bodo Juni 2019

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bodo G A Z IN A M N E S S A R T S S A D

06 | 19 Die besten Geschichten auf der Straße

2,50 Euro Die Hälfte für den Verkäufer

Happy Birthday, Horrorhaus

27 Tipps zum Kirchentag Seite 25

Ozan Ata Canani: „Gastarbeiter“Pop Kunst und Wohnen Seite 23

PIA K LEMP G N U T T E R T O N SEE T H C I R E G R O V

Dr. Straßenzeitung Berufung Pflegemutter

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Pia Klemp

Von Benjamin Laufer

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: René Boyke, Alexandra Gehrhardt, Sarah Heppehausen, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Lamiita, Benjamin Laufer, Bastian Pütter, Petra von Randow, Silvia Rizvi, Sophie Schädel, Sebastian Sellhorst Titelfoto: Paul Lovis Wagner Bildnachweise: Roland Baege (S. 11), Bianka Boyke (S. 16), Doctore Minutera (S. 40, 41), INSP (S. 8, 18, 19), Andre Noll (S. 12), Silvia Rizvi (S. 19), Daniel Sadrowski (S. 3, 22, 23, 27, 30, 33, 34, 36), Sebastian Sellhorst (S. 2, 8, 9, 10, 11, 15, 16, 25, 43, 45, 46), Shutterstock. com (S. 7, 22), Sandra Spitzner (S. 28), Paul Lovis Wagner (S. 4, 6) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Juni-Ausgabe 10. 05. 2019 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 03. 2018 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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Als Kapitänin der privaten Rettungsschiffe SeaWatch 3 und Iuventa hat Pia Klemp etwa 5.000 Menschen das Leben gerettet. Dafür drohen ihr nun 20 Jahre Haft. Der Tatvorwurf: Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Im Interview sagt sie: „Ich habe keine Angst, aber ich bin sauer.“

Happy Birthday, Horrorhaus

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Das Hochhaus an der Kielstraße 26 in Dortmund kennen viele nur als „Horrorhaus“. Vor 50 Jahren errichtet, steht es heute als Symbol für die lange vernachlässigte Nordstadt wie für die Folgen blinder Immobilienspekulation. Ein Geburtstagsgruß und ein Abschied. Von Alexandra Gehrhardt

Ozan Ata Canani

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„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“ Ende der 1970er-Jahre inspiriert dieses Max-Frisch-Zitat Ata Canani zum Songtext „Deutsche Freunde“, der den Beginn von etwas gänzlich Neuem darstellt: Ein Gastarbeitersohn, der zu türkischer Musik deutsche Texte singt. Von Max Florian Kühlem

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de bodos Bücher, Modernes Antiquariat: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Stühmeyerstraße 33, 44787 Bochum Mo. bis Do. 10 – 13 Uhr, Fr. 14 – 17 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Lamiita, bodo-Verkäuferin in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie in der Dortmunder Innenstadt auf den Wochenmarkt gehen, haben Sie vielleicht schon mal eine bodo bei mir gekauft. Mittwochs und samstags bin ich eigentlich immer an meinem Verkaufsplatz in der Wißstraße zwischen Hansaplatz und Stadtgarten. Dann ist dort am meisten los, und ich treffe alle meine Stammkunden. Diesen Monat war dort besonders viel los. Wenn an Samstagen Fußballspiele sind, ist die Stadt immer ganz besonders voll, und in den Kneipen an meinem Verkaufsplatz sind alle Plätze belegt. Leider hat es für den BVB diesmal nicht ganz gereicht, da habe ich eine Menge trauriger Gesichter gesehen. Diesen Monat feiere ich meinen 34. Geburtstag. Vielleicht fahre ich nach Rumänien, um Familie und Bekannte zu besuchen, das steht aber noch nicht ganz fest. Ich wünsche mir nur, dass es jetzt richtig Sommer wird. Im Mai bin ich so oft nass geworden, das hat mir an einigen Tagen richtig den Verkauf vermiest. Jetzt wünsche ich Ihnen aber erst mal viel Spaß mit der Juni-bodo. Ihre Verkäuferin Lamiita

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EDITORIAL

04 Menschen | Pia Klemp 07 Straßenleben | 806-mal geräumt 08 Neues von bodo 12 Reportage | Happy Birthday, Horrorhaus 16 Das Foto 16 Recht | Jobcenter muss Schulbücher zahlen 17 Kommentar | „Schlüssel zur Glaubwürdigkeit“ 17 Die Zahl 18 Interview | Was Straßenzeitungen leisten 22 Wilde Kräuter | Walnuss 23 Kultur | Janna Banning 24 Veranstaltungskalender | Verlosungen 29 Kinotipp | Burning 30 bodo geht aus | Stallgasse 32 Kultur | Ozan Ata Canani 35 Bücher 36 Reportage | Beruf: Pflegemutter 39 Eine Frage… | Wo darf ich im Sommer schwimmen? 40 Reportage | Doctore Minutera 42 bodo Shop | Leserpost 43 Leserpost | Rätsel 44 Soziales | „Auf Augenhöhe“ 46 Verkäufergeschichten | Auf dem Sofa

Liebe Leserinnen und Leser, als wir im Maiheft ein Porträt der Regisseurin Julia Wissert druckten, wussten wir nicht, dass sie wenige Tage nach Erscheinen als Nachfolgerin von Kay Voges als Intendantin des Dortmunder Schauspiels benannt werden würde. So lieferte unser Heft unbeabsichtigt den Hintergrund zur Sensationsnachricht „Schwarze 34-jährige Frau wird Theater-Chefin“. Im Interview gab sie einen Buchtipp, den wir gleich beherzigt haben: Auf Seite 35 bespreche ich ein im besten Sinne unangenehmes Buch der Britin Reni Eddo-Lodge. Wir wünschen Julia Wissert und dem Schauspiel einen erfolgreichen gemeinsamen Start und erinnern uns, dass so etwas nicht immer einfach ist. Im März 2010, lange ist es her, fand sich in diesem Magazin an gleicher Stelle ein Interview mit dem designierten Intendanten Kay Voges. Dem „Punk aus Krefeld“ war nach seiner Ernennung die fast geschlossene Ablehnung des Dortmunder Bürgertums entgegengeschlagen. Er hat, kann man sagen, das Beste draus gemacht. In diesem Heft geht es um Fotografie, Musik und bildende Kunst, vor allem aber um die soziale Wirklichkeit ganz weit draußen an Europas Außengrenzen und direkt vor unserer Haustür. Mehr als sonst sind unsere VerkäuferInnen Thema, und zum ersten Mal tragen wir einer Großveranstaltung mit einem eigenen Kalender Rechnung. Aus dem unüberschaubaren Programm des Evangelischen Kirchentags haben wir einige sehr subjektive Empfehlungen für Sie.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 42

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Obdachlosigkeit zu verhindern ist die beste Hilfe. Wer heute seine Wohnung verliert, wird oft lange ohne neuen Mietvertrag bleiben, denn bezahlbarer Wohnung fehlt. In unseren Anlaufstellen helfen wir Menschen, bevor es zu spät ist. Mit Ihrer Unterstützung. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Wenn Pia Klemp rauskommt, wäre sie fast 60 Jahre alt. Bis zu 20 Jahre Gefängnis, damit drohen sizilianische Staatsanwälte der 35-jährigen Kapitänin aus Bonn. Und sie fahren dafür einiges auf: abgehörte Telefonate, verdeckte Ermittler und eine angekündigte Anklage wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Es wäre nur zu verständlich, wenn man es da als Beschuldigte mit der Angst zu tun bekäme. Aber wenn Klemp welche hat, gibt sie es nicht zu: „Ich habe keine Angst, aber ich bin sauer.“ Von Benjamin Laufer | Fotos: Paul Lovis Wagner

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ia Klemp sagt, sie habe in sechs Einsätzen als Kapitänin der privaten Rettungsschiffe Sea-Watch 3 und Iuventa etwa 5.000 Menschen das Leben gerettet. Dass sie dafür jetzt vor Gericht gezerrt wird, macht sie wütend. „Absolut erbärmlich“, findet sie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Und sie glaubt, dass sie politisch motiviert sind. In Zeiten, in denen in Italien ein Rechtsnationaler Innenminister ist, der immer wieder gegen zivile Seenotretter poltert und rassistische Stimmung gegen Migranten macht, scheint das möglich. Die Anklage gegen sie und neun weitere Crewmitglieder der Iuventa sieht Pia Klemp als Versuch, die privaten Seenotretter einzuschüchtern und von der Arbeit abzuhalten. In gewisser Weise schon mit Erfolg, denn gerade ist sie an Land und nicht auf dem Mittelmeer, wo sie Menschen vor dem Ertrinken retten könnte, weil ihr in dem Fall Untersuchungshaft drohen würde. Und das quält sie am meisten.

Denn so lange am selben Ort wie gerade jetzt war sie seit Jahren nicht mehr. „Ich habe schon lange keinen festen Wohnsitz mehr, sondern ziehe mit meinem Rucksack durch die Lande und über die Meere“, erzählt sie. Direkt nach ihrem Biologiestudium in Bonn zog sie vor zehn Jahren nach Indonesien. Eine Anstellung im Labor, das wäre nichts für sie gewesen. Viel lieber jobbte sie als Tauchlehrerin und erkundete die Korallenriffe im Indischen Ozean. Doch mit jedem Tauchgang bemerkte sie mehr und mehr, wie sehr die wunderschöne Unterwasserwelt durch die Verschmutzung der Meere bedroht ist. Also heuerte sie nach drei Jahren auf einem Schiff der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd an, zunächst als Aushilfskraft. Dort lernte sie dazu, wurde Bootsfrau, später Kapitänin. Seitdem verbringt sie einen Großteil ihrer Zeit auf dem Meer. „Ich möchte so viel wie es nur irgendwie geht von der Welt sehen“, sagt Klemp. „Es gibt so viele spannende Orte, Menschen, Geschichten und Tiere zu entdecken, das

„Ich bin sehr glücklich mit dem, was in meinen Rucksack passt. Mehr habe ich bis jetzt noch nie gebraucht.“

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„Ich habe keine Angst“ treibt mich immer weiter an.“ Dass sie dafür auf Komfort verzichten muss, stört sie nicht weiter: „Ich bin ein recht genügsamer Mensch“, sagt sie. „Ich bin sehr glücklich mit dem, was in meinen Rucksack passt. Mehr habe ich bis jetzt noch nie gebraucht.“ Als private Seenotretter anfingen, Menschen aus dem Mittelmeer zu ziehen, weil die EU ihre staatlichen Rettungsmissionen zurückfuhr, war Klemp schnell zur Stelle. „Ich kann mir als Seefrau nichts Fieseres vorstellen, als alleingelassen im Meer ertrinken zu müssen“, begründet sie die Entscheidung, sich 2017 bei Sea-Watch und Iuventa als Schiffsführerin zu bewerben. Und eine politische Begründung hat sie freilich auch: „Ich bin als Teil dieser Gesellschaft mitverantwortlich für viele der

Pia Klemp geboren 1983 in Bonn Biologiestudium, Arbeit als Tauchlehrerin in Indonesien Aktivistin bei der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd Kapitänspatent, seit 2015 in der Seenotrettung

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MENSCHEN

Fluchtursachen und habe die seefahrerischen Fähigkeiten.“ Es klingt, als hätten die Umstände ihr gar keine andere Wahl gelassen. Im Juni 2017 läuft sie das erste Mal mit der Iuventa aus. „Es ging direkt in die Vollen“, sagt Klemp. Gleich am ersten Einsatztag sei die Crew auf 15 Boote mit jeweils 120 bis 150 Menschen in Seenot gestoßen. Da war sie geschockt: Vom schlechten Zustand der Boote, dem psychischen und physischen Zustand der Menschen und von der Tatsache, dass ihnen außer den privaten Helfern niemand zu Hilfe kam. Haben sie es damals geschafft, alle zu retten? Klemp muss nachdenken. „Ich glaube, an dem Tag hatten wir keine Toten“, sagt sie dann. Aber sicher ist sie sich nicht.

„Der eigentliche Schrecken widerfährt diesen Menschen auf der Flucht, nicht mir.“

Tote gab es, als Klemp ein halbes Jahr später mit der SeaWatch 3 zu einer Rettungsmission vor der libyschen Küste ausrückte. 150 Menschen auf Schlauchbooten waren in Seenot geraten, viele von ihnen ertrinken. Weil es zu viele sind, die im Wasser treiben, als dass die Retter der SeaWatch sie alle gleichzeitig herausziehen könnten. Und weil die ebenfalls anwesende libysche Küstenwache kaum Anstalten macht, ihnen zu helfen – sondern sie im Gegenteil aktiv gefährdet. Die, die es an Bord des libyschen Schiffes schaffen, werden zudem misshandelt. Manche springen aus Panik wieder ins Meer, obwohl sie nicht schwimmen können. Nimmt sie die Eindrücke mit nach Hause, bringen die Bilder von Ertrinkenden sie um den Schlaf? Wenn sie etwas belaste, dann das, dass das Sterben weitergehe – und sie gerade am Festland nichts dagegen tun könne. „Der eigentliche Schrecken widerfährt diesen Menschen auf der Flucht, nicht mir“, sagt sie. Was ihr hilft, ist das Gefühl, nicht alleine zu sein. „Es ist super zu sehen, was alles möglich ist, wenn wir als Crew alle zusammenarbeiten“, resümiert die Kapitänin ihre Rettungseinsätze. Im Rücken haben die Seenotretter große Teile der Zivilgesellschaft. Immerhin 75 Prozent der Deutschen befürworten laut einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2018 ihre Arbeit. Klemp war auch dabei, als die Iuventa im August 2017 von den italienischen Behörden festgesetzt wurde. Die Notruf leitstelle in Rom habe sie nach Lampedusa gelotst, erzählt sie: „Wir wurden dort von vier Schiffen der Küstenwache mit Blaulicht und bewaffneter Besatzung an Deck in Empfang genommen.“ Das war der Beginn des Verfahrens gegen zehn Crewmitglieder. Seitdem darf das Rettungsschiff nicht mehr auslaufen, obwohl auf dem Meer weiter Menschen ertrinken. So wie andere Seenotretter auch, die von der italienischen und maltesischen Regierung in den vergangenen Monaten immer wieder festgehalten wurden. Konkret wirft die Staatsanwaltschaft der Iuventa-Crew vor, sie habe mit Schleusern zusammengearbeitet und Schlauchboote zurückgeschickt, sodass sie erneut hätten benutzt werden können. „An den Haaren herbeigezogener, fingierter, dilettantischer Quatsch“, sagt Pia Klemp. Ein Gutachten, das die Seenotretter in Auftrag gegeben haben, spricht ebenfalls von haltlosen Anschuldigungen. Dennoch: „Uns steht ein jahrelanger Schauprozess bevor“, befürchtet Klemp. Sie rechnet mit 500.000 Euro Prozesskosten, für die die Gruppe „Solidarity at Sea“ nun Spenden sammelt. Einschüchtern lassen wollen sie sich aber nicht, sagt Klemp über sich und ihre Mitstreiter: „Solange Menschen fliehen, werden wir versuchen, sie zu retten.“ Mit freundlicher Genehmigung von Hinz&Kunzt

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STRASSENLEBEN

806-mal geräumt I

n Dortmund ist die Zahl im Vergleich zu 2017 (653) zwar gesunken – in Bochum hat sie nach Angaben der Linken-Fraktion jedoch einen neuen Höchststand erreicht. Lediglich 50 (Bochum) bzw. 263 (Dortmund) angesetzte Räumungen konnten Sozialämter 2018 abwenden. Die Bochumer Linke fragt jährlich die Zahl der Zwangsräumungen ab und weist dabei auf zwei bemerkenswerte Details hin. Erstens: Nach Schätzungen des Sozialamtes basieren 90 Prozent der Fälle nicht auf Fehlverhalten oder Eigenbedarf, sondern auf Mietschulden. Zweitens: Zwangsräumungen betreffen nur bestimmte Gruppen. Der zuständigen Abteilung im Sozialamt sind laut Verwaltung für 2018 „keine Fälle bekannt, bei denen die Hilfesuchenden keine Sozialtransferleistungen erhalten haben“. In Dortmund waren 86 Prozent der Geräumten im Leistungsbezug. Die Fraktion beklagt: „Die Mieten und Nebenkosten steigen, beim sozialen Woh-

Eigentlich sollen Sozialbehörden verhindern, dass Menschen ihre Wohnung verlieren. Das gelingt offenbar nur unzureichend. In Bochum sind im vergangenen Jahr 233 Wohnungen zwangsgeräumt worden, in Dortmund waren es 573. Bemerkenswert: Fast immer erhalten die Betroffenen Sozialleistungen. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Shutterstock

nungsbau erreicht die Stadt nicht einmal ihre viel zu niedrigen Ziele.“ 200 geförderte Wohnungen sollen jährlich in Bochum neu gebaut werden, 2018 wurden lediglich für 92 Wohnungen Förderanträge gestellt. Auch die im vorigen Jahr neu geregelten Kosten der Unterkunft kritisiert die Linke. Denn die Miete, die das Jobcenter für Bochumer Leistungsbeziehende übernimmt, ist für kleine Haushalte gesunken. „Die gewaltsamen Wohnungsräumungen sind eine besonders brutale Folge des Zusammenspiels einer verfehlten Sozialpolitik mit dem wohnungspolitischen Versagen der Rathauskoalition.“

Handeln auf. Wohnen müsse Grundrecht sein, daher „sind Zwangsräumungen zu verhindern bzw. dürfen Räumungen nur dann stattfinden, wenn menschenwürdiger Ersatzwohnraum zur Verfügung steht“, so die BAG W. Auch SGB-II-Sanktionen, im Zuge derer Leistungsbeziehenden die Miete gekürzt werden kann, müssten „ersatzlos gestrichen werden“, fordert die Organisation.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) forderte bereits im Herbst die Bundesregierung zum

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NEUES VON BODO

bodo beim Kirchentag Vom 20. bis zum 22. Juni können Sie uns zwischen 10.30 und 18.30 Uhr beim „Markt der Möglichkeiten“ in der Westfalenhalle besuchen. Gemeinsam mit Gast-Haus e.V. und der Kana Suppenküche betreiben wir einen Stand in Halle 3, um uns mit anderen Initiativen zu vernetzen und um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.

TERMINE Soziale Stadtführungen Bochum, 15. Juni, 11 Uhr (Die Dortmunder Führung entfällt wegen Pfingsten.) Anmeldung unter Tel. 0231 – 950 978 0 Kana am Rathaus Solidarisches Mittagessen 8. Juni, 12 Uhr Stadtgarten Dortmund Biken für bodo Charity-Motorradausfahrt 16. Juni, 12 Uhr Start: bodo, Schwanenwall, Dortmund Internationale Konferenz der Straßenzeitungen 17. – 20. Juni, Hannover bodo beim Ev. Kirchentag Markt der Möglichkeiten, Stadtführungen, Reinoldikirche 20. – 22. Juni, Dortmund 8

Als Variante zu unseren sozialen Stadtführungen begleiten wir am Freitag, dem 21. Juni um 11.30 Uhr und am Samstag um 14 Uhr die Führung „Wege zur Nachhaltigkeit“. Startpunkt ist das Geschäft FairBleiben, Heiliger Weg 3 – 5. Am Freitag um 16 Uhr diskutieren Katrin Lauterborn (Gast-Haus), Monika Dürger (ObdachlosenKaffee) und Bastian Pütter (bodo) in der Reinoldikirche.

Biken für bodo

Familientreffen

Unterstützt von der DSW21-Gruppe startet am 16. Juni um 12 Uhr die Charity-Motorrad-Ausfahrt „Biken für bodo“. Startpunkt ist der Vereinssitz von bodo am Schwanenwall. Von hier brechen von Tourguides geführte Gruppen von 8 bis 10 Fahrzeugen zu einer Rundfahrt durch das Bergische und das Sauerland auf. Die Strecke wird rund 180 Kilometer betragen. Mitfahren kann jeder, egal ob Fahranfänger, Wiedereinsteiger oder „alter“ Hase. Die Mindeststartgebühr pro FahrerIn beträgt 20 Euro und 10 Euro pro Sozius. Die Startgebühren und alle Spenden mit dem Zweck „Biken für bodo“ kommen ohne Abzug der Dortmunder Anlaufstelle des bodo e.V. zugute. Mehr unter bodoev.de.

Vom 17. bis zum 20. Juni treffen sich MitarbeiterInnen der mehr als 100 sozialen Straßenzeitungen im Netzwerk INSP zu ihrer jährlichen internationalen Konferenz. Kürzer war die Anreise für uns noch nie, denn Ausrichterin ist „Asphalt“, die Straßenzeitung aus Hannover. Das gibt uns die Möglichkeit, am gleichen Ort unser jährliches deutschsprachiges Netzwerktreffen am Tag vor Konferenzbeginn zu absolvieren. Wir freuen uns auf eine arbeitsreiche Woche, in der es um Journalismus, Sozialarbeit, Organisationsentwicklung und ganz explizit um Zukunftsfragen gehen wird. Und wir freuen uns, die vielen tollen KollegInnen aus aller Welt wiederzusehen, die das gleiche machen wie wir.


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Stellvertretend für die weit über 100 Verkäuferinnen und Verkäufer, die das Straßenmagazin verkaufen, bedankt sich Zina für den Kauf des Magazins, für Zuspruch und für die freundlichen Worte an ihrem Verkaufsplatz.

Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

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Schreiben Sie uns ihre Erlebnisse beim bodo-Kauf! Wir freuen uns auf Ihre Nachricht.

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Fest der Chöre Am 15. Juni beginnt das Fest der Chöre in der Dortmunder Innenstadt mit dem traditionellen gemeinsamen Singen auf dem Alten Markt. Auf einer Vielzahl großer und kleiner Bühnen zeigen dann mehr als 120 Chöre die ganze Vielfalt vokaler Musik. Bereits ab 10 Uhr ist das gemeinnützige Buchprojekt des bodo e.V. mit einem großen Buch- und Infostand direkt vor der Reinoldikirche. Eine große Auswahl an Romanen und Krimis ab 2 Euro wartet auf neue LeserInnen. Dazu kommt eine schöne Sortierung Kinderbücher und Gesellschaftsspiele zu günstigen Preisen. Alle Zuhörenden oder Mitsingenden laden wir herzlich ein, bei uns vorbeizuschauen.

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NEUES VON BODO

KoFabrik Die „Montag Stiftung“ macht aus dem denkmalgeschützten Verwaltungsgebäude der ehemaligen Heintzmann-Gießerei, in dem sich bisher unsere Anlaufstelle mit Verkäufercafé und Kleiderkammer befinden, die „KoFabrik“, ein Stadtteilzentrum mit kleinen Werk- und Produktionsstätten, Büros und Ateliers. Für das „Magazin“ – unsere bisherigen Räume – haben wir uns mit dem Konzept eines Stadtteil-Cafés beworben. Mit einem weiteren Finalisten verhandeln wir zurzeit über ein kooperatives Konzept. Die Tage auf der Baustelle jedenfalls sind gezählt. Vertrieb und Sozialarbeit werden voraussichtlich zum 1. August gemeinsam mit der Beratungsstelle für Wohnungslose und dem Tagesaufenthalt der Inneren Mission in die Bessemerstraße ziehen. Dort wird die neue Anlaufstelle für unsere VerkäuferInnen sein. Am 11. Juni wird auf einer Bürgerversammlung das Konzept den AnwohnerInnen vorstellt. Da eine Sachspendenannahme dort leider nicht möglich sein wird, arbeiten wir zurzeit an einer Kooperation, die an anderer Stelle Kleiderkammer, Buch- und Sachspendenannahme ermöglichen soll.

SOZIALES Die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht täglich Tausende Stellenanzeigen, die Datenhändler aufgeben, um die Daten der Bewerber weiterzuverkaufen. Seit 2009 sind der Bundesregierung „erhebliche Datenschutzmängel“ bekannt, SWR-Recherchen belegen nun den massenhaften Datenhandel. Lobbyorganisationen fordern das unverzügliche Unterbinden der Praxis, die Klärung der Verantwortung und die Information der Geschädigten. Neun Millionen Niedriglohnbeschäftigungsverhältnisse gibt es in Deutschland, und damit mehr als angenommen, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Als Niedriglohn gilt ein Bruttolohn, der selbst bei Vollbeschäftigung nicht existenzsichernd ist. Der Mindestlohn habe die Stundenlöhne im untersten Zehntel überproportional steigen lassen, aber den Anteil der Niedriglohnbeschäftigten nicht gesenkt. Rechtsextreme und -populistische Einstellungen setzen sich immer weiter in der gesellschaftlichen Mitte fest, so ein Fazit der aktuellen „Mitte“-Studie der FriedrichEbert-Stiftung. Knapp ein Viertel der Deutschen will Obdachlose aus Fußgängerzonen entfernen, eine absolute Mehrheit empört sich über Langzeitarbeitslose, und zum ersten Mal stimmen mehr als 50 Prozent der Deutschen abwertenden Aussagen über Asylsuchende zu. Armes Ruhrgebiet: Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung verliert das Ruhrgebiet zunehmend den Anschluss. Im Gegensatz zu den meisten Großstädten steigt hier die Armutsquote weiter, die letzten Plätze belegen ausschließlich Ruhrgebietsstädte. Bereits in NRW zeigen sich große Einkommensunterschiede. Das Pro-Kopf-Einkommen im Kreis Olpe ist um mehr als 60 Prozent höher als das in Gelsenkirchen, so eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. 10

Stadtführungen An jedem zweiten Samstag in Dortmund und an jedem dritten Samstag in Bochum finden um 11 Uhr unsere sozialen Stadtführungen statt. Ausnahmen bestätigen die Regel: Wegen Pfingsten fällt die Dortmunder Führung in diesem Monat aus. Längst ist jedoch die Mehrzahl unserer Führungen von Gruppen an ihren Wunschterminen gebucht. Lassen Sie sich mit 5 bis 20 Personen Bochum oder Dortmund „von unten“ zeigen. ExpertInnen liefern auf der zweieinhalb Stunden dauernden Tour Informationen zum Leben auf der Straße, zu Orten, die wichtig sind und zu Menschen, die helfen. Schreiben Sie uns oder rufen Sie an, wir machen Ihnen gerne ein Angebot. vertrieb@bodoev.de, 0231 – 950 978 0.


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www.facebook.com/bodoev info@bodoev.de 0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr zentrale Rufnummer: 0231 – 950 978 0 Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Besuchen Sie uns Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Stühmeyerstraße 33 44787 Bochum Mo. bis Do. 10 – 13 Uhr Fr. 14 – 17 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Suzanne Präkelt buch@bodoev.de

Ein halbes Jahr bodo!

Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

Das faire Abo für 15 Euro: Ein Gutscheinheft für sechs Ausgaben des Straßenmagazins zum Einlösen direkt bei unseren Verkäufern auf der Straße.

bodo N SCH AFF T CHA NCE

Bald ist Sommer

Für Samstag, den 8. Juni ab 12 Uhr lädt die Suppenküche Kana ihre Gäste und alle InnenstadtbesucherInnen zum gemeinsamen Essen im Stadtgarten am Rathaus ein. Der Verein, der sonst an fünf Tagen pro Woche je 300 Gäste am Dortmunder Nordmarkt versorgt, versteht die Einladung „als Zeichen der Solidarität mit den Armen unserer Stadt“. In traditionell freundlicher, oft sogar ausgelassener Atmosphäre und mit musikalischer Untermalung richtet sich das Angebot zum Kennenlernen und zum natürlich kostenlosen Mittagessen an alle StadtbewohnerInnen, auch an diejenigen, die ihr Betätigungsfeld im Rathaus haben, in dessen Schatten die Tische und Bänke stehen werden.

Zum Vormerken: Wir freuen uns, an der Veranstaltungsreihe „Sommer am U“ mitwirken zu dürfen. Im Schatten des Dortmunder U findet zum sechsten Mal in Folge den ganzen Sommer lang ein OpenAir-Kulturprogramm statt, zu dem an zwei Abenden auch bodo einlädt: Am 10. Juli kommt die Chicagoer StraßenmusikOne-Man-Band Jeff Silvertrust mit einem einzigartigen Sound aus Casio-Keyboard, Hi-Hat, Trompete und Gesang in diversen Sprachen. Mitreißend! Am 8. August sind die Kult-Vorleser Dond & Daniel zu Gast am U. Die praktizierenden Buchhändler und begnadeten Performer zeigen, dass große Literatur lustiger als Stand-Up-Comedy und mitreißender als ein Rockkonzert sein kann.

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

Gemeinsam essen

Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Tel. 0231 – 950 978 0

Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

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Happy Birthday, Horrorhaus Das Hochhaus an der Kielstraße 26 in Dortmund kennen viele nur als „Horrorhaus“. Vor 50 Jahren errichtet, steht es heute gleichermaßen als Symbol für die lange vernachlässigte Nordstadt wie für die Folgen blinder Immobilienspekulation. Schon viele Male wurde sein baldiger Abriss verkündet, jetzt könnte es tatsächlich bald soweit sein. Ein Geburtstagsgruß und ein Abschied. Von Alexandra Gehrhardt | Fotos: Andre Noll, Sebastian Sellhorst

Ein paar Spuren gibt es noch, die zeigen, dass hier mal Menschen gewohnt haben. An einem der Balkone hing vor Kurzem noch eine alte Satellitenschüssel, ein langer Haken, der wahrscheinlich mal eine Wäscheleine gehalten hat, ragt noch aus der Wand. Auf der Freifläche vor dem Haus steht noch eine steinerne Tischtennisplatte. Tischtennis spielt hier wahrscheinlich niemand mehr, keine Schüssel überträgt mehr ein Programm. Heute wird das Hochhaus „Horrorhaus“ genannt, die unteren Etagen sind vernagelt, damit niemand einsteigt. Die vielen Graffiti zeigen, dass das nur so halb funktioniert. Seit 17 Jahren steht das Haus leer, der Efeu auf der Rückseite ist bis in den sechsten Stock gewachsen. Nach 50 Jahren geht die Geschichte des Wohnturms in der Dortmunder Nordstadt langsam zu Ende.

Spekulation und Absturz Rückblick: Mitte 1969 wird das Gebäude in der Kielstraße fertig, ein Punkthochhaus mit bis zu 18 Etagen, öffentlich gefördert und preisgebunden. 5,50 DM kostet der Quadratmeter im Monat, Eigentümer ist das staatliche Unternehmen VEBA Wohnstätten. VEBA wird später aufgelöst werden, seine Nachfolger werden Viterra, Deutsche Annington und 2019 Vonovia heißen. Im Oktober 1992 die Schlagzeile in der Westfälischen Rundschau: „Wohnturm an Kielstraße wird verkauft“, mitten in der Wohnungskrise der frühen 90er Jahre, als allein in Dortmund 6.000 Menschen auf der Warteliste des Wohnungsamtes für eine neue Wohnung standen. „Dadurch drohen […] die Mieter von 102 Wohnungen zum Spielball von Miet-Spekulation zu werden“, war damals in der Lokalzeitung zu lesen, der Mieterverein warnte vor einem „regelrechten Absturz“ und drohender Zwangsverwaltung des schlecht instandgehaltenen Hauses. Was dann kommt, kann man wohl getrost als Spekulation wie aus dem Lehrbuch bezeichnen. 1993 kauft ein Ehepaar das Hochhaus, zahlt die öffentlichen Fördermittel zurück und verkauft es innerhalb weni13


REPORTAGE

ger Wochen weiter, an eine GbR aus drei Geschäftsleuten in Heilbronn. Und weil Einzelteile mehr bringen als das Ganze, werden die 102 Wohnungen nun einzeln auf den Markt geworfen, bewohnt und mit noch zehn Jahre laufender Sozialbindung. 161.000 DM soll eine große Wohnung kosten, 90.000 DM eine kleine, insgesamt 11,4 Millionen DM. Viel mehr, als sie wert sind. Was der Mieterverein 1994 schrieb, passt ziemlich gut auch in die heutige Zeit: „Ihre Vorstellungen von freier Marktwirtschaft, in der Sie jedes Ihrer Häuser verkaufen können, wann und an wen Sie wollen, sind angesichts Ihrer 102 Haushalte, die alles andere gebrauchen können als ein paar Glücksritter, die schnell absahnen wollen, […] gescheitert“, schrieb der damalige Mietervereinsvorsitzende an den Staatskonzern VEBA. Denn viele dieser Glücksritter kümmern sich nicht um die Kapitalanlage, die sie sich zugelegt haben. Modernisierungen fallen hinten über, nötige Reparaturen einfach aus. Je weniger Eigentümer die Kredite bedienen, Grundsteuern und Energiekosten zahlen, desto weiter gerät das Hochhaus in die Schieflage, mehr und mehr Menschen ziehen

aus. 2001 steigt die Hausverwaltung aus, 2002 stellt die DEW die Energielieferungen ein. Im November schließlich räumt die Stadt das ohnehin schon halbleere Haus.

Der doppelte Turm 17 Jahre ist das jetzt her. Seitdem stehen die 18 Etagen Leerstand nicht nur als Landmarke, sondern auch als Symbol für etwas, das seit einigen Jahren wieder heiß diskutiert wird: die Aufgabe des Staates beim Schutz zentraler Infrastruktur und die Folgen der Spekulation mit Wohnraum. „Es ist total interessant, dass es genau den gleichen Turm nochmal gibt und beide zusammen klar machen, was privates und vergesellschaftetes Eigentum unterscheidet“, sagt Julian, der in der Dortmunder Nordstadt lebt und eigentlich anders heißt. Der Zwilling des Hochhauses wurde 1971 von der Dogewo gebaut und ist bis heute im Eigentum des städtischen Wohnungsunternehmens. Nach der Schließung des „Horrorhauses“ konnten einige MieterInnen dort einziehen. Ähnlich sieht es Julians Freund Frank: „Es steht als Symbol für eine spannende Debatte, auch hier war ja lange die Frage, warum die Stadt

nicht enteignet hat. Und es ist auch Symbol für die gesamte Nordstadt als vernachlässigtem Stadtteil.“ Zugleich ist ein gewisser Kult um den hohen Betonklotz entstanden – und eine künstlerische Auseinandersetzung mit ihm. Daran haben Julian und Frank einen Anteil. Sie sind Teil des Druckkollektivs Unterdruck, das ein aus den 1980er Jahren in Japan entwickeltes Druckverfahren für sich entdeckt hat: Risographie. Ähnlich wie beim Siebdruck entstehen Bilder nicht als Ganzes, sondern Schicht für Schicht, über die jede Farbe einzeln aufgetragen wird. Risographen, von außen sehen sie aus wie Kopiergeräte, können 150 Blatt pro Minute drucken, was die Herstellung einfach und effizient macht. Das Verfahren setzt gewisse Bedingungen an die Bildkomposition und erzeugt damit einen ganz eigenen, charakteristischen Stil.

Bastelbogen zum Abschied Da bot das Horrorhaus sich an, sagt Julian: „Es hat eine total starke visuelle Wirkung und steht für sehr viel in diesem Viertel. Eigentlich ist es nur ein großer grauer Klotz,

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aber die Leute feiern es. Und mit den ganzen Graffiti ist es auch eine öffentliche Galerie.“ Frank ergänzt: „Es gibt eine verklärende Positiv- und eine starke Negativbeschreibung der Nordstadt. Und dazu gehört das, was man Horrorhaus nennt. Wir wollten die Schönheit im Negativen hervorholen.“ Und so hat Unterdruck das Horrorhaus digital nachgebildet und auf Papier gebracht, zuerst in 2D-Drucken, dann auch als Bastelbogen. „Eigentlich ist er ein Stückwerk aus verschiedenen Zeiten. In diesem Zustand, wie wir ihn abbilden, gab es ihn nie“, erklärt Schlistoph. Die Arbeiten sind beliebt, die erste Auflage limitierter Drucke längst vergriffen. „Es gibt eine starke Identifikation, wir treffen ständig Menschen, die in der Nordstadt groß geworden sind und eine Geschichte zum Haus erzählen können. Wir träumen ein bisschen davon, diese Geschichten irgendwann zu Papier zu bringen“, sagt Frank. „Und von einer Geburtstagsparty für das Horrorhaus.“ Ein Geburtstag, der auch ein Abschied sein wird: Als 2005 der Abriss des Leerstands beschlossen wurde, begann die Stadt da-

mit, die KäuferInnen der 102 Wohnungen zu suchen, Besitzverhältnisse zu klären und das Haus Stück für Stück zurückzukaufen. Jetzt laufen nach Medienberichten die letzten Verhandlungen. Ist alles unter Dach und Fach, könnte der Abriss noch in diesem Jahr losgehen, das Haus einer öffentlichen Nutzung Platz machen. Dann wird es ihn nur noch in der Erinnerung geben, den großen grauen Klotz. Und auf Papier.

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DAS FOTO

Im Februarheft erschien Sebastian Sellhorsts Reportage „Aber so ist es halt grad“ über drei obdachlose bodoVerkäufer. Das Foto von Michael (Name geändert), der beim Brand seiner Platte in der Dortmunder Innenstadt seinen ganzen Besitz verlor, ist nun für die INSP-Awards des internationalen Straßenzeitungsnetzwerks nominiert. Foto: Sebastian Sellhorst

RECHT

Jobcenter muss Schulbücher zahlen

Von René Boyke

Man muss sich fragen, wie ernst die Formel des „Förderns und Forderns“ tatsächlich gemeint ist, wenn Jobcenter sich sogar weigern, die Kosten für Schulbücher zu tragen. Und das, obwohl Schulbücher zum einen keine freiwillige, sondern eine staatlich geforderte Anschaffung darstellen, und sich zum anderen eine Kostenübernahme unmittelbar positiv auf die Bildungschancen des Schülers

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auswirkt. Wenn man fördern will, dann hier! Endlich hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Jobcenter die Kosten für Schulbücher als Härtefall-Mehrbedarf zu tragen haben, falls Schüler diese wegen fehlender Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen (Az: B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R). Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Kosten für Schulbücher

nicht in der richtigen Höhe vom Regelbedarf erfasst seien. So ist es zwar von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt, ob Schüler selbst Bücher kaufen müssen oder nicht bzw. wie hoch der Eigenanteil ist. Der Regelbedarf bezieht sich jedoch nur auf den bundesweiten Durchschnitt. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein nichtssagender bundesweiter Durch-


KOMMENTAR

„Schlüssel zur Glaubwürdig keit“ Von Alexandra Gehrhardt Einen „erfahrenen Polizeiexperten“ bekommt Bochum, einen, sagt Innenminister Herbert Reul, „dessen Herz für das Revier schlägt“. Jörg Lukat, so heißt der neue Polizeipräsident, hat noch eine Qualität: Er stellt das Ansehen seiner Behörde über alles. Auch über Aufklärung.

Bochums neuer Polizeipräsident

Seit seinem 17. Lebensjahr ist Lukat Polizist, im NRW-Innenministerium war er bis jetzt für „große Einsatzlagen“ zuständig, zum Beispiel für den Hambacher Forst und den Reulschen Clou, die Waldbesetzer quasi zum Vietcong zu erklären. Von 2001 bis 2006 leitete er den Dortmunder Staatsschutz, die Polizeiabteilung für Politisches. Es war die Zeit, als der Neonazi Sven Kahlin den Punker Thomas Schulz erstach – die Polizei erkannte kein politisches Motiv – und als der NSU, mutmaßlich mit lokaler Hilfe, Mehmet Kubaşık ermordete. Statt ein rechtes Motiv auch nur zu erwägen, konstruierten die ErmittlerInnen die Räuberpistole eines gewissermaßen selbstverschuldeten Racheakts einer Drogenmafia bzw. der PKK. Eine Schuldumkehr, die viele NSU-Opfer und Angehörige erlebten. Auch als die Schredderaktionen der Geheimdienste, die V-Leute, die Ermittlungsfehler längst bekannt waren, blieb Lukat im Untersuchungsausschuss dabei: Er könne nicht erkennen, einen Fehler gemacht zu haben. Nun gilt Vertrauen in KollegInnen als essenziell für Polizeiarbeit. In Krisen hält man zusammen, auch nach außen. Das Problem ist, dass es dieser Korpsgeist ist, für den Lukat befördert wird. Und dass das Problem ein strukturelles ist. Seiner Duisburger Kollegin schien es im Mai nicht einmal peinlich, die Entdeckung eines extrem rechten Aufklebers in einem Polizeibus samt folgender Razzia im Präsidium mit der Aussage zu quittieren, dass es ihrer Truppe, „jungen Leuten“, nun mal passieren könne, „aus einer Unbedarftheit heraus“ rechte Aufkleber zu verkleben. Das Problem ist auch, dass ihr Dienstherr, Innenminister Reul, solches Verhalten nicht sanktioniert, sondern Vorbild ist. Kritik an stümperhaften Ermittlungen der 100-fachen sexualisierten Gewalt an Kindern in Lügde perlt an ihm genauso ab wie der Vorwurf, wenig daran interessiert zu sein, wie der Syrer Amad Ahmad in Kleve erst zu Unrecht in Haft und dann darin zu Tode kam. Bei ihrer Vereidigung im April rief Reul die PolizeianwärterInnen zu Transparenz auf, sie sei „Schlüssel zur Glaubwürdigkeit“ und zu Vertrauen. Was die Neuen gerade lernen, ist, dass das Gegenteil ihnen mehr bringt.

schnitt herangezogen wird, um den individuellen Bedarf einer konkreten Person festzustellen, die am Existenzminimum lebt, dann muss man feststellen, dass hinter dieser Regelung offenbar nicht der Gedanke stand, Chancengleichheit für die betroffenen Schüler anzustreben. Wenn Jobcenter vor diesem Hintergrund auch noch tatsächlich auf ihrer Verweigerung der Kostenübernahme beharrten, spricht dies für sich. Dass diese Jobcenter die Kosten nun als Härtefall-Mehrbedarf nach § 21 Absatz

6 SGB II zu übernehmen haben, geht darauf zurück, dass das SGB II die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sicherzustellen hat. Zuvor hatte bereits das Landessozialgericht NiedersachenBremen (Urteil vom 11.12.2017; Az. L 11 AS 349/17) erstmals obergerichtlich entschieden, dass die Jobcenter die Kosten für Schulbücher zu tragen haben. Durch die Entscheidung des BSG ist nun eine – längst fällige – bundesweite Klärung solcher Fälle erfolgt.

DIE ZAHL

42,8 Prozent der BewohnerInnen des Dortmunder Quartiers Borsigplatz beziehen Sozialleistungen. Die Quote ist beinahe zwölfmal so hoch wie in Holzen/Syburg im äußersten Dortmunder Süden (3,6 Prozent). Der aktuelle Sozialbericht der Stadt liefert auf 170 Seiten „Daten für Taten“ in einer gespaltenen Stadt.

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INTERVIEW

Im Juni richtet das Straßenmagazin „Asphalt“ aus Hannover die jährliche Konferenz der sozialen Straßenzeitungen aus. Eingeladen sind mehr als 100 Organisationen aus Europa, Asien, Afrika, Nord- und Südamerika. Am dichtesten ist das Netz der Straßenzeitungen in Deutschland. Sylvia Rizvi von „TrottWar“ aus Stuttgart sprach mit den Kommunikationswissenschaftlern Bertram Scheufele und Gerrit Hummel von der Universität Hohenheim über Lage und Zukunft der Straßenzeitungen. Von Sylvia Rizvi | Fotos: INSP, Sylvia Rizvi

Wie geht es den Straßenzeitungen heute im Vergleich zu 1994? Hummel: In journalistischer Hinsicht hat sich seit 1994 einiges verändert. Anfang der 1990er Jahre waren viele Straßenzeitungen noch etwas Handgemachtes. Man hat Artikel auf der Schreibmaschine geschrieben, geschnitten, geklebt und dann mit dem Kopierer vervielfältigt und alles am Ende zusammengetackert. Auch wenn es bereits von Beginn an Straßenzeitungen mit hohem journalistischen Anspruch gab, waren die handgemachten Zeitungen oft das, was man auf der Straße kaufen konnte. Auch die Macherinnen und Macher waren noch andere als heute. Viele hatten eigene Erfahrungen mit Obdachlosigkeit und wollten über sich und das Leben auf der Straße berichten. Heute erstellen oft professionelle Journalistinnen und Journalisten die Beiträge in Straßenzeitungen. Straßenzeitungen sind also nicht Zeitungen, die von Obdachlosen gemacht und verkauft werden? Hummel: Unter den Verkäuferinnen und Verkäufern gibt es immer wieder (ehemalige) Wohnungs- und Obdachlose, aber sie bilden nicht die Mehrheit. Die Zusammensetzung der Verkäufer

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hängt auch vom Verkaufsgebiet ab. Die Problemlagen in Berlin sind natürlich andere als in einer Kleinstadt. Obdachlosigkeit ist in Berlin ein zentrales und auch sichtbares Problem. Entsprechend ist die Zahl der Obdachlosen unter Verkäufern in Großstädten höher. Die sozial Benachteiligten, die Straßenzeitungen verkaufen, können aber auch Menschen aus dem europäischen Ausland, Sozialhilfeempfänger, (Früh-)Rentner oder Suchtkranke sein. Von Obdachlosenzeitung zu sprechen, ist also jedenfalls meist unpassend. Wie sind Straßenzeitungen heute drauf, sind sie aufmüpfige alternative Zeitungen oder kommerzielle Mainstream-Medien? Hummel: Das ist eine der zentralen Fragen meiner Doktorarbeit. Mich interessiert dabei, welche Typen von Straßenzeitungen es gibt, wie stark und in welchen Bereichen sie sich vom klassischen Bild der Straßenzeitung als Alternativmedium emanzipiert oder entfernt haben. Es gibt heute viele sehr professionell auftretende Straßenzeitungen, die sich selbst eher als Magazin verstehen. Diese Titel lehnen es mitunter sogar ab, sich selbst „Straßenzeitung“ zu nennen, damit ihr Blatt nicht mit Vorstel-


„Straßenzeitungen leisten etwas, das andere ganz offensichtlich nicht leisten.“

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DAS STRASSENMAGAZIN

Die besten Geschichten auf der Straße

2,50 Euro Die Hälfte für den Verkäufer

Handgemacht bis Hochglanz

25 Jahre Straßenzeitungen

GERRIT HUMMEL UND PROF. DR. BERTRAM SCHEUFELE

Rand oder Mainstream

100 Mal welt weit

Sprachrohr für Obdachlose „Street Credibility“

NUR MIT AUSWE IS

Gerrit Hummel (l.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim. Er promoviert bei Prof. Dr. Bertram Scheufele zum Thema „Straßenzeitungen in Deutschland – ein alternatives Medium im Spannungsfeld zwischen normativem Anspruch, integrativer Funktion und publizistischem Erfolg“.

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INTERVIEW

lungswelten verbunden wird, die sie für ihre Zeitung unpassend finden. Es gibt aber auch das Gegenteil, nämlich Straßenzeitungen, die am Ursprungskonzept der 1990er Jahre weitgehend festhalten. Zwar werden auch sie nicht mehr mit Schreibmaschine und Kopierer erstellt, sie haben sich aber ein „ursprüngliches“ Erscheinungsbild mit starker „Street Credibility“ erhalten. Man kann sicher trefflich darüber streiten, in welchem „Gewand“ es Straßenzeitungen besser oder schlechter gelingt, ihre Ziele zu verfolgen. Eines ist aber klar: Als Sprachrohr für Obdachlose, Wohnungslose und sozial Benachteiligte leisten sie alle wertvolle Arbeit. Scheufele: Der Straßenzeitung „The Big Issue“, die in Großbritannien und auch auf anderen Kontinenten erfolgreich verkauft wird, wurde ja von mancher Seite vorgeworfen, sich in ihren Themen kaum von Mainstream-Magazinen zu „Grundsätzlich können wir aber unterscheiden und die Belange der Benachteidoch ganz froh sein, dass wir bei ligten nur auf wenigen uns ein solidarisches System haben, Seiten zu bringen. Die größeren Straßenzeidas Menschen hilft, sich wieder tungen in Deutschland verfolgen nach meinem selbst zu helfen. Straßenzeitungen Eindruck ein anderes schaffen es, Menschen in sozialen Blattkonzept. Themen Schieflagen aufzufangen.“ vom „Rand“ der Gesellschaft, persönliche Er fa h r u ngsber ichte oder Portraits der Verkäuferinnen und Verkäufer und Themen, die uns alle betreffen (z. B. Glück, Freiheit, Wohnen), die aber auch eine soziale Facette haben, kommen in einer guten Mischung vor. Genaueres dazu wird dann aber die Arbeit von Gerrit Hummel zeigen. Wie sind Ihre Erfahrungen, sinken die Auflagen der Straßenzeitungen genauso wie die der Tageszeitungen? Scheufele: Wir haben keine quantitative Untersuchung zu den Auflagenzahlen gemacht. Aber die größeren Straßenzeitungen, die es seit den 1990ern bis heute gibt, dürften in der Auflagenzahl eher gewachsen als gesunken sein. Hummel: Ja, das gilt für viele der auflagenstarken Titel. Bei den kleineren Straßenzeitungen ist es etwas anders. Hier ist man oft froh, wenn die Auflage über die Jahre stabil bleibt. Nicht selten sind die kleineren Straßenzeitungen vollständig ehrenamtlich organisiert. Wenn dann beispielsweise aus einem Kernteam ein oder zwei wichtige Personen ausscheiden, kann das sogar dazu führen, dass die Zeitung nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erscheint.

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Manche Kundinnen oder Kunden begegnen zuweilen Frauen oder Männern, die unberechtigt eine Zeitung verkaufen oder die eine vermeintliche Straßenzeitung anbieten. Woran erkennt man echte Verkäufer? Scheufele: Bei seriösen Straßenzeitungen bekommen Verkäuferinnen und Verkäufer unter anderem einen fälschungssicheren Verkäuferausweis und eine Kutte, die teilweise mit großem Stolz getragen wird, vor allem aber ein gutes Erkennungsmerkmal ist. Und was angebliche Straßenzeitungen betrifft, kann man einfach im Internet nachschauen, ob die fragliche Straßenzeitung Mitglied im internationalen Netzwerk INSP ist. Was müssen Straßenzeitungen tun, um zukunftsfähig zu sein? Scheufele: Straßenzeitungen sollten vor allem ein gutes Heft produzieren, stabile Strukturen haben, interessante Sonderhefte helfen auch und das Saisongeschäft um Weihnachten ist wichtig, da hier höhere Auflagen erzielt werden können. Es können immer magere Jahre kommen, die man durchstehen muss. Aber ein Geheimrezept, das für alle Straßenzeitungen passt, gibt es sicher nicht. Gerade mit Blick auf die digitalen Herausforderungen wird man sehen müssen, was in Zukunft möglich ist. Bargeldloses Zahlen hat ja zum Beispiel für eine Straßenzeitung eine ganz spezifische Tragweite. Eigentlich müssten sich Straßenzeitungen dauerhaft überflüssig machen, oder? Scheufele: Streng genommen ja. Das gilt aber auch für jedes andere soziale Engagement und alle Organisationen (z. B. auch UNICEF), die sich beispielsweise gegen Hunger und Krieg, für Kinder in Not, für Flüchtlinge usw. einsetzen. Aber Straßenzeitungen leisten ja etwas, das andere ganz offensichtlich nicht leisten. Hummel: Ich habe meine Interviewpartnerinnen und -partner gefragt, was sie sich wünschen. Und tatsächlich sagten einige, dass sie sich wünschen, eines Tages überflüssig zu sein. Grundsätzlich können wir aber doch ganz froh sein, dass wir bei uns ein solidarisches System haben, das Menschen hilft, sich wieder selbst zu helfen. Straßenzeitungen schaffen es, Menschen in sozialen Schieflagen aufzufangen. Schaut man auf die Karte des Internationalen Netzwerks INSP, dann sieht man, dass es sonst nirgendwo so viele Straßenzeitungen auf so kleinem Raum wie in Deutschland gibt. 18 Straßenzeitungen aus Deutschland sind aktuell Mitglied im INSP und dazu kommen etwa nochmal so viele, die keine INSP-Mitglieder sind. Das sollte man auch entsprechend würdigen: Es ist gut, dass Ihr den Menschen helfen könnt!


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utaten gibt es und Speisen, die mit einem bestimmten Datum verbunden sind. Silvesterkarpfen, Ostereier, in den USA reicht man Truthahn zu Thanksgiving, in Israel Honigkuchen zu Schawuot. REZEPT 2 Dutzend grüne Walnüsse gründlich waschen und in fingerdicke Scheiben schneiden. Zusammen mit 1 Vanilleschote (aufgeschnitten), 1 Zimtstange und 4 Gewürznelken in ein großes, gut verschließbares Glas geben. Mit 1,5 l Korn übergießen und an einem hellen, warmen Ort sechs Wochen ziehen lassen. Dabei gelegentlich schütteln. Dann die Nüsse und Gewürze entfernen, den Ansatz abseihen. 600 g Zucker in 750 ml Wasser auflösen und durch Kochen um etwa ⅓ reduzieren, abkühlen lassen und den Sirup (ganz oder teilweise, je nach Geschmack und Vorlieben) mit dem Ansatz mischen. Weitere acht Wochen an einem dunkleren Ort nachreifen lassen und zum Schluss in sterile Flaschen füllen.

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Ich muss gestehen, ich weiß nicht, wie sich das in anderen Kulturkreisen verhält, im christlich geprägten Hierzulande aber waren viele der heutigen Feiertage bereits in vorherigen Zeiten von großer, sinnstiftender Bedeutung für die jeweiligen Menschen. Und Essbares war oft Bestandteil entsprechender Rituale. An Silvester beispielsweise, längst wichtig im Kontext der traditionellen Rauhnächte, wünscht und wünschte man sich seit jeher Glück. Ein uraltes Glückssymbol sind Karpfen. Bereits die Steinzeitlichen sollen dann eine Schuppe des Fisches als Talisman getragen haben. Ostereier wiederum lassen sich auf Fruchtbarkeitsriten zurückführen. Freilich nimmt mit zunehmender Säkularisierung der Gesellschaft generell das Wissen um ursprüngliche Hintergründe und Motive ab. Das gilt auch für den 24. Juni. Heuer werden ihm alternative Sinngehalte attestiert. Das Internet kennt ihn wahlweise als „Internationaler Feen-Tag“, „Tag der Pralinen“ oder „Tag des UFOs“. Wobei: Bis auf die Sache mit den Pralinen schwingt da durchaus Transzendentes mit. Im Jahreskreis liegt der 24. Juni dem Heiligen Abend gegenüber. Dieser steht in unmittelbarer Verbindung zu heidnischen Festakten, bei denen mit Freudenfeuern der Sieg des Lichts über die Dunkelheit zelebriert wurde. Kein Wunder, dass später die Christen an diesem besonderen Datum den Heiland auf die Welt kommen ließen.

Mit „Er [Jesus] muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ (Johannes 3,30) kündigt Johannes der Täufer die Ankunft der neuen Lichtgestalt an – wohl wissend, dass er selber an Bedeutung verlieren wird. So steht es in der Bibel, und wieder ist es wenig verwunderlich, dass also ihm, Johannes, von christlicher Seite aus der 24. Juni gewidmet wurde. Ein Datum, an welchem man zuvor – und zwar ebenfalls mit Feuern – dem natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen gedachte. Ziemlich viel Feiertagsherkunftstheorie. Ein Walnusslikör könnte beim Verarbeiten helfen. Und jetzt zurück zum Anfang der Kolumne: Festgelegt nämlich ist der Sammeltag der benötigten grünen Walnüsse. Überlieferungen folgend hat man sie geflissentlich am 24. Juni zu ernten. Schließlich ranken sich, laut Handbuch des Deutschen Aberglaubens, archaische Feuerrituale um den Baum. Die Echte Walnuss ist ein sommergrüner Laubbaum. Bei einer guten Ernte sind bei großen Bäumen Erträge bis zu 150 kg Nüsse pro Baum möglich. Das Walnussholz gilt als das wertvollste des mitteleuropäischen Waldes. Der Boden unter Walnussbäumen ist meist nicht bewachsen. Der Baum gibt den Hemmstoff Zimtsäure ab und verhindert, dass andere Pflanzen in Konkurrenz gedeihen.


KULTUR

„Gentrifizierung gratis“ Die Künstlerin Janna Banning hat ihr Atelier an der Rheinischen Straße in Dortmund. Es ist längst eines von vielen. Mit Blick auf das sich schnell verändernde „Kreativquartier“ Unionviertel sagt sie: „Es gibt den Punkt, an dem es kippt, und an dem die Leute, die bisher hier gewohnt haben, ausziehen müssen. Als Künstlerin habe ich eine Rolle in diesem Spiel.“ Von Bastian Pütter Foto: Daniel Sadrowski

Wenn Stadtviertel herausputzt werden, dabei die alteingesessenen Nachbarschaften auf der Strecke bleiben und solvente MieterInnen ihren Platz einnehmen, heißt das Gentrifizierung. Auffallend oft wird aus dem armen erst ein „Szene“Stadtteil. Bevor die gutaussehenden Familien mit den teuren Kinderwagen einziehen, nutzen KünstlerInnen die leerstehenden Ladenlokale und verleihen dem Quartier das urbane, kreative Flair, das sich besonders gut vermarkten lässt. „Irgendwann stand ich hier und schaute auf den Stadtteil und dachte: ,Shit, ich arbeite ehrenamtlich an der Gentrifizierung dieses Stadtteils‘“, sagt Janna Banning. Anstoß für eine mehrteilige Arbeit über die Aufwertung von Stadtteilen und die Rolle von KünstlerInnen dabei. Ihre Website simuliert eine Künstleragentur als Aufwertungs-Bringdienst: „Besitzen Sie Eigentum in einem strukturell schwachen Stadtteil? Und wünschen Sie sich Ihren persönlichen Künstler, der Ihnen hilft, Ihre vernachlässigte Immobilie aufzuwerten? Dann besuchen Sie unseren Artist-Pool noch heute!“ Die dazugehörige Installation ist bis zum 23. Juni in einer gemeinsamen Ausstellung mit Krzysztof Gruse in Bochum zu sehen. Der Bochumer Ausstellungsort verweist dabei direkt auf die aktive Rolle der Kommunen in diesen Prozessen: Die Traditionskneipe „Uhle“ in der Bochumer Innenstadt schloss Anfang des

Jahres. Statt einer improvisierten künstlerischen Zwischennutzung sorgte „Bochum Marketing“ für teure Fußböden, schicke Gestaltung und große Außenwerbung. (In den Worten der Stadt: „Der Kulturraum für Kreative ist eine Kernaktivität der Bochum Strategie und der Kompetenz ,Hotspot der Live-Kultur‘ zugeordnet.“) Ihre Ausstellung dort sei „ein bisschen wie ein trojanisches Pferd“, lacht Janna Banning. Zurück ins Dortmunder Unionviertel. Hier wird Janna Banning in den Schaufenstern der noch leerstehenden Läden die Beschriftungen tauschen. „Im Stil und der Typografie der alten Geschäfte. Erst auf den zweiten Blick merkt man, dass es sich nicht mehr um Obst und Gemüse, sondern um Aufwertung und Verdrängung dreht.“ Das sei keine Kunst für ein Kunstpublikum, sondern es gehe darum, in einen Austausch zu kommen mit den Menschen, die es konkret angeht. „Als KünstlerInnen haben wir die Aufgabe, Strukturen zu hinterfragen. Mit meiner Arbeit versuche ich, eine Plattform dafür zu bieten, darüber zu diskutieren“, sagt sie. Und: „Man muss nicht alles so hinnehmen, sondern vielleicht auch mal ein bisschen Remmidemmi machen.“ www.jannabanning.de www.gentrifizierung.gratis

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Kalender 06 & 07 | 2019

2 x 2 Karten | Klein aber oho! | Seite 24 1 x 2 Karten | Dead Can Dance | Seite 28 2 x 2 Karten | ExtraSchicht | Seite 28 bodo 1 x 2 Karten | Burning | Seite 29 Verlosungen

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SA 08 | 06 | 19 Theater | Willems wilde Welt – Theater Glassbooth Willem ist Mitte 30 und steckt in einer Sinnkrise. Bei seiner Therapeutin fragt er sich, was in seinem Leben schief läuft, warum er was getan hat und vor allem, was er jetzt braucht, um sein persönliches Glück zu finden. Daraufhin begibt sich Willem auf eine Reise, die ihn in allerlei skurrile Situationen führt. Im Gesellschaftsspiel verschwimmen die Grenzen zwischen Erinnerung, Wunsch und Wahrheit, und so formt Willem eine Welt mit verführerischen Konsequenzen. Theater im Depot, Dortmund, 20 Uhr (auch 9.6., 18 Uhr) Ballett | Alice Fantastisch, erschreckend und hypnotisch schön, überraschend und überwältigend, kaum anders lässt sich der überbordende Aberwitz beschreiben, mit dem der italie-

Die Verlosungsteilnahme ist ganz einfach: Schicken Sie Ihren Wunschgewinn mit Name, Telefon, Adresse und dem Betreff „Verlosung“ an redaktion@bodoev.de oder auf frankierter Postkarte an bodo e.V., Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund. Teilnahmeschluss ist jeweils drei Tage vor der Veranstaltung. Bei mehreren Teilnehmern entscheidet das Los. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich.

nische Choreograf Mauro Bigonzetti seine Protagonistin zusammen mit dem weißen Kaninchen durch die Anders-Welt jenseits des Spiegels schickt, in eine Sphäre, in der die Gesetzmäßigkeiten der Vernunft auf den Kopf gestellt werden. Opernhaus, Dortmund, 19.30 Uhr

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VERLOSUNG Klein aber oho! Moderator Erasmus Stein ist ein echter Wirbelwind, der u.a. aus den TVFormaten NightWash, Fun(k) haus und Quatsch Comedy Club bekannt sein dürfte. In der neuen Frühjahrsshow „Klein aber oho!“ trifft Erasmus Stein auf beeindruckende Akrobaten und stellt mit ihnen die Realität auf den Kopf. Mit dabei sind Roman & Slava (Stepptanz & Comedy), Geraldine Philadelphia (Ringjonglage), Jenny Kastein (Drahtseil), Duo Ice (Partnerakrobatik), DB-Art (Flying Pole) und Gruppe Wild (Handvoltigen). www.variete-et-cetera.de Varieté et cetera, Bochum, 20 Uhr

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DI 11 | 06 | 19 Ausstellung | The Art of Skate Seit Jahren gehört der Platz vor dem Dortmunder U zu einem der zentralen Treffpunkte für die lokale Skateszene. Mit Argwohn beäugt, kommt es hier nicht selten zu Reibungen zwischen SkaterInnen und Nicht-SkaterInnen. Die Ausstellung The Art of Skate beschäftigt sich mit diesem Konflikt und bietet einen Perspektivenwechsel an, der dazu einlädt, das interdisziplinäre, kreative Potenzial von Skateboarding zu entdecken. Eintritt frei. UZWEI, Dortmunder U, Dortmund

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25. Mai – 16. Juni

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Do. 20. – Sa. 22.6. | je 11 u. 15 Uhr Stadtrundgang Rechtsextremismus

MI 19 | 06 | 19 Tour | Seegeflüster – Spaziergang am Phoenixsee Wo noch bis 2001 Stahl verarbeitet wurde, zieht heute ein attraktiver See – im Projekt Phoenix ausgezeichnet mit dem Deutschen Städtebaupreis 2018 – Gäste von nah und fern in seinen Bann. Ein Strukturwandel der außergewöhnlichen Art, der Beachtung bei Fachleuten aus aller Welt findet. Ein kurzweiliger Spaziergang entlang des Seeufers. Start: Hörder Burg, 11.30 – 12.30 Uhr Lesung & Vortrag | Hören auf das Vergangene, Handeln und Vertrauen heute Ein Blick durch die Zeit anhand szenischer Lesungen und bewegter Bilder. Am Polizeigefängnis Steinwache verdichten sich Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. Direkt davor erinnert ein Mahnmal an die Verbrechen des NSU, auch an die Ermordung Mehmet Kubaşıks. Nicht vergessen, sondern lernen, genau hinschauen, Standpunkt beziehen. Das ist Erbe und Auftrag des Kirchentages. Platz vor der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, 14 – 15 Uhr Musik & Kabarett | Ganz im Vertrauen – man wird ja wohl noch lachen dürfen! Ein Ruhrgebietsabend mit Musik und Kabarett – mit dabei sind: AWO-Oppas in SeelSorge, Fee Badenius, Ulrike Böhmer, Fred Ape und Ohrensausen. Bühne am Ostwall, 18.30 Uhr Konzert | Schlakks Schlakks aus Dortmund bahnt sich bereits seit einigen Jahren seinen Weg und ist vor allem als Live-MC bekannt. Gemeinsam mit seinen Kompagnons OPEK und Razzmatazz hat er in den letzten Jahren unzählige Festivalbühnen und Clubs aufgemischt. Bühne auf dem Friedensplatz, 19 Uhr Konzert | Wir haben einen Traum – Culcha Candela und die Alten Bekannten Mit dem wortwitzigen Vokalpop-Ensemble Alte Bekannte ist auf dem Konzert der Kindernothilfe ausgelassene Stimmung garantiert. Culcha Candela rockt anschließend mit ihrem Musikmix aus Hip-Hop, Salsa und Reggae die Bühne auf dem Hansaplatz. Bühne auf dem Hansaplatz, 19 Uhr

DO 20 | 06 | 19 Kinder | Zentrum Kinder Mitten in der Nordstadt rund um das Dietrich-Keuning-Haus und auf den umliegenden Grünflächen sowie in der Skatehalle entsteht eine besondere Welt für Kinder. Angeboten werden Geschichten, Musik, Gottesdienste, Theater, Spielerisches und Kreatives und erstmals auch eine Kinderstadt. Für alle Kinder bis 12 Jahre und ihre Familien. Dietrich-Keuning-Haus, 10.30 – 18 Uhr (auch 21. & 22.6.) Ausstellung | Kunst trotz(t) Ausgrenzung Ein ungewöhnliches Kunstprojekt mit Werken von Klaus G. Kohn aus Braunschweig, Prof. Mischa Kuball aus Düsseldorf, Esra Rotthoff aus Berlin, Katharina Sieverding aus Düsseldorf, Cornell Wachter aus Köln sowie mit Skulpturen von Georg Friedrich Wolf aus Darmstadt setzt Zeichen. Eingang Nord, EG, Messevorplatz Westfalenhallen, 10.30 – 22 Uhr (auch 21. & 22.6.) Vortrag | Zukunftsvertrauen in der digitalen Moderne Zum Thema „Zukunftsvertrauen in der digitalen Moderne“ wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede halten.

Sa. 22.6. | 11 – 13 Uhr Eigentum verpflichtet – echt jetzt? Podiumsdiskussion zu den politischen Rahmenbedingungen bezahlbaren Wohnens. Mit Frauke Burgdorff (Netzwerk Immovielien, Bochum), Thomas Bestgen (Baugenossenschaft Besser Genossenschaftlich Wohnen, Berlin), Dorothee Rodenhäuser (Mietshäuser Syndikat, Darmstadt) und Dr. Justus von Daniels (Recherchenetzwerk Correctiv). Einführung: Mathias Greffrath (Publizist, Warum Wohnen unbezahlbar wird), Moderation: Silke Helfrich, Musik: David Senz. Warsteiner Music Hall Phoenixplatz 4, Hörde

In Dortmund gibt es eine seit Jahrzehnten verfestigte Neonaziszene, die regelmäßig für bundesweites Medieninteresse sorgt. Ist Dortmund deshalb eine Hochburg der Nazis? Hat die Bürgerschaft zu lange weggeschaut? Der Stadtrundgang des Arbeitskreises Christen gegen Rechtsextremismus führt in knapp zwei Stunden in der Dortmunder Innenstadt zu bedeutsamen Orten rechtsextremer Taten und zivilgesellschaftlicher Gegenwehr. Treffpunkt: Platz der Alten Synagoge (Theatervorplatz)

Im Gespräch mit Dr. h.c. mult. Annette Schavan, Bundesministerin a.D., und Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist und Physiker. Begrüßung durch Hans Leyendecker, Kirchentagspräsident. Westfalenhalle, 11 – 13 Uhr Literatur | Wünsch dir was – ein partizipatives audio-akustisches Projekt PassantInnen dürfen in einer Kabine aufsprechen, was sie sich wünschen. Aus den Wünschen entsteht eine Klanginstallation, die im Union Gewerbehof am Samstag in der Zeit von 15 Uhr bis 18 Uhr zu hören sein wird. St. Reinoldi, Vorplatz, 11 – 19 Uhr (auch 21.6.) Vortrag | Das soll doch noch gesagt werden dürfen! BürgerInnen mit Sorgen treffen auf besorgte BürgerInnen. Sagen Unerhörtes, hören zu. Die Teilnehmenden bestimmen die Themen. Sie sprechen miteinander und streiten. Alles kann zur Sprache kommen. Ohne Tabus – aber es bleibt fair. Niemand muss überzeugt werden. Alle werden gehört. Moderation: Dr. Annika Schreiter, Jan Witza Reinoldium, 2. OG, Großer Saal, 15 – 18 Uhr Lesung | 52 Runden Er läuft und läuft. Wieder war Stefan Ludwig unterwegs am Dortmunder Phoenixsee und hat 52 interessante Menschen getroffen. Sie haben sich auf ihn eingelassen: Bis zu 70 Minuten Gespräch auf einer Seerunde mit 3,2 Kilometern Strecke. Kein Script, kein Entkommen. FZW, 17.30 Uhr 25


Theater | Die NSU-Monologe Das Stück erzählt von den Kämpfen dreier Familien, die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) geworden sind – von Elif Kubaşık, Adile Şimşek und İsmail Yozgat. Es zeigt den Kampf der drei Hinterbliebenen um die Wahrheit, die die ermittelnden Behörden aus Polizei und Verfassungsschutz nicht ermitteln konnten oder wollten. Schauspiel, Große Bühne, 19 Uhr Konzert | Bodo Wartke in guter Begleitung Für dieses besondere Konzert bittet der Klavierkabarettist Bodo Wartke befreundete MusikerInnen und langjährige WegbegleiterInnen auf die Bühne. Ein überraschender Abend mit feinen Gästen. Bühne auf dem Friedensplatz, 20 Uhr Konzert | Martin Luther King Mit über 2.000 Mitwirkenden wird Kings Traum von Gerechtigkeit durch altbekannte Gospelklassiker und neu komponierte Songs schwungvoll in Szene gesetzt. Komposition und Arrangement: Christoph Terbuyken und Hanjo Gäbler; Libretto: Andreas Malessa. Westfalenhalle, 20 Uhr

FR 21 | 06 | 19 Tour | Dortmunder U 1926/27 als Kellereihochaus der Dortmunder Union Brauerei errichtet, ist das Dortmunder U – ausgezeichnet als „Europäische Kulturmarke 2016“ – heute wichtiges Sinnbild für den gelingenden Strukturwandel in Dortmund. Welche Bereiche bei der Führung zu sehen sein werden, richtet sich nach den aktuellen Aktivitäten im Dortmunder U. Foyer Dortmunder U, 11 – 12 Uhr Musik | Eddie Hüneke und Tobi Hebbelmann Nach 25 Bühnenjahren startet der Sänger Eddie Hüneke noch einmal durch. Unterhaltsam und authentisch: Jedes Konzert wird aufs Neue zu einem Kurzurlaub für die Seele. Begleitet – und angefrotzelt – wird Eddi von seinem Pianisten Tobi, der ihn auf der Bühne perfekt ergänzt. Warsteiner Music Hall, 20 Uhr Musik | Orient trifft Jazz Mit der Kooperation des JugendJazzOrchesters Nordrhein-Westfalen und des Trans26

orient Orchestra findet eine Begegnung zwischen westlichem Bigband-Jazz und nahöstlich-orientalischer Musik statt. Die besten NachwuchsjazzerInnen des Landes Nordrhein-Westfalen treffen auf MusikerInnen verschiedener kultureller Herkunft aus dem Ruhrgebiet. Halle 2, Bereich Westfalenhallen, 20 Uhr Film | Filmreihe zum Evangelischen Kirchentag 2019 Vom 20. bis 22. Juni finden im sweetSixteen unterschiedliche Veranstaltungen statt – mit vielen Gästen, Gesprächen und Rahmenprogamm. Am Freitag zeigt das Kino die Filme „Ich vertraue dir meine Geschichte an“ (11 Uhr), „The Killing of Sacred Deer“ (15 Uhr) und „Landrauschen“ (20 Uhr). sweetSixteen, 11, 15 & 20 Uhr (auch 20. & 22.6.)

SA 22 | 06 | 19 Podium | Vertrauen als Grundlage internationaler Politik? Zum Thema „Vertrauen als Grundlage internationaler Politik?“ sprechen Ellen JohnsonSirleaf, ehem. Präsidentin Liberia, Monrovia/ Liberia, und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Berlin. Moderation: Nicolas Richter, Journalist und Ressortleiter Süddeutsche Zeitung, München, Anwältin, und Anwalt

Sa. 20.6. | 20 Uhr Feidman Sextett Klezmer for peace Auf der Suche nach Möglichkeiten, seine Musik in nie gehörtem Gewand zu präsentieren, stieß Giora Feidman auf einen musikalischen Weggefährten. Der türkischstämmige Musiker Murat Coşkun brachte zu den ersten Proben gleich Gürkan Balkan (Gitarre und Oud) sowie Muhittin Kemal Temel (Zither) mit. Feidman mit seiner Klarinette und die israelischen Musiker Hila Ofek (Harfe) und Andre Tsirlin (Saxophon) verschmelzen die orientalische Note mit der Musik der Klezmorim. Westfalenhalle 3

des Publikums: Dr. Uta Andrée, Kiel, Elias Wendebourg, Augsburg Westfalenhalle, 11 – 13 Uhr Planspiel | Engagement willkommen?! Ein Planspiel zum Umgang mit RechtsextremistInnen im Ehrenamt. Die Kita Spatzennest steckt in akuter Finanznot. Da erhält sie von einer Gruppe Frauen mit teils extrem rechter Gesinnung das Angebot, dort ehrenamtlich auszuhelfen. Nun muss geklärt werden, inwiefern politische Überzeugungen bei ehrenamtlichem Engagement eine Rolle spielen. Kongresszentrum, 1. OG, Saal 17, Bereich Westfalenhalle, 11 – 13 Uhr Tour | Darum Dortmund Mit der City-Tour „Darum Dortmund“ erleben die BesucherInnen die Stadt auf eigene Faust, ohne auf die Vorzüge einer Stadtführung zu verzichten. Dabei haben sie die Wahl: Entweder erkunden sie die Stadt in rund 100 Minuten vom Doppeldeckerbus aus oder steigen zwischendurch aus und setzen die Fahrt nach zwei Stunden fort. Start: Königswall, Hbf, 10.20 – 12 Uhr Podium | Feinde der Kunstfreiheit Die Künstlerinnen Asli Erdogan, Schriftstellerin, und Prof. Parastou Forouhar, Künstlerin, berichten von Erfahrungen mit Verfolgung und Zensur. Moderation: Christian Kaufmann, stellvertretender Direktor Ev. Akademie Frankfurt Depot, 15.30 – 16.30 Uhr Konzert | 2Flügel – Lieblingslieder und Geschichten In der Glück-auf-Version ihres aktuellen Programms weitet das Duo den Blick in die Welt und den Himmel – mit Lieblingsliedern und Geschichten zu Filmen des Lebens. Die Mischung aus Poetry-Slam, Klaviermusik, feinen Zeilen und Kinderliedern ist kein Konzert, keine Lesung, sondern beides gleichzeitig. Halle 2, Bereich Westfalenhallen, 20 Uhr Kabarett | Late Night Beim kabarettistischen Tagesrückblick am 22.6. stehen Marcus Leitschuh, Lutz von Rosenberg-Lipinsky, die Bischöfin Kirsten Fehrs und Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck auf der Bühne im domicil. domicil, 22.30 Uhr


BODO-TIPP

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bobiennale

2017 sind Bochumer Kunst-und Kulturschaffende angetreten, sich mit einem Festival eine eigene Plattform zu schaffen, ihre Arbeit vorzustellen. Zur zweiten Auflage ist die bobiennale ein gutes Stück gewachsen: Rund 200 KünstlerInnen gestalten vom 13. bis zum 23. Juni an 80 verschiedenen Orten Theater, Film, Fotografie, Lichtund Medienkunst, Tanz, Musik und mehr. Das Festival will „eine Lücke fehlender Präsentationsplattformen“ füllen. Dazu gehören nicht nur neue Orte wie Hausdächer oder der Springorum-Radweg, sondern auch, über Disziplinen hinweg zusammenzuarbeiten: da sind Grafiken neben Skulpturen, Lichtkunst neben Polaroids zu sehen. Am 22. und 23. Juni richten der bodo-Fotograf Daniel Sadrowski und der Bochumer Künstler Matthias Schamp (bodo 10.17) ein „Gravitationsbüro“ ein und machen, als Momentaufnahme, den Traum vom Fliegen wahr (Foto).

Internationales Engagement seit 1949

Die Welt besser verstehen esellschaft.nrw

interkulturell lesenwww.auslandsg diskutieren nachfragen Verständigung politische Seminare Freundschaften lachen mitfühlen Ehrenamt Austausch denken 13. bis 23. Juni Musik Begegnung schreiben Erinnerung Kultur Toleranz lesen Zusammenleben Bochum erzählen weltoffen Völkerverständigung weltoffen Reisen erklären lernen diskutieren Erinnerung Sprache Zivilgesellschaft Zusammenleben Miteinander Beratung lernen Integration Internationale Politik Europa berichten Auslandsaufenthalte offen schreiben Politische Bildung Austausch Brücken bauen informieren Infos unter www.bobiennale.de bürgerschaftliches Engagement lernen reden streiten Demokratie mitwirken lernen Engagement weltoffen schreiben Sprache nachdenken Politik Zusammenleben Reisen Demokratie Veranstaltungen Reisen Erinnerung mitfühlen Kultur Vorträge Ehrenamt erklären berichten Offenheit Theatre, für Menschen von 18 bis 27 Jahren. Humanität Verständigung interkulturell FR 14 | 06 | 19 international Studienreisen nachfragen Anmeldung: www.bahnhof-langendreer.de miteinander lachen informieren reden mitfühlen Bahnhof Langendreer, Bochum, 10 – 16 Uhr Theater | Macbeth erzählen Dialog lernen erleben Musik Sprache mitwirken diskutieren Austausch (auch 16.6.) ToM – das Theater ohne Mittel e. V. lädt zu seiner Premiere von Macbeth ein. Der Shakespeare-Klassiker hat es dem Regisseur und Vorstandsmitglied Nathanael Ullmann angetan. Sein Team inszeniert das Königsdrama jedoch auf ungewohnte Art und Weise: Macbeth wird in der ToM-Fassung von einer Frau gespielt – und zwar von einer einzigen. Die weiteren Figuren werden durch verschiedenste Alltagslampen verkörpert. 42 sind es an der Zahl. Thealozzi, Bochum, 20 Uhr (auch 15.6.) Musik | Jenny Don’t & The Spurs Die Portland-Supergoup ist zurück auf dem alten Kontinent: Roots Rock und Alternative Country mit Schmiss und Seele. Musik aus einer Ära, in der die Grenzen zwischen Rock‘n‘Roll und Country noch sehr verschwommen waren; aus einer Zeit, in der Musiker wie Elvis Presley, Johnny Cash und Carl Perkins noch gemeinsam touren konnten, ohne dass jemand mit der Wimper zuckte. subrosa, Dortmund, 20 Uhr

SA 15 | 06 | 19 Workshop | Projekt act now!: Storytelling mit Noam Meiri Wir alle tragen Geschichten in uns. Geschichten, die gehört werden wollen. Aber wie erzählt man überhaupt eine starke, schlüssige Geschichte? Und wie kann man die Stimme, den Körper einsetzen, um die Story, den Text noch lebendiger zu gestalten? Ein spannender Workshop mit Noam Meiri, Schauspieler, Regisseur und Lehrer für Schauspiel und Physical

Machen Sie mit:

Party | La Boum La Boum, die wirklich wilde Party im Sissikingkong, gehört zum Dortmunder Nachtleben wie Beat und Soul und Rock‘n‘Roll auf zwei Plattenteller. Und hinter diesen stehen Timmi & Martini. Mit den beiden DJs beginnt stets eine furiose Achterbahnfahrt durch mindestens zehn Jahrzehnte Tanz und Spaß im Club. Eintritt frei. Sissikingkong, Dortmund, 22 Uhr

Werden Sie Mitglied! Auslandsgesellschaft.de e.V. | Telefon 0231 83800-54 Steinstraße 48 | 44147 Dortmund | www.agnrw.de

28. - 30.06.19 10 Jahre Afro Ruhr Festival

MO 17 | 06 | 19 Kinderoper | Wo die wilden Kerle wohnen Maurice Sendaks „Wo die wilden Kerle wohnen“ gehört schon längst zu den vielgeliebten Kinderbuch-Klassikern. Der Autor selbst verfasste das Textbuch zur Oper, das den britischen Komponisten Oliver Knussen zu leuchtenden Klangfarben, tumultartigen Orchesterausbrüchen und lyrischen Traumpassagen inspirierte. Die wilden Kerle singen hierbei sogar in einer Fantasiesprache, die eigens erfunden wurde. Opernhaus, Dortmund, 11 Uhr

05.07.19

21. - 27.07.19 NordStadtSommer Kulturprogramm Eröffnung, Interkulturelles Gebet, Eintritt frei! Ferienprogramm, Eintritt frei!

DI 18 | 06 | 19 Dokumentarfilm | PUSH – Für das Grundrecht auf Wohnen PUSH, der neue Dokumentarfilm des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Fredrik Gertten, untersucht, warum wir es uns nicht mehr leisten können, in unseren Städten zu wohnen. Eine Unterkunft ist ein fundamentales Men-

Leopoldstr. 50-58 · 44147 Dortmund Tel. 0231 50-25145 · Fax 0231 50-26019 facebook.com/DietrichKeuningHaus

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KALENDER

BODO-TIPP

schenrecht. Aber in Städten weltweit werden die Chancen auf bezahlbare Wohnungen immer kleiner. Wer sind die Akteure und was sind die Faktoren, die Wohnraum zu einem der größten Probleme der heutigen Zeit machen? sweetSixteen, Dortmund, 17 Uhr

VERLOSUNG Dead Can Dance Ihr einzigartiger Stil aus Post-Punk-Ethos, Rock, Neoklassik, Folk und Weltmusik begeistert bereits seit den frühen 80er Jahren – und trotzdem haben Dead Can Dance es bei jedem Album geschafft, neue Facetten hinzuzufügen. Der Titel ihres Albums kündigt es bereits an: Diesmal widmen sie sich dem griechischen Gott Dionysos, dem Gott des Weines, der Freude, der Trauben, des Wahnsinns und der Ekstase. Aber Dead Can Dance verlieren sich natürlich nicht in hohlen Exzessen: Sie spüren in den neuen Songs stilistisch und lyrisch dem Einfluss Dionysos’ auf die Musik, die heidnischen Rituale und die Religionen in Europa nach. RuhrCongress, Bochum, 20 Uhr (auch 19.6.) bodo verlost Karten für den 18.6.19

„WIR!“ ist das Motto des elften KLANGVOKAL Festivals für Gesang und Vokalmusik, das noch bis Mitte Juni in Dortmund läuft. Musik verbindet und eint, ist die Nachricht, und Position in Diskursen über Gemeinschaft und Solidarität.

KLANGVOKAL Festival

bis 16. Juni

bodo verlost 1x2 Karten

FR 21 | 06 | 19 Theater | Matthias Brandt & Jens Thomas: Psycho Der Schauspieler Matthias Brandt interpretiert Alfred Hitchcocks „Psycho“ gemeinsam mit dem Pianisten und Sänger Jens Thomas. Brandt greift dabei auf Elemente aus der literarischen Anzeige

Dortmund

KünstlerInnen aus mehr als 20 Ländern nehmen ihr Publikum mit um die Welt und in die Vergangenheit: Geistliche Musik aus dem 14. Jahrhundert steht genauso auf dem Programm wie zeitgenössischer Jazz, Pop-, Soul- und Gospelkonzerte oder Opern. Zum Finale sorgen beim Fest der Chöre am 15. Juni mehr als 160 Laienchöre, A-capella-Bands und Ensembles dafür, dass es in der City keine ruhige Ecke gibt. Auf Open-Air-Bühnen, an „Singhaltestellen“, in den kleinen Gässchen zwischen den Innenstadtkirchen oder in U-Bahnen kann man ihnen begegnen, zuhören und mitsingen. Los geht es um 12 Uhr mit dem gemeinsamen Singen auf dem Alten Markt. Infos unter www.klangvokal-dortmund.de

Vorlage zurück, und Thomas improvisiert zur inszenierten Lesung einen Soundtrack. Der Abend ist nicht routiniert einstudiert, sondern lebt von der intensiven, spontanen Interaktion zwischen den beiden Akteuren. Schauspielhaus, Bochum, 19.30 Uhr

DO 27 | 06 | 19 Ausstellung | Ruhr Ding: Bitter Things Bitter Things ist ein forschungsbasiertes Ausstellungsprojekt von bi’bak, das die Auswirkungen von Arbeitsmigration auf Mutterschaft und Familie aus der Perspektive von Arbeitsmigrantinnen und ihren Kindern untersucht. Ausgehend von Erfahrungen

transnationaler Familien aus Vergangenheit und Gegenwart, bringt die Installation Erzählungen mit Objekten zusammen, die in den Familien eine zentrale Rolle spielen. kitev / Oberhaus, Oberhausen, 19 Uhr

SA 29 | 06 | 19 VERLOSUNG ExtraSchicht – Die Nacht der Industriekultur Die Nacht der Industriekultur am 29. Juni 2019 fährt ein facettenreiches Programm auf: An 50 Spielorten in 24 Städten zwischen Moers und Hamm stellen von 18 bis 2 Uhr über 2.000 Künstler ihre Kreativität, ihre Vielseitigkeit und ihr Können unter Beweis. ExtraSchicht bedeutet: acht Stunden Höchstleistungen. Hunderte von Highlights zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Tanz, Theater und Performance-Acts garantieren magische und poetische Momente – mit Tango, Akrobatik und einer großen Prise Glamour. Das ganze Programm gibt’s auf www.extraschicht.de versch. Orte, 18 – 2 Uhr

bodo verlost 2x2 Karten

Musik | Broken Brass Ensemble Das Broken Brass Ensemble hat im Februar 2019 sein neues Album „With a Vengeance“ veröffentlicht. Die Musik ist sehr dynamisch, laut, schrill und der Sound mit Hilfe von witzigen Effekten tanzbar und wuchtig – kräftige Bässe und mitreißender Brass werden mit HipHop-, Funk- und Jazzelementen kombiniert. domicil, Dortmund, 20 Uhr 28


KINO-TIPP

SO 30 | 06 | 19

SA 06 | 07 | 19

Musik | Singende Trinkhalle 2019 Das Motto der 5. Singenden Trinkhalle heißt Tierlieder. Nach Trink-, Heimat-, Liebes- und Wochentagelied wird es Zeit für ein buntes Potpourri zu Ehren der Fauna auf unserem Planeten. Der erstsingende Laie genauso wie der erprobte Chorsänger dürfen sich auf das Vortrefflichste begleitet wissen durch das Tom & Kerry Orchestra mit Pa von Dieselknecht, Fisch & Oldrik direkt aus den Mülheimer Rathsstuben und Pani from deep space Gütersloh. Trinkhalle, Bochum, 18 Uhr

Workshop | Social Startup Days Aus einem sozialen Projekt oder einer ökologischen Idee ein Unternehmen machen? Die Social Startup Days der Wirtschaftsförderung Dortmund bieten in einem zweitägigen Workshop die Möglichkeit, tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, den Austausch mit Gleichgesinnten und fachliches Feedback von Experten. Die Anmeldung zur kostenfreien Teilnahme ist ab sofort unter www.wirtschaftsfoerderung-dortmund.de/gruendung möglich. Sozialforschungsstelle Dortmund, Evinger Platz 17, Dortmund (auch 7.7.) Festival | Sommersause Auf der Sommersause teilen sich KünstlerInnen mit und ohne Behinderung eine Bühne. Headliner ist in diesem Jahr der Kölner Rapper Eko Fresh. Zuvor präsentieren André George & The Rootz Revival ihr neues Programm. Mit dabei sind auch die Band „Hurricane“, ein inklusives Bandprojekt der Lebenshilfe Dortmund, sowie das Trommelprojekt des Hauses am Lohbach von Bethel regional. Werkstätten der AWO Dortmund GmbH, Lindenhorster Str. 28, DO, ab 15 Uhr

MO 01 | 07 | 19 Theater | #dre@m_isLand Jung, gefrustet und auf der Suche nach dem Abenteuer – so landet eine Gruppe Teens auf #dre@m_isLand. Hier müssen sie sich ihren größten Ängsten stellen und können nur gemeinsam überleben. Werden sie das schaffen? Zeche Eins, Bochum, 11 Uhr

MI 03 | 07 | 19 Kabarett | Christian Ehring Man kennt ihn als Moderator der NDRSatiresendung extra3 und als Sidekick von Oliver Welke bei der ZDF-heute-show. Noch mehr von sich zeigt Christian Ehring, wenn man ihm einen ganzen Abend lang die Bühne überlässt. Das Programm ist ein hochaktueller und sehr persönlicher Kommentar zur Lage der Nation; hintergründig, schwarzhumorig und perfide politisch. Werkstadt, Witten, 20 Uhr

SO 07 | 07 | 19 Fest | Hoeschparkfest international 2019 Eine Welt – viele Nationen. Dutzende Vereine arbeiten zusammen: Sportvorführungen, Musik zum Zuhören und Tanzen, vielfältige Infostände, Essen vom Grill und aus der Pfanne. Haupt-Acts auf der Bühne sind in diesem Jahr „Kolinaut“ und die „Vertical Band“. Hoeschpark, Dortmund, 13 – 18 Uhr

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NORDSTERN

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Der Unternehmenswettbewerb www.wirtschaftsfoerderung-dortmund.de

sweetSixteen-Kino | Burning Nach seinem Studium kehrt der junge Jong-su in sein Heimatdorf zurück. Er weiß nicht, was er im Leben möchte und hält sich mit Gelegenheitsjobs über bodo Wasser. Ein zufälliges verlost 1x2 Wiedertreffen mit Karten* seiner Schulkameradin Hae-mi führt zu einer gemeinsamen Nacht. Jongsus Gefühle sind geweckt, doch Hae-mi steht kurz vor einem lange geplanten Trip nach Afrika. Sehnsüchtig erwartet Jong-su den Tag ihrer Rückkehr. Doch Hae-mi kommt nicht allein zurück: Auf der Reise hat sie den wohlhabenden und selbstbewussten Ben kennengelernt, der von nun an nicht mehr von ihrer Seite weicht. Obwohl Ben ihn einschüchtert, unternimmt Jong-su immer wieder etwas mit den beiden – und erfährt eines Tages von Bens ungewöhnlichem Hobby: Gewächshäuser anzünden. Als Hae-mi plötzlich spurlos verschwindet, stürzt die verzweifelte Suche nach ihr Jong-su in ein Labyrinth aus Misstrauen und Paranoia. Der Mystery-Thriller von Regisseur Lee Chang-dong beruht auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami, feierte Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, war dort für die Goldene Palme nominiert und erhielt den FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik. Mit den gefeierten DarstellerInnen Yoo Ah-in, Newcomerin Jun Jong-seo und „The Walking Dead“-Star Steve Yeun gilt „Burning“ als neues Meisterwerk des südkoreanischen Genrekinos. (Drama/Mystery, Südkorea 2018, 148 Min., Regie: Lee Chang-Dong) Bundesstart im sweetSixteen-Kino ab 6. Juni, ausführliche Spielzeiten online auf www.sweetsixteen-kino.de. sweetSixteen-Kino Immermannstr. 29, 44147 Dortmund www.sweetsixteen-kino.de

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BODO GEHT AUS

Stallgasse Burgholzstraße 22a 44145 Dortmund

Stallgasse NordstadtKneipenretter Seit mehr als 40 Jahren gibt es die „Stallgasse“ unweit des Dortmunder Nordmarkts. Als im vergangenen Jahr die Betreiberin in den Ruhestand ging, drohte eine weitere Traditionskneipe im Norden zu verschwinden. Die Rettung brachten zwölf junge Menschen aus der Nachbarschaft, die einen Verein gründeten und den Laden samt rustikalem Interieur übernahmen. Ihr Ziel: Das alteingesessene Stammpublikum soll sich genauso wohlfühlen wie junge Gäste, deren Ziel sonst nicht die traditionelle Ruhrpottkneipe ist. Lena, Leo und Marius sind drei der BetreiberInnen. Gerade haben sie den Abend vorbereitet, Kerzen in die kupferfarbenen Gläser auf den Tischen gestellt und sitzen nun mit einem Bier an einem Tisch in der Ecke. „Wir waren früher oft selbst hier zu Gast“, erzählt Lena. „Einige aus unserem Freundeskreis hatten schon länger die Idee, eine Kneipe zu übernehmen. Als die

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Von Sophie Schädel | Fotos: Daniel Sadrowski

,Stallgasse‘ schließen sollte, war das dann unsere Gelegenheit.“ Seit April schmeißen die Mitglieder des neugegründeten Vereins den Laden ehrenamtlich und in Selbstverwaltung. Das Konzept: den traditionellen Kneipenbetrieb weiterführen und um ein eigenes Kulturprogramm ergänzen. Am urigen Design – ein Traum in Fachwerk und Messing – ist der Erstbesitzer schuld, dessen Liebe zu Pferden so weit ging, dass er die Kneipe wie einen Stall einrichtete. Die Nischen, in denen die Gäste sitzen, heißen wie seine eigenen Tiere, das Gezapfte wird an der „Tränke“ abgeholt. Die neuen Betreiber ließen diese Gestaltung unangetastet, renovierten behutsam

und polierten die kupferfarbenen Lampenschirme blank. Die „Stallgasse“ hat montags, donnerstags und freitags geöffnet. „Mehr könnten wir ehrenamtlich gar nicht leisten. Wollen wir auch nicht, sonst nehmen wir ja denen die Butter vom Brot, die hier Bars betreiben, an denen ihre Existenz hängt“, erklärt Leo und geht hinter den Tresen. Die ersten Besucher betreten den Schankraum, und für die Drei beginnt eine weitere Nacht, in der sie ehrenamtlich am Tresen stehen.


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Einfach nah.

Nordstadt selber machen „Wir wollen die Kneipenkultur in der Nordstadt am Leben erhalten und dabei den Stadtteil nach unserem Gusto mitgestalten“, erklärt Lena. Es geht ums Selbermachen, darum, sich einzubringen. Es solle nicht so laufen wie am Hafen, sagt sie weiter, wo Verdrängung um sich greife und die Anwohner nur wenige Einflussmöglichkeiten haben. Eine Kneipe ist da für den Verein der perfekte Ort, Anwohner zusammenzubringen und mit einem eigenen Projekt am Viertel mitzuwirken. Früher war die „Stallgasse“ das zweite Wohnzimmer der Hausbewohner, erzählen die drei. „Sie sollen sich hier weiterhin wohlfühlen“, betont Marius. Damit das funktioniert und nicht nur junge Gäste die „Stallgasse“ füllen, hat der Verein sich sein Ziel schon in den Namen geschrieben: Als „Generationsübergreifende Begegnungs- und Kulturstätten Dortmund e.V.“ wollen die Jungen Events wie Doppelkopfturniere und Flohmärkte veranstalten und die Kneipe attraktiv für möglichst alle aus der Nordstadt machen; auch für die ältere Generation, die sie schon lange, lange vor ihnen kannte.

Energie für eine ganze Region

dew21.de

In 31 Sitzungen Kirche in Bewegung gebracht und 511 Kindern Bälle * zugespielt.* *Julia Umierski

Lehrerin, engagiert sich als eine von über 160 Presbyterinnen und Presbytern in der Leitung einer Evangelischen Kirchengemeinde.

Heike Niemann-Liedke Physiotherapeutin und Motopädin, unterstützt in der Frühförderstelle Kinder in ihrer Entwicklung.

Was auch passiert. Wir sind da.

www.team-für-hier.de

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13.12.2018 09:10:11

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KULTUR INTERVIEW

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“ Als Ata Canani Ende der 1970er-Jahre dieses Zitat von Max Frisch in einem IG-Metall-Magazin findet, kreist es in seinem Kopf, wird zum Songtext „Deutsche Freunde“, der den Beginn von etwas gänzlich Neuem darstellt: Ein Gastarbeitersohn, der zu türkischer Musik deutsche Texte singt. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

Ozan Ata Canani J

etzt, 40 Jahre später, steht der Mittfünfziger auf der Bühne der Bochumer Bakery und treibt das Publikum mit seinem besonderen Sound tanzend in den Mai. Er spielt eine elektrisch verstärkte anatolische Langhals-Laute, Baglama oder Saz genannt. Am Schlagzeug Hussein, der schon vor 30 Jahren mit ihm Musik gemacht hat. Anako, der aus Bulgarien stammt, sitzt am Keyboard und hat auf einen feinen Hammond-Orgel-Sound geschaltet. Am Bass wirft sich Joachim ins Zeug, der eigentlich Philosophie-Lehrer ist und Hussein an der Abendschule unterrichtet hat. Gemeinsam versucht diese auf den ersten Blick etwas skurril wirkende Band, den Zauber wiederauferstehen zu lassen, der Ata Canani ab Ende der 1970er-Jahre zu kurzer Berühmtheit gebracht hat. Bei Youtube findet man Fernsehausschnitte aus der „Aktuellen Stunde“ des WDR und aus dem ZDF, 1982 lud ihn Alfred Biolek in „Bios Bahnhof “ ein. In Bochum gelingt das Wunder: Das Publikum kann irgendwann gar nicht mehr genug kriegen vom Welten versöhnenden Sound von Ozan Ata Canani – so lautet sein Musikername, „Ozan“ bedeutet übersetzt „Poet“.

„Unsere deutschen Freunde“ „Deutsche Freunde“, das vor einigen Jahren auf der Trikont-Compilation „Songs of Gastarbeiter“ erschienen ist, ist ein Hit und geht in die Beine, obwohl sein Text eine Bitterkeit über den damaligen Umgang mit Gastarbeitern ausdrückt: „(Sie kamen) als Schweißer, als Hilfsarbeiter / Als Drecksund Müllarbeiter / Stahlbau- und Bahnarbeiter / Sie nennen uns Gastarbeiter / Unsere deutschen Freunde“, singt Ata Canani. Und macht am Ende auch die eigene Verlorenheit zum Thema: „Und die Kinder dieser Menschen / Sind geteilt in zwei Welten / Ich bin Ata und frage euch / Wo wir jetzt hingehören“. Ata Canani ist schon die zweite Generation Gastarbeiter. „Mein Vater ging 1971 nach Deutschland. Er wollte eigentlich nur etwas Geld verdienen und nach zwei Jahren wieder zurückkommen“, erinnert er sich. „Sein Traum war es, in der Türkei ein Haus zu bauen mit einem kleinen Laden unten drin.“ Doch dann änderten sich die Pläne: Der Vater holte 1972 die Mutter nach Deutschland und 1974 auch den zwölfjährigen Sohn – und der brachte seine Saz mit.

Und die Kinder dieser Menschen Sind geteilt in zwei Welten Ich bin Ata und frage euch Wo wir jetzt hingehören 32

„In Bremerhaven sind wir gut aufgenommen worden, die Leute waren sehr freundlich zu uns“, erzählt Ata Canani. Doch als die Familie in den Kölner Raum zog, sah er immer öfter Schmierereien an den Mauern: „Ausländer raus“ oder „Scheiß Kanaken!“.

„Was soll das?“ Schon mit 16 Jahren hatte er eine Band, spielte auf Hochzeiten und anderen Festen. Und irgendwann kam ein Gast auf ihn zu und sagte: „Worum geht es in deinen Texten? Warum versuchst du es nicht mal auf Deutsch?“ Der junge Musiker, der bis dahin vor allem traditionelle Musik aus Anatolien oder eigene Lieder auf Türkisch gespielt hatte, nahm es als Anregung und verarbeitete sein mulmiges Gefühl an den damals öffentlich geführten Debatten über einen Anwerbestopp und das umstrittene Rückkehrhilfegesetz, mit dem der Wegzug von arbeitslosen Ausländern aus der Bundesrepublik gefördert werden sollte. Mit dem Lied ging es dem jungen DeutschTürken, der in gebrochenem Deutsch sang, genau wie in der letzten Zeile vermutet: Das deutsche Publikum nahm es nicht wirklich ernst, und die erste GastarbeiterGeneration hat ihn offen ausgelacht: „,Was soll das?‘, haben sie gefragt. Die haben gar nicht verstanden, worum es da geht“, sagt Ata Canani: „Um ihre Situation, ihr Leben, ihren sozialen Status. Aber manche lebten auch schon jahrelang in Deutschland und machten gar keine Anstalten, die Sprache


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KULTUR

zu lernen.“ Deshalb galt seine Kritik an misslungener Integration nicht nur den deutschen Politikern, sondern auch den eigenen Leuten. Irgendwann in den 1980er-Jahren verschwand Ozan Ata Canani von den Bühnen des Landes. Er heiratete, bekam Kinder, seine Frau war eifersüchtig, mochte sein Musikerleben nicht. Der Sänger fügte sich, lebte ein zurückgezogenes Leben als Arbeiter in einem Kühlhaus für die Warenverteilung eines großen Discounters. Doch als die Kinder erwachsen waren, da hielt er es nicht mehr aus. Zu groß war die Sehnsucht, auch der künstlerischen Seite Ausdruck zu verschaffen.

„Alle wollen glücklich sein“ Scheidung, Herzinfarkt, Frühverrentung – so könnte man die vergangenen Jahre von Ata Cananis Biographie auf den Punkt bringen. Doch er erzählt von diesen Ereignissen ohne Bitterkeit, denn sie haben ihn befreit von allem, was ihn von der Musik abhielt. Mit ein paar Stents in den Blutgefäßen und der Band aus alten und neuen Musikern möchte er es noch einmal versuchen. Im Ansatz sieht alles ziemlich gut aus: Das Staatsakt-Label, das Künstler wie Isolation Berlin, Christiane Rösinger und Die Regierung unter Vertrag hat, hat seine neue Sin-

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gle „Alle Menschen dieser Erde“ veröffentlicht. Wer diesen Riesen-Ohrwurm einmal gehört hat, kriegt ihn nicht mehr aus dem Kopf: „Alle Menschen dieser Erde / Alle wollen glücklich sein“, singt er im Refrain. Und: „Hast du Liebe, gib sie weiter / Dem der keine Liebe hat / Denn nicht nur das Brot alleine / Macht den Menschen froh und satt“. So einfach, so wahr, so genial. Dazu die treibende E-Saz, die anatolische Phrasierung im Gesang, das Rock-Schlagzeug, die Hammond-Orgel – man kann sich der Energie dieser Musik kaum entziehen und der Liebe und Gutmütigkeit, die sie ausstrahlt.

Doch auch der politische, der angriffslustige Ata Canani ist noch da. „Import / Export“ heißt ein Lied, in dem er die kapitalistische Logik kritisiert und einen Slogan der 1968er zitiert: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt.“ Bald will er ein Album aufnehmen mit Songs auf Deutsch und Türkisch. Er denkt diese Welten selbstverständlich zusammen. „Ich habe mittlerweile Enkelkinder, die sind die vierte Generation Gastarbeiter“, sagt er. Wie schön wäre es, wenn sie in einer Welt aufwachsen, in der sie nicht mehr als Fremde angesehen werden, weil irgendwann einmal ein Vorfahre eine Landesgrenze übertreten hat.


BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Dativ raus Gelingende Integration verändert das Aufnahmeland stärker als scheiternde, erklärte Aladin El-Mafaalani („Das Integrationsparadox“) im bodo-Interview. Beispiel Literatur: Der Berliner Romancier Abbas Khider („Die Ohrfeige“), in Saddams Irak inhaftiert und gefoltert, war nach Europa mit überschaubarem deutschen Wortschatz geflohen: Hitler, Scheiße, Lufthansa. Er durchlief die Mühlen eines deutschen Asylverfahrens und die des deutschen Bildungswesens und schreibt als studierter Literaturwissenschaftler nach erfolgreichen Romanen nun ein satirisches Lehrbuch für ein reformiertes „Deutsch für alle“. Was für eine Provokation. Im fröhlichen Ton erklärt Khider den Muttersprachlern die kaum zu bewältigenden Hürden beim Lernen einer irrationalen und eigentlich nur aus Ausnahmen bestehenden deutschen Grammatik. Und er verordnet eine Rosskur: Radikale Schnitte bei Konjugation und Deklination, Schluss mit Dativ und Genitiv, Ordnung in die Nebensätze, weg mit unaussprechlichen Um- und hässlichen ch-Lauten. Heraus kommt ein Gebrauchsdeutsch mit der schönen Effizienz von Pidgin-Englisch oder Indonesisch, zu lernen in drei Wochen. Das ist fundiert genug, um „Sprachschützer“ auf die Palme zu bringen, alle anderen hören zwischen den Sätzen Abbas Khiders ansteckendes Lachen. Abbas Khider | Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch ISBN: 978-3-446-26170-9 Carl Hanser | 128 S. | 14 Euro

Aufs Land Wie wohnen: „Freiraum“ ist ein Buch über das Wollen und das Müssen. Ein Roman über die ökonomischen Zwänge, die ein Wohnen in der Großstadt zunehmend verunmöglichen, und über die Suche nach dem titelgebenden Freiraum: Vela und Maren, ein lesbisches Paar Anfang dreißig, landet auf der Suche nach einem Ort, an dem man noch wohnen kann, in einem Wohnprojekt außerhalb der Stadt, mit Garten und Wald und Hofladen im Nachbarort. „Freiraum“ ist auch ein Buch über Zweisamkeit und Gemeinschaft, über den Verlust des gemeinsamen Blicks: Während Maren das Leben in der Gruppe genießt, wachsen in Vela Widerstände gegen die verdeckten Brüche im Gemeinsamen und gegen Theo, den Macher, der in mancher Hinsicht gleicher als gleich zu sein scheint. Auch wenn das sich wie eine Wiederaufführung der Diskussionen und der literarischen Sprechhaltungen ab Mitte der 1970er Jahre ausnimmt, von der Stadtflucht bis zum „objektiven Faktor Subjektivität“ (Kursbuch 35), ist „Freiraum“ doch eine gänzlich gegenwärtige Versuchsanordnung. Die Krisen, auf die die Millenials reagieren, sind die eines sehr gegenwärtigen, weitergedrehten Kapitalismus, ihre Lösungen sind nicht sehr neu. Svenja Gräfen | Freiraum ISBN: 978-3-8437-2043-4 Ullstein | 256 S. | 16,99 Euro

Weißes Rauschen Es beginnt mit einem performativen Widerspruch: 2014 schrieb die schwarze Londoner Journalistin Reni Eddo-Lodge einen wütenden Blogpost über die Vergeblichkeit, mit Weißen über Hautfarbe zu diskutieren. Ihr „Trennungsbrief “ erzielte eine immense Reichweite und machte sie paradoxerweise zu einer der wichtigsten Stimmen gegen den strukturellen Rassismus in der britischen Gesellschaft. In Ihrem nun auf Deutsch erschienenen Buch beschreibt Reni Eddo-Lodge Rassismus nicht als moralische Verfehlung, sondern als systemische Strategie zum Machterhalt. Das, was sie das „weiße Privileg“ nennt, die Abwesenheit von Diskriminierung, die bewusstlose Erfahrung, es leichter zu haben, führe dazu, dass Weiße, konfrontiert mit Schilderungen von erfahrenem Rassismus, an Objektivität und Vernunft appellierten und zu Gelassenheit mahnten. Statt die konsequent ungleichen Startbedingungen in den Blick zu nehmen, grassiere die „Lüge der Farbenblindheit“ („Ich mache keine Unterscheide aufgrund von Hautfarbe“). „Warum ich nicht länger…“ ist ein kontrollierter Wutausbruch aus intellektueller Schärfe und einer oft schwer auszuhaltenden Unmittelbarkeit. Es fällt schwer, es zur Seite zu legen. Reni Eddo-Lodge | Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche ISBN: 978-3-608-50419-4 Tropen | 263 S. | 18 Euro

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REPORTAGE

„Michelle ist in meinem Herzen gewachsen, nicht in meinem Bauch.“

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„Ich kann nicht die ganze Welt retten, aber ein Kind.“ Der Anruf kommt kurzfristig, manchmal auch nachts. Bereitschaftspflegeeltern kümmern sich um Kinder, die vorübergehend aus ihrer leiblichen Familie geholt wurden. Manche wurden vernachlässigt, andere misshandelt. Wir haben eine Pflegemutter aus Bochum getroffen, die diesen Kindern ein Zuhause auf Zeit bietet.

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Von Sarah Heppekausen | Foto: Daniel Sadrowski

Wie selbstverständlich setzt sie sich zum Gespräch auf den Boden. Auf ihrem Schoß sitzt der kleine Elias*, mal brabbelt er, mal fallen ihm kurz die Augen zu, dann lacht er sie wieder mit großen Augen an, gibt ihr ein Küsschen. Von außen betrachtet ein ganz normales, ein glückliches Mutter-Sohn-Gespann. Für Sabine Kempe ist es auch nichts anderes, obwohl sie nicht Elias’ leibliche Mutter ist. Elias ist sieben Monate alt, seit fünf Monaten lebt er bei ihr. Sie ist seine Pflegemutter. „Für mich spielt es keine Rolle, ob das Kind mein leibliches ist oder nicht“, sagt sie. „Kinder brauchen Bindung, sie brauchen Liebe. Nur dann haben sie eine Chance.“

Sabine Kempe ist seit sieben Jahren in der Bereitschaftspflege aktiv, zwölf Kinder hat sie in dieser Zeit schon betreut. Bereitschaftspflege bedeutet, dass die Pflegeeltern kurzfristig ein Kind aufnehmen, das aus den unterschiedlichsten Gründen die leibliche Familie verlassen muss. Ursache kann der Krankenhausaufenthalt einer alleinerziehenden Mutter sein, aber auch Vernachlässigung oder Misshandlung. Der Anruf vom Jugendamt oder von einem der freien Träger kann auch mal nachts kommen, die Kinder bleiben vielleicht zwei Wochen, zwei Monate oder auch ein halbes Jahr und länger. So genau weiß das vorher niemand. 398 Kinder lebten im vergangenen Jahr in Bochum bei Pflegefamilien, 40 davon in Bereitschaftspflege. Gerade einmal 22 Bereitschaftspf legefamilien kümmern sich um sie. Der Bedarf an Pflegepersonen ist entsprechend groß. Sabine Kempe ist gelernte Sozialpädagogin. Sie liebt die Arbeit

mit Kindern, sie sagt, sie habe die Zeit, die Nerven und die Geduld. Für sie sind das zwingende Voraussetzungen für die Bereitschaftspflege. Wer berufstätig ist, kann nicht von heute auf morgen ein Baby aufnehmen. Ein Baby, das 24 Stunden am Tag versorgt werden muss, ein Baby, über dessen Vergangenheit manchmal kaum etwas bekannt ist, ein Baby, das vielleicht schon körperlich oder seelisch gezeichnet ist.

Das Wiederhergeben ist der schwerste Moment Sabine Kempe wird 50 Jahre alt, hat drei erwachsene leibliche Kinder und ein Dauerpflegekind. Michelle war ihr erstes Kind in Bereitschaftspflege, sie war damals knapp zwei Jahre bei ihnen. „Danach konnte ich sie nicht mehr hergeben“, erklärt Kempe. Michelle sagt längst „Mama“ zu ihrer Pflegemutter. Sie sagt: „Du bist nicht meine leibliche Mama, aber meine richtige“. Und Sabine Kempe erklärt es so: „Michelle ist in meinem Herzen gewachsen, nicht in meinem Bauch.“ Das Wiederhergeben, es ist der schwerste Moment für Sabine Kempe. Sobald geklärt ist, ob das Kind wieder zurück in seine Herkunftsfamilie kann oder dauerhaft in eine Pflegefamilie kommt, heißt es für die Bereitschaftspflegeeltern Abschied nehmen. Es gibt mehrere Treffen über Wochen, bei denen das Kind seine neuen Pflegeeltern kennenlernt, eine Annäherung, behutsam, im Tempo des Kindes, vergleichbar mit der Eingewöhnung in der Kita oder bei der Tagespflege. Nur dass Sabine Kempe

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REPORTAGE

und ihr Mann dieses Kind irgendwann nicht mehr abholen werden. Schon jetzt graut es ihr vor dem Tag, wenn sie den kleinen Elias nicht mehr bei sich hat. In den vergangenen Monaten hat sich eine besondere Beziehung zwischen den beiden entwickelt. Bei ihr hat er sich zum ersten Mal vom Rücken auf den Bauch gedreht, sie ist da, wenn er nachts aufwacht oder tagsüber Bauchweh hat, verlässlich, sorgsam, liebevoll. Sabine Kempe hat viele Entwicklungsschritte „ihrer“ Kinder begleiten dürfen: ein erstes Lachen, ein erstes Krabbeln, die ersten Schritte. In Bereitschaftspflegefamilien haben viele Kinder zum ersten Mal gelernt, was es heißt, eine verlässliche, angstfreie Bindung aufzubauen. Kleine Kinder, die über Stunden allein gelassen, die geschlagen wurden, deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol getrunken oder Drogen genommen haben und die ihr Leben lang unter den Folgen leiden werden.

Ganz viel Zeit, um eine Bindung aufzubauen Mit ihrer Pflegetochter geht Sabine Kempe zweimal die Woche zur Therapie, seit Jahren. Auf die Frage, ob ihr das alles nicht auch mal zu viel würde, antwortet Sabine Kempe mit einem deutlichen Nein. Ein einziges Kind habe sie mal an die Grenze

ihrer Belastbarkeit gebracht, weil es dauerhaft geschrien habe. Da waren es dann ihre Familie und ihre Pflegetochter Michelle, die ihr wieder Kraft gegeben haben. Lebenserfahrung und Belastbarkeit sind laut Jugendamt zentrale Voraussetzungen für die Anerkennung als Pflegeperson. Interessierte müssen ein polizeiliches Führungszeugnis vor- und ihre Einkommenssituation offenlegen. In einem Bewerberbogen muss man seine Motivation formulieren und sich Gedanken über die Veränderungen im eigenen Leben durch den Pflegedienst machen. Man wird gläsern, nennt es Sabine Kempe. Und das sei auch richtig so, zum Schutz der Kinder. Verpflichtend ist außerdem ein mehrwöchiges Qualifizierungsseminar. Pflegeeltern werden finanziell unterstützt, es ist genug, um die laufenden Kosten des Kindes zu decken. Für Sabine Kempe darf das Geld kein Motivationsgrund sein. Ihr Anspruch ist es, jedem einzelnen Kind zu ermöglichen, Teil ihrer Familie zu werden. „Die Kinder brauchen doch erst mal nichts anderes als ganz viel Zeit, um eine Bindung aufzubauen“, erklärt sie. Für sie ist es ein Gewinn, die Kinder ein Stück weit auf ihrem Weg zu begleiten, eine tolle Aufgabe, eine große Bereicherung. Sie sagt: „Ich kann nicht die ganze Welt retten, aber ein Kind.“

Der Kontakt zu den leiblichen Eltern ist individuell vom Jugendamt geregelt, Fachkräfte begleiten diese sogenannten Besuchskontakte. Sabine Kempe sieht ihnen stets mit gemischten Gefühlen entgegen. Oft bedeutet das Aufeinandertreffen mit den leiblichen Eltern Stress für die Kinder, die Pflegemutter muss dann später das Gefühlschaos auffangen. Kempe ist es wichtig, den Eltern ihrer Pflegekinder Wertschätzung entgegenzubringen. Auch wenn ihr das manchmal schwer fällt. Sie verletzt es, wenn andere sie fragen, wie sie denn ein Kind wieder abgeben können. Das klinge abwertend, wie ein Vorwurf. Dabei sind die Bedingungen von Anfang an geklärt. Jeder Abschied falle ihr unglaublich schwer, sie weine viel, brauche dann erst mal eine Pause bis zur nächsten Aufnahme, Zeit, um alles zu verarbeiten. Was sie bestärkt, ist die Gewissheit, dass ein Kind in einer Familie besser aufgehoben ist als in einem Heim mit ständig wechselnden Bezugspersonen. Was ihr hilft, sind die Gespräche mit anderen Pflegemüttern. Und die Fotos und Erzählungen von ihren Pflegekindern. Ja, zu den meisten habe sie bis heute Kontakt. Strahlend beantwortet Sabine Kempe diese Frage. Es ist ein Strahlen voller Freude und Stolz. * Alle Namen geändert

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Wolfgang Beudels / Rudolf Lensing-Conrady / Hans Jürgen Beins

... das ist für mich ein Kinderspiel Handbuch zur psychomotorischen Praxis Die hier präsentierte Ideenvielfalt und die dazu passende Grundhaltung haben sicherlich dazu beigetragen, dass dass das Buch seit 25 Jahren zu den Bestsellern gehört. Aber wer sagt, dass Kinderspiel nur was für Kinder sei? Alle Menschen können mit Psychomotorik umfangreiche motorische und soziale Erfahrungen sammeln, deren positive Rückwirkungen auf das psychische Befinden unbestritten sind. So ist auch diese völlig überarbeitete, durchgehend farbige Neuauflage diesen Grundsätzen verpflichtet. Die vorgestellten Spiele und Übungen sind unmittelbar übertragbar in die alltägliche Bewegungswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Das Handbuch richtet sich damit nicht nur an ErzieherInnen, LehrerInnen, Übungsleiter und TherapeutInnen, sondern auch an Eltern und unmittelbar an die Kinder. Den PraktikerInnen wird die Umsetzung in die tägliche Arbeit durch eine zusätzliche Gliederung der Spielvorschläge nach möglichen Einsatzbereichen, wie „Begrüßungsspiele“, „Spiele für die Aktive Pause“, „Spiele für draußen“, „Spiele für kleine Räume“ oder für „Angebote ohne spezifische Geräte“ erleichtert.

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Schleefstr. 14 • D-44287 Dortmund • Tel. 02 31 - 12 80 08 • FAX 02 31 12 56 40 Ausführliche Buch-Informationen (Leseproben) und Bestellen im Internet: www.verlag-modernes-lernen.de Oder besuchen Sie uns in der Schleefstraße 14: Mo - Do von 8 bis 16 Uhr, Fr von 8 bis 15 Uhr

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2019, 320 S., Format 16x23cm, Klappenbroschur ISBN 978-3-8080-0837-9 Bestell-Nr. 1308, E 22,50


Eine Frage, Herr Parche:

Wo darf ich im Sommer schwimmen? Wenn die Temperaturen im Sommer steigen, sehnt sich so manch einer nach einem Sprung ins kühle Nass. Auch wenn das Ruhrgebiet für Badefreunde einiges zu bieten hat, ist das Schwimmen in vielen Gewässern eigentlich verboten, auch wenn es seitens der Ordnungsbehörden toleriert wird. Doch warum ist das so, und was gibt es für Alternativen?

Philipp Parche, Pressesprecher der Deutschen Lebens-RettungsGesellschaft, Landesverband Westfalen, Bezirk Dortmund e.V.

„Ob man in einem Gewässer schwimmen darf oder nicht, kann ganz unterschiedliche Gründe haben“, sagt Philipp Parche von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. „Auf Binnenschifffahrtswegen, von denen es in NRW ca. 380 Kilometer gibt, ist das Schwimmen verboten, da von den Schiffen eine enorme Gefahr für die Badenden ausgehen kann. Einschränkungen gibt es auch bei Trinkwassertalsperren, da dort die Wasserqualität nicht beeinträchtigt werden soll. Und dann gib es Sonderreglungen bei künstlich angelegten Seen wie dem Dortmunder Phoenixsee, in denen aus gesundheitlichen Gründen nicht geschwommen werden darf, da dort die Wasserqualität aufgrund industriell belasteter Böden nicht zum dauerhaften Schwimmen geeigneten ist.“ Doch auch wenn vielerorts das Baden toleriert wird, ist das Schwimmen in freien Gewässern nicht ungefährlich. Erst letzten Sommer verstarb ein 37-Jähriger bei einem Badeunfall

am Dortmund-Ems-Kanal. „Beim Springen von den Brücken kann es zu schweren Verletzungen kommen, und auch Wellen, die einen gegen das Ufer drücken, können ein Problem werden“, so Parche.

Im Dortmunder Phoenixsee darf nicht geschwommen werden, da dort die Wasserqualität aufgrund industriell belasteter Böden für Badende eine Gesundheitsgefahr darstellt. Sollte es zu einem Unfall kommen, ist zuerst die Feuerwehr zuständig. „In Städten, die eine Berufsfeuerwehr betreiben, wird der DLRG nur informiert, wenn Sondereinsatzkräfte, wie zum Beispiel Taucher, benötigt werden. In Städten ohne Berufsfeuerwehr laufen die Notrufe allerdings direkt bei uns beim DLRG auf.“ Doch es gebe auch sicherere Alternativen. „Mit dem unter Denkmalschutz stehenden Volksbad hat Dortmund zum Beispiel eines der schönsten Freibäder, die ich kenne. Wer es etwas natürlicher mag, wird im Seepark Lünen fündig.“

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REPORTAGE

Doctore Minutera Der in Dortmund lebende Fotograf und Grafikdesigner Thaisen Stärke hat auch schon Reportagen für bodo fotografiert. Neuerdings gehört die historische Fototechnik mit einer sogenannten Kollodium-Nassplatte und mehreren Chemikalienbädern zu seinem Spezialgebiet. Thaisen hat sich dieses Verfahrens aus der Frühzeit der Fotografie angenommen und unter dem Namen „Doctore Minutera“ im Klinikviertel ein eigenes Studio eröffnet. Von Peter Hesse | Fotos: Doctore Minutera

Je digitaler die Welt wird, desto lieber greift man auf analoge Techniken zurück. Nicht nur, weil althergebrachte Verfahren einen gewissen Charme, sondern auch weil sie technische Vorzüge haben, die digital oftmals verloren gehen. Bei den Fotografien von Thaisen Stärke ist das auch so: „Ich empfinde den Look meiner Bilder als wärmer“, sagt er, „gerade gegenüber denen, die digital erzeugt werden. Durch diese Art der Fotografie, die ich mit ,Doctore Minutera‘ ausübe, erhalten die Bilder eine große Tiefe. Alleine der Prozess, wenn auf der Glasplatte aus dem Nichts langsam das Bild entsteht, ist wahnsinnig faszinierend.“ Das fotografische Verfahren, dessen sich Thaisen angenommen hat, wurde von den beiden Tüftlern Frederick Scott Archer und Gustave Le Gray entwickelt. Die beiden haben um 1850 herum eine fotografische Platte entwickelt, auf die eine lichtunempfindliche Schicht aufgetragen wird, das sogenannte Kollodium. Die darin gelösten Salze werden in einem Silberbad lichtempfindlich gemacht. Die Platte kann nun belichtet werden. Warum geht ein Fotograf bei allen heutigen Möglichkeiten so weit zurück, was ist sein Hauptmotiv? „In erster Linie ist es die Entschleunigung. Ich will die digitale Fotografie überhaupt nicht verteufeln, aber es ist gerade bei PorträtTerminen oftmals so, dass man nur sehr begrenzt Zeit hat. Du hast dann die Vorgabe, in fünf Minuten so oft wie möglich auf den Knopf zu drücken – und da wird schon irgendwie was Passendes dabei sein. Dadurch, dass der Prozess mit meinem Equipment einfach länger dauert, musst du mehr Zeit einplanen. So bringen die Leute auch viel mehr Muße mit. Denn es dauert schon mal bis zu einer Stunde, bis ein ausdrucksvolles Bild entsteht.“ Für den Betrachter wirken die „Doctore Minutera“-Bilder lange nach. Sie leben von mehreren Schärfeebenen, und die Porträts wirken wie die Topografie einer Landschaft, als hätten sie eine dreidimensionale Aura. Ist das nur handwerkliche Qualität oder wie funktioniert das? Der Tüftler und Fotograf erklärt: „Die Linsen und die Optik sind bei diesen alten Kameras, mit denen ich arbeite, unglaublich gut. Die Bereiche, die in die Unschärfe gehen, bekommen

Doctore Minutera Kleine Beurhausstraße 22 44137 Dortmund www.doctore-minutera.de

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einen sehr schönen Look – weil der ganze Prozess relativ lichtunempfindlich ist. Das heißt, ich muss mit einer sehr großen Blendenöffnung arbeiten. Dadurch hat der Kontrast zwischen Schärfe und Unschärfe schon mal einen sehr schönen Wirkungsgrad. Der Silberanteil auf dem Bild ist zudem sehr hoch, da ist kein Korn im Bild. Dadurch hast du eine sehr gleichmäßige Fläche. Bei dieser Art von Foto kann auch kein Film mithalten.“ Ein paar Zukunftspläne hat Thaisen auch schon: „Ich will mir ein mobiles Labor basteln, damit ich zum Beispiel auch auf Festivals, Steampunk- oder Mittelaltermärkten Fotos machen kann. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine kleine Kiste, bei der ich einen Tisch ausklappen kann und mit einem Tuch eine Art mobile Dunkelkammer dabei habe. Denn ich brauche einen kleinen dunklen Raum, um die Glasplatten zu entwickeln. Außerdem will ich auch eine weitere Kamera bauen, mit der ich dann noch größere Formate fotografieren kann.“

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LESERPOST & MEINUNGEN

BODO-SHOP Schöne Dinge, die Sie bei uns auch kaufen können: für sich, für Freunde, für unsere Verkäufer. Erhältlich in unserem Dortmunder Buchladen und in unserer Bochumer Anlaufstelle oder auf Wunsch per Post. Bestellen Sie per Mail oder kommen Sie vorbei. Wir freuen uns auf Sie.

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bodo 05.19 / Kommentar

„Abendlandser unterm Genderstern“ (Zum Aufruf des „Vereins für Deutsche Sprache“ zum Widerstand gegen „Gender-Unfug“) – Glückwunsch zu diesem Kommentar, eine Glanzleistung des neuen deutschen Journalismus! Von oben bis unten Polemik, Sachlichkeit = 0. Statt Argumenten werden die Autor/Innen in die rechte Ecke gestellt, egal wo sie herkommen, oder auf einem anderen Stern verortet. Genau der Stil der Auseinandersetzung, der, unter anderem Vorzeichen, aus der rechten Ecke kommt. Ich habe mir daraufhin den Aufruf endlich mal angesehen. Er hat mich (trotz einiger martialischer Formulierungen) mehr überzeugt als dieser Kommentar, und ich habe ihn unterschrieben. Danke auch für den Hinweis! W. G. – Ich hatte bisher wohl eine falsche Vorstellung vom Ziel des Vereins; zukünftig werde ich mich mit einem freundlichen Kopfnicken begnügen, wenn ich wieder einen Verkäufer oder eine Verkäuferin von bodo treffe. Mit freundlichem Gruß, Dr. K. H. – Sehr geehrte Damen und Herren, als erstes sollte dieses linke und grüne Hetzblatt – bodo – und die Damen und Herren, die es drucken usw., verkaufen usw., nach dem Sieg der AfD vollkommenst dicht gemacht und verboten werden und die Verfasser eingesperrt. Mit freundlichem Gruß, S.W. – Guten Tag Herr Pütter, Ihr Kommentar ist wieder einmal zutreffend und sprachlich gelungen. bodo ist überhaupt ein sehr lesenswertes Magazin. Vielen Dank dafür! Beste Grüße, St. S. bodo 05.19

Julia Wissert Glückwunsch zu Eurem guten Näschen! Die zukünftige Dortmunder Intendantin vorstellen, bevor sie es selbst weiß, Respekt! Auch sonst wieder ein spannendes Heft und eine praktische Sehhilfe beim Blick über den Tellerrand. Danke dafür, S. V. bodo 05.19

Unterm Pflaster mehr als Strand Ich konnte damals (so 2002/3) von meinem Arbeitsplatz täglich auf die Baustelle Tiefgarage am Stadthaus Südwall schauen. Da waren im Hochsommer Leute am Buddeln mit Schüppchen, mit Handfegern, usf. zugange, mein lieber Kokoschinski. Beneidet habe ich die nicht. Sahen aber alle sehr jung und frisch aus und auch nicht unglücklich. J. St. via Facebook


RÄTSEL

Im Mai waren wir mit SPD-Landes- und LokalpolitikerInnen aus Dortmund auf Tour. Wir freuen uns über die große Nachfrage nach unseren sozialen Stadtführungen, bei denen wir zeigen, welche Orte für Obdachlose wichtig sind, wo man Unterstützung findet und wo die Hilfesysteme Lücken haben.

Hat sich doch wieder gelohnt Liebe bodo, hier eine böse Kritik (mit Augenzwinkern und Happy End): bodo gekauft – natürlich, was soll sonst meine Stammverkäuferin denken, durchgeblättert, ein wenig enttäuscht. Junge Frau vom Theater, kenne ich nicht. Alte Steine ausbuddeln, interessiert mich nicht. Was zum Europaparlament, gähn. Und dann liegt die bodo in der Küche, und man liest hier mal rein und da mal rein und wundert sich ein bisschen und ärgert sich ein bisschen und merkt sich was. Dass kaputte U-Bahnen unterirdisch schnell aufs Abstellgleis geschoben werden, zum Beispiel. Und am Ende hat sich’s doch wieder gelohnt. Macht weiter so, Eure G. F.

Stadtführungen

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

AUFLÖSUNG HEFT 05.19

Eine kurze Rückmeldung zu Euren Stadtführungen: Wir hatten uns schon lange vorgenommen, uns einmal „das andere Bochum“ von bodo zeigen zu lassen. An diesem Samstag war es soweit. Um es kurz zu machen: Eine anstrengende (das sind schon ein paar Kilometer!), lehrreiche und stellenweise sehr berührende Tour. Werden wir weiterempfehlen! Viel Erfolg weiterhin, H. D.

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SOZIALES

Wohin lädt man Gäste ein, wenn man keine eigene Wohnung hat? Yoana Todorova beantwortet diese Frage künstlerisch: Mitten in der Dortmunder Innenstadt stellt sie Ende April ein Wohnzimmer auf. Den ganzen Nachmittag über laden Wohnungslose PassantInnen zu Gesprächen „Auf Augenhöhe“, so der Titel des Projekts. Von Bastian Pütter | Fotos: Sebastian Sellhorst

„Auf Augenhöhe“ Schwer zu sagen, was an diesem Nachmittag überraschender ist: die Selbstverständlichkeit, mit der die bodo-VerkäuferInnen Stefan, Metin, Chris, Jessi und die anderen sich in jeweils „ihrem Wohnzimmer“ mit völlig Fremden in oft lange Gespräche begeben – ernsthaft, ehrlich, offen. Oder die Aufgeschlossenheit, mit der sich die DortmunderInnen zu einem Experiment, zu einer Erfahrung überreden lassen, vor laufenden Kameras und den Augen neugieriger Passantinnen und Passanten. „Ein Wohnzimmer in der Fußgängerzone ist gleichzeitig eine Wohnung und keine Wohnung. Es gibt einen Teppich, Sessel, sogar Zimmerpflanzen – aber keine Wände. Es ist ein Schwebezustand“, erklärt Yoana Todorova, die an der FH Dortmund Kommunikationsdesign studiert, ihr Projekt. Ein Schwebezustand, der alle Blicke auf sich zieht. Nicht zuletzt, weil Schaulustige und in Gruppen zusammenstehende bodo-VerkäuferInnen, befreundete Wohnungslose und bodo-MitarbeiterInnen darauf hindeuten, dass es hier etwas zu sehen gibt. Vor allem aber, weil ein ganzes Team aus Kameraleuten, einer Fotografin, einem Sounddesigner, Studentinnen der Sozialen Arbeit usw. die Szene umringt. Denn Todorovas Projekt besteht aus mehreren Teilen. Auf die Straßeninstallation wird

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ein Porträt-Workshop mit den beteiligten bodo-VerkäuferInnen folgen und im Herbst eine Ausstellung mit Foto-Collagen und Filmen in der Nordstadt-Galerie „Fachhochschule vor Ort“. Am Anfang stand die Überzeugung der in Sofia aufgewachsenen Bulgarin, dass ein ungewöhnliches „Setting“ neue Perspektiven ermöglicht: „Es gibt das vermeintlich Offensichtliche, die Armut, das Betteln, das draußen Schlafen. Und dann gibt es so viele Vorurteile“, sagt sie. „Ich mag die Idee, die Verhältnisse umzukehren. Wohnungslose laden in ihr Wohnzimmer ein. Die Gäste dürfen Fragen stellen, man lernt sich kennen. Und schon gibt es einen neuen Blick – auf beiden Seiten.“ Und die Versuchsanordnung funktioniert. Geduldig warten Frauen, Männer, Familien und kleine Gruppen Jugendlicher, die Yoana Todorova auf dem Ostenhellweg angesprochen hat, bis die vorangehende Plauderei im behaupteten Wohnzimmer einen Abschluss in einer freundlichen Verabschiedung findet und das Sofa frei wird für einen weiteren bodo-Verkäufer und für sie. Beide Seiten eint, dass sie nicht wissen, was sie erwartet. Um die Unsicherheit zu nehmen und einen Gesprächseinstieg zu schaffen, hat Yoana Todorova „Spickzet-

tel“ mit möglichen Fragen vorbereitet. Die Wohnungslosen kennen die Fragen, das gibt auch hier etwas Sicherheit. Doch kaum jemand, der sich getraut hat, auf dem Sofa Platz zu nehmen, möchte Fragen ablesen. Stattdessen entspinnen sich Gespräche über den Alltag, auch den auf der Straße, über Biographisches und Zukünftiges – worüber man zwischen Stehlampe und Yuccapalme sonst auch so redet. Kein Zufall ist, dass bodo-Verkäufer Stefan, der den Auftakt macht, und einige Stunden später Marcus, der das letzte Gespräch führt, ihre Erfahrungen mit dem gleichen leichten Kopfschütteln und den gleichen Worten kommentieren: „Das war wirklich interessant.“


Yoana Todorova (oben) kam aus Sofia / Bulgarien nach Dortmund, um an der FH Kommunikationsdesign zu studieren. Ihr mehrteiliges Kunstprojekt vor ihrem Studienabschluss setzt sie gemeinsam mit Verkäufern des StraĂ&#x;enmagazins um. Auf die Stadtrauminstallation eines Wohnzimmers wird eine Ausstellung mit Foto-Collagen und Filmen folgen.

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SOZIALES | VERKÄUFERGESCHICHTEN

„Viele Leute waren ganz schön schockiert, wenn wir von solchen Erlebnissen erzählt haben“, sagt Stefan nach den Gesprächen „Auf Augenhöhe“.

Mein Wohnzimmergespräch Ein paar Tage nach dem Projekt „Auf Augenhöhe“ haben wir uns mit bodoVerkäufer Stefan getroffen und mit ihm darüber gesprochen, welche Fragen ihm gestellt wurden und wie er den Tag erlebt hat. Von Sebastian Sellhorst

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o genau wussten wir ja alle nicht, was da auf uns zukommt, als wir gemeinsam in die Innenstadt gingen, um bei dem Projekt mitzumachen. Die Sofalandschaft, mit Teppich und Leselampe, die uns hinter der Reinoldikirche erwartete, hat uns dann aber doch etwas überrascht“, erzählt Stefan einige Tage nach dem Projekt bei einem Kaffee. Wie schnell sich dann PassantInnen fanden, die Lust hatten, sich dazuzusetzen und ins Gespräch zu kommen, überraschte nicht nur die Verkäufer, sondern auch das Team aus Kameraleuten und Fotografinnen, die das Projekt dokumentierten. „Die Leute, die sich zu uns setzen, wollten wissen, warum ich auf der Straße gelandet bin und wie das Leben dort so ist, aber das waren Fragen, mit denen ich gerechnet hatte. Im Moment schlafe ich ja in der Wohnung meines Bru-

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ders. Der ist zurzeit im Krankenhaus.“ In den Monaten davor habe Stefan in einem Zelt etwas außerhalb der Stadt am Kanal geschlafen. „Wenn man dicke Schlafsäcke und eine Isomatte hat, geht das auch im Winter ganz gut. Das wollten mir die Leute nicht glauben. Gezeltet habe ich immer mit einem Kumpel, der auch obdachlos ist. Klar, man kriegt auch mal Streit, aber den hast du in einer WG ja auch. Zu zweit unterwegs sein ist auf jeden Fall sicherer, und man hat auch jemanden zum Quatschen“, schilderte Stefan seine Erfahrungen auf der Straße. An seine erste Nacht auf der Straße, nach der er auch gefragt wurde, erinnere sich Stefan noch genau. „Das war in den 90er Jahren, und ich war von Zuhause abgehauen. Da haben wir noch mit vielen Leuten auf der Straße gepennt. Damals gab es am Dortmunder U-Bahnhof Stadtgarten einen Lüftungsschacht, aus dem warme Luft kam, auf dem immer eine große Gruppe geschlafen hat. Das hat sich im Laufe der Jahre auch geändert. Die Leute sind heute eher alleine oder in kleineren Gruppen unterwegs. Auf der Straße passiert schon viel Mist. Ich erinnere mich, dass ich mal an der Petrikirche

geschlafen habe. Irgendwann wurde ich wach, weil eine Gruppe Jugendlicher mich anpinkeln wollte. Zum Glück bin ich rechtzeitig wach geworden und die Leute losgeworden.“ Nach solchen Erlebnissen habe er immer wieder einige Tage in Übernachtungseinrichtungen geschlafen. „Viele Leute waren ganz schön schockiert, wenn wir von solchen Erlebnissen erzählt haben. Einer der Passanten hat sogar einen Job angeboten. Leider so ganz außerhalb meines Feldes. Aber über die Geste habe ich mich trotzdem sehr gefreut.“ Zurzeit nimmt Stefan Anlauf für einen Neuanfang, auch wenn er weiß, dass es schwierig wird. Der nächste Schritt soll aber der in eine Wohnung sein. „Du kannst nicht die Nacht im Zelt verbringen, morgens draußen frühstücken und dich dann auf den Weg zur Arbeit machen. Das funktioniert einfach nicht.“


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Verschwindet einfach! Dann müssen wir uns nicht mehr ärgern über das Versagen von Euch „Profis“ im Lindnerschen Sinne. ThyssenKrupp, was so familiär klingt, gehört längst Menschen, Fonds, Heuschrecken von irgendwoher und wird verantwortet von irgendwem, Managern halt. Stimmt. Da wird nichts verantwortet, da wird morgens mit Krupp-Aufzügen auf dem Krupp-Campus in die Krupp-Chefetage gefahren. Klatsche gab´s von der EU, es wird nichts aus der Stahlehe mit Tata. Kaum kam es in den Nachrichten, legte ThyssenKrupp an den Börsen um 1,8 Milliarden zu. Vielleicht lag es am Versprechen, 6.000 Arbeitsplätze zu vernichten, vielleicht aber an der Freude der Anleger, dass die „Profis“ so schön vor die Wand gefahren sind. Wenn die Fahrstuhlfahrer gehen, sollten sie ihre Aufsichtsratskollegen mitnehmen. Ich weiß nicht, wer etwa auf die Idee kam, mit Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather eine Unirektorin an die Spitze der Kruppstiftung zu stellen. Das ist nicht frauenfeindlich. Ein Wittener Professor für Kirchenmusik sollte auch nicht nebenberuflich Industriepolitik betreiben. Wenn ich mal nicht zynisch (sonst lande ich noch in einem Kruppgremium) davon ausgehe, dass man die Arbeitsplätze Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

jetzt kaputt macht, um sich für eine spätere Ehe hübsch zu machen, dann rechne ich doch trocken nach. Kurzfristiger Kursgewinn, geteilt durch abgebaute Arbeitsplätze, ergibt 300.000 Euro. Liebe Kruppianer, die alte Abmachung: Ihr malocht, die anderen denken und lenken und saufen Scham-

Freitag

30

pus, gilt nicht mehr. Geht da weg. Lasst Euch die Hälfte der Summe auszahlen und wechselt in einen Mangelberuf: Erzieher,

AUGUST

Altenpfleger, Lokführer. Wir sollten die 150.000 Euro Abfindung

Eintritt frei!

aber unbedingt auf die „Profis“ ausdehnen. Billiger ist man sie

dem Kabarett mit

nie losgeworden. Sie können ja zu Bayer wechseln.

GEIERABEND

d atz, Dortmun

denspl 1900 Uhr Frie

it Mann!s“ „Die Komm‘M anschließend .1 Soul Band No Deutschlands SIE MIT UNS! o.de • FEIERN 100-jahre-aw

Bevor ich mich aufrege: Wo ist eigentlich Kevin Kühnert, wenn man ihn mal braucht?

Unterbezirk Dortmund

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