bodo Oktober 2020

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bodo DAS

IN STRASSENMAGAZ

10 | 20 Die besten Geschichten auf der Straße

2,50 Euro Die Hälfte für die Verkäuferin den Verkäufer

FRAU LOSE KOCHT STEPHAN STRSEMBSKI NICO SEMSROTT

Utopisches Flanieren in Bochum Seite 38

Kommunale Kohle Seite 18

A I N O L A V A

K, R A P R E T T E L K , K R E K U NS T W F R E I LU F T K L O S T E R

WUNDERPL ANZE HANF PIXELFREIHEIT

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

INHALT

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20

Nico Semsrott

Von Benjamin Laufer

Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Dominik Bärlocher, Alexandra Gehrhardt, Aichard Hoffmann, Katharina Huth, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Benjamin Laufer, Bastian Pütter, Petra von Randow, Bastian Schlange, Sebastian Sellhorst Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Hans Blossey / Alamy Stock Photo (S. 18, 19), Joerg Boethling / Alamy Stock Photo (S. 36), Mathieu Cugnot (S. 6), Emanuela Danielewicz (S. 28), Kurt F. Dominik / pixelio.de (S. 8), Genevieve Engel (S. 4), European Union 2019 (S. 5), Greenpeace Bochum (S. 20), KNSY Photographie (S. 37), Marcel Kusch (S. 25), Daniel Sadrowski (S. 3, 12, 13, 14, 15, 16, 22, 23, 30, 31, 32, 33, 38, 39), SAT.1 / Jens Hartmann (S. 23), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 20, 45, 46), Julia Schwendner (S. 9), Shutterstock.com (S. 22, 34, 35), uncensoredlibrary.com (S. 42) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die November-Ausgabe 10.10. 2020 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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Ist das noch Satire oder schon Politik? Nico Semsrott macht einfach beides gleichzeitig. Seit einem guten Jahr sitzt er als Abgeordneter für „Die PARTEI“ im Europaparlament – und interessiert auf seinen Social-Media-Kanälen Hunderttausende für sperrige Themen.

Avalonia

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Kletterpark, Refugium, Kulturort – freies Land an der Ruhr: Wenn man mit Künstler Daniel Pohl durch Avalonia streift, erkennt man das weit verzweigte Gebiet an einem Waldhang im Ruhrtal zwischen Herdecke und Wetter als großes Kunstwerk. Von Max Florian Kühlem

Kommunale Kohle

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Viele Ruhrgebietskommunen profitieren nach wie vor vom Klimakiller Kohle. Doch nicht alle wollen dazu stehen. Das Recherchenetzwerk Correctiv und Fridays for Future haben gemeinsam zu den Kraftwerksbeteiligungen der NRW-Kommunen recherchiert. Von Katarina Huth und Bastian Schlange

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Efstratios, bodo-Verkäufer in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, manchmal können sich Dinge unglaublich schnell zum Guten wenden. In der letzten Ausgabe sprach ich noch davon, wie ich auf der Straße gelandet bin und wie schwierig sich die Suche nach einem Job gestaltet. Darauf haben mich sehr viele von Ihnen angesprochen, mir Mut gemacht und versucht, mir weiterzuhelfen. Unter anderem hat eine Leserin über bodo Kontakt zu mir aufgenommen. Da ich ja aus dem Gastronomiebereich komme, hat sie mich gefragt, ob ich ihr beim Ausrichten ihres Geburtstages helfen könnte. Da habe ich natürlich sofort zugesagt, und es hat super geklappt. Eine Möglichkeit, für die ich unglaublich dankbar bin. Zurzeit wohne ich noch bei dieser netten Leserin im Gästezimmer, und wir sind gemeinsam auf der Suche nach einem Job für mich. Ich bin sehr optimistisch, dass es ab jetzt wieder bergauf geht. Ich danke allen Leserinnen und Lesern für die Unterstützung, und ich wünsche Ihnen viel Spaß mit der aktuellen Ausgabe. Bis bald, Ihr bodo-Verkäufer Stratos

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EDITORIAL

04 Menschen | Nico Semsrott 07 Straßenleben | Kein Dach über dem Kopf 08 Neues von bodo 12 Reportage | Avalonia 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Mieten deckeln – deutschlandweit? 17 Kommentar | Die Einzelfalldoktrin 17 Die Zahl 18 Reportage | Die Kommunen und die Kohle 22 Wilde Kräuter | Vogelbeere 23 Interview | Herr Ullmann kocht 24 Veranstaltungskalender 29 Kinotipp | The Great Green Wall 30 bodo geht aus | Can Can 32 Reportage | Fabulose 34 Reportage | Kulturpflanze Hanf 37 Eine Frage… | Wohin mit dem Herbstlaub? 38 Soziales | Utopisches Flanieren 39 Kultur | Provinz Bochum 41 Bücher 42 Reportage | Pixelfreiheit 44 Leserpost 45 Leserpost | Rätsel 46 Verkäufergeschichten | Mach’s gut, Egon!

Liebe Leserinnen und Leser, schön, dass Sie hier sind. Wie langfristig planen Sie eigentlich gerade? Mit dem Herbst weitet sich bei uns gewöhnlich die zeitliche Perspektive: die Wintervorbereitungen, Projektberichte und Jahresabschlüsse, das Januarund Februarheft, die beide eigentlich schon im alten Jahr im Kasten sein müssen, weil niemand in den Weihnachtsferien auch noch mit Interviews behelligt werden möchte. Naja, und dann ist Corona, und wir stellen fest: Statt Aufgaben auf den Zeitstrahl zu legen, jonglieren wir mit Szenarien, verheddern uns in Prognosen. Und dann fällt uns auf, dass die Ungewissheit angesichts dessen, was kommt – Kontingenz nennt das die Philosophie –, eigentlich immer die gleiche ist. You‘ll never know. Nur statt Zukunftsunsicherheit mit Wiederholungsroutinen zu bändigen – „Machen wir wie letztes Jahr, oder?“ – ist vieles zurzeit gefangener in der Gegenwart als sonst: „Erst mal gucken, dann mal sehen.“ Das ist ja nicht nur schlecht. Bleiben wir also erst einmal in der Gegenwart dieses Oktoberhefts, das versteckt zwischen lokaler Kunst und Kultur, großer und kleiner Politik eigentlich ein Kochheft ist. Bei uns geht eine kurdisch-griechische Liebe durch den Magen, eine Fernsehkochshow wird zum Podium für einen nachhaltig denkenden Dortmunder, edle 5-Gänge-Menüs aus „Food Waste“ machen Lebensmittelverschwendung zum Thema, und schließlich erinnern wir daran, dass die alte Kulturpf lanze Hanf ganz ohne Bewusstseinserweiterung lange auf europäischen Speisezetteln stand.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Wir bereiten uns auf einen Winter vor, in dem die meisten Orte zum Aufwärmen, zum Ausruhen, zum gemeinsamen Essen für Wohnungslose wegen der Maßnahmen zum Schutz vor Corona gar nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden können. Gemeinsam mit unseren Partnern schaffen wir so gut wie möglich Ersatz. Mit Ihrer Hilfe. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Europas letzte Hoffnung Ist das noch Satire oder schon Politik? Nico Semsrott macht einfach beides gleichzeitig. Seit einem guten Jahr sitzt er als Abgeordneter für „Die PARTEI“ im Europaparlament – und interessiert auf seinen Social-Media-Kanälen Hunderttausende für sperrige Themen. Von Benjamin Laufer | Fotos: Genevieve Engel, Mathieu Cugnot, European Union 2019

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ie man mit Satire Politik macht, wusste Nico Semsrott schon 2005: Als die Schulleitung seine Schülerzeitung verboten hatte, wollte der junge Redakteur das nicht auf sich sitzen lassen. Kurzerhand wandelte der 19-Jährige ein Dixi-Klo vor der Schule zum Zeitungskiosk um. Aufschrift: „Schülerzeitungsverbot? Da scheiß ich drauf!“ Medien berichten über den „Kampf um die Pressefreiheit“ an der katholischen Privatschule, auch die Hamburger Bürgerschaft befasst sich damit. „Ich hatte auch Angst, dass ich von der Schule fliege, aber es hat irre viel Spaß gemacht!“, erinnert sich Semsrott. 15 Jahre später sitzt er im Europäischen Parlament in Brüssel und hält ein goldenes Schild mit der Aufschrift „Strasbourg“ in die Höhe. Als Europaabgeordneter fordert er die Umbenennung des Sitzungssaals, damit die ParlamentarierInnen nicht mehr zwölfmal im Jahr in die französische Stadt reisen müssen, wie es die EU-Regularien vorschreiben, sondern einfach im gleichnamigen Raum tagen könnten. Mehr als eine halbe Milliarde Euro würde das Hin-und Herreisen pro Legislaturperiode kosten, jährlich 20.000 Tonnen CO2 verursachen. „Möge diese Sitzung der historische Moment sein, in dem das Europäische Parlament endlich auf begehrt und die Kontrolle über sein Schicksal übernimmt!“, fordert Semsrott auf Englisch. Dazu hebt er die linke Faust.

Eigentlich hält er diese Rede nicht wirklich für den Petitionsausschuss des Europaparlaments, auch wenn er zu ihm spricht, sondern für seine ZuschauerInnen auf den SocialMedia- Kanälen – allein auf Youtube wurde das Video darüber mehr als 370.000-mal angesehen. Hunderttausende für so ein trockenes Thema der Europapolitik zu interessieren, das schafft sonst niemand. Es ist der Erfolg eines neuen Politikstils, den Semsrott und sein Parteikollege Martin Sonneborn geprägt haben, die beide für die Satirepartei „Die PARTEI“ im Parlament sitzen, Semsrott jetzt seit gut einem Jahr. Auf Instagram, Twitter und Facebook folgen ihm mehr als 700.000 Menschen. Reichweiten, von denen andere Abgeordnete nur träumen können. Der Weg dorthin war für Semsrott allerdings weit. Er beginnt im Hamburger Stadtteil Niendorf, in dem Nico als Lehrerkind aufwächst. „Das war so unglaublich normal“, erinnert er sich im Skype-Gespräch. Und das meint er nicht wirklich positiv: „Im Sinne von durchschnittlich, bürgerlich, weiß, privilegiert, behütet … boring eben.“ Irgendwie langweilig und ein bisschen wie jetzt im Europaparlament, legt er sarkastisch nach: „Ich bin an einem Ort, dessen Werte ich nicht teile, und ich habe die ganze Zeit Sehnsucht nach mehr Leben, Auseinandersetzung und Teilhabe.“ Eben ganz so wie damals in Niendorf. Zum Satiriker ist er dann auf der katholischen Privatschule an der Alster geworden, sagt er, weil dort Ausgedachtes als Realität verkauft worden sei. Während in Gebeten das Gute im Menschen gepriesen wurde, hätten manche Lehrer mit Druck und Einschüchterungen gearbeitet: „Das ist genau das Spannungsfeld, in dem Komik und Satire entstehen“, meint Semsrott.

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MENSCHEN

Nach der Schule klagt er sich ins Studium der Soziologie und Geschichte an der Uni Hamburg ein, nur um es nach sechs Wochen wieder abzubrechen. „Ich bin dann depressiv ins Bett gegangen und habe erst mal gar nichts gemacht“, sagt er salopp daher, meint es aber ganz ernst: Zwischen 16 und 23 war Nico Semsrott durchgehend depressiv. Daraus macht er kein Geheimnis, im Gegenteil: Er entdeckt 2008 im Hamburger Club Molotow den Poetry-Slam für sich und spricht in seinem Programm über die Krankheit, macht Witze über Depressionen. „Für mich ist es total schön, wichtig und entlastend, eine Bühne zu haben, wo der Schmerz rauskann“, sagt er. „Das hat mir total viel geholfen.“

„Ich bin überzeugt davon, dass Demokratie nicht ohne Öffentlichkeit funktionieren kann.“

Als depressiver Komiker wird er schließlich berühmt, der schwarze Kapuzenpullover wird zu seinem Markenzeichen. Er tritt regelmäßig in der „heuteshow“ des ZDF auf, macht immer wieder auch politisches Kabarett, und ganz nebenbei sammelt er Hunderttausende Follower auf Social Media. Da kam Anfrage der PARTEI, ob er nicht in die Politik wechseln wolle. „Ich wusste nicht, dass ich das wollte, bevor ich gefragt wurde. Als ich gefragt wurde, hab ich gemerkt: ‚Oh, das interessiert mich wirklich!‘“ Seit 2019 ist also Brüssel die Bühne, auf der sein Schmerz rauskann. Ein Tweet von @nicosemsrott kann heute ausreichen, um eine Antwort von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu provozieren, die er so in eine Debatte über „rassismusverharmlosende Politik“ hineinziehen kann. „Das ist für mich viel spannender, intellektuell herausfordernder und relevanter als das, was ich vorher gemacht habe“, sagt Semsrott. Aber natürlich steckt noch jede Menge vom alten Nico im neuen. Er hat den Kapuzenpullover nicht ausgezogen, auch weil er ihm Sicherheit gibt, sagt er. Dass er nur eine Rolle spielt, ist für Nico Semsrott normal, auch im Europarlament: „Die anderen spielen ihre Rollen, die megakomisch sind, und ich spiele meine Rolle, die ich in dem Kontext eigentlich vernünftig finde.“

Womit wir beim schwierigen Verhältnis von Nico Semsrott zur EU sind. Was bei ihm manchmal nach populistischem Bashing klingen mag, kann er mit fundamentaler Kritik unterfüttern. Und er ist vieles, aber sicher kein Anti-Europäer. Aber das Staatengebilde wird ihm zu konservativ gelenkt – und zu undemokratisch organisiert: „Es ist falsch, Europawahlen abzuhalten, wenn das Parlament nicht die Repräsentation und die Macht hat, die man dem Bürger suggeriert!“ Deswegen ist klassische Parlamentsarbeit seine Sache nicht. „Ich bin dafür da, zu irritieren und den Betrieb zu stören“, erzählt er und legt lachend nach: „Im ersten Jahr bin aber hauptsächlich ich irritiert und mein Betrieb ist gestört worden.“ Das Format Europaabgeordneter entwickelt er beständig weiter: Seit Juli hat er eine Late-Night-Show, in der er die europäische Öffentlichkeit am Parlamentsgeschehen teilhaben lässt. Satirisch und politisch, wie es John Oliver in den USA vorgemacht und Jan Böhmermann in Deutschland adaptiert hat. Nur eben für die ganze Union. „Ich bin überzeugt davon, dass Demokratie nicht ohne Öffentlichkeit funktionieren kann“, sagt er. „Es ist meine Aufgabe, die herzustellen und für Diskussionen zu sorgen.“ Dabei kann er an seinem Anspruch, mit dem er vergangenes Jahr zur Wahl angetreten war, eigentlich kaum scheitern. Sein Slogan lautete bloß: Für Europa reicht’s. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Hinz&Kunzt / INSP.ngo

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STRASSENLEBEN

Auch nach fast acht Monaten Pandemie findet Wohnungslosenhilfe zu großen Teilen draußen statt. Viele Anlaufstellen bleiben geschlossen, die, die öffnen, tun das meist mit großen Einschränkungen. Die Open-Air-Lösungen, mit denen viele über den Sommer gekommen sind, funktionieren nicht mehr, wenn es regnet, schneit und kalt ist. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Sebastian Sellhorst

Kein Dach über dem Kopf

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s gibt kleine gute Nachrichten. Dass die Stadt Dortmund das temporäre Hygienezentrum für Wohnungs- und Obdachlose bis zum Jahresende verlängert hat, ist eine. Dass die Diakonie im Haus Wichern einen Tagesaufenthalt einrichtet, eine andere. In kleinen Schritten wagen Tafel, Aidshilfe und andere die Öffnung ihrer Angebote. Wie dauerhaft sie ist, hängt auch vom Verlauf der Pandemie ab und ist längst nicht f lächendeckend. In Bochum startete die Suppenküche einen reduzierten Betrieb, der Tagesaufenthalt ist nur für Menschen zugänglich, die nachweislich obdachlos sind. Und so finden große Teile der Wohnungslosenhilfe weiter draußen statt, dort, wo viele Betroffene seit Monaten sind. Wer die Essensangebote nutzen oder im Hygienezentrum duschen will, steht Schlange unter freiem Himmel. Auch die bodo-Teams in den Anlaufstellen arbeiten durchs Fenster. Im Stadtraum wird zunehmend sichtbar, was die Einrichtungen trotz der gemeinsamen Anstrengungen der letzten Monate nicht auffangen können. In der Dortmunder Lokalpresse ärgerten sich zuletzt in mehreren Artikeln An-

wohnerInnen und Gewerbetreibende über Bettelnde und Menschen, die ihre Habe in Höfen deponieren und in Gebüschen übernachten. Im „Stadtgespräch“ über die Zukunft der Innenstädte, das WDR 5 im September aus Dortmund sendete, beklagte Dirk Rutenhofer, Chef der Gewerbegemeinschaft Cityring, vor allem die Imagefolgen für Dortmund: Wenn man auf wenigen hundert Metern zehnmal angebettelt werde, „ist das für eine Innenstadt schädlich“. Wie rapide sich Corona auf die physische und psychische Lage der Betroffenen ausgewirkt hat, war nicht Teil der Sendung.

Unter freiem Himmel: Die monatlichen Verkäuferversammlungen von bodo finden zurzeit draußen statt – wie viele andere Hilfen auch. Für den Winter braucht es andere Lösungen.

Währenddessen steht der Winter vor der Tür, in dem die Open-Air-Lösungen des Sommers nicht mehr funktionieren. Wir sind weiter mit Hochdruck auf der Suche nach Orten, an denen sich Menschen coronakonform und wettergeschützt tagsüber aufhalten und Mahlzeiten zu sich nehmen können, im Trockenen und im Sitzen.

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NEUES VON BODO

Königsallee 12 44789 Bochum Wir freuen uns riesig über unsere neue Adresse: Endlich betreiben wir auch in Bochum ein modernes Antiquariat. In dem schönen, hellen Ladenlokal schräg gegenüber dem Schauspielhaus und umgeben von spannenden Läden, Galerien und Gastronomien gibt es bei uns gute, gebrauchte Bücher. (Was Sie bei uns nicht finden, gibt es gleich um die Ecke neu bei Mirhoff & Fischer.) Unser Konzept: In unserer Kleiderkammer in Altenbochum nehmen wir Buchspenden entgegen, für die Sortierung, Bewertung und den Verkauf online und in unseren Läden schaffen wir Arbeitsplätze. In unseren Läden finden Sie nur ausgewählte, gut erhaltene bis neuwertige Bücher sortiert nach Fachgebieten. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

TERMINE Soziale Stadtführungen Dortmund, 10. Okt., 11 Uhr Bochum, 17. Okt., 11 Uhr 9 Euro (inkl. Straßenmagazin) Anmeldung unter Tel. 0231 – 950 978 0 Kundgebung am Tag der Armut Sa., 17. Oktober, 16 Uhr Friedensplatz, Rathaustreppe Dortmund 8

Auf Recht bestehen

Stadtführungen

Das Bundeskabinett hat nach fünf Jahren zum 1. Januar eine Anpassung der Regelsätze beschlossen. Der Beschluss sah eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes für Alleinstehende um 7 Euro vor, die vorgeschriebene Anpassung an die Lohn- und Preisentwicklung führt letztlich zu einer Erhöhung um 14 Euro. Der Paritätische nennt das Verfahren „unverschämtes Kleinrechnen“ und spricht bei der zugrundeliegenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von Missbrauch der Statistik. Das Bündnis „Auf Recht bestehen“ ruft am 30. und 31. Oktober zu bundesweiten, dezentralen Aktionstagen auf und fordert „Regelsätze, die zum Leben reichen“. Mehr auf www.bodoev.de

Neue Stadtführer, neue Routen, neue Geschichten von der Straße und Einblicke in die Alltagserfahrungen Obdachloser, die für andere meist unsichtbaren Hilfenetzwerke in der Stadt, das ehrenamtliche Engagement vieler. Wie verbringt man den Tag draußen und wo die Nacht? Wo gibt es Unterstützung, wo eine warme Mahlzeit, wo eine Dusche? Unsere Stadtführer laden an jedem zweiten Samstag in Dortmund und an jedem dritten Samstag in Bochum ein auf einen zweistündigen Rundgang, beginnend jeweils am Hauptbahnhof. Die Tour kostet 9 Euro (inkl. Straßenmagazin), eine Anmeldung ist erforderlich, die Plätze sind begrenzt. Außerdem können Gruppenführungen gebucht werden.


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Bücher, Bücher Sie haben ein wenig Platz im Bücherregal geschaffen, wissen nicht wohin mit der Sommerlektüre oder wünschen sich für diesen oder jenen Roman neue LeserInnen? Unsere Buchläden freuen sich über Ihre aussortierten Bücher. Gerne nehmen wir Ihre Buchspende in unserem Dortmunder Buchladen und in unserer Bochumer Kleiderkammer entgegen.

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

bodo

Haushaltsauflösungen

SCH AFF T CHA NCE

Entrümpelungen

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Entsorgungen Transporte bodo packt an Rufen Sie uns an – wir erstellen Ihnen ein unverbindliches Angebot. Tel.: 0231 – 950 978 0 | E-Mail: transport@bodoev.de Ansprechpartnerin: Brunhilde Posegga-Dörscheln

bodo DAS STRASSEN MAGAZIN

Mit Ihrer Hilfe Auch in Coronazeiten versuchen wir unser Modell aufrechtzuerhalten: Einen Großteil der Kosten unserer Arbeit decken wir durch eigene Einnahmen. Was wir durch Magazine, Bücher, Dienstleistungen, Bildungsangebote usw. einnehmen, finanziert unsere Strukturen. Unsere soziale Arbeit und die Angebote für Wohnungslose sind spendenfinanziert, wir erhalten keine regelmäßigen Förderungen von Stadt oder Land. Wir danken allen Menschen und Organisationen – wie der „stiftung ruhrarmut“ aus Bochum, von der wir 1.400 Euro erhielten –, die unsere Arbeit von Nothilfe auf der Straße bis zu Housing first und Nachsorge unterstützen. Herzlichen Dank!

Musikförderung

Kunstförderung

Wissenschaft

/ bodoev

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Denkmalschutz

Jugendsport

Soziales & Bildung

Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung Herdecke

27.09.2020 | Passage Rot | Rita Rohlfing - Ausstellung Dr. Carl Dörken Galerie bis 31.01.2021 25.10.2020 | Percussion Duo Porter | „Meister von Morgen“ Jessica und Vanessa Porter 01.11.2020 | Klaus Hoffmann singt Brel | „Meister aus aller Welt“ Werner Richard Saal 08.11.2020 | Ensemble „La Réjouissance“ | „Best of NRW “ Werner Richard Saal Dr. Carl Dörken Galerie der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung | Infos, Tickets & Öffnungszeiten: s. Website

Wetterstraße 60 · 58313 Herdecke · www.doerken-stiftung.de 9


NEUES VON BODO

Wohin im Winter? Fast ist es eine Tradition: Zum bereits vierten Mal laden wir am 17. Oktober, dem internationalen Tag zur Beseitigung der Armut, gemeinsam mit unseren Partnern der Wohnungslosenhilfe zu einer Kundgebung vor das Dortmunder Rathaus. Wie in den Jahren zuvor möchten wir in Interviews und Wortbeiträgen über die Situation der Menschen ohne Obdach und über die bestehenden – und fehlenden – Angebote für den Winter informieren. Dabei unterscheidet sich die Situation drastisch von den Vorjahren. Die Maßnahmen zum Schutz vor Corona haben unsere gut ausgebaute Infrastruktur an Tagesaufenthalten und Versorgungseinrichtungen zusammenbrechen lassen. Drängender denn je stellt sich die Frage: Wohin im Winter? Samstag, den 17. Oktober, 16 Uhr, Rathaustreppe Dortmund

SOZIALES Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt weiter. 1,14 Millionen öffentlich geförderte Wohnungen zählte das Bundesinnenministerium 2019, rund 39.000 weniger als ein Jahr zuvor. Grund ist vor allem, dass weniger preisgebundene Wohnungen neu gebaut werden, als vom Markt wegfallen. Der Deutsche Mieterbund schätzt den bundesweiten Bedarf an günstigen Wohnungen für Menschen mit niedrigen Einkommen auf über sechs Millionen. Hartz IV bedeutet Mangel, schließt der Paritätische aus einer neuen Studie. EmpfängerInnen von Grundsicherung fehle es an Geld für ausgewogene Ernährung, politische und kulturelle Teilhabe und zuweilen selbst für einen Internetanschluss. Zwar steigen die Regelsätze zu 2021, doch sie „zementieren die Armut und das Abgehängt-Sein von Millionen von Menschen“, so Harald Thomé von der Sozialberatung Tacheles. „Scherbenhaufen“ Drogenpolitik: Die Deutsche Aidshilfe kritisiert die repressive Drogenpolitik der Bundesregierung als „gescheitert“. Von Strafverfolgung betroffen seien meist Konsumierende, nicht aber kriminelle Hintergrundstrukturen. Trotzdem steige die Verfügbarkeit von Betäubungsmitteln. Die Aidshilfe fordert die Entkriminalisierung und staatliche Kontrolle von Drogen, Auf klärung, Prävention und Behandlung. Wohnen bleibt teuer: Auch in Dortmund bleibt der Wohnungsmarkt angespannt. 2019 erhöhten sich die Angebotsmieten um fast vier Prozent gegenüber 2018 und lagen im Mittel bei 7,25 Euro pro Quadratmeter (Bestand) bzw. 10,89 Euro (Neubau). Der Mieterverein kritisiert, dass zu wenige Sozialwohnungen gebaut werden und die Abschaffung landesweiter Mieterschutzinstrumente MieterInnen schwäche. 10

Danke, Unity! 12.200 Euro haben die Dortmunder Ultras von „The Unity“ für die Wohnungslosenhilfe gesammelt. Als freiwillige HelferInnen und mit Spendensammlungen sind sie seit Jahren für Obdachlose aktiv. Nun legten sie für den Gast-Haus e.V., die Dortmunder Tafel, das Straßenmagazin bodo und die Notschlafstelle für Jugendliche Sleep In Stellwerk ihren T-Shirt-Klassiker wieder auf: „Borussia verbindet Generationen, Männer & Frauen, alle Nationen“. An einem einzigen Verkaufstag und mit viel Versandarbeit erzielten sie einen Erlös von 3.050 Euro pro Organisation. Restexemplare sind noch in unserem Dortmunder Buchladen erhältlich. Vielen Dank für die Unterstützung!


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instagram.com/bodo_ev facebook.com/bodoev

0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 9 – 16 Uhr Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Spendenannahme DO Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Mo. 10 – 13, Sa. 10 – 12 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de

Mit uns gesund durch den Herbst!

Westenhellweg 81 - 44137 Dortmund Tel./WhatsApp* 0231 84 01 00 90 schwanen@ausbuettels.de *Bitte beachten Sie bei der Benutzung von WhatsApp unsere Hinweise zum Datenschutz. Diese erhalten Sie in unseren Apotheken oder unter www.ausbuettels.de/datenschutz.

bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

Hardcore Help

Schlafsäcke

Alle paar Wochen fährt im temporären Hygienezentrum, das wir gemeinsam mit dem Gast-Haus und dem Team Wärmebus betreiben, ein roter Sprinter vor. Darin: Rico Huntjens von der Hardcore Help Foundation und viele gespendete Hygieneartikel, Shirts, Pullis, Schuhe und alles, was die Menschen, die zu uns kommen, benötigen. Die Lüdenscheider Organisation setzt Hilfsprojekte auf der ganzen Welt um (bodo 01.16) – und unterstützt, quasi vor der Haustür, das gemeinsame Nothilfeprojekt von Gast-Haus, dem Team Wärmebus und uns. Das übrigens (die nächste gute Nachricht, die wir froh weitererzählen) wurde von der Stadt Dortmund bis zum Jahresende verlängert.

Haben Sie in Ihrem Keller vielleicht noch den Schlafsack aus dem CampingUrlaub im vergangenen Jahr? Für Obdachlose könnte er eine Überlebenshilfe sein. In jedem Winter verteilen wir mit unseren Bochumer und Dortmunder Partnerorganisationen eine vierstellige Zahl Schlafsäcke und Isomatten an Menschen auf der Straße – mit Ihrer Unterstützung. In Dortmund sammeln und verteilen wir mit Gast-Haus und der Suppenküche Kana, in Bochum mit der Diakonie Ruhr. Gerne nehmen wir Schlafsäcke und Isomatten – und an Kleidung zurzeit bitte nur Herrenschuhe und -hosen – in unserer Kleiderkammer in Bochum und in unserem Dortmunder Buchladen an.

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

info@bodoev.de

Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

Freies Land an der Ruhr

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Die Menschen hier sprechen Französisch, Türkisch, Englisch, Arabisch, Flämisch, Tibetisch, Deutsch. Der Wind mischt das Sprachengewirr mit dem Rauschen der Bäume, die sich an Felsen klammern wie unter ihnen die Boulderer. Avalonia ist nicht bloß ein Klettergebiet am Harkortsee in Herdecke. Es ist ein freies Land. Und damit ein perfektes Umfeld für Kunst, die immer frei sein muss. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

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o ist Daniel?“ Diese Frage hören BesucherInnen von Avalonia oft oder stellen sie selbst. Denn Daniel Pohl ist der Hüter des Boulder-Gebiets. Er verkauft die so genannten „Topos“, Hefte, die die möglichen Kletterrouten durch das Gebiet enthalten. Der Mann Mitte Vierzig zeichnet sie selbst, denn er ist Künstler, und niemand kennt Avalonia so gut wie er. Ohne ihn würde das Land nicht existieren. In jahrelanger Arbeit hat er es selbst gestaltet. Wenn man Avalonia kennenlernen will, lohnt es sich also, diesen Künstler einmal selbst kennenzulernen. Vielleicht hängt er gerade an einem Felsvorsprung und probiert barfuß die schwierigsten Boulder-Routen aus, die auf der üblichen Skala eine 7 oder 8 bedeuten. Oder er sitzt auf einer seiner selbst gestalteten Steinterrassen und hat Lust an einem sozialen Experiment: „Die Topos liegen unten an meiner Hütte aus. Nehmt sie euch einfach und legt das Geld ins Glas“, sagt er dann und ist am Ende des Tages stolz auf das Ergebnis: Ein Glas voller Scheine. Es zeigt, dass seine Gäste wertschätzend und ehrlich sind.

Ein großes Kunstwerk Wenn man mit Daniel Pohl durch Avalonia streift, erkennt man das weit verzweigte Gebiet an einem Waldhang im Ruhrtal zwischen Herdecke und Wetter als großes Kunstwerk. Allerdings erst auf den zweiten oder dritten Blick. „Ich mache hier viele Sachen, bei denen sich die Menschen fragen: War das ein Naturereignis, vielleicht ein Sturm?“ Aber manchmal hat er vorher mit geübtem Blick erkannt, welcher Baum beim nächsten Sturm fallen würde und ihn in die gewünschte Richtung gelenkt. So ist in Avalonia eine abenteuerliche Wegeführung entstanden, bei der sich die BesucherInnen manchmal unter Baumstämme ducken oder über sie klettern müssen. Immer wieder fällt der Blick auf Terrassen, die von Mauern aus den hier zu findenden Ruhrsandsteinen begrenzt sind. Daniel Pohl hat sie fein säuberlich aufgestapelt und sieht die Terrassen als Sockel für die eigentliche Kunst: Die hohen Felsen, die oft Überbleibsel von größeren und kleineren Steinbrüchen aus früheren Zeiten sind. Auch an sie hat er Hand angelegt, sie gereinigt und optimal bekletterbar gemacht.

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REPORTAGE

Der Künstler, der vorher schon am Essener Baldeneysee und der Wittener Burgruine Hardenstein Kletter-Spots bereitete, wird von einem kindlichen Geist getrieben, von einer fast manischen Neugier und Entdeckungslust. Während andere Klettergebiete, in denen er wirkte, heute nicht mehr existieren oder gepflegt werden, hat er sich mit Avalonia ein beständiges Refugium geschaffen, das mit dem Erwerb durch den Boulderclub Ruhrtal und den Alpenverein vor fremdem Zugriff gesichert ist. Es ist sein persönliches Märchenland, auf dessen Karte man das Kirsch- und Heckenrosental aus Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“ genauso findet wie das Amphitheater aus Michael Endes „Momo“.

Ausstiegsort und Freiluftkloster

Meine Ausbildung. Meine Zukunft! Die Arbeit in der Pflege ist spannend und ich kann etwas bewirken! Die generalistische Ausbildung bietet mir viele Entwicklungsmöglichkeiten! Ich werde in der gesamten Ausbildungszeit individuell betreut! Bei erfolgreichem Abschluss werde ich garantiert übernommen! Jennifer Lagerin Pflegeauszubildende der Diakonie Ruhr

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Avalonia ist frei, ja: Jeder Mensch kann kostenlos eintreten und sich austoben, klettern, spazieren, sinnieren, musizieren. Manchmal kommt es am Abend zu spontanen Konzerten. Aber Avalonia ist auch ein urheberrechtlich geschütztes Kunstwerk der Steinbildhauerei „Feinhieb“, für die Daniel Pohl manchmal freie Aufträge erledigt. So viel Widersprüchlichkeit erlaubt sich der Künstler, der neben Astrid Lindgren eigentlich vom Anarchismus inspiriert ist und von Rosa Luxemburg. Kunst studiert hat er an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe bei Marie Jo Lafontaine, deren Schwerpunkt auf Foto- und Videokunst liegt. Danach hat er sich an der Ruhr-Universität Bochum noch einmal eingehender mit Gesteinsgeologie beschäftigt. Und dann ist Daniel


Pohl, wenn man seinen Geschichten, die immer wieder ins Märchenhafte abdriften, glauben mag, auch einige Male in der geschlossenen Psychiatrie gewesen. Als manischer Künstler habe er auf eigene Faust direkte Aktionen durchgeführt, „politische Performances“, bei denen er zum Beispiel eine Polizeistation zukleisterte oder Straßenbahnen anhielt. Vergangenes Jahr interessierte sich ein Filmteam, das auch an der Oscar-prämierten Extremkletterer-Dokumentation „Free Solo“ beteiligt war, für Avalonia und seine Geschichte. Der Film „Stone Locals“, der seit kurzem frei bei Youtube verfügbar ist und schon über 700.000-mal gesehen wurde, erzählt von den Menschen hinter Klettergebieten in den USA, Japan – und eben Herdecke. In spektakulären Bildern fängt er die Magie der Kletterrouten ein und gräbt irgendwann tiefer in den Biographien ihrer GestalterInnen. Dabei wird klar, dass der Sport und seine Gebiete Menschen Refugien bieten, die irgendwann gar nicht anders konnten, als aus dem

„normalen“ Leben auszusteigen: Weil sie von Depressionen, manischen Phasen, der schweren Krankheit von Angehörigen oder tiefen Verletzungen durch ungesunde Beziehungen geschüttelt wurden. Im Film erzählt Daniel Pohl von seinen Aufenthalten in geschlossenen Psychiatrien in Deutschland, die er als dunkle Verliese empfunden hat, in denen etwas von der schlimmen Vergangenheit des Landes konserviert liegt. Jetzt wandelt er alle Lichtstunden unter dem freien Himmel von Avalonia, das seit dem Besuch des tibetischen Mönchs Geshe Dawa Namgyal vor zwei Jahren auch geweihtes buddhistisches Kloster ist.

Bodennahe Wagnisse In einer anderen Szene stellt er einen selbst gehauenen „Memory-Stone“ auf, einen Gedenkstein an seinen verstorbenen Freund Peter, mit dem er Avalonia eigentlich zusammen gestalten wollte. „An dieser Stelle funktioniert der Film wie eine Fortsetzung von ‚Free Solo‘“, sagt er. Denn in „Free Solo“ denkt der Protagonist über die Todesgefahr des Solo-Freeclimbings nach und telefoniert mit seiner Partnerin, bevor er eine besonders herausfordernde Route angeht. Wäre er abgestürzt, hätte ihm vielleicht ein guter Freund einen Gedenkstein gehauen. Wenn Kletterer in Avalonia „abstürzen“, dann macht es in der Regel nur „Puff“, denn Boulderer klettern nicht in erster Linie nach oben, sondern relativ nahe am Boden horizontal am Fels entlang. Meistens sind sie in Gruppen unterwegs, und die am Boden Bleibenden legen Crashpads aus für den weichen Fall. Und wenn sie ein „Projekt“ oder „Rätsel“ – also eine besondere Art, von A nach B zu klettern – gemeistert haben, dann nehmen sie sich vielleicht die Zeit und betrachten den Baumstamm einmal näher, der da quer über dem Weg liegt. Oder die Einkerbungen in einer Felsenmauer. Oder die kleine Skulptur, die in einen erstmal unscheinbaren, solitären Stein gehauen ist. 15


DAS FOTO

„Mass(k)encornern“ am Dortmunder Hafen. „Cornern“, abgeleitet aus dem Amerikanischen für (Straßen-)Ecke, entstand in den 1970ern in der US-amerikanischen Hiphop-Szene. Seit einigen Jahren hat es sich etabliert als Bezeichnung für das mehr oder weniger spontane Feiern im öffentlichen Raum. Seit dem „Hedonistischen Massencornern“ beim G20Gipfel in Hamburg gilt es auch als Protestform. Am 11. September trafen sich mehrere hundert Menschen, um gegen den Umbau des Hafens in „eine weitere gesichtslose Glas-, Stahl- und Betonzone“ anzufeiern. Foto: Daniel Sadrowski

MIETEN & WOHNEN

Mieten deckeln – deutschlandweit? Von Aichard Hoffmann, Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend Kaum eine wohnungspolitische Initiative hat in den letzten zwei Jahren so viele Schlagzeilen gemacht wie der Mietendeckel. Doch viele wissen gar nicht so genau, was darunter zu verstehen ist und wie er sich von der ebenfalls heiß diskutierten Mietpreisbremse unterscheidet. Die Mietpreisbremse ist ein Bundesgesetz, genauer gesagt: ein bestimmter Paragraf im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). §556d

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regelt seit 2015, dass in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt bei einer Neuvermietung die Miete maximal zehn Prozent über dem Mietspiegel liegen darf. Das war neu, denn bis dahin gab es Beschränkungen nur für Mieterhöhungen. Bei Neuvermietungen konnte die Miete frei vereinbart werden. Die Wirkung blieb begrenzt, denn trotz mehrfacher Nachbesserungen gibt es grundsätzliche Probleme: Es gibt zahlreiche

Ausnahmeregelungen, die Schlupflöcher bieten. Außerdem ist die Mietpreisbremse eine zivilrechtliche Regelung. Mieter müssen Verstöße also selbst rügen – der Staat schreitet nicht ein. Und schlussendlich müssen Landesregierungen die Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt erst einmal durch Verordnung festlegen. In NRW gilt die Mietpreisbremse in 22 Städten, darunter ist aber keine einzige im Ruhrgebiet.


KOMMENTAR

Die Einzelfalldoktrin Von Bastian Pütter

Polizei und Führung

„29 Officers Suspected of Sharing Hitler Images“, New York Times. Interessanterweise hat ausgerechnet dieser „Einzelfall“ weiterer fünf rechter Chatgruppen, diesmal im Polizeipräsidium Essen / Mülheim, erstaunlich viel Staub aufgewirbelt. Trotz Terrornetzwerken mit polizeilicher Beteiligung, trotz der in Polizeicomputern abgerufenen Adressdaten für Todesdrohungen des „NSU 2.0“, trotz gut dokumentierter Übergriffe und sogar trotz der Toten – u.a. im Einsatzbereich der Polizeidirektion Essen. Hier übrigens recherchieren Kollegen seit Jahren zu bei Einsätzen offen rassistisch auftretenden Beamten. Auch nach NSU und den Erfahrungsberichten der letzten Black-LivesMatter-Welle wurde das Stellen kritischer Fragen von einer breiten Allianz aus Politik, Medienhäusern und Polizei-„Gewerkschaften“ in die Nähe von Landesverrat gerückt. Nun wird gehandelt: „Kein Pardon und keine halben Sachen“, verkündet der NRW-Innenminister. Niemand beherrscht volksnahauthentische Empörung wie er, schließlich ist deren Voraussetzung Ahnungslosigkeit. Reuls „Plan“: den Hakenkreuz-Wildwuchs aus dem Polizeiflora entfernen, dafür aber weiter fröhlich Böcke zu Gärtnern bestellen, damit nicht plötzlich die Bagger anrücken. Weil gute Kollegen die besten Ermittler sind, ist das Polizeipräsidium Bochum mit der Aufklärung der Nazi-Chats betraut. Polizeipräsident dort ist Jörg Lukat, der als Staatsschutzchef in Dortmund seine Arbeitskraft in das Gewährenlassen der lokalen Naziszene stellte und im NSU-Untersuchungsausschuss NRW mit seiner Blockadehaltung Parlamentarier aller Fraktionen fassungslos machte. „Sonderbeauftragter“ der NRW-Polizei wird der Verfassungsschützer Uwe Reichel-Hoffmann. Auch er ließ den Ausschuss auflaufen. Ein Dreamteam. Neue Extremismusbeauftragte des Landes ist die rechtsoffene Polizeiausbilderin Prof. Dorothee Dienstbühl. Sie ist verantwortlich – und auch hier schließen sich Kreise – für die rassistische Broschüre „Arabische Familienclans“, mit der Essener Polizisten in einer Art kulturalistisch begründetem Feindstrafrecht instruiert werden. Die Broschüre, „eine Mischung aus ,Der Pate‘ und ,Expeditionen ins Tierreich‘“ (Deniz Yücel), ist in ihrer Forderung, zwischen Straftätern und Nicht-Straftätern nicht mehr zu unterscheiden, schlicht ungesetzlich. Vorsichtig formuliert: Nun polternd ein entschlossenes Durchgreifen gegen Beamte anzukündigen, die in Chats Fotos von Flüchtlingen in Gaskammern verschicken, ohne dass ein Kollege Anstoß nimmt, verfehlt möglicherweise das Problem.

Der Mietendeckel ist dagegen ein Landesgesetz, gilt seit Februar 2020 und nur im Bundesland Berlin. Es ist nicht zivilrechtlicher, sondern öffentlich-rechtlicher Natur, und bremst die Mieten nicht nur, sondern stoppt sie: Obergrenzen frieren die Mieten auf dem Niveau von Juni 2019 ein, drei Jahre lang sind Mieterhöhungen verboten, danach auf 1,3 Prozent pro Jahr begrenzt. Seither tobt die juristische Schlacht um die Frage, ob Länder solche Gesetze überhaupt beschließen dürfen. Denn Miethöherecht ist eigentlich Bundesrecht.

Klagen am Berliner und am Bundesverfassungsgericht laufen. Der Deutsche Mieterbund fordert, das Problem durch eine einheitliche Regelung zu lösen: Ein bundesweiter Mietenstopp soll Mieterhöhungen fünf bis sechs Jahre lang auf die Höhe der Inf lationsrate begrenzen. „Dann“, so Mieterpräsident Lukas Siebenkotten, „wären Landesgesetze unnötig.“

DIE ZAHL

55 Prozent der Menschen in Deutschland halten eine Studie zu Rassismus innerhalb der Polizei für notwendig. Das ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des „Spiegel“ bei einer repräsentativen Befragung von 5.000 Personen zwischen dem 18. und 21.9. Knapp 39 Prozent der Befragten antworteten mit „Nein, auf keinen Fall“ oder „Eher nein“.

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REPORTAGE

Viele Kommunen profitieren nach wie vor vom Klimakiller Kohle. Doch nicht alle wollen dazu stehen. CORRECTIV und Fridays for Future haben gemeinsam zu den Kraftwerksbeteiligungen der NRW-Kommunen recherchiert – und stießen auf Widerstände. Pressestellen machten falsche Angaben, vergaßen Millionen RWE-Aktien und suchten Rechtsbeistand gegen unsere Anfragen. Die Reaktionen zeigen: Es braucht mehr Transparenz zu den Energiebeteiligungen der Städte und Gemeinden. Von Katarina Huth und Bastian Schlange Fotos: Hans Blossey / Alamy Stock Photo, Greenpeace Bochum, Sebastian Sellhorst

Die Kommunen und die Kohle

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elche Kommunen in NRW investieren eigentlich noch in Kohlekraftwerke und verdienen an dem fossilen Brennstoff? Davon hängt ab, welche Verantwortung meine Stadt am Kohleausstieg trägt und auch, ob sie glaubhaft Klimaschutz vertreten kann, wenn sie gleichzeitig von den Kraftwerken profitiert und personell verstrickt ist. Diese kommunalen Beteiligungen sind nicht umfassend öffentlich und einsehbar. Zusammen mit der Fridays-for-Future-Bewegung haben wir die 396 NRW-Kommunen angefragt, ob sie direkt oder indirekt an Kohlekraftwerken beteiligt sind oder Anteile an Kohlestromunternehmen wie RWE halten. In den vergangenen zwei Monaten bekamen wir bisher von 241 Kommunen Antwort: Rund 20 Prozent von diesen Kommunen räumten Beteiligungen ein. Bei einer Auswertung der Kommunen im Ruhrgebiet war es etwa jede zweite – wobei nicht jede Stadt vollständige Angaben machte, RWE-Anteile verschwieg oder erst auf Nachfrage mitteilte.

Unübersichtliche Verflechtungen Genau das ist das Problem: Selbst auf explizite Nachfrage, ob ihre Kommune RWE-Aktien direkt oder indirekt über Tochterunternehmen besäße, antwortete uns zum Beispiel die Pressestelle der Stadt Mülheim lediglich: „Jeweils negativ…“ Dabei vergaß der Pressesprecher, 8,56 Millionen RWE-Anteile zu erwähnen, die sich im städtischen Besitz befinden. Die Pressestelle der Stadt Bottrop war wortreicher. Hieß es noch nach der ersten Anfrage: „Es ist immer wieder eine ‚Freude‘, mit CORRECTIV zu tun zu haben…“, schloss die Antwort auf unsere

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zweite explizite RWE-Nachfrage, die ausdrücklich vom Pressesprecher verneint wurde, mit: „Eine Zeitvorgabe, wie die von Ihnen getätigte, ist einfach nur ärgerlich!“, um schließlich – nach unserer dritten Nachfrage mit Verweis auf den Beteiligungsbericht der Stadt – den Besitz von 45.045 RWE-Aktien zuzugeben. Ob die Pressesprecher der beiden Kommunen einfach nur einen schlechten Tag hatten oder vorsätzlich Informationen unterschlugen, können wir nicht sagen. Fakt ist, dass es für Bürgerinnen und Bürger nahezu unmöglich ist, diese Informationen zu erhalten. Beim Steinkohlekraftwerk in Lünen war es recht einfach, die unvollständigen Antworten der Kommunen aufzudecken. Betrieben wird das Kraftwerk von der Steag. Zum Hintergrund: Im Zeitraum von 2010 bis 2014 wurde die Steag von der Kommunalen Beteiligungsgesellschaft GmbH & Co. KG aufgekauft. Ein Zusammenschluss der Stadtwerke Duisburg, Dortmund, Bochum, Essen, Dinslaken und der Energieversorgung Oberhausen. Diese gehören direkt oder über Tochterfirmen den jeweiligen Städten, die zumindest an den Stadtwerken einen Mehrheitsanteil haben. Das heißt: Die Steag gehört fast ausschließlich Kommunen. Sie betreibt sechs Steinkohlekraftwerke in Deutschland und drei im Ausland. Eigentümer des Kohlekraftwerks Lünen sind die Trianel GmbH sowie 27 Stadtwerke. Trianel hat wiederum mehr als 50 kommunale Gesellschafter. Über Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie Partnerschaftsverträge ist Trianel mit mehr als 100 Stadtwerken verbunden. Das Kraftwerk Lünen ist das erste Steinkohlekraftwerk in Deutschland, an dem ausschließlich


9 haben nicht geantwortet

50

44 haben geantwortet

24 haben keine Kohlebeteiligung

9

20 haben Kohlebeteiligung

40

24

30 20

15 haben sonstige Kohlebeteiligung

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Stadtwerke und regionale Energieversorger gemeinsam Eigentümer und Betreiber sind. Diese Verflechtungen sind über den Beteiligungsbericht der Trianel GmbH öffentlich einsehbar, anscheinend aber nicht allen beteiligten Kommunen bekannt. Auf unsere Anfrage nannten die Kommunen Solingen, Rheine, Mönchengladbach, Steinheim, Bad Salzuflen und Herford ihre Trianel-Beteiligungen nicht oder erst auf Nachfrage. Das kann an den zum Teil stark verschachtelten Beteiligungen über Tochter- und auch Enkelgesellschaften liegen oder den geringen Anteilen. Es deckt sich aber damit, dass ein Großteil der Kommunen wenig auskunftsfreudig war.

Der Kampf um Krefeld „Kraftwerk Krefeld: Dachau springt ab“, titelte die Rheinische Post im Sommer 2010 und kündigte damit den Untergang des Kohleprojekts an. Ein halbes Jahr später erklärte eine Pressemitteilung der Stadtwerke Aachen: „Keine Beteiligung der STAWAG an einem Steinkohlekraftwerk in Krefeld.“ Und schließlich hieß es auf dem WAZ-Portal DerWesten: „Aus für Kohlekraftwerk in Krefeld – Trianel will auf Gas setzen.“ Was war passiert? Als Trianel zur Jahrtausendwende die Pläne für das Kohlekraftwerk bekanntmachte, formierte sich massiver Widerstand in der Zivilgesellschaft und übte Druck auf die jeweiligen Räte und Stadtwerke in den beteiligten Kommunen aus. 22.233 Bürgerinnen und Bürger aus Krefeld und Duisburg unterschrieben einen vorformulierten Beschwerdebrief verschiedener Kraftwerksgegner und Umweltinitiativen. Gleichzeitig demonstrierten in Aachen Menschen gegen die

5 haben RWE-Aktien

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Kommunale Kohlebeteiligungen im Ruhrgebiet Befragung von 53 Kommunen

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Quelle: Angaben der Kommunen Stand: 3. September 2020

Beteiligung der Stadt am neuen Kraftwerk und gaben der Bürgerinitiative „Saubere Energie Aachen“ 8.000 Unterschriften. Schließlich stimmten in Dachau mit 6.481 Bürgerinnen und Bürger mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten gegen das Kohlekraftwerk und brachten damit das erste Bürgerbegehren auf den Weg, das eine Stadtwerke-Beteiligung an einem Kohlestrom-Projekt kippte. Die Stadtwerke Dachau und Aachen konnten aussteigen, weil in Krefeld der Baubeschluss für das Kraftwerk noch nicht gefällt worden war. Der Stadtwerkeverband Trianel gab im Sommer 2011 überraschend bekannt, doch kein Kohlekraftwerk mehr bauen zu wollen, sondern nun ein Gas-Kraftwerk zu planen. Offiziell nannte Trianel „Zeitdruck“ als Grund. Die Bürgerinitiativen jubelten trotzdem. „Auch wenn es knapp war, wir haben gewonnen“, sagte damals Michael Eisenmann, Sprecher der Bürgerinitiative „Kontra Kohlestrom Dachau“. „Es zeigt, dass Investitionen in Kohlekraftwerke heute nicht mehr opportun sind.“

Angst vor Milliardenverlusten Doch nicht nur der Imageverlust und die öffentlichen Proteste sorgen dafür, dass Kohlekraft als Geschäftsmodell und Wertanlage für die Kommunen uninteressanter wird. Die wenigsten Kohlekraftwerke in Deutschland sind rentabel. Trotzdem wehrten sich die Kommunen gegen ein Ende mit Schrecken. Besonders in Lünen wird das deutlich. Der Kohleausstieg, die verkürzten Lauf- und damit auch Abschreibungszeiten, der Wegfall von einkalkulierten Stromeinnahmen – all das setzt die beteiligten Kommunen unter Druck.

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REPORTAGE

Im Zuge der Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes protestierten Steinkohle-Betreiber wie Trianel und Steag, aber auch die Oberbürgermeister beteiligter Kommunen: Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), sein Dortmunder Kollege Ullrich Sierau (SPD) und der Bochumer OB Thomas Eiskirch (SPD) warnten in einem gemeinsamen Brief an die Fraktionschefs der Union, es drohten „schwerwiegende Konsequenzen für Stadtwerke und die kommunalen Haushalte“. Damit würden insgesamt „Vermögenswerte im Umfang von über 10 Milliarden Euro vollständig entwertet“. Die Stadtwerke der drei Revierkommunen sind die größten Eigner der Steag, Bochum hält dazu die meisten Anteile am Stadtwerkeverbund Trianel. Beiden Unternehmen drohen massive Verluste, sollten ihre jüngeren Kraftwerke in Walsum (Steag) und Lünen (Trianel) 2030 per Anordnung vom Netz genommen werden, ohne dass es dafür eine Entschädigung gibt. Die Lobbymacht dieser Bündnisse oder auch der Schreiben im Falle der Ruhr-OBs ist enorm. Wenn sich Oberbürgermeister im Ruhrgebiet parteiübergreifend zusammenschließen, hat ihre Stimme Gewicht. Sie haben direkten Einfluss darauf, wer aus NRW die Chance auf ein Bundestagsmandat bekommt – weil sie die Delegierten auf den Wahlparteitagen beeinflussen können. Im Extremfall verändern die Oberbürgermeister Mehrheiten in den Fraktionen. Die lokalen Bundestagsabgeordneten wissen das. Sie hören in der Regel auf ihre OBs.

Die Macht der Bürger Laut Ausstiegsgesetz gibt es Entschädigungen für Steinkohlekraftwerke nämlich nur bis 2026: Die Betreiber, die bis dahin freiwillig abschalten, dürfen an einer Ausschreibung teilnehmen – maximal sind zweistellige Millionenbeträge je Kraftwerk drin, deutlich weniger als bei den Braunkohlekraftwerken. Ab 2027 drohen Zwangsstilllegungen ohne jede Entschädigung. Allein für sein Kraftwerk in Lünen rechnet Trianel mit einem Verlust von 587 Millionen Euro, sollte es Ende 2030 ohne Entschädigung vom Netz gehen müssen. Außerdem sei die TrianelAnlage, in die 1,4 Milliarden Euro investiert wurden, nach 17 Jahren nicht annähernd abgeschrieben. Der Verlust betrage hier für die Kommunen rund 800 Millionen Euro. Kommunen sind verpflichtet, immer wirtschaftlich zu entscheiden. Kann da überhaupt eine konsequente Energie- und Klimapolitik vertreten werden? Müssen wir im Angesicht der Klimakrise unsere Grundsätze überdenken? Um die Pariser Klimaschutzziele noch erreichen zu können, muss der Kohleausstieg schnellstmöglich vorangetrieben werden, wie im vergangenen Jahr noch einmal die Studie eines internationalen Forscherteams im Fachmagazin Nature vorrechnete. Eine Möglichkeit, sich nicht allein auf den politischen Willen seiner Stadtspitze zu verlassen, ist direkte Demokratie: Bürgerbegehren wie in Köln oder in Krefeld. Wichtig zu wissen ist dabei: Bürger müssen nicht ausarbeiten, wie es nach dem Verkauf von Kohlekraftwerksanteilen weitergehen soll. Lediglich eine klare Forderung ist entscheidend, die unmissverständlich mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Kommen genügend Unterschriften zusammen, ist der Bürgerentscheid verbindlich und entspricht einem Beschluss des Gemeinde- oder Stadtrats, in den meisten Bundesländern auch einem Kreistagsbeschluss. Nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid gibt es eine Frist von ein bis drei Jahren, in welcher die Politik keine gegenteiligen Entschlüsse treffen darf. Aktuell hat der Radentscheid Essen so zum Beispiel seine Stadt auf ein 200-Millionen-Euro-Projekt zur Verbesserung des Radwegenetzes innerhalb der Stadt festgesetzt. Dass dieser Druck aus der Zivilgesellschaft manchmal notwendig erscheint, zeigt auch das Beispiel des Energieriesen RWE, der zu den größten CO2-Emittenten weltweit gehört. Eine um-

Oben: Greenpeace-Protest am Bochumer Rathaus vor dem Ratsentscheid über den Verkauf der städtischen RWE-Aktien 2016. Im Jahr 2019 verkaufte die Stadt die letzten von etwa 6,6 Millionen Anteilen. Links: „Klimastreik“ 2019: Rund 12.000 Menschen demonstrierten im vergangenen Jahr nach Aufruf der For-FutureBewegungen in Dortmund für nachhaltige Maßnahmen zum Klimaschutz.

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fassende Transparenz, welche Kommunen wie viele Aktien an dem Unternehmen halten, existiert nicht. Nicht einmal Mülheim, neben Dortmund und Essen einer der größten kommunalen Anteilseigner, legte seine Beteiligungen an dem Stromkonzern auf mehrmalige Presseanfrage offen. Und selbst Monika Griefahn (SPD), Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland und aktuell OB-Kandidatin in der Ruhrgebietsstadt, will sich uns gegenüber nicht deutlich für oder wider RWE aussprechen. Damit führt Griefahn eine lange Tradition im Ruhrgebiet fort.

Es geht auch anders

Stichwort: Divestment

Sie seien nicht die Ersten gewesen, die sich von RWE-Aktien getrennt haben – andere Städte könnten gerne das Bochumer Modell übernehmen. Denn die Entscheidung hatte wenig mit Idealismus und viel mit Risikobegrenzung zu tun, sagt Busch. „Die Aktien waren mal bei 100 Euro, verkauft haben wir bei 21 Euro. Mit dem Aktienverfall war der Weg geöffnet.“ Aktuell liegt der Kurs bei etwa 33 Euro (Stand: 3. Sept. 2020).

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich Städte aus Nordrhein-Westfalen an RWE, damals noch Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk, beteiligt. Mülheim, Essen und Gelsenkirchen gehörten zu dieser Zeit über 30 Prozent des Aktienkapitals. In der Anfangszeit des Energiekonzerns war etwa die Hälfte aller Aktien in öffentlicher Hand. 1920 hatten kommunale Anleger sogar eine Aktienmehrheit. RWE und die Kommunen im Ruhrgebiet wuchsen über mehr als ein Jahrhundert miteinander auf, profitierten von dem Stromriesen als Gönner und Versorger. Obwohl Kommunen heute keine Aktienmehrheit haben und Renditen in den vergangenen Jahren oft ausgeblieben sind, hat sich an der engen Beziehung nichts geändert. Zwei der drei meldepflichtigen Anteilseigner an RWE sind heute Städte aus dem Ruhrgebiet. Dortmund mit 4,79 Prozent und Essen mit 3,26 Prozent. Eine Recherche von Greenpeace Köln ergab, dass 2019 noch 20 kommunale Anleger jeweils über eine Millionen Aktien bei RWE besaßen. So richtig trennen möchte man sich also nicht voneinander, aber genauso wenig offen dazu stehen. 2014 wäre Mülheim deswegen fast pleite gegangen. Eine halbe Milliarde Euro fehlte damals von heute auf morgen in den Kassen der Ruhrgebietsstadt und trieb den Schuldenberg Mülheims um 120 Millionen Euro über das Vermögen der Kommune hinaus. Grund war der große Wertverlust der RWE-Aktien, der aber in den Abschlüssen der Stadt über Jahre unberücksichtigt blieb und dann auf einen Schlag ein Loch in die Habenseite riss. Nachdem die Stadt im Zuge unserer Recherche mehrmals Beteiligungen an RWE verneint hatte, teilte sie uns schließlich mit: „Die städtische Tochtergesellschaft Beteiligungsholding Mülheim an der Ruhr GmbH (BHM) hält 8,56 Mio. Aktien der RWE AG, 4,1 Millionen davon sind stiftungsgebunden.“ Wie man mit den Aktien zukünftig verfahren könne, fragten wir die Mülheimer OB-Kandidatin Griefahn. Sie sehe zwei Möglichkeiten, erklärte sie: zum einen einen Teil der Aktien zu verkaufen, um „damit ein echtes Stadtwerk zu schaffen oder unsere Stadtentwicklungsgesellschaft zu stärken“. Zum anderen „darauf zu spekulieren, dass RWE eine Gesellschaft nur mit erneuerbaren Energien wird.“ Allerdings schränkt sie ein: „Wir haben uns nicht endgültig entschieden, wie wir damit umgehen, weil es eben diese beiden Optionen gibt.“ Dass auch deutlichere Entscheidungen möglich sind, zeigen Beispiele wie Düsseldorf oder Bochum. Das Stichwort heißt: Divestment.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Städte und Gemeinden von der Kohlekraft losgesagt. Bochum hat 2019 die letzten von etwa 6,6 Millionen RWE-Aktien verkauft. Manfred Busch, ehemaliger Kämmerer der Stadt, war maßgeblich in den Prozess involviert. „Bochum ist ein Positivbeispiel“, sagt er. „Es war eine Leistung. Wir haben uns gegen politische Denkbarrieren durchgesetzt.“

In vielen Ruhrgebietskommunen gebe es eine wechselseitige Verflechtung zwischen RWE und Kommune. RWE-Mitarbeiter sitzen in Stadtwerke-Vorständen, sagt Busch. Leonora Holling vom Bund der Energieverbraucher führt aus: „Die Kommunen sind zum Teil Minderheitseigner ihrer eigenen Stadtwerke. Der Großteil oder die Hälfte des Anteils liegt dann bei einem Energieversorgungsunternehmen – wie zum Beispiel RWE. Und die technischen Geschäftsführer in den Stadtwerken kommen dann oft aus RWE-Kreisen. Die Kommunen haben auch gar kein Interesse, da Einfluss zu nehmen. Die finanzieren sich ihr städtisches Schwimmbad oder den ÖPNV über die RWE-Beteiligungen.“ Andersherum bekleiden Kommunalpolitiker lukrative Posten in zahlreichen RWE-Beiräten sowie im Aufsichtsrat des Energiekonzerns – wie der Dortmunder OB Sierau oder Dagmar Mühlenfeld (SPD), ehemalige Oberbürgermeisterin von Mülheim. „In Bochum war das nicht so“, sagt Busch. Eine RWE-Dependance gibt es in Bochum auch nicht. „Anders als in Essen, wo man vom Rathaus direkt auf die RWE-Geschäftszentrale guckt.“

INFORMATION Das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV initiiert Recherchen, die klassische Redaktionen allein kaum bewältigen könnten, und stellt sie Kooperationspartnern zur Verfügung. Mit „Fridays for Future“ hat CORRECTIV eine Crowd-Recherche zu den Kraftwerksbeteiligungen der NRW-Kommunen gestartet und stieß dabei auf Widerstände: Pressestellen machten falsche Angaben, vergaßen Millionen RWE-Aktien und suchten Rechtsbeistand gegen die Anfragen. Ein Fazit: Es braucht mehr Transparenz zu den Energiebeteiligungen der Städte und Gemeinden.

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

VOGELBEERE

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ang ist es nicht her, da hatte ich das Glück, eine offensichtlich ebenfalls glückliche Amsel beobachten zu können. Der kleine schwarze Vogel zuzelte nach einem der viel zu seltenen Regenfälle im Sommer in einer Kleingartenanlage einen dicken Wurm aus dem Rasen. Es geschah an einem Nachmittag. Anschließend rangen zwei Gedanken in meinem Hirn um die Oberhand. Erstens: Das Sprichwort vom frühen Vogel muss nicht unbedingt stimmen. Zweitens: Amsel, Drossel, Fink und Star besitzen Ohrwurmcharakter. REZEPT 1 kg Vogelbeeren, 1 Zimtstange, 2 EL Kardamonkapseln und 250 g weißen Kandiszucker mit 1 l Kornbrand ansetzen. Einen Monat ziehen lassen und abfiltern. Der Geschmack ist säuerlich frisch. Wer es milder mag, kann, je nach Geschmack, Zucker und Wasser zu gleichen Teilen erhitzen, reduzieren und als Sirup zum Likör geben.

Ich war wehrlos. Stunden später noch zog die bekannte Volksweise ihre Kreise durch meine Synapsen. Laut Wikipedia ist Ohrwurm eine „Bezeichnung für ein eingängiges, leicht merkbares Musikstück, das dem Hörer für einen längeren Zeitraum in Erinnerung bleibt und einen hohen akustischen Wiedererkennungs- und Reproduktionswert besitzt.“ Leider, leider. Volksmusik nämlich kann erstens ausgesprochen einprägsam sein, ist zweitens aber nicht so ganz mein Ding, allgemein und in einem ganz speziellen Fall erst recht nicht. Ich bin bekennender Langschläfer. Noch heute empfinde ich ein froh geschmettertes „Im Frühtau zu Berge!“ eher als Gewaltandrohung denn als Glücksversprechen. Das war bereits in meiner Kindheit so. Frühtau? Schon damals war ich mit einem gänzlich euligen Charakter gesegnet, was mir tatsächlich viele Jahre später zugute kam, als meine Karriere als DJ begann. Jüngst wurde diese durch COVID-19 jäh beendet. Die Frühtau-Nummer auf dem Plattenteller hätte wohl einen ähnlich desaströsen Effekt zur Folge gehabt. Dann freilich hätte ich früher Zeit gehabt, mich intensiver mit selbigem Wandervogelschlager zu beschäftigen. Es ist die deutsche

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Sorbus aucuparia

Version eines bekannten schwedischen Wanderliedes namens „Vi gå över daggstänkta berg“. Dieses handelt von einer Tour ins märchenhafte Vogel-Phönix-Land, in welchem Kristalle und Rubine nur so leuchten, augenfällig wie derzeit Vogelbeeren im satten Grün der Ebereschen. Auch die wurden per Volkslied besungen. „Dar Vuglbärbaam!”, basierend wiederum auf der Melodie einer österreichischen Weise, sollte es bis zur heimlichen Hymne des Erzgebirges bringen. Der Text handelt vom gesunden Schlaf – tagsüber unter, wo sonst, einem Vogelbeerbaum. Dieses Stück gehört nicht zum Repertoire meiner Kindheit. Allein: Die Sache mit dem Schlafen ist mir sympathisch. Und Vogelbeeren schätze ich grundsätzlich. Nicht nur, aber auch als Likör.

Die Vogelbeere, gemeinsprachlich häufiger die Eberesche oder der Vogelbeerbaum, wurde im Jahr 1997 zum Baum des Jahres gekürt. Die Früchte reifen von August bis September und sind im botanischen Sinne Apfelfrüchte. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme sind diese ungiftig. Die Vogelbeeren waren aufgrund ihres hohen Vitamin-C-Gehalts früher ein wichtiges Mittel gegen Skorbut.


INTERVIEW

Kochen, Leidenschaft, Veränderung Jan Michael Ullmann sitzt in seiner gemütlichen Wohnküche im Dortmunder Kaiserstraßenviertel, in der wenig auf die extraordinären Fähigkeiten ihres Bewohners hindeutet – sondern eher auf jemanden, der sein Leben genießt. Am Tag darauf wird er das erste Mal vor einem Millionenpublikum stehen. Ullmann ist Kandidat bei „The Taste“, der anspruchsvollsten Fernsehkochshow des Landes. Von Bastian Pütter | Fotos: Daniel Sadrowski, SAT.1 – Jens Hartmann

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n der Facebook-Gruppe „Mein kulinarisches Dortmund“ erfuhr Jan von einem Casting in der Stadt und dachte: „Warum nicht? Für mich war es als Zuschauer die schönste Koch-Show mit tollen Aufgaben, tollen Juroren – und ich wollte wissen: Ist das wirklich so, dass man eine Handvoll Zutaten bekommt, eine laufende Uhr und den Auftrag, ein Spitzengericht auf einem kleinen Löffel daraus zu machen?“ Er grinst: „Jetzt weiß ich: Ist so. Knallhart. Das ist der Ernstfall.“ Das Casting überstand Jan gestählt durch die Leitung Hunderter Kochkurse. „Ich kannte das schon, dass Leute um mich rumwuseln und Fragen stellen.“ Er muss lachen. „In der Show muss ich dann aber erklären, warum ich ständig im Plural spreche: ,Jetzt schneiden wir die Zwiebeln‘ – dabei steh ich da alleine.“ Nach dem Abitur studierte Jan an der Ruhr-Uni, noch im Studium schrieb er seine einzige Bewerbung – auf eine Lehrstelle im Castroper Schlosshotel Goldschmieding, einer der besten Adressen im Ruhrgebiet. Dort wollte man den Mittzwanziger nicht nur als Azubi, sondern auch am besten sofort. Jan ließ den Abschluss sausen und folgte seiner Leidenschaft. Es folgten Anstellungen im In- und Ausland und mehrere Selbstständigkeiten. „Der Gedanke dahinter, Kochen zu lernen, war: Ich bin ein eigentlich sehr glücklicher Mensch, und ich wollte ein bisschen was zurückgeben.“ Nicht nur wegen des Ruhrpott-Zungenschlags klingt das nicht pathetisch, sondern irgendwie geerdet. Inzwischen kocht Jan für kleine, exklusive Gesellschaften in der „Backyard Kitchen by Yummy“ in einem Dortmunder Hinterhof oder er macht „Hausbesuche“: „Ich komme als Küchenchef zu den Leuten nach Hause, auf Wunsch mit Kellner, und richte da dann Din-

nerabende für 10 bis 20 Personen aus.“ Er erklärt: „Für mich ist das eine Chance in dieser beschleunigten Gesellschaft zu ermöglichen abzuschalten, zu genießen, denn das geht uns gerade verloren.“ Bei seinen wilden Kreationen bei „The Taste“ und im Interview merkt man schnell, dass er noch eine weitere Mission hat. Mit dem jahrelangen Einsatz für eine bewusstere Nutzung von Fleisch in der Küche – seltener, besser – sieht er sich inzwischen bestätigt. Nun müssten wir dahin kommen, sagt er, „dass ein vegetarisches Gericht auf den Tisch kommt, wo nichts fehlt, wo ich das Fleisch nicht vermisse.“ Und er schwärmt von paniertem Parasol, von Auberginentartar – und ist bereits einen Schritt weiter: Als nächstes gehe es darum, für Nachhaltigkeit im gesamten Konsum zu werben. „Die Monokulturen in unserer pflanzlichen Lebensmittelproduktion sind genauso Mist.“ Er spricht mit Begeisterung davon, wie der Giersch in seinem verwilderten Garten zu Pesto wurde, wie Nachhaltigkeitskonzepte wie „From nose to tail“, „From farm to table“ oder bei Gemüse „From root to leaf “ weiter Raum greifen, bei denen es um den Blick auf die Produktionskette und die Nutzung des gesamten Lebensmittels geht. „Weißt du, dass man die Blätter vom Blumenkohl genauso verarbeiten kann wie die Wurzeln?“ Vor dem Millionenpublikum bei SAT.1 bedeute das: „In jeder Runde, die ich überstehe, habe ich die Chance, über das Wort und den Löffel, den ich koche, diese Botschaften zu verbreiten.“ Und fast beiläufig formuliert er so etwas wie ein Lebensmotto: „Kochen bleibt meine Leidenschaft, aber zu versuchen, etwas zu verändern, ist der Antrieb.“ 23


Kalender Oktober | November | 2020

Während des nun vergangenen, wieder viel zu trockenen Sommers war es verhältnismäßig einfach: Wer konnte, verlagerte das Leben nach draußen. Ob „Cornern“ oder Restaurantbesuch auf dem Bürgersteig, Freiluftkino, -konzert oder -theater: Die Pandemie ließ Nischen im Freien. Nun gilt es, mit klugen Konzepten dort, wo es möglich ist, das Lebensmittel Kultur wieder in geeigneten Räumen anzubieten. Wir haben einen Überblick über das Angebot der Region zusammengestellt.

DO 01 | 10 | 20 Ausstellung | Anime fantastisch „Anime fantastisch“, die dritte Ausstellung im „schauraum: comic + cartoon“, erzählt noch bis zum 3.1. 2021 die Geschichte des japanischen Zeichentrickfilms und seiner Rezeption in Deutschland. Zu sehen sind rund 100 Originalzeichnungen und viele weitere Objekte. Von „Biene Maja“ und „Heidi“ bis „Sailor Moon“, „Dragon Ball“ und „Pokémon“: „Anime fantastisch“ präsentiert die größten Anime-Helden der vergangenen 50 Jahre und feiert eine Kunstform, die neben unbändiger Kreativität auch die Tugend disziplinierter Handwerkerschaft verkörpert. schauraum: comic + cartoon, Dortmund Ausstellung | Ernst Ludwig Kirchner Vor der Kunst die Architektur Ernst Ludwig Kirchner – mit diesem Namen verbinden sich zuallererst ausdrucksstarke, farbintensive Gemälde und Zeichnungen. Als

expressionistischer Künstler weltweit bekannt geworden, umfasst sein Lebensweg auch eine andere Phase: sein Studium der Architektur. Das Baukunstarchiv NRW zeigt 95 Originalarbeiten, die Kirchner während seines Studiums an der Königlich Technischen Hochschule Dresden geschaffen hat, und stellt damit den späteren Künstler als jungen Architekten auf eindrückliche Weise vor. Bis 20.12. Baukunstarchiv NRW, DO, 14 – 20 Uhr (Di.-So. 14 – 17 Uhr, Mo. geschlossen) Ausstellung | Von der friedlichen Revolution zur deutschen Einheit Anlässlich des 30. Jubiläums der deutschen Einheit wirft die Poster-Ausstellung Schlaglichter auf die Jahre 1989/1990. Die Schau zeigt über 100 historische Fotos und Dokumente. Über QR-Codes lassen sich Videointerviews mit AkteurInnen der friedlichen Revolution abrufen. So entsteht ein lebendiges Bild der damaligen Ereignisse. Bis 29.10., Eintritt frei. Auslandsgesellschaft e.V., Dortmund

Ausstellung | Print Print Print „Print Print Print“ eröffnet im Schaufenster des Museums Ostwall einen Raum zwischen visueller Poesie und typografischem Experiment. Werke von KünstlerInnen wie Johannes Cladders, Ketty La Rocca, Dieter Roth oder Hansjörg Mayer zeigen auf ganz unterschiedliche Weise Neu-Erfindungen von Gedrucktem, Gesprochenem, Gelesenem und Gesehenem. Die Grafiken, Zeichnungen und Sets bilden den Rahmen für kreative Angebote: BesucherInnen können bei diesem kollaborativen Ausstellungsprojekt Magazine designen, Buchstaben illuminieren und Materialien erkunden. Bis 15.11., Eintritt frei. Museum Ostwall im Dortmunder U, DO Ausstellung & Kultur | spätSCHICHT: Kumpels in Kutten – Heavy Metal im Ruhrgebiet Abends in Ruhe die vier Rundgänge der Dauerausstellung genießen und abwechslungsreiche Veranstaltungen besuchen? Ab Oktober lädt das Deutsche Bergbau-Museum Bochum

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Die „Rückblende“ ist der höchstdotierte deutsche Preis für politische Fotografie und Karikatur, als Ausstellung fängt sie seit 1985 das politische Jahr ein. Bis zum 18. Oktober ist die „Rückblende“ im Depot.

Rückblende 2019

bis 18. Oktober Kulturort Depot Dortmund

Zu sehen sind Arbeiten von 205 BildjournalistInnen und 59 KarikaturistInnen, die mit ihren Werken das politische Leben in Deutschland dokumentieren und auch interpretieren. Eine unabhängige Jury hat aus allen eingereichten Arbeiten die drei besten Fotografien und Karikaturen ausgewählt. Coronabedingt fällt die Wanderausstellung deutlich kleiner aus als geplant, Dortmund ist eine der wenigen Städte, die die Ausstellung nun zeigen kann. Veranstalter der Rückblende sind die Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger gemeinsam mit dem Partner Bundespressekonferenz. Mi. bis So. 14 – 18 Uhr | www.depot-dortmund.de

an jedem ersten Donnerstag im Monat zur spätSCHICHT. Am 1.10. geben bei „Kumpels in Kutten – Heavy Metal im Ruhrgebiet“ Dr. Holger Schmenk gemeinsam mit Tom Angelripper Einblicke in die Geschichte dieser einzigartigen Szene. Am 5.11. präsentiert das Duo Pete Steinbrink und Mat Bauer bei „Lieder über das Leben und natürlich über Whiskey“ Traditionals und Pubsongs aus Irland, Liebeslieder und Whiskyballaden aus Schottland oder Mining Songs und Shantys aus England. Deutsches Bergbau-Museum, BO, 18.30 Uhr

FR 02 | 10 | 20 Theater | Robinson Crusoe Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe erschien vor beinahe genau 300 Jahren und hat Literaturgeschichte geschrieben. Defoe lässt darin seinen Protagonisten Schiffbruch erleiden und auf einer einsamen Insel stranden, wo er 27 Jahre verbringen und seine eigene Welt erschaffen wird. Angesichts der

Corona-Pandemie erkennt man bei der Lektüre von Robinson Crusoe erstaunliche Verbindungen zur Gegenwart. Der Schiffbruch wird zum Lockdown, zur Zäsur, zum Neubeginn. Zusammen mit der Schauspielerin Jing Xiang erkundet die Regisseurin Anna Stiepani, was es heißt, sich neu zu erfinden, in der Fremde zu überleben. Fiege Brauerei, Bochum, 19.30 Uhr

SO 04 | 10 | 20 Talk | Wie wollen wir hier leben? – Ernährung Unter dem Titel „Wie wollen wir hier leben?“ initiierte das Schauspielhaus Bochum im Februar ein neues Klima- und Nachhaltigkeitsforum, das Menschen dazu einlädt, mit ExpertInnen über Klimaschutz, Nachhaltigkeit und das Miteinander in der Stadt zu diskutieren, sich zu informieren, zu vernetzen und inspirieren zu lassen. Angesichts von Billigfleisch-Skandalen, Überproduktion, Insektensterben und langen Lieferketten

werden zum Erntedankfest folgende Fragen gestellt: Wie wollen wir hier essen? Wo kommen unsere Lebensmittel her? Welchen Preis sind wir bereit, dafür zu zahlen? Schauspielhaus, Bochum, 13 Uhr

SA 10 | 10 | 20 Theater | Der unsichtbare Mann Zwei SchauspielerInnen, ein Theatertechniker und ein Musiker warten auf den Beginn ihres Theaterstücks. Alles ist fertig, aber wo bleibt das Publikum? Es sollte doch ausverkauft sein! Aber heute ist alles ein bisschen anders. Wer spielt da Klavier? Wem gehört die Kaffeetasse, die durch die Luft schwebt? Und welcher Geist verlegt das Verlängerungskabel? Sind wir wirklich da? In „Der unsichtbare Mann“ dreht sich alles um das, was man nicht sieht. Um die Unsichtbarkeit. Und insgeheim auch darum, wie schön es sein kann, nicht gesehen zu werden. Kammerspiele, Bochum, 15 Uhr

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2020 24. Okt. – 15. Nov.

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KALENDER

Theater | Karlsson vom Dach Lillebror ist ein ganz gewöhnlicher Junge. Er lebt mit seinen ganz gewöhnlichen Eltern und Geschwistern in einer ganz gewöhnlichen Wohnung in Stockholm. Lillebror fühlt sich alleine. Eines Tages hört er ein entferntes Brummen, und kurz darauf fliegt Karlsson durch sein Zimmerfenster herein. Karlsson Anzeige

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wohnt auf dem Dach, hat einen Propeller auf dem Rücken und behauptet, in allem, was vorstellbar ist, der Beste der Welt zu sein. Er bringt das Leben der Familie Svantesson ganz schön durcheinander und handelt Lillebror viel Ärger ein. Aber er bringt ihm auch ein großes Geschenk: seine Freundschaft. Und wenn mal was aus dem Ruder läuft, findet Karlsson: „Das stört keinen großen Geist.“ Flottmannhallen, Herne, 16 Uhr (auch 11.10.)

dass die beste Aussicht nicht von der Wetterlage abhängt, sondern von einem klaren Kopf. In einer Zeit, in der Trolle immer realer und die Politiker immer ungeheuerlicher werden, macht sie sich auf die Suche nach den Anfängen des richtigen Umgangs und blickt auf die Zukunft des Miteinanders im Durcheinander. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

Literatur, Talk & Musik | Bitte wenden! (Auf der B-Seite war alles besser) Stadt(be)schreiberin Judith Kuckart trifft Schreiberin Ivette Vivien Kunkel aus der Stadt zu einem Abend voller Knacken und Knistern; denn auch bei diesem Termin der Reihe gibt es neben Literatur und Gespräch wieder Musik, diesmal ganz anachronistisch von Vinyl. Dieser Abend soll sich um die Frage drehen, was es eigentlich mit uns und unserer Beziehung zur Welt macht, wenn wir die Wirklichkeit nicht mehr begreifen, sondern nur noch weiterwischen können. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich. Infos: www.literaturhaus-dortmund.de literaturhaus, Dormund, 19.30 Uhr

Kultur | Kulti+ Das kultige Plus in Minus-Zeiten der Pandemie ist eine Online-Veranstaltungsreihe mit KünstlerInnen aus verschiedenen Sparten. Von Musik bis zum Contemporary Dance. Von Gitarre bis zur Harfe. Zweimal im Monat (immer mittwochs) wird eine Veranstaltung kostenlos per Zoom, Facebook und Instagram ausgestrahlt. Am 14.10. spielt das Ensemble va plus featuring Tarik Thabit orientalische Themen, und am 28.10. erklingt bolivianische Folklore durch das Ensemble Inti Punchai. Infos: www.gemischte-tuete.net Online, 20 Uhr

Musik | The Simon & Garfunkel Story Songs wie „The Sound of Silence“, „Bridge over Troubled Water“ oder „Mrs. Robinson“ wurden zum Soundtrack einer ganzen Generation. Als liebevolle Hommage bringt „The Simon & Garfunkel Story“ diesen charakteristischen Sound von Paul Simon und Art Garfunkel auf die Bühne und erzählt die außergewöhnliche Geschichte der zwei Musiker. Konzerthaus, DO, 20 Uhr (auch 11.10., 14 Uhr)

Tanz | Angels and Demons „Engel und Dämonen“ ist der ästhetische „Flügelspann“, der performative Austausch zwischen dem Avantgarde-Flamencotänzer Juan Carlos Lérida und dem französischen Tänzer Pascal Merighi. Die Tanzproduktion entsteht unter dem Zeichen der Versöhnung von Gegensätzlichkeit: schwarz/weiß, gut/ böse, konkret/abstrakt. Prinz Regent Theater, Bochum, 19.30 Uhr

Martina Buchbinder Projektleiterin

Tel.: (0160) 74 42 333 E-Mail: Martina.Buchbinder@ jugendhilfe-elisabeth.de

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FR 16 | 10 | 20

Film | Hintertreppe Der triste Alltag eines Dienstmädchens wird durch die Liebe zu einem Mann aufgehellt. Unerwartete Ereignisse bringen Veränderung und manövrieren die Protagonistin in einen ausweglosen Abgrund. Eine Musik voller Schmerz und Verzweiflung lässt die aufkeimende Hoffnung wie einen Tauchgang ohne Sauerstoffflasche erscheinen. Stummfilm (Leopold Jessner & Paul Leni, Deutschland 1921) mit Live-Musik von Interzone Perceptible. Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr (auch 9., 10. und 30.10.)

Theater | Das Schweigen der Frösche Desaster hinterm Gartenzaun Mit einer Gartenparty fängt alles an. Zu diesem Zeitpunkt ahnt niemand, dass im Gartenteich des Ehepaars Brockmeier ein neuer Mieter einziehen wird – ein ziemlich laut quakender Frosch. Den AnwohnerInnen aus dem Mietshaus raubt er den Schlaf, für die Brockmeiers in ihrem Eigenheim jedoch entwickelt er sich zu einer Art Kind-Ersatz. Und schon bald können wir erleben, wie Emotionen hochkochen und aus einer Mücke – oder in diesem Fall aus einem Frosch – ein Elefant wird. Mondpalast von Wanne Eickel, Herne, 20 Uhr (auch 17.10., 20 Uhr & 18.10., 17 Uhr)

Kabarett | Dagmar Schönleber Alle fordern ihn, niemand hat ihn zu verschenken, und angeblich ist er nicht käuflich: Respekt. Aber wer hat ihn denn wirklich verdient? Getrieben vom Wunsch nach Ordnung und Revolution zeigt Dagmar Schönleber,

Live-Theater-Film | Sir Gabriel Trafique „Abgrund“ „Was ist das, was in uns lügt, stiehlt und mordet?“ Angesichts der Klimakatastrophe erscheint Georg Büchners Zitat noch mal in einer ganz anderen Dimension: Der Abgrund

SA 17 | 10 | 20

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MI 14 | 10 | 20


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Eine leere Bühne, ein Tisch, zwei Stühle, zwei Mikrofone – mehr brauchen Lina Beckmann und Charlie Hübner nicht, um einen Roman lebendig werden zu lassen, der aktueller scheint denn je. Am 31. Oktober lesen sie im Fletch Bizzel John Bergers „Einst in Europa“.

SOLO Theaterfestival: Lina Beckmann & Charlie Hübner lesen „Einst in Europa“

31. Oktober, 20 Uhr Fletch Bizzel Dortmund

In „Einst in Europa“ blickt Odile Blanc aus einem kleinen Dorf in Savoyen zurück auf ihr Leben, den Hof ihres Vaters, die Berge, die Fabrik. In einer der Fabrikbaracken, von den Bewohnern scherzhaft „In Europa“ genannt, hat sie ihre glücklichste Zeit erlebt – und ihre traurigste. In der Fabrik verlor sie ihren Geliebten, den russischen Arbeiter Stepan, dann verunglückte dort ihre Jugendliebe Michael. Bergers Geschichte von Europa ist nicht die der Mächtigen, sondern die der kleinen Leute. „Eine von Bergers wunderbaren Liebesgeschichten, die Menschen beschreiben und die ganze Welt meinen“, schrieb Monika Schattenhofer in der Süddeutschen Zeitung.

20.10.2020 „Oh Fortuna“ – Filmvorführung

29.10.2020 Vernissage Fotoausstellung „Ni Una Menos“

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nimmt derartige Auswüchse an, dass er die menschliche Existenzgrundlage vernichtet. Was lauert da? Welche Erynnien flüstern, verführen und täuschen? Welche Verblendung wirkt so auf uns ein, dass die Gattung Mensch sich selbst zerstört? Oder ist das sogar die Lösung des weltumspannenden Problems? Fletch Bizzel, DO, 20 Uhr (auch 18.10., 18 Uhr)

SA 17 | 10 | 20 Musik | Lust for Life Keine Angst vor Morgen. Denn: Am Ende der Krise lauert der Neuanfang. Die Lust am Leben folgt der Depression, und Momente der gemeinsamen Begegnungen beenden die Isolation. Von Johnny Cash, Nina Simone, den Beatles oder Green Day. In Pop, Rock oder Folk Liedern wird „Lust for Life“ eine musikalische Collage und Suche über die widerständigen, lustvollen Lebens- und Live-Momente. Schauspielhaus, Dortmund, 19.30 Uhr Kabarett | Michael Eller – „Gefährlich ehrlich“ Wäre die Welt nicht viel schöner, wenn wir alle immer ganz ehrlich wären? Ein gewisses Maß an Unwahrheit sichert unser soziales Überleben. Das neue Programm des Komikers zeigt, oft auf absurde, aber komische Weise, wohin uns absolute Ehrlichkeit führen würde. Und so viel ist sicher – es wäre kein Picknick auf der Blumenwiese. Cabaret Queue, Dortmund, 19.30 Uhr

SO 18 | 10 | 20 Film | Weltsichten – Geschichten aus Teheran Die iranische Filmemacherin Rakshan Bani-Etemad verwebt die Geschichten unter-

schiedlicher Menschen zu einer vielschichtigen Erzählung des heutigen Teheran. Der Film gewährt Einblick in den Alltag von Eheleuten, KünstlerInnen, StudentInnen und ArbeiterInnen. Seine Geschichten handeln von der Liebe in Familien, Freundschaften und Beziehungen. Die Kinoreihe „Weltsichten“ zeigt Filme aus verschiedenen Ländern, um den Blick für andere Kulturen zu öffnen und das gegenseitige Verständnis über die Grenzen von Sprache, Kultur und Religion hinaus zu stärken. Eintritt frei. Kino im U, Dortmund, 15 Uhr

DI 20 | 10 | 20 Vortrag | Die antike Medizin Der Vortrag von Loukas Lymperopoulos gibt einen Überblick über die Entwicklung der Heilkunst im antiken Griechenland. Versuchten die Menschen in früheren Zeiten Krankheiten mit Hilfe der Götter oder der Magie zu heilen, gingen sie nach dem 6. Jh. v. Chr. dazu über, aus dem empirischen Wissen eine rationale Wissenschaft zu entwickeln. Sie schufen die Grundlage für die heutige Medizin. Als Vater der Heilkunst gilt Hippokrates von Kos (etwa 460 – 370 v. Chr.). Sein Eid: Das Wohl des Patienten hat immer im Mittelpunkt des Handelns zu stehen. Auslandsgesellschaft e.V., Dortmund, 19 Uhr

FR 23 | 10 | 20 Kindertheater | Viele Grüße, deine Giraffe Jeden Tag blauer Himmel, die Weite der Savanne und jede Menge Akazienblätter – wie langweilig. Giraffe hätte so gern einen Freund. Vielleicht gibt es einen auf der an-

14.11.2020 Hamburg Tango Quintet Konzert

21.11.2020 Check Your Head V

27.11.2020 Bastiaan Ragas X-Mas Concert mit Meet and Greet

facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghaus2togo@gmail.com keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go" Leopoldstr. 50-58 | 44147 Dortmund Telefon 0231 50-25145 27


KALENDER

BODO-TIPP

deren Seite des Horizonts? Sie schreibt einen Brief. Nach langer Reise landet der Brief bei Pinguin. Es beginnt ein Briefwechsel zwischen der Savanne und dem Kap der Wale. Eine Erzählung über eine besondere Begegnung, übers Briefeschreiben und darüber, wie aus Langeweile ein Abenteuer werden kann. Für Kinder ab 4 Jahren. KJT in der Sckellstraße, Dortmund, 17 Uhr

Das Bochumer Rottstr5 Theater bündelt Ende Oktober drei eigene Erfolgsinszenierungen zu einem dystopischen Theaterwochenende.

Dreimal Dystopie: Fahrenheit 451 Schöne neue Welt 1984

SA 24 | 10 | 20 Ausstellung | Faţadă / Fassade Aufbauend auf dem gleichnamigen Kunstprojekt der Werkstatt Mallinckrodtstraße zur Roma-Baukultur und der im September 2019 realisierten Neugestaltung einer Hausfassade in der Dortmunder Nordstadt richtet die Ausstellung Faţadă/Fassade den Fokus auf eine besondere Form von Architektur, die in den letzten 30 Jahren u. a. in Rumänien entstanden ist. Diese zeichnet sich durch expressive Fassaden aus, in denen sich viele verschiedene Gestaltungsformen wiederfinden. Neben zahlreichen Hausmodellen, die im Rahmen des Projektes entstanden sind und präsentiert werden, wird auch eine Neugestaltung der Vertikale des Dortmunder U von Mitgliedern der Werkstatt Mallinckrodtstraße realisiert. Bis 21.3.21, Eintritt frei. HMKV im Dortmunder U, Dortmund Kunst | 14. Hörder Sehfest Am 24. und 25. Oktober öffnen sich zum 14ten Mal die Türen und Tore der freien Hörder Kunstszene. In ganz Hörde, von „Lange Hecke“ bis zur „Teutonenstraße“, zeigen 28 KünstlerInnen an 18 Standorten ihre Werke. Wie schon in den vergangenen Jahren sind

23., 24., und 25. Oktober Rottstr5 Theater Bochum

Den Auftakt macht am Freitag, dem 24.10., die Adaption von Ray Bradburys düsterer Parabel „Fahrenheit 451“. Die Geschichte des Feuerwehrmannes Guy Montag, dessen Job in einer autoritären Gesellschaft nicht das Löschen von Bränden, sondern das Verbrennen von Büchern ist, hat Regisseur Marco Massafra zu einem gut einstündigen Zwei-Personen-Stück verdichtet (Foto). Noch vor Fahrenheit gelten wohl Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ und George Orwells „1984“ als prototypische Texte zum Leben in einem zukünftigen Totalitarismus. In der Regie von Maria Trautmann wird die friedliche, glückliche, wunschlose Hölle der „schönen neuen Welt“ greifbar; Regisseur Oliver Paolo Thomas projiziert „1984“ in die erschreckend nah erscheinende, durchdigitalisierte und vollständig vernetzte Gesellschaft. www.rottstr5-theater.de

neue Arbeiten von stadtbekannten KünstlerInnen zu bewundern, aber auch Neues von noch unbekannten Namen. Insgesamt findet man Spray Art, Malerei und Zeichnungen, Fotografie, Geformtes und experimentelle Mischtechnik. Versch. Orte Hörde, Dortmund, 14 – 19 Uhr (auch 25.10., 11 – 18 Uhr)

durch 70 Jahre deutsche Fernsehgeschichte – vom ersten Testbild bis zum letzten Dschungelkönig. Auf seiner Zeitreise begegnen wir TV-Ikonen mit vier Beinen (Lassie, Black Beauty, Joko und Klaas), mit zwei Beinen (von Peter Frankenfeld bis Florian Silbereisen) und sogar einen ohne Beine (Flipper). Schalthaus 101 am Hochofen, DO, 18 Uhr

SO 25 | 10 | 20

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Comedy | RuhrHOCHdeutsch: Guido Cantz Wenn einer sich mit Fernsehen auskennt, dann er. Dieses Wissen teilt er jetzt mit seinen Fans – in seiner neuen Bühnen-Show „Das volle Programm – ich sehe was, was du nicht siehst“. Guido Cantz zappt sich amüsant

Lesung und Musik | klang.text.ruhr (Laien-) AutorInnen aus dem Ruhrgebiet treffen auf das Trio Pep Ventura und inspirieren sich gegenseitig. Ein ausgewähltes Thema bestimmt dabei jede Begegnung. Sprache trifft auf Musik, Lesung trifft auf Konzert. Ein

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Ritsche-Ratsche Fliegenklatsche 52 zauberhafte Spielideen mit Sachen, die es in jeder Kita gibt Spielst du mit mir? Diesen Satz hören wir nahezu jeden Tag. Damit das spontane Spielen jetzt noch interessanter und spannender wird, gibt es nun dieses schöne Buch voller Inspirationen und Anregungen. 52 interessante Spielideen werden anschaulich mit zauberhaften Bildern und kurzen Texten vorgestellt. Wir versprechen jede Menge Spaß und fröhliche Ausgelassenheit, aber auch stille und entspannte Momente mit den Kindern. Den vierjährigen Lennart und seinen Freund Kasimir – beide hauptberufliche „Spieletester“ – konnten wir mit den Ideen überzeugen. Kasimirs Favorit ist eindeutig das „Farben naschen“, wobei Lennart am liebsten mit einer Fliegenklatsche gefaltete Papierschiffe durch die Flure zum Leuchtturm wedelt. Von der Autorin / Illustratorin von „Kita KITOPIA“!

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Schleefstr. 14 • D-44287 Dortmund • Tel. 02 31 - 12 80 08 • FAX 02 31 12 56 40 Ausführliche Buch-Informationen (Leseproben) und Bestellen im Internet: www.verlag-modernes-lernen.de Oder besuchen Sie uns in der Schleefstraße 14: Mo - Do von 8 bis 16 Uhr, Fr von 8 bis 15 Uhr

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synästhetisches Erlebnis, das sich jedes Mal neu erfindet. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich. Infos: www.dortmund.de Stadt- und Landesbibliothek, DO, 19.30 Uhr Comedy | David Kebekus – „Aha? Egal.“ In seinem Solo-Programm „Aha? Egal.“ zeigt der Stand-up-Comedian, wie sich sein Leben nach der Studentenzeit verändert hat: „Früher hab ich mich darüber geärgert, dass mein Vater als Rentner oft vor der Glotze hängt und mit Laptop auf dem Schoß auch noch im Netz rumsurft. Ich dachte, nutz doch die Zeit! Mach doch was Sinnvolles mit deinem Ruhestand! Heute weiß ich: Fernsehen gucken plus Internet – He is living the fucking dream!“ Werkstadt, Witten, 20 Uhr

DO 29 | 10 | 20 Comedy | Quichotte – „Schnauze“ Quichotte trägt das Herz auf der Zunge. Und diese wiederum lauert hinter einem extrem verzogenen Gebiss. Das Ganze fügt sich zu einer Charakterschnauze. Ehrlicher denn je erzählt er in seinem neuen Programm davon, warum man diese gerade heutzutage in den richtigen Momenten aufmachen sollte und sie an anderer Stelle auch mal halten darf. Das Publikum erwartet dabei eine Mischung aus Stand-up-Comedy, nagelneuen Songs, humoristischen Geschichten und Poesie. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

DI 03 | 11 | 20 Musik | Konstantin Wecker Poesie und Musik können vielleicht die Welt nicht verändern, aber sie können denen Mut machen, die sie verändern wollen. Dies ist und bleibt der Wunsch des Liedermachers Konstantin Wecker. Die Gäste seines SoloProgramms erleben einen Abend, der geprägt sein wird von Wut und Zärtlichkeit, Mystik und Widerstand. Konstantin Wecker setzt sich kraft- und gefühlvoll für eine Welt ohne Waffen und Grenzen ein. Konzerthaus, Dortmund, 20 Uhr Kindertheater | Der schlaue dumme Fuchs Mit vorgetäuschter Hilfsbereitschaft bringt der Fuchs den Hamster dazu, ihm seine Vorräte auszuhändigen, und die gutgläubige Taube fällt auf seine Schmeicheleien herein. Doch die zwei Eier von der Mutter Taube und die beiden Nüsse vom Hamster reichen noch lange nicht, um den mächtigen Appetit des Fuchses zu stillen. Alles läuft nach Plan, wäre da nicht dieser kleine Spatz. HalloDu-Theater, Bochum, 10 Uhr (auch 4.11.)

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Musik | Gregor McEwan Gregor McEwan ist ab Herbst 2020 wieder auf Solo-Tour, um seinem Publikum brandneue Songs vorzustellen. Aber natürlich dürfen auch Stücke der ersten drei Alben „Houses And Homes“, „Much Ado About Loving“ und „From A To Beginning“ nicht fehlen, welche McEwan immer wieder Vergleiche mit Größen wie Glen Hansard, Damien Rice, City And Colour oder Noel Gallagher einbrachten. subrosa, Dortmund, 20 Uhr

ab DO 22 | 10 | 20 sweetSixteen-Kino | The Great Green Wall Es ist eines der ehrgeizigsten Klima-Projekte der Welt: Quer über den afrikanischen Kontinent wird ein 8.000 Kilometer langer Gürtel aus Bäumen gepflanzt, der die Ausbreitung der Wüste aufhalten und Millionen von Menschen Nahrung, Arbeitsplätze und eine Zukunft bringen soll. 2005 wurde das Projekt von der Afrikanischen Union beschlossen, 21 afrikanische Staaten sind daran beteiligt. Der Dokumentarfilm „The Great Green Wall“, der auch von den Vereinten Nationen unterstützt wurde, ist ein eindringlicher Film, der sich die bisherigen Fortschritte anschaut, aber auch ins Auge fasst, was noch getan werden muss. Er befasst sich darum nicht nur mit dem Klimawandel, sondern zeigt auch eine neue, junge Generation von Afrikanern, die das Problem angeht, um nicht ihre Heimat Richtung Europa verlassen zu müssen. Entlang der noch lückenhaften grünen Mauer reist die malische Sängerin Inna Modja zu Menschen im Senegal, in Mali, Nigeria und Äthiopien. Sie spricht mit ihnen über ihre Ängste, Träume und Hoffnungen in einer Sprache, die schon immer die afrikanische Kultur bestimmt hat: der Musik. So entspinnt der Film in einer kollektiven melodischen Collage den Soundtrack der „Great Green Wall“. In seinem faszinierenden Dokumentarfilm erzählt Jared P. Scott eine rhythmische Geschichte von Optimismus, Solidarität und Entschlossenheit und offenbart eine neue afrikanische Generation, die bereit ist, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und dem Klimawandel den Kampf anzusagen.

MO 02 | 11 | 20 Lesung | Alice Hasters „Kannst du Sonnenbrand bekommen?“, „Wo kommst du her?“ Wer solche Fragen stellt, meint es meist nicht böse. Aber dennoch: Sie sind rassistisch. Alice Hasters beschreibt eindringlich, wie Rassismus ihren Alltag als Schwarze Frau in Deutschland prägt. Dabei wird klar: Rassismus ist nicht nur ein Problem am rechten Rand der Gesellschaft. Und sich mit dem eigenen Rassismus zu konfrontieren, ist im ersten Moment schmerzhaft, aber der einzige Weg, ihn zu überwinden. Bahnhof Langendreer, Bochum, 19 Uhr

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Can Can Kleingartenanlage Hafenwiese Schützenstraße 190 44147 Dortmund

Can Can

Zwei Leben, keine Grenzen, gutes Essen Die Speisekarte im Can Can (gesprochen: Dschan Dschan) macht neugierig. Neben dem griechischen Vorspeiseklassiker Tzatziki wird beispielsweise die türkische Walnusscreme Ceviz Ezmesi offeriert. Wer sein Gericht mit Reis bestellt, bekommt diesen gemischt mit Kichererbsen serviert – eine arabische Note. „Die orientalische Küche hat viele Gerichte hervorgebracht, die im Grunde recht ähnlich sind“, sagt Azize Bikiaropoulos, die das Can Can gemeinsam mit ihrem Mann Georgios betreibt. „Sie unterscheiden sich, je nach Region, in erster Linie durch die verwendeten Gewürze.“ Azize Bikiaropoulos ist kurdisch-türkischer Abstammung, ihr Mann hat griechische Wurzeln. „Wie heißt das so schön, wenn man in Deutschland lebt: Multikulti. In unserer Generation, in unserem Freundeskreis spielt die Abstammung keine so große Rolle mehr. Vorurteile kommen manchmal noch aus der Generation davor. Man sollte in der Liebe Toleranz zeigen, nicht alles mit Tunnelblick sehen.“ Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Als Gast darf man an der kurdisch-türkisch-griechischen Verbindung teilhaben. Und profitieren. Sollte im Oktober das Wetter mitspielen, gern im Biergarten des Can

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Von Wolfgang Kienast Fotos: Daniel Sadrowski

Can. Es liegt nämlich auf dem Gelände der Kleingartenanlage Hafenwiese, einer der wenigen Orte in der Dortmunder Nordstadt, wo man unbeschwert unter freiem Himmel sitzen kann. Das soll jetzt aber keineswegs heißen, das Restaurant in der dunklen Jahreszeit zu meiden. Die angebotenen Speisen schmecken einfach zu gut. Und wer es weniger orientalisch mag, findet auch Nudelgerichte, Pizzen oder Schnitzel auf der Karte.

Der Name Can Can sollte noch erklärt werden. „Can ist ein türkischer Männername“, sagt Azize Bikiaropoulos. „Im Türkischen haben Worte oft mehrere Bedeutungen. Eine Bedeutung von Can ist ‚Leben‘. Wir haben das doppelt genommen. Leben-Leben. Für jede unserer Seiten. Und gedoppelt kann Can auch Lebensfreude meinen.“ Wer möchte, darf darüber hinaus natürlich an Jacques Offenbach denken.


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Tavuk Saç Kavurma Hähnchengeschnetzeltes mit Reis für 4 Personen ½ rote Paprika ½ grüne Paprika 2 Knoblauchzehen 400 g Hähnchenbrust 2 Tomaten 2 mittelgroße Zwiebeln 1 TL Tomatenmark ½ TL Salz 1 bis 2 EL Öl Öl in der Pfanne erhitzen und die kleingeschnittenen Hähnchenstücke darin braten. Zwiebeln in Streifen schneiden, zum Fleisch geben und kurz mitbraten. Danach die Paprika, ebenfalls in Streifen geschnitten, und alles zusammen weiter braten. Die Tomaten hinzufügen, kleingeschnitten oder gerieben, und alles bei mittlerer Hitze köcheln lassen, bis der Saft der Tomaten dickflüssig wird. Erst dann die Gewürze in die Pfanne geben. 2 Tassen Reis 3 Tassen kochendes Wasser 1 EL Butter ½ Tasse Kichererbsen 1 TL Salz Butter im Topf erhitzen, den Reis einrühren. Salz und heißes Wasser zugeben und den Reis kurz bei hoher Hitze kochen lassen. Kichererbsen zugeben, die Hitze reduzieren und bei geschlossenem Deckel köcheln lassen, bis die Flüssigkeit reduziert ist. Die Hitze abschalten und den Reis mit geschlossenem Deckel ruhen lassen.

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Das ist die griechische Variante des Gerichts. In der türkischen würde Lammgeschnetzeltes statt Hähnchenfleisch verwendet. 31


REPORTAGE

Wenn der Koch Bernd Gröning von seinen früheren Stationen erzählt, gerät er leicht in Rage: „Wenn du siehst, was in den meisten Restaurants allein an Fleisch weggeschmissen wird, das ist Wahnsinn.“ Diesen Wahnsinn will er nicht mehr mitmachen, deswegen steht er jetzt in der Küche des Fabulose. Das Spinn-Off des Dortmunder Unverpacktladens Frau Lose bringt ein neues Konzept in das Ladenlokal des ehemaligen Jankas im „Langen August“ nahe dem Nordmarkt: Hier kommt auf den Teller, was sonst weggeworden würde. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

Lebensmittel retten in fünf Gängen Wer schon einmal Kontakt mit der Initiative Foodsharing hatte, der weiß, was für ein großes Problem die Lebensmittelverschwendung in den westlichen Wohlstandsgesellschaften ist. Etwa ein Drittel der Lebensmittel werden in Deutschland verschwendet, schätzt Foodsharing. Das betrifft alle Teile der Lebensmittelproduktion: Anbau, Ernte, Weiterverarbeitung, Verkauf und die EndverbraucherInnen. Die europäischen Länder gehen mit diesem Problem sehr unterschiedlich um: In Frankreich ist es seit 2016 verboten, Lebensmittel wegzuwerfen. Supermärkte mit einer Ladenf läche von mehr als 400 Quadratmetern sind verpf lichtet, unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen zu spenden. Sonst droht eine Geldstrafe von 3.750 Euro. In Deutschland gibt es so ein Gesetz noch nicht, Foodsharing ist auf den guten Willen von Supermärkten, Bäckereien oder Bauernhöfen angewiesen. Einige kooperieren gerne und lassen ihren „Müll“ von den Aktiven abholen.

Andere Supermärkte lassen wenigstens ihre Müllcontainer offen und stellen sie gut zugänglich auf, so dass sie nach Ladenschluss von „Lebensmittelrettern“ geplündert werden können. Einige verschließen sie allerdings auch mit einem dicken Schloss und erstatten Anzeigen gegen Menschen, die angedetschtes Obst oder Gemüse oder noch verschlossene, aber vor Kurzem offiziell abgelaufene Lebensmittel mitnehmen. Das so genannten „Containern“ steht in Deutschland trotz Aufsehen erregender Prozesse weiter unter Strafe. Der Dortmunder Unverpackt-Laden Frau Lose (dessen Name sich übrigens auf den Loriot-Film „Pappa ante portas“ bezieht: „Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein.“) geht deshalb den legalen Weg: Im Laden steht ein so genannter Fairteiler von Foodsharing, aus dem die Kunden gerettete Lebensmittel umsonst mit nach Hause nehmen dürfen.

Oben: Vorfreude im „Langen August“: Koch Bernd Gröning und Sous-Chefin Ali Hecht mit Swenja Reil (Mitte) aus dem „Frau Lose“-Team. Links: Frische Küche aus geretteten Lebensmitteln: Jeden Freitag zaubert Bernd Gröning im Fabulose ein edles 5-Gänge-Menü.

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Das neue Restaurant Fabulose arbeitet direkt mit zwei BioBauernhöfen, einem Bio-Supermarkt und einer Bio-Bäckerei zusammen – und greift für die Grundlagen der Speisen auf das Frau-Lose-Sortiment zurück. Das Konzept für den Start, den die KundInnen bei einer Crowdfunding-Kampagne mit 12.000 Euro unterstützten, geht so: Jeden Freitagabend wird geöffnet und es gibt ein veganes Fünf-Gänge-Menü inklusive Getränkebegleitung (auch hausgemachte Limo, Wein oder der Kaffee hinterher sind dabei) für 65 Euro. „Wenn wir ganz viel Joghurt retten, gibt es vielleicht auch mal einen vegetarischen Nachtisch. Aber das wird natürlich klar gekennzeichnet“, erklärt Swenja Reil aus dem Frau-Lose-Team, die sich gemeinsam mit Koch Bernd Gröning und Sous-Chefin Ali Hecht um das Restaurant kümmert. Bernd Gröning wird schon einen Tag vorher die Lebensmittel sichten und sich ein gutes Menü überlegen. Besser – mindestens im Sinne von ökologisch nachhaltiger – als in seiner letzten Station, einem Gasthaus in Waltrop, wird es allemal: „In der deutschen Gastro wird häufig nach dem Motto ‚viel‘ gekocht“, sagt er. „Und dann landet viel Mist auf dem Teller, damit der Kunde meint, er kriegt auch was für sein Geld. Ich bin gar nicht dagegen, dass jemand Fleisch isst. Aber wenn, dann kauf dir auch was Vernünftiges!“ Generell erinnert er sich an ein Missverhältnis unserer Gesellschaften zur Nahrung, die dann auch in der Behandlung des Küchenpersonals niederschlägt: „Auf Gourmet-Festivals behandeln dich die Leute wie Mist – und in manchen Flüchtlingsheimen fallen die Leute vor dir auf die Knie für eine Scheibe Gurke.“

Die MacherInnen von Fabulose, das übrigens für „Fair, Anders, Biologisch Und (Frau) Lose“ steht, wollen zeigen, dass das, was viele Menschen als Müll bezeichnen, gut verwertet und hübsch angerichtet auf einem Teller im Restaurant auf einmal wieder ganz wertvoll erscheinen kann. „Auf der anderen Seite sehen die Menschen die Produkte, die wir bei Frau Lose verkaufen, ja als sehr wertvoll an“, weiß Swenja Reil. „Einige glauben, das ist nur etwas für die wohlhabendere Oberschicht.“ Dadurch, dass sie jetzt als „Müllverwerter“ auftreten, hofft sie, diese Wahrnehmung etwas zu verändern. Fernziel des Restaurants, das die Inneneinrichtung des Jankas nicht allzu groß verändert, sind regelmäßige Öffnungszeiten. „Wenn es nach mir geht, sieben Tage die Woche“, sagt Bernd Gröning. Und auch Veranstaltungen sind im Laden, in dem auch ein Klavier steht, denkbar. Bereits jetzt soll es an den Freitagabenden zwischen den fünf Menü-Gängen auch Input geben: Da stellen zum Beispiel die Betreiber der Solidarischen Landwirtschaft auf dem Schulte-Tigges-Hof ihr Konzept vor oder eine junge Frau erklärt, wie sie es schafft, im Münsterland Quinoa anzubauen. Und wer sich fragt, was das Team des Fabulose wohl so zaubert, hier ist das Menü einer ersten Testveranstaltung mit 20 Gästen: 1. Salat von Zucchini, Rettich und Gurke mit Sonnen blumenkernen und Sultaninen 2. Hülsenfruchtsuppe mit Beete und Linsenpralinen 3. Oliven-Ravioli mit Tomate, Mangold und Paprika 4. Glasierter Seitan mit Sellerie, Möhre und Brot 5. Fenchel-Mango-Crumble

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REPORTAGE

Jazz, die erste Jeans, der Russlandfeldzug Napoleons – ohne Hanf sähe unsere Welt vielleicht ein wenig anders aus. Die Pflanze war hierzulande noch im 18. Jahrhundert allgegenwärtig, doch dann verschwand sie von den Feldern. Jetzt könnte sie erneut wichtig werden, denn sie eröffnet verschiedenen Branchen Perspektiven für nachhaltiges Wirtschaften. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Shutterstock.com, Joerg Boethling / Alamy Stock Photo

HANF Renaissance einer alten Kulturpflanze

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as Deutsche Kochbuchmuseum in Dortmund, ansässig in der Berswordthalle, umfasst weit mehr als 10.000 Titel. Die kostbaren alten Folianten sind als Reprint oder Faksimile vorhanden, neuere Ausgaben auch im Original. Der gesamte Bestand wurde im zurückliegenden Sommer unter Federführung der „European Industrial Hemp Association“ (EIHA), einer Vereinigung der nutzhanfverarbeitenden Industrie vom Anbau bis zur industriellen Verarbeitung nach Belegen für den Gebrauch von Hanf als Nahrungsmittel durchforstet. Fündig wurde man tatsächlich bereits im ersten je gedruckten Kochbuch. Verfasst anno 1465 von Bartolomeo Platina trägt es den Titel „De honesta voluptate et valetudine“. Achtzig Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien, ebenfalls gedruckt, die deutsche Übersetzung „Von der eerlichen zimlichen auch erlaubten Wolust des Leibs“. Vier Rezepte widmen sich dem Hanf, unter anderem eine Speise für zwölf Gäste, für welche auch Mandeln, eine Brühe, Brot, Zucker, Ingwer, ein wenig Safran und Rosenwasser benötigt wurden. Insgesamt war die Trefferquote in den älteren Büchern vergleichsweise hoch. Hanf wird dann meist als Zutat von Suppen erwähnt, darüber hinaus gibt es Rezepte für gebratenen Hanf, für Brot oder Mus. Vor allem die ölhaltigen Samen scheinen genutzt worden zu sein.

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Hanfschifffahrt Tim Jablonski arbeitet bei der EIHA als Research and Policy Assistant. In sein Aufgabengebiet fallen das Sammeln wissenschaftlicher Fakten sowie die Interpretation gesetzlicher Regelungen. Ihn überrascht weder die frühe Datierung der meisten Funde noch das scheinbare Hauptaugenmerk einstiger Köche auf vorzugsweise die Samen. „Die Hanfpflanze besteht aus mehreren Teilen“, erklärt er. „Wir haben die Stängel, die Blätter und die Blüten. In den Blüten findet man den Samen. Wir wissen, dass er als nahrhaftes Lebensmittel dienlich war. Wir


sind aber überzeugt, dass auch die Blätter und Blüten gegessen wurden. Es wäre reine Vergeudung gewesen, sie nicht zu verwenden. Sie waren ja da. Im Mittelalter war das Nahrungsangebot knapp, doch der Hanfanbau erlebte einen ersten Höhepunkt. Vor allem als Lieferant von Fasern spielte die Pflanze eine Rolle. Mit dem Aufkommen der Schifffahrt stieg die Nachfrage in Europa dann weiter an. Segeltuch, Seile, die Uniformen der Matrosen: Alles Maritime basierte auf Hanf. Allerdings etablierte sich Russland als Marktführer. Russische Importe waren so preisgünstig, dass sich der Anbau bei uns kaum mehr lohnte.“ Um 1800 waren Großbritannien und Frankreich konkurrierende Seemächte. Für den Unterhalt eines Schiffs wurden jährlich bis zu einhundert Tonnen Hanf benötigt. Russland deckte den britischen Bedarf zu neunzig Prozent. Historiker nehmen an, ein Grund für Napoleons Russlandfeldzug von 1812 könne der Versuch gewesen sein, diesen Handel zu unterbinden. Frankreich war seinerzeit Selbstversorger in Sachen Hanf, neben Großbritannien galt Deutschland als Importeur. Zwar gab es im späten 18. Jahrhundert noch größere Anbaugebiete in Westfalen, der Pfalz und in Bayern, doch anders als im spezialisierten Russland erfolgte der Anbau dezentral, meist nebenbei in kleinbäuerlichen Betrieben

zur Deckung des lokalen, höchstens regionalen Bedarfs an textilen Alltagsprodukten. Im Zuge der Industrialisierung auch der Landwirtschaft sank die Anbaufläche von vormals 150.000 Hektar auf unbedeutende 417 Hektar im Jahr 1915.

Jeans, Jazz, Papier Levi Strauss (1829 – 1902) gilt als Erfinder der heutigen Jeans. 1847 emigrierte er nach Amerika. Noch in seiner bayerischen Heimat wird er Hanf kennengelernt haben. Man erzählt sich, seine erste Hose, gedacht als robustes Beinkleid für Goldgräber, hätte er aus Hanf hergestellt. Wie auch immer, schnell wurde das Material durch Baumwolle ersetzt. Baumwolle, weniger widerstandsfähig, war preiswerter. „Ende des 19. Jahrhunderts hatte man die ‚Cotton-Gin‘ erfunden“, sagt Tim Jablonski. „Das ist eine Erntemaschine für Baumwolle. Mit ihrer Hilfe ließ sich Baumwolle kostengünstig auf den Markt bringen. Eine entsprechende Maschine für Hanf ließ Jahrzehnte auf sich warten. Als sie endlich kam, war es zu spät.“ Damals, als Levi Strauss Deutschland verließ, machte sich Henriette Davidis einen Namen als Autorin von Haushaltungsbüchern. Hanf findet man in ihrem

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REPORTAGE

Kochbuch nicht, die im Mittelalter populäre Zutat dürfte da als Nahrungsmittel zumeist in Vergessenheit geraten sein. In ihrem Gartenbuch aber erwähnt sie den Riesenhanf Cannabis gigantea als Zierpflanze. „Cannabis gigantea gibt es allerdings nicht“, erklärt Tim Jablonski. „Vermutlich meinte sie Cannabis sativa, den gewöhnlichen, bei uns ursprünglich heimischen Hanf. Der wächst zu stattlicher Größe heran. Bemerkenswert ist, dass er so gut wie kein THC enthält. In den alten Büchern werden nie irgendwelche bewusstseinserweiternde Effekte erwähnt. Anders verhält es sich mit Cannabis indica. Der Indische Hanf ist kleiner, in seinen Blüten aber findet man das psychoaktive Cannabinoid THC.“ „Bis in die 1930er Jahre konnte Cannabis indica noch legal angebaut werden. In den Vereinigten Staaten war es vor allem der Prohibitionsbeauftragte Harry J. Anslinger, der ein Hanfverbot forderte. Anslinger war Rassist, die meisten THC-Konsumenten in den Staaten waren afroamerikanischer oder mexikanischer Herkunft, darunter viele Künstler und Jazzmusiker.“

Wunderpflanze Einen einflussreichen Unterstützer fand Anslinger in dem Medien-Tycoon William R. Hearst. Jazz zum Beispiel wurde in dessen Zeitungen oft als „satanische Voodoomusik“ bezeichnet. Unter anderem gelang es den beiden, das Wort Hanf sowie den Fachbegriff Cannabis im geläufigen Sprachgut zu eliminieren und durch den negativ konnotierten Slangausdruck Marijuana zu ersetzen. Dass Hearst vorgeworfen wurde, mit ihrer Kampagne nicht die Menschheit vor der nach seinen Worten „gefährlichsten Droge seit Anbeginn der Menschheit“ schützen, sondern

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eigene wirtschaftliche Interessen durchsetzen zu wollen, spielte bald keine Rolle mehr. Freilich besaß der Tycoon Wälder und Papiermühlen. 1916 wurde ein Zellstoffverarbeitungsverfahren auf Hanfbasis entwickelt, mit dem sich in puncto Papierherstellung rentabler arbeiten ließ als mit Holz. Nur ein Hanfanbauverbot konnte Hearsts Geschäfte in diesem Marktsegment retten. „Hanf ist ein sehr schnell nachwachsender Rohstoff, für Papier konkurrenzlos schnell im Vergleich zu Bäumen. Von der Saat bis zur Ernte dauert es nur wenige Monate“, sagt Tim Jablonski. Doch gebe es, ähnlich wie zu Hearsts Zeiten, beträchtlichen Gegenwind aus der Holzbranche. Ähnlich verhalte es sich im Bereich der Pharmaindustrie, die sich so der Konkurrenz medizinaler Cannabisprodukte erwehre. Oder im Baugewerbe. „Auch da könnte Hanf Furore machen. Hanfkalk ist ein nachhaltiger Naturdämmstoff. Das zeigen seine Eigenschaften im Gebäude sowie die negative CO2-Bilanz. Viele Hanfprodukte können wir als CO2-Speicher nutzen. Sogar in einer Hanf-Jeans wird ja Kohlenstoff langfristig gespeichert. Auf dem Acker ist die Pflanze anspruchslos, selbst bei einem Anbau in Monokultur könnte auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet werden.“ „Und ganz wichtig: Der Klimawandel kann ihr nichts anhaben. Allerdings ist die Hanfindustrie noch klein. Das macht die Produkte entsprechend teuer. Das müssen wir ändern. Und wir müssen die vielseitige Pflanze unbedingt im Ganzen verwenden, eben auch als Lebensmittel. Um Lebensmittel auf Hanfbasis erfolgreich auf den Markt zu bringen, müssen wir belegen, dass das kein Neuland ist. Sonst würden die Produkte unter die Novel-FoodVerordnung fallen, mit entsprechend hohen Kosten. Deswegen waren wir im Museum. Unsere Funde zeigen ein Lebensmittel mit langer Tradition.“


Eine Frage, Herr Korth:

Was wird aus dem Herbstlaub?

Carsten Korth, Leiter der Bochumer Stadtreinigung

Abszission bezeichnet in der Pflanzenphysiologie unter anderem das Abwerfen von Blättern. Bäume verlagern die in ihren Blättern gelagerte Stärke in den Stamm und verstoffwechseln sie dort zu Zucker, um sich vor dem kommenden Frost zu schützen. Ist der Prozess abgeschlossen, verlieren Laubbäume und einige Nadelbäume ihre Blätter bzw. Nadeln. 14 bis 18 Millionen Tonnen sind es nach Schätzungen pro Jahr in ganz Deutschland. Circa 30.000 Kubikmeter Laub landen davon jedes Jahr auf Bochums Straßen und werden von der USB Bochum GmbH beseitigt. Doch was passiert mit diesem Laub? „Der erste Schritt ist natürlich erstmal das Einsammeln des Laubs. Das kann durch die normalen Kehrmaschinen erfolgen, die zu diesem Zweck ein spezielles Laubrohr haben, sehr viel effektiver sind allerdings spezielle Saugcontainer. Darüber hinaus stellen wir dieses Jahr wieder 2.900 Laubsammelkörbe auf “, sagt Carsten Korth, Leiter der Bochumer Stadtreinigung. In denen können die BochumerInnen das Laub vor dem eigenen Haus entsorgen.

Dann geht es weiter in den Fermenter. Dort vergären 16 Billionen Bakterien und Mikroorganismen bei 55 Grad die Biomasse in mehreren Stufen zu den Hauptprodukten Methan und Kohlendioxid. Das Ganze erfolgt anders als beim Kompostieren unter Abwesenheit von Sauerstoff. „Mit dem so gewonnen Methan wird in einem Blockheizkraftwerk Strom gewonnen. Die Abwärme der Anlage wird wieder genutzt, um den Fermenter zu heizen“, so Korth. 13.000 kWh produziert die Anlage am Tag. Die

Circa 30.000 Kubikmeter Laub landen jedes Jahr auf Bochums Straßen und werden vom USB beseitigt. Rückstände des Fermentierungsprozesses werden nach festen und f lüssigen Stoffen getrennt. Die festen werden unter Zugabe von Sauerstoff innerhalb von zwei Wochen zu Fertigkompost verarbeitet, der Rest wird zu Flüssigdünger.

Ein Großteil des so in Bochum gesammelten Laubs wird in Witten in einer Biogasanlage verarbeitet. Dort wird das Laub zuerst zusammen mit anderen zu verarbeitenden Bioabfällen zerkleinert und mit einer Siebtrommel von Verunreinigungen getrennt.

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SOZIALES

Utopie auf den Ohren

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eit gut vier Jahren schaltet sich „Stadt für alle“ immer dann ein, wenn es darum geht, wer und was eigentlich Platz haben darf in einer Stadt. Sie muss für alle da sein, findet das Netzwerk, Alte und Junge, Familien und Nicht-Familien, Arme, Reiche, für die, die schon lange hier sind, und die Neuen. Die Realität ist eine andere. Das alte BVZ und ein Park sollen hochpreisigen Wohnungen weichen, die Markthalle Kunden für „PremiumProdukte“ anlocken. „Gerade Corona hat gezeigt, dass die Stadt als Konsumort nicht mehr funktioniert“, sagt Rebecca Sirsch von „Stadt für alle“. „Wir wollen Ideen entwickeln, was hier noch stattfinden kann.“ Die Gruppe macht Kampagnen zu Bauprojekten und Leerstand und hat sich auch bei der Erarbeitung eines Wohnkonzeptes mit an den Verhandlungstisch gesetzt. Mal geht es um bezahlbaren Wohnraum, mal, abstrakter, um eine offene, solidarische Stadt.

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Die „Markthalle“ ist ein kleiner Traum. Mitten in der Stadt, gegenüber dem Bochumer Rathaus, soll sie in ein paar Jahren jährlich 1,5 Millionen KundInnen anlocken. Ein paar hundert Meter weiter wird am alten Landgericht Platz für Läden, Büros und ein Hotel gemacht. Doch muss es eigentlich immer Konsum sein? Mit einer Art akustischem Stadtplan wollen das Netzwerk „Stadt für alle Bochum“ und das „atelier automatique“ hörbar machen, dass man Stadt auch anders denken kann. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Daniel Sadrowski „Und darum, diese Begriffe mit Leben zu füllen“, sagt Sirsch. Im Oktober startet darum das „Utopische Flanieren“: Gemeinsam haben „Stadt für alle“ und das KünstlerInnenkollektiv „atelier automatique“ einen Audiowalk, eine Art akustischen Stadtrundgang entwickelt, der zu Orten führt, die für eine solche Stadt stehen (könnten). Mit einer virtuellen Stadtkarte im Smartphone und Kopfhörern auf den Ohren geht es zum Beispiel in die Brückstraße, wo die Foodsharing-Initiative in einem Hörstück erklärt, wie ihre Tauschbörse für nicht mehr benötigte Lebensmittel funktioniert. Oder zum „botopia“ an den Westpark, ein altes Ladenlokal, das jetzt Bibliothek, Repair- und Nähcafé, Coworking Space und vieles mehr ist. Jede der zehn Stationen des Audiowalks ist einzeln anwählbar, an jeder ist eine andere Geschichte, Idee, Utopie anzuhören, die

mal ganz anfassbar und realitätsnah ist, mal auch ein bisschen träumerisch. Bezahlbarer Wohnraum oder eine funktionierende Fahrrad-Infrastruktur. „Die Rottstraße als Fahrradstraße!“, schwebt Josefine Habermehl vom atelier automatique vor, „mit einer Wiese, Bäumen – und einem Pool.“ In Wien wurde etwas ähnliches im Sommer zumindest temporär Wirklichkeit: Auf einer gesperrten Kreuzung wurde am Gürtel, einer der Hauptverkehrsstraßen in der City, eine Grünoase als Naherholungsort und Treffpunkt mit öffentlichem Freibad errichtet. Visionen und Perspektiven gibt es viele. Auch die LGBTQI-Beratungsstelle Rosa Strippe und bodo machen mit. Eine „Anleitung“ und alle Hörstücke sind auf www.utopisches-flanieren.de zu finden. Eine geführte Tour startet am 8. Oktober um 17 Uhr am „atelier automatique“.


KULTUR

Bochum ist wieder Provinz-Stadt

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as Festival „Rundlauf Bochum“ 2013 entdeckte den Stadtteil Speckschweiz zwischen den innerstädtischen Abschnitten der Dorstener und Herner Straße. Die leerstehenden Ladenlokale, die damals mit Kunst, Musik, Literatur oder Theater bespielt wurden, hatten es auch Stephan Strsembski angetan. Damals betrieb er seine „Provinz“ noch als Galerie-Café im Ehrenfeld. Schon dort verkaufte er Editionen, Portfolios, Unikatserien und Multiples – über hundert von sechzig verschiedenen, namhaften internationalen KünstlerInnen sind bereits erschienen. Er vermarktet sie online, weshalb „Provinz“ nach dem Ende im Ehrenfeld auch ohne festen Ort funktionierte. Die inhaltliche Vermittlung ist allerdings ein zentrales Anliegen: „Mindestens einmal in der Woche wollen Kundinnen und Kunden auch mal etwas anschauen“, erzählt Stephan Strsembski,

Galerist Stephan Strsembski hat eine interessante Nische gefunden: Bei ihm kann man Kunst namhafter KünstlerInnen bis zum unangefochtenen Star der deutschen Malerszene Gerhard Richter kaufen – zu in Kunstmarktrelationen bezahlbaren Preisen. Das funktioniert, weil er in seiner Galerie „Provinz“ sogenannte Editionen vertreibt. Was das bedeutet, kann man jetzt wieder live an einem neuen, spannenden Galerie-Ort in Bochum erleben. Von Max Florian Kühlem | Foto: Daniel Sadrowski

„das geht zwar auch im Wohnzimmer, aber allein dafür ist eine Galerie von Vorteil.“ Bis vor Kurzem war nicht klar, ob der neue Raum in Bochum oder Berlin entstehen würde, weil die Provinz-Editionen mittlerweile ein gemeinschaftliches Projekt mit der von Köln nach Berlin gezogenen Galeristin Vera Gliem sind. Ein ausgegucktes Ladenlokal am RosaLuxemburg-Platz wäre allerdings viermal so teuer gewesen wie der mit großzügigen Schaufenstern und Bodendielen ausgestattete Leerstand in der Bochumer Speckschweiz. „Wir haben uns gegen Berlin entschieden, weil uns die niedrigeren Fixkosten hier mehr Freiheit geben“, sagt Strsembski. Kurz vor der Eröffnung Ende September zeigt er in der neuen Galerie den Unterschied zwischen einer Unikat-Serie und einer Edition: Der documenta-Künstler Olaf Holzapfel etwa hat mit Ölkreide auf Papier Frottage-

Abbilder seiner Strohbilder geschaffen. Ein einzelnes Bild aus dieser Serie kostet jetzt 2.500 Euro. Sonst wären Bilder von ihm in dieser Größe um die 20.000 Euro wert. Im Büro hängt auch eine Ausgabe der Edition Gerhard Richters: Er hat als Tintendruck ein Foto von Mao Zedong vervielfältigt, das er Anfang der 1970er-Jahre für seine Serie „48 Portraits“ gemacht hat. Richter hat es einfach aus dem Lexikon abfotografiert, sodass es als große Entwicklung so unscharf wirkt wie seine gemalten Portraits nach Fotovorbild. Kostenpunkt: 10.000 Euro. Wer zum Beispiel wissen will, warum man so viel Geld für ein vervielfältigtes, abfotografiertes Foto ausgeben sollte, kann jetzt donnerstags und nach Vereinbarung in der „Provinz“ vorbeischauen. www.provinzeditionen.de

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BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Privileg Heimat 2016 schrieb die Wiener Journalistin und ehemalige Lehrerin Melisa Erkurt für das migrantische Magazin „biber“ eine vielbeachtete Reportage mit dem Titel „Generation haram“. Es ging um in Schule und Gesellschaft scheiternde muslimische Jugendliche – junge Männer, die sich einen schlecht verstandenen Islam und eine eigene Verbotskultur als Mittel zur Abgrenzung und Selbstermächtigung aneignen. Nun hat Melisa Erkurt, die als Kind aus dem Krieg in Bosnien nach Österreich fliehen musste, eine mitreißende Streitschrift unter gleichem Titel verfasst, die nur diejenigen enttäuschen wird, die sich von der „Vorzeigemigrantin“ Schuldzuweisungen an muslimische Bildungsverlierer wünschen. Melisa Erkurt macht das Gegenteil. In zum Teil berührend persönlichen Passagen erklärt sie, wie Chancen im Bildungssystem auch in Österreich unmittelbar an Herkunft und sozialen Status gekoppelt sind. Sie zeigt auf, wie Schule weiter Dinge voraussetzt, die in einer Zuwanderungsgesellschaft nur ein Teil der SchülerInnen erbringen kann, und was Lösungen wären: Diversifizierung der Lehrerschaft etwa, multiprofessionelle Fachteams an Schulen, verpflichtender Ganztag, neukonzipierter Deutschunterricht, Quoten in Führungspositionen. Ein wichtiges, hilfreiches Buch. Melisa Erkurt | Generation haram. Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben ISBN: 978-3-552-07210-7 Zsolnay | 192 S. | 20 Euro

Zukunft, regional Ist ja sonst gerade nicht viel los in Sachen Zukunft. Hier auf dem Oberdeck spielt die Kapelle weiter, das ändert leider nur wenig am Leck unter der Wasserlinie. Man fürchtet das Auftauchen des endemischen Trump-Bosonaro-Orbán-Klons und sieht beunruhigt auf die Wahlbezirke mit unter 20 Prozent Wahlbeteiligung. Die technischen Utopien aus der Kindheit (Flugtaxis!) sind heute nur noch Strohmänner, um davon abzulenken, das das „Weiter so!“ nicht mehr funktioniert. Wie schön, dass sich ausgerechnet im chronisch rückwärtsgewandten Ruhrgebiet AutorInnen ironisch-gutgelaunt auf dem Zeitstrahl vorwärts tasten. In „Atlantis rückwärts: Bundesland 17“ fabulieren Schriftstellerinnen, Journalisten, Kultur- und RuhrgebietsexpertInnen wie Inge und Sarah Meyer-Dietrich, Bernd Berke, Jost Krüger, Einhard Schmidt-Kallert oder der Verleger des Bandes Werner Boschmann literarisch von der nahen Zukunft: der Neugliederung des Bundesgebiets nach Art.29 GG, dem Duxit, dem abwechselnd auf Zollverein und im Dortmunder U tagenden Landtag, dem Bottroper Rathausbrand, der Ernennung der Küstenregion Dortmund zum UNESCO-Weltmöwen-Erbe, den Kurgästen aus dem Sauerland. Werner Boschmann u.a. Atlantis rückwärts. Bundesland 17 (ehemals unser Ruhrgebiet) ISBN: 978-3-948566-03-6 Henselowsky Boschmann 144 S. | 14,90 Euro

Für den Tag X Jahre des Gewährenlassens hatten die Neonaziszene in Dortmund groß werden lassen. Dann schließlich einsetzende Strafverfolgung, zivilgesellschaftlicher Widerstand und schließlich der gesellschaftliche Rechtsruck und die feste Verankerung des Rechtsradikalismus in den Parlamenten haben ihnen Räume und Bewegungsspielraum genommen. Analog zur Mitte der 1990er ist es nicht mehr Massenmobilisierung und Straßengewalt, die die militante Rechte gefährlich machen, sondern die neuerliche Hinwendung zu Umsturz- und Terrorkonzepten. Eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung für den Tag X spielt die europaweit vernetzte rechte Kampfsportszene, auch sie mit Dortmundern in Schlüsselpositionen. Robert Claus, der viel Erhellendes etwa zu Fußballsubkulturen veröffentlicht hat, ist ausgewiesener Experte für diese Szene. Flankiert von Gastbeiträgen zu Rekrutierungs- und Geschäftsfeldern wie Hooliganszenen, Rechtsrock und Securitybranche und zur internationalen Dimension beschreibt Claus die Schlüsselbedeutung der Kampfsportszene für extrem rechte Strategien in der Krise. Er beschließt den Band mit einem konstruktiven Kapitel zu Gegenstrategien, Aufklärung und Prävention. Robert Claus | Ihr Kampf. Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert ISBN: 978-3-7307-0515-5 Die Werkstatt | 224 S. | 19,90 Euro 41


REPORTAGE

Pixelfreiheit Um die Zensur der Medien zu umgehen, haben die „Reporter ohne Grenzen“ eine unzensierbare Bibliothek gebaut. Das gigantische Gebäude im Videospiel Minecraft enthält verbotene Schriften aus bislang fünf Nationen. Von Dominik Bärlocher | Foto: uncensoredlibrary.com

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amal Khashoggi war Journalist und Dissident. In SaudiArabien kämpfte er für sozialen Fortschritt und verfasste Schriften mit Titeln wie „Was die arabische Welt am meisten braucht, ist Redefreiheit“. Khashoggi wurde am 2. Oktober 2018 in der Türkei im saudi-arabischen Botschaftsgebäude getötet – mit großer Wahrscheinlichkeit von der saudischen Regierung selbst. Der Staat steht weltweit auf Platz 172 von 180 des Welt-Pressefreiheit-Indexes der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, es gibt dort weder Rede- noch Pressefreiheit. In Saudi-Arabien werden Medien zensiert, ganze Publikationen von der Regierung eingestellt, Journalisten verhaftet oder gar getötet.

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Damit soll Schluss sein. Die „Reporter ohne Grenzen“ haben die „Uncensored Library“ eröffnet: ein gigantisches Gebäude im Online-Videospiel Minecraft. Internetseiten, auf denen Dissidenten und Kritiker ihre Schriften publizieren, können nur über Umwege wie den TOR-Browser oder eine VPN, ein sogenanntes „virtuelles privates Netzwerk“, erreicht werden. Oft brandmarkt bereits der Besitz einer VPN einen Nutzer als Dissidenten. Minecraft aber ist nicht verboten. Es wird oft nur als Videospiel, in dem mit Blöcken Dinge gebaut werden können, und nicht als umfassendes soziales Netzwerk angesehen. Die Möglichkeit, dort virtuelle Bücher zu veröffentlichen, war bis dato vor allem den Spielern bekannt.


Minecraft: Mit mehr als 180 Millionen Verkäufen ist Minecraft vor Tetris das erfolgreichste Videospiel aller Zeiten. Das „Open-World“Spiel kommt ohne ein fest vorgegebenes Spielziel aus. Es besteht aus einer gigantischen 3D-Landschaft, die der Spieler erkunden und verändern kann, indem

Rohstoffe abgebaut („Mine“), diese zu anderen Gegenständen weiterverarbeitet werden („Craft“). Minecraft wird auch in Bildungseinrichtungen verwendet und vom Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UNHABITAT) für partizipative Planungsprozesse von öffentlichen Räumen in Entwicklungsländern.

Reporter ohne Grenzen (ROG): Die 1985 in Montpellier gegründete LobbyOrganisation dokumentiert Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit und organisiert Kampagnen für bedrohte oder inhaftierte JournalistInnen. ROG erstellt jährlich eine Länder-Rangliste und gibt den Bildband „Fotos der Pressefreiheit“ heraus.

Die unzensierbare Bibliothek

Der Fall Khashoggi

Es ist nicht das erste Mal, dass „Reporter ohne Grenzen“ zensierte Texte über ungewöhnliche Kanäle verbreiten. Vor zwei Jahren hat die gleiche Agentur, die für sie jetzt die „Uncensored Library“ aufgebaut hat, zehn Presseartikel mit verschiedenen Musikern vertont und über MusikStreaming-Dienste wie Spotify oder Deezer veröffentlicht, weil Streaming-Dienste genau wie Computerspiele auch dort nutzbar sind, wo Medien zensiert werden. Das Projekt hieß „Uncensored Playlist“.

Einen Eindruck davon, was eine eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit für Menschen konkret bedeutet, gibt ein kurzer Abriss des Lebens, Schaffens und Todes von Jamal Khashoggi. Geboren am 3. Oktober 1958 wurde Khashoggi in den 1980ern vom Buchhändler zum Journalisten. Zwischen 1991 und 1999 war er Chefredakteur der Tageszeitung Al-Madina, von 1999 bis 2003 der englischsprachigen Tageszeitung Arab News. In seinen Artikeln für arabische Publikationen und in der Washington Post zeigte Khashoggi Missstände im eigenen Land auf. Er kritisierte die Verhaftung der Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, sprach sich gegen die Entrechtung der Frauen aus. Seine wiederkehrenden Themen waren Pressefreiheit und Rechtsgleichheit. Er befürwortete einen säkularen Staat, in dem mehrere Religionen koexistieren können, und verurteilte die Praktiken des Wahhabismus, einer Form des Islam, der als ultra-konservativ gilt.

Eine Geheimbibliothek ist die „Uncensored Library“ nicht, „Reporter ohne Grenzen“ machen ihr Projekt öffentlich bekannt. Es handelt sich aber um eine geschützte Bibliothek, denn Texte können hier nicht zensiert werden. Minecraft ist ein Computerspiel, das auf Tausenden von Servern läuft. Es ist schlicht unmöglich, jeden einzelnen abzuschalten; ein Land wie Saudi-Arabien müsste sich also mit Microsoft anlegen, wenn es gegen Minecraft vorgehen wollte. Die „Uncensored Library“ steht zudem auch als Download bereit. Sie wurde weltweit bisher schon mehr als 20.000 Mal heruntergeladen und kann jederzeit anderswo wieder hochgeladen werden. Eine Verbreitung kann somit von keinem Staat verhindert werden. Damit die Autorinnen und Autoren der Texte nicht gefährdet werden, sind nur ExilJournalistinnen und -Journalisten mit Namensnennung vertreten: Die russische Journalistin Julia Berezovskaia lebt heute in Frankreich, der vietnamesische Blogger Nguyen Van Dai in Deutschland. Andere Texte sind anonym aufgeschaltet. Dazu kommen die tragischen Fälle, in denen die Personen, die die Texte verfasst haben, ermordet wurden – wie bei Jamal Khashoggi.

Agenten der arabischen Regierung haben Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 mutmasslich getötet. Er wollte im saudi-arabischen Konsulat in der Türkei Administratives für seine bevorstehende Heirat mit Hatice Cengiz erledigen. Eine Überwachungskamera zeigt, wie er das Konsulat betritt. Er verlässt es nie wieder. Ermittlungen zeigen, dass im Konsulat ein Tötungsdelikt stattgefunden hat, das vertuscht werden sollte. Im Nachgang des Tötungsdelikts hat die arabische Regierung die Berichte, was mit dem Journalisten geschehen ist, je nach Beweislage abgeändert. In Ländern wie Saudi-Arabien verschwinden Kritiker und Dissidenten regelmäßig, wenn sie der Regierung zu unbequem werden. Deshalb sind Projekte wie die „Uncensored Library“ wichtig. Wo manche nur eine Spielerei sehen, sehen andere einen sicheren Raum, wo sie die Wahrheit aussprechen und hören können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Surprise / INSP.ngo

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LESERPOST & MEINUNGEN

10 x Rückert Die AWO hat ein besonderes Projekt ins Leben gerufen: zehn Portraits bedeutender Persönlichkeiten, von Günter Rückert gemalt und zum hochwertigen Postkarten-Set zusammengestellt. Und: Das Set ist nicht nur ein schönes Geschenk, sondern auch eine Spendenaktion für bodo, denn ein Teil des Erlöses kommt als Spende unserer Arbeit zu Gute.

Der Grafiker, Karikaturist und Zeichner Günter Rückert gehört wohl zu den bekanntesten Künstlern Dortmunds. Als Regisseur hat er mehr als 20 Jahre lang den Geierabend mitgestaltet, als Grafiker, Karikaturist und Maler die Stadt und viele ihrer bekannten Figuren verewigt, in Bildern und an Hauswänden.

10 Portraits | 10 x Rückert | 7 Euro Das Postkarten-Set ist erhältlich im Minna-SattlerSeniorenzentrum und im Atelier von Günter Rückert – und natürlich im bodo-Buchladen, Schwanenwall 36 – 38 in Dortmund. Vom Verkaufspreis gehen 3 Euro an bodo. 44

bodo 09.20

European Homecare: Das Geschäft mit der Wohnungslosigkeit Ich muss gestehen, dass ich zum ersten Mal wirklich die ganzen Berichte einmal gelesen habe und diese sich, im positiven Sinne, qualitativ stark von dem unterscheiden, was ich von Straßenzeitungen kenne. Besonders bewegt hat mich der Artikel über das European-Homecare-Konzept. Auch ich arbeite mit psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen und deren Familien. Was Herr Tim Sonnenberg anführt im Bericht, nämlich den Umgang mit „nicht mitwirkungswilligen“ Personen, erlebe ich fast täglich. Gerade im Bereich Jugendhilfemaßnahmen erlebe ich immer wieder unglaublichen Druck, der von den Ämtern und Sozialarbeitern aufgebaut wird oder aufgebaut werden soll, damit die Menschen „sich bewegen“. In die Richtung, die das Amt und die Hilfegebenden für richtig halten. Ob der psychisch kranke Mensch dies selber möchte oder überhaupt in der Lage dazu ist, wird gar nicht gefragt, sondern bei „nicht mitspielen“ der vorgegebenen Maßnahmen sofort mit Sanktionen oder Hilfeentzug gedroht. Ich schätze, genau so kommen dann oft psychisch erkrankte Jugendliche auch letztendlich als junge Erwachsene in die Wohnungslosigkeit. Hier wäre es dringend notwendig, meiner Meinung nach, das Konzept „Hilfe und Unterstützung“ einmal neu zu definieren. Hilfe zur Selbsthilfe, Bindungs- und Beziehungsangebote über einen langen Zeitraum, die die Ressourcen stärken und Geduld im Heil- und Nachreifungsprozess der vom Leben oft gebeutelten Menschen, wäre hier doch wesentlich angebrachter, als dass 08/15 Maßnahmen, mit Druck immer wieder ein erneutes Scheitern vorprogrammieren. Gut, dass Menschen dort hinschauen, dem nachgehen und hoffentlich auch für eine Veränderung sorgen, so dass diese Sparkonzepte an Menschen endlich ein Ende haben. Vielen Dank für Ihre tolle Arbeit! Liebe Grüße, J. v.d. B. Ich habe gerade den Artikel über die Männerübernachtungsstelle gelesen. Ein echt wahnsinnig guter Artikel, der es so auf den Punkt bringt, wie es ist! Danke an Sie und die ganze Redaktion Ein Bewohner Sehr geehrte Redaktion, Hut ab vor Ihrem Mut, einen kritischen Blick auf die Privatisierung der Wohnungslosenhilfe und den Akteur European Homecare zu werfen. Auch ich erinnere mich noch gut an die Berichterstattung über das Folterzimmer in der Burbacher Unterkunft und die Klagen und Prozesse wegen Misshandlung in Essen und Dortmund. Aber das ist ja nicht das „Problem“. Das sitzt in den Stadtverwaltungen und -räten und entscheidet dezidiert, für welche Gruppen jeder Standard unterboten werden kann. Billigheimer wie European


RÄTSEL

Glücklich sind wir nicht, dass auch in Bochum unsere Verkäuferversammlungen nicht in unseren Räumen stattfinden dürfen. So lange das Wetter mitspielt – und wahrscheinlich auch darüber hinaus – machen wir jedoch das Beste draus in unserer Open-Air-Anlaufstelle Bochum. Foto: Sebastian Sellhorst

Homecare betreiben ja keine Landnahme, sondern sind da zur Stelle, wo Kommunen (und manchmal Länder) entscheiden, dass die zu Betreuenden oder Unterzubringenden so unwichtig sind, dass man sie auch mit der Aldi-Variante von „sozialer Arbeit“ ruhiggestellt bekommt. Weil ein solcher Anbieter keine Haltung und auch sonst kein Mitteilungsbedürfnis hat, ist er den Kommunen ein genehmer Partner. Gut, dass Sie dieses „Fass“ aufmachen. MfG, F. W. bodo 09.20

Immer wieder toll, wie Ihr Dinge zusammenbringt, die auf den ersten Blick wie Nord- und Südpol sind. Bei Euch passt es dann zusammen, im Kultur-, Stadt-, Sozialmagazin bodo! Super! M. F. bodo 09.20

Tod auf der Straße Polizisten schieben einen obdachlosen Mann im Rollstuhl vom Gelände eines Krankenhauses (auf Wunsch der Mitarbeiter!) und Minuten später ist er tot?! Danke für Ihren sehr besonnenen, abgewogenen Artikel, aber: Bitte bleiben Sie dran! Es kann doch nicht sein, dass ein solcher Tod eine Randnotiz bleibt und die Auf klärung ausbleibt!

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

AUFLÖSUNG HEFT 09.20

J. F.

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Das Straßenmagazin trauert um bodo-Urgestein Egon Dittmann. Egon war Verkäufer der ersten Stunde, Gründungsmitglied, zeitweise sogar ein Fernsehgesicht des Vereins. Er verstarb auf der Straße, tragischerweise kurz nachdem er die Zusage für den Einzug in ein Wohnprojekt erhalten hatte. WegbegleiterInnen erinnern sich. Von Bastian Pütter | Foto: Sebastian Sellhorst

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as als erstes in Erinnerung kommt, sind Egons kluge und weit ausgreifende Geschichten, die vielleicht manchmal den Kontakt zur Realität zu verlieren drohten, aber immer charmant und augenzwinkernd vorgetragen wurden. Gleichzeitig hatte Egon genug Realitätssinn, um – damals, in den 1990ern – eine tragende Rolle im Fernsehprojekt des Vereins zu übernehmen: „bodo TV“ lief im Offenen Kanal Dortmund, Egon wirkte vor und hinter der Kamera. „Das war eine gute Zeit“, erinnert sich Gabi, die damals mit Egon für „bodo TV“ arbeitete. „Er hatte einen Job im Veranstaltungsbereich und zu der Zeit eine Wohnung“, sagt Gabi, „drei Jahre später traf ich ihn aber am Bahnhof, da hatte er Schulden und die Wohnung verloren.“ Günter, ebenfalls ein bodo-Urgestein, ergänzt: „Ja, am Anfang lief es. Dank bodo hat Egon eine Wohnung bekommen und alles war gut. Er hat mich damals auf der Straße angesprochen, ob ich nicht mitmachen will bei bodo. Irgendwann hat er hingeschmissen und es ging zurück auf die Straße. Nach ein paar Jahren kam er zurück.“ „Das war ein Achterbahnleben“, sagt Jutta. „Das passt ja auf viele Leute bei bodo, auf Egon aber ganz besonders.“ Als sie ihn Jahre später kennenlernt, hat er wieder hoch-

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Achterbahnleben fliegende Pläne: in der Veranstaltungsbranche, am Theater. Wen man auch fragt, alle VerkäuferInnen äußern sich bestürzt über Egons Tod. „Wir sind immer gut klargekommen. Das letzte Mal, dass ich ihn getroffen habe, war an seinem Verkaufsplatz in Aplerbeck. Ich war auf dem Weg zu der Kirchengemeinde, an der ich verkaufe, und hab vorbeigeschaut.“ Auch Stefan ist durch Egon zu bodo gekommen und ihm heute noch dankbar. Noch einmal erlangt Egon Medienöffentlichkeit, diesmal war der Anlass weniger schön. Seine kleine Hündin Hanni – „ein Huskymischling“, wie Egon mal mit tiefem Ernst, mal augenzwinkernd erklärt – entläuft in der Silvesternacht 2017/18 aus dem Zelt, in dem beide leben. Es folgt eine eigene Variante von Achterbahnfahrt in der Berichterstattung: Mitleid, Suchanzeigen, Polizisten, die Hanni auf dem Beifahrersitz zurück zu Egon bringen, Tierschutzbedenken, eine ausgiebige Diskussion, was Obdachlose dürfen und was ihnen zusteht. Am Ende kommt Hanni zu einer Familie in Pflege, und obwohl Egon zugestehen

kann, dass es ihr dort besser geht als bei ihm, kommt er nicht darüber hinweg. „Die waren ein Team“, sagt Jutta. In den vergangenen Jahren hat sich sein Lebensmittelpunkt vollständig nach Aplerbeck verlagert. Hier schläft er im Zelt und verkauft am Rodenberg Center das Straßenmagazin. Auch hier zeigen sich Mitarbeiter- und PassantInnen bestürzt. „Er war doch jeden Tag hier“, ist eine bodoStammkundin fassungslos. Besonders tragisch ist Egons Tod, weil kurz zuvor die Zusage für einen Platz in einem Wohnprojekt der Diakonie erfolgte. Zum verabredeten Termin erschien er nicht. Katrin Lauterborn vom Gast-Haus e.V. erinnert sich an Egon als einen „ganz lieben, beliebten, freundlichen Gast“. Sie hat sich für die Beisetzung in der Grabstätte für Unbedachte in der Grabeskirche Liebfrauen im Klinikviertel – an der Seite u.a. der bodo-VerkäuferInnen Meike und Adolf – eingesetzt. Ein Termin steht noch nicht fest.


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Ruhrgebiet, das hieß früher: Die SPD macht und lässt auch bei CDU und FDP keinen ins Bergfreie fallen. Wer lange genug opponiert hat, konnte sicher mit einem Pöstchen beim Wasserwerk oder in der Sparkasse rechnen. Nach der Kommunalwahl wird es in den Städten zu Koalitionen kommen, die alle Flaggen der Welt durchgehen. Jamaika kennen wir. Dazu kommen Kenia, Sumatra und der SC Verl. Wenn bald jede Partei mit (fast) jeder anderen kann, herrscht am Ende soviel inhaltliche Übereinstimmung wie bei sechs Menschen, die zufällig in einem Bahnabteil dieselbe Verspätung Richtung Bielefeld aussitzen. Ein schiefes Bild, die Reisenden eint wenigstens das gemeinsame Fahrtziel. Fürchterlich, wie hier im Ruhrgebiet, das längst nicht mehr qualmt, aber immer noch Metropole ist, verzwergt wird. Da kommen Dorfmenschen mit Dorfideen und wecken Dorfträume. Sie wissen, das Magazin Landlust und die Grünen sind da erfolgreich, wo Land und Grün an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Mittlerweile halten Stadtmenschen Bäume für intelligent, Politiker grundsätzlich aber für blöd. Komisch, wie unterschiedlich man verliert. Da schreibt die Presse bei einer Partei mit dem schlechtesten Kommunalwahlergebnis aller Zeiten vom Niedergang, wenn die Partei SPD heißt. Bei der Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

CDU, gleichfalls schlecht wie nie, bejubelt sie den „Rückenwind für Laschet“. Der selbst hält seine Partei für großstadttauglich. Weil Belege rar sind, wirft er sich noch in der Wahlnacht in Essen

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO li g it M r h e m Je hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil .awo-ww.de ww.de • www

Oberbürgermeister Thomas Kufen um den Hals. Der hatte den Job allerdings schon, als Laschet noch fast gar nichts war. Derweilen sie in seiner Heimatstadt Aachen zwölf Prozent verliert. Unter den Blinden ist der Einbeinige bekanntlich König. Seitdem Armin Laschet mit Karl dem Großen verwandt ist, lässt Markus Söder in Bayern prüfen, ob er sich auf Ötzi berufen kann, auf Franz Beckenbauer oder wenigstens aufs bayrische Reinheitsgebot.

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