbunt. Der Deutsche Kinderhospizverein schätzt den Bedarf auf etwa 50 Familien auf 100.000 Einwohner. Für Dortmund ergibt sich so eine Zahl von etwa 300 Familien, denen eine derartige Begleitung helfen kann, allerdings konnten zuvor nur 20 bis 30 Betroffene betreut werden. „Da war also noch Luft nach oben“, so Schwedler. Innerhalb eines Jahres ist es gelungen, diese Zahl zu verdoppeln. 35 Ehrenamtliche wurden bereits ausgebildet, weitere acht sind gerade fleißig dabei. Schon bald steht der Umzug in größere Räumlichkeiten an. Für „Löwenzahn“ ist Forum Dunkelbunt im Oktober auch mit dem diesjährigen Dortmunder Engagementpreis ausgezeichnet worden. Das Preisgeld, 7.500 Euro, soll in die Anschaffung eines Mehrsitzers fließen. Um die zahlreichen Projekte des überwiegend spendenfinanzierten Vereins voranzutreiben, war und ist nach wie vor viel „Action“ und harte Arbeit nötig. Und nicht zuletzt die Bereitschaft, sich mit einem blinden Fleck unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. „Beim Thema Tod ist nach wie vor ein großes Dunkel, dabei gibt es so viel zu besprechen.“ Am besten, bevor der Tod unvermittelt ins Leben „reindonnert.“ www.forum-dunkelbunt.de

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REPORTAGE

Motels gibt es in den USA überall. Sie sind meist günstig, viele sogar richtig billig, das Einchecken funktioniert ganz unkompliziert. Für Tausende Familien ist es der Beginn eines Teufelskreises. Das ist die Geschichte von Delaine, die jeden Tag versucht, genug Geld zu verdienen, um für die Nacht ein Zimmer für sich und ihre Familie bezahlen zu können. Text und Fotos: Nathan Poppe

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elaine sitzt auf ihrem Motelbett. Über ihr hängt das Schwarzweißfoto eines Springbrunnens vor einer Stadtansicht. Es ist alles, was dieses Motel nicht ist. Das Bild wirkt beruhigend und einladend, mit genug Platz für alle. Delaine sagt, sie fühle sich in diesem Motel in Oklahoma City gefangen. Ihre beiden Kinder sitzen still auf einem angrenzenden Bett. Sie sagen es nicht laut, aber ihre Augen vermitteln das gleiche Gefühl. „Das ist definitiv kein Urlaub“, sagt Delaine. „Das ist kein Leben, das ich irgendjemandem wünsche.“ Delaine verkauft die Straßenzeitung „Curbside Chronicle“ („Bordstein-Chronik“) und ist im Motel-Teufelskreis gefangen. Ihre Familie ist eine von vielen in Oklahoma, die tagsüber gerade eben genug Geld verdienen, um sich ein Zimmer für die Nacht zu leisten. Besonders Familien rutschen leicht in diesen Tagesablauf. Wenn die Notunterkünfte voll sind, sind billige Motels eine vermeintlich einfache Alternative. Was eigentlich als Notlösung begann, die nur ein paar Tage dauern sollte, hat sich zum Dauerzustand über Monate entwickelt. Delaine und ihre Kinder sind seit März in demselben Motel, zu dritt in zwei Betten. Die Probleme haben jedoch schon lange vor diesem Frühjahr begonnen. 2014 wurde bei Delaine Brustkrebs diagnostiziert. Die Veteranin der US-Armee bekämpfte die Krankheit vier Jahre lang, seit Dezember gilt der Krebs als besiegt. Doch selbst mit Krankenversicherung lag ihre Selbstbeteiligung bei fast 900 Dollar pro Monat. Rechnungen, die sie irgendwann nicht mehr zahlen konnte. Delaine und ihre Kinder wurden zwangsgeräumt, verloren ihr Haus und ihr Auto. Sie versuchte, einen Bankkredit zu bekommen, um die Behandlungskosten aufzufangen, aber ihre Kreditwürdigkeit war erschöpft. Seitdem geht es kaum voran. Die Motel-Verwaltung versteht Delaines Situation und hat die Übernachtungspauschalen in eine provisorische Miete für sie umgewandelt. Doch es bleiben 34,24 Dollar pro Tag und damit im Monat fast 1.000 Dollar für das einzelne Motelzimmer. Damit ließe sich leicht eine vernünftige

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„Das ist definitiv kein Urlaub“

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REPORTAGE

Wohnung anmieten. Doch bei potenziellen Vermietern gilt Delaine als obdachlos und das Geld für eine Kaution zusammenzusparen, erscheint utopisch. Delaine bleibt stecken. Sie ist nicht die einzige. Allein in Oklahoma City sind nach Schätzungen Hunderte Familien in einer vergleichbaren Situation.

Delaines Kinder haben sehr begrenzte Möglichkeiten. Ihr Sohn spielt oft mit einem Ball auf dem Parkplatz, bis der Asphalt ihn schwarz werden lässt. Delaine fühlt sich nicht wohl, wenn er außer Sichtweite ist. „Wir sind Menschen, also ist Leiden unvermeidlich“, sagte Delaine. „Aber Kummer ist freiwillig. Wir müssen im Leben nicht unglücklich sein. Ich bin glücklich. Das bin ich wirklich.“ Dennoch ist es ein Kampf. „Meine Tochter ist gerade 15 geworden, und mein Sohn ist 13. Sie brauchen ihre Privatsphäre“, sagt sie. „Eine Sache, die mich wirklich fertiggemacht hat, war der Geburtstag meiner Tochter im Mai – ich konnte ihr immer noch nichts schenken.“ Delaine sorgt sich sehr wegen der hohen Kriminalität in der Gegend. Beide Kinder werden in einem Homeschooling-Programm unterrichtet, ohne dass sie das Motelzimmer verlassen müssen. Die Regel ist: Sie dürfen die Tür für niemanden öffnen, es sei denn, Delaine ist in der Nähe. Streifenwagen ziehen häufig ihre Runden auf dem Motel-Parkplatz, aber das wirkt auch nicht gerade vertrauensbildend. Es ist eine Erinnerung daran, dass es eine bessere Option geben muss, etwas Sichereres.

An manchen Tagen reichen Delaines Einnahmen nicht für die Zimmermiete. Eine Nachbarin bietet ihr und ihren Kindern ein Auto als Übernachtungsplatz.

Meist kauft Delaine morgens ein Dutzend Hefte des „Curbside Chronicle“, um mit den Einnahmen aus dem Straßenzeitungsverkauf das Zimmer zu bezahlen. Wenn sie ein paar Dollar zu wenig hat, lässt der Motel-Manager es manchmal auf sich beruhen. Ein paar Mal hat Delaine widerstrebend ihren Vater in Tulsa angerufen, um nach Geld zu fragen. Die Beziehung der beiden ist nach einem Streit angespannt. Diese unregelmäßige Unterstützung – so gut sie gemeint ist – zieht sie nur tiefer in den Teufelskreis. Oft hat sie Angst, ihre vergünstigte Zimmermiete zu verlieren, wenn andere Gäste davon erfahren. An einem Ort, der nicht für einen langfristigen Aufenthalt gedacht ist, fühlt sich mit der Zeit alles falsch an: Selbst leer wirkt das Zimmer beengt, zu dritt ist es immer überfüllt. Ob beim Zähneputzen oder bei den Hausaufgaben, Privatsphäre gibt es eigentlich nicht. Selbst einfache Vergnügungen sind im Motel schwierig, und

Delaine will unbedingt wieder eine Wohnung, mit einem eigenen Zimmer für alle drei. Keine Wanzen. Keine Hunde, die durch die Nacht bellen. Ruhige Nachbarn. Aber zuerst will sie nur vorankommen. „Ich muss das durchziehen, bis Gott bereit ist, dass wir den nächsten Schritt machen“, sagte Delaine. Leider führt das nicht immer auf einen einfachen Weg. Im Juni hat das Motel die Preise erhöht. Mehrmals musste sich Delaine entscheiden, ob sie Lebensmittel für ihre Kinder kauft oder die Miete bezahlt. Daneille, eine Nachbarin, die ebenfalls in der Nähe in einem Motel lebt, bot ihr Auto als vorübergehende Unterkunft an. Delaine arbeitete weiter, und ihre Familie war bald wieder im selben Motelzimmer, das sie gerade verlassen hatte. Der Teufelskreis, nicht durchbrochen. Mit freundlicher Genehmigung von The Curbside Chronicle / INSP.ngo

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BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Hinterland Tommy Wieringa ist einer der wichtigsten niederländischen Erzähler. In „Santa Rita“ erzählt er aus der Peripherie, dem Dorf Marienveen, irgendwo an der deutschen Grenze. Wer hier geblieben ist, dem widerfährt die Welt. Paul Krüzen, 50, wohnt hier mit seinem Vater auf dem Familienhof und betreibt einen Militariahandel, die Nachfrage nach Nazi-Devotionalien ist stabil. Er, sein Freund Hedwige, der seinen kleinen Laden „mit starrem Mut gegen die Axthiebe der Zeit verteidigt“, und die anderen sehen nur die Ausläufer der Globalisierung in den Ort wehen. Den Anfang machte der russische Pilot, der nach der Flucht aus der Sowjetunion hier abgestürzt war, um mit Pauls Mutter zu verschwinden. Später osteuropäische Eigentumskriminalität und zwei chinesische Familien, die mit Shu Dynasty und der Happyteria triste Mittelpunkte des Dorflebens betreiben. Aus rechtlichen Gründen liegt der Pascha Club direkt hinter der Grenze. Eine langsam Fahrt aufnehmende Handlung gibt es auch, vor allem ist „Santa Rita“ aber eine dank der sprachlichen und kompositorischen Präzision fesselnde Lektüre. Lakonisch, mit absurdem Humor und tiefer Sympathie für die abgehängten Anti-Kosmopoliten aus dem Hinterland, vor deren Wahlentscheidungen sich ganz Europa fürchtet. Tommy Wieringa | Santa Rita ISBN: 978-3-446-26391-8 Hanser | 304 S. | 22 Euro

Pluralität

Frieden und Freiheit

In der Realität der Einwanderungsgesellschaft ist die Grenzziehung zwischen „Migranten“ und „Einheimischen“ bestenfalls wenig hilfreich. Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki-Theaters, hat 2008 den Begriff des „Postmigrantischen“ geprägt, um begrifflich zu fassen, dass Diversität längst nicht mehr an eigene Migrationserfahrung gebunden ist, und dass viele „von hier“ heute einfach anders aussehen und vielleicht andere Fragen und Forderungen an ihre Gesellschaft haben.

Said Boluri wird am Vorabend der iranischen Revolution in Maschhad geboren. Seine Eltern geraten nach dem Übergang zur Islamischen Republik zunehmend in Konflikt mit dem Mullah-Regime. Der Vater kann von der Front des Iran-IrakKriegs fliehen, seine Mutter überlebt die Inhaftierung zur Zeit der Massenhinrichtungen 1988. Nach ihrer Freilassung gelingt es dem Vater, die Familie über die türkische Grenze nach Deutschland zu holen. Said Boluri durchsteht das deutsche Asyl- und das Schulsystem und die Folgen der rassistischen Mobilisierung der frühen 1990er. Er erkämpft sich das Abitur, studiert und arbeitet heute als Sozialarbeiter in Duisburg.

Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan arbeitet seit einigen Jahren daran, diesen Begriff in der Wissenschaft zu verankern und damit die Fixierung auf Migration als „Mutter aller Probleme“ (Seehofer) zu lösen. Ursache der großen Gereiztheit, die längst auch die deutsche Gesellschaft erfasst habe, sei vielmehr die Aushandlung und Anerkennung von Gleichheit – das zentrale Versprechen der Demokratien. Dass MigrantInnen und ihre Nachkommen dieses grundgesetzlich verbriefte Recht einfordern, erinnere die Gesellschaft schmerzhaft an die Lücke zwischen Norm und Realität. Foroutans Studie eröffnet in der Verbindung von kritischer Migrationsforschung mit empirischer Sozialforschung neue Perspektiven. Naika Foroutan Die postmigrantische Gesellschaft. Ein Versprechen der pluralen Demokratie ISBN: 978-3-8376-4263-6 Transcript | 280 S. | 19,99 Euro

Boluri gelingt es, mit Kinderblick das Aufwachsen unter dem Regime, das seine Eltern verfolgt, zu beschreiben, das Staunen des 12-Jährigen über ein absurd-unverständliches Deutschland einzufangen und sich einen kritischen Blick auf die neue Heimat zu erhalten. Anrührend, mal düster und zuweilen richtig komisch ist das. Lernen kann man, dass es Einzelne sind, Mentoren, die eine Zuwanderungsbiografie gelingen lassen – und, aktuelles Thema, dass die Mörder und Folterer der 80er und 90er heute keine Dialogpartner sein können. Said Boluri | Der Himmel über der Grenze Mit einem Vorwort von Günter Wallraff ISBN: 978-3-945294-26-0 Eckhaus | 380 S. | 14,80 Euro 39


REPORTAGE INTERVIEW

Der vom Niederrhein stammende Fotograf und Filmregisseur Gerrit Starczewski hat ein Herz für skurrile Typen. Er zaubert sonderbare Charaktere wie Popkultur-Idole, Freaks und Fußballfans mit viel Charme und Augenzwinkern auf die Kinoleinwand. Das zweite „Pott-Originale“-Epos „Glanz, Gesocks & Gloria“ steckt gerade im Schnitt und wird im November bei der Berlinale 2020 eingereicht, um dort internationales Publikum zu finden. bodo durfte bei den Dreharbeiten dabei sein. Text: Peter Hesse | Fotos: Daniel Sadrowski

Sympathisches Chaos „Pott-Originale“

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Von oben: Drehpause für den VfLJesus, die Braut Claudia Volkmer, Tankwart a.D. ohne Kutte und Filmemacher Gerrit Starczewski.

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ei großen Filmproduktionen gibt es Jobs wie Location-Scouts, Schauspiel-Disponenten oder Maskenbildner. Bei „Pott-Originale“ fallen diese Aufgaben alle in den Bereich von Filmemacher Gerrit Starczewski. „An Drehtagen“, erklärt er, „ist es im Vorfeld immer am schwierigsten, einen passenden Termin zu finden, wo du eine große Schnittmenge hast, und so alle möglichen Leute – Ton- und Kameraleute, Komparsen und Darsteller – kommen können“, sagt Gerrit und bringt die Problematik auf den Punkt: „Jeder kennt das – wenn du eine Geburtstagsparty organisiert und 20 Leute einlädst, können direkt fünf davon nicht kommen, weil sie schon anderweitig verabredet sind. Mein Problem ist meist, dass ich genau auf diese fünf angewiesen bin.“ Zudem ist die Terminfindung gerade in den Sommermonaten schwierig – Urlaubszeit.

„Nicht ohne meine Kutte“ „Ich habe zudem noch den Fehler gemacht“, ergänzt Gerrit, „die Hochzeits-Szene von unserem Hauptdarsteller Tankwart a.D. genau an dem Samstag drehen zu wollen, an dem die Bundesliga beginnt – und auch die Teams von MSV Duisburg und Rot-Weiß Essen wichtige Heimspiele haben.“ So fehlten am Ende viele Komparsen, und in der Bochumer Christuskirche musste dann alles mit einer improvisierten Hochzeitsgesellschaft von etwa einem Dutzend Personen abgedreht werden. Nach der Trauungszeremonie machte noch das Wetter Schwierigkeiten: „Draußen hat es wie aus Eimern geschüttet. Wir hatten ein offenes Opel Manta Cabrio ohne Verdeck als Hochzeitskutsche organisiert. Aber bei dem Sauwetter kriegst du dann leider nicht die geilen Bilder geschossen, die du dir im Vorfeld erhofft hast“, sagt Gerrit mit einem Seufzer. Im Film bleibt es schräg: Das Brautpaar wird gespielt von Hobby-Schauspielerin Claudia Volkmer und dem Tankwart a.D.,

einem einschlägig bekannten VfL-BochumFan. Das Eheversprechen „in guten wie in schlechten Zeiten“ bejaht die Braut zwar, der Tankwart aber antwortet mit „Nein“. Die Hochzeitsgesellschaft erschreckt und blickt fragend Richtung Bräutigam – bis der antwortet: „Ich heirate nicht ohne meine Kutte!“ Flugs zieht er seine alte Schmuddel-Weste mit den vielen Fußballabzeichen über und raunzt dann doch noch gewohnt schlecht gelaunt das Ja-Wort heraus. Für seine Heimatkomödie hat sich Gerrit Starczewski die Arbeitsweise von Christian Ulmen in der Erfolgsserie „Jerks“ zu eigen gemacht: Es gibt zwar ein erdachtes Grundgerüst an unterschiedlichen Handlungssträngen, aber kein formuliertes Drehbuch – es wird viel improvisiert vor der Kamera. Das trifft auch für die Wahl zur „Miss Brieftaube“ zu, die ein paar Wochen nach dem Hochzeitsdreh in der Bochumer Kneipe Intershop abgedreht wird.

Heimat- und Autorenfilm Hier in der Kultkneipe spielt der Techno-DJ und -Produzent DJ Hell (bürgerlich: Helmut Josef Geier) einen alternden Schlagerstar mit Namen Helmut, der nur noch für Supermarkt- und Teppichhaus-Eröffnungen gebucht wird. An jenem Tag ist er Jury-Mitglied dieser provinziellen Miss-Wahl. An der Seite von Helmut mimt Radiolegende Klaus Fiehe kongenial einen abgehalfterten Conferencier mit dem verheißungsvollen Namen Joe Salamander in allerbester Horst-Schlämmer-Manier. „Dass ich mich mit Klaus Fiehe super verstehe, liegt ja quasi auf der Hand“, sagt DJ Hell über die Dreharbeiten an der Seite des deutschen John Peel und erklärt: „Wir haben beide eine sehr ähnliche musikalische Sozialisation erfahren. Aber ich habe nicht oft die Gelegenheit, solche Typen und Originale, wie den Tankwart oder seinen Kumpel VfL-Jesus kennenzulernen. Beide sind sehr offen, wirklich wunderbar.“

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REPORTAGE

Vor der Kamera wird dann auch wieder improvisiert, bis Klaus Fiehe irgendwann den Hinweis gibt, dass gefühlt jeder dritte Satz vor der Kamera mit dem Wort „Scheiße“ ausstaffiert ist – hier sollten die Darsteller doch mal etwas kreativer sein. Die einzelnen Miss-BrieftaubenMädchen werden von Bühnenansager Roland Tresch (wunderbar gespielt vom Bochumer Cartoonisten Oli Hilbring) ins Rampenlicht gerückt. Der wortgewandte Zeichner überrascht vor der Kamera immer wieder mit aberwitzigen Wortkreationen, wie „Muscheltaucher“ oder „Zickenterror-Bambule“. Die Stimmung ist ausgelassen, und es wird zwischendrin viel gelacht. Außerdem wird alles mit Autorenfilmer-Minimal-Equipment (nur Kamera und Tonangel, kein gesondertes Licht) eingefangen. „Gerrit weiß schon, was er von den einzelnen Darstellern haben möchte, aber er lässt sich bei den Dialogen auch mal gerne überraschen“, sagt DJ Hell über die Dreharbeiten in Bochum. Als Technound House-DJ ist der Mann aus Oberbayern auf dem internationalen Parkett unterwegs, ob Modenschauen in Mailand oder Club-Sets auf Ibiza, in New York oder Paris. Da wirken die Außenaufnahmen im Schloss-Strünkede-Stadion von Westfalia Herne als Kontrastprogramm. Auf dem grünen Fußballrasen spielt DJ Hell einen Stürmer in der Pott-OriginaleMannschaft an der Seite von Ex-Vf L-Bochum-Profi Peter Közle. „Wir haben die Mod- und Rocker-Rivalität aus ,Quadro-

phenia‘ für unseren Film in den Fanlagern wieder auferstehen lassen“, grinst Gerrit Starczewski über den Stadiondreh mit 150 Statisten. Das Pott-Originale-Fußballteam, das in der Kurve von den Mods supportet wird, trifft

auf die Mannschaft des TUS Haltern, die eine lautstarke Rockergang mit aberwitzigen Typen hinter sich stehen hat. Gerrit ist mit den bisherigen Drehtagen unterm Strich sehr zufrieden und resümiert: „Ich bin in Oberhausen geboren, mich haben die Oberhausener Kurzfilmtage und die Manifeste der Autorenfilmer der 1970er Jahre nachhaltig geprägt. Das heißt, ich möchte eine Grundidee einfach und direkt

umsetzen – und mit wenigen Mitteln auf dem Niveau eines Independent-Films zum Leben erwecken. Wenn ich dann sehe, wie sich die unterschiedlichsten Typen am Set super verstehen und im zweiten Schritt sogar anfreunden, dann ist das die größte Belohnung für mich.“

„Glanz, Gesocks & Gloria“ steckt gerade im Schnitt und wird im November bei der Berlinale 2020 eingereicht. Filmteam und Schauspieler setzten bei den Dreharbeiten viel auf Improvisation und Spaß.

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Eine Frage, Herr Krisch:

Soll man Vögel im Winter füttern?

Mathias Krisch, Vorsitzender der Bochumer Ortsgruppe des NABU

Das Füttern von Vögeln im Winter ist eine der beliebtesten Formen des Tierschutzes in Deutschland. Rund 15 bis 20 Millionen Euro werden laut Naturschutzbund Deutschland dafür jedes Jahr ausgegeben. Doch ist es eigentlich richtig, Vögel im Winter mit zusätzlicher Nahrung zu versorgen oder greift man damit in den Prozess der „natürlichen Auslese“ ein?

kernen gut beraten. Von Brot als Futter sollte man absehen, da es im Magen der Tiere aufquillt. „Gerade im städtischen Bereich muss man sich natürlich darüber im Klaren sein, dass, wenn man zu viel füttert und Körner zu Boden fallen, damit auch Ratten und anderes Ungeziefer angelockt werden“, so Krisch. „Die möchte man vielleicht nicht im Garten haben.“

„Die 10 bis 15 verschiedenen Vogelarten, die man mit einer Fütterung im heimischen Garten erreicht, sind nicht gefährdet und erfreuen sich einer stabilen oder wachsenden Population. Bis auf wenige Ausnahmen erreicht man damit also keine Tiere, die im Mittelpunkt notwendiger Schutzbemühungen stehen sollten“, sagt Mathias Krisch, Vorsitzender der Bochumer Ortsgruppe des NABU. Doch auch, wenn die Winterfütterung nur einen kleinen Beitrag zum Artenschutz leistet, könne es trotzdem ein schönes Erlebnis sein, die Vögel bei der Futtersuche zu unterstützen und auch zu beobachten.

Auch wenn die Winterfütterung nur einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz leistet, kann es trotzdem ein schönes Erlebnis sein, Vögel bei der Futtersuche zu unterstützen.

Entschließt man sich dazu, Amsel, Meise und Co. im heimischen Garten zu füttern, sollte man einiges beachten: Am einfachsten versorgt man die Tiere mit hängenden Futterspendern. So bleibt das Futter trocken und frei vom Kot der Tiere. Ein Vogelhäuschen hingegen sollte regelmäßig gereinigt werden, um die Übertragung von Krankheiten über den Vogelkot zu vermeiden. Wenn man nicht auf spezielles Vogelfutter zurückgreifen möchte, ist man mit Sonnenblumen-

Wer sich weiter mit dem Thema Vogelschutz beschäftigt, wird schnell merken, dass für den Schutz gefährdeter Vogelarten weit mehr getan werden muss. „Wer einen Garten sein Eigen nennt, tut zum Beispiel gut daran, ihn, neben einer Fütterung im Winter, vogelfreundlicher zu gestalten“, weiß Krisch. „Konkret hilft man, indem man Wildsträucher anpflanzt und eine wilde Blumenwiese statt eines englischen Rasens für sich und die Vögel seiner Umwelt pflanzt. So schafft man weiteren Lebensraum für viele gefährdete Tiere.“

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„Der autogerechte Städtehaufen“ Nach vielen Städtereisen ins europäische Ausland stimme ich Ihrer Diagnose zu: „Der öffentliche Nahverkehr im Ruhrgebiet ist der teuerste, komplizierteste und schlechteste, den man sich für eine Großregion verstellen kann.“ Kirchturmdenken und Versorgungsmentalität – mit hochdotierten Posten bei mehr als einem Dutzend Verkehrsunternehmen – sind sicher ein Hauptgrund. Frustrierend bleibt, dass dieser Mangel politisch kaum zu beheben ist. Den Großstädten im Ruhrgebiet geht es ja gut damit, und die Entscheider fahren Dienstwagen. F. P. bodo 10.19

Die Zahl Danke, dass Ihr so früh (und groß) darauf hinweist, dass es ab Januar 8 Euro mehr Hartz IV gibt. Da haben die Betroffenen ja genug Zeit, sich eine vernünftige Investition zu überlegen. Man könnte fast zynisch werden. 1,9 Prozent Erhöhung! Die – bedarfsgerechte – Neuberechnung durch den Paritätischen würde eine Erhöhung um 37 Prozent bedeuten. Knapp daneben. H. M. bodo schafft Chancen

Engagement Hallo bodo-Team, danke für Euer tolles Magazin und das großartige Engagement hier in Dortmund und Bochum. Herzliche Grüße, J. E. Welttag zur Beseitigung der Armut am 17. Oktober

Wohin im Winter Liebes bodo-Team, ich war letzte Woche bei eurer Veranstaltung am Rathaus in Dortmund. Ich teile einiges von eurer Kritik, aber man muss auch berücksichtigen, dass die Stadt nicht zaubern kann. Unterkünfte entstehen nicht über Nacht, wenn wir Menschen nicht wie 2015 in Turnhallen parken wollen. Dass wir bei der Menge an Obdachlosen, die ich allein in der Innenstadt nachts draußen schlafen sehe, ein Winternotprogramm brauchen, sehe ich aber genauso. Zwei Schlafsäcke und Isomatten bringe ich Euch nächste Woche vorbei. Danke für Euren Einsatz, S. P. fiftyfifty Düsseldorf

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Die Stadt Düsseldorf ließ Steine unter einer Brücke am Landtag platzieren, um zu verhindern, das Obdachlose dort weiterhin schlafen. Die Straßenzeitung fiftyfifty lieferte die Steine am Rathaus ab. Was veranlasst jemanden zu solchen Maßnahmen? Ist es fehlende Empathie oder die unterschwellige Angst, selber in so eine Situation zu geraten? Es kann jeden


RÄTSEL

Im Oktober waren die Barber Angels wieder in Bochum zu Besuch, und zum ersten Mal in unseren neuen Räumen in der Henriettenstraße. Drei Stunden lang zauberten die FriseurInnen ehrenamtlich und kostenlos neue Köpfe – und fast 50 Menschen ein Lächeln ins Gesicht. Foto: Sebastian Sellhorst

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

treffen. Auch die- oder denjenigen, der sich solche Maßnahmen ausdenkt. Es kann morgen schon beginnen: schwere Krankheit bei sich oder in der Familie, Kasse zahlt einzige Therapie nicht. Job weg, Geld weg, Haus weg, Partner weg und der letzte Schutz vor Regen voller Steine. B. K.-F. (via Facebook)

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Seit vier Monaten verkauft Dennis in Dortmund das Straßenmagazin. In Zukunft will er auch bodos soziale Stadtführungen begleiten, um von seiner Zeit auf der Straße zu erzählen. Wir haben uns mit ihm an seinem Verkaufsplatz auf dem Ostenhellweg getroffen. Text und Foto: Sebastian Sellhorst

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rst habe ich an der Katharinentreppe verkauft. Aber da ist zurzeit eine riesige Baustelle, da wird man ja fast taub, wenn man dort den ganzen Tag neben dem Presslufthammer steht. Daher verkaufe ich jetzt auf dem Ostenhellweg“, erzählt uns der 33-Jährige, als wir ihn an seinem Verkaufsplatz in der Innenstadt treffen. Zu bodo sei er über einen Freund gekommen, den er schon viele Jahre kenne und der ebenfalls bodo-Verkäufer ist. „Mittlerweile haben wir unsere Verkaufsplätze nebeneinander und tauschen die besten Verkaufssprüche miteinander aus. Das hilft, wenn man ein bisschen auf sich aufmerksam machen will. Wenn du nur still in der Ecke stehst, dann werden die Tage verdammt lang, und am Ende hast du noch eine Menge Magazine in der Hand.“

Von der Straße erzählen

Noch nicht allzu lange ist Dennis wieder in Deutschland. Zuvor hatte er in den Niederlanden in der Nähe von Groningen gelebt. „Nach einem langen, zermürbenden Rechtsstreit um das Sorgerecht für meine Tochter kam ich an den Punkt, an dem mir das alles zu viel wurde und ich raus musste“, erzählt er. Holland sei damals seine erste Anlaufstelle gewesen. Über Musikfestivals in den Niederlanden, die er früher oft besucht hatte, hatte er dort viele Kontakte. „So bin ich in der Nähe von Gro-

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ningen gelandet. Erst bin ich bei Freunden untergekommen, aber recht schnell hatte ich dort eine eigene Wohnung und konnte auch in meinem Beruf als Anlagenmechaniker mit der Fachrichtung Schweißtechnik arbeiten. Ein Jahr hab ich dort gelebt, aber irgendwann wollte ich einfach wieder zurück und meine Tochter unbedingt wiedersehen.“ Wieder in Deutschland fehlte es aber an einer Wohnung. „Eine Zeit lang habe ich mit Bekannten in einem leer stehenden Haus am Borsigplatz gewohnt. Das ist jetzt aber verschlossen und man kommt nicht mehr rein. Mittlerweile sind so viele Leute auf der Straße, dass es schwierig wird, noch gute Ecken oder leer stehende Häuser zu finden.“ Sowas könne eher zum Problem werden als die Kälte. „Wenn du ganz viele Kerzen und Teelichter in einem kleinen Raum aufstellst, funktioniert das fast wie eine Heizung. Dazu ein dicker Schlafsack und dicke Klamotten, und man kommt irgendwie klar. Aber auf Dauer ist das natürlich nichts. Das Wichtigste auf der Straße ist, dass du mit Leuten unterwegs bist, denen du vertrauen kannst, sodass man gegenseitig aufeinander aufpasst.“ Alleine draußen, das könne auch gefährlich werden. Zurzeit ist Dennis bei einem Freund untergekommen und weiter auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. „Ich hab mir schon unglaublich viele Wohnungen angesehen. Aber wenn man „ofw“ – „ohne festen Wohnsitz“ im Personalausweis stehen habe, dann stünden die Chancen schlecht, etwas zu bekommen. „Man kann natürlich auch irgendwie verstehen, dass die Wohnung dann eher an den Studenten oder den Rentner geht statt an den Typen von der Straße. Am liebsten würde ich in irgendeinen ruhigen Vorort ziehen, wo wenig los ist, und ich mit dem ganzen Stress von der Straße nichts mehr zu tun habe.“


Anzeige Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Westliches Westfalen e.V.

Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Haben wir Angst, dass es bis zum richtigen 30. Geburtstag der Wiedervereinigung 2020 nicht langt? Schon jetzt wird gefeiert und erinnert, als traue man keinem, sobald er erst mal dreißig wird. Vielleicht ist das Gefühl heute so wie damals: Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Liebe historische Nachgeburten, heute erzählt Opa nicht vom Krieg. Er erzählt von Stempeln überforderter DDR-Grenztruppen, die er nach dem 9. November auf dem Potsdamer Platz in seinem Reisepass sammelte. Das war Deutsch auf schöne Art. Es gab keine merkbare Grenze mehr, aber die Herren in Grau stempelten tapfer freundlich gegen die kurze Zeit der Anarchie an. Sollte niemand illegal einreisen in den Osten. Die inoffizielle Wiedervereinigung, die Nacht zum 1. Juli 1990, als die D-Mark offiziell in den Osten kam, verbrachte Erzählopa fassungslos in Berlin. Menschen kollabierten in der neuen Filiale der Deutschen Bank am Alex. Mein Freund Ingo am Steuer seiner ollen Westkarre bekam allein deshalb fast mit Baseballschläger aufs Maul, weil er einen Hauch Punk, diesen Kapitalismusstimmungskiller, an sich hatte. Als die Einheit dann am 3.Oktober endlich kam, interessierte sie nach elf Monaten Jubel und Ernüchterung, nächster Party und Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

übernächstem Kater so richtig niemanden mehr. Ich saß um Mitternacht auf dem Busbahnhof im türkischen Bursa, abends im alten S-Bahnhof des Düsseldorfer Flughafens. Der lag zum

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO Je mehr Mitgli hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil wo-ww.de .de • www.a w w oaw @ info

Feiertag totenstill da, als aus dem Verbindungsgang vom Terminal das schwere Rollgeräusch eines Koffers näherkam. Da stand er, im Gegenlicht: Heinz Kluncker, dieser gewaltige, damals schon ehemalige Vorsitzende der ÖTV. Jüngere googeln jetzt. Der Lokführer fiel auf die Knie. Meine S-Bahn fuhr nach der Berührung durch diesen letzten Helden der Arbeit (West) sauber, sicher und pünktlich ins Revier. Am nächsten Morgen begann der gesamtdeutsche Alltag.

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