bodo April Mai 2020

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bodo DAS STRASSENMA

04 | 05 | 20 Die besten Geschichten auf der Straße

G A Z IN

5 Euro Die Hälfte für unsere Verkäufer

WIE OBDACHLOSE „ZU HAUSE“ BLEIBEN

2.000

PUNKKONZERTE

Die SolidaritätsVersandbodo

C I B O R E A N K R ISE T Z C O RO N A O R T N E H C A M R E T I WE

OLI HILBRING

Mit OnlineAusgehtipps Seite 25

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Oli Hilbring

Von Peter Hesse

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: Alexandra Gehrhardt, Guido, Peter Hesse, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Samuel Müller, Bastian Pütter, Petra von Randow, Sophie Schädel, Sebastian Sellhorst, Knut Unger Titel: Remo Casilli / Reuters Bildnachweise: Remo Casilli / Reuters (S. 45), Tim Kramer (S. 26), Samuel Müller (S. 32, 33, 34, 35), Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 6, 14, 15, 16, 17, 20, 21, 22, 23, 24, 30, 40, 41, 42), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 12, 13, 36, 38, 46), Shutterstock.com (S. 24)

„Bleiben Sie zu Hause!“

Redaktions- und Anzeigenschluss: für die Juni-Ausgabe 10.05.2020 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 06. 2019 Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de

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„Social Distancing“ – das Abstandhalten zum Gegenüber kennen Wohnungslose nur zu gut. Die Forderung, in der eigenen Wohnung zu bleiben, nimmt mancher noch mit Humor. Dass sogar Nothilfeeinrichtungen schließen müssen, hätte kaum jemand für möglich gehalten. Von Bastian Pütter

Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung

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Für den Bochumer Cartoonisten ist das Zeichnen seiner Figuren mit den markanten Nasen „das Verdichten einer Situation.“ Ein Gespräch über Bewegungsfreiheit, flache Freitage, Charlie Hebdo und die Komplexität der Welt, die gar nicht zunimmt, sondern nur sichtbarer wird.

20 Jahre selber machen

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Seit zwei Jahrzehnten ist Fö, der eigentlich Felix heißt, mit seinem Online-Punk-Fanzine „Bierschinken“ und dem dazugehörigen Festival fester Bestandteil der Musikszene des Ruhrgebiets. Ein Rückblick auf 2.000 Konzertbesuche und das Rezept für einen schönen Abend. Von Sebastian Sellhorst

Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de Buchladen, Spendenannahme Dortmund: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Spendenannahme Bochum: Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10, 44803 Bochum Mo. 10 – 13 Uhr, Sa. 10 – 12 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Henriettenstraße 36, Ecke Bessemerstraße 44793 Bochum, Mo., Do., Fr. 11 – 14 Uhr Di. 11 – 17.30 Uhr, Mi. 8 – 14 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Guido, bodo-Verkäufer in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, vielleicht ist dies die erste bodo, die Sie aufgrund der Corona-Krise nicht bei mir oder einer meiner Kolleginnen oder Kollegen auf der Straße gekauft haben, sondern die per Post oder digital zu ihnen gekommen ist. Ich hoffe, dass die Situation nicht lange so bleibt und wir bald alle wieder auf die Straße können. Zum einem fehlt mir die Beschäftigung, aber auch meine Kundinnen und bodoKollegen würde ich gerne mal wieder treffen. Und der Verdienst fehlt natürlich auch. Jetzt draußen zu sein wäre Mist. Zum Glück habe ich seit Anfang des Jahres eine Wohnung in Alt-Scharnhorst, die ich über eine Kundin bekommen habe. Drei Monate lang habe ich dort selbst renoviert und darf dafür dort jetzt für kleines Geld wohnen. Vorher war ich in einer WG. Das wäre jetzt in diesen Zeiten nicht so schön. Leider habe ich keinen Internetanschluss, von daher ist man schon sehr eingeschränkt und bekommt nicht so viel mit. Ich drücke die Daumen, dass wir uns bald wieder auf der Straße treffen. Viel Spaß beim Lesen und bleiben Sie gesund, Ihr Verkäufer Guido

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EDITORIAL

04 07 08 12 14 18 18 19 19 20 25 26 30 32 36 38 39 40 43 44 45 46

Liebe Leserinnen und Leser,

Menschen | Oli Hilbring Straßenleben | Weitermachen!

eins erschien uns in unserer Arbeit bislang sicher: Unangefochten von veränderten Rezeptions- und Lesegewohnheiten, von Digitalisierung, Paywalls und Zeitungssterben ist das Straßenmagazin ein Straßenmagazin. Wir machen unsere Arbeit für unsere Verkäuferinnen und Verkäufer, für den direkten Kontakt zwischen Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, für den mit Händen zu greifenden Erfolg, unser Magazin an die Frau und den Mann zu bringen. Und nun das.

Neues von bodo Reportage | Wohnungslosenhilfe in der Krise Reportage | Letzter Stop: Intershop! Das Foto Mieten & Wohnen | Corona Kommentar | Der Furor der Entschlossenheit Die Zahl Reportage | Nachbarn auf der Bühne Wilde Kräuter | Japanischer Knöterich Online-Ausgehtipps bodo geht aus | Milchmichl

Mit Corona ist unser seit 25 Jahren erfolgreiches Modell, Menschen in tiefen Krisen im wahrsten Sinne etwas in die Hand zu geben, um diese Krise zu überwinden, von einem auf den anderen Tag von der Straße gefegt worden.

Reportage | „Ich bin wie ich bin, okay?“ Soziales | Wohnungsbau Soziales | „Leib und Leben“ Bücher

Weil wir trotzig und etwas stur sind, und vor allem weil wir es den vielen Menschen in Not schulden, machen wir weiter. Vorerst gibt es bodo im Netz und im Postumschlag, zum Solidaritätspreis. Mindestens die Hälfte davon und alle Spenden verwenden wir für konkrete Hilfe auf der Straße und schauen dabei zusätzlich, wie wir unsere fast vierzig MitarbeiterInnen und unseren Verein, der immer auf staatliche Regelförderungen verzichtet hat und lieber selbst Geld verdiente, durch die schwierige Zeit bringen.

Interview | 20 Jahre selber machen Eine Frage… | Schieber und Hydranten bodo Shop | Leserpost Leserpost | Rätsel Verkäufergeschichten | Wohin ohne Wohnung?

Hier nun also die bodo in Zeiten von Corona mit Geschichten, von denen einige wie aus einer lange vergangenen Zeit wirken, oder – lassen Sie es uns so sehen – wie aus einer nahen und besseren Zukunft. Kommen Sie gut durch die Krise.

Ihre Meinung ist uns wichtig. Seite 44

Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Die Corona-Krise trifft uns hart. Unsere Arbeit finanziert sich ohne staatliche Mittel und zum allergrößten Teil durch eigene Einnahmen. Die bleiben zurzeit fast vollständig aus. Mit Ihrer Hilfe schaffen wir es durch die Krise.

Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

„Ein Cartoon ist das Verdichten einer Situation“

Oli Hilbring geboren 1967 in Herne Wohnort: Bochum Familienstand: verheiratet, drei Kinder Lebensmotto: „Leichtigkeit finde ich mit meinem Übergewicht super wichtig!“ Aktuelles Buch: „Mit der Lizenz zum Totlachen. Cartoons im Auftrag Ihrer Majestät“ Schließlich wird der Wattenscheider James Bond in diesem Jahr 100.

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Mit Cartoon-Bänden zu Alltagsmerkwürdigkeiten hat der Bochumer Oli Hilbring seine Figuren mit den markanten Nasen zu erstaunlicher Bekanntheit gebracht. Nach einer Lehre als Schaufensterdekorateur in Witten und einigen Umwegen ist er heute Creative Director einer großen Düsseldorfer Werbeagentur. Doch die große Leidenschaft des Schalke 04- und AC/DC-Fans ist das Zeichnen von komischen Situationen. Von Peter Hesse | Fotos: Daniel Sadrowski

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er Startschuss zum professionellen Zeichnen fiel bei Oli Hilbring vor fast drei Jahrzehnten. Im Jahr 1992 veröffentlichte der Junge aus Herne, der seit vielen Jahren in Bochum wohnt, seinen ersten Cartoon für das Ruhrgebietsmagazin Marabo. Doch diesen Posten verlor er bereits drei Ausgaben später an den Essener Zeichner Jamiri. Das hat ihn nicht vom Zeichnen abgehalten. Im Gegenteil: Täglich bringt er Ideen aufs Papier. Manche zünden sofort, andere hält der Cartoonist zurück. Landen seine Zeichnungen auch schon mal im Papierkorb? „Ich habe eine Kiste, in der ich Ideen sammle“, sagt Oli und ergänzt: „Die ist randvoll – da ist sicherlich auch ganz viel Schrott drin. Ich hab meist eine klare Grundidee von einem Gag im Kopf – und wie man diese dann umsetzen kann. Es gibt aber auch viele Cartoons von mir, die ich heute nicht mehr leiden kann – weil die zu platt sind oder deren Aussage mir inzwischen zu blöd ist. Aber ich würde schon sagen, dass ich relativ zielgerichtet arbeite.“

„Am Anfang meiner Karriere habe ich immer sehr lange Texte in die Sprechblasen gezeichnet, weil ich versucht habe, den Witz zu erklären – oder vorzubereiten. Mit den Jahren habe ich gelernt, die jeweilige Situation auf ein Minimum zu reduzieren.“

Dann sprechen wir in schneller Schlagzahl über rechte Tendenzen in Deutschland, Verschwörungstheorien, Autobahnfahrten, Fridays for Altersarmut, Pflegehunde aus Rumänien und unregelmäßige Arbeitszeiten. Oli probiert irgendwann, das große Ganze auf eine Formel zu bringen: „Der Autor Lukas Wilhelmi schrieb mal im Magazin Spex: Die Welt an sich ist nicht komplizierter geworden, die Komplexität der Welt ist vielmehr sichtbarer geworden. Die ganzen Probleme, die es immer schon gab, sehen wir jetzt viel klarer.“ Komplexität zu reduzieren, um Zusammenhänge erfahr- und erfassbar zu machen, wird zur Kernkompetenz. Und der Cartoon zur Kür: Wie gelingt es, einen Sachverhalt auf zwei Personen mit zwei Sprechblasen runterzubrechen – und dann noch mit einer Pointe zu versehen? Oli überlegt kurz und antwortet dann: „Ein Cartoon ist das Verdichten einer Situation. Meistens erklärst du etwas, kurz bevor ein Malheur passiert – oder kurz danach. Oftmals ist das ein Wechselspiel zwischen Aktion und Reaktion. Am Anfang meiner Karriere habe ich immer sehr lange Texte in die Sprechblasen gezeichnet, weil ich versucht habe, den Witz zu erklären – oder vorzubereiten. Mit den Jahren habe ich gelernt, die jeweilige Situation auf ein Minimum zu reduzieren.“

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MENSCHEN

Seine Gags funktionieren einfach: Wie heißt der Heizungsmonteur im Asterix-Comic? Thermomix – Klamauk entsteht bei Oli Hilbring aus einer Form von organisierter Leichtigkeit: „Es gibt schon mal Geistesblitze, klar. Aber meist kreist du mit deinen Gedanken ein Thema ein und denkst dann länger darüber nach.“ Dabei ist es oft erstaunlich, wie schnell Oli agiert. Kurz nach den Agenturmeldungen etwa über die Todesfälle von BVB-Torhüter Hans Tilkowski oder Monty Python-Mitglied Terry Jones setzt er sich an den Zeichentisch, entwirft eine Zeichnung dazu und veröffentlicht diese umgehend auf seinem Facebook-Account. 150.000 Fans folgen den gezeichneten Kommentaren zum Tagesgeschehen und erfreuen sich an der „schön doofen“ wöchentlichen Reihe „flacher Freitag“.

„Wenn du Cartoons machst, checkst du die jeweilige Sachlage anders. Du läufst mit einem anderen Blick durchs Leben und versuchst, das Erlebte in eine Zeichnung münden zu lassen. Manchmal fällt mir da schnell was ein, manchmal aber auch nicht. So wie Autoren an anderer Stelle ein kleines Stück schreiben – so zeichne ich einfach ein Bild.“ Auch das Satire-Gewerbe kennt die Sprachlosigkeit. Vielen seiner Kollegen ist der Anschlag auf das französische Magazin Charlie Hebdo im Januar 2015 sehr nahe gegangen: „Ich persönlich habe bislang noch keinen Beweggrund gehabt, Mohammed-Karikaturen zu zeichnen“, sagt Hilbring, „aber ich weiß noch sehr gut, dass alle Zeichner in meinem Umfeld sehr geschockt über dieses Attentat waren. Sicher, ich bin natürlich hier und da gesellschaftskritisch – oder in irgendeiner Form auch politisch unterwegs. Was nach einem Cartoon gegen die AfD schon im kleinen Rahmen los ist und was für Irre aufgrund von Satire durchdrehen, stimmt mich auf jeden Fall sehr nachdenklich.“ Das Leben des Bochumer Cartoonisten sieht in der Außenansicht nach viel Action aus: Der Düsseldorfer Fulltime-Job, ein Familienleben mit drei Kindern und einem Hund, regelmäßig erscheinende Bücher, ein wöchentlicher Fußball-Cartoon für den „Reviersport“. Außerdem sind seine großnasigen Zeichnungen schon in der ARD-Sportschau, der NRZ und der Fußballshow von Arnd Zeigler aufgetaucht. Wie funktioniert das alles? Das beantwortet Oli pointiert mit einem Zitat aus dem Film „Platoon“: „In der Schlussszene will Willem Dafoe noch mal mit seinem Gewehr in den Dschungel und Charlie Sheen will mitkommen, worauf Dafoe sagt: ,Ich geh’ lieber alleine, da kann ich mich schneller bewegen.‘ Das kannst du in allen möglichen Lebenslagen anwenden.“

„Wenn du Cartoons machst, checkst du die jeweilige Sachlage anders. Du läufst mit einem anderen Blick durchs Leben.“

Und Oli Hilbring hat in seiner maximalen Bewegungsfreiheit noch weitere Vorlieben. Unter dem Signet „Zwei Stricher packen aus“ geht er mit seinem Kollegen Michael Holtschulte auf Cartoon-Comedy-Tour. Oder er tritt als Schauspieler in der Ruhrgebiets-Klamotte „Glanz, Gesocks & Gloria“ (Regie: Gerrit Starczewski) auf, wo er einen abgetakelten Conferencier spielt, der im Film eine Wahl zur Miss Brieftaube moderiert: „In dieser Rolle als Rainer Tresch bin ich ziemlich aufgegangen – so ganz nach dem Udo Lindenberg-Motto: Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu.“ Dann lacht er wieder. Und sein gedankenverlorener Blick könnte bedeuten, dass er im Kopf schon den nächsten Cartoon zusammenbastelt.

Oli Hilbring Mit der Lizenz zum Totlachen ISBN: 978-3-8303354-2-9 Lappan 128 Seiten | 14 Euro

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STRASSENLEBEN

Weitermachen!

W Tanja Walter, Geschäftsleitung bodo e.V.

„Die besten Geschichten auf der Straße.“ Seit 25 Jahren machen wir jeden Monat ein Magazin, pünktlich und ohne Ausnahme, mehr als 300 Titel sind es inklusive einiger Sonderveröffentlichungen. Und seit 25 Jahren steht der „Vertriebsweg“ für unsere eigentliche Zielgruppe: bodo gibt es nur auf der Straße.

Die SolidaritätsVersand-bodo online bestellen: www.bodoev.de Die Hälfte für unsere Verkäufer

ir machen unser Heft – seine Gestaltung und seinen Inhalt – für Sie, unsere Leserinnen und Leser. Das Straßenmagazin als Projekt, als „Hilfe zur Selbsthilfe“, machen wir für die gut 200 Menschen, die es verkaufen. Weil wir wissen, dass es hilft. Für eine vierstellige Zahl von Menschen in Not war es bislang die Möglichkeit, mit eigener Hände Arbeit Geld für das Nötigste zu verdienen, und gleichzeitig ein Neuanfang: Die Erfolgserlebnisse beim Verkauf, das Sichtbarwerden, der Kontakt zu Ihnen geben Hoffnung und die Kraft für die nächsten Schritte. In unserer Sozialberatung arbeiten wir dann gemeinsam an den Problemen, die sich um Wohnen, Geld, Ämter, Krankheit und Sucht drehen. Gemeinsam gelingt es uns, Obdachlosigkeit zu beenden. Und nun, nach 25 Jahren, erscheint zum ersten Mal ein Straßenmagazin, für das sich keine Schlangen in unseren Ausgabestellen bilden und das nicht ab dem ersten Verkaufstag gleichzeitig in den Innenstädten und vor Dutzenden Supermärkten angeboten wird. Das Corona-Virus, das den öffentlichen Raum – unser Spielfeld – leergefegt hat, verhindert das. Viel schlimmer: Auch unsere Beratungs- und Versorgungsangebote wie die unserer Partner in der Wohnungslosenhilfe sind kaum aufrechtzuerhalten. Für den gemeinnützigen Verein, der das Magazin herausgibt, ist Sars-CoV-2 darüber hinaus eine existenzielle Frage. Schon lange fahren wir gut damit, prekär, aber hoffnungsfroh unsere Arbeit vor allem aus eigenen Einnahmen unserer Projekte zu bestreiten. bodo erhält keine Mittel von Stadt oder Land, ein gutes Viertel unserer Mittel machen Spenden aus. Nun brechen die Einnahmen weg. Ein Weg, den wir wählen, um unsere VerkäuferInnen trotzdem weiter unterstützen zu können und dringend benötigtes Geld für unsere Angestellten und unsere Infrastruktur zu erwirtschaften, ist dieses Heft. Es ist digital und auf dem Postweg zu erwerben, bis die Lage den Verkauf auf der Straße wieder zulässt. Die Hälfte aller Einnahmen fließt, stets angepasst an die Situation in unseren Städten, in die Soforthilfe für unsere VerkäuferInnen. Danke für Ihre Unterstützung! Tanja Walter Geschäftsleitung

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NEUES VON BODO

Solidarität Ab Seite 12 erzählen wir, wie hart Wohnungslose die Einschränkungen im Zuge der CoronaKrise treffen. Gerade die Schwächsten brauchen in dieser Zeit unsere Unterstützung. Das gilt explizit auch für eine zweite große Gruppe von Menschen ohne eigene Wohnung, die Geflüchteten in Sammelunterkünften – und in dramatischem Ausmaß für diejenigen, die unter unwürdigen Bedingungen in sogenannten Hotspots an den EU-Außengrenzen leben müssen. Gleichzeitig wissen wir von uns und aus unserem direkten Umfeld, wie hart die Einschnitte bei unseren Freunden, Kooperationspartner- und UnterstützerInnen sind, die in der freien Kulturszene, der Gastronomie oder als Selbstständige arbeiten. Die Corona-Krise ist bereits an zweiter Stelle eine soziale. Sie trifft Menschen in prekären Lebenslagen, in engen Wohnungen, in Unsicherheit härter als andere. Uns allen, unserer Gesellschaft wünschen wir auch in Zeiten der räumlichen Trennung Solidarität. Kommen Sie gut durch die Krise!

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NEUES VON BODO

Renovierung

Absagen

Was wir tun, wie es weitergeht bei bodo, aktuelle Kontaktund Öffnungszeiten und vieles mehr finden Sie auf www.bodoev.de

Am 1. April sollte unser Buchladen nach zweiwöchiger Renovierungspause wiedereröffnen, bis zum Redaktionsschluss gingen die Arbeiten trotz Corona gut voran – vielen Dank an die engagierten Handwerker! Wann wir tatsächlich wieder KundInnen im Laden empfangen dürfen und ab wann der für uns ebenfalls wichtige Onlineverkauf wieder möglich ist, wissen wir noch nicht. Aktuelle Informationen dazu finden Sie auf unserer Homepage. Dort informieren wir auch darüber, wann wir wieder Buch- und Sachspenden entgegennehmen können. Wenn Sie Fragen haben, ist zurzeit der einfachste Weg eine Mail an info@bodoev.de. Wir bemühen uns um zügige Antworten.

Uns geht es wie allen, unser voller Terminkalender für die Monate April und Mai hat sich plötzlich geleert: Unsere Weltkonferenz des Netzwerks INSP in Mailand und unsere Konferenz der deutschsprachigen Straßenzeitungen in Nürnberg sind abgesagt. Ebenso die Konferenzen und Diskussionen zur Gegenwart und Zukunft unserer Stadtgesellschaften mit unserer Beteiligung: von Housing First über EUNeuzuwanderung bis zu Stadtentwicklung. Wie der Magazinverkauf ruht auch das Angebot unserer sozialen Stadtführungen. Auf unserer Homepage informieren wir Sie über den aktuellen Stand und über neue, auch digitale Angebote. www.bodoev.de


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an: Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Newsletter

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

Dürfen wir Sie auf dem Laufenden halten? Die Dinge ändern sich schnell in Zeiten von Corona. Wir freuen uns, wenn Sie sich mit wenigen Klicks auf unserer Homepage für unseren vorübergehend wöchentlichen Newsletter anmelden.

WIR GEDENKEN DER OPFER DES NAZITERRORS Foto: Tbachner(CC BY-SA 3.0)

Hier erfahren Sie bequem alles Wichtige zu unseren Angeboten. www.bodoev.de

Unterstützung Wenn Sie diesen Text lesen, hat das Straßenmagazin seinen Weg auf einem völlig neuen Weg zu Ihnen gefunden. Oder, im allerbesten Fall, konnten wir es doch an unsere Verkäuferinnen und Verkäufer ausgeben. In jedem Fall bedanken wir uns für Ihre Unterstützung! Wir haben uns entschieden, den Preis für diese Notausgabe zu verdoppeln. Beim Papierkauf über unsere Seite sind die Versandkosten eingeschlossen. In der Zeit des Shutdowns ermöglichen uns die Einnahmen, weiterzumachen und gleichzeitig mindestens die Hälfte des Geldes für konkrete Nothilfe (Lebensmittel, Einkaufsgutscheine, Soforthilfen) zu verwenden. Herzlichen Dank! 9


NEUES VON BODO

25 Jahre bodo Glücklicherweise noch vor den ersten Veranstaltungsabsagen durften wir zwei Jubiläumsfeiern zum 25-jährigen Bestehen des Straßenmagazins ausrichten. Am Freitag, dem 28. Februar, hatten wir in die Werkhalle des Union Gewerbehofs in Dortmund geladen, am Tag darauf in das ZeitmaulTheater am Bochumer Imbuschplatz. In beiden Städten gab es Talkrunden mit KooperationspartnerInnen der Wohnungslosenhilfe, mit bodoVerkäufern und -Mitarbeitern. Dazu hatten wir Freunde geladen: In Dortmund kam der Autor und Filmemacher Sascha Bisley dazu, in Bochum der Journalist, Kabarettist und AWO-Kolumnist im Straßenmagzin Martin Kaysh. In Bochum ließ es sich darüber hinaus der Oberbürgermeister Thomas Eiskirch nicht nehmen, seine Glückwünsche persönlich zu überbringen. An beide Veranstaltungen schloss sich eine Lesung des Bestseller-Autors und ehemaligen Obdachlosen Dominik Bloh an. Wir danken allen Gästen, Unterstützer- und TeilnehmerInnen! Das waren schöne Veranstaltungen! 10


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www.facebook.com/bodoev info@bodoev.de 0231 – 950 978 0 bodo ist für Sie da Zentrale Rufnummer 0231 – 950 978 0 Mo. bis Fr. 9 – 16 Uhr Bitte beachten Sie unsere aktuellen Öffnungszeiten auf unserer Website bodoev.de

Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Spendenannahme DO Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Spendenannahme BO Kleiderkammer Altenbochum und Laer Liebfrauenstraße 8 – 10 44803 Bochum Mo. 10 – 13, Sa. 10 – 12 Uhr

Ansprechpartner Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Julia Cöppicus buch@bodoev.de Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de

44793 Bochum, Alleestraße 80 Tel. 0234 – 96 44 60 44135 Dortmund, Ostwall 17 – 21 Tel. 0231 – 57 70 60 44623 Herne, Viktor-Reuter-Str. 23

SOZIALES Köln muss Obdachlose menschenwürdig unterbringen. Das hat das Oberverwaltungsgericht NRW per Eilverfahren entschieden. Die Stadt hatte eine alleinerziehende Mutter mit zwei minder- und zwei volljährigen Kindern ein halbes Jahr lang auf 30 Quadratmetern in einem Hotel untergebracht. Menschenwürdig seien aber mindestens 9 Quadratmeter pro Person und Rückzugsmöglichkeiten für Einzelne. Das böte die Unterkunft nicht, so das OVG. Ist der Berliner Mietendeckel verfassungswidrig? Das urteilt das Berliner Landgericht – und hat damit den Weg zum Bundesverfassungsgericht frei gemacht. Die Begründung: Das Land Berlin habe nicht die Kompetenz, ein Gesetz wie den Mietendeckel zu erlassen. Das Gesetz hat bundesweit hohe Wellen geschlagen: Es legt fast flächendeckend Obergrenzen für Wohnungsmieten fest und erlaubt auch rückwirkende Mietsenkungen. Deutschland liegt bei Mindestlöhnen hinten. Mit 9,35 Euro liegt er deutlich unter dem aller anderen westeuropäischen Eurostaaten, die mindestens 9,65 Euro als Lohnuntergrenze markiert haben. Im EU-Durchschnitt, teilt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) mit, deckt der Mindestlohn 51 Prozent des mittleren Lohns ab, in Deutschland nur 46 Prozent. Als existenzsichernd gelten 60 Prozent. EU-Bürger von Sozialleistungen auszuschließen ist verfassungswidrig, sagt das Sozialgericht Darmstadt. Bisher werden Zuwanderer aus anderen EU-Ländern, die im Zuge der EU-Freizügigkeit in Deutschland sind, weitgehend aus dem Bezug von ALG II oder Grundsicherung ausgeschlossen. Prekäre Lebenslagen, Armut und Obdachlosigkeit sind häufige Folgen. Nun muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. 11


REPORTAGE

Wohnungslosenhilfe in der Krise „Bleiben Sie zu Hause!“ Gegen die Ausbreitung von Covid-19 hilft derzeit am besten, soziale Kontakte zu reduzieren. Doch die Forderung, die eigenen vier Wände nach Möglichkeit nicht zu verlassen, hat einen blinden Fleck: Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland hat keine eigene Wohnung. Von Bastian Pütter Fotos: Sebastian Sellhorst

Es ist Mittwoch, der 18. März, ein schöner Frühlingsvormittag. Stefan, bodo-Verkäufer mit der Ausweisnummer 909, steht am Fenster der Dortmunder Anlaufstelle, die längst im Notbetrieb läuft. Zu Beginn der Woche hat der Verein die Ausgabe von Straßenmagazinen an VerkäuferInnen einstellen müssen – schweren Herzens, um sie und ihre KundInnen zu schützen. Die Versorgungsangebote wanken, bei bodo und anderswo. Die oft selbst prekären Hilfestrukturen werden zu einem großen Teil von Ehrenamtlichen getragen, die meist im fortgeschrittenen Alter und somit Risikogruppe bei einer Covid-19-Infektion sind. Tafeln und Suppenküchen stellen den Betrieb ein. „Wir haben fast täglich eine neue Situation“, sagt Oliver Philipp, der den Vertrieb des Straßenmagazins und die soziale Arbeit bei bodo leitet, „und versuchen zu helfen, wo es geht. Wir wissen, wie existenziell viele auf bodo angewiesen sind.“ Viele obdachlose

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Verkäufer erhalten keinerlei staatliche Leistungen. „Wenn jetzt noch das kostenlose Frühstück und die warme Mahlzeit am Mittag ausfällt, wissen viele nicht ein noch aus.“ Früh war Corona ein Thema im Netzwerk der sozialen Straßenmagazine, schnell lernte man voneinander. Von den HygieneNotfall-Packs und -schulungen in Korea und Japan und dann vom Ernstfall, der zuerst das Mailänder Magazin Scarp de’ tenis heimsuchte: Mit dem „Shutdown“ brachen sowohl der Magazinverkauf als auch die Hilfesysteme der Wohnungslosenhilfe in sich zusammen. Seitdem ist der Austausch in den Chatgruppen des internationalen Netzwerks noch intensiver. Längst geht es – ob in Seattle, Manchester, Skopje oder Dortmund – um existenzielle Fragen: für Obdachlose in verwaisten Innenstädten wie für unabhängige soziale Einrichtungen ohne staatliche Mittel, deren Einnahmen von einem auf den anderen Tag weggebro-


„Wir versuchen zu helfen, wo es geht“, sagt Oliver Philipp von bodo. „Wir wissen, wie existenziell viele auf bodo angewiesen sind.“ Statt Straßenmagazinen werden Hygienebeutel, Lunchpakete und Einkaufsgutscheine verteilt.

chen sind. Inzwischen sind die meisten der gut 100 Straßenzeitungen des Netzwerks INSP nicht mehr auf der Straße. Ihre Verkäuferinnen und Verkäufer schon. Tagesaktuell wird bei bodo über die Möglichkeiten und Handlungsspielräume entschieden: Finden sich Teams für Streetwork, sind eigene Versorgungsangebote möglich und erlaubt, was können die Partner in den Hilfenetzwerken gerade leisten? Am 18. März sind die Notschlafstellen in Bochum und Dortmund noch geöffnet. In Dortmund laufen zähe Verhandlungen, inwieweit Versorgungsangebote von staatlichen Akteuren übernommen werden können. Am besten, ohne Kosten zu verursachen. Dass Wohnungslosenhilfe nicht als „systemrelevant“ oder als „kritische Infrastruktur“ gilt, wundert unter den Aktiven jedoch niemanden.

Links: „Du kannst ja nicht den ganzen Tag im Zelt bleiben“, sagt bodo-Verkäufer Stefan. „Irgendwann musst du was essen. Aber wie?“

Stefan verlässt auch heute die Schwanenstraße ohne neue Hefte. Doch durch das Fenster der Anlaufstelle reicht Oliver Philipp Kaffee, ein Lunchpaket und einen Einkaufsgutschein. „Es ist etwas seltsam, aber zurzeit funktioniert nur die Versorgung über die Supermärkte stabil. Also haben wir Gutscheine gekauft, mit denen unsere Verkäufer und die Wohnungslosen, die zu uns kommen, sich Lebensmittel selbst kaufen können.“ So lange es möglich ist, sind Hauptamtliche in der Stadt unterwegs, allein oder in Zweierteams, und verteilen die Gutscheine, Hygienebeutel und eine bodoHandynummer, um dezentral erreichbar zu sein. „Unser Ziel muss sein, unsere Leute durch die Krise zu bekommen“, sagt Oliver Philipp. „Dazu gehört, dass wir nun erstmal versuchen, das AprilHeft für sie zu verkaufen, digital oder per Postversand. Um ein Zeichen zu setzen, dass es weitergeht. Aber auch, um etwas zurückzugeben.“

Oben: Die Anlaufstellen von bodo laufen im Notbetrieb. Der Verkauf des Straßenmagazins ist eingestellt, beraten wird auf der Straße.

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REPORTAGE

Letzter Stop: Intershop!

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Im Jahr 1985 flimmert die erste Folge der Lindenstraße über die Bildschirme, der 17-jährige Boris Becker gewinnt Wimbledon, das Wrack der Titanic wird entdeckt, Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU – und in Bochum? Hier eröffnet am 13. April 1985 der Intershop. Von Peter Hesse Fotos: Daniel Sadrowski

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n diesem Monat wird die Kneipenlegende 35 Jahre alt und gehört damit zu den dienstältesten und verlässlichsten Szenekneipen im Ruhrgebiet. Die Grundausstattung hat sich von damals bis heute nicht viel verändert: langer Tresen, ein paar Stehtische, dazu Flipper und Tischkicker. Große, quadratische Schwarz-Weiß-Porträts von Iggy Pop und Miles Davis hängen an den Wänden. Das Porträt von Schauspieler James Cagney, der in Billy Wilders Satire „Eins, zwei, drei“ einen Coca-Cola-Produzenten zur Zeit des Kalten Krieges spielt, ist im Bochumer Nachtleben das bekannteste Symbol dieser Szenekneipe – und ziert auch derzeit die Baseball-Cap-Edition, die am Kneipentresen erhältlich ist. Mit dem gelernten Elektromeister Friedhelm „Lobo“ Kerski, der vorher schon als Zapfer im „Spektrum“ am Nordring gearbeitet hatte, kam

Schwung in die Gründungsphase des „Intershop“. Mit seinen Freunden Günter Speckmann und Ronnie Hirsch setzte er ein einfaches wie überzeugendes Programm um: unglaubliche Öffnungszeiten bis in die frühen Morgenstunden und eine offenen Tür von 365 Tagen im Jahr – und das ist bis heute so geblieben. „Beim letzten Jahreswechsel hatten wir an Silvester und dem Neujahrstag geschlossen, aber sonst haben wir nicht viel am Konzept verändert“, sagt der heutige „Intershop“-Macher Christoph Mattar.

Ein gallisches Dorf Seit Oktober 2017 leitet er den Laden, vorher hatte er sich bereits mehrere Jahre als Angestellter um den Getränkeservice gekümmert. Innerhalb des Bermuda-Dreiecks fungiert der Intershop als eine Art gallisches Dorf: Im Umfeld dominiert vor allem die klinisch reine Konzept-Gastronomie, und jedes Wochenende

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REPORTAGE

bevölkern vor allem Junggesellenabschiede und Party-Karawanen das Bochumer Kneipenviertel. „Du kannst dir als Gastronom die unterschiedlichsten Vorstellungen auf die Fahne schreiben“, erklärt Christoph, „aber wenn du ein neues Konzept entwickelst, muss das auch den Zeitgeist treffen und von den Leuten angenommen werden. Wir haben uns nie darum geschert. Gerade von alten Stammkunden höre ich immer wieder, dass unser Laden wie ein Ausreißer funktioniert. Und daher auch ständig gefragt ist.“

Bühne frei Vom Studenten bis zur Universitätsprofessorin – und von der Führungsriege des VfL Bochum bis hin zum extra aus England eingeflogenen Fußballfan ist hier im schummrigen Kneipenlicht jeder gerne gesehen. Auch der

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aus Bochum stammende Schauspieler Ingo Naujoks war hier früher Stammgast. Als er im Jahr 2000 in der WDR-Show „Zimmer frei“ zu Gast war, wurde die Außenreportage sogar im Intershop gedreht. Naujoks lernte seine erste Frau sogar hier kennen, die damals hinterm Tresen kellnerte. „Der Intershop war die zweite Wohnung von Ingo, weil es immer bis fünf Uhr morgens was zu trinken gab“, so umschrieb Theatermacher Willi Thomczyk in der damaligen Außenreportage von „Zimmer frei“ augenzwinkernd das Leben seines Schauspielkollegen zwischen Bühne, Bett und Barhocker. Als Kulisse für Film- und Schauspielarbeiten ist der Intershop weiterhin gefragt. Für das Theaterstück „O, Augenblick“ im Bochumer Schauspielhaus drehte Regisseur Tobias Staab eine kleine Szene im Intershop. Auch die Dreharbeiten des zweiten Pottoriginale-

Films „Glanz, Gesocks & Gloria“ fanden für einen Nachmittag im Intershop statt. Hier drehte Regisseur Gerrit Starczewski die Wahl zur „Miss Brieftaube“ mit gut 30 Schauspielern und Statisten. „Wir sind außerdem gut befreundet mit den Leuten vom RottstraßenTheater, die häufig nach Premieren noch zu uns in den Laden kommen, um hier weiter zu feiern“, ergänzt Christoph. Die Kneipenlegende hat sich nach der Einzelhandelskette aus dem Osten benannt, wo man zu DDR-Zeiten für „harte“ Währung Westwaren wie Kaffee, Schokolade, Parfüm oder Alkohol kaufen konnte. Die wichtigsten Angebote im Bochumer Kultladen sind neben den langen Öffnungszeiten vor allem der prompte Service, schnell gezapfte Biere und ein Musikprogramm, das sich vornehmlich aus der Abteilung „laut“ speist. Chef Christoph selbst ist großer Punkrock-


Fan: „Der Intershop wurde immer dafür geschätzt, dass hier kein Mainstream läuft. Das ist für mich der wichtigste Punkt. Hier hat noch nie jemand Schlager, Techno oder gefälligen Pop gehört. So etwas ist hier nicht erwünscht.“

Holzbein und Angelrute Kuriositäten gibt es auch immer wieder. Ein Gast vergaß mal sein Holzbein, ein anderer sein Gebiss. Außerdem wurde beim Aufräumen mal ein Rucksack mit kompletter Anglerausrüstung mit Haken, Ködern und Rute gefunden. Einmal kam ein Gast in den frühen Sonntagmorgenstunden komplett unbekleidet herein. „Natürlich gibt es immer wieder Freaks, die hier rumlaufen. Und Leute, die hier am Tresen sitzen und Gedichte für unsere Kellnerinnen schreiben. An sich möchte ich solche Geschichten in der

Öffentlichkeit gar nicht so gerne ausbreiten, denn: Was in der Kneipe passiert, soll auch in der Kneipe bleiben“, sagt Christoph. Im Team seiner Angestellten gilt der Fortuna Düsseldorf-Fan als nett, loyal und fair – er wird häufiger mal mit dem Attribut „Der beste Chef, den ich je hatte“ versehen. „Ich lebe jetzt seit 2006 in Bochum“, sagt Christoph, „vorher war ich in Düsseldorf zu Hause. Ich hab mich für einen Studienplatz in Geographie beworben, und so bin ich nach Bochum gekommen.“ Ob ein Kneipenwirt auch mal Ermüdungserscheinungen hat? „Nicht direkt“, sagt Christoph und ergänzt: „Es gibt so Tage im Jahr, da denkst du dir: Jetzt mal vier oder fünf Tage das Handy ausmachen und nicht für den Laden sein. Das kommt schon mal vor. Aber es war mir von vornherein klar, dass ich hier keinen Nine-to-five-Job antre-

te, wo ich regelmäßig einen Urlaubsschein einreichen kann. Das ist nicht möglich. In der Regel ist es eher so, dass ich gerade am Wochenende nicht vor acht oder halb neun morgens aus dem Laden rauskomme.“ An diese Intershop-Öffnungszeiten jenseits von Raum und Zeit erinnert sich übrigens auch Filmschauspieler Ralf Richter am Telefon gern zurück: „Ich wohne ja schon seit vielen Jahren in Köln. Aber gerade in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war ich oft, lange und gerne da im Laden. Ich persönlich würde mir wünschen, wenn sie die Kneipe noch viele Jahre weiter betreiben und wünsche ihnen dafür von Herzen alles Gute!“ Diesem frommen Wunsch schließen wir uns gerne an.

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Die vor wenigen Wochen noch von einer Mehrheit der (Sport-)Journalisten in nicht hinnehmbarer Weise kollektiv verurteilten Fußball-Ultras übernehmen in der Krise nicht nur in großer Zahl Einkaufs- und Nachbarschaftshilfen und unterstützen karitative Einrichtungen. Mit Banneraktionen in mehreren Städten – hier in Dortmund – solidarisieren sich die Ultraszenen auch mit Supermarkt- und Krankenhauspersonal.

DAS FOTO

MIETEN & WOHNEN

Das Menschenrecht auf eine Wohnung in Zeiten von Corona von Knut Unger, MieterInnenverein Witten und Umgebung e.V. Wenn man wegen Corona zu Hause arbeiten muss, mit den Kindern ans Haus gefesselt ist, ist eine ausreichend große Wohnung besonders wichtig. Wohnungslose und Gef lüchtete trifft die Epidemie doppelt und dreifach. Und wer wegen der Krise sein Einkommen verliert und deshalb die Miete oder die Hauskredite nicht zahlen kann, den plagen heftige Existenzängste.

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Nie zeigte sich deutlicher, warum das Verfügen über eine Wohnung ein Menschenrecht ist, und was dieses Menschenrecht ausmacht: angemessene Größe, Ausstattung und Lage, Sicherheit, individuelle Bezahlbarkeit. Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnung, Leilani Farha, hat darauf hingewiesen, dass weltweit 1,8 Milliarden Menschen nicht ausreichend

mit Wohnraum versorgt und deshalb von Corona besonders gefährdet sind. Aber wo Gefahr ist, wächst auch das Rettende: Weltweit fordern Bewegungen einen Verzicht auf Zwangsräumungen, die Stundung von Miet- und Hypothekenschulden sowie die Unterbringung von Unterversorgten in den jetzt leerstehenden Ferien- und Zweitwohnungen.


KOMMENTAR

Der Furor der Entschlossenheit Von Bastian Pütter Es gibt ein objektives Maß für politisches Handeln in der Krise. Das heißt „Richtigkeit“ (und das bedeutet auch: wie rechtzeitig, wie angemessen). Ärgerlich: Die Beurteilung ist nur im Nachhinein möglich. In hochdynamischen Lagen beschleunigt sich alles. Manchmal steht nach einer Woche bereits fest, dass falsch, zu spät, unangemessen reagiert wurde. Das Urteil holt die Entscheidung aber nie ein.

Die Demokratie nach der Krise

Das subjektive Maß für politisches Handeln in der Krise heißt „Entschlossenheit“. Es ist ausschließlich kommunikativ, eine Frage des Auftretens und weitgehend unverbunden mit der inhaltlichen Bewertung (richtig, rechtzeitig, angemessen). Es ist irgendwie nutzlos, aber in Echtzeit zu messen. Wir wollen Sicherheit – in zweifacher Hinsicht: Wir wollen in Sicherheit sein und wir wollen sicher sein, dass alles dafür getan wird. Trotz der allgegenwärtigen Scheinklugheit, mit der wir inzwischen wie Virologen reden (in Friedenszeiten waren wir nur Bundestrainer), wissen wir zu wenig. Weil die Kriterien zur Beurteilung der Richtigkeit politischer Entscheidungen also fehlen, ist das die Stunde der Entschlossenen. Mit Abstand werden wir vielleicht die schlechte Vorbereitung, das zu späte Erfassen des Ausmaßes der Pandemie, die zu Beginn schlechte Vermittlung der richtigen Handlungsweisen in der Gesellschaft und die träge Umsetzung der Maßnahmen in Verwaltungen sehen. Mit weiterer Optik wird sich – vielleicht – die Erkenntnis einstellen, dass wir gegen alle Widerstände unsere Gemeinwesen an eine Ideologie verkauft haben, die kein Interesse an der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit der gesellschaftlichen Systeme hat. Von einem bereits im Normalzustand am Limit arbeitenden, ökonomisierten Gesundheitswesen bis zu den fragilen Just-in-Time-Lieferketten der globalen Wirtschaft gibt es keine Sicherungen, keine Reserven, keinen Notfallmodus. Vielleicht holt ja eine Art Krisensozialismus der Not-Verstaatlichungen, Krisenkredite und Konjunkturprogramme die Kastanien der Marktradikalen aus dem Feuer. Zuerst müssen wir durch diese Krise. Dann müssen wir uns erinnern: daran, was wirklich „systemrelevante“ Jobs sind, welche als „ineffizient“ verdammten Strukturen geholfen hätten und in Zukunft helfen würden und vieles neu denken. Und dann brauchen wir alle Kraft, den Furor der Entschlossenheit, die Notstands- und Ausnahmerechte wieder einzufangen. Für eine Demokratie nach der Krise. Es gibt viel zu tun, bleiben Sie gesund.

In einigen Städten wie Boston und Barcelona haben die Regierenden manchen dieser Forderungen schnell stattgegeben. Im Vergleich dazu reagiert die Bundesregierung verhalten. Sie will beschließen, dass Mietschulden vorerst kein Kündigungsgrund sein dürfen. Von einer Verteilung der leerstehenden Wohnungen ist keine Rede. Mieterhöhungen und Zwangsräumungen werden trotz Krise weiter zugelassen – auch durch Konzerne wie Vonovia und LEG. Die könnten angesichts ihrer Rekordausschüttungen nun wirklich auf ein paar Monate Miete verzichten.

So geht es nicht! Das Menschenrecht auf Wohnung und Gesundheit kann nicht durchgesetzt werden, solange das Recht auf Rendite dominiert. Wohnungs- und Gesundheitsversorgung müssen Gemeingüter werden.

DIE ZAHL

698 In einer Studie aus dem Juli 2019 empfahl die BertelsmannStiftung die Schließung rund der Hälfte der 1.364 Krankenhäuser in Deutschland. Nur die 698 größeren Kliniken sollten erhalten bleiben.

MieterInnenverein Witten und Umgebung e.V. Schillerstr. 13 | 58452 Witten www.mvwit.de

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REPORTAGE

Wer samstagvormittags über die Brückstraße geht, vorbei an den Klamottengeschäften und dem einen Laden an der Ecke, der immer für eine Überraschung gut ist, weil hier im ständigen Wechsel Döner, Crepes oder Bubbletea von immer anderen Betreibern verkauft werden – wer also hier entlanggeht, kommt auch am Dortmunder Konzerthaus vorbei. Mit seiner futuristischen Glasfront will das Gebäude nicht so recht in die Brückstraße passen. Durch die Scheiben sieht man einen Stuhlkreis; drumherum stehen 16 Erwachsene und trommeln mit hölzernen Drumsticks auf die Lehnen ihrer Stühle. Von Sophie Schädel | Fotos: Daniel Sadrowski

„Ba da daa, ba da daa…“ – Matthew Robinson und Pete Moser machen „Community Music“ im Dortmunder Konzerthaus.

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Nachbarn auf der Bühne Das Dortmunder Konzerthaus sucht Anschluss

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eht man hinein durch die gläsernen Doppeltüren, hört man das scharfe Klacken von Holz auf Holz, das die Luft im hohen Eingangsbereich erfüllt. Einer der Trommler ist besonders engagiert bei der Sache. Von den Zehen bis zur Kopfspitze wippt der ganze Körper zum Takt, als würde ihn der simple Rhythmus gleich vom Stuhl reißen und zum Tanzen zwingen. Jedes Klacken der Holzstäbe schickt eine Welle Energie durch den Mittfünfziger. Er juchzt laut, wenn ihm das Zusammenspiel besonders gut gefällt. Der da so engagiert wippt und jauchzt, ist Pete Moser, der die heutige Veranstaltung leitet. Der Workshop ist einer von vielen Terminen, in denen sich die Gruppe auf ein Konzert vorbereitet. Doch auf der Bühne werden dann keine Profis stehen. „Community Music“ nennt sich das Projekt, mit dem das Konzerthaus seit Saisonbeginn alle ansprechen will, die Lust auf gemeinsames Musizieren haben. „Es ist egal, ob ihr musikalisch hochbegabt oder blutige Anfänger seid“, schreibt das Konzerthaus in seinem Aufruf. Und so haben sich an diesem Samstagvormittag auch wieder Leute mit den unterschiedlichsten musikalischen Hintergründen eingefunden – von der Berufsperkussionistin, deren geübte Hände mit weichen Bewegungen im Rhythmus mitgehen, bis hin zu einigen, die den Takt nicht gut halten können und nicht bemerken, wenn sie als einzige in die Stille einer Pause trommeln.

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REPORTAGE

„Der Wille, mitzumachen, ist hier enorm. Bei der ersten Session waren 50 Leute hier.“

Doch hier geht es eben gerade nicht um ein musikalisch perfektes Endprodukt. Es geht um Spaß und darum, zusammenzukommen und gemeinsam etwas entstehen zu lassen. Pete Moser lässt darum zum nun schon etwas flüssiger laufenden Trommeln eine Klarinette spielen. „Ba da daa, ba da daa – mach einfach irgendwie sowas“, fordert er seinen Kollegen Matthew Robinson auf. Robinson leitet das Community Music Projekt. Der junge Mann mit den aschblonden Locken und dem Dreitagebart setzt seine Klarinette an und spielt eine serbische Folkloremelodie.

Dortmund packt an In England gibt es viele dieser Community Music Projekte. Dort ist es weit verbreitet, dass in Häusern wie diesem neben hochkarätigen Stars und Weltklasseorchestern auch die Menschen aus dem Viertel Raum für ihre Musik haben. Der Pressesprecher des Konzerthauses Jan Boecker spricht offen an, welche Überlegungen dazu geführt haben, die Idee kurzerhand nach Dortmund zu importieren. „Das Konzerthaus liegt mitten auf der Brückstraße. Viele gehen drumherum, aber nur die wenigsten hinein“, sagt er bedauernd. „Und wer es tut, kommt oft nicht aus dem Viertel.“ Mit Matthew Robinson haben sie nun einen Mann, der Menschen mitreißen kann und das ändern soll. Robinson war selbst überrascht, wie schnell er die Menschen hier begeistern konnte. „Ich habe solche Projekte schon auf der ganzen Welt angefangen“, erzählt er und blickt stolz auf die Gruppe, die im Hintergrund fleißig weiter am Rhythmus feilt. „Oft macht man tagelang Werbung für den Auftakt. Dann sitzt man in einem leeren Raum und niemand kommt.“ In Dortmund hat er mit ähnlich wenig Rücklauf gerechnet, zumal das Konzept hier noch unbekannt war. Also zog er durch soziale Einrichtungen und stellte überall sein Projekt vor. Robinson scheint einen Nerv getroffen zu haben. „Der Wille, mitzumachen, ist hier enorm“, sagt er und lächelt ein bisschen ungläubig. „Bei der ersten Session waren 50 Leute hier.“ Woran das liegt, weiß er selbst nicht genau. Aber er spürt bei seinen Dortmunder Teilnehmern Lust, etwas gemeinsam anzupacken. Robinson und Moser wirken zufrieden mit den Rhythmen, die sich die Gruppe trommelnd erabeitet hat. Nun geht es weiter zum Gesang. „Equality“ – ein Wort, eine simple, zweitstimmige Melodie. Einige singen noch recht zaghaft. Mosers und Robinsons Strategie: Die Teilnehmer bilden zwei Gruppen. Die beiden Leiter in der Mitte Rücken an Rücken, der Rest steht im Kreis um sie herum. Sie schauen konzentriert auf die Hände der beiden charismatischen Männer,

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die für hohe Töne nach oben schnellen und sich, wenn die Teilnehmer tiefer singen sollen, wieder senken. Es entsteht erst ein harmonisches Summen, dann eine laute Kakophonie sich aneinander reibender Töne.

Vertrauen braucht Zeit Eine 60-Jährige mit stahlgrauem Kurzhaarschnitt und wachen Augen kommt ins Schwärmen. Ludgera Stadtbäumer ist von Anfang an dabei. „Mich fasziniert die Idee, mit Bürgern der Stadt Musik zu machen, ganz unabhängig von ihren musikalischen Fähigkeiten“, erklärt sie und strahlt. „Es geht nicht darum, dass wir alles richtig spielen, sondern um das Miteinander.“ Sie hat kein Lampenfieber, wenn sie an das Konzert denkt. „Die Leiter wissen, was sie machen, ich fühle mich gut aufgehoben. Und es klingt wirklich super!“ Sie nickt überzeugt. Adelheid Seehoff, die vorhin mit so weichen Bewegungen getrommelt hat, pflichtet ihr bei. „Ich bin Perkussionistin in einer Klezmer-Band. Da spiele ich viel Jazz und wollte mich jetzt ins Klassische reinfuchsen.“ Was auffällt: Sie ist hier kein Einzelfall. Die Teilnehmenden wirken alle gut situiert. Bei vergangenen Workshops haben auch vereinzelt Anwohner

mitgemacht, aber heute ist niemand von ihnen gekommen. Dabei war Ziel des Projekts doch gerade der Austausch mit der Nachbarschaft und Menschen, die noch nicht oft in Berührung mit Beethoven oder dem Konzerthaus waren. Ist das gescheitert? Matthew Robinson wiegt den Kopf. „Wir wollen das Viertel ansprechen. Aber das dauert. Wir müssen erst Vertrauen aufbauen“, erklärt er und gestikuliert nach draußen, wo sich auf der Brückstraße die ersten einen Burger zum Mittagessen holen. „Das Konzerthaus hat 15 Jahre nichts in dieser Richtung getan. Seien wir mal ehrlich: Ich glaube, die Leute, die hier wohnen, hassen es. Darum reicht es jetzt nicht, einfach zu sagen: ‚Kommt rein, es ist offen.‘“ Er will geduldig bleiben und ist mit der Gruppe trotzdem schon jetzt zufrieden. „Es geht darum, Teil einer Gemeinschaft zu sein und Freude zu haben. Das ist wundervoll! Es funktioniert, man sieht es in den Gesichtern.“

„Es geht nicht darum, dass wir alles richtig spielen, sondern um das Miteinander.“

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

JAPANISCHER KNÖTERICH

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REZEPT Man nimmt vom Japanischen Knöterich, bei einer Wuchshöhe von bis zu 180 cm, 500 g von den oberen Pflanzenteilen (ca. 30 cm). Diese dann in daumenlange Stücke teilen. 1 Zitrone in dünne Scheiben schneiden und mit dem Knöterich in eine Glasflasche mit großer Öffnung geben. 1 l Kornbrand angießen und 14 Tage ruhen lassen, dann abfiltern. 500 g Zucker in 1 l Wasser 10 Minuten köcheln lassen. Den Sirup nach dem Abkühlen zum Auszug geben und noch eine Woche ruhen lassen. Zum Schluss den Aufgesetzten in sterile, gut verschließbare Flaschen füllen.

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Fallopia japonica

ie Sache mit Ostern, dem Hasen und den Eiern zählt zu den bleibenden Kindheitserinnerungen. Vor dem Fest brach stets die ganze Familie zu einem Spaziergang auf, im Wald weiches Moos zu sammeln. Damit ließen sich kleine Mulden unterm Wacholderstrauch im Garten auspolstern; das waren die Nester, in welche der Hase dann seine Eier legen würde. Es funktionierte zuverlässig. Im Prinzip gab es nur eine Ausnahme: Wenn Schneefall angekündigt war, wurde das bei uns Kindern beliebte Ritual leider abgesagt. Sicherheitshalber. Es hieß, im Schnee sehe man ja die Fährte des Osterhasen, der man folgen könne, sein Geheimnis zu lüften. Da wussten wir noch nicht, dass die verräterischen Spuren von Gummistiefeln stammen und vom Hintereingang des Hauses durch den Garten zum Busch und wieder zurück führen würden.

dem späten Kälteeinbruch zum Opfer gefallen. Bedauerlicherweise würden die Wurzeln überleben.

Weiße Ostern – damals keine Seltenheit. Doch zu einem Frosteinbruch vor den Eisheiligen im Mai kann es, trotz Klimaerwärmung, noch heute kommen. So wie 2017. Dabei hatte es den Japanischen Knöterich zerlegt. Von den Beständen, schon gut einen Meter hoch, blieb nur braunes, welkes, totes Gestrüpp. An einen Zusammenhang mit dem Frost hatte ich anfangs gar nicht gedacht. Diese Knöterichart bedroht als invasiver Neophyt (ursprünglich gebietsfremde Pflanze, die sich meist menschgemacht etablieren konnte) die heimische Flora und steht deswegen auf einer Schwarzen Liste. Ich hatte vermutet, die Stadt wäre dem Kraut eventuell mit Glyphosat zu Leibe gerückt.

Der Japanische Knöterich ist wegen seiner besonderen Widerstandsfähigkeit und Schnellwüchsigkeit als Gartenpflanze erhältlich. Allerdings empfiehlt der Zentralverband Gartenbau auf Fallopia-Arten im Garten zu verzichten. In der Schweiz sind Verkauf, Vermehrung, Anpflanzung und Duldung verboten, ebenso in Großbritannien. In Deutschland ist das Ausbringen nach dem Bundesnaturschutzgesetz verboten.

Ein Anruf beim Umweltamt ergab, dass auf stadteigenen Flächen, und auch auf solchen hatte ich Knöterichleichen gefunden, kein Herbizid eingesetzt werden darf. Die alles andere als winterharten Jungpflanzen seien

Japanischer Knöterich ist extrem schnellwüchsig und kann, unter günstigen Bedingungen, bis zu 30 Zentimeter pro Tag zulegen. Gnadenlos überwuchert er die benachbarte Vegetation. Bei diesem rasanten Wuchs verpasst man leicht den Erntezeitpunkt. In der Wildkräuterküche verwendet man in erster Linie die jungen Triebe, die optisch an grünen Spargel erinnern. Ihr Geschmack ähnelt dem von Rhabarber. Aus den zarten Sprossen lassen sich Süßspeisen wie deftige Gerichte zaubern. Doch schnell verholzt die Pf lanze. Allerdings eignen sich die Spitzen etwas älterer Exemplare noch für einen famosen, fruchtig-milden Aufgesetzten.


BODO BLEIBT ZU HAUSE

Online-Veranstaltungstipps Künstlerinnen und Künstler, Veranstalter und Kultureinrichtungen, Kinos, Theater, Museen, Bibliotheken, Sendeanstalten und Bildungsträger finden zurzeit in beeindruckender Geschwindigkeit einen – digitalen – Umgang mit der Krise und bringen Kultur direkt in die Wohnungen. Unser „digitaler“ Veranstaltungskalender soll eine Ermutigung sein, in den täglich wachsenden Angeboten im Netz zu stöbern. Unsere Solidarität gilt der von der Krise besonders betroffenen freien Kulturszene.

MUSIK Igor Levit Der Pianist Igor Levit gibt jeden Abend um 18 bzw. 19 Uhr ein Wohnzimmerkonzert, das er live auf Twitter überträgt. Konzerthaus Dortmund Das Konzerthaus Dortmund hat am 23.3. auf seiner Facebook-Seite angekündigt, jeden Tag dort ein Konzert zu zeigen. Dies tut es gemeinsam mit den anderen großen europäischen Konzerthäusern, die wie das Konzerthaus Dortmund Teil der ECHO (European Concert Hall Organization) sind. Klassik Resonanzen Die Musikschule Dortmund, der Förderverein der Musikschule Dortmund e.V. und die Klavier- und Flügel-Galerie Maiwald haben den Youtube-Kanal „Klassik Resonanzen“ ins Leben gerufen. Der Youtube-Kanal bietet sich für jun-

ge Musizierende als Plattform an, sich selbst und ein von ihnen sich zu eigen gemachtes Werk als Video vorzustellen. MusikliebhaberInnen und Fördernde können mit einem würdigenden „Kommentar“ oder per Email eine Rückmeldung geben, die an die Musizierenden weitergeleitet wird. So entsteht eine „internette“ Resonanz.

erInnen haben gleichzeitig die Möglichkeit, die KünstlerInnen mit einem „Eintritt“ nach Wahl auch finanziell zu unterstützen.

Beranger Der Künstler Beranger, der 2018 beim Uni-Sommerfest an der Ruhr Universität Bochum zu sehen war, überträgt seit März täglich um 20 Uhr Live-StreamLiving-Room-Concerts auf seinem Instagram-Kanal.

Neil Young Der Sänger Neil Young (neilyoungarchives.com) hat Hauskonzerte angekündigt, die er in den sozialen Medien, mit Ausnahme von Facebook, streamen wird. Einen genauen Termin hierfür gibt es allerdings noch nicht. Der Sänger Chris Martin von Coldplay sowie Singer/Songwriter John Legend haben bereits kleine Hauskonzerte gespielt. Zu finden sind diese auf den Instagram-Profilen der Künstler.

TV Noir TV Noir bietet MusikerInnen die Möglichkeit, Konzerte aus dem eigenen Zuhause über Instagram und Facebook zu streamen. Mit dabei waren bisher u.a. Lina Maly und Max Prosa. Die Zuschau-

Bayerische Staatsoper Die Bayerische Staatsoper präsentiert mehrere kostenlose Live-Streams aus den Bereichen Oper und Ballett sowie ein erweitertes Video-on-Demand-Angebot: www.staatsoper.de/streams.html

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BODO-TIPP

Musik | Wohnzimmerkonzerte In der Krise hat sich in kürzester Zeit ein Veranstaltungsformat etabliert, das vorher eher ein Nischendasein fristete: das im Netz live übertragene Wohnzimmerkonzert. MusikerInnen weltweit übertragen spontan oder im festen Rhythmus intime Konzerte vom eigenen Sofa aus. Darunter auch viele lokale,

denen bodo sich verbunden fühlt, von Tommy Finke bis Guntmar Feuerstein. Helmut Sanftenschneider bietet auf seinem Youtube-Kanal ein regelmäßiges Talk- und Musikversand zur „kulturellen CoronaNotversorgung“, die Musikerin Dota Kehr (bodo 1/19) gibt bei Facebook gar Gitarrenunterricht.

Staatsoper Stuttgart Die Staatsoper Stuttgart stellt bei „Oper statt Corona“ ein digitales Programm zusammen, damit Sie zurzeit nicht komplett auf Oper verzichten müssen: www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/ oper-trotz-corona/

mand an. Außerdem präsentiert die Playlist „Concert at Home“ausgewählte Titel der vielen Künstlerinnen und Künstler, Bands und Orchester, die in den kommenden Wochen die Elbphilharmonie und die Laeiszhalle bespielt hätten. www.elbphilharmonie.de

Elbphilharmonie Die Elbphilharmonie in Hamburg bietet verschiedene Konzerte als Video on De-

Kabarett | Comedy Waltraud Ehlert Waltraud Ehlert alias Esther Münch meldet sich täglich mit kleinen Beiträgen aus „Wallis humoristischer Notzentrale“ auf ihren Facebook-, Instagram- und YouTube-Kanälen.

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RuhrKultur-LIVE KabarettistInnen, Comedians und KleinkünstlerInnen sitzen nicht gerne untätig rum, schon gar nicht zwangsweise. Auf der Facebookseite RuhrKultur-LIVE findet bis auf Weiteres eine kulturelle Notversorgung statt. Jede Woche von Dienstag bis Freitag, 20.30 bis 21 Uhr stehen KünstlerInnen wie Waltraud Ehlert, Sabine Bode, Martin Fromme, Oli Hilbring und viele mehr zusammen mit Helmut Sanftenschneider vor der Kamera.

Sebastian 23 und Markus Barth Die Comedians Sebastian 23 und Markus Barth bieten auf ihren Instagram-Kanälen seit März Latenights an. In der „Allein daheim – Die Latenight ohne Show“ hatte Sebastian 23 bereits Gäste wie Sandra Da Vina, Florian Hacke, Sulaiman Masomi, Andy Strauß und Friederike Becht zu Gast. Markus Barth durfte in seiner „Die Stay The F*ck Home Show“ u. a. Sebastian 23, Ralph Ruthe, Nils Heinrich, Alain Frei, Christian Richter, Quichotte und Carolin Kebekus begrüßen.

Film & Fernsehen Heimkino Viele Kinos, darunter z.B. das Lichtspielund Kunsttheater Schauburg in Dortmund (www.schauburg-kino.com) und das endstation.kino in Bochum (www. endstation-kino.de), bieten ein umfassendes Film-Programm mit Neuheiten, Klassikern und Geheimtipps zum Leihen und zum Streamen zu Hause gegen eine kleine Gebühr an. Die Mediatheken Zerstreuung findet man derzeit auch in den umfassenden Angeboten der Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender.

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BODO-TIPP

Podcasts | Nordpol Das Format abonnierbarer Audio- und Videosendungen ist inzwischen so etabliert, dass es wohl kein Thema mehr gibt, zu dem es keinen Podcast gibt. Die unüberschaubare Vielfalt von reichweitenstarken Platzhirschen bei den Streamingdiensten und den Angeboten großer Medienhäuser bis zu kleinen

„special interest“-Produktionen bietet alles für die Zeit zu Hause. Ein besonderer Tipp: Das alternative Kulturzentrum Nordpol in der Dortmunder Nordstadt hat ein eigenes Live-Internetradio auf die Beine gestellt, bei dem sich die selbsterstellten Beiträge auch nachhören lassen: radio.nrdpl.org

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Ob Filme, Comedy, News, Kinderprogramm, Dokumentationen oder Serien – hier kann man jederzeit etwas Neues entdecken. Wer auf der Suche nach musikalischem Input ist, wird auf der ARTE concert-Seite fündig. Dort gibt es Konzerte aus allen Genres, Opern, Festivals und vieles mehr zu sehen. Zahlreiche klassische Konzerte bietet auch der SWR auf seiner Seite unter www.swr.de/swrclassic/ an.

Theater Oberhausen Das Theater Oberhausen geht weg von der gebundenen Erstausgabe, hin zum digitalen Theatererlebnis. Bernd Zander wird „Die Pest“ als digitalen Theaterfilm mit dem Ensemble und vielen OberhausenerInnen erarbeiten und ab dem 20. April jede Woche eine neue Folge online veröffentlichen.

Theater

Vorlesegeschichten Was können Eltern tun, wenn ihren Kindern in Zeiten von Corona die Decke auf den Kopf fällt? Und wie gewährleisten Lehrkräfte, dass ihre Schülerinnen und Schüler weiterlernen und nicht den Anschluss verlieren? Die Stiftung Lesen bündelt unter www.stiftunglesen.de/ vorlesen-corona Angebote für Familien mit Kindern und Lehrkräfte. Auf der eigens eingerichteten Website gibt es z.B. digitale Vorlesegeschichten, (Vor-)LeseApps, Buchempfehlungen, Bastel- und Aktionsideen, Infos sowie Unterrichtsmaterial für Lehrkräfte.

Schauspiel Dortmund Während das Haus am Hiltropwall die Tore wegen Corona weiter geschlossen halten muss, verlagert das Schauspiel Dortmund seinen Spielplan ins Netz und lädt zum Déjà-vu. Täglich ab 18 Uhr ist eine Inszenierung für mindestens 24 Stunden online. Tagesaktuelle Infos zum Déjà-vu-Spielplan gibt es auf den Social Media-Kanälen des Schauspiel Dortmund und der Homepage des Theaters: www.theaterdo.de.

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BODO-TIPP

Leibesübungen | Fit im Netz Mit den Fitness- und Aerobic-Wellen der 1980er Jahre etablierten sich Mitmach-Sportangebote fest im deutschen Fernsehen; bis heute produziert der BR ein tägliches „Tele-Gym“. Wie moderne OnlineSportangebote aussehen können, zeigt der YoutubeKanal des Basketball-Bundesligisten Alba Berlin mit

Planeten In der ARD-Mediathek lassen sich zahlreiche Beiträge zum Thema Lernen für Kinder und Jugendliche finden, darunter die Formate „Planet Wissen“ und „Planet Schule“. Lernen für jedes Alter Auch die ZDF-Mediathek bietet aktuell zahlreiche Lern-Videos für alle Altersklassen. Von GrundschülerInnen bis hin zu AbiturientInnen können alle hier ihr Wissen auffrischen oder Neues dazu lernen. Das Angebot wird stetig erweitert. Die Maus Das WDR-Fernsehen strahlt seit dem 18. März „Die Sendung mit der Maus“ täglich aus, darüber hinaus findet man

Angeboten für verschiedene Altersgruppen. Die erste Übungsstunde für Kita-Kinder erreichte nach wenigen Tagen bereits eine Million Aufrufe. Auch lokale Vereine schaffen neue Angebote: Der TSC Eintracht Dortmund bietet mehrere Live-Workouts täglich von Tanz über Pilates bis Kindersport.

die Sendung auch zeitunabhängig in der Mediathek. Für die Kleinen Auf www.kikaninchen.de finden die Kleinsten viel Abwechslung. Die Seite von KiKA bietet zahlreiche Spiele, Basteltipps, Ausmalbilder und viele weitere tolle Ideen.

Museen LWL-Museum für Archäologie Das LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne, präsentiert in der Reihe „Pest auf Sendung“ in mehreren Folgen einen Komplettrundgang

durch die Sonderausstellung „Pest!“. Auch für die jüngsten MuseumsbesucherInnen gibt es Videos mit den Ausstellungsbewohnern „Milli & Kalle“. Zu sehen ist das Ganze auf dem Facebook- sowie InstagramKanal des LWL-Museums für Archäologie. MKK Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund stellt zurzeit einige Exponate mit interessanten Erläuterungen aus der Ausstellung „Mein Dortmund“ auf ihrer Facebook-Seite vor. Virtuelle Führungen Weitere nationale und internationale Museen stellen derzeit virtuelle Führungen ins Netz, darunter das Deutsche Museum

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Sonntag 26. April 2020, 1 1–16 Uhr Informationen im Union Gewerbehof, Huckarder Str. 8–12, 44147 Dortmund Anmeldung bis zum 13. kt@union-gewerbehof.de

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in München, The British Museum in London, das Louvre in Paris, das Rijksmuseum in Amsterdam oder das Metropolitan Museum of Art in New York.

Literatur Stadt- und Landesbibliothek Dortmund In der Schließzeit bietet die Stadt- und Landesbibliothek Dortmund einen besonderen Service: Auch wer noch keinen Bibliotheksausweis besitzt, darf sich während der Schließzeit der Bibliotheken online und kostenlos Bücher oder andere Medien ausleihen bzw. herunterladen. Verfügbar sind sowohl Unterhaltungsangebote wie Romane, Musik oder Filme als auch viele Bildungsangebote z. B. für Schülerinnen und Schüler, die derzeit für ihr Abitur lernen.

Clubs

de. Das Kulturzentrum Pelmke e.V. lud im März zum 1. Pelmke-Soli-Stream mit einer Auswahl aus Deep- und Techhouse, Electronica, Disco u.a. Es lohnt sich also, die Homepages und anderen Kanäle der Clubs in der Region im Auge zu behalten, um die Party ins eigene Wohnzimmer zu verlagern und die Clubs gleichzeitig zu supporten. Berliner Clubs In Berlin haben sich Clubs, VeranstalterInnen und KünstlerInnen untereinander solidarisch gezeigt und starteten am 18. März die gemeinsame Streamingplattform www.unitedwestream.berlin, um auf eine Spendensammlung aufmerksam zu machen. In den kommenden Wochen werden Berliner Clubs in Zusammenarbeit mit ARTE concert täglich ein mehrstündiges Programm bieten.

Märkte

Party zu Hause Viele Clubs in der Region bringen die Party oder das Konzert direkt zu Ihnen ins Wohnzimmer. Der Rekorder in Dortmund hatte bereits im März ein Konzert mit Schlakks & Opek & Razzmatazz übertragen, das auf der Facebookseite des Clubs zu sehen ist. Die Rotunde in Bochum eröffnete die virtuelle Rotunde mit Kurtis Flow, DJ Schänz und Maicel an den Plattentellern und streamte es über Facebook und Instagram. In der Zeche in Bochum stand bereits DJ Salvatore an den Reglern, was auf ihrem Instagram-Kanal übertragen wur-

25.04.20

29.04.20 Gemeinsames Fastenbrechen Dialog | Vertrauen | Respekt | Toleranz 31.04.20

Design Gipfel Auch Design-Märkte sind von der aktuellen Situation betroffen. Und hier macht die Not erfinderisch. Die MacherInnen des Design Gipfel, der zweimal im Jahr im Depot in Dortmund stattfindet, bringen den Markt nun als #gipfelathome in die Wohnzimmer der KundInnen, die wiederum in den teilnehmenden Shops Rabatte, Goodies und weitere Überraschungen erhalten. Mit einem Onlinekauf werden gleichzeitig FreiberuflerInnen und kleine Unternehmen unterstützt. www.design-gipfel.de/gipfelathome/

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Frieden finden mit Kaffee Um im turbulenten Alltag ein wenig Frieden zu finden, braucht es nicht unbedingt Yoga oder Meditation. Es kann auch reichen, achtsam einen Kaffee am Morgen zuzubereiten. So geht es jedenfalls Ahmad Zhour, seit er das koffeinhaltige Heißgetränk nicht nur als notwendigen Wachmacher im Nachmittagstief, sondern als Genussmittel und Lebenseinstellung entdeckt hat. Ahmad Zhour ist eigentlich Augenarzt und angestellt in einer Praxis. Früher hätte Menschen ein solcher Beruf voll und ganz ausgefüllt – oder sie hätten vielleicht gar nicht darüber nachgedacht, was das Leben darüber hinaus zu bieten hat. „Wir sind die Generation, die sich lösen kann von althergebrachten Vorstellungen“, sagt der 33-Jährige, der sein Hobby im vergangenen Jahr zum Nebenerwerb gemacht und das Café Milchmichl eröffnet hat. Die Gründe dafür sind „multifaktoriell“, wie der Besitzer es ausdrückt: Da war die Leidenschaft für guten Kaffee, die seine Freundin in ihm geweckt hat. Da war die Erfahrung des Paars auf Auslandsreisen, dass man woanders an jeder Ecke in netter Gesellschaft einen guten Kaffee trinken kann. Da war die erfreuliche Entwicklung des Wiesenviertels in Witten zu einem kreativen Ausgeh30

Von Max Florian Kühlem Fotos: Daniel Sadrowski Quartier. Da war das schöne, leerstehende Eckladenlokal am Rande des Wiesenviertels. Und da war die Eröffnung der Kaffeerösterei Kijami – „einer der größten Gewinne für die Stadt, seit ich in Witten wohne.“ Als der Vermieter sich auch noch äußerst kooperativ zeigte und das ehemalige Bäckerei-Lokal vergrößerte und mit neuen Fenstern versah, haben Ahmad Zhour und seine Freundin sich den Traum vom eigenen Café verwirklicht. Neben fair gehandeltem und von Kijami geröstetem Kaffee aus Tansania gibt es heiße Schokolade und andere Heißgetränke, gute Säfte, selbst ge-

machte Kuchen (gern vegan) und mittags ein Eintopfgericht, das meistens die Mutter des Besitzers mit orientalischen Gewürzen zubereitet. Auch musikalische Poetry-Jams und Lesungen fanden im Milchmichl schon statt, dabei spielte die Initiative der Studierenden eine Rolle, die den Laden schmeißen, während Ahmad Zhour in seiner Praxis Patienten behandelt. „Ich wollte eine Ergänzung für das Wiesenviertel schaffen – für unterschiedlichste Menschen aus allen Generationen“, sagt er. Sein nächstes Ziel: Dass sich der gemütlich eingerichtete Laden auch selber trägt und die Alltags-Oase kein Hobby bleibt, bei dem er draufzahlen muss.


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Ahmad Zhour sagt: „Man muss allerdings gewarnt sein. Danach schmeckt nie wieder ein anderer Brownie.“

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REPORTAGE

„Ich bin, wie ich bin. Okay?“ Seit April lebt Luigi Rossignuolo mit seinem Hund Felu auf der Straße, macht Platte. So nennt man das Schlafen auf Beton. Er ist schwerer Alkoholiker. Der Tag beginnt mit einem Schluck aus der Flasche und endet damit. An einem trüben Dienstagvormittag treffe ich mich mit dem 42-Jährigen im Café 72, einer Tagesstätte. 24 Stunden will ich ihn begleiten, um zu verstehen, wie das Leben auf der Straße abläuft. Um einen Einblick zu bekommen. Denn mehr als das kann man es nicht nennen.

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Text und Fotos: Samuel Müller

Luigi bietet mir ein Stück Decke an. „Wird scheißkalt, glaub mir.“ Ich lehne dankend ab. Habe mich gut vorbereitet. Zwei Isomatten, Schlafsack, dicker Pullover, Jacke, Thermowäsche, Handschuhe, Mütze. Wird schon reichen. Plus zwei Grad zeigt das Thermometer an, der kalte Luftzug macht mir zu schaffen. Ich ziehe meinen Jackenkragen etwas höher und die Mütze über die Augen. Das gleißend helle Licht in der Unterführung über mir lässt mich nicht schlafen. „Lass dich einfach fallen“, nuschelt Luigi, „ich mach jetzt die Augen zu, bin echt ziemlich durch.“ Neben meinem Kopf liegen Kippenstummel. Der Geruch von Urin und Alkohol, der sich im Boden festgesetzt hat, brennt in meiner Nase. Felu, der zwischen uns liegt, übernimmt die Nachtwache. Die Alarmsirene für den Fall der Fälle.

„Guten Tag, die Fahrscheine bitte!“

„Sorry, habt ihr hundert Euro? Bekommt auch zwei dafür zurück!“ Luigi geht lachend auf eine Gruppe junger Männer zu, die alle eine Bierdose in der Hand halten. Hier am „Rondell“, so nennen sie den Treffpunkt vor dem S-Bahnhof, kommt die Szene zusammen, tauscht sich aus. „Haste gehört? Die haben gestern ‘nen Penner am Hauptbahnhof angezündet, hat seinen Schlafsack halb offengelassen. Irgendwas reingesprüht.“ Luigi kramt eine grüne Flasche aus seinem Rucksack und setzt an. Meisterschütz. Der billige Kräuterschnaps in der grünen Flasche verschlägt einem fast den Atem: „Ich bin, wie ich bin. Okay?“ Ich nicke. Das wird Luigi mir noch öfter sagen an diesem Tag.

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Mit der S-Bahn fahren wir in die Stadt. Schon über zehnmal ist er beim Schwarzfahren erwischt worden. Auch im Knast war er deshalb schon. Um Bußgelder, die er nicht bezahlen kann, abzusitzen. „Guten Tag, die Fahrscheine bitte!“, ruft Luigi durch den Waggon und zwinkert mir mit seinen braunen Augen zu. Die Fahrgäste schauen bedrückt weg, weichen seinem Blick aus. Luigi weiß genau, was für einen Eindruck er hinterlässt, wie er aussieht, dass er ein Penner ist. Die Provokationen helfen ihm, sich lebendig zu fühlen. Irgendwas, um zu spüren, dass er überhaupt noch existiert. Nur Kinder, Mütter und ältere Menschen, die behandelt er mit Respekt. Den Anschluss an die „Normalos“ hat er schon lange verloren. Deshalb verbringt er die Zeit mit Gleichgesinnten. An einer SBahn-Station, schon seit Jahrzehnten Anlaufstelle für Penner, Junkies, Alkoholiker und Dealer. Einer nennt es auch das „Wohnzimmer“. Als wir ankommen, werden Luigis Bekannte von fünf Polizeibeamten gefilzt. Von oben bis unten untersucht. Die Leute sind alle clean. Nur ein hagerer Mann mit bleichem, knochigem Gesicht hat Marihuana dabei. „Ist medizinisch, der ist schwer krank, hat auch ‘ne Bescheinigung“, meint Luigi. Die Streife rückt ab. Mindestens zweimal täglich werden sie hier kontrolliert. Jeden Tag. Hosen entleeren, Taschen öffnen, Personalien feststellen. Erniedrigend findet er das. „Die machen doch nur ihren Job“, meint ein anderer, „schon okay“, sagt jemand von hinten. Immer wieder kommen an diesem Abend Leute zwi-


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REPORTAGE

schen 20 und 30 und fragen nach verschiedenen Drogen, aber Luigis Leute sind keine Dealer. Die wollen hier nur in Ruhe gelassen werden und trinken. Eine Flasche billigen Wodkas macht die Runde.

„Jetzt kommt der erniedrigende Teil“ Aufgewachsen ist Luigi in Italien, mit sechs Jahren nach Stuttgart gezogen. Positive Erinnerungen an seine Kindheitstage gibt es nicht. Nach Alkohol und Cannabis folgen schnell LSD und Kokain. Irgendwann bietet ihm jemand „Shore“ an. Heroin. Das weiß er damals aber nicht. Er ist 19. Bald setzen die ersten Entzugserscheinungen ein. Er braucht mehr. Von da an ist er abhängig. Heroin sei wie eine liebende Mutter, die einen in den Arm nimmt. „Heroin gibt dir das, was dir kaputt gegangen ist.“ Eine Narbe an seiner

Armbeuge zeugt von der Vergangenheit an der Nadel. Blutvergiftung. Aufenthalte im Gefängnis zwingen ihn zum Entzug, unterbrechen die Sucht. Seinen dritten Entzug macht er freiwillig. Beim vierten klappt es dann. Der Knast hat ihm das Leben gerettet. Das war 2009. Seitdem trinkt er. „Jetzt kommt der erniedrigende Teil.“ Luigi sucht in einem Mülleimer nach einem gebrauchten Kaffeebecher und stellt ihn vor sich auf den Boden. Es ist schon dunkel, ein kalter Spätherbstabend in einer U-BahnStation. Viele Berufstätige haben Feierabend und sind auf dem Heimweg. Luigi hat keinen Cent in der Tasche, muss also schnorren – betteln. Zehn Euro braucht er jeden Tag, für Alkohol, Hundefutter für den heranwachsenden Felu und um Schulden, die er gestern gemacht hat, zu begleichen. Sein Hartz IV

L reicht nur einen halben Monat. Das Leben ist teuer auf der Straße. „Hoffentlich kommt die Polizei nicht, aber die kennen mich. Die sind zu mir korrekt. Weil ich zu ihnen korrekt bin.“ Eigentlich ist unter der Woche Aufenthaltsverbot in der Station. Und aggressives Betteln verboten. Wenn es schlecht läuft, gibt es einen Platzverweis.

Luigi kennt viele der Vorbeilaufenden: Leute, die im Viertel arbeiten, Stammkunden, auch Dealer und Prostituierte. Eine Frau Anfang zwanzig schmeißt ein paar Cent in den Becher. Ob es nicht langsam kalt werde. Ob wir etwas brauchten. Sie schaut mitleidig auf uns runter und flüstert: „Tut mir leid“. Luigi ist gerührt. Es passiert nicht oft, dass jemand stehen bleibt und sich tatsächlich für einen interessiert. Die meisten ignorieren uns. Ein Dealer geht seinem Geschäft nach. Später erscheinen zwei junge Männer, die auf eBay Schlafsäcke und Isomatten erstanden haben und verteilen. Luigi nimmt dankend eine Isomatte entgegen. Wo es noch mehr Obdachlose gebe, wollen sie wissen. Er leitet die Jungs an den Szenetreff an der S-BahnHaltestelle weiter. Später werden sie ihm dort dafür danken.

„Aber krass, oder?“

Felu springt auf. „Bitte lassen Sie mich in Ruhe, ich tu doch niemandem was. Wir sitzen hier nur. Wir machen nix!“ Vier Polizeibeamte treten in die U-Bahn-Unterführung. „Den Hund an die Leine!“, ruft die blonde Beamtin, die einen ausgewachsenen Schäferhund führt. Luigi ist kein Unbekannter. „Hast immer noch keinen Personalausweis, oder?“ Eigentlich müsste es eine Ordnungsstrafe geben. Aber Luigi hat kein Geld. Es bleibt bei einer mündlichen Verwarnung. Im Winter hat die Polizei auch Listen mit den Nummern für Notunterkünfte dabei. Aber viele gehen dort nicht hin. Auch Luigi nicht – er kann nicht, denn er hat ein Versprechen gemacht.

Im April 2019 fällt Luigis Ex-Freundin in ein Koma, Lungenversagen. Er verspricht, auf ihren Hund Felu aufzupassen. Und er hält sein Versprechen. „Ich bin ein Penner. Aber ein Penner mit Stolz.“ Deshalb kann er nicht in die Notunterkunft. Tiere sind dort nicht erlaubt. Auch einen Wohnsitz bekommt er nicht. Mit seiner kriminellen Vergangenheit, als Alkoholiker und zusätzlich mit Hund hat er auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt keine Chance. Seine Träume darauf hat er schon lange verloren. „Schau mir doch mal in

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die Augen! Wer will mich schon?“ Vor wenigen Tagen war er beim Arzt, er hat Probleme mit der Bauchspeicheldrüse. Wenn er weiter so trinkt, wird er nicht mehr lange leben, warnt der Arzt. Luigi weint. Er wird nichts ändern. Er kann nicht ohne Alkohol.

„Schau mir doch mal in die Augen! Wer will mich schon?“ Gegen Mitternacht suchen wir unser Nachtlager. Vorbei an Bars und Clubs, in denen noch ausgelassene Stimmung herrscht, landen wir in einer Unterführung. Gestern hat noch ein anderer hier geschlafen. Ein verdreckter Schlafsack und eine Handvoll Pappkartons liegen auf dem Boden verteilt. Luigi breitet seine Isomatte darauf aus. Hoffentlich kommt der andere nicht mehr. Er musste sich schon öfter um den Platz streiten. Über uns ist das Rauschen der vorbeifahrenden Autos zu hören. Ein relativ sicherer Ort, um Platte zu machen. Hier wird man uns in Ruhe lassen. Luigi nimmt nochmal einen kräftigen Schluck vom Kräuterschnaps. „Find ich ja echt geil, dass du das mitmachst. Aber krass, oder?“ Bevor Luigi die Augen schließt, dreht er sich noch einmal um: „Verstehst du jetzt Alkoholismus? Ich saufe, um den ganzen Scheiß hier zu ertragen und um abends, und sei es nur für ein paar Stunden, ins Koma zu fallen.“ Morgen muss er wieder schnorren gehen, doppelt so viel, weil heute nicht viel rumkam. Auch wo er schlafen wird, weiß er noch nicht. Sein Körper schaukelt unruhig im Schlafsack hin und her. Ein paar Stunden Schlaf, um den wirren Gedanken zu entfliehen. Langsam vermischen sich die Straßengeräusche mit seinem monotonen Schnarchen. Die Kälte des Bodens beginnt, in den Schlafsack zu kriechen. Ich zurre den Verschluss ganz zu und versuche, das helle Licht über mir zu ignorieren. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von INSP.ngo Der Journalist Samuel Müller begleitet den Obdachlosen Luigi Rossignuolo für 24 Stunden. Nachts, vor dem Einschlafen in einer Unterführung sagt Luigi: „Verstehst du jetzt Alkoholismus? Ich saufe, um den ganzen Scheiß hier zu ertragen.“

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SOZIALES

Günstige Wohnung, dringend gesucht Wohnungssuchende haben weiter mit steigenden Mieten zu kämpfen. Bund, Land und Kommunen setzen seit Jahren auf den sozialen Wohnungsbau, um günstigen Wohnraum zu schaffen. In Dortmund bekommen Investoren nun noch bessere Konditionen, wenn sie staatlich gefördert bauen. Aber: Viele wollen gar nicht. 2019 ist die Stadt auf fast 11 Millionen Euro Landesmitteln sitzengeblieben. Von Alexandra Gehrhardt Foto: Sebastian Sellhorst

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er Mangel vor allem an günstigen Wohnungen ist auch in Dortmund zum Dauerthema geworden. Längst haben nicht mehr nur Menschen mit geringem Einkommen, sondern auch NormalverdienerInnen damit zu kämpfen, eine Wohnung zu finden, die sie bezahlen können. Und es werden mehr: Ende 2019 standen beim Wohnungsamt 2.150 Haushalte auf der Warteliste für eine sogenannte Sozialwohnung. Mindestens so viele dieser Wohnungen fehlen also in Dortmund – gemessen am Einkommen hätte die Hälfte der EinwohnerInnen Anspruch darauf. Die Stadt versucht seit Jahren, den öffentlich geförderten Sektor zu stärken und

hat intensiv bei InvestorInnen dafür geworben, staatlich gefördert zu bauen und im Gegenzug eine Mieten-Obergrenze zu akzeptieren, um die Wohnungen Einkommensschwachen verfügbar zu machen. Seit 2015 erhält die Verwaltung ein sogenanntes Globalbudget vom Land, das sie je nach Bedarf einsetzen kann. Im Gegenzug verpflichtet sie sich zu 200 neuen Sozialwohnungen jährlich. Die aktuelle Bilanz: 2019 wurden 199 Neubauwohnungen bewilligt, weitere 39 Bestandswohnungen können mit Landesförderung saniert werden. Insgesamt sind 29 Millionen Euro nach Dortmund geflossen – mehr als 2018 (28,8 Mio.), aber deutlich

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weniger als im Boomjahr 2017 (51 Mio., 267 Neubauwohnungen) oder 2015 (48 Mio., fast 200 Neubauwohnungen). Zuletzt sind sogar fast elf Millionen Euro an Fördermitteln liegengeblieben. Nicht, weil die Stadt nicht genug geworben hätte, sondern weil niemand sie wollte. Übrigens auch die Stadt selbst nicht: Zwar hatte Planungsdezernent Ludger Wilde vor einem Jahr angekündigt, dass auch die Stadt selbst wieder in den Wohnungsbau einsteigen wolle – mehr ist seitdem allerdings nicht passiert. 2019 hat die Stadt keine eigenen Wohnungen bewilligt, auch für 2020 sei das nicht geplant. Von drei seit 2015 angestoßenen kommunalen Wohnungsbauprojekten werden zwei gerade erst fertig. Der Markt allein regelt es also nicht. Bauunternehmen verweisen auf steigende Baukosten durch explodierende Bodenpreise, Brandschutz- und Energieverordnungen, die Bauen in den letzten Jahren immer teurer gemacht haben. Für marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen rechnet sich die staatliche Finanzspritze nicht. Das Land hat die Förderbedingungen darum noch einmal verbessert und Dortmund in eine höhere Mietenstufe geschoben. Das bedeutet: Wer gefördert baut, bekommt einen höheren Zuschuss, muss weniger zurückzahlen und kann mehr Miete nehmen: 6,20 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter statt bisher 5,70 Euro.

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Trotzdem: Über das gesamte Jahr betrachtet reißen sich Bauherren nicht um das Geld, sondern finanzieren lieber frei. Mehr als zwei Drittel der 238 über die Wohnraumförderung bewilligten Wohnungen gehen nicht auf eine freie Entscheidung zurück, sondern auf eine städtische Quote, die bei allen Bauvorhaben 25 Prozent Sozialwohnungen vorschreibt. InvestorInnen sparen sich damit nicht nur staatliche Vorgaben, sondern können auch viel mehr Gewinn machen: Während im sozialen Wohnungsbau die Kaltmieten in Dortmund auf 6,20 Euro pro Quadratmeter gedeckelt sind, lagen sie im freifinanzierten Neubau 2018 im Mittel bei 10,50 Euro. 37


SOZIALES

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Obdachlosenunterkünfte gehören zur Pflichtausstattung jeder Kommune – wer keine Wohnung hat, hat einen Rechtsanspruch auf Unterbringung, zuständig ist die Stadt oder Gemeinde, in der sich die Betroffenen gerade aufhalten. Dortmund hat eine andere Sprachregelung: Das Kriterium zur Aufnahme ist offenbar nicht Obdachlosigkeit, sondern eine „Gefahr für Leib und Leben“.

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er hat Recht auf ein Bett in einer Notunterkunft? Eigentlich: alle, die keine Wohnung haben. In der Praxis sieht das oft anders aus. In Dortmund ist die Frage nicht, wer obdachlos ist, sondern wer für die Unterbringung zahlt. Wenn Jobcenter oder Sozialamt die Miete zahlen, zahlen sie auch die Unterbringung, wer keine Leistungen bekommt, muss selbst zahlen.

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Wenn es darum geht, für wen die staatliche Fürsorge gilt, machen oft feine Sprachregelungen den Unterschied, auch in der Frage, wer ein staatliches Obdach bekommt. „Niemand, der sich nicht selbst helfen kann“ schließt die aus, die als sogenannte freiwillig Obdachlose markiert werden – EU-Zugewanderte zum Beispiel, die sich selbst „helfen“ könnten, wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. „Niemand, der um einen Schlafplatz bittet“ meint gerade die nicht, die gar nicht erst bitten, weil sie die Partnerin oder den Hund nicht allein lassen wollen, eine Angsterkrankung haben, suchtkrank sind.

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Jetzt gibt es wieder eine neue Sprachregelung. Im März berichtete bodo von einem Journalisten, der im Selbstversuch um einen Schlafplatz in der Unterkunft für Männer gebeten hatte und abgewiesen wurde, als er keinen Ausweis zeigen konnte. Auf Anfrage teilt die Stadt mit, Wohnungslose aufzunehmen, „wenn ‚Leib und Leben‘ in Gefahr sind“. Wer keinen Ausweis habe, müsse klar machen, dass er sich „in einer dringenden Notsituation“ befinde. Nicht Obdachlosigkeit scheint also das Kriterium zur Unterbringung zu sein, sondern Lebensgefahr. Woanders ist sie Kriterium für einen Rettungswagen. Nicht nur der Weg in die Notunterkunft ist verzwickt. Im Februar erhielt die Redaktion Hinweise, dass die Bürgerdienste mehrmals Wohnungslosen verweigert hatten, ihren Wohnsitz anzumelden. Dazu gab es

ein Schreiben, das bescheinigte, dass eine Anmeldung ohne Wohnung nicht möglich sei. Das liegt an einer Änderung im Bundesmeldegesetz, erklärt die Stadt: Seit 2015 setze der Eintrag im Melderegister eine Wohnung voraus. „Ohne Bezug einer Wohnung kann keine Eintragung im Melderegister erfolgen.“ Das Problem: Für viele städtische Leistungen ist dieser Eintrag nötig, weil zum Beispiel Sozialamt und Jobcenter in Dortmund nur für DortmunderInnen zuständig sind. Die Diakonie, die in Dortmund die zentrale Beratung Wohnungsloser betreibt, betont: Sie berate, anders als berichtet, auch Menschen, die keine Dortmunder sind. Die Wohnsitzanmeldung sei nicht Voraussetzung, sondern Ziel der Beratung. Immerhin: Auch mit der Ablehnungsbescheinigung können sie Leistungen beantragen, teilt die Stadt mit. Wer keinen Ausweis hat, muss zur zentralen Beratung der Diakonie, erhält dort eine Erreichbarkeitsadresse und eine „Mittellosbescheinigung“. Bei den Bürgerdiensten bekommen Wohnungslose dann einen kostenlosen vorläufigen Ausweis; dieser ist der Schlüssel zu Sozialleistungen, über die dann auch die Unterkunft bezahlt wird. Ein Verfahren, das schon für Menschen kompliziert ist, die nicht in Krisen stecken. Wer dabei nicht ausreichend begleitet wird, droht, auf der Strecke – und draußen – zu bleiben.


BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Von morgen Wer Sibylle Bergs GRM, das wichtigste Buch des vergangenen Jahres, gelesen hat, lebt in einer Art Dauer-Déjà-vu. Der Brocken von einem Roman hat eigentlich alles schon erzählt. Den Kollaps der Globalisierung, Daten-Tracking als Gemeinwohlerzählung (heute von Corona-Spreadern), das abrupte Ende der Arbeit und das Grundeinkommen als Sedativum, die kommende digitale Effizienzsteigerung der Demokratie und ihr Ende – alles schon gelesen. Nun strahlt in keinem der Bücher von Sibylle Berg die warme Morgensonne, aber wie falsch es ist, bei der vielfach ausgezeichneten Bühnen- und Buchautorin einfach ein Faible für den Weltuntergang zu vermuten, zeigt eindrücklich der soeben erschiene Interviewband „Nerds retten die Welt“. Als eine Art Vorarbeit zu GRM führte Sibylle Berg für das Schweizer Magazin „Republik“ Interviews mit Expertinnen aus Politologie und Pathologie, aus Neurowissenschaften und Meeresökologie, aus Geschlechterforschung und Robotik. Und diese Interviews vibrieren geradezu vor Begeisterung für Welterkenntnis, sind mitreißend und überraschend und eine Einladung, denn: „Unfertige Zustände reizen zum Denken.“

Von Solidarität Von unten Um mal anders anzufangen: Schönes Thema, die NZZ hätte aber lieber einen Roman gelesen, das sei keiner. Die SZ hätte wie die „taz“ gern einen klug reflektierenden Ich-Erzähler angetroffen, aber seine Klasse lasse man ja nicht einfach hinter sich. „Also gerne mehr Unterklassenliteratur. Aber bei der literarischen Durchdringung des Stoffs ist noch Luft nach oben“, motiviert die ZEIT. Wenn das deutsche Feuilleton klingt wie der Studienrat vor dem aufs Gymnasium verirrten Jungen mit den Büchern in der Aldi-Tüte, wird es interessant.

Weil Frau Berg Texte durchkomponiert, lautet das letzte „Optimismus“, und weil sie im Heute lebt, finden sich neben den Texten QR-Codes, die einem Fußnoten und Links aufs Handy schicken.

Christian Baron, Journalist, aufgewachsen in Kaiserslautern, hat die Geschichte seiner Kindheit aufgeschrieben. Eine je nach Sprachgebrauch des Bewertenden arme, „asoziale“ oder bildungsferne Kindheit. Sohn eines prügelnden und saufenden Möbelpackers und einer depressiven und früh versterbenden Mutter, Unterschicht. Aufgeschrieben hat Baron sie nicht als ein Didier Eribon, als reflektierender Intellektueller, der die politische Geschichte seines Landes anhand seiner Biografie entwickelt, sondern unmittelbar, ungeschützt, fast zärtlich und allein mit der Sprachlosigkeit seines ehemaligen Milieus als Material.

Sibylle Berg | Nerds retten die Welt. Gespräche mit denen, die es wissen ISBN: 978-3-462-05460-6 Kiepenheuer & Witsch | 336 S. | 22 Euro

Christian Baron Ein Mann seiner Klasse ISBN: 978-3-546-10000-7 Claassen | 288 Seiten | 20 Euro

Mit den drastischen Versuchen zur Eindämmung des neuen Coronavirus erwächst unmittelbar eine Einkommenskrise, mit den Folgen für die Gesamtökonomie drohen massive Jobverluste. Die Bundesregierung reagiert früh mit Regelungen zur Stundung von Mietschulden, doch dass Konflikte auf dem Wohnungsmarkt in neuer Form aufbrechen werden, scheint absehbar. Der Journalist und Autor Peter Nowak und der Filmemacher („Mietrebellen“ und der Ruhrgebiets-Initiativen-Film „Das Gegenteil von Grau“), Fotograf und Soziologe Matthias Coers haben in ihrem kurz vor Corona – und auf dem Höhepunkt der Wohnungskrise – veröffentlichten Band „Umkämpftes Wohnen“ einen Überblick, eine Würdigung und gleichzeitig so etwas wie eine „bestpractice“-Sammlung zur MieterInnenSelbstorganisation in den Städten zusammengestellt. Interviews, Manifeste und Selbstbeschreibungen von Stadtteilinitiativen und Nachbarschaftsgruppen werfen Schlaglichter auf die MieterInnenkämpfe in Berlin, Leipzig, Frankfurt a.M., aber auch in Barcelona, Poznań oder Athen. Die Autoren sehen ihren Sammelband als „ermunternden Beitrag zur neuen Solidarität in den Städten“. Peter Nowak, Matthias Coers Umkämpftes Wohnen. Neue Solidarität in den Städten ISBN: 978-3-96042-017-0 Edition Assemblage | 144 Seiten | 10 Euro

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INTERVIEW

20 Jahre selber machen Seit zwei Jahrzehnten ist Fö, der eigentlich Felix heißt, mit seinem Online-Punk-Fanzine und dem dazugehörigen Festival fester Bestandteil der Musikszene des Ruhrgebiets. Im April feiert die Webseite „bierschinken.net“ zwanzigjähriges Jubiläum. Uns hat Fö erzählt, wie alles anfing und wie man sich 20 Jahre lang die Begeisterung bewahrt. Von Sebastian Sellhorst Fotos: Daniel Sadrowski

Von „Bierschinken“ empfohlenen Konzerte und Mitschnitte: www.bierschinken.net

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Wie bist du zum Punk gekommen? Ich komme aus Neustadt in Niedersachsen. Wir sind damals alle paar Jahre umgezogen. Deshalb würde ich nicht sagen, dass ich irgendwo auf- oder in eine Szene reingewachsen bin. Mein erstes richtiges Konzert war 1995 „Die Ärzte“ mit „Wizo“ als Vorband. Damals war ich zwölf und bin mit meiner Mutter da hin. Die ist früher raus, weil es ihr zu laut war. Ich bin geblieben. 1999 bin ich nach Dortmund gekommen und hätte mir einen komplett neuen Freundeskreis aufbauen müssen – was ich erstmal nicht gemacht habe. Stattdessen bin

ich mit den Leuten, mit denen ich musikalisch auf einer Wellenlänge war, nach Düsseldorf, Köln, Krefeld und Berlin auf Konzerte gefahren. Wie kamst du dann dazu, eine Webseite mit Konzertberichten zu starten? Viele meiner Freunde kannte ich damals über das Internet. Das war um die Jahrtausendwende, lange vor Facebook oder anderen Social-Media-Plattformen. Um uns gegenseitig unsere Fotos vom letzten Konzert zu zeigen, haben wir uns irgendwann eine Webseite gebastelt.

Der Name „Bierschinken“ ist – wen wundert es – aus einer Bierlaune entstanden. Am Anfang waren es nur Fotos. Dann kamen irgendwann immer längere Bildunterschriften dazu. Mein zweites Hobby und mittlerweile mein Beruf ist Programmieren. Da war die „Bierschinken“-Seite immer der Ort, an dem ich mich ausprobieren konnte. Im Laufe der Jahre ist es weiter gewachsen, es kamen immer mehr Leute dazu, die mitgemacht haben, und mittlerweile haben wir ca. 2.300 Konzertberichte, 2.000 Plattenkritiken und eine Konzerttermin-Datenbank mit ca. 6.000 Terminen pro Jahr online.

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INTERVIEW

Hinzu kommt, dass ich mir einfach gerne Konzerte anschaue. Wenn ich die Wahl habe, irgendeine Band anzuschauen, die ich nur ganz okay finde, oder mich vor den Fernseher zu setzen, dann fahre ich halt zur Band. zu Hause habe ich eine Liste, mit Konzerten, bei denen ich war, die erreicht gerade die 2.000er-Marke. Wie bist du dann Veranstalter geworden? Als die Webseite ihr zehnjähriges Bestehen feierte, dachten wir uns, es wäre an der Zeit, mal selbst ein Konzert zu veranstalten. Das erste „Bierschinken“-Festival fand darauf hin im Tommy-Weisbecker-Haus in Berlin-Kreuzberg statt. Teilweise haben da Bands gespielt, die heute noch aktiv sind, wie zum Beispiel „Pascow“. Das nächste Festival veranstalteten wir dann zum elften Geburtstag im „Rattenloch“ in Schwerte. In Dortmund sind wir dann durch einen Zufall gelandet. 2011 gab es eine Veranstaltungsreihe namens „Rockstage“, ausgerichtet vom Jugendamt der Stadt im FZW, die ich auch immer gerne besucht habe. Als ein

Termin dieser Reihe ausfiel, sind wir quasi eingesprungen. Der Termin war da, die Unterstützung war da, und dann haben wir halt angefangen. Seitdem mache ich zweimal im Jahr „Bierschinken eats FZW“. Veranstalter und Ansprechpartner ist das Jugendamt, das sich natürlich freut, wenn jemand Dinge organisiert, der auch eine gewisse Szene bindet. Da ich nur für das Booking und die Koordination zuständig bin und selbst kein finanzielles Risiko trage, habe ich die Möglichkeit, auch mal Dinge auszuprobieren und weniger bekannte Bands anzusprechen. Im Gegenzug weiß aber auch das Jugendamt, dass die Dinge funktionieren. Wie wählt man die Bands aus? Auch wenn wir natürlich den Fokus auf Punk legen, ist es für mich eher wichtig, sich musikalisch nicht einzuengen. Natürlich ist Musik für alle, die mit „Bierschinken“ zu tun haben, immer irgendwie mit Gitarren verbunden. Solange ich eine Band gut finde und sie gerne anderen Leuten zeigen möchte, findet sich für sie aber ein Platz beim „Bierschinken“. Klar muss ich auch mal gucken, dass ein bekannterer Name dabei ist, aber wenn es nach mir ginge, hätten die Festivals keinen Headliner. Dabei versuche ich, alles so niedrigschwellig wie möglich zu halten. Das Bier kostet 2 Euro und der Eintritt liegt immer unter 10. Anders als viele andere Festivals sind wir nicht wachstumsorientiert. Ich will mir den Luxus rausnehmen, auch einfach mal nur unbekannte Bands zu buchen und dann damit zu leben, dass nur das Stammpublikum kommt.

Wie funktioniert Dortmund als Ort für Punkkonzerte? Leider hat Dortmund kein Autonomes Zentrum wie die meisten ähnlich großen Städte, sondern dafür kleine Locations wie den Nordpol oder den Rekorder in der Nordstadt, die aber leider nur begrenzte Möglichkeiten für Konzerte haben. Auch dem alten FZW trauern noch viele Leute hinterher. In Dortmund muss man sich daher seine Räumlichkeiten suchen und die dann auch mit spannenden Veranstaltungen besetzen. Wo nimmst du die Motivation für so viel unbezahlte Arbeit her? Die Punkszene lebt ja davon, dass Leute selber und ehrenamtlich Sachen machen. Und in dieser Szene fühle ich mich halt unglaublich wohl und ziehe da ja auch eine Menge raus, wenn ich selbst auf Konzerte gehen oder coole Platten kaufen kann. Irgendwie fühle ich mich dann auch verantwortlich, dazu beizutragen, dass die Szene weiter lebt. Aus diesem Gedanken heraus habe ich auch kein Bock, mit dem Veranstalten von Konzerten oder der Webseite Geld zu verdienen. Ich mag diese Trennung. Ich hab meinen normalen Job. Und ich hab mein – zwar sehr zeitaufwendiges – Hobby, mit dem ich aber kein Geld verdienen muss. Wenn ich jetzt den Druck hätte, dass „Bierschinken“ Geld einspielt, würde ich, glaube ich, schnell die Lust verlieren. Was mir Spaß macht, ist es, Bands, die ich selber gut finde, anderen Leuten präsentieren zu können. Und es ist jetzt auch nicht so, dass es in Dortmund ein Überangebot an Konzerten dieser Art gibt. Natürlich ist es auch oft stressig, aber bis jetzt hatten wir eigentlich immer viel Glück mit allen Bands, die wir gebucht haben. Natürlich fällt mal eine Band aus oder es gehen kleinere Dinge schief. Aber dazu ist alles schon sehr gut eingespielt, sodass dann nicht alles zusammenbricht. Die Bands, die wir buchen, kommen aus unserem Umfeld. Da kennt man sich und weiß, sich gegenseitig zu nehmen. Wie viele „Bierschinken“ wird es noch geben? Es gibt Zeiten, in denen das Organisieren von Konzerten schon sehr anstrengend werden kann und man sich denkt, das könnten jetzt auch mal jüngere Leute machen. Aber das Festival werde ich auf jeden Fall weiter machen. Es ist einfach ein großes Gefühl, wenn ein Abend vorbei ist, und 300 Leute und 10 Bands hatten einen schönen Abend. Und egal, wie viele tausend Bands du schon gesehen hast, du entdeckst immer wieder etwas Neues, wenn vor dir Leute auf die Bühne gehen.

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Eine Frage, Herr Miaskowski:

Was sind das eigentlich für Schilder? Jeder kennt sie, die kleinen gelben, roten und blauen Hinweisschilder, die am Straßenrand oder an Hauswänden und Laternen mit einem Wust an Zeichen, Zahlen und Buchstaben hängen. Doch was bedeuten sie und wo führen sie einen hin?

Thorsten Miaskowski, Rohrnetzmeister der Bochumer Stadtwerke

„Am verbreitetsten unter den sogenannten Hinweisschildern für Straßeneinbauten sind wohl Hinweisschilder für Hydranten und für Wasserschieber“, weiß Thorsten Miaskowski, Rohrnetzmeister der Bochumer Stadtwerke. Das wichtigste von ihnen ist das rot umrandete Hinweisschild für Hydranten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sorgen Hydranten für eine Versorgung mit Löschwasser. „Assoziiert man das Wort ,Hydrant' meist noch mit oberirdischen roten Entnahmestellen, ist der am meisten verbreitete Hydrant heutzutage der Unterflurhydrant, der plan unter einer Hydrantenkappe in der Straße verbaut ist.“ Damit die Feuerwehr diesen Hydranten im Notfall schnell findet und direkt weiß, was sie unter der Abdeckung erwartet, informieren darüber gut sichtbare und genormte Hinweisschilder. Die erste große Zahl auf diesen Schildern informiert über den Innendurchmesser der Rohrleitung in Millimetern, was eine große Rolle spielt, wenn es um die Menge an Wasser geht, die pro Minute entnommen werden kann. Die Zahlen unter dem großen T informieren dann darüber, wie viele Meter man

nach rechts oder links und nach vorne gehen muss, bis man den Hydranten findet. „Die Feuerwehr in Bochum möchte alle 80 Meter einen Hydranten haben, damit die Löschwasserversorgung sichergestellt ist“, so Miaskowski. „Neben der Entnahme von Löschwasser können die Hydranten auch genutzt werden, um Trinkwasser für die Bevölkerung zu entnehmen, oder sie können eingesetzt werden, falls Rohrleitungen gespült werden müssen. Alleine im Bochumer Stadtgebiet haben wir 10.314 von diesen Hydranten.“

Neben den Hydranten gibt es die „Schieber“ genannten Absperrventile des Ortswassernetzes, die mit blauen Schildern gekennzeichnet sind. Die Angaben auf ihnen sind ähnlich aufgebaut. „Mit diesen Schiebern, von denen wir zurzeit 14.077 in Bochum haben, können Teile des Wassernetzes z.B. im Falle eines Rohrbruches vom Netz abgetrennt werden.“ Des Weiteren können Schilder auf Gas-, Fernwärmeund elektrische Leitungen hinweisen. (sese)

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„17 Tage im März“ Warum habt Ihr dies nicht in der Geschichte zum KappPutsch in Dortmund vermerkt? Auf der Geschichtsseite des Dortmunder Stadtbezirks Innenstadt-Nord steht: „Freikorps-Soldaten nehmen 1920 auf dem Nordmarkt einen Arbeiter fest. Er muss sich bei einer Durchsuchung nach Waffen entkleiden. Dabei entdecken die Soldaten ein großes, längliches Muttermal, welches über die Schulter des Festgenommenen verläuft. Da sie vermuten, es handele sich um den Abdruck eines Gewehr-Trageriemens, töten die Soldaten den Arbeiter auf der Stelle. Sein Kopf wird zur Abschreckung auf einen Pfahl gespießt und am Nordmarkt aufgestellt.“ Grüße, U. S. bodo 03.20

Interview Aladin El-Mafaalani Liebe bodo-Redaktion, zugegeben, ich lese die bodo nicht immer so akribisch wie dieses Mal, doch fast jeder Artikel war „irgendwie" interessant. Für mich das Beste aber: das Gespräch mit dem Autor El-Mafaalani über seine Analyse des Bildungssystems. Ich frage mich als ehemalige Lehrerin: Gab es vor 15 Jahren auch schon Bücher mit diesem klaren Blick auf den Mythos „Chancengleichheit“? Allerdings hat mich irritiert, dass die Gesamtschule als Schulform überhaupt nicht genannt wird?! Das Buch werde ich lesen! Weiter so, bodo! Mit freundlichen Grüßen, B. G.-N. bodo 03.20

„Hut ab!" Mir hat schon Ihr Februarheft außerordentlich gut gefallen, aber das aktuelle Straßenmagazin ist von vorn bis hinten, von Fernsehköchin bis Bildungsforscher, von Ruhrkampf 1920 bis Obdachlosenzählung 2020, spannend. Hut ab! MfG, G. R.

bodo-Jubiläumsfeiern Das war ein spannender und super organisierter Mix aus Information, Diskussion, Lesung und Musik. Es wurde deutlich, wieviel noch zu tun ist, aber auch, mit wieviel Engagement und Verve die „bodos“ immer wieder neu damit loslegen, die Welt ein bisschen freundlicher zu machen. Es hat Spaß gemacht, dabei zu sein. Danke, U. W. War super und sehr informativ – herzlichen Dank! N. N. via Facebook Es war schön bei Euch,man fühlte sich willkommen ! Danke, H. L. via Facebook


RÄTSEL

Unser Titelfoto: Die Fitnesstrainerin Antonietta Orsini gibt von ihrem Balkon in Rom aus eine Übungsstunde für ihre Nachbarn, die während der Corona-Ausgangssperre ihre Häuser nicht verlassen können. Foto: Remo Casilli / Reuters

Verkaufsstopp des Straßenmagazins Liebe bodo-Verkäufer, ich wünsche Euch alles Gute in dieser schweren Zeit. Bleibt gesund! Hoffentlich gibt es trotz Corona Hilfen und niemand muss hungern. Hoffentlich bleiben die Notschlafplätze geöffnet. Und vor allem: Hoffentlich kommt bald ein Ende der Krise. Herzliche Grüße, Eure H. B. Liebe bodos, was sind das für wilde Zeiten! Ich weiß noch, wie Bastian Pütter auf der Jubiläumsfeier in Bochum vor wenigen Wochen erzählte, wie wichtig es Euch ist, einen Großteil des Geldes, das Ihr zum Helfen braucht, mit Eurer Arbeit selbst zu verdienen. Und dass Ihr eigentlich ohne Rücklagen und Sicherheiten arbeitet – und ohne Geld von der Stadt. Wie geht es jetzt weiter mit Euch? Ich hoffe sehr, dass an dieser Stelle der Staat, für den Ihr seit 25 Jahren die Arbeit macht, einspringt. Damit wir weiter auf Eure großartige Arbeit zählen können. Ich wünsche, dass Ihr und wir alle gut durch diese Katastrophe kommen. Alles Gute! B. F. bodo Transport

„Glücklich“ Hallo Frau Posegga-Dörscheln, vielen Dank! Toll, wie sauber Sie gearbeitet und alles hinterlassen haben. Trotz der Wetterkapriolen hat alles geklappt. Wir sind glücklich und mega zufrieden.Wir werden Sie weiterempfehlen.

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

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Liebe Grüße, S. u. M. H.

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Seit etwas mehr als einem Jahr verkauft Dennis das Straßenmagazin. Zurzeit verbringt er die Nächte in der städtischen Männerübernachtungsstelle für Obdachlose in Dortmund. Uns hat er erzählt, wie er momentan seine Tage verbringt und wie er die Wohnung verloren hat, in der er von der Stadt untergebracht war. Text und Foto: Sebastian Sellhorst

„Wo soll man ohne Wohnung denn hin?“ Als wir vor etwas mehr als einem Jahr für das Straßenmagazin mit Dennis gesprochen haben, war er gerade aus der Notunterkunft in der Unionstraße in eine Wohnung gezogen, die die Stadt ihm über das sogenannte Wohnraumvorhalteprogramm gestellt hatte. „Der Platz in der Wohnung war eigentlich ganz okay. Dort lebten noch zwei andere Jungs, aber mit denen bin ich zurechtgekommen“, erzählt er uns. „Probleme gab es erst, als ich vor zwei Wochen einen Kumpel habe bei mir schlafen lassen, der zu der Zeit selbst auf der Straße war“, so Dennis. „Das ist nicht erlaubt.“ Zwei Sozialarbeiter vom Sozialamt hätten regelmäßig Hausbesuche gemacht und bei einem nicht Dennis, aber den Kumpel angetroffen. Am 12. März, einen Tag vor dem ersten Erlass, im Zuge dessen in NRW Schulen und Kitas geschlossen wurden, sei er zu einer Anhörung beim Sozialamt gegangen. „Da habe ich das auch zugegeben. Ich wollte ehrlich sein in der Hoffnung, dass es was bringt. Am nächsten Vormittag kamen zwei Mitarbeiter vom Sozialamt mit einem Bescheid, dass ich sofort ausziehen muss. Ich hatte keine großen Taschen da und konnte nur begrenzt Sachen mitnehmen. Ich habe wohl noch die Chance, die Sachen da rauszuholen, allerdings weiß ich wegen Corona jetzt nicht, wann, da ich bis jetzt niemanden erreichen konnte.“

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Also ist Dennis jetzt wieder in der Notunterkunft. Zu dritt seien sie dort im Fünfbettzimmer. „Das ist alles andere als optimal, aber immer noch besser, als draußen auf der Straße zu schlafen.“ Problematischer als die Nächte seien die Tage, erzählt er: „Aktuell ist es so, dass wir um 6.40 geweckt werden und dann um 8 Uhr raus sein müssen.“ Um 12 Uhr ist dann wieder Einlass. „Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich zu einem Kumpel gehen kann, bei dem ich zu Hause den Tag verbringen darf. Für andere Bewohner ist das bestimmt schlimm, weil man nirgendwohin kann und alles zu hat.“ Das merke man auch an der Stimmung. „Die ist echt angespannt. Ich versuche, da so wenig Zeit wie möglich zu verbringen.“ „Es sind schon verrückte Zeiten“, sagt er. „Du hörst überall, du sollst den Kontakt zu Menschen meiden. Gleichzeitig ist, wenn du ohne Kohle auf der Straße bist, Kontakt mit Menschen der einzige Weg, um an Geld oder was zu Essen zu kommen“, erzählt er. „Wo sollen die Leute denn hin? Man darf nicht mehr in Gruppen sein und soll zu Hause bleiben, aber die meisten haben halt nicht die Möglichkeit. Ich hoffe, dass die Leute auf der Straße nicht vergessen werden und einige Regeln vielleicht angepasst werden, damit auch die Menschen auf der Straße das irgendwie durchstehen. Ich freu mich jetzt schon, wenn ich wieder ganz normal mit bodos an meinem Verkaufsplatz stehen kann.“


Anzeige Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Westliches Westfalen e.V.

Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Eigentlich wollte ich über die Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden zu schauen, wie die NRW-CDU sich zerlegt. Wie zwei Kandidaten gegen einen Boss (an)treten, der nebenher noch ein bisschen Ministerpräsident ist. Friedrich Merz und Norbert Röttgen teilen sich gerade das Schicksal der Kabarettisten. Es fehlt ihnen wegen Sars-CoV-2 die Bühne. Komiker bedroht das Absterben des öffentlichen Lebens existentiell. Bei Merz ist es schlimmer, es trifft sein Ego. Jens Spahn steht im Mittelpunkt und Armin Laschet leider auch. Er lobt sich für seine schnelle Krisenreaktion. Handgestoppt lagen zwischen Ausbruch der Epidemie im Kreis Heinsberg Pressekonferenz am 10. März gerade mal zwei Wochen. Am Abend zuvor war er wieder mal in eigener Sache unterwegs: Ein exquisites Abendessen bei der Unternehmerin Alexandra Oetker in Berlin stand an. Live im ZDF konnten wir Landeskinder feststellen: Längst ist bundesweit jeder Klopapierwitz gemacht und das auch noch von jedem. Armin Laschet jedoch hat endlich den Kenntnisstand eines Bild-Lesers vom vorletzten Wochenende und macht daraus eine Pressekonferenz. Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

Drei Tage später ist er wieder live. Dieses Mal muss er sogar seine feste Entschlossenheit vom Zettel ablesen. Dafür glaubt er, der nächste Montag sei der 19. April. Am Abend behauptet er, dass er neulich entschieden Veranstaltungen ab 10 000 Besuchern

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verboten habe. Es waren 1 000, egal. Die Journalisten erliegen dem Drolligen widerstandslos. (Notiz: Für künftige Krisen Kartoffelchips hamstern.) Diese sedierende Magie der Harmlosigkeit wird ihm wahrscheinlich etwas später den CDU-Vorsitz einbringen. Ironie: Getragen wird er dabei von Jens Spahn, seinem Huckepackkandidaten. Der nächste Kanzler jedoch dürfte dann ein Bayer werden.

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