bodo August 2020

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bodo DAS

08 | 20 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für die Verkäuferin den Verkäufer

BIENEN UND BLUMEN

Urban Sketchers Dortmund Seite 40

WINTER IS COMING

Spike Lee Seite 36

N E S E L N E TR ES D E D A O L R E M A L M SH E I M E R G O O SE N &

SCHWEINESYSTEM TSCHÜSS SISSI

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Tresenlesen

Von Peter Hesse

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Frank, Alexandra Gehrhardt, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Steven MacKenzie, Bastian Pütter, Petra von Randow, Sophie Schädel, Sebastian Sellhorst, Sebastian Weiermann, Knut Unger Titel: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Jason Bell / Netflix (S. 37), Simon Bierwald / INDEED Photography CC BY-SA 3.0 (S.10), GISS (S. 19), Leon Kuegeler / Reuters (S.32, 34), LD Foto (S. 46), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 5, 6, 12, 13, 14, 15, 16, 23, 30, 40, 41, 42, 43), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 18, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22), Elena Ubrig (S. 9) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die September-Ausgabe 10.08. 2020 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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20 Jahre lang gingen beide getrennte Wege: Jochen Malmsheimer wurde der vielleicht wortgewaltigste Kabarettist im deutschsprachigen Raum, Frank Goosen Autor mehrfach verfilmter Erfolgsromane. Corona brachte sie zurück zu ihren Wurzeln. Ein Hausbesuch.

Tierleid und Ausbeutung

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Nach dem bisher größten Corona-Ausbruch in Deutschland in der Fleischfabrik des Tönnies-Konzerns in Rheda-Wiedenbrück steht das auf Ausbeutung von ArbeitsmigrantInnen beruhende Geschäftsmodell der Fleischkonzerne unter Druck. Von Sebastian Weiermann

Urban Sketching

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Um die 20 Menschen sitzen in einem Dortmunder Park. Zeichenblöcke im Schoß, Pinsel in der Hand. Sie schauen auf dasselbe Motiv – Rentner, die Boule spielen – und doch werden am Ende 20 verschiedene Gemälde entstehen, denen man kaum ansieht, dass sie dieselbe Szene zeigen. Von Sophie Schädel

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Frank, bodo-Verkäufer in Hörde Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie schon lange die bodo kaufen, erinnern Sie sich vielleicht an mich. Vor über zehn Jahren war schon einmal bei bodo. Damals war ich noch auf dem Westenhellweg in Dortmund unterwegs. Nach einer sehr langen Pause bin ich jetzt wieder zurück. Meinen aktuellen Verkaufsplatz hab ich an der Schlanken Mathilde mitten in der Fußgängerzone in Hörde. Anfangs war ich noch skeptisch, ob ich mich in der Corona-Situation überhaupt auf die Straße stellen soll. Seit gut zwei Monaten bin ich jetzt wieder dabei und es funktioniert. Wenn ich mit dem Fahrrad an meinem Verkaufsplatz ankomme, reichen mir die Mitarbeiterinnen der Buchhandlung, vor der ich stehe, einen Stuhl raus. Darüber freu ich mich sehr, weil mir das lange Stehen mit meinem kaputten Rücken und meinen Knien sehr schwerfällt. Trotz Corona sind fast alle Leute, die ich hier treffe, wirklich freundlich, wenn auch etwas vorsichtiger und zurückhaltender. Das ist mir aber sehr recht. Ihnen wünsche ich viel Spaß beim Lesen und bleiben Sie gesund. Ihr bodo-Verkäufer Frank

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EDITORIAL

04 Menschen | Jochen Malmsheimer & Frank Goosen 07 Straßenleben | Der Winter naht 08 Neues von bodo 12 Reportage | Imkern ist keine Hexerei 16 Das Foto 16 Mieten & Wohnen | Solidarität statt Dividende 17 Kommentar | PR-Versagen als Alarmsignal 17 Die Zahl 18 Interview | Wohnungslosigkeit 21 Bücher 22 Wilde Kräuter | Echtes Labkraut 23 Kultur | Die Villa Marckhoff-Rosenstein 24 Veranstaltungskalender 29 Kinotipp | Nur ein Augenblick 30 bodo geht aus | Zum kleinen Esel 32 Reportage | Tierleid und Ausbeutung 35 Eine Frage… | Womit grille ich hier eigentlich? 36 Interview | Spike Lee 40 Reportage | Urban Sketching 43 Kultur | Tschüss Sissi 44 Sudoku | Leserpost 45 Leserpost | Rätsel 46 Verkäufergeschichten | Stefan singt

Liebe Leserinnen und Leser, wir sind glücklich und dankbar, dass Sie in dieser Zeit von „Social Distancing“, Verunsicherung und wachsender gesellschaftlicher Anspannung dem Straßenmagazin die Treue halten. Ehrlich gesagt waren unsere Prognosen, wie unser Konzept der Begegnung, des In-Kontakt-Kommens, der sozialen Nähe in Corona-Zeiten fortzuführen wäre, nicht gerade rosig. Inzwischen sehen wir: Es geht. Mit Verantwortungsgefühl auf beiden Seiten und einer „Nähe mit Abstand“. Danke dafür! Anders als in den vergangenen Sommern nehmen wir uns keine Auszeit und lassen unser Netzwerk mit Straßenzeitungsgeschichten aus aller Welt sprechen. Stattdessen bleiben wir meist in der Nähe, ob auf Jochen Malmsheimers Bochumer Terrasse, in wieder geöffneten Museen, im Hattinger Bienen- oder im Mengeder Volksgarten. Dass auch hier nicht alles wunderbar ist, vergessen wir – wie Sie vielleicht ahnen – dabei nicht. Aber vielleicht eine kleine positive Wendung zu einer ärgerlichen Geschichte der vergangenen Monate: Das Dortmunder Ordnungsamt hatte Obdachlose und Angehörige der Drogenszene mit drakonischen, teils vierstelligen Bußgeldern belegt, weil sie gegen Abstandsregeln verstoßen haben sollen. Nachdem wir das öffentlich gemacht hatten, kündigte der zuständige Dezernent an, bei Obdachlosen diese Bußgelder zu reduzieren und so fast unausweichliche Haftstrafen abzuwenden. Das nun Fall für Fall durchzusetzen, macht auf allen Seiten Arbeit, eine gute Nachricht ist es gleichwohl.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Obdachlosigkeit hat ein Davor und ein Danach. Die beste Hilfe ist, Obdachlosigkeit zu verhindern. In unserer Arbeit wenden wir Wohnraumverluste ab und betreuen ehemals Wohnungslose weiter. Mit Ihrer Hilfe. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 3


MENSCHEN

„Es muss gelacht werden!“

Frank Goosen und Jochen Malmsheimer waren bis zum Jahr 2000 mit ihrem Format „Tresenlesen“ Giganten in der Kleinkunstszene des Ruhrgebiets. Aus Wortakrobatik, Fantasie, verdichteter Beobachtung und Humor haben die beiden etwas wirklich Großes erschaffen. Nach 20 Jahren Pause sind sie nun wieder da. Wir haben sie besucht und erlebten live und in Farbe einen über dreistündigen Humor-Schlagabtausch mit unzähligen Pointen. Von Peter Hesse | Fotos: Daniel Sadrowski

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rgendwo ganz versteckt im Bochumer Süden wohnt Jochen Malmsheimer auf einem renovierten Bauernhof – und auf den hat er uns zum Gespräch eingeladen. Während er noch kurz in die Küche geht, um uns mit Getränken zu versorgen, trudelt Frank Goosen ein. Schon als Einzelkünstler sind beide starke Geschichtenerzähler, im Doppelpack laufen sie zur Hochform auf. Wie es zum Comeback der beiden Wort-Akrobaten gekommen ist, erklärt Malmsheimer: „Mein Sohn macht eine Ausbildung als Bild & Ton-Mediengestalter. Normalerweise machen die Image-Filme für Firmen, Reportagen für das ZDF und Ähnliches.“ Nach dem Lockdown habe der Sohn seinen Vater gefragt, wie es wäre, wenn auch er etwas vor der Kamera präsentieren könnte, was dann im Internet laufen würde. Malmsheimer erläutert: „Die Prämisse dazu lautete: Es muss gelacht werden! Ich hab‘ dann meinen Agenten angerufen – und wir entschlossen uns, dass es etwas ganz Besonderes sein müsse.“ So reifte die Idee für ein TresenlesenComeback. „Ich habe von dieser Nachricht sofort eine Gänsehaut bekommen“, antwortet Frank Goosen. „Ich war sehr aufgeregt und aufgedreht – und hab mit meiner Familie am gleichen Abend eine alte Tresenlesen-CD zum Eingrooven gehört. Und zwar ‚Kloidt Ze Di Penussen!‘ aus dem Jahr 1998.“ Schlussendlich gab es nun zwei „Tresenlesen“-Live-Lesungen aus dem Bochumer Zeitmaul-Theater, die für das Publikum auf YouTube übertragen wurden. Und einen Spezial-Auftritt für den Radiosender WDR 5. Wenn man beide im direkten Gespräch beobachtet, ist es schon irre, wie humorvoll, blitzschnell und stets pointiert sich Goosen und Malmsheimer die Bälle zuwerfen. Als Zuhörer und Danebensitzer glaubt man nicht, ein Interview zu führen. Es ist eher so, als bekomme man eine Live-Performance. Wie das kommt? „Malmsheimer findet Zeit und Raum, den Schachtelsatz wie Phoenix aus der Asche unserer Alltagssprache aufsteigen zu lassen“, lobte der Kabarettist Georg Schramm mal die Schlagfertigkeit seines Bochumer Kollegen. Jürgen von der Lippe setzte noch einen drauf: „Jochen Malmsheimer ist der beste Sprecher der Welt!“

Tresenlesen

Goosen steht dem in nichts nach. Er hat seine literarischen Vorbilder J.D. Salinger und Ernest Hemingway genauestens studiert und entwirft mit typischen Ruhrgebiets-Protagonisten, die auf Namen wie Frank, Spüli, Mücke oder Pommes hören, ein lebendiges Setting mit Figuren zum Anfassen. Gleich vier seiner Erfolgsromane wurden fürs Kino verfilmt: Liegen lernen, Radio Heimat, Sommerfest und So viel Zeit. Nebenher kümmert er sich um die Hege und Pflege von Popkultur-Literaten wie Wolfgang Welt, schreibt ein berührend-persönliches Werk über die Beatles oder Kolumnen für das Fußballmagazin Kicker. Beide haben nach dem Ende von Tresenlesen ihren eigenen Weg gefunden. Kennengelernt haben sich beide am Bochumer Ostring-Gymnasium.

Von 1992 bis 2000 lasen Goosen und Malmsheimer als „Blues Brothers komischer Literatur abwegiger Bauart“ Auszeichnungen als „Tresenlesen“: 1997 Prix Pantheon, 1998 Salzburger Stier Aktuelle Veröffentlichungen: Jochen Malmsheimer: Fast das Gesamtwerk, DVD-Edition, Tacker Film Frank Goosen: Über The Beatles, Kiepenheuer & Witsch 5


MENSCHEN

„Ich habe mich damals an Herrn Goosen drangehängt“, sagt Malmsheimer und ergänzt: „Goosen wollte irgendwann Schülersprecher werden, und ich fand das gut. Ich war Stufensprecher, wollte eine Rocknacht organisieren, unter anderem, um mit meiner Blues-Band Vatermörder aufzutreten.“ Auch haben beide in einer Theatergruppe zusammengefunden. Goosen erläutert: „Wir haben den Kaukasischen Kreidekreis von Bertolt Brecht aufgeführt. Ich hatte drei kleine Rollen, und Jochen hat den fetten Fürsten gespielt.“ Malmsheimer ergänzt: „Wir hatten dazu kaltes Bier im Kinderwagen auf die Bühne geschmuggelt – das hat keiner gewusst.“ Dann überschlagen sich beide mit Worten und Erinnerungsfetzen an die Schulzeit. Anschließend reden wir über ehemalige Bundesligaprofis, Mixtapes, Erlebnisse auf Lesetour, die Schwierigkeiten der Veranstaltungsbranche während der Corona-Krise – und dass auf der Registrierkasse im Bochumer Lokal Pinte noch immer ein Vatermörder-Aufkleber prangt. „Eine Zeitlang haben wir sogar zusammen studiert“, sagt Frank Goosen irgendwann enthusiastisch – bis Malmsheimer wieder übernimmt: „Mein Studium fiel mir schwer, ich wollte eigentlich was anderes machen, aber das ging nicht hier in Bochum. Ich hätte die Uni wechseln müssen, dafür war ich jedoch an Bochum emotional zu stark angebunden. Ich hab dann immer mehr gejobbt und immer weniger studiert. Irgendwann sagte mein Vater, dass ich endlich mehr für mich selbst sorgen müsse, und so habe ich eine Buchhändlerlehre bei Janssen in Bochum absolviert. Das war auch wirklich toll.“

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Weil Malmsheimer in der Buchhandlung Janssen auch Lesungen betreut, ist irgendwann Harry Rowohlt zu Gast. Goosen erinnert sich: „Anschließend sind wir mit ihm noch um die Häuser gezogen, das war echt der Knüller.“ Rowohlt selbst hat über diesen Abend sogar eine Kolumne geschrieben. „Über Harry Rowohlt ist Jochen auf den irischen Autor Flann O‘Brien gekommen“, so Goosen, „und hat im Bochumer Lokal Puvogel an der Brückstraße zu später Stunde immer wieder mal ein paar Seiten daraus vorgelesen. Der Wirt war begeistert und sagte, dass er daraus doch eine Veranstaltung machen solle. Bei der zweiten Folge bin ich dann dazu gestoßen. Alle vier Wochen gab es dann einen Themenabend, zu dem wir passende Literatur ausgesucht haben.“ Tresenlesen war geboren. Acht Jahre lang sollte es so weitergehen. „Ich habe in dieser Zeit gelernt, dass ich meiner eigenen Improvisation vertrauen muss. Das haben wir übrigens beide gelernt – jeder für sich“, sagt Jochen Malmsheimer: „Du musst dabei das eigene Scheitern in Kauf nehmen. Man fliegt aus der Kurve und sagt zu sich, hui, das war aber jetzt mal richtig daneben. Aber es hat trotzdem noch einen Unterhaltungswert.“ Ob und wie es mit Tresenlesen weitergeht, darüber sagen beide ziemlich lässig: „Masterplan und Tresenlesen – das passt einfach nicht zusammen. Das schließt sich mittlerweile aus“, sagt Frank Goosen, bis Jochen Malmsheimer wieder mit verstellter Stimme bedeutungsschwanger witzelt: „Wir werden sehen, was passiert!“ Und dann lachen beide wieder aus vollem Herzen.


STRASSENLEBEN

„Der Winter naht“ ist eine reichlich absurd erscheinende Ankündigung mitten im Hochsommer (und eine vielleicht ins Leere laufende Anspielung auf eine Fantasyserie). In Wirklichkeit ist sie zurzeit bestimmendes Thema in der Wohnungslosenhilfe unter Corona. Das hat drei Gründe. Von Bastian Pütter | Foto: Sebastian Sellhorst

Winter is coming D

er erste Grund: Nach Monaten des Reagierens, der Ad-Hoc-Lösungen, der rasant wechselnden Nachrichten- und Vorschriftenlage wissen wir genug, um wieder vorsichtige Pläne zu machen: Das Virus bleibt durch strenge Regeln (Masken, Abstand, Fallverfolgung) voraussichtlich beherrschbar – und uns eine Weile erhalten.

Für die von Wohnungslosigkeit Betroffenen machte das Wetter einiges einfacher. Die erzwungene Schließung aller Aufenthaltsräume war und ist trotzdem eine große Belastung. Manche Menschen sind seit Monaten pausenlos draußen. Trotzdem ließ sich mit aufsuchender Arbeit und Versorgungsangeboten auf der Straße vieles auffangen.

Zweitens gibt das den Blick frei auf die „Zukunftsfähigkeit“ der gefundenen Lösungen. Wohnungslose aus Bochum, das fast alle Versorgungshilfen einstellte, zog es früh in die Nachbarstädte, in Dortmund blieben es trotz gemeinsamer Anstrengungen SchönwetterProvisorien.

Doch längst ist klar: Die Ausgabe von Lunchpaketen am Fenster – nach langem Schlangestehen unter freiem Himmel – ist eine Notlösung, die weder den Bedarf decken kann noch bei Regen funktioniert. Einzelne Einrichtungen, die mit wenigen Sitzplätzen wieder öffnen können, produzieren durch Ausschlüsse und Wartezeiten zusätzlichen Frust. Der Vertrauensaufbau, der nötig ist, um Hilfeprozesse in Gang zu setzen, ist außerhalb der Anlaufstellen und Tagesaufenthalte ungleich schwieriger. Drastisch ist die Verschlechterung im Bereich der sanitären Einrichtungen. Hier fielen große Teile der Infrastruktur weg – von Häusern der Wohnungslosenhilfe über Schnellrestaurants, Kauf häuser bis zu öffentlichen Einrichtungen. Die Stadt Dortmund stellte dankenswerterweise eine leerstehende Einrichtung mit Sanitärtrakt zur Verfügung, die wir im Verbund als temporäres Hygienezentrum betreiben. Inzwischen gibt es die Zusage, dieses Angebot mindestens bis Ende September zu ermöglichen. Denn auch in der Dortmunder Verwaltung ist man sich bewusst – und das ist der dritte Grund dafür, bereits jetzt an den Winter zu denken –, dass mit den anstehenden Kommunalwahlen und der Neukonstituierung der Rathäuser politische Beschlüsse auf Monate nur eingeschränkt möglich sein werden. Darum arbeiten wir mit Hochdruck an Corona-konformen Lösungen, die einen wettergeschützten Aufenthalt und eine wenigstens überdachte Essensversorgung ermöglichen.

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NEUES VON BODO

Sommer am U Endlich wieder Veranstaltungen! Die regionale Kultur- und Musikszene lädt zu entspannten und Corona-kompatiblen Abenden im Schatten des Dortmunder U. Auch bodo freut sich, gemeinsam mit Initiativen, Formaten und Vereinen wie Rekorder, Ekamina, Feine Gesellschaft und subrosa am Programm mitwirken zu dürfen. Wir haben für den 16. August unsere Lieblings-Vorleser Dond & Daniel eingeladen. Die praktizierenden Buchhändler und ausgewiesenen Kenner der komischen Literatur haben diesmal nichts Entlegenes und Vergriffenes in Buchform dabei, sondern mit David Sedaris einen der Großen der literarischen Komik. Wir freuen uns auf die schrägen, bösen, saukomischen Kurzgeschichten aus „Fuselfieber“ und die unerreichte Lese-Performance von Dond & Daniel. Sommer am U, bis 19. September, Leonie-Reygers-Terrasse 16. August, 17 – 19 Uhr: Dond & Daniel lesen Sedaris, Fuselfieber, Eintritt frei

TERMINE Sommer am U Dond & Daniel lesen David Sedaris 16. August, 17 Uhr Eintritt frei Soziale Stadtführungen Dortmund, 8. August, 11 Uhr Bochum, 15. August, 11 Uhr 9 Euro, Anmeldung unter 0231 – 950 978 0 Vagabundenkongress 2020 21. – 23. August Berlin, Mariannenplatz vaga2020.de 8

Stadtführungen

Vagabunden

Es geht weiter. Wir haben unsere sozialen Stadtführungen neu konzipiert und bieten nun wieder buchbare Gruppenführungen an sowie offene Führungen an jedem zweiten Samstag in Dortmund und an jedem dritten Samstag in Bochum. Treffpunkt in beiden Städten ist unter der Anzeigetafel im jeweiligen Hauptbahnhof. Die Teilnehmerzahlen sind nach Coronaregeln begrenzt auf 10 Personen, eine Anmeldung ist erforderlich. Der Kostenbeitrag beträgt 9 Euro inklusive der aktuellen Ausgabe des Straßenmagazins. Auf der gut zweistündigen Tour zeigen unsere Stadtführer die Stadt aus Sicht der Wohnungslosen und bieten Einblicke in die Hilfesysteme der Städte. Anmeldung: 0231 – 950 978 0.

Vom 21. – 23. August findet auf dem Berliner Mariannenplatz der „Vagabundenkongress 2020“ statt. In Anlehnung an den von Gregor Gog initiierten Kongress 1929 und die Bruderschaft der Vagabunden (bodo 10/19) soll das selbstorganisierte, deutschlandweite Treffen „zu Ehren der Tippelschicksen, Berber*innen, Kund*innen, Vagabund*innen, NichtSesshaften, Umherreisenden, mobilen Lebensformen“ stattfinden. Es geht um den Kampf gegen Wohnungslosigkeit und Strategien gegen Verdrängung, Diskriminierung und Ausgrenzung. Der Mariannenplatz soll zu einem Ort für Solidarität, Austausch und Selbstorganisation werden. Programminformationen: vaga2020.de


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Vom 10. bis 20. September findet das Favoriten Festival der freien Theaterszene NRW in Dortmund statt (bodo 9/20). Für sein „erstes Dortmunder Arbeitslosenballett“ sucht der Künstler Thomas Lehmen noch TeilnehmerInnen „ohne jede Bedingung, weder an das Können noch an Vorstellungen darüber, was Tanz überhaupt ist“. Mehr auf bodoev.de.

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

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NEUES VON BODO

Bochumer Gemeinschaft Unglaubliche 46.521,73 Euro an Spenden hat der VfL Bochum seit März mit einer Reihe von Aktionen für die Bochumer Gemeinschaft gesammelt. Sechs gemeinnützige Organisationen teilen sich die Summe: die Bochumer Ehrenamtsagentur, die Diakonie Ruhr, das Frauenhaus Bochum, die Katholischen Klinikum Bochum, die Lebenshilfe Bochum und bodo e.V.! Thomas Godoj spielte im Rahmen der Aktion für uns beim „Akustikheimspiel“ im Ruhrstadion, der VfL versteigerte Spielertrikots (allein bei der Aktion der 23 Trikots kamen 22.751 Euro zusammen!) und verkaufte Mund- und Nasenmasken im VfL-Design. Wir freuen uns gemeinsam mit den unterstützten Organisationen riesig und danken dem VfL, seinen Fans und allen SpenderInnen.

SOZIALES Der Deutsche Mieterbund (DMB) plädiert für bundesweiten Mietenstopp. Es wäre „unproblematisch“, eine bundesweite Regelung zu schaffen, nach der Mieten alle „fünf oder sechs Jahre“ inflationsgemäß erhöht würden, sagte DMBPräsident Lukas Siebenkotten dem „Tagesspiegel“. Seit Februar gilt in Berlin ein Mietendeckel – ob er verfassungskonform ist, klären zurzeit das Berliner und das Bundesverfassungsgericht. Hartz-Fakten: Unter dem Schlagwort „hartzfacts“ kämpfen Der Paritätische und die Initiative Sanktionsfrei mit Fakten gegen Klischees über Hartz IV: Mit Kind kann man nicht sanktioniert werden? (Doch) – Der Anteil für Bildung im Regelsatz ist hoch genug? (1,12 Euro) – Wer Hartz IV bekommt, kann nicht wohnungslos werden? (Doch). Kern ist die Forderung nach einem menschenwürdigem Existenzminimum. www.hartzfacts.de Kameras stoppen: Ab August will die Dortmunder Polizei die Münsterstraße in der Nordstadt videoüberwachen. Dagegen läuft nun eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Der Kläger, ein Anlieger, und die Initiative „Nachbarinnen gegen Kameraüberwachung“ sind der Ansicht, dass eine dauerhafte Überwachung der Straße zu weit in Grund- und Persönlichkeitsrechte der Anwohner eingreift. Zu wenig Sozialwohnungen für Bochum: 200 öffentlich geförderte Wohnungen sollen pro Jahr in Bochum neu entstehen – gerade 60 entsprechende Anträge hat die Stadt 2019 bewilligt, hieß es im Juni im Sozialausschuss. Auch für 100 Wohnungen, die im Bestand erneuert werden, wurden öffentliche Gelder freigegeben. Nach Angaben des Mietervereins hat jeder zweite Bochumer Haushalt Anspruch auf eine preisgebundene Wohnung. 10

Unterstützung Wir sind dankbar, dass Initiativen aus der Stadtgesellschaft, Unternehmen und Privatpersonen unsere Arbeit auch unter den schwierigeren Corona-Bedingungen unterstützen. Darunter sind so schöne Ideen wie die des Escape-Room-Anbieters Locked Adventures, der während der Schließungszeit seiner Rätselspielplätze digitale Escape Rooms entwickelte und mit den Einnahmen auch unsere Arbeit unterstützte. (Für bodo-LeserInnen gibt es einen Rabatt per Gutscheincode auf www.bodoev.de.) Oder das Engagement der Initiative „Soziales Dortmund“, die uns hilft, Wohnungslose in Dortmund fortlaufend mit Mund-Nasen-Schutz zu versorgen. Vielen Dank!


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0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 9 – 16 Uhr Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Spendenannahme DO Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Mo. 10 – 13, Sa. 10 – 12 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de

Hansastr. 76 / Wißstr. 11 - 44137 Dortmund Tel./WhatsApp* (0231) 57 21 01 Fax (0231) 55 32 44 - info@apostar-apotheke.de *Bitte beachten Sie bei der Benutzung von WhatsApp unsere Hinweise zum Datenschutz. Diese erhalten Sie in unserer Apotheke oder unter www.apostar-apotheke.de/whatsapp. # Bei Arzneimitteln bezogen auf den EAP (einheitlicher Apothekenabgabepreis bei Verrechnung mit der Krankenkasse). Bei Nichtarzneimitteln bezogen auf den UVP (Unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers). Aus gesetzlichen Gründen keine Rabattierung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Artikeln mit gesetzlicher Preisbindung, sowie Rezeptzuzahlung. Keine Doppelrabattierung bei bereits rabattierten Artikeln.

bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

How to bodo

Wahlprüfsteine

Unsere VerkäuferInnen suchen einen Weg aus der Krise und nehmen ihr Leben wieder selbst in die Hand. Wir begleiten sie dabei, beraten und vermitteln Hilfen. VerkäuferInnen verpflichten sich, Regeln einzuhalten: ein fester Verkaufsplatz, keine Drogen und kein Alkohol, kein Betteln, solidarisches Verhalten untereinander. Sie erhalten einen wetterfesten Ausweis in Form einer Plastikkarte mit Foto, Name und Verkäufernummer. VerkäuferInnen kaufen Magazine in unseren Anlaufstellen für 1,25 Euro und verkaufen sie auf der Straße für 2,50 Euro. Für alle bedeutet ein Verkaufserfolg etwas ganz anderes als ein Almosen – es ist der sichtbare Erfolg ihrer Arbeit.

Wohnen ist ein Menschenrecht! Das Netzwerk „arm in Arm“, dem auch bodo angehört und das Dortmunder Bündnis „Wir wollen wohnen!“, legen im Vorfeld der Kommunalwahl wohnungspolitische Forderungen für den Dortmunder Wohnungsmarkt vor. Unter den drei Kernforderungen „Bezahlbaren Wohnraum schaffen und sozialgerechte Bodennutzung“, „Zugang zu Wohnraum sichern und schaffen“ und „Bezahlbaren Wohnraum erhalten und schützen“ zeigt das Bündnis konkrete Handlungsansätze auf. Die reichen von einem wirksamen Schutz vor Verdrängung bis zur Stärkung des kommunalen Wohnungsbaus. Die ausführliche Fassung der wohnungspolitischen Forderungen finden Sie auf www.bodoev.de.

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Mieter schützen · Mietern nützen!

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Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

Beim Imkerverein zu Hattingen, gegründet anno 1893

Imkern ist keine Hexerei Zwischen Kohle und Stahl denkt man nicht unbedingt an Bienen. So dachte man lange Zeit, denn laut Klischee sind nun mal Taube und Kaninchen die Traditionstiere im Pott. Und, wer weiß, vielleicht war es anfangs wirklich kaum mehr als eine Randnotiz in der Abteilung Sonderlinge, als vor über 125 Jahren in Hattingen ein Imkerverein ins Leben gerufen wurde. Der steht gegenwärtig besser da denn je. Bienen nämlich fliegen sämtliche Herzen zu. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

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eine lange Geschichte macht den Imkerverein Hattingen zu einem Methusalem in der Imkerszene im Ruhrgebiet. Diese hat Nachwuchs. Unter anderem dürfte es an Pia Aumeier liegen. Die promovierte Biologin erforscht seit 1995 das Leben der Honigbienen, betreute siebzehn Jahre lang die Bienenvölker der Uni in Bochum und bildet jährlich etwa sechshundert Neuimker aus. Oder aber am Verein „2010 Königinnen für das Ruhrgebiet“. Erfolgreich nutzten die Initiatoren den Kulturhauptstadtrummel, um junge Menschen fürs Imkern zu begeistern. Bei Vereinsgründung mussten sie noch eine Überalterung der Imkerschaft konstatieren. Oder am „Bienennetzwerk Ruhrgebiet“, einem gemeinsamen Projekt von Umwelt- und Naturschutzverbänden, Imkervereinen und Flächeneigentümern. Oder, oder,… Die Reihe ließe sich fortsetzen. Erstens macht das Imkern offensichtlich Spaß. Und zweitens hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass ein industriell geprägter Ballungsraum wie das Ruhrgebiet und eine naturnahe Betätigung wie das Hegen und Pflegen von Bienenvölkern keineswegs im Widerspruch zueinander stehen. Im Gegenteil, die Stadtimkerei genießt hohes Ansehen. Schließlich gibt es im urbanen Raum unendlich viele Parks, Grünanlagen, Gärten und Balkone. Vom frühen Frühjahr bis tief in den Herbst blüht es hier, finden Bienen Pollen und Nektar aus vielfältigsten Quellen. In Gegenden, die von intensiver Landwirtschaft geprägt sind, sieht das leider anders aus. Dort werden Pflanzen in Mono-

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kultur angebaut. Vor und nach einer oft kurzen Blühperiode droht den Bienen der Hungertod. Hinzu kommen Pestizide, welche auf den bewirtschafteten Flächen ausgebracht werden.

Schwärmende Stadtbienen Ist also Landf lucht die Lösung und sonst alles fein in der Welt von Maja und Willi und summenden Konsorten? „Nicht ganz“, erfahren wir von Susanne Staab, der Vereinsvorsitzenden in Hattingen. „Das Bienensterben nimmt in den Medien zu Recht großen Raum ein. Viele Menschen kommen zu uns und wollen etwas dagegen tun. Die Honigbienenpopulation ist stellenweise allerdings schon so dicht geworden, dass es ökologisch kaum noch sinnvoll ist. Interessant aber ist, wer sonst noch für Bestäubung sorgt. Da ist ein riesiger Pool an Insekten und etliche von denen sind hochgradig gefährdet. Während also die Honigbienendichte zunimmt, stehen Wildbienenarten und andere Insekten vor dem Aussterben. Wir versuchen, das zu vermitteln und dann beispielsweise zu zeigen, wie ein insektenfreundlicher Garten aussehen kann. Viele mögen ja die exotischen, dichtgefüllten Blütenköpfe.

Bienengarten Am Zippe 52a, 45529 Hattingen Offener Sonntag von Mai bis September von 15 Uhr bis 17 Uhr. www.imkerverein-hattingen.de

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REPORTAGE

Oft aber sind es die kleinen, unscheinbaren Blüten, die für Insekten wichtig sind. Zum Beispiel heimische Arten wie Natternkopf oder Herzgespann.“

Im Bienengarten kann man

Zugegeben, deren Blüten setzen keine spektakulären Akzente. Hübsch sind sie allemal. Außerdem locken sie tatsächlich Insekten an. Diese in Ruhe zu beobachten ist nicht minder faszinierend, man kann es im Bienengarten des Hattinger Imkervereins aus nächster Nähe erleben. Bereits 1989 wurde der Garten eröffnet, das Gelände stellte die Stadt zur Verfügung. Die Bienenfreunde sollten einen attraktiven Treffpunkt haben. Von ihnen wird freilich erwartet, dass sie dort Öffentlichkeitsarbeit betreiben, Schul- und Kindergartenkinder einladen und der Bevölkerung ökologische Zusammenhänge vermitteln.

das Imkern lernen, zunächst mit einem Volk „auf Probe“, dann allein. In der Honigerntezeit schmeckt er auch direkt aus der Wabe.

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Das Interesse ist groß. Es lässt sich kaum abschätzen, in wie vielen privaten Gärten ein Ausflug zu den Imkern Spuren hinterlassen hat. Es werden nicht wenige sein. Und oft bleibt es nicht bei einem Besuch. Der Bienengarten hat Stammgäste. Manche gucken einfach nur und genießen die Oase. Wer jedoch richtig Feuer fängt, wünscht sich irgendwann eigene Bienen. Joana Stiehl zum Beispiel. Seit einem Jahr ist sie als


Jungimkerin dabei. Zunächst bekam sie im Bienengarten ein Volk „auf Probe“, um zu schauen, ob es „wirklich passt“. Bei ihren ersten Gehversuchen wurde sie, so ist es üblich, von erfahrenen Imkern betreut. Et fluppte, wie man auf Ruhrdeutsch sagt, und im März war es endlich soweit. „Jetzt bin ich eine richtige Stadtimkerin. Im Mai konnte ich schon den ersten Honig ernten. Zwanzig Kilogramm. Weil ich selbst keinen Garten habe, steht das Volk bei der Nachbarin. Anfangs waren drum herum die Anwohner noch skeptisch. Mittlerweile sind alle positiv gestimmt. Die freuen sich auch über den Honig. Ich muss nur aufpassen, dass die Bienen nicht schwärmen. Wenn sich 20.000 Bienen auf den Weg machen und dann vielleicht beim Nachbarn auf der Veranda hängen, ist es mit der Toleranz vermutlich vorbei.“

Varroa und Wabenhonig Beim sogenannten Schwärmen teilt sich ein Volk. Es beginnt damit, dass die Arbeiterinnen im Stock entscheiden, ein paar der jungen Larven mit dem besonders wertvollen Gelee Royal zu füttern. Das Superfood lässt sie zu Königinnen werden. Die zuerst geschlüpfte tötet sofort ihre Standesgenossinnen, begibt sich auf den Hochzeitsflug und paart sich mit den männlichen Bienen, den Drohnen. Außerdem verlässt die alte Königin den Stock mit einer Hälfte des Volkes, das eigentliche Schwärmen, um eine neue Bleibe zu suchen. Erfahrene Imker erkennen die Vorzeichen und können dem entgegensteuern. Deswegen, aber nicht nur deswegen, sollte man beim Imkern die Bienenvölker im Auge behalten.

herumgesprochen, selbst jenseits der Fachkreise. Wie man ihr am besten begegnet, wird mehr oder weniger heftig diskutiert. „Bei uns halten sich die Grabenkämpfe halbwegs in Grenzen“, meint Susanne Staab. „Letztlich muss jeder für sich entscheiden. Wenn ich es aber schlecht mache, hat das unter Umständen Einfluss auf die anderen. Wenn mein Volk zusammenbricht, werden ja Ressourcen frei. Das ist der Effekt der Natur. Da bedienen sich dann andere Bienen, räubern den Honig und infizieren auf diesem Weg ihr Volk mit der Milbe oder mit anderen Krankheiten. Das birgt schon großes Konfliktpotenzial.“ Jenseits der leidigen Varroa-Problematik gibt es beim Imkern aber auch viele erfreuliche Themen, denen man sich von unterschiedlicher Warte aus nähern kann. Das gilt nicht zuletzt für den Honig selbst. Eine diesbezügliche Traditionalistin im Hattinger Imkerverein ist Helga Herwig-Scheve. Bei ihr könne man lernen, die Natur so zu nehmen, wie sie ist, sagt Susanne Staab. Deswegen gibt es bei Helga Herwig-Scheve Wabenhonig, das ist Honig in seiner natürlichsten Form. Der wird nicht geschleudert. Er kommt, wie ihn die Bienen eingetragen haben, mitsamt der Wabe ins Glas. Das dünne Wachs kann mit verzehrt werden. Liebhaber schwören darauf. Der Honig soll einen intensiveren Geschmack haben, weil er, im Gegensatz zum Schleuderhonig, kaum mit Sauerstoff in Berührung kommt. Und Pollen und mehr wertvolle Enzyme und Fermente soll er ebenfalls enthalten.

„Derzeit schaue ich alle drei bis vier Tage nach dem Rechten“, sagt Joana Stiehl. „Anscheinend glauben meine Bienen gerade, das Schwärmen wäre eine tolle Sache. Aber ich würde sowieso gucken. Das macht man ja gern. Mit der Weidenblüte im März geht es los. Ab da produzieren die Bienen viel Brut und bauen ihren Stock weiter aus. Bis Mittsommer wächst ein Volk kontinuierlich. Im August sind es schon wieder deutlich weniger. Die Bienen legen ihre Wintervorräte an. Den Honig, den wir ihnen jetzt wegnehmen, tauschen wir gegen Zucker aus. Die Tierchen sollen ja nicht verhungern. Ab September hat ein Imker kaum noch was zu tun. Im Spätherbst und im Winter kommt noch die Varroa-Behandlung. Ansonsten lässt man die Bienen in Ruhe.“ Zur Varroa-Milbe forscht auch die eingangs erwähnte Bienenwissenschaftlerin Pia Aumeier. Weltweit gilt die Milbe als bedeutsamster Bienenschädling. Das hat sich

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DAS FOTO

Seit 30. Mai ist das Steinkohlekraftwerk Datteln IV am Netz. Die Kohlekommission der Bundesregierung empfahl, auf die Inbetriebnahme zu verzichten, nur ein Viertel der Menschen in NRW hielt sie für sinnvoll. Mit dem Braunkohletagebau Garzweiler II ist Datteln IV für UmweltaktivistInnen ein Symbol für die verfehlte Energiepolitik des Landes NRW. Hier ein Bild der „Fridays for Future“-Fahrraddemo Ende Juni. Foto: Daniel Sadrowski

MIETEN & WOHNEN

Solidarität statt Dividende von Knut Unger, MieterInnenverein Witten und Umgebung e.V. Die Corona-Krise hat viele Menschen und Unternehmen in finanzielle Schieflagen gebracht. Eine Branche aber hat keine Verluste hinzunehmen: die profitorientierte Wohnungswirtschaft. Bei der Bochumer Vonovia SE haben sich die Aktionäre am 30. Juni eine Dividende von 851 Mio. Euro genehmigt. Bei der LEG soll am 19. August eine Ausschüttung von 248 Mio. Euro beschlossen werden.

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Es ist Geld, das von den Erwerbs- und Renteneinkommen der MieterInnen abgeschöpft wurde – und auch von öffentlichen Sozialleistungen, mit denen Mietzahlungen subventioniert werden. Von den Mieteinnahmen des Jahres 2019 hat Vonovia 37 Prozent an ihre Anleger ausgeschüttet, bei der LEG werden es 41 Prozent sein. Mit anderen Worten: Von jedem Euro Miete flossen im Durchschnitt

37 bis 41 Cent in die Gewinnausschüttung! Für das nächste Jahr streben die Wohnungskonzerne noch höhere Ausschüttungen an. Die Corona-Krise hatte bislang nur sehr geringe Auswirkungen auf die Einnahmen der Wohnungskonzerne. Mit weniger MieterInnen als erwartet mussten Vereinbarungen zum Aufschub der Mietzahlungen getroffen werden. Wohnen muss ein Mensch


KOMMENTAR

Heimatschutzstaffel Von Bastian Pütter

PR-Versagen als Alarmsignal

Wie es vielleicht den meisten Menschen geht, nerven mich Dinge „privat“ und andere „qua Profession“. Als Mensch, Privatperson, Bürger, whatever trage ich Haltungen, Meinungen, Überzeugungen mit mir herum und reibe mich an Haltungen, Meinungen, Überzeugungen anderer. Das ist Diskurs und erstmal wunderbar. Ja, und es gibt auch politische Positionen, die ich für z.B. demokratiegefährend halte. Das ist der private Ärger. Als Journalist nervt mich Unprofessionalität vor allem im Verdecken solcher Haltungen. Ich habe den Anspruch, dass Apparate wenigstens ihre Kommunikation im Griff haben. Wir bewegen uns seit Wochen in einem innenpolitischen Diskurs über Rassismus, extreme Rechte, Polizei und Bundeswehr, in dem ich manche vorgetragene Position ablehne. Das gehört dazu. Wenn aber der Bundesinnenminister eine Studie zu rassistischen Polizeikontrollen mit dem Hinweis verunmöglicht, dass diese doch verboten seien, ist das eine intellektuelle Respektlosigkeit auch meinen KollegInnen gegenüber, die den Blödsinn weitertragen sollen. Wenn sich nach Krawallen eine Stuttgarter Polizei gegen Rassismusvorwürfe verwahrt, dann sollten Polizisten im Einsatz nicht Tondokumente mit der Diagnose „Alles Kanaken“ verschicken und die Social-Media-Abteilung sollte „Deutsche“ nicht in Anführungszeichen setzen, um sie als ethnisch fremd zu markieren. Seit dem Tod von George Floyd torpedieren Polizei-Kommunikatoren und Innenpolitiker in schöner Regelmäßigkeit ihre Absagen an Rassismus mit selbstentlarvenden Äußerungen von haarsträubender Unprofessionalität. Bei der Bundeswehr kann offenbar nicht einmal der für soziale Medien zuständige Oberstleutnant seine Sympathien für die radikale Rechte für sich behalten. Gleichzeitig wird die Idee entwickelt, geprüft und durchgewunken, die Aushebung freiwilliger Hilfstruppen mit dem rechten Kampfbegriff „Heimatschutz“ zu versehen (der NSU ging z.B. aus der Neonazi-Struktur „Thüringer Heimatschutz“ hervor). Da entsteht neben Fremdscham auch so etwas wie Sorge. Wer den Elefanten im Raum nicht sieht, ist vielleicht der Elefant. Institutionellen Rassismus und bislang geduldete extrem rechte Haltungen in staatlichen Strukturen irgendwann loszuwerden, ist so etwas wie eine private Utopie. Ein Erkenntnislevel, auf dem deutsche Innen-, Polizei- und Wehr-PR sich nicht mehr lächerlich macht bei der kommunikativen Verleugnung der Probleme, ist so etwas wie ein frommer Wunsch als Journalist.

ja immer. In Witten liegen die Mieten, die Vonovia bei einer Neuvermietung oder nach einer Modernisierung verlangt, zum Teil mehr als 40 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Nebenbei verdienen die Konzerne an Rechnungen, die sie innerhalb ihrer Firmengeflechte an sich selbst schreiben, um sie als Betriebs- oder Modernisierungskosten auf die MieterInnen umzulegen. Von blumigen Worten der Vorstandsvorsitzenden und ein paar Spenden darf man sich nicht blenden lassen. Selbst regulieren

wird sich die Branche nicht. Nur der Gesetzgeber kann der Geschäftemacherei auf dem Rücken der MieterInnen und Städte Einhalt gebieten. Zum Beispiel, indem er auch in NRW eine Mietobergrenze für alle Wohnungen festsetzt und hohe Mietengewinne stark besteuert, damit die Folgekosten der Krise im Wohnbereich solidarisch aufgefangen werden können.

DIE ZAHL

60.000 Schuss Munition sind in den vergangenen zehn Jahren bei der Bundeswehr verschwunden. In mehr als 100 Fällen bei Bundeswehr und Polizei gibt es keinerlei Hinweise auf den Verbleib von Dienstwaffen. Dazu kommen 48.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff, die beim Kommando Spezialkräfte (KSK) nicht auffindbar sind. Die Verteidigungsministerin hatte zuletzt nach einer Häufung extrem rechter Vorfälle die Auflösung einer KSK-Kompanie angekündigt.

Knut Unger ist Sprecher des MieterInnenvereins Witten und der Plattform kritischer Immobilienaktionär*innen

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INTERVIEW

„Wohnungslosigkeit tritt ein, wenn keine Wahl mehr da ist“ Wohnungslose sind häufig mit Unverständnis und Schuldzuschreibungen konfrontiert: „Wohnen kann doch jeder.“ Man glaubt, bei Wohnungslosen müsse etwas ganz anders sein als bei mir oder dir, das stimmt aber nicht. Tatsächlich sind bei ihnen überaus ungünstige Faktoren so zusammengetroffen, dass es am Ende keine Optionen mehr gab und der Wohnungsverlust unausweichlich wurde. Materielle Ursachen sind ein Hauptgrund: 80 Prozent der Menschen verlieren am Ende ihre Wohnung, weil sie die Miete nicht zahlen können. Großen Einfluss hat, wie erreichbar und wie sichtbar das Hilfesystem ist, und wie präventiv es arbeitet. Und dann sind es persönliche Faktoren, die zum Beispiel gesundheitlicher Art sein können. Am Ende sind die Selbsthilfekräfte erschöpft. Solange die Menschen eine Wahl haben, treffen sie die vernünftigsten Entscheidungen, die man in einer schwierigen Lage treffen kann. Wohnungslosigkeit tritt ein, wenn keine Wahl mehr da ist.

Ihr Forschungsprojekt hat so etwas wie einen Gesamtüberblick über die Situation der Wohnungslosenhilfe in Deutschland erstellt. Wie sind Sie vorgegangen? Als erstes haben wir eine Onlinebefragung bei einem repräsentativen Ausschnitt an Kommunen gemacht und dort die Verwaltungen, aber auch alle freien Träger und alle Jobcenter befragt. Daraus können wir ganz gut schließen, wie sich die Hilfeangebote und die Notlagen verteilen. Der zweite Schritt war eine Vertiefungsstudie, in der wir zwölf Hilfesysteme detailliert angeschaut haben. Wir haben mit allen AkteurInnen vor Ort gesprochen und uns Verfahren, Abläufe und Strukturen erklären lassen. Denn ein wichtiges Ziel der Untersuchung war es, Ansatzpunkte für Verbesserungen zu finden. Der dritte Teil bestand aus Interviews mit Menschen, die wohnungslos waren und solchen, die ihre Wohnungslosigkeit überwunden hatten – mit dem gleichen Ziel: Wir wollten wissen, was hat bei

Die Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose in Dortmund ist wichtiger Anlaufpunkt für Menschen, die keine Wohnung (mehr) haben. Priorität sollte jedoch die Abwendung von Wohnungsverlust haben, sagt Jutta Henke.

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Jutta Henke ist Geschäftsführerin der Bremer Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS). Das Forschungsinstitut hat in einer bundesweiten Studie Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit untersucht und Strategien entwickelt, sie zu beenden oder noch besser: sie abzuwenden. Von Bastian Pütter | Fotos: GISS, Sebastian Sellhorst

der zweiten Gruppe funktioniert, das bei anderen nicht geklappt hat. Wir halten es für einen Fehler, nur auf die sichtbare Problematik zu gucken, weil die Problemlösungen dort genau nicht gefunden werden. Lösungen findet man vor dem Wohnungsverlust oder danach: z. B. in der Wohnungsversorgung und langfristigen Absicherung. Zur Frage des „Davor“ haben Sie ein Plädoyer veröffentlicht, in dem Sie fordern, den Fokus auf die Vermeidung von Wohnungslosigkeit zu verschieben. Wie soll das aussehen? Indem man die Hilfen für Menschen auf der Straße ausbaut, verliert man aus den Augen, wo die Problemlösung liegt. Einer unserer Befunde ist, dass die präventiven Hilfesysteme viel weniger sichtbar sind, als sie selbst glauben. Dort glaubt man, die Leute warten und verlieren Zeit. Das stimmt nicht. Sie wissen oft nicht, welche Hilfe es wo gibt. Das heißt für das System, es muss sich erstens so sichtbar wie möglich machen. Es muss deutlich gemacht werden, dass eine Stadt Wohnungslosigkeit verhindern will. Das muss sie zeigen, dafür muss sie eine Homepage haben, Anzeigen schalten, Flyer drucken usw. Das volle Programm. Und das zweite ist: Sie muss ihre Instrumente nutzen. Ein Ergebnis der Untersuchung war, dass der Einsatz von persönlicher Unterstützung zur Wohnungssicherung längst nicht in dem Umfang genutzt wird, wie es möglich wäre. Es gibt beispielsweise das Betreute Wohnen, auch in NRW, doch das wird häufig nur nachgehend, also nach dem Wohnungsverlust, eingesetzt. Viel wirkungsvoller wäre es, diese Leistung schon im Vorfeld zu installieren, um den Wohnungsverlust abzuwenden. Unvermeidbare Wohnungsverluste gibt es viel weniger, als man glaubt. Sie betonen in Fragen der Prävention besonders die Rolle der Jobcenter. Ein wirklich überraschender Befund in der Untersuchung war, dass die Jobcenter die Institutionen sind, die als erste von den Menschen selbst über die Notlage erfahren. Da ist ein echter Knackpunkt. Wir haben das auch in vielen Interviews gehört. Die Menschen, vor allem wenn sie im Leistungsbezug

Jutta Henke, Geschäftsführerin der Bremer Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS)

sind, wenden sich logischerweise zuerst an die Stelle, die für ihr Einkommen zuständig ist, und das sind die Jobcenter. Die Betroffenen kennen aber die Verfahren nicht, und deshalb sagen sie nicht: „Ich möchte einen Antrag auf Übernahme meiner Mietschulden stellen“, sondern sie sagen: „Ich kann meine Miete nicht zahlen, ich hab‘ kein Geld.“ Das wird im Gespräch möglicherweise wahrgenommen, aber oft nicht als Anzeige einer gravierenden Notlage. In so einem Fall gehen die Leute unverrichteter Dinge und denken, es gibt keine Möglichkeit der Problemlösung. Die Kommunen müssen sich mit den Jobcentern über Wege des Informationsaustauschs verständigen. Informationen dürfen dort nicht versickern. Wir raten darüber hinaus dazu, dass die Jobcenter einen präventiven Auftrag bekommen. Dass Wohnungssicherung Vorrang hat, sollte im Gesetz stehen. Auf keinen Fall kann man diese Chance aus der Hand geben.

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INTERVIEW

In Ihrer Studie stellen Sie Ungleichheiten bei der Versorgung von Männern und Frauen fest. Ja. Es gibt insgesamt recht gut ausgebaute Hilfesysteme für Menschen, die bereits wohnungslos geworden sind. In diesen Systemen fehlen aber spezielle Angebote für Frauen, was dazu führt, dass Frauen auf die Inanspruchnahme von Hilfen verzichten. Das muss man ändern. Bei den Männern liegt die Ungleichbehandlung bei der Prävention. Männern wird mehr zugetraut, aber auch mehr zugemutet. Wir halten das für falsch, weil gerade die Gruppe der alleinstehenden Männer hohe Risiken hat. Dem müsste man eigentlich begegnen. Es ist unbestritten, dass Frauen einen hohen Schutzbedarf haben. Sobald man aber den Gedanken umdreht und sich fragt, ob Männer etwa keinen Schutzbedarf haben, wird einem klar: Das stimmt nicht. Ein Aspekt dieser „Zumutungen“ für Männer sind die Notunterkünfte, deren Nutzung oft die Bedingung ist, um weitere Hilfen zu bekommen. Sammelunterbringung ist von allen Formen der Versorgung die schlechteste. Wir hoffen, dass die Kommunen aus der Pandemie die Lehre ziehen, sich stärker in Richtung Einzelunterbringung zu orientieren.

Jutta Henke Wie lässt sich Wohnungslosigkeit verhindern? Ein Plädoyer. ISBN: 978-3-7841-3267-9 Soziale Arbeit Kontrovers 23 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge 64 S. | 9 Euro

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Schaut man auf das „Danach“ von Wohnungslosigkeit, stößt man unweigerlich auf die sich auch in unserer Region weiter schließenden Wohnungsmärkte. Zur Beendigung von Wohnungslosigkeit braucht es nun mal Wohnungen. Eine erfolgreiche Strategie ist eine Eins-zuEins-Vermittlung. Die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter machen das bei der Jobsuche unter dem Stichwort „bewerberorientierte Vermittlung“. Die gilt Menschen, die besonders viele Hemmnisse haben und bei denen klar ist: Wenn sich ein Arbeitgeber unter einer Zahl möglicher Bewerber eine Person aussucht, dann nicht diese. Damit auch diese Person eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommt, muss man die Logik umdrehen und sagen: Ich will genau diesen Bewerber oder diese Bewerberin in Arbeit vermitteln. Übertragen auf die Wohnraumversorgung heißt das: Solange Vermieter am Markt auswählen können, entscheiden sie sich zwangsläufig gegen den Wohnungslosen. Wer will, dass sich diese Menschen mit Wohnraum versorgen können, muss Energie hier investieren: bürgen, absichern, begleiten. Man unterschätzt schnell, wie viel Wohnraum auf diese Weise erschlossen werden kann. Durch aktive Begleitung, Intervention und im Zweifel auch Unterstützung des Vermieters lässt sich oft erreichen, dass eine bestimmte Person einen Mietvertrag erhält. Die NRW-Landesregierung unterstützt inzwischen den Housing-First-Ansatz, die umweglose Vermittlung von der Straße in Normalwohnverhältnisse. Dabei werden Träger zum Erwerb und der Vermietung von Wohnraum ermutigt. In der Praxis scheitert das – auch bei uns – an fehlenden Mitteln. Deshalb sind die Erfolgszahlen insgesamt überschaubar. Auch bei Housing First unterschätzt man schnell die Mengeneffekte. Denn wenn ein Träger eine Wohnung langfristig immer wieder an den gleichen Personenkreis vergeben kann, hat das durchaus Auswirkungen. Die kleinen Zahlen sind nichts Schlimmes. Bessere Möglichkeiten haben etwas institutioneller aufgebaute Wohnraumagenturen, die mal mit Kauf, mal mit Zwischenvermietung arbeiten oder eben Maklerangebote machen. Größere Chancen haben natürlich Kommunen, die Geld einsetzen könnten, um Wohnraum speziell für diesen Personenkreis zu sichern, oder – das machen inzwischen viele – Einfluss auf den Neubau nehmen, immer mit dem gleichen Ziel: die benachteiligende Logik am Wohnungsmarkt auszuhebeln und auch die Menschen ohne Marktchancen mit Wohnraum zu versorgen.


BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Nichts gelernt? Der spezifische Rassismus gegenüber Sinti und Roma ist ein historisch erstaunlich stabiles Konstrukt von Stereotypen. Wie jede Form von Rassismus kommt er gut ohne sein Objekt aus: Man muss „die“ nicht kennen, um zu wissen, wie „die“ sind. Die EU-Neuzuwanderung vor allem aus Rumänien und Bulgarien hat die uralten Vorurteilsstrukturen aktualisiert. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, das unter anderem intensiv zur sogenannten Armutsmigration und ihrer medialen Bearbeitung forscht, nähert sich interdisziplinär und mit Texten aus Theorie und Praxis der „Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus“. „Nichts gelernt?!“ hat die typischen Stärken und Schwächen eines Sammelbandes. Das Buch bietet ein Kaleidoskop von Zugriffsebenen: vom Praxisfeld sozialer und Bildungsarbeit mit EU-NeubürgerInnen über aktivistische Positionen, medien- und diskursanalytische Texte bis zu Theorietexten wie der Agamben-Kritik des Herausgebers oder einer Nutzbarmachung von Adorno / Horkheimer für eine kritische Theorie des Antiziganismus durch Markus End. Der liebevoll gestaltete Band ist somit kein Handbuch, aber ein spannender Blick auf die Facetten eines so wirkmächtigen wie verdrängten Ressentiments. Katharina Peters, Stefan Vennmann (Hg.) Nichts gelernt?! Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus ISBN: 978-3-935673-46-4 Situationspresse | 211 S. | 18 Euro

Herberge für alle Im vergangenen Oktober erzählten wir in einer Titelgeschichte das Leben des „Königs der Vagabunden“. Gregor Gog war Anarchist, Bürgerschreck, Chefredakteur des Vorläufers aller Straßenzeitungen und Organisator des „Ersten internationalen Vagabundenkongresses“ 1929 – eine Reminiszenz an letzteren findet in diesem Monat in Berlin statt. Anfang dieses Jahres ist ein aufwendig gestalteter Band erschienen, der „Texte, Bilder und Dokumente einer Alternativkultur der Zwanziger Jahre“, der Vagabundenbewegung um Gregor Gog und den Dortmunder Maler Hans Tombrock, um Jo Mihàly, Artur Streiter und Rudolf Geist versammelt. Herausgegeben haben ihn Hanneliese Palm, die ehemalige Leiterin des Dortmunder Fritz-Hüser-Instituts, das auch die Nachlässe Gogs und Tombrocks sowie unzählige Materialien der Vagabundenbewegung bewahrt, gemeinsam mit Christoph Steker, Programmleiter im C. W. Leske Verlag. Der Band ist gleichzeitig Einführung, Quellensammlung und „Bilderbuch“ einer eigensinnigen Bewegung zwischen Kunst, Lebensreform und Revolte: „Wo der Bürger aufhört, beginnt das Paradies.“ Hanneliese Palm, Christoph Steker (Hg.) Künstler, Kunden, Vagabunden. Texte, Bilder und Dokumente einer Alternativkultur der zwanziger Jahre ISBN: 978-3-946595-08-3 C.W. Leske | 240 S. | 28 Euro

Allen geht es gut Irgendwie ist die Zukunft da. Und so richtig großartig ist sie nicht. Während die Klassiker der Science Fiction – das waren meist Männer – technologische Entwicklungen vorwegnahmen und auf Gesellschaften der Zukunft anwandten, ist vieles davon heute Realität. Klimawandel, algorithmenbasierte Regierungstechnologien und, naja, Pandemien als Achillesferse der globalisierten Menschheit sind Gegenwart, die dystopische Zukunft lässt sich in der eigenen Lebenspanne verorten. Das machen in Romanform zunehmend Frauen, aus mehr oder weniger dezidiert feministischen Positionen. Sandra Newman mit „Ice Cream Star“ und Christina Dalcher mit „Vox“ in den USA etwa, auf Deutsch zum Beispiel Karen Duve mit „Macht“, Juli Zeh mit „Leere Herzen“ und natürlich Sibylle Berg. Zoë Beck hat nach „Die Lieferantin“ (bodo 9/17) mit „Paradise City“ einen weiteren klugen Thriller verfasst, der – vor Corona geschrieben – die Gegenwart aus Erderwärmung, Pandemie, Gesundheitstracking und Wohlfühl-Überwachung nur leicht weiterdreht, um in einem spannenden Plot grundsätzliche Fragen zu Technologie, Demokratie und Selbstbestimmung zu stellen. Zoë Beck | Paradise City ISBN: 978-3-518-47055-8 Suhrkamp | 280 S. | 16 Euro

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

ECHTES LABKRAUT

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ie können sich ja mal an einem heißen Sommertag als Braunbär verkleidet in die Fußgängerzone stellen, mit Gurken jonglieren und dabei jodeln. Irritierte Blicke dürften Ihnen sicher sein. Solche Blicke spüre auch ich gelegentlich hinter meinem Rücken, wenn ich unterwegs bin, im stadtnahen Grün Wildkräuter zu ernten.

REZEPT 1 Handvoll Blütenstände vom Echten Labkraut mit 100 ml Korn übergießen und 2 Stunden zugedeckt ziehen lassen. Derweil 50 g Zucker in 125 ml Wasser aufkochen lassen und sprudelnd um ca. 1/3 reduzieren. Abkühlen lassen. Das Labkraut abseihen, dabei auch die Blüten ausdrücken, die Flüssigkeit auffangen, mit dem abgekühlten Sirup mischen und kaltstellen. Vor dem Servieren 0,75 l trockenen Weißwein und 0,4 l trockenen Sekt (beides gut gekühlt) angießen und Beeren (zum Beispiel Him-, Bromoder Walderdbeeren) zugeben.

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Ebenso exotisch ist es wohl, das fühle ich ebenfalls, auf dem Bürgersteig kniend ebendort sprießende Löwenzahn- oder Breitwegerichpf länzchen zu fotografieren. Meist habe ich, wenn ich draußen bin, einen Fotoapparat in der Tasche, egal, ob ich was zum Essen suche oder einfach nur flaniere. Es ist keine Profikamera, mehr so eine in die Jahre gekommene Knipse, die den überwiegenden Teil selber macht, wenn ich den Auslöser drücke. Im Nahbereich ist sie dabei recht gut. Für meine Zwecke reicht das. Anfangs habe ich nur die Kräuter fotografiert. Manchmal realisierte ich erst später beim Anschauen, dass während der Aufnahmen irgendwelches Getier an den Pflanzen herumgekrabbelt war. So eine geflügelte Blattlaus an einem Brennnesselstängel kann als ungemein zartes und anmutiges Wesen in Erscheinung treten. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, das wusste bereits der altgriechische Gelehrte und Stratege Thukydides. Ich glaube, das hängt irgendwie zusammen: Blattläuse schönfinden können und mit Wildkräutern kochen. Voraussetzung für beides ist ein bewusster Umgang mit Natur und Umwelt. Umweltbewusste Menschen, das hat eine kürzlich von Forschern der University of Edinburgh veröffentlichte Studie ergeben, seien im Schnitt besonders offen, wissbegierig, experimentierfreudig und fantasievoll. Es tut gut, diese Studie zu lesen, unter anderem stärkt es den Rücken gegen die erwähnten Blicke hinter selbigem.

Galium verum

Beim Bestimmen der Insekten hilft das Internet, zudem liefert es Geschichten dazu. Mein bisheriger Favorit ist der Trauer-Rosenkäfer, eine markante Erscheinung, glänzend schwarz gefärbt mit weißen Punkten und einer struppigen, ebenfalls weißen Behaarung vornehmlich an der Unterseite. Hierzulande ist er einer der wenigen Profiteure des Klimawandels. Um die Jahrtausendwende gab es ihn nur in Bayern. Dort war er vom Aussterben bedroht. Jetzt lebt er auch bei uns und die Bestände haben sich erholt. „Mein“ Exemplar saß auf einer Brombeerblüte. Reife Brombeeren oder andere Wildfrüchte benötigen Sie für die nebenstehende, würzige Bowle mit Echtem Labkraut.

Wie andere Galium-Arten enthält das Echte Labkraut das Labferment, das bei der Käseherstellung genutzt wurde. Für die Herstellung von englischem Chesterkäse wird das Kraut noch heute verwendet. Die Farbstoffe der Blüten geben dem Chesterkäse seine gelblich-orange Farbe und sind verantwortlich für den besonderen Geschmack. In Schottland wird das Echte Labkraut noch heute als Färbemittel eingesetzt. Die Wurzeln färben rot, die Blüten gelb.


KULTUR

Schöne Kunst in neuen Räumen Mit der Wiedereröffnung nach der Corona-Zwangspause hat das Kunstmuseum Bochum die frisch sanierte Villa Marckhoff-Rosenstein gleich mit geöffnet – weil an eine Eröffnung mit vielen Menschen gerade ja nicht zu denken ist. Man sollte das Licht der schönen Sommertage nutzen und sie sich anschauen: Der neue Ausstellungstrakt ist wunderschön geworden. Nicht nur die Werke aus der eigenen Sammlung, die dort die neue Dauerausstellung „Sichtbar“ bilden, auch ihre Präsentation überzeugen. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

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as gesamte Museum am Bochumer Stadtpark steht dieses Jahr im Zeichen der eigenen Sammlung: Bis Anfang Juli war die Schau „Der Bildhauer Heinz Breloh“ mit den Werken des 2001 verstorbenen Künstlers zu sehen, dem sich das Haus seit über 25 Jahren widmet. Sein berühmtestes Projekt sind die Lebensgröße-Skulpturen, die er mit Einsatz seines gesamten Körpers geformt hat, um die Distanz zwischen Künstler und Plastik zu eliminieren. Diesem Prinzip ähnlich sind die Arbeiten des Bildhauers Abraham David Christian, dem die aktuelle große Ausstellung im Oberlichtsaal gewidmet ist. Ihr Titel, „Erde“, bezieht sich auf die frühe Herangehensweise des Künstlers, im engen Kontakt mit seinem Material zu arbeiten: Er lag auf der Erde, kroch über sie, hielt sich in Höhlungen auf, ließ sich in sie eingraben. Als er 19-jährig zur 5. documenta 1972 in Kassel eingeladen wurde, isolierte er sich 30 Tage auf der Fulda-Insel und organisierte sein Leben durch Skulpturen, die ihm etwa den Weg zum Wasser zeigten. Zwei Jahre nach der documenta führte er eine Körperperformance in der Bochumer Galerie Inge Baecker auf, die der Fluxus-

bewegung nahe stand – und hält bis heute einen guten Kontakt zur Ruhrgebietsstadt. „Neben New York und Tokio habe ich wohl nirgendwo sonst auf der Welt so viel ausgestellt wie in Bochum“, sagt er. Beherrscht wird die Schau von der mehrteiligen Erdskulptur „Selbst“, die das Bochumer Museum 1978 vom Krefelder Haus Lange angekauft hat und die aus großen Würfeln und Platten aus getrocknetem Lehm besteht. Eine spätere Skulptur – diesmal aus Eisen – steht in den neuen Räumen, die man sich unbedingt ansehen sollte. Man gelangt über einen Gang im Obergeschoss in die Villa Marckhoff, die die eigentliche Urzelle des Museums darstellt. Den Räumen ist ihre Wohnungsarchitektur noch anzusehen, was dem Kunsterlebnis einen intimen Charakter gibt. Alle sind strahlend weiß und von Tageslicht durchflutet, das durch die umliegenden Bäume in die Fenster dringt. ​ mwerfend schön ist der „Raum der Stille“, U in der ein Triptychon Ulrich Erbens eine Verbindung zu einem Nagelbild Günther Ueckers und einer Skulptur Abraham David Christians eingeht, die wie mit einfachen Gesten geformt aussieht. Sie lässt an archaische Kunst denken, an alte Skulptu-

ren aus dem asiatischen oder afrikanischen Raum. Hier könnte man sich hinsetzen und über die Bedeutung nicht-figurativer Kunst meditieren. Nicht weniger beeindruckend ist der „Raum der Farbe“ mit großen Gemälden Kuno Gonschiors und Chen Ruo Bings. Dass das Museum auch großartige Werke von Gerhard Richter, Andy Warhol und Francis Bacon besitzt, verwundert dann auch nicht mehr. 23


Kalender August | September | 2020

Kino, Kunst, Konzerte, Kabarett – viele Kulturveranstaltungen sind unter den aktuellen Bedingungen wieder möglich. Oft sind die Besucherzahlen begrenzt und es gibt besondere Abläufe für Anmeldung und Einlass sowie Verhaltensregeln am Veranstaltungsort. Für die freie Kulturszene und für die meisten Veranstalter bleiben es schwierige Zeiten. Trotz allem freuen wir uns, dass wieder eine ganze Palette spannender Live-Veranstaltungen unseren Kalender füllt. Wir wünschen einen schönen Kultur-Sommer!

SA 01 | 08 | 20 LIVE | Familie | PSD ParkSommer Noch bis zum Ende der Sommerferien (9.8.) erwartet Familien im Westfalenpark in Dortmund ein umfangreiches Angebot für Spiel und Spaß: Basteln, Slackline, Sportaktivitäten oder Open-Air-Shows. Die Aktionen finden auf den großen Wiesen, rund um das Regenbogenhaus, am neuen Teehaus und an vielen Stellen mehr statt. Sie sind als offenes Angebot, aber mit begrenzter TeilnehmerInnenzahl geplant – unter Einhaltung der Vorgaben zum Infektionsschutz. Der Parkeintritt ist auf zwei Euro reduziert, und Kinder bis 14 Jahren haben freien Eintritt in den Sommerferien. Die Aktionen sind kostenlos. Infos: www.psd-parksommer.de Westfalenpark, Dortmund LIVE | Kinder | Kunstworkshops Die Kunstworkshops des Museums Ostwall im Dortmunder U bieten Kindern die Mög-

lichkeit, kreativ zu werden und ungewöhnliche künstlerische Techniken auszuprobieren. Im Zuge der aktuellen Sammlungspräsentation „Body & Soul. Denken, Fühlen, Zähneputzen“ geht es um die Beschäftigung mit Körperbewegung und der eigenen Körperwahrnehmung. Folgende Workshops werden angeboten: „Mein Körper, mein Ich – Wer bestimmt, wer ich bin?“ (1.8., 11 – 14 Uhr), „Körper, Geist und Emotion – Was Farbe zeigen kann“ (4.8., 15 – 18 Uhr), „Stopptanz und Aktion – Kunst und Körperbewegung“ (6.8., 11 – 14 Uhr), Kunst Jogging (8.8., 15 – 18 Uhr. Die Teilnahme kostet 8 Euro. Info und Anmeldung unter: mo.bildung@stadtdo.de Museum Ostwall, Dortmund LIVE | Audio-Installation | „Dora war nicht im Widerstand“ Dora, 45 Jahre alt, dreifache Mutter und alleinige Versorgerin: Sie war eine von Millionen „durchschnittlichen Deutschen“ der Nachkriegszeit. Zwei Studierende der Fach-

hochschule Dortmund haben sie nun zum Sprechen gebracht: Jan und Sophia Firgau haben sich für ihre Abschlussarbeit im Studiengang „Szenografie und Kommunikation“ an der FH Dortmund am Beispiel ihrer Urgroßmutter mit der Rolle der zahlreichen Mitläuferinnen und Mitläufer und dem Fortbestehen der NS-Ideologie in der Nachkriegszeit beschäftigt. Entstanden ist eine Audio-Installation, die noch bis 11. August zu sehen ist. Eintritt frei. Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Dortmund LIVE | Ausstellung | Der kuratierte Kleiderschrank / Zwischen Modelust und Modefrust Wie kann man im Wissen um vorherrschende Probleme, von Umweltverschmutzung und Arbeitsbedingungen der Textilindustrie, den Spaß an Mode und schönen Dingen behalten? Die UZWEI bietet Raum für die Debatte und Auseinandersetzung mit der eigenen konkreten Lebenswelt. Sind DIY, Se-

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Juicy Beats Park Sessions

bis 29. August Westfalenpark Dortmund Festwiese

Mit dem Festivalsommer 2020 ist auch das Dortmunder Juicy Beats ins Wasser gefallen. Statt an zwei Tagen mit internationalen Acts und 50.000 BesucherInnen lädt das Festival-Organisationsteam, gemeinsam mit Dortmunder Clubs, VeranstalterInnen und Kulturschaffenden zu abendlichen Park Sessions auf der Festwiese im Westfalenpark – und mit maximal 350 Gästen vergleichsweise klein und gemütlich. Das Programm ist in der ausgedehnten Juli-AugustVariante ähnlich vielfältig wie beim ZweitagesPendant: Auf dem Programm stehen DJ Sets und Konzerte ‑ zum Beispiel von Waving the Guns (29.8.) und Kapelle Petra (Foto, 28.8.), Comedy und Poetry Slam. Außerdem sind Familienkonzerte und, immer dienstags bis donnerstags nachmittags, ein eigenes Programm für Kinder in Arbeit. Infos zum Programm, Tickets und Corona-Bestimmungen: parksessions.juicybeats.net

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gezeigt. Bis 16.8., Reservierung erforderlich, Infos: www.lichtkunst-unna.de Zentrum für Internationale Lichtkunst, Unna LIVE | Ausstellung | Gil Shachar – The Cast Whale Project Nach jahrelangen Vorarbeiten und der Überwindung vielfältiger Schwierigkeiten zeigt der israelische Bildhauer Gil Shachar, der seit 1996 in Deutschland lebt und arbeitet, sein bislang ambitioniertestes Ausstellungsprojekt erstmals der Öffentlichkeit: Die lebensgroße Abformung eines Wals, der gestrandet ist und auf natürliche Weise ums Leben kam. Gil Shachar, bekannt für seine hyperreal anmutenden Abformungen von menschlichen Köpfen oder Körperfragmenten, erhielt die Idee zu diesem Projekt in einem Traum. Seitdem verfolgt er dessen Realisierung, die körperliche Totalität dieses größten auf der Erde lebenden Säugetiers in eine künstlerische Form zu überführen. Im Jahre 2018 gelang ihm dies mit der Abformung eines in Lambert’s Bay, Südafrika, gestrandeten, vierzehn Meter langen Buckelwals. Direkt am Strand nahm er zusammen mit einem Team von südafrikanischen Künstlern und Präparatoren einen ersten Abguss, der später in einer südafrikanischen Werkstatt in Epoxydharz gegossen und schwarz gefärbt wurde. Bis 25.10., Infos: www.kunstmuseumbochum.de Kunstmuseum Bochum

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So einfach geht Kultur.

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LIVE | Film | Capitol feiert 125 Jahre Kino Zur Feier von 125 Jahren Kino zeigt das Capitol in Bochum Klassiker der Filmgeschichte. Am 1.8. läuft „Scarface“ mit Al Pacino. Weitere Filme wie „Tanz der Vampire“, „Pulp Fiction“, „...denn sie wissen nicht, was sie tun“, „The Big Lebowski“, „My Fair Lady“, 25


KALENDER

„Matrix“, „Ferris macht blau“, „Gladiator“, „Harold und Maude“ und viele andere stehen ebenfalls auf dem Programm. Infos: capitol-bochum.de Capitol, Bochum, 17 Uhr (auch 20.30 Uhr) LIVE | Film | PSD Bank Kino Die Vorbereitungen für das PSD Bank Kino 2020 sind trotz Covid-19 im vollen Gange. Unter Einhaltung der Auf lagen wird es auch in diesem Sommer (30.7. – 23.8.) wieder spannende Kooperationen und unzählige Film-Highlights auf der Seebühne im Westfalenpark geben. Das genaue Programm stand zum Redaktionsschluss noch nicht fest, wird aber unter www.psd-bankkino.de veröffentlicht. Seebühne im Westfalenpark, Dortmund ONLINE | Clubs | Party im Wohnzimmer Zahlreiche Clubs bieten in der CoronaKrise außergewöhnliche Formate an und bringen die Party oder das Konzert direkt ins Wohnzimmer. Clubs wie zum Beispiel die Rotunde Bochum, die Trompete in Bochum, der Rekorder in Dortmund oder die Anzeige

Großmarktschänke in Dortmund laden regelmäßig zur gestreamten Party mit ihren Club-DJs. Darüber hinaus gibt es Talks, Comedy-Online-Übertragungen etc. Es lohnt sich also, die Homepages und anderen Kanäle der Clubs in der Region im Auge zu behalten, um die Party ins eigene Wohnzimmer zu verlagern und die Clubs gleichzeitig zu unterstützen.

MO 03 | 08 | 20 LIVE | Film | Fiege Kino Open Air: A Star is born Am 3.8. zeigt das Fiege Kino Open Air „A Star is born“ mit Bradley Cooper und Lady Gaga in den Hauptrollen. Im WarmUp-Programm vor dem Film wird Toeppel Butera zu sehen sein. Weitere Termine und Infos: fiegekino.de Brauhof der Fiege Brauerei, Bochum, 20 Uhr

FR 07 | 08 | 20 LIVE | Kultur | spaces_Ein Kultur Blind Date In Witten haben sich das Kulturforum und die Werkstadt nun ein ganz besonderes Projekt ausgedacht, um Kulturschaffende, Kulturorte und Kulturinteressierte coronakonform zusammenzubringen: spaces_Ein Kultur Blind Date. Der genaue Ort wie auch das Programm bleiben bis zuletzt unbekannt – von Theater über Musik bis zu Performance ist alles möglich. Weitere Termine und Infos: www.werk-stadt.com Innenstadt, Witten, 20 Uhr

FR 07 | 08 – SO 09 | 08 | 20 LIVE | Festival | Visual-Sound Outdoor Die Parzelle im Depot veranstaltet das Visual Sound Outdoor Festival unter freiem Himmel im Hof an der Ostseite des Kulturorts Depot. Pro Abend sind zwei Projekte eingeladen. Mit dabei sind Velvet Attack, Jason Pollux, SPOT, Mariá Portugal & Gäste, Dixon Ra Band und Moniek Smeets. Eine Kartenvorbestellung ist notwendig, da es nur begrenzte Plätze gibt. Infos: www.licht-schatten-projekte.de outdoor, Hof Ost – Kulturort Depot, Dortmund, jeweils 19 Uhr

SO 09 | 08 | 20 LIVE | Film | Met Opera Sommer-Opernfestival Bayreuth, Verona, München – alle Sommerfestivals sind abgesagt. Alle? Nicht im CasablancaKino. Dort können die ZuschauerInnen auf der großen Kinoleinwand in bestechender Bild- und Tonqualität die Metropolitan Opera mit dem Sommer-Opernfestival 2020 erleben. Am 9.8. zeigt das Casablanca Parsifal, 26

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am 23.8. La Bohème und am 6.9. La Traviata. Infos: www.casablanca-bochum.de Casablanca, Bochum, 18 Uhr

MI 12 | 08 | 20 LIVE | Musik | Tatort Jazz „Summer Jazz“ Zusammen mit der Tatort Jazz Hausband präsentieren an diesem Abend zwei Solisten ihre Musik jeweils im eigenen Set. Altfrid Maria Sicking ist hauptberuflich VibrafonSolist in der Götz-Alsmann-Band. Daneben ist er Dozent an der Musikhochschule und Universität Münster. Ausgebildet in Wien und an der Amsterdamse Hogeschool voor de Künsten bei u.a. Deborah Brown, verfügt Anne Hartkamp über eine reiche Vielfalt an stimmlichen Möglichkeiten und bewegt sich mit Anmut und Meisterschaft auch in komplexen musikalischen Zusammenhängen. Der Eintritt ist frei. Eine Reservierung ist erforderlich: www.bahnhof-langendreer.de Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr LIVE | Slam | Open Air Poetry Slam #5 Wenn draußen Sonne und blauer Himmel bis weit in die Nacht um die Wette strahlen, dann wollen sie natürlich dabei sein. Dafür haben die MacherInnen von WortLautRuhr einen schönen Ort als Bühne gefunden, wo relaxte Atmosphäre und der raue Charme des Ruhrpotts zusammenpassen wie Vanilleund Schokoladeneis: Das JunkYard. Dort in der Dortmunder Nordstadt veranstalten sie im August einen großen Open Air Slam, bei dem sie natürlich nur ihre Lieblings-SlammerInnen eingeladen haben, damit sie in der Sonne glitzern. Dazu gibt es chillige Snacks und relaxte Drinks. JunkYard, Dortmund, 20 Uhr

FR 21 | 08 | 20 LIVE | Kabarett | RuhrHOCHdeutsch: Wilfried Schmickler Deutschland im Aufbruch. Wo geht es hin? Wer darf mit? Und vor allem: Wann geht es endlich los? Aus den Lautsprechern: Durchhalteparolen. An den Anzeigetafeln: Werbung für Beruhigungsmittel. Hinter den Auskunftsschaltern: Kollege kommt gleich. Die als Glückspilze verkleideten Mitarbeiter des Heimatministeriums verteilen Gutscheine für Rückfahrkarten. Traumreisen in die Vergangenheit. Nostalgie-Trips in die Welt von Vor-vor-Gestern. Wenn möglich, bitte umkehren. Aber es gibt kein neues Leben im Alten und es gibt kein trautes Heim im untergegangenen Reich. Es gibt kein Zurück! Und deshalb hat Schmickler nach vorne geschaut.


BODO-TIPP

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Drei freie Theater zeigen, dass es auch ohne Kirchturmdenken geht: Im August zeigen das Dortmunder artscenico, das Rottstr5-Theater aus Bochum und das Herner theaterkohlenpott ihre erste gemeinsame Produktion – an drei Tagen, in drei Parks in drei Städten.

Peer Gynt im Park

14. bis 16. August Herne, Bochum, Dortmund

Sie zeigen die abenteuerliche Lebensreise von Peer Gynt, dem Träumer und Narzissten, Henrik Ibsens Antiheld, den sein Weg auf der Suche nach Reichtum, Ansehen und Frauen zu nordischen Trollen, nach Ägypten und Marokko führt. Corona warf das Konzept durcheinander – und nun sind nicht die Theater Spielstätten, sondern OpenAir-Bühnen in Parks: „Peer Gynt im Park“ wird am 14. August im Park Schloss Strünkede in Herne, am 15. August im Westpark in Bochum und am 16. August im Hoesch-Park in Dortmund gezeigt, Beginn ist jeweils um 18 und um 19 Uhr. Tickets unter: karten.peerimpark@gmx.de

Und was er da gesehen hat, davon berichtet er in seinem aktuellen Programm. Schalthaus 101 am Hochofen Dortmund-Hoerde, 20 Uhr (auch 22.8.)

SA 22 | 08 | 20 LIVE | Theater | Aggro Alan Roger hasst seinen Job. Nachdem er seine alte, gut bezahlte Arbeit verloren hat, muss er als dritter Assistent eines Supermarktfilialleiters Beschwerden von Kunden entgegennehmen. Eigentlich hasst Roger sein ganzes Leben. Doch dann stößt Roger zufällig auf den YouTube-Kanal von Aggro Alan, einem Pionier der Männerrechtsbewegung, und endlich fühlt er sich verstanden. Aggro Alans radikale Gedanken und Erkenntnisse sind für Roger wie ein Befreiungsschlag von seinem alten Leben, der systematischen Unterdrückung und der Ausbeutung des Mannes durch den Feminismus, der eine gynozentrische Gesellschaft geschaffen hat. Und so rutscht Roger immer tiefer in eine krude Ideologie. Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr LIVE | Kleinkunst | Tim Becker – „Puppenvirus“ Können seine fiese Urgroßtante, ein durchgeknalltes Seelentier, der Hase Karl K. Ninchen oder anderen Gestalten ihn vom Puppenvirus heilen? Will er überhaupt geheilt werden? Was passiert, wenn man an einem Einhorn leckt? Kann man auf einer Seifenblase stehen? Fragen, auf welche die Krankenkasse bisher auch keine Antwort hatte, aber denen Tim Becker im Verlauf seiner Show auf den Grund gehen wird. Infos: www.zauberkasten.de Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

SO 23 | 08 | 20 LIVE | Musik | RuhrHOCHdeutsch: Stoppok Stoppok ist deutschsprachiger Singer-/ Songwriter und Gitarrist, seine Musik eine eigenständige Mischung aus Folk, Rock, Rhythm’n‘Blues und Country. Er singt mit feinem Humor über die Widrigkeiten des Alltags und versteht es, grundsätzliche Fragen unserer Zeit in oft persönlich gefärbten Geschichten zu erzählen. Ebenso wichtig wie die Texte ist ihm seit jeher die rhythmische Verbindung mit der Musik. Schalthaus 101 am Hochofen Dortmund-Hoerde, 18 Uhr

FR 28 | 08 | 20 LIVE | Theater | Misery Der Schriftsteller Paul Sheldon verunglückt bei einem Autounfall. Annie Wilkes bezeichnet sich selbst als Paul Sheldons größten Fan, findet den verunglückten Paul und nimmt ihn bei sich zu Hause auf. Sie macht ihn von sich abhängig und erzwingt, den besten Teil der Romanreihe „Misery“ zu schreiben. Sie sperrt ihn ein, kontrolliert seine Schmerzen durch die Verabreichung von Schmerzmitteln und verstümmelt ihn. Von William Goldman nach dem Roman von Stephen King. Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr

...das alles findet ihr hier: facebook.com/DietrichKeuningHaus keuninghaus2togo@gmail.com keuninghausofficial YouTube "Keuninghaus to Go"

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LIVE | Theater | Die Frau die gegen Türen rannte Es ist die Geschichte von Paula Spencer, für die mit 39 Jahren das meiste in ihrem Leben schon gelaufen ist. Und es ist nicht gut gelaufen. Zwischen abgestumpften Lehrern 27


KALENDER

BODO-TIPP Schon im Frühjahr war klar, dass es das KortlandStraßenfest in der bekannten Form dieses Jahr nicht geben wird – mit dem Sommer auf dem Imbuschplatz haben der Kortland Verein, das ko-labor und die KoFabrik aber würdigen Ersatz geschaffen.

Sommer auf dem Imbuschplatz Anzeige

Bochumer Kulturrat

bis 29. August

e. V.

• BLUES • JAZZ • GYPSY • FOLK • WELTMUSIK • LIEDERMACHER • KLEZMER • THEATER • KUNST • LESUNG • FESTIVAL • FILM • …

Kultur Co ro na

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Karten: T 0234 -86 20 12 kulturratbochum@gmx.de

PROGRAMM AUGUST (jeweils 20 Uhr)

1.8. „ROCK TALES“ backstage-storytelling & handmade music • 14.8. Die Feuersteins Lieblingslieder • 15.8. Manfred Maurenbrecher „Inneres Ausland“ Ein Streifzug durch Coronazeiten • 16.8. Nibs van der Spuy südafrikanische Musik • 21.8. Dr. Mojo „Der kleine Urlaub vom Alltag“ • 22.8. Buck Wolters „Still my Guitar“ solo • 28.8. TITANIC „Wenn schon untergehen, dann mit Stil“ MusikTheater • 29.8. Sackville Street irish & scottish songs • Lothringer Straße 36 c 44805 Bochum-Gerthe T 0234 - 86 20 12 kulturratbochum@gmx.de www.kulturrat-bochum.de 28

vor der KoFabrik Stühmeyerstraße 33 Bochum

Bis Ende August ist die Grünfläche vor der KoFabrik Open-Air-Bühne für Theater, Varieté, Musik, Literatur und Performance und bietet damit zweierlei: ein Sommer-Kulturprogramm für alle Daheimgebliebenen und eine Gelegenheit für lokale Künstler*innen, endlich wieder aufzutreten. Es gibt Zirkus, Erzählund Tanztheater, Konzerte, szenische Lesungen über Hannah Arendt, Michael Ende und die Edelweißpiraten, eine Revue des Stadtsportbundes und ein eigenes Wissenschaftsprogramm der Hochschule Agricola. Auch hier gelten besondere Hygieneregeln, für alle Veranstaltungen ist eine Anmeldung nötig: online unter www.ko-labor.de oder telefonisch 0173 – 757 94 31.

und zudringlichen Banknachbarn trainiert sie schmutziges Denken und abgebrühtes Benehmen. Dann gründet sie mit ihrer Jugendliebe Charlo eine Familie. Und immer wieder sitzt sie im Krankenhaus und erklärt ihre Verletzungen damit, dass sie gegen eine Tür gelaufen sei. Nun ist Charlo tot, und Paula beginnt zu sprechen. Paula Spencer ist eine alkoholsüchtige Frau, die allen Widerwärtigkeiten und Demütigungen zum Trotz ihr Leben in die Hand nimmt. Ein furioser Monolog über eine enttäuschte Liebe und den unermüdlichen Versuch, das Leben aus eigener Kraft in den Griff zu bekommen. Theater im Depot, Dortmund, 20 Uhr

SA 29 | 08 | 20 LIVE | Musik | The Singer Is Always Late The Singer Is Always Late, eine Band aus Mülheim an der Ruhr, die ausgefeilte Arrangements, dreistimmigen Satzgesang, schöne Lieder und eine ausgewogene Mischung aus Ernsthaftigkeit und Spaß auf der Bühne kombiniert. Dabei erzeugen die sieben Bandmitglieder einen unverkennbar gradlinigen Sound. Keine Samples, keine Effekte, kein Schnickschnack. Akustikgitarre, Piano, Schlagzeug, Kontrabass, Trompete und Saxophon sorgen für tanzbare, melodische und eingängige Harmonien. Eintritt frei, Reservierung erwünscht: www.freilichtbuehne-wattenscheid.de Freilichtbühne Wattenscheid, BO 20 Uhr LIVE | Kabarett | Jens Neutag Die Welt rückt zusammen. Aber der Mensch fühlt sich trotz Dating-Apps mehr und mehr allein, und zwar so stark, dass er freiwillig Kuschelpartys besucht. Und um ein wenig kör-

perliche Nähe zu spüren, läßt er sich dort freiwillig von rabiaten Fliesenlegern den Rücken kraulen. Genau so funktioniert auch die große Politik, nur ohne Kuscheln. Wer nur einmal unsere egoistischen Bundesminister in einer Kabinettsitzung im Streit der Selbstsüchtigen beobachtet hat, den wundert es nicht, dass dort eine Stimmung herrscht wie in einer Fördergruppe für ADHS-Geplagte. „Allein – ein Gruppenerlebnis.“ ist eine kabarettistische Reise zum inneren Ich, eine treffsichere Bestandsaufnahme von Politik und Gesellschaft. Infos: www.zauberkasten.de Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

DI 01 | 09 | 20 LIVE | Musik | Auftakt 2020 Zusammen ist man weniger allein – ganz nach diesem Motto möchten die KünstlerInnen der Oper Dortmund, des Balletts Dortmund sowie der Dortmunder Philharmoniker das Publikum nach fast sechs Monaten gemeinsam wieder im Opernhaus begrüßen. Es wird kein normaler Galaabend sein, denn die Umstände verlangen weiterhin Distanz. Doch Kunst verbindet, auch über Lücken hinweg. Ein ausgesuchtes Programm aus solistischen Highlights des Operngesangs, des Tanzes und der Kammermusik bildet den Einstieg in diese außergewöhnliche Spielzeit 2020/21 im Opernhaus Dortmund. Opernhaus, Dortmund, 19.30 Uhr

DI 01 | 09 – SO 13 | 09 | 20 LIVE | Festival | Kunstfestpassagen Zwei Wochen lang, vom 1.9. bis 13.9., wird Gut Rödinghausen in Menden zum Austragungs-


KINO-TIPP

ort der unterschiedlichsten Veranstaltungen, Kunstformen und Kunstrichtungen. „Vielfältig, anregend, anders“ – das ist das Motto dieses Fests der Künste an der Schnittstelle zwischen Ruhrgebiet, Sauer- und Siegerland. Es eröffnet seinen BesucherInnen neue Sichtweisen und lässt unterschiedliche Kunstformen zusammentreffen. Das Gut Rödinghausen wird so zu einem lebendigen und innovativen Kulturort, der für Dialoge zwischen KünstlerInnen und BesucherInnen, Epochen und Gattungen steht. Die BesucherInnen können sich auf Musiktheater, Schauspiel, Ausstellungen und Konzerte in ganz besonderem Ambiente freuen. Weitere Infos: kunstfest-passagen.de Gut Rödinghausen, Menden

DO 03 | 09 | 20 LIVE | Musik | Die Schöpfung – Thomas Hengelbrock Die Spielzeit 2020/21 startet gleich mit einer Premiere: Erstmals beginnt die neue Saison im Konzerthaus Dortmund mit einem großen Oratorium. Mit seinem Chorwerk „Die Schöpfung“ ist Haydn ein Meisterwerk gelungen, das sich seit mehr als 220 Jahren ununterbrochener Beliebtheit erfreut – ganz im Sinne des Komponisten: „Ich möchte etwas schreiben, wodurch mein Name in der Welt Bestand haben wird.“ Gelungen sind ihm imposante Tonbilder zur Schöpfungsgeschichte, mit denen des Balthasar-Neumann-Ensembles unter der Leitung von Thomas Hengelbrock die Saison klanggewaltig eröffnen. Konzerthaus, Dortmund, 19 Uhr

to nieder, um Songs zu reflektieren und zu schreiben. Marla & David haben viele Länder erkundet und Shows in ganz Europa, Kanada und Russland gespielt. Die elf Songs auf ihrer ersten gemeinsamen Platte sind auch elf musikalische Postkarten für alle, die jemals davon geträumt haben, in Bewegung zu sein. Ihre zeitlosen Harmonien vermischen sich mit einem Hauch von Folk aus den 60er Jahren. Eintritt frei, Reservierung erwünscht: www.freilichtbuehne-wattenscheid.de Freilichtbühne Wattenscheid, BO, 20 Uhr

DO 10 | 09 | 20 LIVE | Kabarett | Jochen Malmsheimer Jochen Malmsheimer ist mit seinem Programm „Wenn Worte reden könnten oder: 14 Tage im Leben einer Stunde“ zu Gast in der Werkstadt. Hier bleibt kein Wort auf dem anderen. Es wird ausgeführt, was geschähe, „wenn Worte reden könnten“. Denn das Geschäft des Sprechens, von fast jedermann ahnungs- und schamfrei in einer jeglichen Lebenslage schwunghaft betrieben, ist ein komplizierteres, als man gemeinhin ahnen möchte. Werkstadt, Witten, 20 Uhr

ab DO 13 | 08 | 20 LIVE | sweetSixteen-Kino | Nur ein Augenblick Noch vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, zu Zeiten des „Arabischen Frühlings“ wurde Karim von seinen Eltern nach Hamburg geschickt, um dort zu studieren. Inzwischen hat er sich gut eingelebt. Er versteht sich bestens mit seinen Kommilitonen und lebt mit seiner Freundin Lilly zusammen, die mit ihm ein Kind erwartet. Die gute Nachricht, dass seine Eltern nach Deutschland kommen können, wird allerdings davon getrübt, dass Karims Bruder Yassir in Syrien verschwunden ist. Kurzerhand entscheidet sich Karim, ins Kriegsgebiet zu fahren, um seinen Bruder rauszuholen. Das Drama der Kinodebütantin Randa Chahoud ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zum Thema Krieg und was er mit den Menschen macht – oder was sie mit sich machen lassen.

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Im Mittelpunkt steht der junge syrische Student Karim, der auf der Suche nach seinem verschwundenen Bruder das sichere Deutschland verlässt und schließlich, eher zufällig, in die Kriegshandlungen verwickelt wird.

LIVE | Kabarett | Abdelkarim Abdelkarim startet im Herbst 2020 sein drittes Solo-Live-Programm. Die Vorpremiere des neuen Programms findet in der Werkstadt statt. Nach „Zwischen Ghetto und Germanen“ und „Staatsfreund Nr.1“ ist die Zeit nun reif für neue Einblicke in seinen absurden Alltag. Einen Programmtitel gibt's noch nicht. Und das Programm ist auch noch nicht ganz fertig. So wird es ein vollkommen unvollkommener Abend der besonderen Art. Gags und Geschichten erblicken zum ersten Mal das Licht der Welt. Sie werden danach zu Hits oder sie verschwinden in der Mottenkiste. Und das Publikum entscheidet mit, was es ins neue Programm schafft. Werkstadt, Witten, 20 Uhr

Die Geschichte ist eher ein Thriller als ein Anti-Kriegsfilm und oft sehr ergreifend, also nichts für ganz Zartbesaitete. Randa Chahoud zeigt den furchtbaren Teufelskreis des Krieges, dem niemand entkommen kann. Zwar wird auf die direkte und brutale Darstellung von Gewalt verzichtet, jedoch liegt eine stets spürbare Bedrohung wie ein dunkler Schatten über dem Film, der neben einer spannenden Handlung auch imponierende schauspielerischen Leistungen bietet. Bundesstart am 13. August. Weitere Termine: www.sweetSixteen-kino.de

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sweetSixteen-Kino Immermannstraße 29 44147 Dortmund www.sweetsixteen-kino.de

LIVE | Musik | Marla & David Celia Sie gehen seit einigen Jahren auf ausgedehnte Tourneen und lassen sich dann in Toron-

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BODO GEHT AUS

Zum kleinen Esel Universitätsstraße 79 44789 Bochum

Zum kleinen Esel Ein Traum von mexikanischem Essen In Bochum gibt es einen neuen GastroTrend: Restaurants und Imbisse, die quasi heimlich vegan sind. Neben dem Heidewitzka im Kunstkiez Bärendorf und dem Kimbap Spot, der sein koreanisches Soulfood jetzt in einem schönen neuen Ladenlokal am Ostring anbietet, wird gerade der Kleine Esel an der Universitätsstraße zum festen Ort für Fans von mexikanischen und veganen Speisen – ohne mit dem Verzicht auf tierische Produkte hausieren zu gehen. Hinter dem Tresen steht dort meistens Gründer Michael Laur De Manos selbst, den viele Bochumer schon als Eisverkäufer aus dem Kugelpudel kennen. Im kleinen Ladenlokal mit dem großem Schaufenster und kleinem Freisitz direkt gegenüber dem ExzenterHochhaus war ungefähr zwei Sommer lang eine Kugelpudel-Filiale, einen Winter lang versuchte sich dort das Café Oskar. Doch jetzt konnte Michael Laur De Manos seine ehemalige Chefin aus der alternativen Eisdiele davon überzeugen, ihm das Lokal ganz zu überlassen und seinen Traum zu verwirklichen. Seit dem vergangenen Dezember verkauft er dort Burritos. Manchmal trifft man vor dem Kleinen Esel Menschen, die sich auf Spanisch unterhal30

Von Max Florian Kühlem Fotos: Daniel Sadrowski

ten, auf Nachfrage erzählen, dass sie aus Mexiko stammen und in Deutschland noch nie so gute, originale Burritos gegessen haben. „Und manchmal kommen auch die Leute aus den Büros gegenüber und fragen: War da eigentlich Fleisch drin?“, erzählt der Koch und Imbiss-Gründer. „Aber sie sind dann nicht enttäuscht, sondern fasziniert, wenn ich ihnen erkläre, dass hier alles vegan ist. Sie kommen wieder.“ Michael Laur De Manos war oft in Südkalifornien und auch in Mexiko unterwegs und hat sich dort Inspiration geholt

und das Know-How, worauf es bei einem richtig guten Burrito ankommt. „Es ist die Geschmacksvielfalt“, sagt er, „der Facettenreichtum und die richtige Kombination der Zutaten mit den verschiedenen Salsas.“ Jeden Morgen bereitet er die Inhalte seiner gefüllten Tortillas frisch vor: Bohnenpaste, Bratkartoffeln, Chili Sin Carne, TofuScramble oder Grillgemüse. Und natürlich die Salsas von fruchtig-süß bis herb oder scharf, auf Ananas-, Mango-, HimbeerKokosmilch- oder Habanero-Basis. Und aus seinen Aufenthalten in Kalifornien hat er noch eine Menge Ideen im Kopf, die er nach und nach umsetzen will: zum Beispiel feine Tellergerichte.


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Ananas-Habanero-Salsa Zutaten: 350 g frische Ananas 2 Zwiebeln 2 Knoblauchzehen reichlich Olivenöl etwas Rapsöl zum Anbraten 1 gelbe Habanero-Chili (Vorsicht scharf !) 15 g geraspelte Vanilleschote 25 ml Soja-Cuisine 175 ml Wasser 1 Prise Salz Schwarzer Pfeffer zum Abschmecken Zubereitung: Ananas und Zwiebeln in der Pfanne mit etwas Rapsöl anschmoren. Wenn alles goldbraun ist, die Habaneros und den Knoblauch hinzugeben. Bei leichter Hitze noch etwas mit Olivenöl weiterziehen lassen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Soja-Cuisine und Wasser mit der geraspelten Vanilleschote in einen Mixer geben und mit der geschmorten Ananas sowie allen anderen Zutaten gut durchmixen. Fertig!

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REPORTAGE

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Tierleid und Ausbeutung

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eder kennt die Bilder auf den Verpackungen von Fleisch- und Wurstwaren: Schweine oder Rinder, die auf einer satten grünen Wiese stehen, irgendwo im Hintergrund ist eine Scheune oder ein Bauernhaus zu sehen. Idylle, die an Ferien auf dem Bauernhof erinnert. Mit der Realität in der Fleischindustrie haben diese Bilder nichts zu tun. Hier prägen andere, inzwischen weithin bekannte Szenen das Bild: Schweinetransporte, in denen die Tiere in drei Lagen übereinandergestapelt werden. Und auch ihr Leben davor ist keine Idylle. Steht auf einer Fleischpackung „Haltungsform 1“ bzw. Stallhaltung, dann bedeutet das, dass das Schwein in seinem ganzen Leben keine Wiese gesehen hat und im Stall eingepfercht bis zur Schlachtreife gefüttert wurde. Das ist die Realität in der deutschen Fleischindustrie. Schlachtfabriken, wie der Tönnies-Konzern sie in Rheda-Wiedenbrück betreibt, sind hier nur die Spitze des Eisbergs. Die Situation der Tiere in der Fleischindustrie ist die eine Sache, die der Mitarbeiter eine andere. Mit dem massenhaften Corona-Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück wurden auch die Zustände, unter denen Werkvertragsarbeiter in der Schlachtfabrik arbeiten, und wie sie leben müssen, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Schon im Mai, als bei Westf leisch Corona ausgebrochen war, hatte der Kölner Verein „Aktion Arbeitsunrecht“ ein Video aus der Betriebskantine von Tönnies veröffentlicht. Darauf zu sehen waren Mitarbeiter, die dichtgedrängt saßen, Masken trug niemand, Abstand gab es nicht. Für einen Aufschrei sorgte das Video erst im Juni, als über 1.500 Tönnies-Mitarbeiter positiv getestet wurden. Auf den Corona-Ausbruch reagierte die nordrheinwestfälische Politik zögerlich. Armin Laschet machte die Arbeiter aus Bulgarien dafür verantwortlich, sie hätten sich beim Heimaturlaub infiziert, Corona

Im Juni führten die Arbeitsbedingungen in der Fleischfabrik des Tönnies-Konzerns in Rheda-Wiedenbrück zum bisher größten Corona-Ausbruch in Deutschland. Die Katastrophe blieb aus, die Ausbreitung des Virus konnte gestoppt werden. Der entstandene öffentliche Druck sorgt jedoch dafür, dass selbst die Landwirtschaftslobby in Gestalt der Bundeslandwirtschaftsministerin und Befürworter der Arbeitsmarktreformen, die das Werkvertragssystem geschaffen haben, Reformen anmahnen. Während die Hoffnungen auf eine Verringerung des Tierleids eher gering sind, ist das auf Ausbeutung von ArbeitsmigrantInnen beruhende Geschäftsmodell der Fleischkonzerne unter Druck. Von Sebastian Weiermann Fotos: Leon Kuegeler / Reuters

würde schon nicht auf die Bevölkerung überspringen. Nach und nach wurde dann klar, dass der Ausbruch auf einen Gottesdienst, den viele Beschäftigte besucht hatten, zurückzuführen war. Und dass sich das Virus in der Fleischfabrik so gut ausbreiten konnte, weil eine Lüftungsanlage Corona durch ganze Schlacht- und Zerlegehallen pustete. Die Konsequenz aus Corona, unzureichender Lüftungstechnik und miserabler Hygiene. Tönnies musste ab Mitte Juni die gesamte Tierfabrik in Rheda-Wiedenbrück schließen.

„Unwürdige Unterkünfte“ Bedeutete diese Schließung für deutsche TönniesMitarbeiter nur eine Heimquarantäne, hatten die ausländischen Werkvertragsarbeiter stärker zu leiden. In einer Siedlung in Verl rückten mit Verkündung der Quarantäne Bereitschaftspolizei und Feuerwehr an. Die Feuerwehr baute Bauzäune um die heruntergekom-

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REPORTAGE

menen Häuser auf, ein Sicherheitsdienst überwachte in der Quarantänezeit, dass niemand das Gelände verließ. Versorgt wurden die Arbeiter mit Essenspaketen aus dem Hause Tönnies, auch dies teilweise unzureichend, so dass Hilfsorganisationen und Privatpersonen bei der Versorgung einsprangen. Tönnies-Werkvertragsarbeiter leben im gesamten Gebiet zwischen Hamm und Bielefeld. Schon im Mai konnten sich Arbeitsschützer des Landes ein Bild von den Unterkünften der Arbeiter in der Fleischindustrie machen. Es ist erschreckend. 650 Unterkünfte, in denen über 5.300 Menschen leben, wurden kontrolliert. Dabei wurden fast 1.900 Beanstandungen festgestellt. Diese beginnen bei kleinen Problemen wie fehlenden Desinfektionsmitteln oder fehlenden Reinigungsplänen bei gleichzeitiger Überbelegung der Unterkünfte und reichen bis zu Schimmelpilzbefall, Einsturzgefahr, undichten Dächern, katastrophalen Sanitäreinrichtungen, Ungezieferbefall und Brandschutzmängeln. Vier Wohnungen wurden wegen erheblicher Baumängel und Gesundheitsgefahr geräumt. Zwei davon befanden sich in Gütersloh. Das Arbeitsministerium sieht einen „kausalen Zusammenhang“ zwischen „mangelhaften und unwürdigen Unterkünften“ und den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie.

„Beseitigung eines Krebsgeschwürs“ Neu sind diese Zustände in der Fleischindustrie nicht. Lange setzte die Politik hier auf Selbstverpflichtungen. Als ein Mindestlohn für die Branche eingeführt wurde, wurde dieser bei den Werkvertragsarbeitern durch verlängerte und nicht erfasste Arbeitszeiten, Kosten für Werkzeuge oder eben Wohnungen ausgehebelt. Kontrollen, die das NRW-Arbeitsministerium im vergangen Jahr bei 30 Schlachtbetrieben durchführte, führten in 26 Fällen zu Beanstandungen. Dementsprechend wenig überrascht zeigte sich Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, der als einer von ganz wenigen Politikern die Zustände in der Branche seit Jahren anprangert, über den Corona-Ausbruch in Gütersloh. Laumann sprach von Arbeitsbedingungen wie „nach der Kaiserzeit“, die jetzt 100 Jahre später als in anderen Branchen beseitigt werden müssten. Auch zu den Möglichkeiten von Kontrollen äußerte der CDU-Politiker sich erstaunlich offen. Bis seine Arbeitsschützer vom Werkstor dahingekommen seien wo „die Musik spielt“, vergehe viel Zeit. Zeit, in der grobe Missstände verdeckt werden können. Mit den massenhaften Corona-Infektionen bei Westfleisch, Tönnies und Co. könnte allerdings die Zeit substanzieller Veränderungen in der Fleischindustrie gekommen sein. Das Bundeskabinett hat sich in einem „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ auf zehn konkrete Maßnahmen geeinigt. Neben mehreren Detailverbesserungen wie einer festgeschriebenen Kontrolldichte durch Arbeitsschützer, Mindeststandards bei der Unterbringung, erhöhten Bußgeldern bei Verstößen und digitaler Arbeitszeiterfassung, sieht das Programm auch ein Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen beim Schlachten und der Fleischverarbeitung vor. Die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) begrüßte den Beschluss des Kabinetts. Das Verbot von Werkverträgen in den Bereichen Schlachten und Zerlegen käme der „Beseitigung eines Krebsgeschwürs“ gleich. Gleichzeitig warnt die Gewerkschaft davor, der Beschluss könne im Gesetzgebungsverfahren verwässert werden. Im Bereich des Tierwohls ist eine solche Verwässerung zu befürchten. Hier hat das Kabinett eine Kommission, besetzt mit Vertretern aus Industrie, Wissenschaft und Verbänden eingesetzt. Kritiker befürchten die Ergebnisse könnten ernüchternd sein. Bis die Schweine von Tönnies glücklich auf grünen Wiesen leben dürfte es also noch ein langer Weg sein.

Mehr als 1.500 Tönnies-Beschäftigte waren bis Juni positiv auf Covid-19 getestet worden. Die Unterkünfte der meist prekär lebenden, migrantischen Beschäftigten wurden mit Zäunen abgeriegelt, die Polizei sicherte die Maßnahme ab.

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Eine Frage, Herr Zahnen:

Womit grille ich hier eigentlich? Besonders in den Sommermonaten läuft in deutschen Gärten der Grill auf Hochtouren. Mit rund 250.000 Tonnen jährlich ist Deutschland der größte Verbraucher von Holzkohle in der EU. Um ein Kilo Holzkohle herzustellen, braucht man, je nach Produktionsart, die doppelte bis zehnfache Menge an Holz. Doch wo kommt die Holzkohle eigentlich her? Und woraus ist sie gemacht?

Johannes Zahnen, Holz-Experte beim World Wildlife Fund WWF

Nur ein kleiner Teil der in Deutschland verbrauchten Grillkohle wird auch hier hergestellt – der Rest wird importiert. „Ein Großteil kommt über Polen, wo sie vor dem Import neu verpackt wird“, so Johannes Zahnen, Holz-Experte beim World Wildlife Fund WWF. „Hergestellt wird zwar auch in Polen, große Mengen importiert Polen aber aus Nigeria oder der Ukraine. In diesen Ländern gibt es hohe Entwaldungsraten, illegalen Holzeinschlag, Korruption und Raubbau.“ Kontrollen, woher die Kohle kommt, gebe es in Deutschland nicht, obwohl es seit 2013 eine EU-Holzhandelsverordnung gibt. Sie hat das Ziel, illegales Holz vom europäischen Markt fern zu halten und wäre somit der Hebel, Holzkohle umfassend zu kontrollieren und ihre Legalität sicherzustellen. „Leider ist Holzkohle nicht in der Liste der zu kontrollierenden Produkte aufgeführt, Legalität ist daher bei in

Deutschland verkauften Produkten freiwillig“, sagt Zahnen. Als der WWF im Jahr 2018 36 Holzkohleprodukte untersuchte, war bei 28 Produkten keine Deklaration von Holzart und Herkunftsland zu finden. In 42 Prozent der Produkte wurde Tropenholz identifiziert. Wenn es beim Grillen auf offenem Feuer bleiben soll, empfiehlt der WWF das freiwillige FSC-Siegel (Forest Stewardship Council), um sich beim Kauf zu orientieren. Mit Kokosnussschalen, Maisspindeln und Olivenkernen gibt

Kontrollen, woher die Kohle kommt, gibt es in Deutschland nicht, obwohl seit 2013 eine EU-Holzhandelsverordnung existiert. es bereits einige Alternativen zur klassischen Holzkohle, aber auch bei diesen Produkten müsse man die Produktionsbedingungen beachten. Die beste Alternative sei daher ein mit Ökostrom betriebener Elektrogrill. Nicht vergessen solle man auch, was auf dem Grill liegt: Die CO2-Bilanz des Fleisches auf dem Grill ist im Zweifelsfall noch schlechter als die der verfeuerten Kohle.

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INTERVIEW

Spike Lee

Race and Rage in America Der Regisseur und Oscarpreisträger Spike Lee spricht im Interview über Geschichte und Erinnerung, die Bürgerrechtsbewegung und das schwarze Amerika, über Donald Trump und Covid-19 sowie über seinen neuen Film „Da 5 Bloods“. Von Steven MacKenzie | Fotos: Jason Bell / Netflix

5. März 1770, Boston. Acht britische Soldaten schießen in eine Gruppe von Demonstranten. Fünf sterben. Der erste, und damit der erste Amerikaner, der für die Unabhängigkeit der Nation stirbt, ist Crispus Attucks, Mitte 40, afrikanischer und indianischer Abstammung. Attucks wird zum Symbol der amerikanischen Revolution und der Abolitionisten-Bewegung, die dann weitgehend in Vergessenheit gerät. 25. Mai 2020, Minneapolis. Bei der Verhaftung von George Floyd, der verdächtigt wird, einen gefälschten 20-Dollar-Schein benutzt zu haben, kniet ein Polizist fast neun Minuten lang auf dem Hals des 46-Jährigen. Floyd f leht wiederholt: „Ich kann nicht atmen!“ und: „Töten Sie mich nicht!“ Nach seinem Tod brechen landesweite Proteste aus, Städte brennen.

in Georgia die Straße entlangläuft, wird von zwei Rednecks gejagt, die aussehen, als kämen sie aus dem Film ,Deliverance‘, und wie ein Hund niedergeschossen. Wir schreiben das Jahr 2020!“

Whitey on the Moon „Wie oft muss sich Geschichte wiederholen, bis der Mord an Schwarzen am helllichten Tag auf hört“, postete Lee als Reaktion auf Floyds Tod mit Ausschnitten aus seinem Film „Do the Right Thing“ von 1989, in dem einer der Protagonisten, Raheem, mit einem Polizeiknüppel zu Tode gewürgt wird.

„Geschichte wiederholt sich. Wir können aus der Geschichte lernen – wenn wir aufwachen.“

Das Außergewöhnliche an George Floyds Tötung ist, dass sie nicht außergewöhnlich ist. Sein Tod ereignet sich, als die Spannungen bereits zugenommen haben. Im Februar wird Ahmaud Arbery von weißen Zivilisten erschossen, die ihn für einen Einbrecher halten. Verhaftungen gab es erst, als sich ein Handyvideo der Tat verbreitete. In den Worten von Spike Lee: „Ein schwarzer Jogger, der

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Vier Jahrzehnte lang haben Spike Lees Filme furchtlos große Themen behandelt. Die frühen Indies „She‘s Gotta Have It“, „Jungle Fever“ und „Crooklyn“ zeigten einen filmischen Außenseiter, der unerzählte Geschichten über das Schwarze Amerika auf die Leinwand bringt. „Malcolm X“ ließ eine Bürgerrechtsikone auferstehen, „25th Hour“ definierte Verlust und Angst nach dem 11. September, „Chi-Raq“ zielte auf die Waffenkultur, „BlacKkKlansman“ lehrte uns, Hass zu infiltrieren, und gewann 2019 einen Oscar.


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INTERVIEW

Sein jüngster Film, „Da 5 Bloods“, seit Juni auf Netf lix zu eher Historiker als Filmemacher? „Es muss nicht unbedingt sehen, handelt vom Vietnamkrieg, erzählt aber auch von der das eine oder das andere sein. Ich bin ein Filmemacher und unruhigen Gegenwart. Vier „African-American Bloods“ – wir erzählen Geschichte.“ ein von Schwarzen Soldaten verwendeter Begriff der Kameradschaft – kehren nach Vietnam zurück, um die sterblichen Für die Dreharbeiten reist Lee zum ersten Mal nach Vietnam. Überreste ihres ehemaligen Kommandeurs zu bergen und Die Bedingungen vor Ort sind hart, doch weit entfernt von nebenbei Gold auszugraben, das sie im Dschungel versteckt dem, was Francis Ford Coppola mit „Apocalypse Now“ durchhatten. Sie sind alt geworden, aber die Erlebte. „Ich hatte den Luxus, zu sehen, was eignisse von damals verfolgen und verletFrancis tat, und zu sagen: Danke, nein!“ „Wir erinnern uns zen sie immer noch. an diejenigen, die vor „Da 5 Bloods“ ist ähnlich episch, dabei Lee zieht es vom individuellen zum gloweitaus dringlicher, mit Delroy Lindo als balen Trauma. Er beginnt mit einer Mon250 Jahren oder gestern Paulus im Zentrum, oberflächlich ein eintage von Archivmaterial: das Sternenbanschüchternder Tyrann mit „Make Amerigestorben sind, die ner auf „Da Moon“, Black Power bei den ca great Again“-Kappe, innerlich ein zerOlympischen Spielen, mit chemischen brechlicher, ein gebrochener Mann. Lee glaubten, dass eine Waffen besprühte vietnamesische Felnennt Trump durchgehend „Agent OranVeränderung der. Demonstranten, die beim Demokrage“, und doch ist Paul keine Karikatur. Seitischen Konvent von 1968 von der Polizei ne Wut, den Schmerz und die Frustration kommen könnte.“ niedergeprügelt, Antikriegsdemonstrankann man nachempfinden. „Posttraumatiten, die an der Kent State University erscher Stress wirkt sich in unterschiedlicher schossen werden; die Hinrichtung des Vietcong, festgehalten Weise aus“, sagt Lee. „Der Krieg hat aus diesem Mann einen in einem Bild, dessen Macht sich nicht in Worte fassen lässt. ,Agent Orange‘-Anhänger gemacht“. Man kann diese Bilder nicht sehen, ohne an aktuelle Nachrichtenbilder zu denken. Sogar Apollo 11 hat mit der SpaceXMission ein zeitgemäßes Äquivalent – beides große Errungenschaften vor dem Hintergrund von Massenunruhen. Filmaufnahmen von Polizeibrutalität und belagerten Städten aus den 1960er Jahren könnten auch aktuelle Bilder sein.

Agent Orange „Die Geschichte wiederholt sich“, sagt Spike Lee. „Wir können aus der Geschichte lernen – wenn wir aufwachen.“ Ist er also

Geschichte wiederholt sich, es sei denn, es kommt eine globale Pandemie hinzu. Lee nennt seine Heimatstadt, in der es über 17.000 Todesopfer gegeben hat, „das Epizentrum“. „New York kommt langsam zurück“, sagt er. „Die gemeldeten Fallzahlen und die Todesfälle sinken. Unser Gouverneur Andrew Cuomo hat hier große Führungsstärke gezeigt. Etwas, das im Weißen Haus nicht vorhanden ist.“ In einer anderen Welt wäre Lee selbst Präsident gewesen und hätte Croissants auf der Croisette gegessen, als erster Schwarzer Juryvorsitzender in den 73 Jahren der Filmfestspiele von

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Cannes, wo „Da 5 Bloods“ außer Konkurrenz uraufgeführt werden sollte. Die einzigen öffentlichen Vorführungen fanden stattdessen für Gruppen von Schwarzen Vietnam-Veteranen in New York statt. „Sie lachten, weinten, all diese Emotionen, und danach umarmten mich alle. Sie sagten: ‚Spike, danke, dass du diesen Film gemacht hast.‘ Und auch: ‚Spike, warum hast du so verdammt lange gebraucht?‘“

Even greater

„Da 5 Bloods“ verbindet den Funken der amerikanischen Revolution und den Zorn der Gegenwart. Das Massaker von Boston ist das Initial der Unabhängigkeitsbewegung, aber im „Land of the Free“ sind weite Teile der Bevölkerung im Teufelskreis der Armut gefangen. 13 Prozent der Amerikaner sind Schwarz, aber sie machen 34 Prozent der Gefängnisinsassen aus. „Es geht nicht mehr um Restaurants nur für Weiße. Es gibt Redlining, die Diskriminierung ganzer Stadtviertel, soziale Ungleichheit, „Diese enormen mangelnde Bildung. Wir sind zum Beispiel Unterschiede zwischen mitten in der Pandemie, die Schulen sind geschlossen. Wie werden die Kinder ohne den Besitzenden und Computer also unterrichtet?“

Geboren 1957, fielen der Krieg in Vietnam und die Bürgerrechtskämpfe zu Hause mit Lees prägenden Jahren zusammen. „Ich war jung genug, um nicht eingezogen zu werden. Armen, dieser Aber ich war alt genug, um zu denken: Was „Wir können nicht einfach weitermazum Teufel geht hier vor? Viele Menschen chen“, schließt Spike Lee. „Es muss eine riesige Graben muss vergessen, dass der Vietnamkrieg der ersganz neue Agenda geben. Diese enormen geschlossen werden.“ te Krieg war, der im Fernsehen übertragen Unterschiede zwischen den Besitzenden wurde. Ich höre Muhammad Ali sagen: und Armen, dieser riesige Graben muss ,Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt‘; ich sehe John Carlos geschlossen werden.“ Ob er daran glaubt? „Das ist meine Hoffnung und mein Traum.“ und Tommie Smith mit ihren erhobenen schwarzen Fäusten.“ Eine Szene im Film zeigt die Reaktion der „Bloods“ auf die Ermordung Martin Luther Kings, von der sie über Radio Hanoi erfahren: „Schwarze GIs, Eure Regierung schickt 600.000 Soldaten, um die Rebellion zu zerschlagen. Warum kämpft ihr gegen uns so weit weg von dort, wo ihr gebraucht werdet?“ Lee sagt: „Vom ersten Tag an haben Schwarze für dieses Land gekämpft – deshalb wird im Film über Crispus Attucks gesprochen. Er wird nicht in der Schule unterrichtet, deshalb ist er im Film: Wir kämpfen immer noch für unsere Rechte. Wir kämpfen auch heute noch für dieses Land.“ Und: „Das Erinnern verbindet uns mit der Geschichte“, sagt er. „Wir erinnern uns an diejenigen, die vor 250 Jahren oder gestern gestorben sind, die glaubten, dass eine Veränderung kommen könnte.“

Unterdessen setzt die Polizei Tränengas ein, um die Demonstranten vor dem Weißen Haus zu vertreiben, damit Trump für einen Fototermin auf den Stufen einer Kirche posieren kann. Er hält eine Bibel hoch und sagt: „Wir haben ein großartiges Land, das großartigste Land der Welt, wir werden es noch großartiger machen. Es wird nicht lange dauern, es wird nicht lange dauern.“ 250 Jahre, und es werden immer mehr.

Mit freundlicher Genehmigung von INSP.ngo / The Big Issue UK bigissue.com @BigIssue

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REPORTAGE INTERVIEW

„Schnelle Sachen gibt‘s genug“ Ein Zeichen-Ausflug mit den Urban Sketchers Dortmund

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Um die 20 Menschen sitzen in einem Park in Dortmund. Zeichenblöcke im Schoß, Pinsel in der Hand. Sie schauen auf dasselbe Motiv – ein paar Rentner, die Boule spielen – und doch werden am Ende 20 verschiedene Gemälde entstehen, denen man kaum ansieht, dass sie dieselbe Szene zeigen. Was hier passiert, nennt sich Urban Sketching. Von Sophie Schädel | Fotos: Daniel Sadrowski

Birgit Encke blättert durch ihr Zeichenheft wie durch Schlaglichter auf ihr Leben. Ihre Bilder sind detailverliebt – ein Karnevalszug, ein paar Gebäude. „Hier hat Social Distancing begonnen“, sagt sie und blättert um. Man sieht eine Schlange vor einem Supermarkt. „Hier, der war der Erste, der eine Maske getragen hat“, erinnert sich Encke. Und weiter geht die Zeitreise. Das nächste Bild zeigt eine Szene im Dortmunder Kaisergarten. Die Sitzplätze rund um einen großen Baum sind mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. „Das sah so verrückt aus, da musste ich sofort stehen bleiben und den Moment festhalten“, sagt Encke und schlägt die Seite um. Urban Sketching heißt, solche Szenen sofort und ohne großen Aufwand festhalten zu können. Entstanden aus der Reisemalerei, die unterwegs eine Art Tagebuch war, möchte die Kunstform offen für alle sein, egal welcher Stil, egal ob Vorkenntnisse oder großes Talent. Nur Spaß sollte es machen. Die Urban Sketchers von Dortmund brauchen nicht viel, wenn sie sich wie heute zum Malen treffen. Einen kleinen Klapphocker, ein Zeichenheft, Stifte oder Pinsel und ein paar Farben. Damit können sie überall auf der Welt Motive abbilden.

Prozess, nicht Produkt Als Encke noch allein malte, fiel es ihr schwer, unterwegs den Zeichenblock auszupacken und loszulegen. „Es bleiben immer Leute stehen und gucken. Das fühlt sich unangenehm an“, erklärt sie. „Man weiß, dass man Fehler macht, darum kostet es viel Überwindung, öffentlich zu zeichnen.“ Heute ist sie eine der Organisatorinnen der Zeichenausflüge in Dortmund und schwärmt von den Vorteilen, die es mit sich bringt, im Rudel mit anderen loszuziehen. „Die Hemmschwelle zu zeichnen wurde mir total genommen.“ An Urban Sketching können sich alle heranwagen, findet Encke. „Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, ich kann nicht zeichnen. Aber ich habe losgelassen, und jetzt macht es Spaß! Es geht hier um den Prozess, nicht um das Produkt.“ Nicht jeder Strich muss perfekt sitzen, nicht alles muss detailgetreu abgemalt werden. Ihre Bilder sehen heute, nach fünf Jahren Übung, trotzdem sehr professionell aus.

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REPORTAGE

Doris Reckes Werke sind ebenfalls sehr schön, doch sie malt in einem sehr anderen Stil. Die Essenerin sitzt auf ihrem Klapphocker etwas abgewandt von den anderen Zeichnern. Sie setzt Aquarellkleckse von dunklem Grün, Hellgrün und Grau aufs Papier und lässt sie mit Wasser ineinander verschwimmen. Zuerst sieht das nach abstrakter Kunst aus, doch mit der Zeit sind Bäume, Wiese und Himmel erkennbar. „Es sieht auch schöner aus, wenn man sich nicht im Detail verliert. Sonst vermasselt man das ganze Bild.“ Zeichnen ist ein Ventil für Emotionen, eine Therapie, wenn das Leben schwierig wird. „So wie bei mir, wenn der Ehemann gerade mit einem Schlaganfall im Krankenhaus ums Leben kämpft“, sagt sie. „Hör mal, im Leben soll man machen, was man liebt. Man muss schon zu viel.“ Und dabei zeichnet sie weiter, deutet mit ein paar Flecken in quietschbunten Farben den Spielplatz vor dem Waldrand an. Die Frau mit den strahlenden blau-grauen Augen mit leichtem Lidschatten nimmt nicht alles in ihr Bild auf, sie will eine Geschichte über die Szene erzählen. „Es hat eigentlich überhaupt keinen Sinn, den Himmel zu malen“, sagt sie entschieden, schaut dann aber zu den dunklen Wolken auf,

die vom Wind schnell vorangetrieben werden, und überlegt es sich anders: „Wenn ich erzählen will, dass es gleich regnet, müsste ich ihn malen. In so einer grau-lila hässlichen Farbe.“ Gesagt, getan.

Gegenentwurf Langsamkeit Keine Minute später flucht Doris Recke. „Schau hier, jetzt habe ich Wolken gemalt und das ganze Design kaputtgemacht“, ärgert sie sich. „Jetzt muss ich das runterspielen, damit die Wolken nicht die Protagonisten werden.“ Mit wässrigem Pinsel verschwimmen die Wolken, und der Himmel rückt aus dem Fokus. Schließlich ist Recke zufrieden und hält direkt Ausschau nach dem nächsten Motiv. „Die Rothaarige da hinten, die ist zum Zeichnen, so wie die da sitzt“, sagt sie entschlossen, dreht ihren Hocker um und schlägt eine leere Seite auf, um mit Rostrot und einem feurigen Orange die Haare der Frau abzubilden. Ganz ohne bunte Farben kommt der Gründer der hiesigen Urban Sketchers Guido Wessel aus. Er sitzt in olivgrüner Outdoor-Kleidung ein paar Schritte weiter und widmet sich den Boule-Rentnern. Seine Bilder haben viel eher Skizzencharakter als die von Recke und Encke. Wessel arbeitet mit nur einem schwarzen Stift, der bei starkem Druck dicke und bei schwächerem Druck dünne Linien aufs Papier bringt. Beim ersten Schritt muss einfach Farbe aufs Papier, findet er. „Ruhig schon mal expressiv spielerisch, nicht zartfühlend!“ Von da legt er los, arbeitet gekritzelte Sätze über seine Eindrücke in das Bild ein. Wessel sieht sich als Vorreiter der Sketching-Bewegung. Vor Jahren ist er online auf Landschaftssketches aus Lateinamerika gestoßen. „Das waren nur ganz lockere Striche, aber ich konnte spüren, wie das Wetter da gerade ist.“ 2016 gründet er dann die Urban Sketchers Dortmund. „Bis vor wenigen Jahren war ich der Einzige, der das im Ruhrgebiet gemacht hat.“ Mittlerweile macht die Gruppe jeden Donnerstag einen gemeinsamen Ausflug an Orte irgendwo in der Stadt, die sich zum Zeichnen eignen, und organisiert internationale Sketching-Veranstaltungen. Wessel will damit auch anderen die Möglichkeit geben, in die Kunst einzusteigen, ganz ohne hohe Hürden. Und er genießt das Tempo beim Zeichnen: „Langsamkeit ist das Wesen. Man muss sich der Situation aussetzen“, erklärt er. „Das ist der Gegenentwurf zum Foto. Ich sag mal, schnelle Sachen gibt’s genug.“ Mit seinen Bildern will Guido Wessel dem Betrachter nicht alles vorkauen. „Hier müsste ich jetzt eigentlich einen Schatten drumherumlegen“, sagt er, und sein Stift zeigt auf den skizzierten Boulespieler. „Das muss sich der, der das Bild sieht, eben selbst überlegen, das ist dann sein Problem“, sagt er vergnügt und widmet sich der nächsten Figur. So leicht fällt ihm das Zeichnen nicht immer. „Manchmal fahre ich zweieinhalb Stunden mit dem Rad durch die Gegend, finde kein Motiv und denke, ich kann nix“, gibt er freimütig zu. Aber meist gelingt ihm, was das Urban Sketching ausmacht: Einfach anfangen und sehen, was passiert.

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KULTUR

Farewell, Sissi! Mit der Kombination aus Keller-Club, Restaurant, Bar und Kulturort war das Sissikingkong prägend für das Dortmunder Kultur- und Nachtleben. Nun hat der Laden geschlossen und sein Betreiber beginnt etwas Neues. Ein Abschied. Von Peter Hesse | Foto: Daniel Sadrowski 20 Jahre ist es her, dass Dirk „Cebu“ Geisler das Sissikingkong in dem großen Eckladen in der Landwehrstraße eröffnete. In den Jahren zuvor waren hier mehrere Gastronomen glücklos geblieben, Geislers Konzept von feiner Gastronomie im Restaurant und Kulturprogramm im Clubkeller, der bis in den frühen 1990er Jahre noch eine mechanisch betriebene Kegelbahn beherbergt hatte, passte offensichtlich.

Die Partyreihe „La Boum“ etwa mit den DJs Timmi und Martini, den bodo-LeserInnen als unseren Autor Wolfgang Kienast kennen, war vielleicht die Dortmunder Tanzveranstaltungs-Institution der letzten zwei Jahrzehnte. Aus dem ehemaligen Cosmotopia 2004 in Cebus Keller gezogen, brachte sie ganze Generationen von Tanzwilligen mit Retrosounds zum Schwitzen.

Angefangen hat Geisler in den 90er Jahren, als er im Bochumer „Rauschen“ zu kellnern begann. „Ich hab dort auch in der Küche ausgeholfen, wenn es gefragt war“ – und so seine Liebe für feine Küche entdeckt, die er dann auch in seinen eigenen Laden brachte. Zwischen Gnocchi mit Spargel, Wildschwein-Gulasch oder hausgemachter Pasta hatten die Gerichte im Sissikingkong eine eigene, ausgesuchte und hochwertige Note.

Ebenfalls von Wolfgang „Martini“ Kienast kuratiert machten die „Abende am elektrischen Kamin“ (Ekamina) den Sissi-Keller zu einem Off-Kulturort mit echten Überraschungen. Hier lasen, spielten, sangen und performten große Namen und zu Unrecht unbekannte. Für die Kult-Vorleser Dond & Daniel (s.S. 8) war es der Heimathafen. Lange ein Geheimtipp waren darüber hinaus die internationalen Indie-Konzerte der „Feinen Gesellschaft“.

Das hätte für einen herausgehobenen Status im Quartier gereicht, aber dann war da noch diese steile Treppe, die in den urigen Kellerschlauch führte, der das Sissikingkong zu einem einzigartigen Ort machte. Mit Lesungen, ausschweifenden Discoabenden, Kleinkunst- und Kino, Geburtstagen, gar Hochzeiten und Parteitagen war das „Sissi“ im Dortmunder Hafenquartier ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Kulturort.

Nun ist Zeit für Neues. Dirk Geisler, der selbst mit seinen Bands Lachsbarbie oder Sister King Kong unterwegs war, wird seiner Liebe zum Kochen ganz nachgeben und ein reines Speiselokal eröffnen. Und so verabschiedet sich mit dem Sissikingkong ein wichtiges Stück Kultur aus dem Hafenquartier – nicht ohne einen nostalgischen Seufzer bei Gästen und Betreiber. Auf Facebook schrieb Cebu: „Das Sissikingkongherz ist ein sehr großes, voller Erinnerungen und Dankbarkeit.“

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SUDOKU

LESERPOST & MEINUNGEN

bodo 07.20

„Wenig Augenmaß“ Sehr geehrte bodos, nachdem ich nun wieder über die verhängten Bußgelder gelesen habe (ich musste ein paar Tage mit meinem Leserbrief warten vor Wut), möchte ich doch meine Meinung dazu äußern: Statt Obdach- und Wohnungslosen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, wie es meiner Meinung nach in dieser Ausnahmesituation durch Corona nicht nur sinnvoll, sondern auch erforderlich gewesen wäre, lässt die Stadt Bußgeld-Bescheide verteilen vom Ordnungsamt. Das halte ich nicht nur für ungerecht, meiner Meinung nach ist das unsozial! Bund, Land und Stadt ziehen sich immer mehr aus der sozialen Verantwortung zurück, überlassen vieles heute dem Ehrenamt. Ich schätze das Ehrenamt und die Leistungen dieser Personen. Aber es kann nicht sein, dass alles auf die Bevölkerung abgewälzt wird. Durch die Corona-Pandemie sind und waren Obdachund Wohnungslose nicht geschützt und hatten auch keinerlei Möglichkeiten, dieses selbst zu ändern. Dann noch eine Strafe aufzuerlegen, die nicht bezahlt werden kann, das dürfte selbst den Ordnungshütern bekannt sein, ist alles andere als menschlich! Dieses Verhalten der Stadt führt nach meiner Meinung nur zu weiteren Ansteckungsmöglichkeiten unter den Menschen, und daher ist die Stadt, wie ich meine, auch für diese Gefahrenquelle verantwortlich. Ich hoffe und wünsche allen, dass sie die Corona-Pandemie gut überstanden haben bzw. überstehen werden. Weiter hoffe ich, dass vielleicht dem einen oder der anderen Verantwortlichen bei der Stadt auffällt, wie widersinnig diese Bußgeldbescheide sind. Alles Gute! W. P. Sehr geehrte Damen und Herren! Aus meiner früheren Tätigkeit in der Kommunalverwaltung weiß ich, dass bei allen Entscheidungen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Zweck-MittelRelation) anzuwenden ist. Es hat sich bisher nirgendwo bewährt, wenn innerhalb der Behörde die Zuständigkeit für Obdachlose von der Sozialen Schiene hinweg zur Ordnungsbehörde verlagert wurde. Meiner Ansicht nach wäre es besser, wenn Obdachlose durch Gespräche auf ihre eigene Gesundheitsgefährdung hingewiesen werden sollten. Die Motivation zur Einhaltung von Regeln muss aus dem Gedanken des eigenen Schutzes entspringen! Um den Obdachlosen einen Rest von Würde im Sinne unseres Grundgesetzes zu erhalten, sollte man auf „Machtspielchen“ per Bußgeldbescheid verzichten. Mit freundlichen Grüßen, L. L.

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RÄTSEL

Fußgängerzone statt Anlaufstelle: Corona hat auch große Teile unserer Beratungsarbeit nach draußen verlagert. Unser Dortmunder Verkäufer Egon mit bodo-Vertriebsleiter Oliver Philipp in der Dortmunder Innenstadt. Foto: Sebastian Sellhorst

bodo 07.20

Rassismus: Vier Positionen Liebe bodo, das waren sehr berührende und betroffen machende Berichte „Aus der Mitte der Gesellschaft“ in Eurem JuliHeft. Wenn eine Dortmunder Lehrerin ihren eigenen Kindern einschärft, bei Kontakt mit der Polizei die Hände zu heben und zu sagen, dass sie nicht bewaffnet sind – weil sie schwarz sind –, ist das einfach schrecklich. An allen vier Berichten hat mich aber am meisten betroffen, wie sehr sie vom Alleingelassenwerden handeln. Davon, dass auch beruflich erfolgreiche Menschen aus dieser Gesellschaft sich immer noch beleidigen lassen müssen, dass kaum jemand ihre berechtigten Ängste ernst nimmt, dass ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen werden, dass zu Rassismus geschwiegen wird. Danke für diese wichtigen Beiträge. H. M. bodo 07.20

Zum Tod von „Bob der Streuner“ Das Buch ist toll, ich habe es an einem Abend gelesen. Die Geschichte der beiden ist sehr schön, auch wird hier gut dargestellt, was für eine Chance der Verkauf der Zeitungen bedeutet. Wirklich schön.

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

AUFLÖSUNG HEFT 07.20

M. K.-E.

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Einer der wichtigen Faktoren für die VerkäuferInnen des Straßenmagazins sind die vielen Begegnungen, die auf der Straße zustande kommen. Dass es so läuft wie bei Stefan und dem Dortmunder Dirk Leiss, ist allerdings selten. Bei einem Besuch in der Redaktion hat unser langjähriger bodo-Verkäufer erzählt, wie aus einer zufälligen Begegnung ein gemeinsames Musikprojekt entstanden ist. Von Sebastian Sellhorst Fotos: LD Foto

„Das schönste Geschenk“

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u glaubst nicht, was passiert ist“, kommt bodoVerkäufer Stefan aufgeregt in die Redaktion. „Ich war gerade auf dem Weg zur Kirchengemeinde in Aplerbeck, wo ich regelmäßig verkaufe. Da kam ich an einer Gruppe Leute vorbei, die an der Straße grillten. Ich hab nett gegrüßt und bin erstmal zu meinem Verkaufsplatz.“ An den Gemeinden in Aplerbeck, Schüren, Brünninghausen, Löttringhausen und Kirchhörde ist Stefan regelmäßig. „Auf dem Rückweg bot mir Dirk, vor dessen Fotostudio gegrillt wurde, eine Wurst an und wir kamen ins Gespräch.“ Lange ging es dann um die Lieblingsbands der beiden. „Stefan schwärmte von seiner Leidenschaft für Musik und von den vielen Konzerten, die er schon besucht hat“, erzählte uns Dirk, „und irgendwann kamen wir dann auch auf Udo Lindenberg zu sprechen.“ – „Zum ersten Mal habe ich Udo 1983 bei der SündenknallTournee gesehen. Zuletzt im letzten Jahr hier in Dortmund“, so Stefan. Als dann zu später Stunde eine kleine Lautsprecherbox ausgepackt wurde, ließ Stefan es sich nicht nehmen, Udo Lindenbergs Hit „Durch die schweren Zeiten“ zum Besten zu geben – und eine Idee war geboren: „Aus einer Bierlaune heraus haben wir dann gesagt, dass wir das einmal etwas professioneller aufnehmen sollten. Wir haben unsere Nummern ausgetauscht; aber wie so oft bei solchen Ideen, ist es dann erstmal dabei geblieben. Vor

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ein paar Tagen klingelte dann mein Telefon und Stefan erinnerte mich an die Idee“, erzählt Dirk, „und ich dachte mir: ‚Warum eigentlich nicht?‘“ Ein paar Tage später trafen sich die beiden dann im Fotostudio in Aplerbeck, das er zusammen mit einem Freund nebenberuflich betreibt. „Nachdem wir uns auf zwei Songs geeinigt hatten und Dirk mich in seinem Fotostudio richtig ausgeleuchtet hatte, ging es los“, blickt Stefan auf den Tag zurück. „Cello“ und „Durch die schweren Zeiten“ gab er mit Profi-Ausrüstung zum Besten. „Die Texte musste ich natürlich nicht lernen, die saßen ja alle. Aber die richtigen Einsätze zu treffen und das Singen mit Mikrofon waren gar nicht so einfach. Bestimmt drei Stunden haben wir aufgenommen, bis die beiden Songs dann im Kasten waren. Am Ende war ich fast ein bisschen heiser.“ Mit Studiopartner Sebastian Breickmann gab es dann noch ein Interview zur Aktion. „Ich bin Dirk unglaublich dankbar“, sagt Stefan. „Als er mir das fertige Ergebnis präsentierte, rührte es mich zu Tränen. Das war eines der schönsten Geschenke, die mir je jemand gemacht hat.“ Beide Songs und das Interview mit Stefan sind auf Facebook (www.facebook.com/leissfoto) zu finden.


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Vielleicht gibt es dieses Jahr gar keine Stände in der Innenstadt, unter denen die Parteien uns auflauern. Wäre es ein Verlust? Es ist in der Coronazeit etwas untergegangen: Wir wählen im September, kommunal, Oberbürgermeister, Stadträte, Bezirksvertretungen. Da muss man nicht gendern, weibliche Vertreter sind in Stadträten die Ausnahme. Bochum hatte mal eine Oberbürgermeisterin. In Mülheim tritt jetzt eine starke Frau an. Aber wegen Monika Griefahn ins Rheinland wechseln? Dortmund hat eine aussichtsreiche Kandidatin, die Grüne Daniela Schneckenburger. Sie hat hier über Jahre so unaufgeregt gearbeitet, dass manchen Stammwählern anderer Parteien in der Wahlkabine der Kuli ausrutschen könnte. Die SPD muss sich 2020 richtig Mühe geben. Aus rein folkloristischen Gründen wählt die niemand mehr. Wo die Stände aus Gründen der Hygiene nicht mehr mit Einkaufswagenchips und Pfefferminzdrops um sich werfen können, muss anderes her. Programme werden es weniger sein. Auch weil alles, was Parteiräte sich so im Winter ausgedacht haben, vom Virus entsorgt worden sein dürfte. Notfalls fehlt es mal nicht an Ideen, sondern an Geld. Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

Sie Mitglied Werden auch in der AWO! eder die AWO li g it M r h e m Je hr kann sie in hat, desto me ft bewirken. der Gesellscha en nn sie Mensch Desto eher ka fe brauchen. helfen, die Hil ww.de e • www.awo.d w w oaw info@

Da bleiben Emotionen. Facebook ist für sie das Silbertablett. Mir fiel ein OB-Kandidat auf, derzeit Bürgermeister im Sauerland. Immerzu schwärmte Andreas Hollstein von „unserer Stadt“. Da wollte ich wissen, ob er damit Dortmund meine oder seinen aktuellen Amtssitz Altena. Der CDU-Kandidat antwortete, er habe „immer gesagt, ein (Ober)Bürgermeister muss da wohnen, wo er arbeitet. Deshalb werde ich dann auch (gerne) umziehen.“ Oh, dachte ich. Dortmund ist es immerhin wert, dort in Klammern gern zu leben; bei einer Niederlage wäre es aber schnell vorbei mit der jungen Heimatliebe. Einen ähnlichen Fall hatte die CDU schon einmal. Norbert Röttgen wollte 2012 nur dann nach NRW wechseln, wenn er auch Ministerpräsident würde. Er musste dann nicht.

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Favoriten Festival 10. – 20. September 2020 Dortmund

Musik Tanz

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Antje Velsinger: dreams in a cloudy space © Imke Lass

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äöü, Antje Velsinger, Caner Teker, CHICKS*, David Guy Kono, HARTMANNMUELLER, KGI, Mareike Hantschel/ Lucie Ortmann/ Katrin Ribbe, Nesrin Tanç, Philine Velhagen, Reut Shemesh, Rotterdam Presenta, Saskia Rudat, Screwing Bitches, Swoosh Lieu, Thomas Lehmen, Transnationales Ensemble Labsa, Tümay Kılınçel, Tunay Önder, Ursina Tossi, WHY NOT? Kollektiv, YOU ARE GROUP

GRÜN IST

morgen eine Miete zahlen zu können.

Zukunft entscheidet sich hier. 48


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