bodo Mai 2019

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bodo DAS

05 | 19 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für den Verkäufer

Julia Wissert Seite 4

Sven Regener Seite 38

HARTZEFFEKTE DER BURBACHPROZESS EUROPA WÄHLT

U N TER M T G E I L R E T S A L F P R E T L A L E T T DAS MI

KLEINE AFFÄRE

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Julia Wissert

Von Max Florian Kühlem

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: René Boyke, Alexandra Gehrhardt, Hans Christian, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Dennis Pesch, Bastian Pütter, Petra von Randow, Daniel Sadrowski, Sebastian Sellhorst Titelfoto: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Bianka Boyke (S. 16), Charlotte Goltermann (S. 38, 40), picture alliance / JOKER (S. 34), picture alliance / Henning Kaiser / dpa (S. 33), Reuters / Eric Gaillard (S. 7), Reuters / Wolfgang Rattay (S. 32), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 6, 12, 13, 14, 15, 19, 20, 22, 30, 43), Sebastian Sellhorst (S. 2, 8, 9, 10, 16, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22, 23), Magdalena Stengel (S. 25), TU Dortmund (S. 35) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Juni-Ausgabe 10. 05. 2019 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 03. 2018 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev

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„Mehr ,People of Colour‘ auf den Leitungsebenen“, wünscht sich die Regisseurin, die zurzeit in Bochum „2069 – Das Ende der Anderen“ inszeniert, „und dann mal gucken, was die so für ein Programm machen, wie dann das Publikum aussieht.“

Stadtarchäologie

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Mit jeder Baustelle im Dortmunder Innenstadtbereich öffnet sich, oft einmalig und nur für einen kurzen Moment, ein Fenster in die Vergangenheit. bodo begleitet den Stadtarchäologen Ingmar Luther auf den Spuren der ältesten Kirche Dortmunds. Von Wolfgang Kienast

Element of Crime

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Mit seinen „Herr Lehmann“-Romanen wurde Sven Regener zum gefeierten Romancier. Zuerst bleibt er jedoch Musiker. Mit seiner Band kommt er im Mai nach Bochum. Ein Gespräch über das Tourleben und die jahrzehntelange Schicksalsgemeinschaft „Element of Crime“. Von Peter Hesse

Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de bodos Bücher, Modernes Antiquariat: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Stühmeyerstraße 33, 44787 Bochum Mo. bis Do. 10 – 13 Uhr, Fr. 14 – 17 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Hans Christian, bodo-Verkäufer in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, ich will die Gelegenheit nutzen und mich bei meinen Stammkunden für ihre Treue bedanken, obwohl sie mich eine ganze Weile nicht gesehen haben. Ich war einige Monate nicht an meinem Verkaufsplatz, weil ich gesundheitlich etwas angeschlagen war und erstmal Ruhe brauchte. Jetzt bin ich aber zum Glück wieder hier und Sie treffen mich und meine Hündin Lilly wie gewohnt an der Thier-Galerie am Westenhellweg. Im April war ich zusammen mit einem anderen bodo-Verkäufer im Fußballmuseum. Wir wurden eingeladen, bei der Ziehung der Halbfinalbegegnung des DFB-Pokals dabei zu sein. Der BVB war da ja leider schon raus, aber es war trotzdem ein sehr netter Tag. Vor der Ziehung der Begegnungen gab es auch noch eine Führung durch das Museum, die echt interessant war. Leider durften wir die Meisterschalen und Trophäen nicht mitnehmen. Jetzt wünsche ich Ihnen aber erst mal viel Spaß mit der Mai-bodo Ihr bodo-Verkäufer Chris

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EDITORIAL

04 Menschen | Julia Wissert 07 Straßenleben | Eine europäische Lösung 08 Neues von bodo 12 Reportage | Unterm Pflaster mehr als Strand 16 Das Foto 16 Recht | Gebrauchtwagen: Wer haftet für Sachmängel? 17 Kommentar | „Physikalisch unmöglich“ 17 Die Zahl 18 Interview | Europa vor der Wahl 22 Wilde Kräuter | Brennnessel & Giersch 23 Kultur | Ruhr Ding 24 Veranstaltungskalender | Verlosungen 29 Kinotipp | Die rote Linie 30 bodo geht aus | Heidewitzka 32 Reportage | Der Burbach-Prozess 34 Interview | Hartz-Effekte 37 Eine Frage… | Wenn die U-Bahn eine Panne hat 38 Interview | Element of Crime 41 Bücher 42 Kultur | Kleine Affäre in Blankenstein 44 bodo Shop | Leserpost 45 Leserpost | Rätsel 46 Verkäufergeschichten | Vilmos

Liebe Leserinnen und Leser, wer in der Innenstadt ein Loch graben will, muss zuerst bei der Denkmalbehörde vorstellig werden, denn manchmal liegt sprichwörtlich direkt unter dem Pflaster das Mittelalter. Wir haben den Dortmunder Stadtarchäologen Ingmar Luther zu den aktuellen Ausgrabungsstellen begleitet. Und auch sonst haben wir interessante Menschen getroffen: Wir sprechen mit der Regisseurin Julia Wissert über Rassismus im Theaterbetrieb und mit Sven Regener nicht über Literatur, sondern über das Tourleben mit „Element of Crime“. Wir lassen uns von Prof. Philip Jung von der TU Dortmund erklären, dass der entscheidende Effekt von „Hartz IV“ nicht die bessere Vermittlung in Arbeit ist, sondern die Angst vor dem Jobverlust. Mit Jürgen Klute aus Herne, der als Abgeordneter im Europaparlament praktisch im Alleingang das Konto für alle – also auch für Obdachlose – durchgesetzt hat, sprechen wir über die anstehenden Europawahlen. Dazu geht es um Unangenehmes aus einer zum Gerichtssaal umfunktionierten Mehrzweckhalle und Drängendes aus der europäischen Wohnungslosenhilfe. Wir besuchen gute Orte, die „Heidewitzka“ und „Kleine Affäre“ heißen, und warten auf ein „Ruhr Ding“. Schön, dass Sie dabei sind. Danke, dass Sie gleichzeitig mit dem Kauf unseres Magazins Gutes tun. Die Hälfte Ihrer 2,50 Euro bleibt bei Ihrer Verkäuferin oder Ihrem Verkäufer.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Wenn Sie Menschen in Not treffen, erzählen Sie gerne von unseren Angeboten. Unsere Anlaufstellen haben offene Türen. Bei uns gibt es ein kostenloses Frühstück und gut sortierte Kleiderkammern. Wir beraten, vermitteln Hilfen und unterstützen bei Neuanfängen. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Julia Wissert geboren 1984 in Freiburg, lebt in Berlin Studium in London, Regiestudium in Salzburg Inszenierung: 2069 – Das Ende der Anderen Premiere am 3. Mai im Schauspielhaus Bochum, Kammerspiele Festival: Owela – die Zukunft unserer Arbeit im Programm der Ruhrfestspiele, 8. bis 12. Mai, Halle König Ludwig 1/2, Recklinghausen

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Julia Wissert ist schwarz. Eigentlich wäre das keine Erwähnung wert. Für viele ihrer Mitmenschen ist es aber offenbar nach wie vor Thema. Für sie ist die Theaterregisseurin „anders“. 2069 könnte sich das ändern: Dann soll es auch in Deutschland mehr People of Colour als weiße Menschen geben. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

Eine Welt ohne die Anderen „2069 – Das Ende der Anderen“ heißt das Stück, das Julia Wissert gerade für das Schauspielhaus Bochum entwickelt. Es fragt: Wie würde eine Welt aussehen, in der es die „Anderen“ nicht mehr gibt? Wie würde eine Welt funktionieren, in der wir diejenigen sein könnten, die wir sein wollen? In den Kammerspielen wird sie diese Zukunft mit ihrem Ensemble schon einmal vorwegnehmen. Eigentlich lebt Julia Wissert in Berlin, aber da sie nicht nur die Bochumer Inszenierung vorbereitet, sondern auch das Festival Owela zur Zukunft der Arbeit, das ein paar Tage später im Programm der Ruhrfestspiele startet, ist sie gerade Dauergast im Ruhrgebiet. Zwischen zwei Theaterproben sitzt sie vor der Butterbrotbar nahe dem Bochumer Schauspielhaus und denkt über die Welt nach, in der sie lebt: „Manchmal wache ich auf und denke, dass wir schon sehr weit sind, dass wir schon in einer multiperspektivischen Gesell-

„Ich liebe das Theater wirklich sehr, aber ich weiß, dass sich viele Menschen von ihm nicht mehr repräsentiert fühlen.“

ne Freundin – und auch keinen Freund!“ Und 13-jährige Mädchen erzählen davon, dass sie dafür sorgen wollen, dass die Fridays-For-Future-Bewegung nicht von Parteiinteressen infiltriert wird. „Auf der anderen Seite diskutieren wir über die Abschiebung eines kranken Menschen nach Afghanistan, die 60.000 Euro kostet, und Dieter Bohlen fragt im Fernsehen ein fünfjähriges Mädchen, das nicht ‚biodeutsch‘ aussieht, wo es herkommt. Sie versteht die Frage nicht und sagt: ‚Aus Herne.‘ Und er versteht nicht, dass sie nicht versteht, dass er wissen will, wo sie ‚eigentlich‘ herkommt.“ Sie selbst antwortet auf die Frage nach ihrer „eigentlichen Herkunft“ mittlerweile nicht mehr. Warum die Frage schon Teil rassistischen Denkens ist, können ihre Gesprächspartner im Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ von Reni Eddo-Lodge nachschlagen. Aus diesem hat Julia Wissert auch die Statistik, die 2069 als das Ende der Anderen beziffert.

schaft leben, die viele Identitäten zulässt. Aber an anderen Tagen habe ich das Gefühl, dass die Idee der ‚weißen, deutschen Gesellschaft‘ wieder prominenter und als einzige Idee von ,Deutsch‘ sein erlaubt wird. Was auch immer ,Deutsch‘ meint.“

Aufgewachsen ist die 34-Jährige in einem kleinen Dorf am Kaiserstuhl, in dem schon ihre Mutter als anders galt, weil sie aus dem Saarland kam und nicht Badisch sprach. „Ich war das einzige Schwarze Kind im Umkreis von 50 Kilometern, und da habe ich alles erfahren, was mir auch heute noch von anderen Schwarzen Menschen erzählt wird: Polizeikontrollen, in die Haare gefasst bekommen… Wenn ich gute Leistungen in Sport oder Kunst erzielte, wurde es auf meine Hautfarbe zurückgeführt.“

Hoffnung geben ihr junge Menschen, mit denen sie beim Theatertreffen der Jugend zusammenarbeitet: Da antwortet ein 14-Jähriger einem anderen ganz selbstverständlich: „Ich habe kei-

Julia Wissert zog es erst nach Freiburg und dann noch weiter weg nach London, wo sie Theater- und Medienproduktion an der University of Surrey studierte. Ihren Einstieg in das deut-

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MENSCHEN

sche Stadttheatersystem verdankt sie einem Zufall: „Eines Tages saß ich in Freiburg in der Straßenbahn. Da traf ich eine Freundin meiner Mutter, und die fragte mich, ob ich nicht eine Regie-Hospitanz übernehmen wolle. Ich wusste nicht wirklich, was das ist, aber sagte ja. Und weil jemand anders erkrankte, war ich plötzlich Regieassistentin von ,Theater Pan.Optikum‘, die die Eröffnungsinszenierung bei Barbara Mundels Intendanz in Freiburg machten.“ Barbara Mundel ist heute eine der wenigen erfolgreichen Frauen im deutschsprachigen Stadttheaterbetrieb, übernimmt 2020 die Münchener Kammerspiele.

„Manchmal wache ich auf und denke, dass wir schon in einer multiperspektivischen Gesellschaft leben, die viele Identitäten zulässt. Aber an anderen Tagen habe ich das Gefühl, dass die Idee der ‚weißen, deutschen Gesellschaft‘ wieder prominenter wird.“

Generell sind Menschen, die nicht männlich, weiß und heterosexuell sind, in den Leitungsebenen der deutschen Stadttheater immer noch rar gesät. „Ich liebe das Theater wirklich sehr, aber ich weiß, dass sich viele Menschen von ihm nicht mehr repräsentiert fühlen.“ Wissert empfindet großen Respekt für den Bochumer Intendanten Johan Simons und seinen Vorgänger und jetzigen Ruhrfestspiel-Intendanten Olaf Kröck, die sich als Weltempfänger verstehen und ein diverses und weltoffenes Programm machen. Ihre Forderung wäre allerdings: „Mehr ,People of Colour‘ auf den Leitungsebenen – und dann mal gucken, was die so für ein Programm machen, wie dann das Publikum aussieht… Ich würde als Intendantin übrigens auch ‚Antigone‘ machen.“ Dass selbst in Theaterbetrieben, die sich als weltoffen verstehen, struktureller Rassismus zum Alltag gehört, hat Julia Wissert am eigenen Leib erfahren: „Rassismus heißt eben nicht nur, dass Skinheads Schwarze auf der Straße zusammenschlagen, sondern bedeutet auch, dass Zugänge verwehrt werden, dass eine Person wie ich praktisch jeden Tag ‚geothered‘ wird.“ Deshalb hat sie gemeinsam mit der Dramaturgin und Anwältin Sonja Laaser eine Rassismusklausel entwickelt, die sich in ihre Arbeitsverträge schreiben lässt. „Die Klausel habe ich auch deshalb aufgesetzt, um einen Weg zu finden, meinen Körper und meine Psyche zu schützen.“ Sie greift, wenn eine an einer Produktion beteiligte Person sich von einer Äußerung durch Mitarbeitende betroffen fühlt, die einen Bezug zu der in der Klausel klar beschriebenen Definition von Rassismus hat. Das Haus muss dann reagieren und einen Workshop oder eine andere Art von Intervention folgen lassen. Bleibt diese Intervention aus, haben die Beteiligten das Recht, die Produktion platzen zu lassen, ohne Schadenersatz zu zahlen. Am Theater Oberhausen hat diese Klausel vor Kurzem für einen Eklat gesorgt, Intendanz und Verwaltungsleitung sind darüber in Streit geraten. Am Schauspielhaus Bochum und anderen Theatern wurde sie problemlos akzeptiert. So lebt Julia Wissert weiter zwischen zwei gesellschaftlichen Realitäten – und erzählt auf der Bühne von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

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STRASSENLEBEN

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Eine europäische Lösung

n den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Obdachlosen in fast allen Ländern der Europäischen Union alarmierend gestiegen“, stellt der Ende März veröffentlichte Bericht fest. FEANTSA geht von 700.000 Betroffenen aus, ein Anstieg um 70 Prozent. In der Folge sei der Bedarf nach Notunterkünften geradezu explodiert. Das Problem: Das Stufenmodell der Wohnungslosenhilfe funktioniere nicht bzw. nicht gut genug. Obdachlose beginnen in Notschlafstellen und müssen Stufen der sozialen Rehabilitation durchlaufen, mit einem Mietvertrag als Ziel. Staut es sich im System, werden Notunterkünfte zum Daueraufenthalt. Winternotprogramme bildeten eine zusätzliche Härte – auch für HelferInnen –, am Ende des Winters stehe wieder die Obdachlosigkeit. Den Preis zahlen die Betroffenen, so FEANTSA, die ineffektive Bekämpfung von Obdachlosigkeit verursache jedoch auch reale Kosten.

Notunterkünfte für Obdachlose produzieren Ausschlüsse, sie machen krank, sind teuer und lösen das Problem nicht. FEANTSA, der europäische Dachverband der Wohnungslosenhilfe-Organisationen, hat gemeinsam mit der Abbé Pierre Stiftung seinen vierten Bericht zur „Housing Exclusion“ veröffentlicht und fordert einen Kurswechsel in Europa. Von Bastian Pütter Foto: Reuters / Eric Gaillard

FEANTSA kritisiert, dass es europaweit Zugangsbeschränkungen und bürokratische Hürden zur Nutzung von Notunterkünften gebe, oft werde MigrantInnen der Zugang verwehrt. Gleichzeitig werde der Anspruch auf Mindeststandards der Unterbringung, Sicherheit und Privatsphäre regelmäßig verfehlt. „Verstärkt durch Äußerungen von Politikern und ein weitverbreitetes Missverstehen der Problemlagen Wohnungsloser hält sich die Vorstellung, dass Menschen freiwillig die Notschlafstellen meiden.“ FEANTSA fordert eine Erfassung prekärer Wohnversorgung und eine EU-weite Obdachlosenstatistik. Vor allem brauche es aber einen Kurswechsel. Vorbild könne Finnland sein, das einzige Land,

das gegen den Trend rapide sinkende Obdachlosenzahlen verzeichnet. Statt kurzfristiger Notlösungen werden Obdachlose gemäß der „Housing first“-Grundsätze zuerst mit eigenem Wohnraum versorgt, von wo aus sie freiwillig Unterstützung in Anspruch nehmen können. „Wir müssen aufhören, über die ,Wohnfähigkeit‘ von Menschen zu befinden“, stellt der Bericht klar. „Es funktioniert nicht. Eine Wohnung ist keine Belohnung, sondern ein Recht.“

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NEUES VON BODO

bodo hat gewählt

TERMINE

Einmal im Jahr wählen die bodo-VerkäuferInnen in unseren Anlaufstellen in Bochum und Dortmund Sprecherinnen und Sprecher, die die Interessen der VerkäuferInnenschaft gegenüber dem Verein vertreten, bei Konflikten moderieren und die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für alle sind, die neu zu bodo kommen. Wir gratulieren der Bochumer Verkäufersprecherin Moni (linkes Foto) und den ebenfalls gewählten Nicolae und Chris. In Dortmund ist Marcus (rechtes Foto, l.) neuer Verkäufersprecher, unterstützt von Lamiita und Harald. Herzlichen Glückwunsch!

Soziale Stadtführungen Dortmund, 11. Mai, 11 Uhr Bochum, 18. Mai, 11 Uhr Anmeldung unter Tel. 0231 – 950 978 0 Wir wollen wohnen Diskussion mit Landtagsabgeordneten 8. Mai, 18 Uhr Wichern, Stollenstraße 36 Dortmund 100 Jahre Bochumer Symphoniker Musikalienflohmarkt für bodo 18. Mai, 15 Uhr Anneliese Brost Musikforum Biken für bodo Motorrad-Spendenfahrt für bodo 16. Juni, 12 Uhr Anmeldeschluss 31. Mai Start: Schwanenwall, Dortmund 8

How to bodo

Housing first

In unsere Anlaufstellen kommt, wer obdachlos ist oder in ungesicherten Wohnverhältnissen lebt. Wir begleiten, beraten und vermitteln Hilfen. Ein Angebot ist der Verkauf des Straßenmagazins als niedrigschwelliger Zuverdienst. VerkäuferInnen verpflichten sich, unsere Regeln einzuhalten, wählen mit uns einen festen Verkaufsplatz und erhalten einen wetterfesten Ausweis mit Foto und Verkäufernummer. Sie kaufen die Magazine in unseren Anlaufstellen für 1,25 Euro und verkaufen sie auf der Straße für 2,50 Euro. Die Angebote in unseren Anlaufstellen – Sozialberatung, Frühstück, Kleiderkammer etc. – stehen jedem offen. Magazine erhalten hingegen nur eingetragene Verkäufer.

bodo ist Teil des Projekts „HousingFirstFonds“ des Landes NRW, des Paritätischen Landesverbandes und der Düsseldorfer KollegInnen von fiftyfifty/asphalt e.V. Ziel ist es, den Housing-first-Ansatz mit einem Modellprojekt in NRW zu verankern. Dafür werden Wohnungen gekauft, die direkt an Obdachlose vermietet werden, ohne dass diese den Weg über Notschlafstellen, Wohnheime, Wohntrainings etc. gehen müssen. Die Betreuung erfolgt auf freiwilliger Basis durch geeignete Organisationen. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Sicherheit einer eigenen Wohnung ein entscheidender Faktor bei der Bearbeitung der Probleme ist, die in die Obdachlosigkeit geführt haben.


Anzeigen

Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Spendenfahrt Am 16. Juni findet, unterstützt von der DSW21-Gruppe, eine neue Ausgabe von „Biken für bodo“ statt. Mit Tourguides geht es 180 Kilometer durchs Sauerland / Bergische Land. Die Mindeststartgebühr von 20 Euro (und 10 Euro pro Sozius) geht direkt an bodo. Anmeldeschluss ist der 31. Mai. Alles zu Ablauf und Anmeldung auf bodoev.de.

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

492 verliebte Schätze getraut und 753 mal Selbstvertrauen aufgebaut.* *Andrea Röper

* Jörg Sonneborn

staatlich anerkannte Sozialarbeiterin, Sozialtherapeutin und Teamleitung der Suchtberatung.

evangelischer Gemeindepfarrer. Traut nicht nur Schätze, sondern begleitet viele Menschen aller Generationen in der Gemeinde.

Kunst für die Hälfte Diese Aktion ist ein Dauerbrenner: Als wir das erste Mal einen besonders schönen Bestand an Foto-, Architektur- und Kunstbänden auf großen Sonderflächen anboten, war die Resonanz riesig. Seitdem halbieren wir zweimal im Jahr den Verkaufspreis für unsere Bestände an Großformaten. So lange der Vorrat reicht, bieten wir alle zur Aktion gehörigen Bildbände um 50 Prozent günstiger an. Unsere Ladenpreise liegen dabei natürlich bereits meist weit unter dem Neupreis. Apropos Aktionen: Mögen Sie Krimis? Die Restbestände der nach Köln umgezogenen Kolleginnen des grafit-Verlags finden Sie bei uns. Und noch ein Dauerbrenner: Jeden Samstag gibt es bei uns Kilopreise.

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Die Hälfte für den Verkäufer Das AttacUrteil Seite 36

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bodo

13.12.2018 09:08:32

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NEUES VON BODO

„Wir wollen wohnen!“

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Steigende Mieten und Wohnungsmangel betreffen längst nicht mehr nur die Menschen, die zu uns kommen, sondern sind für viele Bevölkerungsgruppen zum Problem geworden. Anstatt dem entgegenzuwirken, nahmen CDU und FDP sich zum Start der NRW-Legislaturperiode vor, wichtige Verordnungen zum Erhalt von Wohnraum und zum Mieterschutz auslaufen zu lassen. Dagegen macht seit Anfang des Jahres „Wir wollen wohnen“ mobil, ein Bündnis aus Organisationen, Sozial- und Mieterverbänden, dem über das Netzwerk „arm in Arm“ auch wir angehören. In Dortmund bildeten wir gemeinsam den Auftakt zu einer landesweiten Aktionswoche, machten mit einer Zeltstadt, Aktionen und Talkrunden auf die Wohnungskrise und ihre Folgen aufmerksam und sammelten Unterschriften für eine Petition für Mieterschutz und bezahlbaren Wohnraum. www.wir-wollen-wohnen-nrw.de.


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www.facebook.com/bodoev info@bodoev.de 0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr zentrale Rufnummer: 0231 – 950 978 0 Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Besuchen Sie uns Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Stühmeyerstraße 33 44787 Bochum Mo. bis Do. 10 – 13 Uhr Fr. 14 – 17 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Suzanne Präkelt buch@bodoev.de

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Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

SOZIALES Die Enthüllung der „Panama Papers“ bringt NRW 120 Millionen Euro Mehreinnahmen. Weltweit belaufen sich die Strafen und Steuernachzahlungen auf eine Milliarde Euro. Die Süddeutsche Zeitung hatte Dokumente des Offshore-Dienstleisters Mossack Fonsea zugespielt bekommen und mit einem internationalen Journalistennetzwerk Steuerflucht, Korruption und Geldwäsche in riesigem Ausmaß öffentlich gemacht.

Das faire Abo für 15 Euro: Ein Gutscheinheft für sechs Ausgaben des Straßenmagazins zum Einlösen direkt bei unseren Verkäufern auf der Straße.

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Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Tel. 0231 – 950 978 0

Armut ist ein Problem der Großstädte, besonders im Ruhrgebiet verschärft sich die Situation. Während in vielen ostdeutschen Städten die Armutsquote sinkt, verzeichnen nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung alle 13 Großstädte im Ruhrgebiet im Zehnjahresvergleich einen zum Teil deutlichen Anstieg. In Gelsenkirchen ist jeder vierte Bewohner auf Sozialleistungen angewiesen, in Dortmund jeder fünfte.

Kein Schutz vor Verdrängung am Dortmunder Hafen. Der Ausschuss für Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen im Dortmunder Rat hat die Aufstellung einer Milieuschutzsatzung für das Hafenquartier abgelehnt. In Aufwertungsprozessen begrenzen Milieuschutzsatzungen die Verdrängung der Wohnbevölkerung aus Profitgründen, indem sie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder den spekulativen Weiterverkauf reglementieren.

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

Stadtbahnnetze in NRW stehen vor milliardenteuren Sanierungen. Ein von der ehemaligen rotgrünen Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten veranschlagt die Kosten für Neubauten von Gleis-, Brücken- und Bahnsteiganlagen „nach Ablauf der Nutzungsdauern“ auf mehr als drei Milliarden Euro – zusätzlich zu laufenden (Instandhaltungs-)Kosten. Ein großer Teil der Infrastruktur müsse in den kommenden Jahren ersetzt werden.

Mieter schützen · Mietern nützen!

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Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

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Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

Derzeit wird viel gebaut in Dortmund, auch am Wall und in der Innenstadt. Die meisten Bürger nehmen die Baggerei als temporäre Beeinträchtigung mehr oder weniger gelassen hin. Für Stadthistoriker und Archäologen jedoch sind die abgesperrten Löcher im Erdreich von großer Relevanz. Für sie öffnet sich, oft einmalig und nur für einen kurzen Moment, ein Fenster in die Vergangenheit. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

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Unterm Pflaster mehr als Strand Stadtarchäologie am Beispiel Dortmunds

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er Boden vor uns ist von überwiegend rötlicher Färbung, an einigen Stellen aber wirkt er dunkler, eher braun oder grau. Unser in solchen Dingen ungeübtes Auge nimmt kaum mehr wahr als leichte Nuancen. Die Bedeutung der feinen Unterschiede wird uns Ingmar Luther erklären, seines Zeichens Archäologe der Dortmunder Denkmalbehörde. Unser Treffpunkt ist die Silberstraße, genauer: der Hof hinter dem ehemaligen Postgiroamt, heute Gesundheitsamt der Stadt. Dessen rückseitige Freifläche wurde zuletzt als Parkplatz genutzt. Der Asphalt ist nun abgetragen. Herr Luther erklärt: „Wir befinden uns auf einem Areal, das stadthistorisch dem Umfeld des einstigen Grafenhofs zuzurechnen ist. Allerdings ist es schon deutlich länger besiedelt. Vor uns liegen Überreste einiger Gräber aus dem 5. Jahrhundert. Das Rötliche ist Lösslehm, der gewachsene Boden nach der letzten Eiszeit vor etwa zehntausend Jahren. Mehrere Verfärbungen, die Sie sehen, beruhen auf relativ neuen Störungen, verursacht meinetwegen durch Leitungsbau. Das ist für uns nicht von Belang. Aber die gräuliche Verfärbung dort zum Beispiel, das sind Rückstände von Holzbohlen, mit denen Kammergräber ausgekleidet wurden. Im 5. Jahrhundert haben die Menschen ihre Särge nicht einfach verscharrt, sie haben sie in solchen Holzkammern beigesetzt. Insgesamt können wir an dieser Stelle elf Bestattungen nachweisen.“

Keimzellen der Besiedlung Gegenwärtig tragen mehrere Archäologen behutsam die freiliegenden Erdschichten ab, Millimeter um Millimeter. Ihre Arbeit erfordert Geduld und Konzentration. Der Boden birgt Schätze, doch die sind mitunter winzig oder zerbrechlich. Zum Vorschein kamen bislang Reste einer Lanzenspitze, kleine Perlen und keramische Scherben. Es handelt sich um Hinterlassenschaften einstiger Grabbeigaben. Vergleicht man deren Machart mit bereits datierten Objekten, stellen diese Relikte eine unschätzbare Hilfe bei der zeitlichen Einordnung des gesamten Fundes dar. Parallel wird jeder Fortschritt der Grabung schriftlich dokumentiert, fotografiert und im Ergebnis digital eingemessen, um später ein dreidimensionales Modell der Anlage fertigen zu können.

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REPORTAGE

Auf Karl den Großen führt man in Dortmund die eigentliche Stadtgründung zurück, doch längst waren da, an diesem strategisch wichtigen Punkt am Hellweg, Menschen sesshaft. Spuren, die ihre Anwesenheit belegen, lassen sich bis in die Jungsteinzeit verfolgen. „Was die Situation im Bereich der heutigen Innenstadt betrifft, geht die Forschung von zwei oder drei Keimzellen der Besiedlung aus. An einer solchen stehen wir“, betont Herr Luther noch einmal die Geschichtsträchtigkeit des Ortes. Nebenan, westlich der Martinstraße, habe sich der erwähnte Grafenhof befunden. Ungeachtet dessen wiesen Fundstücke deutlich weiter zurück. Bei Untersuchungen dort, im Zusammenhang mit Ausschachtungen für die Thier-Galerie, hätte man ebenfalls Grabanlagen aus dem 5. Jahrhundert ausfindig gemacht. Deswegen hätte man optimistisch sein können, auch an der Silberstraße auf sehr alte Zeugnisse der lokalen Geschichte zu stoßen.

Dortmunds älteste Kirche? Die Erwartungen wurden übertroffen. Nur wenige Meter von den jetzt entdeckten Kammergräbern entfernt kamen Mauerreste zum Vorschein, ein Winkel aus unterschiedlich großen Steinen. Damit wurde es für die Archäologen richtig spannend. „Es kann durchaus sein, dass wir auf Fundamente der Martinskapelle gestoßen sind“, sagt Herr Luther. Leider bricht die Mauer zum Amtsgebäude hin jäh ab. Der weitaus größte Teil wur-

de vermutlich zerstört, als zwischen Hoher Wall und Silberstraße zunächst eine Schule und später dann das Scheckamt errichtet wurden. „Nach unserem Kenntnisstand lag aber das Gelände hinter diesen beiden Bauten in den vergangenen Jahrhunderten brach. Mit Ausnahme der Leitungskanäle, die ich eben angesprochen habe, wurde der Boden nicht modern überprägt. Alle uns bekannten historischen Urkunden und Pläne belegen für diese Stelle ein einziges steinernes Bauwerk: die Martinskapelle. Wir sehen sie auf dem Kupferstich von Detmar Mulher aus dem Jahr 1610. Seine Abbildung der mittelalterlichen Stadt ist unglaublich präzise. Mit Mulhers Darstellungen korrespondieren viele unserer Funde im Detail. Für den westlichen Bereich weist sein Plan aber eine perspektivische Verzerrung auf. Wir haben die Kapelle eher Richtung Thier-Galerie vermutet. Dort hat man allerdings nie irgendwelche zugehörigen Rudimente finden können. Sollte das hier der Fall sein, die Entdeckung wäre eine Sensation.“ Bei der Martinskapelle handelt es sich um den ältesten Sakralbau der Stadt. Historiker gehen von Karl dem Großen als Stifter aus. Wie es jetzt scheint, hatte man für die Errichtung einen etablierten Bestattungsplatz aus vorchristlicher Zeit gewählt. Abgebrochen wurde die kleine Kirche im Jahr 1662. Da wurde das hochbetagte Gebäude bereits ausschließlich für profane Zwe-

Die Grabung wird schriftlich dokumentiert, fotografiert und digital eingemessen, um später ein dreidimensionales Modell fertigen zu können.

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Ingmar Luther, Archäologe der Dortmunder Denkmalbehörde: „Es kann durchaus sein, dass wir auf Fundamente der Martinskapelle gestoßen sind.“

cke genutzt, zuletzt als Gießerei für Kanonen. Das Gros ihrer Steine soll im übrigen beim Neubau des Turms der Reinoldikirche verwendet worden sein. Der war 1661 nach einem Erdbeben eingestürzt. Eine absolute Gewissheit, tatsächlich Fundamente der Martinskapelle aufgespürt zu haben, gibt es aus archäologischer Sicht freilich nicht. Dazu ist das nun geborgene Mauerstück zu wenig aussagekräftig. Bisher wurden keine behauenen Steine mit einschlägigen Inschriften gefunden, keine karolingischen Keramiken im Boden darunter oder andere Details, die tatsächlich auf Karl den Großen hindeuten würden. So bleibt es bei der großen Wahrscheinlichkeit, basierend auf dem genannten Umstand, dass für diesen Platz im Westen der Innenstadt kein weiteres potenzielles Bauwerk überliefert ist.

Planierte Kriegstrümmer Für Ingmar Luther und seine Kollegen ist nicht nur das Areal an Silber- und Martinstraße von Interesse. „Allerorten stößt man in Dortmund unter dem Pflaster auf Archäologie. Direkt auf dem Hellweg beispielsweise wird sich nie großartige Bebauung befunden haben. Das gleiche gilt für die Kampstraße. Da kann man Reste von Knüppeldämmen erwarten. Der Boden in Dortmund war immer feucht, und der alte Handelsweg musste befestigt sein. Und natürlich lohnt sich das Terrain um die Reinoldikirche und am Dominikanerkloster. Überall, wo

nicht in jüngerer Zeit durch Unterkellerungen, moderne größere Bodeneingriffe oder durch Kriegszerstörung die ursprünglichen Schichten durchschlagen worden sind, werden wir hundertprozentig etwas aus Dortmunds Vergangenheit finden. Manchmal, wie am Kloster, beginnt das direkt unter dem heutigen Straßenniveau, etwa sechzig Zentimeter sind es am Ostwall, gelegentlich muss man etwas tiefer graben. Glücklicherweise ist der Schutt nach dem Zweiten Weltkrieg nicht abgebaggert worden. Man hat einfach planiert. Dadurch ist alles, was archäologisch noch vorhanden war, von Trümmern abgedeckt worden und darunter erhalten geblieben.“ In der Folge muss in der Dortmunder Innenstadt, wenn irgendwer irgendwo aus irgendeinem Grund ein Loch graben möchte, im Vorfeld die Denkmalbehörde kontaktiert werden. Der jeweilige Bauherr hat eine Fachfirma hinzuzuziehen, welche das Bauvorhaben archäologisch begleitet. Ihr ist die Grabungsleitung am Ort zugedacht. Die Behörde hat zu wenig Personal, die anstehenden Arbeiten selbst durchzuführen. In ihren Händen liegt jedoch die Projektleitung. Damit keine Verzögerung entsteht, werden die Untersuchungen baubegleitend ausgeführt. Herr Luther lobt in diesem Zusammenhang die meist reibungslose Kommunikation zwischen den drei Akteuren. Konflikte gebe es ausgesprochen selten. Wenn es aus wissenschaftlicher Sicht allerdings geboten wäre, hätte die Behörde sogar das Recht, eine Baustelle für Monate stillzulegen.

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DAS FOTO

50 Jahre „Horrorhaus“: Als Symbol für gescheiterte Spekulation mit Wohnraum steht der Wohnkomplex an der Dortmunder Kielstraße seit 2002 leer. Seit Jahren kauft die Stadt die Wohnungen Stück für Stück zurück. Inzwischen fehlt nur noch eine, und der Abriss könnte tatsächlich bald beginnen. Die ganze Geschichte im nächsten Heft. Foto: Sebastian Sellhorst

RECHT

Gebrauchtwagen: Wer haftet für Sachmängel?

Von René Boyke

Eigentlich haften Autohändler für Mängel am Fahrzeug, denn sie dürfen die Haftung – die Gewährleistung – nicht ausschließen. Für viele ein Grund, einen Gebrauchtwagen nicht von privat, sondern von einem Händler zu kaufen. Wie aber liegt der Fall, wenn der Händler das Fahrzeug für eine andere Person verkauft? Einen solchen Fall hatte das Oberlandesgericht Oldenburg zu entscheiden (Az.: 1 U 28/18).

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Dabei ging es darum, dass ein Autohändler einen VW Bulli zwar unter seinem Internetauftritt, im Kleingedruckten aber mit dem Zusatz „im Kundenauftrag“ inseriert hatte. Ein Mann kaufte das Fahrzeug für rund 15.000 Euro. Zuvor vereinbarte er mit dem Händler noch die Reparatur des Auspuffs. Im Kaufvertrag wurde als Verkäufer jedoch nicht der Autohändler, sondern eine Privatperson aufgeführt, für die der Händler

unterschrieb. Und: Das Dokument enthielt, was man bei einem Händlerkaufvertrag nicht erwarten würde: einen Ausschluss der Sachmängelhaftung. Kurze Zeit später zeigte sich an dem Fahrzeug ein Motorschaden. Der Käufer wandte sich an den Händler. Der aber winkte ab: Er sei gar nicht Vertragspartner, außerdem sei die Gewährleistung ausgeschlossen. Und der Händler hatte auch vor Gericht Er-


KOMMENTAR

„Physikalisch unmöglich“ Von Bastian Pütter Wie von den Bochumer und Dortmunder OrganisatorInnen der SchülerInnenstreiks angekündigt (bodo 4/19), haben die „Fridays for Future“ einen harten, aber umsetzbar erscheinenden Forderungskatalog für eine Wende in der Klimapolitik formuliert. Nur dank ihnen wird zum ersten Mal seit Jahren ernsthaft eine CO2-Steuer diskutiert. Ein Anfang. Das Problem: Ihre Gegner müssen nicht gewinnen. Es reicht ihnen, langsam genug zu verlieren.

Strategien gegen den Klimaschutz

In Redaktionen und in den sozialen Medien verhöhnen Männer jenseits der Lebensmitte eine 16-jährige Schwedin und ihre angebliche „Klimajugend“, liberale Egozentriker erklären täglich in der „Welt“, warum eine verantwortungsvolle Klimapolitik ein irrationaler Kult sei und ein Tempolimit auf Autobahnen fast Faschismus, 57-Jährige aus hiesigem Uradel dürfen in der FAZ Sätze auf bemerkenswertem Beknacktheits-Level schreiben: „Lieber zwei Grad höhere Temperatur als zwei Grad weniger Freiheit.“ Nicola Beer, FDP-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, verteidigt ihre Aussage, die angebliche Zunahme von Extremwetterereignissen sei „Fake News“. Ihr Parteichef Christian „Profi“ Lindner sagt der Rheinischen Post, die Pariser Ziele bereits bis 2035 zu erreichen, sei „physikalisch unmöglich“. Das strategische Ziel der AfD ist, Konzepte wie Wahrheit, Diskurs, Konsens oder Kompromiss – und damit die Grundlagen klassischer Politik – zu zerstören, deshalb ist es egal, ob irgendetwas weniger falsch ist als anderes, das von ihr zum Thema Klima geäußert wird. Die Frage ist, ob die Zersetzung funktioniert. Der Essener Ex-Sozi Guido Reil hat da versagt. Nicht, weil er in der Kuschel-Show „Lanz“ den Klimawandel leugnete, sondern weil er dabei wirkte wie ein Idiot. Den AfD-Bergmann und die anonyme Milliardärsbande, die ihn mit illegalen Parteispenden unterstützte, verbindet mit Christian „Bedenken second“ Lindner und Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt der Glaube an den Vorrang dessen, was sie Freiheit nennen. Ein anderes Wort wäre „ich“. Es geht dabei nicht mehr um Lagebeurteilungen. Und nur vorgeschoben um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anhängern einer vermeintlichen „Öko-Religion“. Tatsächlich sind es die eigenen Privilegien – der Porsche, der Inlandsflug, die Ignoranz gegenüber den Opfern der Klimakrise –, die hier auf Generationen-, auf Klassen- und auf Nord-Süd-Linie verteidigt werden. Die SchülerInnen haben das erkannt. Aber was macht man mit einem Gegner, der nur Zeit gewinnen will?

folg, denn die Klage des Käufers wurde abgewiesen – zunächst. In der Berufung vor dem Oberlandesgericht obsiegte der Kläger. Das Gericht entschied, dass der Händler sich nicht darauf berufen könne, nicht Verkäufer des Fahrzeugs zu sein. Schließlich habe er das Fahrzeug unter seinem Internetauftritt inseriert, vor Vertragsschluss den Auspuff repariert und für den Verkäufer unterschrieben. Damit habe er den Eindruck erweckt, auch der Verkäufer zu sein. Der Hinweis auf den Verkauf „im Kundenauftrag“

reiche nicht aus, um einen anderen Eindruck zu erwecken. Mit anderen Worten: Der Käufer musste davon ausgehen, dass der Händler auch Vertragspartei und nicht bloß Vertreter einer Privatperson ist. Der Fall zeigt: Handelt ein Händler erkennbar für eine nicht unternehmerische Privatperson, kann die Sachmängelhaftung grundsätzlich ausgeschlossen werden. Ist das nicht erkennbar, gilt er als Vertragspartner und kann die Haftung nicht ausschließen.

DIE ZAHL

18,9 Millionen Menschen in Deutschland haben zwischen Januar 2007 und November 2017 Hartz-IV-Leistungen erhalten. Beinahe jeder Vierte hat Erfahrungen mit Hartz IV gemacht, darunter sind 5,8 Millionen EmpfängerInnen unter 15 Jahren, teilte die Bundesagentur auf Anfrage der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, mit.

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INTERVIEW

„Es gibt ein zivilisierendes Moment der EU“

Jürgen Klute war von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments. Er wirkte entscheidend am Recht auf ein Girokonto für alle in der EU lebenden Menschen mit. „Manchmal kann ein Sozialpfarrer aus Herne helfen, das Leben von mehr als 58 Millionen Menschen in Europa zu verbessern“, schrieb die ZEIT damals. Brüssel ist ihm nah geblieben. Mit seinem „europa.blog“ hat er eine journalistische Plattform für eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit der EU geschaffen. Ein Gespräch vor der Europawahl. Von Bastian Pütter | Fotos: Daniel Sadrowski

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Nach der Wahl zum europäischen Parlament am 26. Mai ziehen gewählte Abgeordnete aus ganz Europa nach Brüssel. Wie sieht eigentlich der erste Tag eines Parlamentariers aus? Ja, manche haben übrigens einen sehr weiten Weg. Es sind ja auch Abgeordnete zum Beispiel aus den französischen Übersee-Departements dabei. Die südlichste Landgrenze der EU – die von FranzösischGuyana – ist die zu Brasilien. Alle kommen in Brüssel an und durchlaufen einen Parcours. Beim ersten Stand wird ein Foto gemacht, dann kommen die ganzen administrativen Geschichten, Konten, Sozialversicherung usw. So geht es weiter, bis man dann im Inneren ankommt und den Raum seiner Fraktion findet. Da sind dann schon ein paar, die sich auskennen. Irgendwann stellt man fest,

man hat es für heute hinter sich gebracht, und schaut, mit wem man Essen geht. Es geht relativ zügig und effizient. Es funktioniert. Ist das eine Beschreibung für das Ganze: Die EUVerwaltung ist groß und bürokratisch, aber sie regelt eben auch Dinge? Im Unterschied zur nationalen Ebene sicher. Wenn man sich etwa anschaut, was die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager mit den Digitalkonzernen macht, zum Beispiel. Die EU ist die einzige politische Organisation, die es bisher geschafft hat, mit Facebook, Google, Apple überhaupt Regulierungen hinzubekommen. Die EU ist weltweit Vorreiter und inzwischen der Orientierungspunkt schlechthin für die Regulierung der Digitalkonzerne.

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INTERVIEW

Trotzdem fällt vielen zuerst Bürokratie und Regulierungswahn und nicht Effizienz und Durchsetzungskraft ein, wenn es um die EU geht. Warum? Ein Grund sind die nationalen Politiker, die die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen nach Brüssel abschieben. Der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, tagt grundsätzlich hinter verschlossenen Türen. Im Unterschied übrigens zum Europäischen Parlament. Dort sind alle Sitzungen öffentlich, auch die Ausschusssitzungen. Im Rat bleibt völlig intransparent, wer wofür votiert hat. Das macht es sehr einfach, die Verantwortung für Entscheidungen, die nationale Politiker selbst im Rat getroffen haben, der EU anzukreiden.

rekten Initiativrecht die Kommission beauftragen und Gesetzesvorhaben erzwingen, das ist ziemlich erfolgreich und wird oft genutzt. Im Bundestag können die Oppositionsparteien Gesetzesinitiativen starten, die landen sämtlich im Papierkorb der Kanzlerin. Es ist völlig wirkungslos. Von Kritikern wird aber ein vermeintliches Demokratiedefizit des EU-Parlaments festgestellt. Es gibt einen sehr deutschen Blick auf Europa, auch und gerade in der Berichterstattung. Bei Leuten, die eine Außenperspektive auf Deutschland entwickeln können, ändert sich das. Ich habe nichts mit Friedrich Merz am Hut, aber was er an europapolitischen Vorstellungen äußert, finde ich beeindruckend. Was Frau Kramp-Karrenbauer zum Thema sagt, ist grauenvoll.

Trotz offener Türen ist das europäische Parlament nicht gerade im Fokus der Berichterstattung. Es wird wenig berichtet, denn es gibt selten Zoff in der Bude. Ich habe sehr geschätzt, dass man über Parteigrenzen hinweg, anders als in Deutschland, sehr konstruktiv miteinander arbeitet. Das hat mit der Funktionsweise des Parlaments zu tun, das nicht aufgeteilt ist in Opposition und Regierungsseite. Im EU-Parlament braucht man für jede Frage neue Mehrheiten, also ist die Arbeit konsensorientiert – und für Journalisten offenbar furchtbar langweilig.

Verliert man als Parlamentarier in Brüssel nicht den erwähnten deutschen Blick und bringt diese neuen Perspektiven mit nach Hause? Ja, aber das interessiert in Berlin niemanden. Ich erinnere mich an Treffen mit Fachausschüssen in Berlin, wo wir geschlossen von CSU bis zur Linken in Gegnerschaft standen zu den Leuten aus dem Bundestag. Das war die Zeit des Griechenland-Bashings, und alle EU-Parlamentarier waren sich einig, so können wir mit unseren griechischen Kollegen nicht umgehen. Die Wahrnehmung in Europa ist schon: Man kann gegen dieses ökonomisch und politisch dominierende Deutschland nichts machen, die kleinen Länder fühlen sich oft der Übermacht der deutschen Politik und Wirtschaft unterlegen.

Stattdessen sehen wir täglich Bilder aus dem Bundestag. Schon, aber er ist ja auch bedeutungslos. Das EU-Parlament kann mit seinem indi-

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Wie hat die sogenannte Flüchtlingskrise die Situation verändert? 2015 haben die osteuropäischen Länder die Chance ergriffen, die sich dadurch auftat, dass es keine europäische Abstimmung bei der Aufnahme von Flüchtlingen gab. Das hätte Merkel verhindern können. Seit 2012 hat die Türkei mehrfach bei der EU um finanzielle Unterstützung für die Flüchtlingsunterbringung angefragt. Das ist unter deutschem Druck jeweils abgelehnt worden, um die Sparpolitik nicht zu gefährden. 2013 hat das EU-Parlament eine Resolution gefasst, in der es hieß: Das Dublin-System muss geändert werden und zwar schnell, es muss legale Zugänge nach Europa geben, und die Kommission hat das mitgetragen. Merkel hat das ignoriert. 2014 hat man trotz rapide steigender Zahlen die Ausstattung des Welternährungsfonds nicht aufgestockt, 2015 hat man die Zahlungen in etwa halbiert. Das hat dann zu den Notlagen in den Flüchtlingslagern geführt, und die Leute machten sich auf den Weg. Bis es 2015 eigentlich keine Alternative dazu gab, die Grenzen offen zu lassen. Für die vor allem osteuropäischen Länder war das die Angriffsfläche für nationalistische Mobilisierungen. Der seitdem ungebremste Aufstieg des Rechtspopulismus in ganz Europa wird seinen Niederschlag im Parlament finden. Schafft sich die EU selbst ab? Die Einschätzungen, die ich kenne, gehen dahin, dass es vielleicht 25 bis 30 Prozent sein können. Der starke rechte Block aus Großbritannien fällt mit dem Brexit raus. Das bremst ein Stück weit die


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Was kann man tun? Ich würde wählen gehen, auch wenn die Entscheidung vielleicht nicht einfach ist. Ich finde keine Partei, die stringent hilfreich ist für das europäische Projekt. Dabei hat die Europäische Union bei aller Unzulänglichkeit einen politisch-institutionellen Rahmen geschaffen, in dem man zu Einigungen kommen kann. Man sieht das an der nordirischen Grenzfrage. Beendet wurde der bewaffnete Konflikt durch die Einbindung in die EU, die auch ökonomisch die Region stützt und für Verflechtungen sorgt, die den Krieg unwahrscheinlicher machen. Das hat funktioniert bis heute. Wie beim wenig beachteten Konflikt zwischen Großbritannien und Spanien um Gibraltar. Es gibt ein zivilisierendes Moment der EU. Das ist ein zentrales Argument für die europäische Integration. Ein weiteres ist die Größe der bevorstehenden Aufgaben. Die Klimafrage, die Herausforderungen der Digitalisierung oder die Regulierung der Finanzmärkte sind nicht auf nationaler Ebene zu lösen.

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Kräfteverschiebung. Mir erscheinen aber tatsächlich die Positionen der neuen CDUVorsitzenden gefährlicher. Wenn Berlin sich weigert, die EU weiterzuentwickeln, und Frau Kramp-Karrenbauer die zersetzende Politik ihrer Vorgängerin noch verschärft, wird es wirklich gefährlich. Das ist meine feste Überzeugung: Wenn die Europäische Union scheitert, dann scheitert sie an der CDU, dann scheitert sie an Deutschland. Orbán ist ärgerlich, auch Kaczyński ist ärgerlich, aber die haben letztlich keinen nennenswerten Einfluss.

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E REZEPT 2 Zwiebeln würfeln. 150 g Triebe und junge Blätter der Brennnessel blanchieren und ausdrücken; fest ausdrücken, wenn Sie vorgekochte Nudeln verwenden, weniger fest, wenn Sie auf trockene zurückgreifen. Hacken und mit einem Drittel der Zwiebelwürfel mischen, salzen und pfeffern. Mit 150 g Trieben und jungen Blättern vom Giersch ebenso verfahren. Die Kräuter mit je 75 g Gorgonzola zu homogenen Massen kneten. 1 große rote Paprika würfeln und mit dem letzten Drittel der Zwiebel 10 Minuten in Olivenöl dünsten, 125 ml passierte Tomaten zugeben, salzen, pfeffern und weitere 5 Minuten köcheln lassen. 150 g Parmesankäse reiben. Alle Zutaten in einer Auflaufform schichten: Lasagneblätter, Brennnesseln, ein Drittel des Parmesankäses, Lasagneblätter, Paprika-Tomatenmischung, ein Drittel des Parmesankäses, Lasagneblätter, Giersch, restlicher Parmesankäse. Im auf 180° C vorgeheizten Backofen etwa 30 Minuten garen.

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nde März, Greta Thunberg war soeben mit dem „Sonderpreis Klimaschutz“ der „Goldenen Kamera“ ausgezeichnet worden, erklärte sie in einem Fernsehinterview, sie gehe davon aus, dass die mediale Aufmerksamkeit bezüglich ihrer Person und der von ihr ins Leben gerufenen „Fridays for Future“Bewegung auslaufen werde, bevor die Ziele erreicht wären. Ich fürchte, sie hat Recht. Sie ist so verdammt realistisch. Und sind nicht in der jüngeren Vergangenheit andere Bewegungen, die gleichfalls eine lebenswertere, sozialere, gerechtere Welt für alle Menschen forderten, nach überschaubaren Strohfeuern in der Versenkung verschwunden? Erinnern Sie sich noch an „Freiheit statt Angst“? Oder Occupy?

kenspiele“ abtut. Und war es nicht allerliebst, wie sich hochsauerländische AfD-Rentner bei ihrer Schulpflichtmahnwache zum Horst machten? Das Bild werde ich nie vergessen. Danke Greta, auch dafür.

Dummerweise haben heuer populistische Strömungen, die gegenteiliges Ansinnen auf ihre Fahnen schreiben, einen viel zu langen Atem – was nicht unbedingt für den Zivilisationsgrad unserer Gesellschaft spricht. Das sei aber nur am Rande erwähnt. Und die junge Frau aus Schweden hat ja bereits viel erreicht. Unter anderem, dass sich einige Dummschwätzer selbst entlarvten. Einer von ihnen ist Christian Lindner (FDP). „Schulranzen verändern die Welt“ ließ er zur Wahl 2017 plakatieren, um den von ihm hofierten Ranzenträgern 2019 jedwede Kompetenz in Sachen globalem Klimaschutz abzusprechen. Sein selbstherrliches Zitat „Das ist Sache von Profis“ sollte ihm schwer auf die Füße fallen. Ähnliches passierte Angela Merkel (CDU), als sie ‚Fridays for Future‘ schwurbelig in den Kontext hybrider russischer InternetKriegsführung rückte. Und wenn Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Bewegung lobt, dürfte sich jeder gesunde Menschenverstand fragen, warum ausgerechnet er die Diskussion um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen als „unverantwortliche Gedan-

Brennnessel (Urtica) Als Frühjahrsgemüse werden die jungen Brennnesseltriebe wegen ihres hohen Gehalts an Flavonoiden, Magnesium, Kalzium und Silizium, Vitamin A und C (ca. doppelt so viel Vitamin C wie Orangen), Eisen, aber auch wegen ihres hohen Eiweißgehalts geschätzt.

Leider ist ihr Anliegen so wichtig. Weil der Mensch auf dem besten Weg ist, den Planeten für seinesgleichen unbewohnbar zu machen. Dem Planeten wäre es vermutlich egal. Fauna und Flora würde es weiterhin geben. Brennnessel und Giersch zum Beispiel hätten gute Chancen. Aber es gäbe keine Kleingärtner mehr, die sich über die beiden aufregen könnten. Und niemand mehr würde aus ihnen etwas so Leckeres zaubern können wie das nebenstehende Gratin.

Giersch (Aegopodium podagraria) Der Trivialname Podagrakraut oder Zipperleinskraut weist darauf hin, dass Giersch als ein Mittel gegen Gicht galt. Er soll auch gegen Rheuma und Arthritis, krampflösend, entgiftend und blutreinigend wirken.


KULTUR

Da kommt ein „Ruhr Ding“ Karl und Else Brauer strebten ihr ganzes Leben nach Autonomie und Nachhaltigkeit. Sie versorgten sich selbst, lebten energieautark. Jetzt sitzen sie in ihrem Caravan am Rande der Dortmunder Innenstadt, während um sie herum Europa zusammenfällt, und streiten sich: Wie können sie ihre moralischen Grundsätze aufrechterhalten in einer Welt aus zerbröckelnden Wirtschaftssystemen, fremdenfeindlichem Populismus und Umweltkatastrophen? Von Max Florian Kühlem | Fotos: Shutterstock

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arl und Else Brauer sind die Protagonisten der Installation „Die Dauercamper“ des Künstlers Sam Hopkins. Das begehbare Hörspiel an der Rheinischen Straße 173 wird einer der Höhepunkte des „Ruhr Ding“, das die Urbanen Künste Ruhr vom 4. Mai bis 30. Juni veranstalten. Hinter diesem offenen Namen verbergen sich zeitlich begrenzte Ausstellungen, Installationen oder Performances an ungewöhnlichen Orten: Hans Eijkelboom zeigt Fotos von Bewohnern der globalisierten Innenstädte in einem Essener Ladenlokal, Alexandra Pirici lässt in der Dortmunder Kokerei Hansa ein Hologramm mit Live-Performern interagieren, und Ivan Moudov macht eine architektonisch spektakuläre ehemalige Trauerhalle in Bochum zum bulgarischen Pavillon. Die neue Urbane-Künste-Leiterin Britta Peters (bodo 5/18) gehörte vorher zu den Kuratorinnen der Skulptur-Projekte Münster und ist von dort das international vernetzte, aber auf konkrete Orte bezogene Arbeiten gewohnt. Mit ihrem ersten „Ruhr Ding“ fragt sie nach der Bedeutung territorialer Festlegungen für die Identitätsbildung. In einer Zeit der erstarkenden nationalen und identitären Bewegungen in Europa trifft sie damit einen Kern – und das Thema passt besonders gut ins Ruhrgebiet: Der Flickenteppich aus 53 Kommunen, die alle ihre eigenen identitätsstiftenden Erzählungen haben, sucht nach einer neuen Identität. Im ersten Jahr findet das „Ruhr Ding“ in der Mittelachse des Ruhrgebiets statt – in Oberhausen, Essen, Bochum und Dortmund. Wenn es startet, werden die Besucher die Werke unter anderem auf geführten „Irrlichter-Touren“ per Fahrrad oder Nahverkehr erkunden können. Vielleicht kommen sie

am Atelier Automatique in Bochum vorbei, das beim „Ruhr Ding“ „Memory Station“ ist: Eva Busch und Julia Nitschke arbeiten dort unter dem Titel „Emanzenexpress_Gemeinsam sind wir gemeiner“ zur Geschichte feministischer Kämpfe der 1980er- und 90er-Jahre in der Stadt. Und von dort aus ist es nicht mehr weit zum Colosseum nahe der Bochumer Jahrhunderthalle, wo ein temporärer Materialfundus entstehen soll, den zum Beispiel freie Theatergruppen für Inszenierungen nutzen können. Eine bleibende Materialverwaltung einzurichten, ist eins der nachhaltigen Interessen von Urbane Künste Ruhr. Britta Peters sieht in den vorgestellten Arbeiten generell ein Moment der Nachhaltigkeit: „Mit ihnen rücken Orte wieder ins Bewusstsein – und manchmal entsteht durch die Trauer darüber, dass ein Kunstprojekt zu Ende geht, von anderer Seite etwas Neues.“ Infos: www.urbanekuensteruhr.de

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Kalender 05 & 06 | 2019

2 x 2 Karten | Nils Wülker | Seite 27 2 x 2 Karten | Schwerter Kleinkunstwochen: Jan Philipp Zymny | Seite 27 bodo 2 x 2 Karten | Im Irrgarten des Wissens | Seite 29 Verlosungen 1 x 2 Karten | Die rote Linie | Seite 29 – mitmachen

und gewinnen

Hinweise zum Datenschutz: Eine Weitergabe der Daten an Dritte erfolgt grundsätzlich nicht, mit Ausnahme an den jeweiligen Veranstalter (zum Beispiel, um Ihren Namen auf die Gästeliste zu setzen). Sie erhalten ca. einmal jährlich postalisch Informationen zu den Aktivitäten unseres Vereins. Dem Erhalt können Sie jederzeit widersprechen. Eine weitergehende Datenverarbeitung oder Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Weitere Hinweise zum Datenschutz entnehmen Sie unserer Homepage unter www.bodoev.de.

DO 09 | 05 | 19 Literatur & Musik | Jazz Poetry Slam Beim Jazz Poetry Slam verbindet sich Literatur mit Musik. Während die Texte vorgetragen werden, improvisiert zwischendurch und Anzeige

03.05.19 CRAZY HIPS Orientalische Tanzshow

04.05.19 Portugiesisches Folklorefestival

29.05.19

„Zum 26. Jahrestag Mordanschlag Solingen“ mit Mirza Odabaşı, Asli Sevindim, Fatih Cevikkollu und Filmvorführung: 93/13 Leopoldstr. 50-58 · 44147 Dortmund Tel. 0231 50-25145 · Fax 0231 50-26019 facebook.com/DietrichKeuningHaus

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Die Verlosungsteilnahme ist ganz einfach: Schicken Sie Ihren Wunschgewinn mit Name, Telefon, Adresse und dem Betreff „Verlosung“ an redaktion@bodoev.de oder auf frankierter Postkarte an bodo e.V., Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund. Teilnahmeschluss ist jeweils drei Tage vor der Veranstaltung. Bei mehreren Teilnehmern entscheidet das Los. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich.

drumherum die Band und nimmt Worte und Stimmungen nicht nur auf, sondern verstärkt diese, wirft sie dem Publikum entgegen, kommentiert und kontrastiert. Fritz-Henßler-Haus, Dortmund, 20 Uhr

SA 11 | 05 | 19 Fest | Dortbunt! Cityfest Auch 2019 zeigt Dortmund beim Stadtfest „DORTBUNT! Eine Stadt. Viele Gesichter.“ seine bunten Facetten. An vielen Plätzen, Bühnen und Orten in der City werden sich verschiedene Institutionen, Vereine, Verbände, Initiativen, Kirchen, Gewerkschaften, Kulturschaffende, Behörden und viele mehr präsentieren. Wer an diesen Tagen in die Innenstadt kommt, kann feiern, staunen, lernen und Dortmund erleben. www.dortbunt.de versch. Orte, Dortmund, 11 – 23 Uhr (auch 12.5., 12 – 19 Uhr) Kleinkunst | Franziska Dannheim & Robert Mayer Kaum ein anderer Song weckt so schnell die Assoziation zu der amerikanischen Schauspielerin Doris Day wie „Que sera, sera“. In ihrem Programm nähert sich die Sängerin Franziska Dannheim dem Faszinosum – immer hart an der Grenze zum Kitsch, nicht selten darüber hinaus – als offenherzige Königin der heilen Vorstadtidylle. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

SO 12 | 05 | 19 Familienfest | Saisoneröffnung Mitte Mai beginnt die neue Saison, was mit einem Familienfest im Biergarten der Freilichtbühne Wattenscheid gefeiert wird. Das

Programm wartet mit einer Mischung aus Musik, Spiel, Spaß und Unterhaltung auf. Für die Musik sorgt das Trio „Macant“. Und für die kleinen Gäste gibt es Kinderschminken, Ballontiere und ein Spielmobil. Eintritt frei. Freilichtbühne Wattenscheid, BO, 15 – 18 Uhr

DI 14 | 05 | 19 Lesung | RAW – Hank Zerbolesch Ein Kindersoldat sucht Asyl in Deutschland. Ein Mann trauert um seine Tochter. Eine Mutter schüttelt ihr Kind zu Tode. Ein Krankenpfleger vergeht sich an seinen Patienten – All diese kaputten Leben sind durch ein Geflecht aus Angst und Gewalt miteinander verbunden. Inspiriert und eskortiert von einem imaginären Soundtrack aus Rap, Literatur und Independent-Musik zeichnet RAW eine gesellschaftliche Momentaufnahme. Moderation: Tobi Katze literaturhaus.dortmund, DO, 19.30 Uhr Lesung | Funny van Dannen – „Die weitreichenden Folgen des Fleischkonsums“ Funny van Dannen führt das Publikum in einen wunderlichen Kosmos, der von müden Steinen, die gerne einmal einschlafen würden, von Uhren, die nicht immer nur an die Zeit denken wollen, von sprechenden Insekten, melancholischen Tieren und anderen höchst merkwürdigen Wesen bevölkert wird. Fritz-Henßler-Haus, Dortmund, 20 Uhr

MI 15 | 05 | 19 Theater | Eine Sommernacht Helena und Bob treffen sich in einer Bar – sie erfolgreiche Scheidungsanwältin, er Klein-


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Fahrradsommer der Industriekultur

12. Mai Jahrhunderthalle Bochum

Bis der Radschnellweg Ruhr Wirklichkeit geworden ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Trotzdem lässt es sich, gerade ab von den Innenstädten, zuweilen ganz gut durchs Ruhrgebiet radeln. Mit der „Route Industriekultur“ hat der Regionalverband eine eigene Marke geschaffen, mit der er die Industriedenkmäler des Reviers von Hagen und Hamm bis Duisburg und Marl miteinander verbindet. Beim „Fahrradsommer der Industriekultur“ dreht sich darum alles ums Radwandern im Ruhrgebiet: Wo sind besonders schöne Strecken? Wie komme ich am besten vom Duisburger Landschaftspark zum Bottroper Tetraeder? Und wie fährt sich eigentlich so ein E-Bike? Auf der Bühne und an vielen Stationen gibt es Radartistik, Einradworkshops, Erlebnisberichte von RadtouristInnen und Informationen über neue Trends und Angebote für alle, die im Sommer mit dem Rad durchs Ruhrgebiet reisen wollen.

AUS DEM PROGRAMM ganove. Für beide scheint das Leben gerade keine erfreulichen Überraschungen bereitzuhalten, als sie – mehr aus Verdrossenheit denn aus Leidenschaft – die Abzweigung zu einem One-Night-Stand nehmen. Nach dem eher enttäuschenden Ergebnis schickt sie ihn in die Nacht und damit ans Ende der Geschichte – wenn das Schicksal da nicht ein Wiedersehen für die beiden geplant hätte. Theater im Depot, Dortmund, 20 Uhr

DO 16 | 05 | 19 Literatur | Wortpalast mit Sandra Da Vina und Gästen Sandra Da Vina lädt die Autorin Anna Basener ein, die ihren neuen Roman „Schund und Sühne“ präsentiert. Auch über ihr Debüt „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ wird zu reden sein, das gerade am Schauspielhaus Dortmund unter der Regie von Gerburg Jahnke Premiere feierte. Über die Arbeit am und mit dem Buch wird Frau Jahnke sprechen. Dampfgebläsehaus Jahrhunderthalle Bochum, Bochum, 20 Uhr Lesung & Konzert | Fräulein Nina Fräulein Nina stellt ihre Gedankengänge in Form von gelesenen Texten und vokalverbalen Improvisationen aus und versucht, ihre Gedankengänge für ihr Publikum begehbar zu machen (Gruppenaerobic). In dem Zusammenhang wird von ihr an diesem Abend das Schild für „Re-Analogisierung & Performance“ am künftigen IT-Standort Dortmund-Hafen hoch gehalten. Inklusive Anund Motivationsgesänge für dies und jenes. Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr

Kleinkunst | Ben Redelings Ben Redelings erzählt Herzensgeschichten über die Liebe zum Fußball, Dönekes über den ersten Stadionbesuch, Helden und Idole, Bier und Bratwurst und das längst verschollene erste Panini-Album. Flottmannkneipe, Herne, 20 Uhr

FR 17 | 05 | 19 Theater | Orest in Mossul Agamemnon opfert seine Tochter Iphigenie, seine Frau Klytaimnestra tötet ihn und wird wiederum vom eigenen Sohn ermordet. Ist das wirklich der Gründungsmythos der westlichen Zivilisation? Der Regisseur Milo Rau verbindet in „Orest in Mossul“ antike Tragödie mit aktuellen politischen Konflikten. Mit einem internationalen Ensemble inszeniert er eine Orestie unserer Zeit und fragt: Ist es möglich, die nicht endende Kette der Gewalt zu durchbrechen? Schauspielhaus, Bochum, 19.30 Uhr Liederabend | Ruhrfestspiele Recklinghausen: Istanbul Was wäre gewesen, wenn das Wirtschaftswunder nicht in Deutschland stattgefunden hätte, sondern in der Türkei? Klaus Gruber, Arbeiter aus Recklinghausen, macht sich auf den Weg nach Istanbul, in die Stadt, die ihm und seiner Familie Zukunftsperspektiven verspricht. Dort angekommen, muss er feststellen, dass das alles gar nicht so einfach ist… Die Lieder von Sezen Aksu bilden die Grundlage für einen Liederabend, in dem auf Deutsch gespielt und auf Türkisch gesungen wird. Weitere Termine: www.ruhrfestspiele.de Bürgerhaus Süd, Recklinghausen, 19.30 Uhr

DO, 16. MAI | KONZERTHAUS DORTMUND ERÖFFNUNG | OPER ITALIENISCHE OPERNGALA MUSIK VON VERDI, PUCCINI, GIORDANO U. A. FR, 17. MAI | DOMICIL BLICK BASSY POETISCHES SONGWRITING AUS KAMERUN SO, 19. MAI | KONZERTHAUS DORTMUND JORDI SAVALL: HOMMAGE AN SYRIEN DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG DO, 23. MAI | DOMICIL INDRA RIOS-MOORE ELEGANTER JAZZ AUS NEW YORK FR, 24. MAI | PAULUSKIRCHE MICHELLE DAVID & THE GOSPEL SESSIONS ALTE UND NEUE GOSPELS DO 30. MAI | ORCHESTERZENTRUM|NRW GENDER STORIES MUSIK VON GEORG FRIEDRICH HÄNDEL UND ZEITGENOSSEN DO, 06. JUNI | FZW KOVACS COOLER POP UND SOUL AUS DEN NIEDERLANDEN FREITAG, 07. JUNI | DOMICIL NES MEDITERRANE MUSIK AUS VALENCIA SA, 08. JUNI | ORCHESTERZENTRUM|NRW OPER | KONZERTANTE AUFFÜHRUNG GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: AGRIPPINA LES TALENS LYRIQUES

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KALENDER

SA 18 | 05 | 19 Musik | Marc Amacher Roadhouse. Laut Wörterbuch steht hinter dem Begriff schlicht „ein Wirtshaus an der Landstraße“. Doch für Bluesfans hat das Wort eine tiefere Bedeutung: Darunter versteht man eine eher rowdyhafte Spelunke, in der wild getanzt, ausgiebig gebechert sowie laut und heftig musiziert wird. Mit seiner neuen LP Roadhouse nimmt Bluesrocker Marc Amacher den Hörer mit in diese hemmungslose Welt, wo alles erlaubt ist und Regeln nur da sind, um gebrochen zu werden. Piano, Dortmund, 20.30 Uhr

SO 19 | 05 | 19 Ausstellung | ÜberLebensmittel In der Wechselausstellung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt dreht sich alles um Lebensmittelproduktion, Ernährung und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. 16 interaktive Exponate ermöglichen einen Blick hinter die Kulissen der Lebensmittelproduktion: Durch ein Fernglas können Besucherinnen und Besucher in deutsche Hühnerställe schauen, ihre eigene Wiese bewirtschaften oder mehr darüAnzeige

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ber erfahren, mit welchen Kriterien nachhaltiges Handeln in der Landwirtschaft bewertet werden kann. Infos: www.dasa-dortmund.de DASA, Dortmund

DI 21 | 05 | 19 Kindertheater | Emil und die Detektive Gustav hat spannende Aufzeichnungen in Großvaters altem Koffer gefunden. Darin erzählt Opa die Abenteuer von Emil und den Detektiven. War er doch kein anderer als DER Gustav mit der Hupe, also einer von Emils Detektiven, die ihm geholfen hatten, den Fiesling Grundeis durch Berlin zu jagen. Das Publikum erlebt in diesem Solo die Geschichte aus der Sicht Gustavs und taucht ein in das Berliner Flair der 20er Jahre. Für Kinder ab 8 Jahren. Kinder- und Jugendtheater in der Sckellstraße, Dortmund, 11 Uhr

MI 22 | 05 | 19 Vortrag | Antisemitismus im World Wide Web In welchen Manifestationen tritt Antisemitismus im 21. Jahrhundert in Erscheinung? Welche Stereotype werden kommuniziert? Die Referentin Lisa Jacobs ist wissenschaftliche

Mitarbeiterin bei der Leiterin der Studie, Frau Prof. Dr. Schwarz-Friesel, an der TU Berlin/ FB Linguistik und wird die Ergebnisse einer Langzeitstudie zusammenfassen. Eintritt frei. Auslandsgesellschaft e.V., Dortmund, 19 Uhr Party | Night of the Profs Dortmund Seit zwölf Jahren in Münster – erstmalig jetzt auch in Dortmund: Die Night of the Profs. Zehn renommierte Professoren, Doktoren und Dozenten übernehmen für eine Nacht die Turntables auf den drei Floors im FZW. Sie spielen ihre eigene Musik, bringen die Clubs zum Beben und spenden ihre Gagen zusammen mit Teilen der Eintrittsgelder für einen guten Zweck. FZW, Dortmund, 22.30 Uhr

DO 23 | 05 | 19 Festival | Weine vor Freude Vom 23. bis 25. Mai steht Bochum drei Tage im Zeichen des Savoir-vivre. WinzerInnen aus ganz Deutschland und Europa, diverse Tropfen und die Menschen dahinter, zahlreiche Stände und Aktionen, Essensangebote und ein abwechslungsreiches Musik-, Party- und Begleitprogramm erwarten nicht


BODO-TIPP

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Dortmunder Selbsthilfetag

18. Mai, 12 bis 17 Uhr Reinoldikirchplatz Dortmund

In Dortmund gibt es mehr als 100 Selbsthilfegruppen, in denen Menschen, die von unterschiedlichsten Problemlagen betroffen sind, sich gegenseitig unterstützen, Erfahrungen austauschen und einander begleiten. Selbsthilfe setzt bewusst auf gegenseitigen Austausch und Motivation durch (andere) Betroffene mit ähnlichen Erfahrungen – zum Beispiel mit chronischen Erkrankungen, in Lebenskrisen, mit Suchterkrankungen oder als Angehörige von Menschen in Krisensituationen. In Dortmund gibt es eine eigene Selbsthilfe-Kontaktstelle, die Suchende vermittelt und Gruppen beim Aufbau unterstützt. Sie und fast 30 Dortmunder Gruppen und Vereine stellen sich am 18. Mai beim Dortmunder Selbsthilfetag an der Reinoldikirche vor. Er ist Teil einer bundesweiten Aktionswoche des Paritätischen vom 18. bis 26. Mai, in der mehr Aufmerksamkeit für das Thema Selbsthilfe geschaffen werden soll. www.selbsthilfe-dortmund.de

nur WeinkennerInnen, sondern alle interessierten BesucherInnen. Rotunde, Bochum, 17 – 22 Uhr (auch 24.5., 15 – 22 Uhr & 25.5., 14 – 21 Uhr)

FR 24 | 05 | 19 bodo verlost 2x2 Karten

VERLOSUNG Nils Wülker Ein Ton. Eine einzige persönliche Note, besonders der Trompete. Schon erkennt man die Musik von Nils Wülker. Besonders eindeutig und intensiv in den knapp 80 Minuten seines Live-Albums. Es passt perfekt, dass sein zehntes Album „Decade Live“ ein Konzertalbum ist. Auf der Tour beleben die Musiker die Vision des Leaders, im Bandsound wie in ihren fantastischen Soli. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

VERLOSUNG Schwerter Kleinkunstwochen: Jan Philipp Zymny 2018 hat Jan Philipp Zymny das Publikum in Schwerte begeistert und wird daher an diesem Abend mit dem Schwerter Kleinkunstpreis ausgezeichnet. Zugleich präsentiert der Meister des Absurden sein neues Programm mit dem Titel „How to Human?“ Nicht nur beschreibt er mit seinem scharf beobachteten Stand-Up-Material, wie es ist, Mensch zu sein, sondern stellt auch die Fragen, was das

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bedeutet und ob das nicht auch alles anders geht – zum Beispiel als Roboter. Rohrmeisterei, Schwerte, 19.30 Uhr

SA 25 | 05 | 19 Ausstellung | World Press Photo 19 Jedes Jahr zeichnet die World Press Photo Foundation die besten Pressefotografien aus. Die World Press Photo umfasst über 150 Fotos, die Einblicke in persönliche Geschichten gewähren. Da alle wichtigen Ereignisse des Vorjahres abgebildet sind, bietet die Ausstellung außerdem einen Rückblick auf 2018. Bis 16.6., Infos: www.depotdortmund.de Depot, Dortmund Musik | Klangsphäre DJ & SPACE: Richard Dorfmeister Die Reihe „DJ & SPACE“ präsentiert Größen der Club- und DJ-Szene im Planetarium Bochum. Mit Richard Dorfmeister holen die Organisatoren im Mai einen der erfolgreichsten DJs und Produzenten Österreichs unter die Sternenkuppel. Dorfmeister ist einer der wichtigsten Protagonisten des Wiener Sounds: Ob als eine Hälfte des Duos Kruder und Dorfmeister, als gefragter DJ, als Labelchef von G-Stone Records oder als Musiker seines zweiten Bandprojekts Tosca. Planetarium, Bochum, 21 Uhr

SO 26 | 05 | 19 Kleinkunst | Schwerter Kleinkunstwochen: Ingo Oschmann Ingo Oschmann präsentiert das Beste und Schönste aus 25 Jahren Bühne. Wer Ingo

Oschmann nur aus dem Fernsehen kennt, hat ihn noch nicht richtig erlebt. Ob Impro, Standup, Zaubern oder auch mal mit leisen Tönen: Oschmann schafft es immer wieder aufs Neue, sein Publikum zu begeistern. Abwechslungsreich, warmherzig, offen, persönlich, lustig und intelligent geht er auf sein Publikum ein, ohne verletzend oder langweilig zu sein. Kundenhalle der Sparkasse Schwerte, 19 Uhr 27


KALENDER

BODO-TIPP Als städtisches Orchester gründete es sich 1918, am 20. Mai 1919 spielten die Bochumer Symphoniker ihr erstes Konzert. Seinen 100. Geburtstag feiert das Orchester vom 18. bis 20. Mai im Anneliese Brost Musikforum.

DI 28 | 05 | 19 Musik | Jungle By Night Jungle By Night besteht aus neun Jungs aus Amsterdam, die ihre musikalische Erziehung, ihren Geschmack und ihren unaufhaltsamen Eifer einsetzen, um eine einzigartige Mischung von Musikstilen zu schaffen. So verschmilzt psychedelischer Rock mit HipHop und viel Jazz; wieder andere bedienen sich an Stilen des Reggae, Latin und Rock. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

MI 29 | 05 | 19 Talk & Film | Talk im DKH zum 26. Jahrestag des Mordanschlags in Solingen Zum 26. Jahrestag des Mordanschlags von Solingen wird im Dietrich-Keuning-Haus der künstlerische Dokumentarfilm „93/13“ gezeigt. Zum Gespräch werden die Gäste Mirza Odabaşı (Filmemacher, u.a. "93/13"), Aslı Sevindim (Journalistin), Fatih Çevikkollu (Schauspieler und Kabarettist) erwartet. Moderiert wird der Abend von Özge Cakirbey und Aladin El-Mafaalani. Eintritt frei. Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund, 19 Uhr

100 Jahre Bochumer Symphoniker

18. bis 20. Mai Anneliese Brost Musikforum Bochum

Während das große Jubiläumskonzert am Montagabend längst ausverkauft ist, öffnen die „BoSys“ am Wochenende die Türen ihres Spielhauses für alle. Am Samstag organisieren sie im Foyer des Musikforums einen Musikalienf lohmarkt und bieten nicht mehr benötigte Noten, CDs und Instrumentenzubehör zum Verkauf und laden zu Kammermusik, Bandkonzerten und DJ Sets. Auch beim Familiensonntag tags drauf erklingen überall im Musikforum kleine Konzerte, während Kinder bei einer Musikrallye auf Entdeckungstour durchs Konzerthaus gehen können. Übrigens: Die Erlöse aus dem Musikalienflohmarkt spenden die Bochumer Symphoniker an bodo.

DO 30 | 05 | 19 Film | Peter Lindbergh – Women Stories Peter Lindbergh gilt als einer der einflussreichsten Modefotografen aller Zeiten. Für seinen Dokumentarfilm begleitete Jean-Mi-

chel Vicchiet ihn über einen Zeitraum von 20 Jahren. Neben Einblicken in seine tägliche Arbeit zeigt der Film eine sehr persönliche Lebensgeschichte. Im Rahmenprogramm der Ausstellung World Press Photo 19. sweetSixteen Kino, Dortmund, 17 Uhr

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Vorteile Mehr Schutz im Betrieb, mehr Sicherheit im Leben und dadurch mehr persönliche Freiheit. Wäre doch schade, Sie würden darauf verzichten, oder?

Am 26. Mai Die IG Metall finden Sie 3 x in Ihrer Region: 44793 Bochum, 44793 Bochum, Alleestraße Alleestraße 80 80 Tel. 0234 0234 – Tel. – 96 96 44 44 60 60 44135 Dortmund, Ostwall 17 – 21 44135 Dortmund, Ostwall 17 – 21 Tel. 0231 – 57 70 60 Tel. 0231 – 57 70 60 44623 Herne, Schulstraße 24 44623 Herne, 23 Tel. 02323 – 14Viktor-Reuter-Str. 63 80

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wählen.


KINO-TIPP

Musik | The Run Up & Bong Mountain The Run Up haben bereits 2017 in der Rotunde den Laden gerockt. Die Jungs kommen aus Bristol und werden an diesem Abend neues Material im Gepäck haben. Die Band Bong Mountain aus Grand Rapids, Michigan, ist längst kein Geheimtipp mehr im internationalen Punkrock-Zirkus. Nach ihrer Gründung 2014 veröffentlichte die Band einige Tapes, bevor 2016 mit „You´re Doing Great (For The Record)“ der erste Longplayer kam. Rotunde, Bochum, 20 Uhr

SA 01 | 06 | 19 Theater | Fahrenheit 451 Guy Montag ist Feuerwehrmann, aber nicht so, wie wir es kennen. In der dystopischen Zukunft von „Fahrenheit 451“ löscht die Feuerwehr keine Brände: stattdessen vernichtet sie Bücher. In dieser Gesellschaft sind Bücher verboten, weil sie subversives Denken fördern. Als Guy Montag durch die andersdenkende Nachbarstochter Clarisse lernt, die Welt mit offeneren Augen zu sehen, verändert sich sein Leben gravierend. Rottstr5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr

DO 06 | 06 | 19 Kabarett | Stephan Bauer Wenn man nach zehn Jahren ratlos in das Gesicht des Partners schaut und sich klar wird: „Vor der Ehe wollte ich ewig leben“. Aber ist die Ehe trotz hoher Scheidungsraten wirklich überholt? Sind Single-Leben, Abendabschlussgefährten und Fremdgehportale im Netz eine tragfähige Alternative? Das fragt Stephan Bauer sich und sein Publikum. Werkstadt, Witten, 20 Uhr Musik | Klangvokal Musikfestival Dortmund: Kovacs Mit ihrer erstaunlich rauen Stimme hat sich die niederländische Sängerin Kovacs innerhalb von fünf Jahren vom Geheimtipp zum internationalen Superstar entwickelt. 2014 landet sie gleich mit ihrer ersten in Havanna produzierten und afro-kubanisch geprägten Single „My Love“ einen europaweiten Hit. Das Debütalbum der Sängerin platziert sich ein Jahr später in den Charts von 36 Ländern. FZW, Dortmund, 20 Uhr

FR 07 | 06 | 19 Musik | Klangvokal Musikfestival Dortmund: NES Seitdem sich 2015 die franko-algerische Sängerin und Cellistin Nesrine Belmokh, der französische Cellist Matthieu Saglio und der

spanische Perkussionist David Gadea in Valencias Trendviertel Russafa getroffen haben, verschmelzen die drei expressiven Musiker zu einer Einheit, wenn sie gemeinsam tief und anmutig ihre traumhafte Mischung aus traditioneller arabischer Musik, Jazz, Flamenco, Chanson und Popmusik anstimmen. domicil, Dortmund, 20 Uhr

VERLOSUNG Im Irrgarten des Wissens Man müsste sich das Theatergebäude als ein gigantisches Gehirn vorstellen. Als Kollektivgehirn, das so vielfältig wahrnimmt, wie es Neuronen hat; ein Gehirn, das ständig Informationen aufnimmt und neu verknüpft; ein Gehirn, das fühlt und sich nach innen und nach außen immer wieder neu vernetzt – mit Menschen und Maschinen. Der Regisseur und Autor Thorleifur Örn Arnarsson seziert mit dem gesamten Ensemble und dem Dortmunder Sprechchor das Weltwissen – als Theaterereignis, das von der Unterbühne über das Studio, vom Zuschauerrang bis zum Theatervorplatz keinen Ort im Schauspielhaus auslässt. Schauspielhaus, Dortmund, 18 Uhr

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SA 08 | 06 | 19 Ausstellung | International Light Art Award Der International Light Art Award ist eine Initiative des Zentrums für Internationale Lichtkunst und der Innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft. Aufstrebenden KünstlerInnen soll eine Plattform geboten werden, sich mit The Future of Light Art auseinanderzusetzen. Gezeigt werden die Arbeiten der diesjährigen FinalistInnen Jacqueline Hen (Deutschland), Yasuhiro Chida (Japan) und des Duos Dachroth & Jeschonnek (Deutschland). Bis 10.11., www.ilaa.eu Zentrum für Internationale Lichtkunst, Unna Festival | ONCE UPON a TIME Bereits zum 5. Mal findet am Pfingstwochenende das Festival der Jahrmarktkultur und Straßenkunst im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern statt. Das große Festival für die ganze Familie bietet historische Fahrgeschäfte, bekannte StraßenkünstlerInnen, ein Kinderprogramm, wandelnde Phantasiegestalten und neu in diesem Jahr eine Bühne mit StraßenkünstlerInnen, die um die Gunst des Publikums und einer Jury wetteifern. LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Dortmund, 10 – 22 Uhr (auch 9.6. & 10.6., 10 – 20 Uhr)

endstation.kino | Die rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst Der Kampf um den Hambacher Forst, das Ringen um den Ausstieg aus der Kohleverstromung und der wachsende bodo öffentliche Widerstand verlost 1x2 – der Film von Karin de Karten Miguel Wessendorf erzählt eine David-gegenGoliath-Geschichte, die, seit ihren Anfängen 2015, weit über den lokalen Austragungsort hinaus reicht. Der Konflikt: Der Energieriese RWE will den Hambacher Forst roden, um so seinen Braunkohletagebau weiter auszubauen. Doch Aktivisten wollen das letzte Grün in der Gegend erhalten. Es folgte in den vergangenen Jahren eine Auseinandersetzung, bei dem es um viel mehr geht als um die mit 500 Hektar überschaubar große Waldfläche. Es geht um den Ausstieg aus der Kohle-Energieversorgung, den Abriss von Dörfern, den Ausbau erneuerbarer Energien und um politische Teilhabe. Die AktivistInnen im Hambacher Forst schafften es, das Interesse auf ihre Ziele zu lenken, der öffentliche Widerstand wuchs stetig. 50.000 Menschen kamen im Oktober zur Kundgebung ins Waldgebiet (siehe bodo 11.18). Seit 2015 begleitet die Filmemacherin Karin de Miguel Wessendorf den Baumbesetzer Clumsy, Antje Grothus, Anwohnerin aus Buir und Mitglied einer Bürgerinitiative, Lars Zimmer, der sein Dorf nicht verlassen will, den Waldpädagogen Michael Zobel und erzählt in „Die rote Linie“ ihre Geschichte. Es sind ganz normale Menschen, die im Lauf der Jahre über sich hinauswachsen, aber auch Rückschläge hinnehmen, um für ihre Ziele zu kämpfen: den Erhalt des Hambacher Forstes, der Dörfer und den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Zu sehen ab Donnerstag, 23. Mai. Alle Termine: www.endstation-kino.de endstation.kino im Bahnhof Langendreer Wallbaumweg 108, 44894 Bochum www.endstation-kino.de 29


BODO GEHT AUS

Heidewitzka Hattinger Straße 218 44795 Bochum

Heidewitzka

Verrucht, verwegen, vegan Bochum hatte immer das Problem, dass außerhalb der Innenstadt wenig los ist. Das ändert sich gerade: Nach dem Kortländer Kiez rund um den Anfang der Dorstener und Herner Straße entsteht gerade ein weiteres lebendiges Viertel, noch weiter draußen: der Kunstkiez Bärendorf im Stadtteil Weitmar. Mittendrin lockt das Heidewitzka – eine Kneipe mit guter Küche. „Spelunke und Kombüse“ heißt das Heidewitzka im Untertitel, und: „Verrucht – verwegen – vegan“. Das überrascht erstmal, weil man von Piraten nicht unbedingt Fleischverzicht erwartet und sich die Speisekarte auch anders liest: Es gibt Gyrosund Taxi-Teller, Moussaka oder Chili con Carne. Letzteres ist in Wirklichkeit aber ein Chili sin Carne und das Gyros ist aus Seitan (Weizengluten), die Wurst eine eigene vegane Kreation der Inhaberin Heike Bandschädel, eine äußerst stimmige Kreation übrigens aus Bulgur, Seitan und Gewürzen. „Ich habe acht Jahre als Führungskraft in einem Dienstleistungsunternehmen gearbeitet, bin aber eigentlich gelernte Ökotrophologin.“ Den Traum, einmal als Köchin zu arbeiten, erfüllt sie sich jetzt, nachdem sie über eine Rinder-Patenschaft und die Mit-

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Von Max Florian Kühlem Fotos: Daniel Sadrowski

gliedschaft beim Tierschutzverein „Flauschmenschen e.V.“ zur überzeugten Veganerin wurde. Dass sie mit ihrem Partner Jörg im Bärendorf-Kiez landete, war Zufall: „Wir haben ein gutes Ladenlokal gesucht und waren sofort begeistert von dem Altbau hier“, erzählt sie, „und um uns rum ist es bunt und lebendig, in den Häusern gibt es viele WGs.“ Dass aus dem Heidewitzka eine Spelunke wurde, ist auch einer Art Zufall geschuldet. Das Paar fing an, an einer unrenovierten Wand Risse nachzuzeichen – und

schnell sah sie aus wie eine Schatzkarte. Auf Flohmärkten und KleinanzeigenPortalen kaufte sich die Besatzung eine originelle Einrichtung zusammen, vieles ist Marke Eigenbau. Passend dazu wollen die beiden bald auch Upcycling-Projekte starten. Außerdem planen sie eine Theke mit veganen Produkten zum Mitnehmen. Im Moment warten sie noch auf die Spätkonzession, damit sie auch die Nachtschwärmer, die auf den privaten Partys des Konzert- und Musiksession-Orts Bakery im Hinterhof feiern, bewirten können.


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Nur ein soziales Europa ist ein starkes Europa.

Unter Menschen, die sich vegan ernähren, gibt es zwei Philosophien: Die einen lieben Fleischersatz-Produkte, stürzen sich auf Vöner, Vurst oder Vegadelle. Die anderen lehnen das ab, weil sie sich doch – zum Beispiel aus ethischen Gründen – vom Fleischessen abgewandt haben und dann auch keine geschmacklich ähnlichen Ersatzprodukte zu sich nehmen möchten. Im Heidewitzka gibt es zwar immer auch reine Gemüse-Gerichte wie CurrySpinat-Eintopf oder Buddha Bowl. In der Hauptsache besteht die Karte jedoch aus veganen Varianten von Gerichten wie Gyros-Teller, Saté-Spieß oder Schnitzel Hawaii. „Viele Veganer essen zu Hause hauptsächlich Obst und Gemüse und mögen es draußen dann heiß und fettig“, sagt Heike Bandschädel. Ihr Partner Jörg ist besonders stolz auf ihren Taxi-Teller: „Viele wissen gar nicht mehr, was das ist: Ein Gyros-Teller mit Currywurst dabei.“ Im Heidewitzka kostet der 9,90 Euro, gehört damit zu den teuersten Gerichten und überzeugt mit pfiffigen Gewürzen, toller, leicht scharfer Sauce und gar nicht allzu fettigen, knusprig-frischen Pommes.

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REPORTAGE

Nicht bloß Überforderung Seit November läuft vor dem Landgericht Siegen der Prozess wegen systematischer Misshandlungen von Geflüchteten in einer Unterkunft in Burbach. Die Vorwürfe wiegen schwer: In sogenannten „Problemzimmern“ wurden BewohnerInnen der Einrichtung zum Teil über Tage eingesperrt, mehrere misshandelt. Der Prozess gegen Wachleute, SozialbetreuerInnen, Heimleitung und Beschäftigte der Regionalverwaltung verläuft zäh. Das Gericht muss nicht nur herausfinden, wer die Taten begangen hat, sondern auch: Wer wusste davon und hat sie nicht verhindert? Von Alexandra Gehrhardt Fotos: Reuters / Wolfgang Rattay, picture alliance / Henning Kaiser / dpa

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Ein Blick zurück auf 2013. In Deutschland ist von dem, was zwei Jahre später „Sommer der Migration“ genannt werden wird, von Krisenstäben und Stockbetten in Turnhallen noch wenig zu spüren, die „Trains of Hope“ und die Geschichte von der „Grenzöffnung“, das gibt es noch nicht. Dennoch: Die Zahl an Menschen, die sich aus Krisenregionen auf der ganzen Welt auf den Weg machen, steigt. In Burbach, einer kleinen Gemeinde im Dreiländereck von NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz, wird eine ehemalige Kaserne zur Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Betreiber wird der Essener Dienstleister European Homecare (EHC), der bundesweit Einrichtungen für Geflüchtete, Wohnungslose und andere Menschen am Rand der Gesellschaft unterhält. EHC stellt sogenannte SozialbetreuerInnen ein und beauftragt mehrere Subunternehmen mit Sicherheits- und Wachdiensten. Zuständige Verwaltung ist die Bezirksregierung Arnsberg.

50 Taten sind angeklagt

Im September 2014 wird Bildmaterial öffentlich, das Misshandlungen an in Burbach untergebrachten Asylsuchenden dokumentiert. Und es wird bekannt: In der Unterkunft gab es „Problemzimmer“, in denen Menschen, die sich „regelwidrig“ verhalten haben, eingesperrt wurden. Von Körperverletzungen und systematischen Misshandlungen ist die Rede. Zu ähnlicher Zeit werden Misshandlungen in Unterkünften in Bad Berleburg (Siegerland) und Essen bekannt. Im November begannen am Siegener Landgericht Verfahren gegen 38 Personen, die an den Taten beteiligt gewesen oder davon gewusst haben sollen. Es geht um mehr als 50 Taten, um Freiheitsberaubung, Nötigung, Diebstahl, Körperverletzung. Angeklagt sind Wachleute, aber auch der Unterkunftsleiter, SozialbetreuerInnen und Beschäftigte der Bezirksregierung Arnsberg. Weil kein Gerichtssaal groß genug für alle ist, wird in der Siegerlandhalle verhandelt. Es ist kompliziert. Denn die Frage ist nicht nur: Wer hat in der Unterkunft Menschen eingesperrt und misshandelt?, sondern auch: Wer wusste davon und hat es nicht verhindert?


Bekannt geworden sind vor allem ein Video und ein Foto von Misshandlungen. Die Bilder erschrecken: Ein Foto zeigt einen männlichen Geflüchteten bäuchlings auf dem Boden liegend, die Hände auf dem Rücken gefesselt. In seinem Nacken steht der Fuß eines angeklagten Wachmanns, der mit erhobenem Daumen in die Kamera grinst. Ein anderer Wachmann kniet an der Fußseite. Und es gibt ein Video, das einen Bewohner der Unterkunft zeigt. Seine Hose und eine Matratze neben ihm sind voll mit Erbrochenem. Man hört ihn fragen: „Warum schlägst du mich?“, Stimmen antworten: „Ein guter Christ hält auch noch die andere Wange hin.“ Und: „Halts Maul, leg dich in deine Kotze und schlaf!“

Niemand stellte Fragen Weitere dokumentierte Fälle zeigen: Mal wurden Bewohner nach Schlägereien in eins der „Problemzimmer“ gesperrt, mal, nachdem sie im Haus geraucht oder Alkohol getrunken hatten, mal, weil eine Flasche aus einem Fenster geflogen war. Mal für Vorfälle, die gar nicht in der Einrichtung passiert waren. Der Staatsanwalt spricht von einem „strukturellen System“ der Selbstjustiz. Der ehemalige Leiter der Unterkunft ist in einem abgetrennten Verfahren bereits verurteilt worden. Er hatte, wegen eines Deals mit der Staatsanwaltschaft, umfassend ausgesagt: dass er, mit Einverständnis seines Arbeitgebers EHC, die „Problemzimmer“ eingerichtet und festgelegt habe, wann und wie lange Menschen dorthin gebracht werden sollten. Dass er so den Ruf der Einrichtung habe verbessern, die häufigen Polizeieinsätze in der überbelegten Unterkunft habe beenden wollen. Dass er auch selbst Bewohner in die Zimmer gebracht habe. Einschlüsse habe er aber, als er von ihnen erfuhr, untersagt – und die Augen verschlossen, als seine Anweisungen nicht eingehalten wurden, berichtete der WDR.

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Das Hauptverfahren gegen immer noch fast 30 Personen verläuft zäh. Einige VerteidigerInnen stellten Antrag um Antrag, um der Kammer – die alle Positionen von Richterin bis Schöffe doppelt besetzt hat, damit das Verfahren nicht platzt, sollte einer ausfallen – Fehlverhalten nachzuweisen. Viele Angeklagte schweigen, die, die aussagen, zeichnen zum Teil irritierende Bilder ihrer Arbeit. Einer sagt aus, dass die Wachleute ständig Dienste getauscht hätten, ohne dass das in den Wachbüchern festgehalten worden sei. Ob das stimmt – unklar. Eine Angeklagte weint, als sie erzählt, wie sie in eine Schlägerei zwischen mehreren Dutzend Bewohnern geriet. Ein anderer gibt an, dass er am Tag der ihm zur Last gelegten Tat keinen Dienst hatte – Abrechnung, Wach- und Dienstpläne stützen das, der Asylsuchende, der ihn als Täter identifiziert hatte, ist nicht auffindbar. So wird der ehemalige Wachmann freigesprochen. Stutzig geworden seien einige, wenn es darum ging, Menschen einzusperren. Eingegriffen, oder zumindest die Methoden hinterfragt, hat aber offenbar niemand.

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Aber es geht nicht nur um Überforderung: Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass mehrere Wachleute Vorstrafen hatten. Und dass auch Rechte unter ihnen waren: WDR und Siegerlandkurier berichteten zuletzt im Februar, dass in der gemeinsamen Whatsapp-Gruppe Nachrichten mit rassistischen Inhalten ausgetauscht worden seien. Bis 2014 gab es Kontrollinstanzen für Wachpersonal in Unterkünften schlicht nicht – sie wurden erst als Konsequenz aus den Misshandlungen eingeführt. Immerhin. Dabei genügt manchmal ein Blick aufs Facebook-Profil. Das des Angeklagten Herrn W. zum Beispiel. Seine Frau führte eines der in Burbach eingesetzten Sicherheitsunternehmen. Der gemeinsame Facebook-Account des Paares teilt Beiträge über die „Schande von Chemnitz“ und allerlei aufgebauschte „Nachrichten“ über angebliche Verbrechen von MigrantInnen. Er würde sich wahrscheinlich nie Rassist nennen. Das Paar ist auch heute in der Sicherheitsbranche tätig. Herr W. war früher Polizist. Und auch European Homecare ist Teil des Problems: In Zeiten, in denen Kommunen unternehmerisch agieren und essenzielle Aufgaben outsourcen, um Kosten zu sparen, erfüllt der „soziale Dienstleister“ hoheitliche, staatliche Aufgaben. Wer bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand den Zuschlag haben will, muss, auch, billig sein. Kostendruck und Gewinnstreben machen sich dann zwangsläufig an der Qualität des Personals bemerkbar. 2014 wurden in NRW aus drei von EHC betriebenen Unterkünften Misshandlungen bekannt. Und die Misshandelten? Tauchen im Prozess bisher nur in den Akten auf. Von zweien ist bekannt, dass sie Deutschland wieder verlassen haben, ein weiterer ist unbekannt verzogen. Ihre Perspektiven wären wichtig, zu hören sein werden sie wohl nicht. In Siegen zieht sich der Prozess derweil weiter in die Länge. Ob er die erwünschte Aufklärung letzten Endes bringen wird, ist fraglich; ob er es kann, auch. Es bleibt kompliziert. Erschien auch im Magazin Lotta

Überforderung, Selbstjustiz, Menschenhass Unkenntnis und Überforderung scheinen sich durch alle Ebenen gezogen zu haben. Die des ehemaligen Leiters, der als solcher gar nicht ausgebildet war, die der Bezirksregierung, deren Beschäftigte ihr Büro gegenüber den „Problemzimmern“ hatten und nichts gemerkt haben wollen – und wohl auch die der SozialbetreuerInnen und Wachleute, die in der Arbeit in Unterbringungseinrichtungen zum Teil nicht ausgebildet waren.

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INTERVIEW

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Bloß nicht arbeitslos werden

Mit Blick auf die historisch niedrigen Arbeitslosenzahlen erscheinen die Hartz-Reformen als Erfolgsgeschichte. Ökonomen aus Dortmund und Bonn haben nun herausgefunden: Nicht die bessere Vermittlung in Arbeit ist der entscheidende Effekt von „Hartz IV“, sondern die Angst vor dem Jobverlust. Mit Lohnverzicht erkauften ArbeitnehmerInnen Arbeitsplatzgarantien, so Philip Jung von der TU Dortmund.

Herr Professor Jung, Sie haben mit Hilfe eines Simulationsmodells untersucht, wie sich der Arbeitsmarkt ohne die HartzReformen verändert hätte. Wie sah diese Simulation aus? Das war ein Modell der modernen Arbeitsmarktforschung, bei dem die Entscheidungen von Firmen, Arbeitnehmern und Arbeitslosen konstruiert wurden. Firmen schreiben Stellen aus, wenn sie erwarten, Gewinne zu machen, Arbeitnehmer verhandeln mit Arbeitgebern über Löhne und Arbeitsplatzsicherheit, und Arbeitslose entscheiden sich, welche Stellenangebote sie annehmen. Arbeitssuchende nehmen im Modell zum Beispiel auch schlechtere Stellenangebote an, wenn nur wenige Stellen ausgeschrieben werden. Wir haben die individuellen Entwicklungen der Unternehmen simuliert und dabei auch Unsicherheiten bei der Entwicklung der Gesamtwirtschaft einbezogen. Mit dem Modell konnten wir die Erwerbsverläufe vieler Arbeitnehmer bestimmen und mit den empirischen Daten vergleichen, die uns nach den HartzReformen tatsächlich vorliegen. 75 Prozent des Rückgangs der Arbeitslosenquote sollen auf „weniger neue Arbeitslose“ zurückzuführen sein, besonders bei langjährig Beschäftigten und gut verdienenden Arbeitnehmern. Wie ist es mit Menschen aus dem Niedriglohnsektor? Der Anteil an Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit herauskommen, ist im Vergleich nur wenig angestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, ist aber gesunken, besonders bei älteren

Von Dennis Pesch | Fotos: picture alliance / JOKER, TU Dortmund

und langjährig Beschäftigten mit relativ hohen Löhnen, weil sie vom Rückgang der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I (ALG I) betroffen waren. Vor der Reform erhielt ein 49-Jähriger, der fünf Jahre beschäftigt ist, bei einer Kündigung 22 Monate ALG I, nach der Reform nur noch 12 Monate. Im unteren Lohnbereich sehen wir, dass es bereits seit den 90er Jahren einen Trend zu größerer Lohnungleichheit durch stagnierende Löhne gibt. Die Wahrscheinlichkeit, entlassen zu werden, hat sich durch die Hartz-Reformen im unteren Lohnbereich kaum verändert.

Volkswirtschaftler Prof. Dr. Philip Jung leitet an der TU Dortmund den Lehrstuhl für Makroökonomie. Hier

Die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, ist fast um ein Drittel gefallen? Wie erklären Sie sich das? Der Wegfall der Arbeitslosenhilfe und vor allem die Kürzung der Bezugsdauer des ALG I für ältere Beschäftigte hat die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit für die Arbeitnehmer vergrößert, deshalb finden wir dort den größten Rückgang bei der Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden. Wegen dieser möglichen negativen Konsequenzen für das Leben der Arbeitnehmer haben sie mit den Arbeitgebern über Lohnverzicht im Tausch für Arbeitsplatzgarantien verhandelt. Dadurch kam es zu weniger Entlassungen nach den Hartz-Reformen und gleichzeitig zu höheren Gewinnen auf Seiten der Arbeitgeber.

beschäftigt er sich unter anderem mit strukturellen Gleichgewichtsmodellen des Arbeitsmarkts.

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INTERVIEW

Sie sprechen meistens von gut verdienenden und länger beschäftigten Arbeitnehmern. Ab wann ist man gut verdienend? Und haben die Vereinbarungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auch zu geringen Reallöhnen geführt? Wir definieren keine Gruppe der „Gutverdiener“. Je höher die Löhne waren, desto größer waren die Effekte der Hartz-Reformen auf mögliche Entlassungen. Das haben wir empirisch festgestellt. Die Fallhöhe auf das Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, war für Arbeitnehmer mit höheren Löhnen besonders groß. Theoretisch kann man also erwarten, dass Menschen mit höheren Löhnen besonders stark reagieren. Ein Missverständnis an dieser Stelle ist oft, dass die angesprochenen Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit fallenden Reallöhnen einhergehen. Mit den Hartz-Reformen sind die Löhne für ältere Beschäftigte niedriger, als wir es ohne die Reformen erwarten würden. Daraus können wir aber keine Aussagen für das Lohnwachstum verschiedener Gruppen ableiten. Würden Sie die Wirkung der Hartz-Reformen als repressiv für Erwerbstätige beschreiben? Die Arbeitslosenversicherung ist ein Versprechen der Allgemeinheit gegenüber dem Einzelnen. Sie soll vorübergehende Lohnausfälle zumindest teilweise ausgleichen und ersetzt damit die Familie als Absicherungsinstitution gegen Notlagen. Wenn eine Firma Beschäftigte entlässt, senkt sie damit ihre Lohnkosten. Die Kosten für die Arbeitslosigkeit trägt dann die

Arbeitslosenversicherung und damit die Allgemeinheit der Beitragszahler. Deshalb muss die Arbeitslosenversicherung einen Ausgleich zwischen der Versicherung auf der einen Seite und den Kosten für die Allgemeinheit auf der anderen Seite wählen. Die Hartz-Reformen legen einen stärkeren Fokus auf die Kosten für die Allgemeinheit. Verlierer der Reform waren insbesondere ältere Arbeitnehmer. Insgesamt kann man aber nicht von „repressiv für Erwerbstätige“ sprechen, da es durch die Reform sowohl Gewinner als auch Verlierer gab. Sie sprechen auch davon, dass die Reform und der Rückgang der Arbeitslosigkeit Verteilungsspielräume geschaffen hätten. Welche Verteilungsspielräume meinen sie damit? Alleine die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung sind von 56,5 Milliarden im Jahr 2002 auf 32,8 Milliarden im Jahr 2014 zurückgegangen. Eine direkte Konsequenz daraus war, dass seit 2005 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 2,5 Prozent im Jahr 2019 gesenkt wurden. Hinzu kamen höhere Steuereinnahmen und höhere Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen der Rente und der Krankenversicherung. Diese Spielräume hätte man nutzen können, um die Grundleistung von Hartz IV zusammen mit dem vorübergehenden Lohnausgleich für Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich deutlich zu erhöhen.

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Eine Frage, Herr Wißner:

Was passiert, wenn die U-Bahn eine Panne hat? Wenn wir morgens in die U-Bahn steigen, denken wir oft nicht daran, welche logistischen Herausforderungen hinter dem alltäglichen Bahnbetrieb stecken. Doch was passiert, wenn eine Bahn mal eine Panne hat?

Felix Wißner, Betriebsleiter der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (Bogestra)

„Kommt es z.B. auf der Campuslinie U 35 zu einem Störfall, läuft dieser zuerst in der Leitstelle auf. Dort wird entschieden, wie weiter zu verfahren ist“, so Felix Wißner, Betriebsleiter der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (Bogestra). Sehr viel häufiger als zu schwerwiegenden technischen Defekten komme es zu trivialeren Problemen wie Vandalismus oder einer Tür, die nicht richtig schließt. In so einem Fall würde dann einfach die Tür von Hand geschlossen, bis auf Weiteres gesperrt und außerhalb des regulären Betriebs repariert. Auch wenn es Probleme mit dem Antrieb gibt, bedeutet das noch nicht, dass der Zug zwangsläufig liegenbleibt. Da jeder Wagen über einen separaten Antrieb verfügt und sich ein Zug in der Regel aus zwei Wagen zusammensetzt, kann der Zug immer noch eingeschränkt weiterfahren und bleibt nicht auf der Strecke liegen, wenn ein Antrieb ausfällt.

richtung zu ändern, die aber auch als Abstellgleise fungieren können. Kommt es zu einem größeren Problem, kann eine Bahn auf einem Kehrgleis warten, bis sie dann ohne Einfluss auf den Fahrplan in den Betriebshof in Bochum-Riemke geschleppt wird.

Die ältesten Fahrzeuge der Bochumer Linie U 35 sind aus dem Jahr 1989 und haben schon rund drei Millionen Kilometer auf den Schienen zurückgelegt. „Da wir über mehr Fahrzeuge verfügen, als beim regulären Betrieb auf der Strecke sind, haben wir auch immer die Möglichkeit, einen Zug direkt zu ersetzen“, so Wißner. Die ältesten Fahrzeuge der Campuslinie U35 sind aus dem Jahr 1989 und haben bis jetzt schon rund drei Millionen Kilometer auf den Schienen zurückgelegt. Eines der häufigsten Verschleißteile bei diesen Wagen ist die Stromabnehmer-Schleif leiste, die die Fahrzeuge aus der Oberleitung mit Strom versorgt. „Solche Teile werden auch ohne Defekt regelmäßig ausgetauscht, um einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen.“

Und wenn doch? Dann gibt es zwischen den Stationen sogenannte Kehrgleise, die von den Bahnen genutzt werden, um die Fahrt-

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INTERVIEW

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Vor allem Spaß Sven Regener und Element of Crime Seit bald 35 Jahren ist Sven Regener Sänger und Songschreiber der Band Element of Crime. Währenddessen wurde er mit seinen Büchern – von Herr Lehmann über Neue Vahr Süd bis Wiener Straße – zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Romanciers. Mit seiner Band kommt er im Mai in die Bochumer Jahrhunderthalle. Ein Gespräch über das Tourleben und die jahrzehntelange Schicksalsgemeinschaft Element of Crime. Text: Peter Hesse | Fotos: Charlotte Goltermann

Der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer sagte einmal, dass Kunst einen Schrecken haben muss – denn sonst wäre sie nur Dekoration. Geben Sie ihm Recht? Und wenn ja: Wie inszenieren oder übersetzen Sie den „Schrecken“ in einen Element of Crime-Song? Mir ist das zu schematisch gedacht. Auch der Schrecken kann Dekoration sein. Und Kunst und Dekoration sind kein Gegensatz. Ich würde eher von einem dunklen Kern im Kunstwerk sprechen, den man nicht eindeutig erklären kann. Das Rätselhafte, Zweideutige ist das, was Kunst vom Kunsthandwerk unterscheidet. Davon ist viel im Werk von Element of Crime. Aber es liegt im Wesen dieser Dinge, dass man sie eben nicht einfach beschreiben oder aufzählen kann. Sonst bräuchte man ja die Kunst nicht. Die Aufgabe der Kunst sei es, so sagten Sie mal an anderer Stelle, sich mit der eigenen Existenz auszusöhnen. Was versöhnt Sie denn? Alles, was Spaß macht. Ihr aktueller Albumtitel „Schafe, Monster und Mäuse“ klingt auch irgendwie nach Spaß. Das ist nun das zehnte deutschsprachige Element of Crime-Album. Wäre es derzeit noch einmal denkbar, eins komplett wieder in englischer Sprache zu veröffentlichen? Denkbar wäre das schon, aber es drängt uns im Augenblick nichts dazu. Es gibt noch so viele Songs auf Deutsch zu schreiben. Wir haben aber in den Nullerjahren mal für einen Film einen Song geschrieben, der hieß „Death Kills“, der hat uns viel Spaß gemacht. Insofern würde ich das nicht ausschließen. Auf dem neuen Album findet sich der Song „Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“. Sie singen dort die Zeile: „Beim Kauf eines neuen Lebens gibt‘s eine Gratis-Zigarre dazu“ – kriegt man ein neues Leben denn nicht mehr geschenkt? Oder wird nach dem Weltuntergang alles nur noch käuflich sein? Sowohl als auch. Oder umgekehrt. Ich weiß es leider nicht. Aber die Zeile ist gut! Und: Wäre das neue Leben geschenkt, würde das mit der Gratis-Zigarre ja keinen Sinn machen. Jedes Lied hat einen Moment, wo ein Fisch anbeißt. Bei „Weißes Papier“ war es zum Beispiel die Zeile „Ich nehm’ deine Katze und schüttel sie aus.“ Wir machen ja immer erst die Musik. Was empfinden Sie, wenn Sie heute über den Kurfürstendamm schlendern? Denn der kommt ja auch im „Weltuntergang“-Song vor... Kaum hat man über die Dinge ein Lied geschrieben, schon sehen sie anders aus, so auch der Ku’damm. Ich habe ja ein gespaltenes Verhältnis zu ihm, und ich weiß noch nicht einmal, wie der plötzlich in das Lied reinkam, aber da ist er nun, und nun gehört er auch ein bisschen mir, ob ich will oder nicht.

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INTERVIEW

Anderes Thema: Lange Reisen, unerträglich lautes Feedback beim Soundcheck oder schlecht gekämmt beim Fotografen-Termin – Gibt es in ihrem Musikerdasein etwas, was sie auf den Tod nicht leiden können? Fotosessions und Videodrehs sind natürlich die eigentlich unmusikalischsten Seiten der Sache, insofern habe ich sie früher oft als eher lästig empfunden, aber auch das hat sich mit der Zeit gelegt. Man muss einen eigenen Zugang und die richtigen Leute dazu finden, dann geht es. Mit Gitarrist Jakob Ilja spielten sie schon vor Element of Crime bei der Band „Neue Liebe“ zusammen und mit Schlagzeuger Richard Pappik nun auch schon 35 Jahre. Was bedeutet es, so lange als Band zusammen zu spielen? Wir haben kein inneres Regime, wo es einen Boss gibt, es läuft alles von alleine. Da kann man auch mal zum Proben eine Viertelstunde zu spät kommen – wo ist das Problem? Wenn eine Band so wäre, dass man sich schief ankuckt, weil einer zu spät zum Musizieren kommt, dann würde sie nicht lange existieren. Man macht das ja nur so lange, weil es Spaß macht, weil es besser ist als alles andere und dazu immer noch neue Dinge passieren, neue Songs und so was. Wenn das mal aufhört, also wenn man dem, was man hat, nichts Neues mehr hinzufügen kann, dann wird es wahrscheinlich schwer. Aber so weit sind wir noch nicht. Ab Ende April kommen Element of Crime mit rund 20 Terminen auf große Tour – und spielen kreuz und quer von

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Wien bis Berlin. Wie hält man sich auf langer Strecke fit? Wir sind ja unter sehr luxuriösen Bedingungen unterwegs, und zwei Stunden Musik zu spielen ist vor allem Spaß. Insofern gibt es da eigentlich keine Probleme. Alle fünf, sechs Konzerte einen Tag frei zu machen ist aber wichtig, sonst leidet irgendwann die Stimme. Aber das gute am Rock’n’Roll ist ja, dass wir unser Geld noch selber verdienen können. Wir sind nicht darauf angewiesen, dass uns ein Senat oder eine politische Stelle unter die Arme greift. Für Leute, die Theater oder Filme machen, ist das ja sehr viel schwieriger. Die brauchen Unterstützung und das schafft ja Abhängigkeiten. Gehen wir mal etwas weiter in den Jahrbüchern zurück: Im Jahr 1992 spielten Element of Crime mehrere Konzerte im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer.

Wie schwer ist es, Support-Act zu sein? Denn die meisten Leute kommen ja wegen der Hauptband... Das war sehr schwer. Man steht ja zwischen dem Publikum und seinem Liebling. Das finden viele nicht gut. Zumal das in Stadien stattfand und viele Kids ganz vorne schon seit Stunden in der prallen Sonne ausgeharrt hatten. Die wollten uns natürlich nicht. Aber Herbert hat die Band immer persönlich angesagt, das war super und hat viel gebracht. Wir machen das seitdem auch immer bei unseren Vorgruppen. Aktuell haben wir Isolation Berlin dabei. Das ist eine Spitzenband und man sollte sie auf keinen Fall verpassen. Wir kennen sie schon länger und sind froh, dass sie mitkommen können. Live: Element of Crime 13. Mai, Jahrhunderthalle Bochum


BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter und Daniel Sadrowski

Sieh erloschen aus Was für ein Ziegelstein, was für eine Abrissbirne dieses Buch ist. Die von ihren Fans beinahe kultisch verehrte Theater-, Romanautorin und Kolumnistin Sibylle Berg hat diesmal den Furor ihrer Gegenwartsanalysen zu einem Roman geformt. Jede andere hätte sich verhoben: Ein radikal politisches Epos, das den Anwendungsfall Überwachungsregime durcherzählt und das sich gegenwärtigem Jugendkultur-Underground auch stilistisch und formal anverwandelt (Grime, GRM, ist das rohe, schnelle Pendant zur US-amerikanischen Hiphop-Tradition). Die Geschichte von Don, Karen, Hannah und Peter, Unterschicht-Kids aus Rochdale im kaputten englischen Nordwesten, erschlägt zuerst mit Brachialität. Es ist eine Leistungsschau der Verheerungen des Spätkapitalismus. Die Schilderungen aus der Ex-Working-Class mit den verzweifelten, süchtigen Alleinerziehenden, der allgegenwärtigen (sexualisierten) Gewalt, den völlig verrohten Kindern sind kaum auszuhalten. GRM ist kalt nur als Spiegel einer wahrhaft monströsen Wirklichkeit. The kids are alright, würde der Text gern sagen, wenn es nur stimmte.

Schreib alles auf Das Buch „Aus dem Dachsbau“ von Dirk von Lowtzow, dem Sänger der deutschen Rockband Tocotronic, ist quasi als Ableger des aktuellen Albums der Band „Die Unendlichkeit“ entstanden. Die Arbeit an den autobiografischen Texten und speziell der Song „Unwiederbringlich“ über den Tod eines engen Kindheitsfreundes haben den Sänger dazu bewegt, weiter zu schreiben. Herausgekommen ist dabei eine Enzyklopädie von schwärmerischen, sehnsüchtigen bis fantastischen Einträgen. Diese fügen sich angereichert mit Fotos und Zeichnungen (ein Berufswunsch von Dirk von Lowtzow war Comiczeichner) zu einem facettenreichen Mosaik zusammen, über einen, der auszog, um Punk zu werden.

Wenn Science Fiction die Freude am Prognostischen ist, ist GRM ein Gegenwartstext. Hier wird nichts erfunden, hier wird mit unerbittlicher Optik fixiert, was ist, und ins Bild gesetzt, was so eben noch nicht ist. Beindruckend. (bp)

Mit A wie Alexander, der Erzählung über die Freundschaft zum Kindheitsfreund, der ersten gemeinsamen Punkband und seinem frühen Tod startet das Buch. Z wie Zeit steht am Ende der enzyklopädischen Streifzüge des Erzählers durch Raum, Zeit und seine Erinnerungen. Im Traum erscheint ihm der verstorbene Freund mit dem Rat: „Schreib alles auf. Dann wirst du lernen, die Zeit zu überlisten. Das ist das ganze Geheimnis. Das ist das einzige Gesetz.“ (ds)

Sibylle Berg | GRM. Brainfuck ISBN: 978-3-462-05143-8 Kiepenheuer & Witsch 640 S. | 25 Euro

Dirk von Lowtzow | Aus dem Dachsbau ISBN: 978-3-462-05079-0 Kiepenheuer & Witsch 192 S. | 20 Euro

Begrab den Hund Wer mal eins der Screwball-Interviews gesehen hat, mit denen die „Ärzte“ Bela B und Farin Urlaub MusikjournalistInnen zu überforderten Stichwortgebern machten, ahnt etwas. Wer sich dann noch anschaut, was sich der Schlagzeuger mit dem bürgerlichen Namen Felsenheimer außerhalb der „besten Band der Welt“ in den vergangenen Jahren für Betätigungsfelder und popkulturelle Referenzrahmen geschaffen hat, ist nicht völlig überrascht beim Lesen. „Scharnow“ ist ein Koffer voller Räuberpistolen. Mit sichtbarem Spaß hat Felsenheimer in einem fiktiven Ort am Rande Berlins heilloses Chaos angerichtet. Eine Trinker-WG mit Manifest überfällt nackt einen Supermarkt, ein „Bund skeptischer Bürger“ plant einen Anschlag, eine Art Marvel-Held erhält eine Diagnose. Es gibt Eichhörnchen und Agenten, Literaturkritiker, Erotiktänzer und syrische Praktikanten, und der einzige Soundtrack ist „Fiesta Mexicana“. Wild fabulierte Superhelden-, Thriller-, Mystery- und Provinztristesse-Erzählstränge werden notdürftig zusammengehalten und gemeinsam zu einem überbordenden Schundroman. Pulp Fiction in Brandenburg. Für den Autor ist es ein „Heimatroman mit FantasyElementen“ (bp) Bela B Felsenheimer | Scharnow ISBN: 978-3-453-27136-4 Heyne | 416 S. | 20 Euro

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KULTUR INTERVIEW

Der historische Stadtkern von Hattingen-Blankenstein wirkt wie eine Postkarten-Idylle. Zwischen Kirchvorplatz, kleinen gepflasterten Gassen und netten Einzelhandelsgeschäften hat sich hier in einem 35 Quadratmeter kleinen Ladenlokal die temporäre Galerie „Kleine Affäre“ etabliert. Erstaunlicherweise geben sich hier Kabarettisten und Autoren von Rüdiger Hoffmann über Wigald Boning bis Frank Goosen die Klinke in die Hand. Von Peter Hesse | Foto: Daniel Sadrowski

Kleine Affäre

„Die Welt in Ordnung bringen“ Als wir an einem Montagabend Uli Wilkes treffen, hat er gerade den Schauspieler und Kabarettisten Jochen Busse vom Bahnhof abgeholt und begleitet ihn zu seiner Garderobe. Anschließend steht er für uns zum Gespräch bereit. „Du musst die Welt in Ordnung bringen“, sagt er, als sei das unterschwelliger Masterplan. „Irgendwann hat eine Nachbarin angefangen, hier einen Tisch nach draußen vor die Tür zu stellen. Meine Frau und ich haben uns dazu gesetzt – und festgestellt, so ist es doch viel schöner als bei uns im Garten.“ Der wurde irgendwann kaum noch genutzt. Bald gab es immer mehr Sitzmöglichkeiten im historischen Stadtkern von Blankenstein. Vor dem Yogastudio steht mittlerweile ein altes Boot, das zu einer Sitzbank mit fünf Plätzen umgebaut worden ist. „Inzwischen haben wir vor fast jedem Haus Tische

und Stühle. Wenn man Lust hat, bringt man eine Flasche Wein mit, setzt sich dazu und quatscht.“ Das ist der Vibe, der einem hier entgegenspringt. Dazwischen gibt es einen Frisör, eine Eisdiele, eine Whisky-Bar, ein griechisches Restaurant und seit August 2018 die „Kleine Affäre“, die als Nachbarschaftsinitiative geführt wird. Zwölf Nachbarn hatten sich in das frei gewordene Ladenlokal verliebt, investierten Geld und viele Stunden Arbeit – und brachten so ganz viel Leben in die nur 35 Quadratmeter große Allzweck-Galerie, die sich durch Verkäufe selbst tragen soll. Frank Goosen war nach seinem Auftritt im Februar so begeistert, dass er versprach, als Gast wiederzukommen. Mit Auftritten, Lesungen und Kunstausstellungen soll nicht nur das Leben in Blankenstein bereichert werden, hin und wieder

werden auch Bedürftige unterstützt. Normalerweise gibt es bei Lesungen 45 Plätze, heute, bei der Benefiz-Lesung mit Jochen Busse, sind es sogar 50. Jochen Busse gehört zum Urgestein des deutschen Unterhaltungsfernsehens, seit Jahrzehnten ist er als Schauspieler und Kabarettist erfolgreich. Busse machte Kabarett im Düsseldorfer Kom(m)ödchen und viele Jahre mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. 1969 war er im Film „Ellenbogenspiele“ von Wolfgang Becker der erste nackte Mann im deutschen Fernsehen, an der Seite von Mike Krüger und Thomas Gottschalk spielte er im Klamauk „Die Supernasen“ mit, und im Ensemble mit Kalle Pohl, Rudi Carrell oder Bernd Stelter moderierte er als Conferencier den RTL-Talkshow-Klassiker „7 Tage, 7 Köpfe“. An einem freien Tag ist er heute nach Hattingen gekommen, um ein paar ausgesuchte

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Texte vorzulesen. Warum er nach Blankenstein gekommen ist? „Ich kenne den Uli Wilkes ja von Berufs wegen her. Vor ein paar Jahren hat er die Pro-GmbH-Fernsehproduktions-Firma von Alfred Biolek übernommen. Er stellt sich nicht gerne in den Vordergrund – aber ich finde toll, was er hier mit der ,Kleinen Affäre‘ aufgebaut hat.“ Am Ende kommen an diesem Abend 1.810 Euro zusammen, eine stolze Summe. „In der Grundschule meiner Kinder ist mir

aufgefallen“, sagt Uli Wilkes, „dass sich eine Mutter nicht an einem Abschiedsgeschenk beteiligen konnte, weil sie das Geld dafür nicht auf bringen konnte. Nach einem Gespräch mit den beiden Pfarrern hier habe ich erfahren, dass es viele Familien gibt, die sich tatsächlich nichts leisten können. Und die wollen wir mit unserem Beitrag etwas unterstützen, wenn es bei denen mal hakt.“

Termine 9. Mai: Vernissage mit Werken von Vera Lossau und Tobias Grewe 10. Mai: Susan Weinert Rainbow Trio 17. Mai: Kabarett mit Kai Magnus Sting (ausverkauft) 25. Mai: Comedy mit Rüdiger Hoffmann (ausverkauft)

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„Straßen Bildung“ Hallo, ich war gestern überrascht, als ich im Kaufland in Hombruch eine Obdachlosenzeitung gekauft habe, die gar nicht bodo war. Ich habe sie mal mitgenommen, weil der Verkäufer bedürftig aussah. Allerdings ist die Zeitung mit dem Titel „Straßen Bildung“ unsagbar schlecht gemacht. Die Inhalte scheinen irgendwo im Internet kopiert zu sein, es gibt noch nicht mal ein Impressum, und der Mensch, der das Vorwort unterschrieben hat, ist im Internet nicht zu finden. Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht. Das Schlimmste aber ist, dass auf der Titelseite der Satz steht: „Der Weiterverkäufer dieser Zeitung haftet selbst für diesen Inhalt. Mit Weiterverkäufer ist in diesem Sinne der Obdachlose gemeint.“ Kennt man bei Euch diese Zeitung? Das ist ja eine unglaubliche Frechheit und Abzocke! Viele Grüße, S. M. Lieber Herr M., vielen Dank für Ihre Nachricht. Ja, wir kennen die „Straßen Bildung“, auch unter dem ebenfalls schrägen Namen „Sparsam lesen“. Unsere Düsseldorfer und Kölner KollegInnen haben damit ganz regelmäßig Kontakt, in Hannover wird sie auch verkauft. In der Tat ist sie erst einmal ein gedruckter Rechtsverstoß. Ein Impressum ist in Deutschland Pflicht, die Texte erscheinen ohne Nennung und so wohl auch ohne Zustimmung der Urheber. Das einzige Ziel ist es, äußerlich die etablierten sozialen Straßenmagazine so zu kopieren, dass sie wie in Ihrem Fall in gutem Glauben gekauft werden, oder dass sie als „Bettelhilfe“ vor Sanktionen durch Polizei und Ordnungsamt schützen, weil auch Amtsträger sie mit den bekannten sozialen Projekten verbinden. Das wirklich Ärgerliche für uns ist, dass das Modell der sozialen Straßenzeitungen zur persönlichen Bereicherung missbraucht wird – wohl bemerkt der Macher, nicht der Verkaufenden. Letztere weisen wir auf unsere Angebote hin und freuen uns, wenn sie zu uns kommen. Denn schließlich geht es uns sozialen Straßenmagazinen auch darum: den Zugang zu Hilfsangeboten zu erleichtern. Über den Ort, an dem Sie das Heft gekauft haben, wundern wir uns leider nicht. An Supermärkten, an denen regelmäßig bodo-Verkäufer verkaufen – meist mit guter Anbindung, mit persönlichem Kontakt zu MitarbeiterInnen usw. –, gibt es in aller Regel keine Probleme. Leider untersagen uns die KauflandMärkte den Verkauf, auch vor der Tür. Das führt dann dazu, dass Platz frei wird für diejenigen, die diese Regeln nicht kennen oder entscheiden, sich nicht daran zu halten. Viele Grüße von bodo, Bastian Pütter redaktion@bodoev.de


RÄTSEL

Eigentlich wollten wir in diesem Heft unseren weitgereisten Verkäufer Artur vorstellen. Als wir ihn dann länger nicht trafen, machten wir uns der kalten Nachttemperaturen wegen Sorgen. Nun kam Entwarnung aus Hamburg. Eine Kollegin schickt Fotos und lässt Grüße bestellen. Bis bald Artur.

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Fridays for future Eure Titelgeschichte zu den Schülerstreiks fürs Klima hat mir sehr gut gefallen. In dieser Woche wurden die Forderungen der „Fridays for future“ an die Politik öffentlich. Vom schnellen Kohleausstieg bis zu einer CO2-Steuer, die vor allem Fliegen teurer machen würde, erscheint mir das alles richtig, sinnvoll und umsetzbar. Ich hoffe wirklich, die Politik nimmt sich dieser Forderungen an. Auch Euch weiterhin viel Erfolg, S. B. bodo 04.19

Wenn Zivilgesellschaft zu politisch ist In extrem rechten Vereinen wie Uniter wird – steuervergünstigt – die Machtergreifung vorbereitet, während der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN / BdA (mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano als Ehrenvorsitzenden) die Gemeinnützigkeit entzogen werden soll. Mehr muss man über den Rechtsruck in Deutschland nicht wissen.

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

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Mit solidarischem Gruß, H.F.

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Arad – Birmingham – Ruhrgebiet Seit zweieinhalb Jahren lebt Vilmos mit seiner Familie in Witten. Am Rewe-Markt in Bochum-Langendreer hat er seinen Verkaufsplatz. Wir haben mit ihm über sein Leben in Rumänien, England und Deutschland gesprochen.

A Text und Foto: Sebastian Sellhorst

ls wir an Vilmos‘ Verkaufsplatz ankommen, hilft er gerade einer Kundin mit einem Einkaufswagenchip aus. Nachdem sie sich verabschiedet hat, suchen wir uns einen Sitzenplatz in der Nähe, und Vilmos beginnt zu erzählen. Eigentlich komme er ja aus Arad, einer Stadt in Westrumänien, etwa 20 Kilometer von der Grenze zu Ungarn entfernt. „Meine Mutter ist Ungarin und mein Vater kommt aus Rumänien. Dort lebe ich aber schon sehr lange nicht mehr“, so der 34-Jährige. Vor fast zehn Jahren bewegt die wirtschaftliche Situation ihn dazu, das Land zu verlassen. „Ein Freund von mir war einige Monate zuvor nach England gegangen und hatte dort einen Job auf einer Baustelle gefunden, das wollte ich auch machen“, erzählt er uns. Der Plan geht auf. Vilmos zieht mit seiner Familie nach England. In Birmingham findet er einen Job als Hilfsarbeiter. „Ich habe auf dem Bau gearbeitet, Malerarbeiten gemacht und bei Renovierungen geholfen.“ Das erste Mal mit Straßenzeitungen in Kontakt kommt er, als er seinen Job verliert und die britische Straßenzeitung The Big Issue verkauft. „Vor zweieinhalb Jahren mussten wir dann England wieder verlassen. Da war uns aber sofort klar, dass wir nicht zurück nach Rumänien wollen. Dort kannst du kaum eine Familie durchbringen“, erzählt er. „Mit den Jobs, die ich in Ru-

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mänien hatte, bin ich, wenn es gut lief, auf 2.000 rumänische Leu gekommen, was in etwa 400 Euro entspricht. Damit eine Familie zu ernähren, ist nicht einfach.“ Mit dem Bus macht sich Vilmos zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern auf den Weg nach Deutschland. „Zuerst haben wir bei Verwandten gewohnt, dann haben wir eine Wohnung in Witten gefunden, die mir ein Bekannter vermittelt hat.“ Seit fünf Monaten macht Vilmos jetzt einen Deutschkurs. „Viermal in der Woche muss ich nach dem Verkauf noch lernen. Das meiste habe ich aber hier am Verkaufsplatz gelernt.“ Jetzt müsse er nur noch die Grammatik in den Griff bekommen. „Wenn ich den Kurs abgeschlossen habe, kann ich mich nach Jobs umsehen. Meine beiden Töchter sprechen schon sehr viel besser Deutsch als ich.“ Seine jüngere Tochter wird dieses Jahr eingeschult. Ihre große Schwester ist 12 und geht in Witten auf die Realschule. „Die freuen sich jetzt gerade auf Ostern. Da ich katholisch bin und meine Frau rumänisch-orthodox, können sie sogar zweimal feiern. Das ist ihnen ganz recht, so bekommen sie zweimal Süßigkeiten und Schokolade.“ Während wir uns in der Mittagssonne unterhalten, kommt die Kundin mit dem Einkaufschip zurück, bedankt sich bei Vilmos und kauft eine Zeitung. Das sei einer seiner Tricks. „Ich habe immer ein paar Chips für die Einkaufswagen in der Tasche, falls mal jemand kein Kleingeld dabei hat, helfe ich ihnen aus. Die Leute nehmen dann fast immer ein Magazin mit, wenn sie wieder gehen.“


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Europa lässt sich berechnen. So ist Berlin verdammt weit weg für uns hier im Westen. Von meinem Schreibtisch aus sind es 502 Kilometer in die deutsche Hauptstadt, aber nur 223 nach Amsterdam. Brüssel kommt auf 273 km, Luxemburg auf 298. Drei zu eins für die EU also. Man könnte sagen: Europa ist naheliegend für uns Ruhris. Europa lässt sich auch buchstabieren. Der Reihe nach: E wie Energie. Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fing alles an. Letztes Jahr habe ich fast geheult, als ich auf Zeche Zollverein die Gründungsurkunde für die EGKS sehen durfte. Europa? Das ist das Ruhrgebiet. Apropos: Castrop-Rauxel war für mich als Blag ein naher, ferner Traum. Warum? Man nannte sich „Europastadt“. Das klang nach großer, weiter Welt. Nach Castrop-Rauxel aber kam ich dann erst Jahre nach meiner ersten Amsterdamfahrt. U wie Umwelt. Manchmal blödsinnig symbolisch, so etwas wie das Strohhalmverbot. Aber Klima und Katastrophe bremsen nicht an Grenzen. „Liebes Klima, bevor Sie hier eskalieren, bitte erst einmal den Reisepass!“ Oder U wie Uploadfilter. Sehr deutscher Lärm um den Versuch, Rechte der Kreativen im Europa 4.0 zu erhalten. Es scheint so, als habe jeder Mitgliedsstaat sein eigenes Feld, auf dem Ressentiments gegen „die in Brüssel“ wachsen und gedeihen. Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

R wie Reisen. Grenzenloses Glück für Reisende und Bereiste. O wie Opa. „Euer Opa nach Europa“. Das war doch dieser olle Anti-Europa-Spruch. Hallo?! Wähler dieses Landes, schaut auf

Samstag

31 AUGUST

Eintritt frei! KONSTANTIN WECKER LIVE

d platz, Dortmun 2030 Friedens Spitzenklasse ‚ Irish Folk der 00 Five Alive O – 19 SIE MIT UNS! o.de • FEIERN 100-jahre-aw

Katarina Barley. Weniger Opa geht nicht. Oder auf Guido Reil. Mehr politische Demenz geht in dem Alter kaum. P wie Panik. Greta Thunberg will, dass wir in Panik geraten. Bitte nicht, wenn es um Europa geht. Liebe braucht Zeit. (Gibt es eigentlich eine grenzüberschreitende Vaterlandsliebe?) A wie Arbeit. Europa ist schön, macht aber viel Arbeit. Ach ja, und abstimmen am 26. Mai - alle!

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Ruhr Ding: Territorien

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Eine Ausstellung im öffentlichen Raum

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