bodo Februar 2019

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bodo DAS

02 | 19 Die besten Geschichten auf der Straße

IN STRASSENMAGAZ

2,50 Euro Die Hälfte für den Verkäufer

LIEBESGRÜSSE AUS WATTENSCHEID PL ASTIKFASTEN WELTWEIT BESUCH AUF DER PL ATTE

Karla Schefters Afghanistan Seite 12

Thomas Wessel Seite 4

NORDCHINA IN HÖRDE

T K C A P R UNVE N IN E F U A K IN E IG T L A H NAC H UND M T R O D D N U M U H C BO

NUR MIT AUSWEIS

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IMPRESSUM

Herausgeber, Verlag, Redaktion: bodo e.V. , Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.: Bastian Pütter, redaktion@bodoev.de 0231 – 950 978 12, Fax 950 978 20 Layout und Produktion: Andre Noll, Büro für Kommunikationsdesign info@lookatnoll.de Veranstaltungskalender: Petra von Randow, redaktion@bodoev.de

INHALT

Woanders ist auch Himmel

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Pfarrer Thomas Wessel hat aus der innerstädtischen Christuskirche in Bochum einen spannenden Ort für Kunst, Kultur, Politik und Gedenken gemacht. Immer wieder mischt er sich engagiert in aktuelle Debatten ein. bodo wollte wissen: Was ist das für ein Typ? Von Max Florian Kühlem

Anzeigenleitung: Susanne Schröder, anzeigen@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Vertriebsleitung: Oliver Philipp, vertrieb@bodoev.de 0231 – 950 978 0, Fax 950 978 20 Autoren dieser Ausgabe: René Boyke, Alexandra Gehrhardt, Jessica, Wolfgang Kienast, Max Florian Kühlem, Bastian Pütter, Petra von Randow, Reuters / INSP.ngo, Sebastian Sellhorst Titelfoto: Daniel Sadrowski Bildnachweise: Andreas Boettcher (S. 28), Bianka Boyke (S. 16), Chak-Hospital (S. 12, 13, 14), Gloger BVL (S. 39), Harald Hoffmann (S. 25), INSP (S. 10), [Reuters Photographers: Kim Kyong Hoon (S. 35), Lucas Jackson (S. 16), Corinna Kern (S. 37), Jon Nazca (S. 37), Michaela Rehle (S. 11), Danish Siddiqui ( S. 36), Brian Snyder (S. 36)], Daniel Sadrowski (S. 3, 4, 6, 22, 30, 32, 33, 34, 40, 41, 42), Sebastian Sellhorst (S. 2, 7, 8, 9, 10, 11, 18, 19, 20, 21, 45, 46), Shutterstock.com (S. 22), Siegfried Tesche (S. 23), Mena Urbitsch (S. 27) Druck: LN Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien Auflage, Erscheinungsweise: 20.000 Exemplare, monatlich in BO, DO und Umgebung Redaktions- und Anzeigenschluss: für die März-Ausgabe 10. 02. 2019 Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste 03. 2018

Wie geht es trotzdem?

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Eine Million Menschen hat das Chak-e-Wardak-Hospital in Zentralafghanistan in den 30 Jahren seines Bestehens behandelt – und dabei Krieg, Gewalt und allen politischen Wirren getrotzt. Geleitet wird es von der Dortmunderin Karla Schefter. Von Bastian Pütter

„Aber so ist es halt grad.“

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„Niemand muss auf der Straße schlafen.“ Ein Entlastungssatz. Wer ihn sagt, betont, seine Pflicht getan zu haben und weist den Betroffenen die Verantwortung zu. Wir haben drei bodo-Verkäufer besucht und danach gefragt wie sie leben. Von Sebastian Sellhorst

Verein: bodo e.V. ist als gemeinnützig eingetragen im Vereinsregister Dortmund Nr. 4514 Vereinssitz: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund www.bodoev.de, facebook.com/bodoev Vorstand: Andre Noll, Verena Mayer, Marcus Parzonka verein@bodoev.de Geschäftsleitung, Verwaltung: Tanja Walter, 0231 – 950 978 0, verein@bodoev.de Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt, Bastian Pütter 0231 – 950 978 0, redaktion@bodoev.de Transporte, Haushaltsauflösungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln, 0231 – 950 978 0, transport@bodoev.de bodos Bücher, Modernes Antiquariat: Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund 0231 – 950 978 0, Mo. – Fr. 10 – 18 Uhr, Sa. 10 – 14 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Dortmund: Schwanenstraße 38, 44135 Dortmund Mo. – Fr. 10 – 13 Uhr Anlaufstelle und Vertrieb Bochum: Stühmeyerstraße 33, 44787 Bochum Mo. bis Do. 10 – 13 Uhr, Fr. 14 – 17 Uhr Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00 BIC: BFSWDE33XXX

Jessica, bodo-Verkäuferin in Dortmund Liebe Leserinnen und Leser, letzten Monat war ich seit vielen Jahren mal wieder im Westfalenstadion. Ein Kunde hatte mir eine Eintrittskarte geschenkt, für das Spiel Borussia Dortmund gegen Werder Bremen. Das war großartig. Fußballfan bin ich schon lange, aber im Stadion war ich zuletzt als Kind. Das Stadion war voller Menschen. Die Stimmung war großartig und wir haben nach superspannenden 90 Minuten mit einem Tor Vorsprung gewonnen. Ich hoffe, der BVB gewinnt dieses Jahr die Meisterschaft, und im Moment sieht es ja ganz danach aus. Wenn es nach mir geht, könnte der Winter langsam vorbei sein und der Frühling kommen. Dann wird es in der Bundesliga wieder spannend und es ist nicht mehr so kalt. An meinem Verkaufsplatz trage ich immer noch meine Nikolausmütze. Der Verkauf macht im Sommer schon mehr Spaß. Aber Sie bekommen natürlich immer die bodo bei mir, wie gewohnt an meinem Verkaufsplatz an der Märkischen Straße. Auch im Winter und auch wenn Sie kein BVB-Fan sind. Jetzt aber viel Spaß mit der Februar-bodo, Ihre Jessica

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EDITORIAL

04 Menschen | Thomas Wessel 07 Straßenleben | Neues Haus, alte Fragen 08 Neues von bodo 12 Reportage | Karla Schefters Chak-e-Wardak 16 Das Foto 16 Recht | Job gekündigt: „Sozialwidriges Verhalten“? 17 Kommentar | Schreib mal wieder 17 Die Zahl 18 Reportage | Leben auf der Straße 22 Wilde Kräuter | Beifuß 23 Kultur | Liebesgrüße aus Wattenscheid 24 Veranstaltungskalender | Verlosungen 29 Kinotipp | Ailos Reise 30 bodo geht aus | Jia – Nordchina in Hörde 32 Reportage | Unverpacktläden in BO und DO 35 Reportage | Wieviel Plastik werfen Sie weg? 38 Bücher 39 Eine Frage… | Lebensmittelrückruf – Wie funktioniert das? 40 Porträt | Mit dem Bierlaster um die Welt 44 bodo Shop | Leserpost 45 Leserpost | Rätsel 46 Verkäufergeschichten | Abdülcabbar

Ihre Meinung ist uns wichtig. S.4 4

Liebe Leserinnen und Leser, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin einer Täuschung aufgesessen. Es geht um den Januar. Eigentlich läuft es immer gleich ab: Die Vorweihnachtszeit ist ja für viele ein Jahresendspurt, bei bodo beginnt der Ausnahmezustand im November. Presseanfragen, Vorträge, Schulklassen, Arbeitskreise, „könnten Sie spontan“ – und noch vor Weihnachten geht das Januarheft in Druck. Irgendwann ist der letzte Termin erledigt, alles atmet durch, Feiertage, freie Tage, frohes neues Jahr. Und wohl weil ich denke, es müsste so sein, hält sich bei mir beharrlich die Vorstellung, es nähme die Welt wie ein riesiges Schwungrad erst langsam wieder Fahrt auf, als wäre der Januar eine Art Wiedereingliederungsphase mit Schreibtischsortieren, Vorsätzeprüfen und Ausdemfenstergucken. Sie ahnen es: war er nicht, der Januar. Und ich fürchte, der im vergangenen Jahr auch nicht. Letzteres ist ein Grund, das hier abzulegen. Als Flaschenpost sozusagen. Ich sollte hier Ende des Jahres noch einmal reinschauen. Wenn ich die Zeit finde. Irgendwie sind wir dennoch fertig geworden und haben neben all dem anderen auch noch dieses hübsche Heft gemacht. Voller Hoffnung, dass unsere Verkäuferinnen und Verkäufer weiterhin heil durch diesen Winter kommen. Dabei muss ich an den Claim, fast eine Parole, unserer Düsseldorfer KollegInnen denken: „Wohnungslose von der Straße lesen“. Schön, dass Sie dabei helfen. Viele Grüße von bodo Bastian Pütter – redaktion@bodoev.de

Von Nothilfe bis Neuanfang: Helfen Sie helfen.

Im Winter sind für Wohnungslose auch die Tage schwer. Unsere Anlaufstellen in Bochum und Dortmund haben offene Türen für Menschen in Not. Sie sind Orte zum Aufwärmen und Ausruhen. Bei uns gibt es ein kostenloses Frühstück, eine warme Jacke, einen neuen Schlafsack und Menschen, die zuhören. Dank Ihrer Hilfe. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE44 3702 0500 0007 2239 00

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MENSCHEN

Thomas Wessel Pfarrerausbildung in Berlin kellnerte wie Sven Regeners „Herr Lehmann“ in der Berliner Madonna-Bar, die im Roman „Café Einfall“ heißt Streiter für eine lebendige Erinnerungskultur und die europäische Idee mit „Urban Urtyp“ Kulturveranstalter mit überregionaler Ausstrahlung

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Pfarrer Thomas Wessel hat aus der innerstädtischen Christuskirche in Bochum einen spannenden Ort für Kunst, Kultur, Politik und Gedenken gemacht. Immer wieder mischt er sich engagiert in aktuelle Debatten ein. Max Florian Kühlem wollte wissen: Was ist das für ein Ort? Was ist das für ein Typ? Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

Woanders ist auch Himmel Was ist die Christuskirche: Kulturort? Konzerthalle? Begegnungsstätte? Denkmal? Ort der politischen Auseinandersetzung? Sie ist erstmal eine protestantische Kirche und weiterhin dem Gottesdienst gewidmet, auch wenn sie inzwischen als Versammlungsstätte ausgebaut und anerkannt ist. Alles, was darin stattfindet, kann gottesdienstliche Qualität haben. Es ist allerdings keine Kirche einer einzelnen Ortsgemeinde mehr. Wann fiel die Entscheidung, sie zur Veranstaltungsstätte zu machen? Im Vollzug. Irgendwann bestand die Notwendigkeit, den Turm zu sanieren, und über die Spendenaktion haben wir auch die Geschichte des Ortes erzählt und was sich alles darin verdichtet. Dazu haben wir Veranstaltungen gemacht und gemerkt: Die funktionieren auch aus sich heraus und sind immer voll. Im Jahr 2000 kam dann die Idee auf, ein Stadtkirchenprojekt zu starten, das seitdem immer wieder um zwei Jahre verlängert wurde. Ich würde meine Arbeit hier allerdings eher als Kulturarbeit beschreiben, weil die klassischen Stadtkirchenprogramme hier nicht funktionieren würden. Wie sehen die aus? Klassischerweise macht man einfach die Tür auf und die Leute kommen rein – vielleicht zu einem kurzen Orgelkonzert oder einem Mittagsabendmahl oder was immer. Man hat hier an der Christuskirche aber kein Laufpublikum, weshalb man Veranstaltungen braucht, die ausstrahlen. Wir haben den Raum dafür übrigens nicht umgebaut, wie das anderswo geschieht, sondern passen die Veranstaltungen dem Raum an, der perfekte akustische Bedingungen bietet. Kannst Du Deinen Werdegang kurz umreißen? Ich habe die klassische Pfarrersausbildung in Berlin gemacht. Als Gemeindepfarrer habe ich allerdings nie gearbeitet, sondern war journalistisch tätig und in einem Antirassismus-Projekt. Als das eingestellt wurde,

kam ich glücklich und verzweifelt nach Bochum. Ich bin nämlich gebürtiger Westfale und war formal der hiesigen Landeskirche zugeteilt. In Westfalen hatte ich auch diverse Instrumente spielen gelernt, und zwar gerade so gut, dass ich beurteilen kann, ob jemand anders besser spielt (lacht).

„Damals in Berlin habe ich lange in einer Kneipe gearbeitet und festgestellt, dass der Weg zwischen Kneipe und Kirche eigentlich ein sehr kurzer ist.“ Ist die Konzertreihe „Urban Urtyp“ mit angesagten Bands im farbig illuminierten Kirchenraum das Stück Berlin, das Du mitgebracht hast? Von Berlin hab ich eigentlich eher den Tresen mitgebracht – vor einiger Zeit haben wir ja ein eigenes Urban-Urtyp-Bier aufgelegt. Damals in Berlin habe ich lange in einer Kneipe gearbeitet und festgestellt, dass der Weg zwischen Kneipe und Kirche eigentlich ein sehr kurzer ist. Als die spitzgekriegt hatten, dass ich Theologie studiert hatte, war ich da nur noch „der Priester“ und das hat sich auf die Kommunikation niedergeschlagen: Am Tresen ist klar, dass du nicht total intim wirst, aber du kannst so eine Art halböffentliche Intimität herstellen. Die Kneipe hieß übrigens „Madonna“ und Sven Regener beschreibt sie in seinem Roman „Wiener Straße“. Im Namen der Christuskirche hast Du Dich immer wieder lautstark politisch geäußert, in der Bochumer Erklärung „Terror ächten“ oder zuletzt gegen die Israel-Boykott-Kampagne BDS. Wie stark ist dieses Engagement mit Deiner Person verknüpft? Zunächst ist es ja der Raum, der Themen vorgibt. Der Turm ist ein „Denkmal gegen Gewalt“ und in ihm verdichtet sich eine sehr ambivalente Geschichte: Hans Ehrenberg hat hier gegen den Nationalsozialismus gepredigt, aber es gab neben ihm auch Amtsvorgänger,

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MENSCHEN

die jede Nazifahne, die vorüber kam, gesegnet haben. Und dann ist da diese Liste mit den „Feindstaaten“ Deutschlands im Turm, 1932 eingeweiht. Unsere erste Idee für eine „Kirche der Kulturen“ war, den Weltkrieg in Weltmusik zu übersetzen, in Musik aus den einstigen „Feindstaaten“. Die eigentliche protestantische Theorie ist ja, dass sich jeder Mensch zu sich selber verhalten kann. Jeder ist sein eigener Priester. Es steht keiner vorne, der Weisungen und Mahnungen erteilt. Deshalb versuchen wir hier, einen Rahmen zu bilden, in dem man sich selber reflektieren kann. Das funktioniert auch durch die Setzung von Konzerten: Am Tag der Befreiung von Auschwitz haben wir hier zum Beispiel einmal Gustav Mahlers „Kindertotenlieder“ spielen lassen: Die bekamen an diesem Tag in diesem Raum eine ganz andere Bedeutung. Zuletzt hast Du Dich während der Diskussion um Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp lautstark gegen die BDS-Kampagne zu Wort gemeldet. Was treibt Dich an?

„Das Ruhrgebiet hat im Kulturbereich generell das Problem, dass es unglaublich viel Zeit braucht, Dinge zu etablieren. Das ist ein bisschen wie in der Wüste: Du gießt immer wieder, aber es dauert lange, bis eine Pflanze kommt.“

Auch das hat viel mit dem Ort der Christuskirche zu tun, wo Hans Ehrenberg gewirkt hat, der das Bekenntnis von Barmen vorformuliert hat – das Ur-Dokument des kirchlichen Widerstands gegen die Nazis. Es entzündete sich an der Frage: Wie gehen wir mit unseren jüdisch-christlichen Pfarrern um, die also jüdisch aufgewachsen und dann konvertiert sind. Das passte dann insofern zu mir, als ich in meiner Studienzeit in Berlin von Friedrich-Wilhelm Marquardt geprägt worden bin, er war ein Pionier im jüdischchristlichen Dialog. Du hast eine guten Vorschlag gemacht, wie man BDSassoziierte Künstler aus Kulturinstitutionen raushalten kann: indem man für Sponsoren aus Israel sorgt. Hat diese Initiative schon gefruchtet? Das kann ich schlecht sagen. Aber das Entscheidende ist: Wir spielen damit den Ball auf die andere Seite. Wenn die Künstler trotzdem kommen, dann müssen sie sich vor ihrem eigenen Tribunal rechtfertigen und vielleicht sagen: Ja, ich hab bei den Israelfreunden gespielt, aber von irgendwas muss ich ja auch leben (lacht). Ein sehr eindeutiges, positives Signal gab es durch den Beschluss des Landtags, dass vom BDS unterstützte Künstler keine Bühne und keinen Support mehr in öffentlich geförderten Institutionen in NRW bekommen. In der Kirche ist so etwas schon schwerer durchsetzbar. Aber ich denke, das ist eine Generationenfrage bei uns. Gibt es innerkirchliche Widerstände gegen Deine Idee vom politisch-kulturellen Programm im Kirchenraum? Ohne Widerstände wäre es ja langweilig, und manchmal lebt in den kirchlichen Gremien schon noch diese Vorstellung davon auf, dass bestimmte Dinge doch nicht in den Kirchenraum gehören. Aber das ist meiner Meinung nach eher eine katholische Vorstellung. Der protestantische Kirchenraum soll eigentlich ein gemischter, durchlässiger sein. Potenziell kann hier alles stattfinden – und könnte auch alles religiös oder heilig werden: jeder einzelne Mensch, jedes Lied, jedes Instrument, jede Sprache, jede Veranstaltungsform. Problematisch wird es, wenn sich jemand hinstellt und sagt: Das, was wir hier machen, das ist heilig, das ist Gott. Das machen ja am ehesten die Frommen aller Couleur, die sind oft zu gewiss und haben Gott sozusagen schon „auf Tasche“. Was sagt Dein in Berlin geschulter Blick über die Bochumer Kulturlandschaft? Das Ruhrgebiet hat im Kulturbereich generell das Problem, dass es unglaublich viel Zeit braucht, Dinge zu etablieren. Das ist ein bisschen wie in der Wüste: Du gießt immer wieder, aber es dauert lange, bis eine Pflanze kommt. Wir machen hier seit 19 Jahren Programm und wenn du dem Taxifahrer sagst „Christuskirche“, dann fährt er weiß der Himmel wohin. Aber ist auch okay, woanders ist auch Himmel.

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STRASSENLEBEN

Mitte Januar ist in der Unionstraße in Dortmund die neue Männerübernachtungsstelle in Betrieb gegangen. Mit der Eröffnung ändert sich das Konzept: In Zukunft soll das Haus eine Clearingstelle sein, von der aus Untergebrachte binnen 14 Tagen in andere Angebote für Wohnungslose vermittelt werden. Für ganze Gruppen von Menschen gibt es weiter keine Lösung. Von Alexandra Gehrhardt | Foto: Sebastian Sellhorst

Neues Haus, alte Fragen

Anderthalb Jahre lang war am neuen Gebäude gebaut worden, nachdem das alte so marode geworden war, dass es abgerissen werden musste. Währenddessen diente ein Gebäude in der Adlerstraße als Quartier, nun ist an alter Stelle die neue Einrichtung für bis zu 70 Männer fertig. Statt sechs bis acht sollen nur noch bis zu vier Männer in einem Raum schlafen. In Zukunft soll das Haus Clearingstelle sein, also erster Ort, von dem aus Menschen dann in Wohnungen, betreute Wohnangebote oder andere Einrichtungen vermittelt werden. Bleibedauern von einem halben Jahr und mehr, wie es in der Vergangenheit immer wieder vorkam, soll es nicht mehr geben. Binnen 14 Tagen will die Stadt für jeden eine Lösung finden, sagte Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Nicht ganz für jeden: Denn Voraussetzung für die Nutzung der Notunterkunft bleibt, nach einer kostenlosen Nacht, der Leistungsbezug in Dortmund. Für alle anderen ist die Stadt nach eigener Auffassung nicht zuständig. Das betrifft Obdachlose aus Bremen ebenso wie die aus dem EU-Ausland. Auch für Hundebesitzer gibt es weiter keine Lösung. Die Stadt verweist zwar auf das Tierheim und die Notübernachtung des Gast-Haus e.V., das auch Hunde aufnimmt – letzteres ist aber weder ein tägliches noch ein städtisches Angebot. Bei Minustemperaturen

räumen Ehrenamtliche die Büroetage des Vereins frei, um genau den Menschen einen Schlafplatz anzubieten, die anderswo keinen bekommen. Vom städtischen Konzept zur Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe gibt es in der Zwischenzeit nichts Neues. Die Stadt hat im Sommer Übernachtungsplätze für junge Erwachsene und eine Unterkunft für Suchterkrankte beschlossen – bei letzterer stehe „die Idee auf konzeptioneller Grobebene“, so Sozialamtsleiter Jörg Süßhardt, konkrete Planungen scheint es also noch nicht zu geben. Auch die seit Jahren überbelegte Frauenübernachtungsstelle wartet auf einen neuen Standort – den wird aber erst der neue Betreiber mitbringen. Eine Ausschreibung, um diesen zu finden, hat die Stadt noch nicht veröffentlicht.

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NEUES VON BODO

Straßenmusiker trifft Küchen-Combo Jeff Silvertrust (r.) aus Chicago ist als One-Man-Band in ganz Europa unterwegs. Mit seinem charakteristischen Sound aus Casio-Keyboard, Hi-Hat, Trompete und Gesang hat er auf unzähligen Marktplätzen und Festivalbühnen das Publikum begeistert. Jeff plündert schamlos die Musikgeschichte – ob Klassik, Jazz, Pop, Rock oder Volkslied – und erweitert die Songs um bissige, sozialkritische Texte in diversen Sprachen. Bei bodo trifft er auf „Chained to the Cooker“. Dagmar und Thomas Breuer haben so lange in Küchensessions Klassiker von Nat King Cole über George Gershwin bis Cole Porter gespielt – bis es Zeit wurde auf die Bühne zu gehen. Für die beiden NeuDortmunder ist es ihr erstes „Heimspiel“ am neuen Wohnort. 22. Februar, 19.30 Uhr im bodo Buchladen, Schwanenwall 36 – 38, Eintritt frei

TERMINE „Vendor Week“ Woche der Straßenzeitungsverkäufer 4. – 10. Februar Soziale Stadtführungen Dortmund, 9. Februar, 11 Uhr Bochum, 16. Februar, 11 Uhr Anmeldung unter Tel. 0231 – 950 978 0 …bei bodo Chained to the Cooker & Jeff Silvertrust 22. Februar, 19.30 Uhr bodo Buchladen Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund 8

Auf Tour

Lesestoff

Was ist wichtig, wenn man auf der Straße lebt? Wo gibt es Hilfe? Wie sieht ein Tagesablauf aus? Bei unseren sozialen Stadtführungen zeigen Experten – Verkäufer des Straßenmagazins – ihre „Stadt von unten“: An jedem zweiten Samstag im Monat beginnt um 11 Uhr die Dortmunder Tour in unserem Buchladen am Schwanenwall. An jedem 3. Samstag ist in Bochum Treffpunkt um 11 Uhr in unserer Anlaufstelle in der Stühmeyerstraße. Anmeldung bitte unter 0231 – 950 97 80, Kosten: 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro pro Person. Wer mit einer Gruppe eine Tour machen möchte, schreibt am einfachsten eine Mail: vertrieb@bodoev.de und bucht eine Sonderführung.

Unser Projekt in einem Satz: Ihre Bücherspenden schaffen Arbeitsplätze, Ihr Einkauf bei uns hilft, sie zu sichern. Unser Ziel ist es, für jedes von Ihnen gespendete Buch den richtigen Weg zu einem neuen Besitzer zu finden. In unserem Buchladen am Dortmunder Schwanenwall finden Sie sehr gut erhaltene oder gar neuwertige Romane, Krimis, Fach- und Sachbücher. Ein Großteil des Sortiments ist gemeinsam mit den seltenen und antiquarischen Büchern auch bei den großen Antiquariatsportalen und im Onlineshop auf unserer Homepage erhältlich. Unser Laden ist Mo. bis Fr. von 10 bis 18 Uhr und Sa. von 10 bis 14 Uhr für Sie geöffnet. Mehr Informationen auf www.bodoev.de.


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Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Dortmund haben sich rund 200 gemeinnützige Vereine, Organisationen und Initiativen zusammengeschlossen. Sie bieten Unterstützungsleistungen in allen Lebensbereichen an:

Empfohlen Der Hamburger Brauseproduzent „fritz-kola“ überließ ab Mitte Dezember in 15 Städten Hilfsorganisationen Raum auf den eigenen Plakatflächen. In Dortmund empfahl „fritz“ auf rund 50 Großplakaten im ganzen Stadtgebiet das Straßenmagazin. Danke für die „Aufmerksamkeitsspende“!

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Beratung bei Ehe- und Lebenskrisen Unterstützung bei der Betreuung von Kindern Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene Unterstützung bei psychischen Erkrankungen Hilfen für Menschen mit Behinderungen Hilfen in Notlagen und bei besonderen sozialen Schwierigkeiten Selbsthilfeunterstützung

Kontakt über Paritätischer Wohlfahrtsverband NRW Kreisgruppe Dortmund Ostenhellweg 42-48/Eingang Moritzgasse | 44135 Dortmund Telefon: (0231) 189989-0, Fax: -30 dortmund@paritaet-nrw.org | www.dortmund.paritaet-nrw.org

Offene Türen Nicht nur unsere Anlaufstellen haben offene Türen. Gerne laden wir immer wieder Interessierte, Gruppen und Schulklassen in unsere Räume in Bochum und Dortmund ein, um unsere Arbeit vorzustellen, über Wohnungslosigkeit zu informieren und zu diskutieren. Ebenso regelmäßig sind wir in Schulen, Gemeinden oder bei Vereinen zu Gast, zu Diskussionen oder mit einem Vortrag und einer Präsentation im Gepäck. Oder wir zeigen den Dokumentarfilm „Brüchige Biografien“, in dem fünf bodo-VerkäuferInnen aus ihrem Leben erzählen. Wenn Sie Interesse an einem Besuch bei uns haben oder uns einladen möchten, schreiben Sie uns oder rufen Sie uns gerne an.

Haushaltsauflösungen Entrümpelungen Transporte

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BODO PACKT AN

Rufen Sie uns an – wir erstellen Ihnen ein Angebot. Tel. 0231 – 950 978 0 9


NEUES VON BODO

Verkäuferwoche Vom 4. bis 10. Februar feiert das Internationale Netzwerk der sozialen Straßenzeitungen INSP die „Vendor Week“, die Woche der VerkäuferInnen. Mehr als 100 Projekte gibt es von Finnland bis Südafrika und von Kolumbien bis Südkorea. Der Verkäufer im Bild ist übrigens Hong-Wu Moon (65), der an der U-Bahn-Station Gangnam in Seoul das Straßenmagazin Big Issue Korea verkauft. Für ihn und seine rund 9.000 Kolleginnen und Kollegen weltweit planen die Organisationen in unserem Netzwerk eine Vielzahl kleiner und großer Aktionen, von einem gemeinsamen Verkäuferessen bis zu prominenter Unterstützung beim Zeitungsverkauf. In den sozialen Netzwerken zu finden unter #vendorweek.

SOZIALES „Wir wollen wohnen!“ heißt das Bündnis aus Mieterbund, DGB, Wohlfahrts- und Sozialverbänden, die gemeinsam gegen Pläne der schwarzgelben Landesregierung mobilisieren, landeseigene Regelungen zum Mieterschutz zu kippen. Das betrifft zum Beispiel den Mietanstieg bei Wiedervermietung, Mieterhöhungen im laufenden Mietvertrag, Umwandlung in Eigentumswohnungen, Eigenbedarfskündigungen und Zweckentfremdungen. Hartz-IV-Sanktionen vor Gericht: Obwohl der Regelsatz im Arbeitslosengeld II zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums dienen soll, verhängten die Jobcenter 2017 rund 950.000 Sanktionen, darunter Kürzungen bis zur Einstellung aller Zahlungen. Das Sozialgericht Gotha hält das für verfassungswidrig, am 15. Januar verhandelte deswegen das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Sanktionen. Mit einem Urteil ist in einigen Monaten zu rechnen. Nur ein Fünftel der Armen in Deutschland ist arbeitslos, so der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Ein Drittel der erwachsenen Armen in Deutschland ist erwerbstätig, jeder vierte arme Erwachsene ist in Rente oder Pension. Auch die Formel, dass Bildung vor Armut schütze, stellt der Bericht infrage: Fast drei Viertel der ab 25-jährigen Armen haben ein mittleres oder gar hohes Qualifikationsniveau. Jeder Bundesbürger hat 73.076 Euro auf der hohen Kante – im Schnitt. Die deutschen Geldvermögen befinden sich mit über sechs Billionen Euro auf einem Rekordhoch, so die Bundesbank. Jedoch verfügt das reichste Prozent über soviel wie die 87 ärmeren Prozent der Bevölkerung, so die Oxfam-Ungleichheitsstudie. Im internationalen Vergleich zähle Deutschland damit zu den Industrienationen mit der größten Vermögensungleichheit. 10

Barber Angels Wir freuen uns über die feste Kooperation mit den „Barbers Angels“, dem rasant wachsenden Netzwerk aus Friseurinnen und Friseuren, die Wohnungslosen ehrenamtlich die Haare schneiden. In regelmäßigen Abständen werden der Frühstücksraum des Dortmunder GastHauses und unsere (Noch-)Anlaufstelle in der Stühmeyerstraße in Bochum kurzfristig zum größten Friseursalon der Stadt. Dutzende bodo-VerkäuferInnen und NutzerInnen anderer Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe kommen für ihren Wunschhaarschnitt, ein freundliches Gespräch, einen Kaffee und einen unterhaltsamen Vormittag in großer Runde. Am 24. Februar ist Dortmund wieder an der Reihe.


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www.facebook.com/bodoev info@bodoev.de

Ansprechpartner

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Geschäftsleitung: Tanja Walter verein@bodoev.de

bodo ist für Sie da montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr zentrale Rufnummer: 0231 – 950 978 0 Mail: info@bodoev.de Fax: 0231 – 950 978 20 Besuchen Sie uns Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr Sa. 10 – 14 Uhr Stühmeyerstraße 33 44787 Bochum Mo. bis Do. 10 – 13 Uhr Fr. 14 – 17 Uhr

Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit: Alexandra Gehrhardt Bastian Pütter redaktion@bodoev.de Anzeigen: Susanne Schröder anzeigen@bodoev.de Vertrieb: Oliver Philipp vertrieb@bodoev.de bodos Bücher: Suzanne Präkelt buch@bodoev.de bodos Bücher online: Gordon Smith basar@bodoev.de

Ein halbes Jahr bodo!

Haushaltsauflösungen und Entsorgungen: Brunhilde Posegga-Dörscheln transport@bodoev.de Das faire Abo für 15 Euro: Ein Gutscheinheft für sechs Ausgaben des Straßenmagazins zum Einlösen direkt bei unseren Verkäufern auf der Straße.

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Schauen Sie nicht weg

Auf regelmäßigen Touren durch die Bochumer und die Dortmunder Innenstadt versorgen wir Wohnungslose mit „Kaffee und Knifte“. Außerhalb der Öffnungszeiten der Anlaufstellen laufen unsere Teams auf festen Routen durch die beiden Innenstädte. In umgebauten und bodo-rot lackierten alten Zustellwagen der Post haben sie heiße Getränke, belegte Brote, Hygieneartikel und Schlafsäcke dabei. Wir informieren über die bestehenden Hilfsangebote und werben in der Winterkälte dafür, Anlaufstellen und die bestehenden Notübernachtungsstellen zu nutzen. Wenn Sie zu festen Terminen mit uns auf Tour gehen möchten, schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an: ehrenamt@bodoev.de oder 0231 – 950 978 0.

Bei den winterlichen Temperaturen machen sich Menschen häufig Sorgen um Obdachlose, die draußen leben. Manchmal sind sie unsicher, was sie tun sollen, wenn sie jemanden auf der Straße sehen. Angebote, die Menschen auf Wunsch in Unterkünfte fahren, gibt es in Bochum und Dortmund nicht. Wenn Sie sich Sorgen um eine obdachlose Person machen, sprechen Sie sie an. Die meisten Menschen wissen selbst am besten, wie es ihnen geht und was gut für Sie ist. Wenn Sie den Eindruck haben, dass eine Person hilflos oder in Gefahr ist, rufen Sie die Polizei (110). Wenn Sie glauben, dass ein medizinischer Notfall vorliegt, rufen Sie den Rettungsdienst (112).

Schwanenwall 36 – 38 44135 Dortmund Tel. 0231 – 950 978 0

en lassen.“ „Nicht ärgern. Berat © by Photocase.de

Kaffee & Knifte

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Mieter schützen · Mietern nützen!

Mieterverein Dortmund und Umgebung e.V.

Mieterverein

Bochum, Hattingen und Umgegend e.V.

Brückstraße 58 44787 Bochum Tel.: 0234 / 96 11 40 mieterverein-bochum.de

Kampstr. 4 44137 Dortmund Tel. 0231/557656-0 mieterverein-dortmund.de

Öffnungszeiten Mo - Do 9:00 - 18:00 Fr 9:00 - 12:00

Öffnungszeiten Mo - Do 8:30 - 18:00 Fr 8:30 - 14:00

Mitglieder im Deutschen Mieterbund

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REPORTAGE

Wie geht es trotzdem? Karla Schefters Chak-e-Wardak Chak ist der Name des einzigen Krankenhauses im weiten Umkreis in der zentralafghanischen Provinz Wardak, s체dwestlich von Kabul. In einer von Krieg, Umsturz und Verw체stung gepr채gten Region ist es eine geradezu unwahrscheinliche Konstante: In 30 Jahren wurden eine Million Menschen hier behandelt. Geleitet wird es von der Dortmunderin Karla Schefter. Von Bastian P체tter | Fotos: Chak-Hospital

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K

arla Schefter hat Fotomappen und Infomaterialien auf dem Wohnzimmertisch ihrer Dortmunder Erdgeschosswohnung gestapelt. Daneben in einer Schmuckschatulle der „Mir Masjidi Khan“-Orden, der zweithöchste, den der afghanische Staat vergibt. Staatspräsident Ashraf Ghani verlieh ihr die Auszeichnung im Herbst. Sonst deutet wenig in der Wohnung darauf hin, dass die Frau, die hier wohnt, eine der Kennerinnen des zentralasiatischen Landes ist und mit dem Kopf, mindestens aber mit dem Herzen dort ist, auch wenn ein dauerhafter Aufenthalt nicht möglich ist. Selbst die Bücher, die sie über Afghanistan geschrieben hat, liegen gut verstaut im Wohnzimmerschrank.

„Über jeden Berg führt ein Weg.“ Dass Karla Schefter regelmäßig ihr Krankenhaus besucht, gilt manchen als verrückt. Sie sagt, ihre Mitarbeiter entscheiden, ob eine Reise möglich ist. Vertrauen, das über viele Jahre wachsen konnte. Die Sicherheitslage hingegen nichts weniger als dramatisch. Vor ihrer Herbstreise zur 30-Jahr-Feier starben in der 80 Kilometer entfernten Stadt Ghazni beim Kämpfen mit den Taliban 400 Menschen, das Rote Kreuz hat sich ganz aus Afghanistan zurückgezogen. Zudem ist Karla Schefter derzeit auf den Rollstuhl angewiesen. „Über jeden Berg führt ein Weg“, lautet ein afghanisches Sprichwort.

Das Chak-Hospital ist das einzige

Man dürfe nicht zimperlich sein, sagt sie. „Als ich anfing, war Krieg, wir waren illegal. Wir hatten kein Visum für die Provinz. Hätte man uns erwischt, wären wir verhaftet worden. So habe ich wochenlang gelebt und mir mit acht Männern das Zimmer geteilt. Ich wurde häufig gefragt, wie ich es denn mit den Männern ausgehalten habe, und ich habe gesagt: ,Männer sind auch Menschen.‘“

uneingeschränkt funktionierende Krankenhaus in der gesamten Provinz Wardak. Es versorgt rund 100.000 Patienten pro Jahr, die meisten sind Frauen und Kinder. Finanziert wird das Krankenhaus ausschließlich durch Spenden. Jahrzehnte der Kriegswirren hat es durch strikte Neutralität überstanden: „Seit 1989 sind wir medizini-

„Ich bin einfach praktisch veranlagt und weiß mir zu helfen. Ich habe immer das Leben eines Afghanen in der Provinz geführt, nicht das einer Ausländerin. Ich habe auch immer nur das regionale Essen gegessen, hatte kein Auto und elf Jahre keine Dusche, nur ein Plumpsklo. Keine Elektrizität. Erst 1994 haben wir einen Generator bekommen, bis dahin haben wir mit Laternen und Taschenlampe operiert.

sche Partei und sonst gar nichts“, sagt Karla Schefter (oben).

Aber wie leitet man ein Krankenhaus, wenn man neu im Land ist, ohne die Sprache, ohne die Kultur zu verstehen? „OP-Schwestern können gut beobachten. Während der Operation können sie nicht viel reden, müssen

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REPORTAGE

aber sehr schnell reagieren. Beobachten, handeln, es durchstehen, das habe ich 23 Jahre gemacht. Und ich hatte viel Erfahrung im Umgang mit Menschen. Eine Kollegin hat mal zu mir gesagt, Karla ist streng, aber gerecht, und das ist auch in Afghanistan gut angekommen.“ Es war mehr als ihre berufliche Erfahrung, die Karla Schefter mit nach Afghanistan brachte. Nach ihrem Examen in Meschede nimmt sie keine Stelle im Sauerland an,

Oben: Karla Schefter bei den Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des Krankenhauses im vergangenen Herbst. Trotz der dramatischen Sicherheitslage reiste sie nach Wardak – im Rollstuhl. Rechts: In Kabul fand die Verleihung des „Mir Masjidi Khan“-Ordens, der zweithöchsten Auszeichnung des Landes, an Karla Schefter statt. Hinter ihr steht Präsident Mohammad Ashraf Ghani.

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sondern einen Frachter nach Brasilien, um als Privatpflegekraft zu arbeiten. Von dort geht es nach New York, dann an die Uniklinik Gießen und von dort nach Istanbul. „Das ist mein Leben oder mein Naturell, so bin ich veranlagt“, sagt Karla Schefter und zuckt die Schultern. „Ich reise gern.“ Mehr als 80 Länder hat sie kennengelernt – Afghanistan änderte ihr Leben. Alles begann mit einer Stellenanzeige. „Dort gibt es Krieg, mehr wusste ich nicht. Aber ich kann mich schnell entscheiden.“

„Früher wussten wir: Dort ist die Front.“ Karla Schefter erzählt, wie nach dem Abzug der Roten Armee 1989 der sowjetischafghanische Krieg unmittelbar in den bis 2001 dauernden Bürgerkrieg überging. Die Mudschahedin setzten den Kampf nun gegen den sowjetischen Statthalter Muhammad Nadschibullāh fort. Die Frontlinie schnitt die Provinz von der Hauptstadt ab. „Man muss sich das vorstellen wie die


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frühere DDR“, sagt sie. „Zwei Jahre lang konnte ich nicht nach Kabul. Wir konnten nur mit Materialien von vor Ort arbeiten.“ Als der Kommunist Nadschibullāh 1992 stürzte, die Supermächte ihren Stellvertreterkrieg nicht mehr befeuerten und die Welt Afghanistan vergaß, fielen die verschiedenen Mudschahedin-Parteien übereinander her, der Staat kollabierte endgültig und der Aufstieg des Islamismus begann. „Die Taliban waren Paschtunen aus Kandahar. Ihr Name bedeutet erst einmal nur ,Studenten des Koran‘ und ist eigentlich nicht politisch. Später haben wir unterschieden zwischen Politischen und Religiösen.“ 1996 eroberten sie Kabul und riefen das islamische Emirat Afghanistan aus. „Auch wir mussten uns bei der Regierung registrieren lassen“, sagt Karla Schefter. „Ihr großes Verbrechen war das Berufs- und Studierverbot für Frauen und Mädchen. Glücklicherweise waren wir davon nicht so betroffen, im medizinischen Bereich durften Krankenschwestern und Ärztinnen arbeiten.“ Auf der anderen Seite sei nur sehr wenig Mohn angebaut worden, „außer im Norden, den sie nicht kontrollierten“. Und man konnte völlig sicher reisen, sagt sie: „Tag und Nacht, da passierte gar nichts. Ich habe noch ganz Afghanistan per Auto bereist. Auch Kabul war sicher, völlig zerstört, aber sicher.“ „Als sie regierten, waren die Taliban eine Einheit“, erinnert sich Karla Schefter. „Durch den Sturz der Regierung nach dem 11. September 2001 zerfielen sie in drei Gruppierungen, die sich gegenseitig bekämpften.“ Das sei der Beginn der Unsicherheit gewesen. „Hinzu kommt jetzt noch der IS – jetzt ist es das totale Chaos. Früher wussten wir genau: Dort ist die Front. Das wissen wir jetzt nicht mehr.“

„Das ist gelebte Hoffnung.“ „Man muss sich vorstellen, dass durch 40 Jahre Krieg auch eine Gesellschaft als Ganze leidet“, sagt sie ernst. „Die Traditionen gehen verloren. Früher war eine der wichtigsten, dass Gäste unter dem Schutz des Gastgebers stehen. Das geht jetzt gar nicht mehr.“ Was das Krankenhaus schützt, ist seine bedingungslose Neutralität. „Seit 1989 sind wir medizinische Partei und sonst gar nichts. Jeder Patient wird behandelt. Die Taliban sind ja nicht besiegt, sie sind nur verdrängt und haben sich kriminalisiert, das hat ja mit der Religion gar nichts mehr zu tun.“

Wie es weitergeht in Afghanistan? Karla Schefter hasst diese Frage. Auch in Deutschland kennt niemand die Zukunft, sagt sie. „Wir sprechen in Deutschland über Kriegstraumata von Soldaten. Hier sind 70 Prozent der Bevölkerung betroffen, die Menschen haben Angehörige verloren, selbst schreckliche Gewalt erfahren oder miterlebt und sind ohne jede psychologische Betreuung.“ Afghanen leben den Tag, sagt sie. Keiner ihrer Mitarbeiter würde mit ungeputzten Schuhen in Krankenhaus kommen, die Frauen tragen Make-Up und hohe Schuhe. „Das ist gelebte Hoffnung.“ Wenn Sie in ihr Krankenhaus reist, hat sie Nagellack und Lippenstifte dabei, und Luftballons und Seifenblasen für die Kinder. „Ich sage immer, das ist Freudengepäck, es ist wichtig, Freude zu bringen. Mein Gepäck besteht eigentlich nur aus solchen Sachen.“ Dank ihres unermüdlichen Eifers, auch die nötigen Unterstützer in Deutschland zu finden, ist Chak immer noch ein Fels in der Brandung, mit seinen 77 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Region und mit seiner Krankenhausschule sogar ein kleiner Bildungsträger. Wohl weil Karla Schefter mit Blick auf das scheinbar Unmögliche immer noch fragt: Wie geht es trotzdem? www.chak-hospital.org

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DAS FOTO

Tasiilaq liegt im Südosten Grönlands eigentlich in einer der klimatisch härtesten Regionen der Welt. Aber die globale Erwärmung verändert die größte Insel der Welt und lässt ihren Eisschild schneller schmelzen als bisher angenommen. „Jedes Frühjahr sehen wir die Gletscher weiter verschwinden“, sagt Julius Nielsen, der den größten Teil seines Lebens Fischer und Jäger war. Lars Anker Moeller konnte früher Touristen auf eine fünftägige Schlittenhundfahrt mitnehmen, das ist kaum noch möglich. Der Tourismus boomt trotzdem. „Die Leute wollen die Eiskappe sehen, bevor es zu spät ist“, sagt Moeller. Foto: Reuters / Lucas Jackson

RECHT

Job gekündigt: „Sozialwidriges Verhalten“? Von René Boyke Grundsätzlich soll nach deutschen Sozialgesetzen hilfebedürftigen Menschen die notwendige Hilfe zukommen. Doch was, wenn die Betroffenen die Hilfebedürftigkeit zum Teil selbst hervorgerufen haben, zum Beispiel, wenn sie ein Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben? Das kann „sozialwidrig“ sein und sogar zum Ersatz der gezahlten Sozialleistungen verpflichten. Doch im Einzelfall kann es

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gute Gründe für das Verhalten des Leistungsempfängers geben. So kündigte beispielsweise eine Frau ihre Arbeitsstelle, um sich um ihre plegebedürftige Mutter zu kümmern. Das hatte sie schon vorher getan, doch sie wollte ausprobieren, ob sich Arbeit und Pflege nicht doch vereinbaren ließen. Das war nicht der Fall und so kündigte sie die Arbeitsstelle wieder. Das Jobcenter meinte nun jedoch, die Frau

habe sich sozialwidrig verhalten und forderte über 7.000 Euro an Leistungen zurück. Die Frau wehrte sich erfolgreich vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 13 AS 162/17). Dieses stellte fest, dass nicht die Betroffene sozialwidrig gehandelt habe, sondern im Gegenteil die Rückforderung des Jobcenters rechtswidrig war. Das Gericht erklärte, dass die Frage des sozialwidrigen Verhaltens eine Frage der Umstände im Einzelfall


KOMMENTAR

Schreib mal wieder Von Bastian Pütter

Die Gewalt und die Mitte

Als der Bremer AfD-Bundestagsabgeordnete Frank Magnitz nach einem tätlichen Angriff Anfang Januar für zwei Tage ins Krankenhaus musste, schrieb ihm der Bundespräsident einen Brief. Ohne dass ein Indiz auf die Täter hindeutete, die Magnitz gestoßen hatten (während alle Medien die AfD-Lüge vom Mordversuch mit Kantholz weitertrugen), schrieb Steinmeier von einem „Angriff auf die Demokratie“, wünschte „gute und schnelle Genesung“ und war sich sicher, „dass viele Menschen in unserem Land diesen Wunsch teilen“. Der Angriff auf Magnitz ist eine schwere Straftat und selbstverständlich zu verurteilen. Dass ein Bundespräsident jedoch ungefragt das Tatmotiv selbst festlegt und dann tief in die Kiste der Sorge- und Freundschaftsprosa greift, zeigt, wie exklusiv die Schicksalsgemeinschaft der deutsch-deutschen Mitte weiterhin ist. Nichts findet sie verabscheuungswürdiger als Gewalt – wenn sie einen der ihren trifft. Auch der windige Bauunternehmer und aufrechte Antidemokrat Frank Magnitz gehört dazu. Und zum völkisch-rassistischen Hoecke-Flügel der AfD. Zurzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn, in den sozialen Netzwerken äußert er sich szenetypisch. Etwa teilte er ein Bild, das die Kanzlerin mit hineinretuschierten Gesichtsverletzungen zeigt, Flüchtlingsgewalt und so, haha. Steinmeiers Solidaritätsadresse zeigt die emotionalen Leerstellen in einer Gesellschaft, die schulterzuckend akzeptiert, dass Gewalt als „Angriff auf die Demokratie“ Alltag ist. Allein die erste Januarhälfte hätte einem Präsidenten mit Tagesfreizeit ausreichend Anlass gegeben, Brieffreundschaften aufzubauen zu den Opfern rassistischer Übergriffe in Berlin-Zehlendorf und -Lichtenberg, in Weimar, Hettstedt, Leipzig, Brunsbüttel oder München. Oder zu den Eltern des vierjährigen Esmail, den ein rassistisch motivierter Attentäter in der Silvesternacht versuchte zu überfahren. Die Autoattacken in Essen und Bottrop überlebten alle Opfer, acht Menschen wurden verletzt. NRWInnenminister Reul bescheinigte dem Täter Andreas N. tags drauf, „aus einer persönlichen Betroffenheit und Unmut heraus dann Hass auf Fremde entwickelt“ zu haben. Weißer Terrorismus ist, wenn deutsche Innenpolitiker Verständnis haben. Oder zur Frankfurter Anwältin und NSU-Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız. Im Fall der Morddrohungen gegen sie und ihre Tochter ist ein rechtsextremes Netzwerk in der Frankfurter Polizei unter Verdacht, sechs Beamte sind bereits suspendiert, im Januar kam ein weiterer Drohbrief. Die ermittelnden Beamten boten der Anwältin an, ihr einen Waffenschein zu besorgen.

sei, entscheidend seien die Wertungsmaßstäbe im Sozialgesetzbuch II. Grundsätzlich sei zwar jede Arbeit zumutbar, wenn die Pflege von Angehörigen anderweitig sichergestellt werden könne. Und auch bei Pflegestufe II seien Arbeitszeiten von bis zu 6 Stunden täglich zumutbar – aber eben nicht in diesem Einzelfall, weil die Klägerin im Schichtsystem auf Abruf tätig war und die Einsatzzeiten erst kurz vorher mitgeteilt wurden.

Die dreimal täglich anfallende Pflege sei damit nicht zu vereinbaren. Das Gericht hat auch das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berücksichtigt, die einen Pflegedienst ablehnte und nur ihre Tochter akzeptierte. Dass die Klägerin dies alles vorher gewusst habe, ließ das Gericht nicht gelten, da ein Leistungsempfänger die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten dürfe, ohne sich im Falle des Scheiterns einem Ersatzanspruch auszusetzen.

DIE ZAHL

2,5

Milliarden pro Tag

Nach dem Ungleichheitsbericht der Hilfsorganisation Oxfam wuchs der Reichtum der Milliardäre weltweit innerhalb eines Jahres um 12 Prozent – das sind 2,5 Milliarden Dollar pro Tag. In Deutschland betrug der Anstieg gar 20 Prozent. Die statistisch gesehen ärmere Hälfte der Weltbevölkerung verlor 500 Millionen Dollar je Tag.

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REPORTAGE

„Aber so ist es halt grad.“ „Niemand muss auf der Straße schlafen.“ Ein Entlastungssatz. Wer ihn sagt, betont, seine Pflicht getan zu haben und weist den Betroffenen die Verantwortung zu. Doch gleichgültig, wie richtig oder falsch dieser Satz ist, in der sozialen Wirklichkeit unserer Städte ist Obdachlosigkeit ein Fakt: Hunderte Menschen leben unter schwierigsten Bedingungen draußen. Wir haben drei bodo-Verkäufer besucht und nicht nach Verantwortung gefragt, sondern danach, wie sie leben. Text und Fotos: Sebastian Sellhorst

„Das ist alles, was ich noch hab.“ Michael* durchsucht die Reste seiner Hütte auf einem Dortmunder Bahndamm. Bei einem Brand verlor er seinen ganzen Besitz.

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Daniel, Bochum * Am Rande der Bochumer Innenstadt: monotones Rauschen des Ruhrschnellweges. „Hätte ich nicht das Haus gefunden, ich hätte ich mich auch hier unter die Autobahnbrücke legen können. Hat ein Kumpel mal gemacht. Ist völlig irre geworden von dem Lärm.“ Neben mir Daniel, 32 Jahre alt. Wir sind auf dem Weg zu dem, was er zurzeit sein Zuhause nennt. Die Nächte verbringt er in einem leerstehenden Haus am Stadtrand. Heute nimmt er mich mit. Während wir an freistehenden Einfamilienhäusern vorbeigehen, erinnert er sich an seine erste Nacht. „Eigentlich wollte ich damals in die Übernachtungsstelle, aber es war spät abends und die hatte schon zu, da hab ich mich erinnert, dass mir ein Kum-

pel von dem leerstehenden Haus erzählt hat.“ Als wir an dem mit Graffiti bemalten Haus mit den fast vollständig vernagelten Fenstern ankommen, gehen wir erst einmal unauffällig vorbei. In der angrenzenden Firma ist gerade Mittagspause. „Man weiß nie, wie misstrauisch die Leute sind.“ Nach einigen Zigaretten ist die Mittagspause vorbei und wir klettern durch ein Fenster im Erdgeschoss. Modriger Geruch, der Boden voller Scherben, die Stromleitungen aus den Wänden gerissen. „Ich war nicht der Erste hier. Schrottsammler haben das Haus schon leer gemacht. Mit Kupferleitungen kannst du richtig Kohle machen.“ Mit einer Taschenlampe leuchtet Daniel uns den Weg durch das dunkle Treppenhaus und den Flur im ersten Stock.

Die Wände sind blau angemalt und lassen ein ehemaliges Kinderzimmer vermuten, jetzt sind sie Daniels Nachtlager. Auf dem Boden eine Isomatte, Schlafsack, Teelichter, eine große Sporttasche. „Ich hab mich hier oben eingerichtet, da höre ich am besten, falls nachts jemand die Treppe hochkommt.“

Michael, Dortmund * Vor einigen Wochen trafen wir Michael in unserer Anlaufstelle. Bei sich hatte er nur noch eine Tasche mit den verkohlten Überresten seines Besitzes. „Das ist alles, was ich noch habe“, sagt er. Auf einem Bahndamm in der Nähe der Dortmunder Innenstadt hatte er sich einen kleinen Verschlag ge-

Daniel* schläft zurzeit in einem leerstehenden Haus in Bochum. Die Konkurrenz um wettergeschützte Schlafplätze ist groß. Immer wieder kommt es zu Gewalt.

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REPORTAGE

zimmert. „Als ich mir was zu essen machen wollte, hat mein Gasbrenner Feuer gefangen. Innerhalb von Sekunden stand alles in Flammen.“ Am folgenden Tag treffen wir uns an den Überresten seiner Bleibe. „Ich hatte es eigentlich ganz nett hier. Und es hat sich hier nie jemand an mir gestört. Manchmal kam die Polizei vorbei. Aber die wollte immer nur wissen, ob alles in Ordnung ist.“ Jetzt durchwühlt er die Asche nach seinen letzten Habseligkeiten. „Ich bin nur heilfroh, dass ich gesund aus der Nummer rausgekommen bin.“ Die letzten Nächte habe er sich ein paar Bretter an eine Wand gelehnt und darunter geschlafen. Seine Hütte wieder aufbauen will er aber nicht. „Hier werde ich nicht weitermachen. Ich such mir was Neues.“

Jan, Dortmund * Am Rand der Dortmunder Nordstadt hat Jan sein Zelt aufgeschlagen. Während wir uns gemeinsam auf den Weg durch den an eine Hauptstraße angrenzenden jungen Laubwald machen, erzählt Jan, wie er hierhergekommen ist: „Bis vor kurzem war ich noch mit einem Kumpel in einem leerstehenden Haus. Da haben uns dann aber nachts immer wieder Leute besucht. Da machst du irgendwann kein Auge mehr zu, weil du nicht weißt, ob dir da jemand einfach nur einen Streich spielen will oder dich verprügeln und ausrauben möchte. Mein Kumpel ist jetzt in einer Übernachtungseinrichtung. Das ist aber nix für mich, darum bin ich hier hin.“ In einer Senke zwi-

Jan* schläft im Zelt in einem Dortmunder Waldstück. Ganz in der Nähe finden sich Reste älterer Behausungen. Zurzeit scheint er allein hier zu sein.

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schen etwas höheren Bäumen hat Jan sein grünes Igluzelt aufgeschlagen. Im Inneren das Nötigste, um sich vor den Temperaturen zu schützen: eine Isomatte, ein Schlafsack, ein Rucksack mit Kleidung. „Ich habe das Zelt extra so aufgebaut, dass man es von der Straße aus nicht sehen kann. Du willst halt eine ruhige Ecke haben, aber auch nicht wer weiß wie weit draußen im Niemandsland schlafen.“ Die Stelle, die Jan gefunden hat, scheint beliebt zu sein. Nur einen Steinwurf von seinem Lagerplatz finden sich Überreste von Zelten und einer Bretterbude. „Im Moment scheine ich aber der Einzige hier zu sein. Optimal ist das alles nicht, aber so ist es halt grad.“ (* Namen geändert)


Unter freiem Himmel, in einem Zelt oder einem Leerstand zu leben, ist in den seltensten Fällen eine freiwillige Entscheidung. Wer seine Wohnung verliert und obdachlos wird, hat in der Regel viele Rückschläge hinter sich und vor allem eines nicht: Stabilität.

Draußen ist kein Zuhause

losigkeit hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe bestätigen den Eindruck und merken an, dass Betroffene nicht nur häufiger, sondern auch stärker psychisch belastet sind. Dennoch sind Obdachlose stigmatisiert. Der Begriff erzeugt falsche Bilder bei Außenstehenden; bei Betroffenen führt das oft dazu, dass sie die eigene Not verdecken, um nicht aufzufallen. So bleibt Obdachlosigkeit, obwohl sie sichtbarer geworden ist, ein in seiner Größenordnung schwer überschaubares Phänomen.

Von Alexandra Gehrhardt Stabilität braucht es, um den Weg durch die staatliche Wohnungslosenhilfe zu meistern. Es kostet Kraft, sich mit Behörden auseinanderzusetzen, bürokratische Hürden zu überwinden, und „mitzuwirken“. In Dortmund hängt von dieser Mitwirkung der Zugang zur kommunalen Wohnungslosenhilfe, und zum Platz in einer Notunterkunft, ab. Die akute Wohnungskrise, die längst auch das Ruhrgebiet erreicht hat, hat die Zahl der Wohnungslosen rapide ansteigen lassen – um 70 Prozent in Bochum in zwei Jahren, um mehr als das Dreifache in Dortmund innerhalb eines Jahres. Bezahlbarer Wohnraum ist auch hier Mangelware. Wer heute die eigene Wohnung verliert, läuft Gefahr, lange keine neue zu finden. Auch sichtbare Straßenobdach-

Wer draußen lebt, lernt, sich unsichtbar zu machen, die eigenen Habseligkeiten zu verstecken, dort zu schlafen, wo es niemand sieht. Bei der Auswahl des Schlafplatzes zählt dann nicht, wie bequem er ist, sondern ob er vor Blicken und der Witterung schützt, ob man vielleicht AnwohnerInnen stört oder von Ordnungskräften entdeckt werden könnte. So wird man zum Experten für Fragen, in denen niemand Experte sein möchte. Mit unserer Arbeit versuchen wir, Obdachlosigkeit zu beenden – im besten Fall zu verhindern, dass sie eintritt. In unseren Anlaufstellen helfen wir in Notsituationen mit dem Nötigsten, dem Schlafsack, dem Frühstück, dem Ort, um sich aufzuwärmen. Wir versuchen, Betroffenen in Krisen zur Seite zu stehen, unterstützen bei der Kommunikation mit Behörden, beraten und begleiten bei den ersten, oft kleinen, Schritten. Vor allem versuchen wir, Selbstvertrauen zu stärken, stark zu machen für die nächsten Schritte, zusammen mit den unterschiedlichen Fachstellen und anderen Akteuren der Wohnungslosenhilfe.

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WILDE KRÄUTER

Unsere monatliche Exkursion in die urbane Welt der wilden Kräuter. Mit nützlichen Informationen, pointierten Fußnoten, vielen Geschichten – und immer einem originellen Rezept. Von Wolfgang Kienast

BEIFUSS (3) Artemisia vulgaris

W REZEPT 500 g Möhren, in 3 cm lange Stifte geschnitten, etwa 10 Minuten im Dämpfeinsatz garen. Derweil 2 EL Beifußgelee (Rezept aus unserer letztjährigen Septemberausgabe), 1 daumengroßes Stück Ingwer (gerieben), den Saft von ½ Zitrone, ½ TL Currypulver und 50 g Rosinen gründlich mischen. Die vorgegarten Möhren für 5 Minuten in Kokosfett anschwitzen, die Würzmischung unterrühren und alles zusammen noch weitere 5 Minuten garen.

intermonate gelten in der Wildkräuterküche als temporäre Problemzone. Rechtzeitiges Vorsorgen kann hier allerdings Abhilfe schaffen. Mit dem nebenstehenden Rezept für ein fruchtig-würziges Möhrencurry, welches sich hervorragend als Beilage an nahezu jeder Sorte Fisch oder Fleisch, Seitan oder Tofu eignet, finden heuer die aktuellen Beifußkochfestspiele der Wildkräuterkolumne eine Fortsetzung. Vor besagtem Hintergrund nahmen sie im vergangenen September mit einer basalen Gelee-Rezeptur ihren Anfang. Auf ebendiesen Gelee werde ich im März ein letztes Mal zurückgreifen müssen, später bietet die Natur wieder Frisches in Hülle und Fülle.

Michael Jackson, nein, nicht der 2009 verstorbene King of Pop, sondern die gleichnamige, zwei Jahre vor dem Musiker heimgegangene Bier- und Whiskykoriphäe, erwähnte ein aus Nevada stammendes „High Desert Harvest Ale“ auf Beifußbasis als einen seiner großen Favoriten. Lang ist‘s her, da wurde auch in unseren Breiten mit dem aromatischen Kraut gebraut. Sintemalen gilt es als Urbestandteil der ältesten Bockbiere – und die (männlichen) Konsumenten erhofften sich vom Genuss desselben unter anderem potenzsteigernde Effekte. Tatsächlich halfen Beifußbiere, und diese Volte gefällt mir ausgesprochen gut, bei diversen Frauenleiden. Nachweislich wurden sie noch in der frühen Neuzeit via Apotheke gehandelt.

Je nachdem, womit Sie das Curry kombinieren möchten, empfehle ich als begleitendes Getränk ein eher dunkles, süffiges Bier, ein Export vielleicht, besser aber noch ein Zwickl oder Märzen, wie sie hauptsächlich im süddeutschen Raum zu Hause sind. Dort, wo anno 1516 das Reinheitsgebot verabschiedet wurde, welches von patriotisch angehauchten Trinkern gelegentlich als ältestes Lebensmittelgesetz der Welt gepriesen wird.

Der Beifuß wird regional auch Besenkraut, Fliegenkraut, Gänsekraut, Jungfernkraut, Sonnenwendkraut, Weiberkraut, Wilder Wermut oder Wisch genannt. Die Pflanze kann pro Jahr bis zu 500.000 Früchte produzieren. Nach Plinius dem Älteren (24 bis 79 n.Chr.) sollen Wanderer, die „Artemisia“ bei sich tragen, auf der Reise nicht müde werden.

So ganz stimmt das freilich nicht. Es gibt ältere Gebote, ein Gebot ist kein Gesetz, und in puncto Gültigkeit klaffen in zeitlicher wie in territorialer Hinsicht beträchtliche Lücken zwischen 1516 und unserem Hier und Jetzt. Des Weiteren sind, neben den im Originaltext genannten Zutaten Hopfen, Malz und Wasser (Hefe fehlt, sie war im 16. Jahrhundert noch nicht entdeckt) zahlreiche Substanzen in Deutschland gelistet, welche beim Brauprozess ebenfalls Verwendung finden dürfen. Und nicht zuletzt wurde das Reinheitsgebot erst in den 1980er Jahren richtig populär, als es galt, den deutschen Markt vor fremden Bieren abzuschotten.

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KULTUR

„Sagen wir, ich mag sie nicht.“ James Bonds Raketenrucksack aus „Feuerball“, sein Mini-Hubschrauber „Little Nellie“ aus „Man lebt nur zweimal“, Bond-Mobile, Requisiten, Kostüme, Drehbücher, Plakate: James Bond kommt nach Hause, beziehungsweise, je nach Perspektive, ins benachbarte Bochum. Zwei Monate lang zeigt eine Ausstellung in einem temporären Leerstand in der Kortumstraße den „Spion, der aus Wattenscheid kam“. Von Bastian Pütter | Foto: Siegfried Tesche

In geheimer Mission. Der Spion, der aus Wattenscheid kam. Ausstellung vom 1. Februar bis zum 31. März Mo. bis Fr. von 15 bis 19 Uhr am Wochenende von 11 bis 18 Uhr Kortumstraße 49, 44787 Bochum Eintritt: 8 Euro, erm. 5 Euro

Die hübsche Kreisstadt Hameln in Niedersachsen koppelt ihr Stadtmarketing vollständig an eine Sage, in der die Stadtbevölkerung einen Schädlingsbekämpfer über den Tisch ziehen will und dafür zu Recht, aber grausam, bestraft wird. Frankfurt a.M. holt alles aus dem selbstverliehenen Titel „Goethestadt“ heraus, auch wenn der Dichter seine Geburtsstadt, das „leidig Loch“, aufrichtig hasste. Manchmal darf man nicht zimperlich sein im Stadtmarketing. Um die Ruhrgebietsvergangenheit des berühmtesten Geheimagenten der Filmgeschichte zu thematisieren, braucht es noch größere Entschlossenheit. Als Ian Fleming, der Autor der Bond-Romane, noch für die Londoner Sunday Times arbeitete, war ein gewisser John Pearson sein Mitarbeiter. Pearson wurde Romanautor, Biograf des Bond-Erfinders und schließlich autorisierter Biograf der Romanfigur James Bond.

Seine schmissig erzählte Lebensgeschichte trifft den Fleming-Ton, ergänzt neue absurde Abenteuer des Doppelnullagenten, etwa, dass er sich während des ungarischen Aufstands nackt aus einem Käfig mit einem wilden Gorilla befreien musste – Bond-Sachen eben. Vor allem aber erzählt Pearson Bonds Vorgeschichte, den Tod der Eltern, den unangenehmen Start beim Geheimdienst – und nebenbei die Umstände seiner Geburt. Bonds schottischer Vater wird demnach 1920 ins Ruhrgebiet abkommandiert, um die deutschen Reparationsleistungen zu überwachen. Bond erzählt: „Er hatte sein Haus in Wattenscheid – ich erinnere mich natürlich nicht daran, aber ich habe es kurz nach dem letzten Krieg gesehen – ein großer, hässlicher, weitläufiger Ort. Meine Mutter sagte immer, sie hasst es.“ Dummerweise verhindert ein Bahnstreik, dass die hochschwangere Frau Bond wie geplant nach England reisen kann, um

den kleinen James in angenehmerer Umgebung zur Welt zu bringen. So wird Bond Jr. in der damals amtsfreien Stadt Wattenscheid, Landkreis Gelsenkirchen, geboren. Wieder Bond: „Der Schaden, wie man so schön sagt, war angerichtet.“ Denn so steht es seitdem im Pass des fiktiven Briten. Gestatten, Bond, James Bond, Geburtsort: Wattenscheid. Der „Geburtsunfall“ habe ihn „sehr empfindlich gemacht hat, was unsere Freunde, die Deutschen, betrifft“, gibt der Agent zu Protokoll: „Sagen wir, ich mag sie nicht.“

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* bodo-Verlosungen – die Teilnahme ist ganz einfach:

Kalender Fe b r u a r Mär z

Schicken Sie Ihren Wunschgewinn mit Name, Telefon, Adresse und dem Betreff „Verlosung“ an redaktion@bodoev.de oder auf frankierter Postkarte an bodo e.V., Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund. Teilnahmeschluss ist jeweils drei Tage vor der Veranstaltung. Bei mehreren Teilnehmern entscheidet das Los. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich.

Hinweise zum Datenschutz: Eine Weitergabe der Daten an Dritte erfolgt grundsätzlich nicht, mit Ausnahme an den jeweiligen Veranstalter (zum Beispiel, um Ihren Namen auf die Gästeliste zu setzen). Sie erhalten ca. einmal jährlich postalisch Informationen zu den Aktivitäten unseres Vereins. Dem Erhalt können Sie jederzeit widersprechen. Eine weitergehende Datenverarbeitung oder Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Weitere Hinweise zum Datenschutz entnehmen Sie unserer Homepage unter www.bodoev.de.

mehr als 20 Jahre Exil in Deutschland mit treibendem Balkan-Ska, Reggae und Punk. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

FR 08 | 02 | 19 Musik | Trovaci Seit 2003 werfen Trovaci ihren einzigartigen Balkan-Blick auf den deutschen Alltag und Gastarbeiterklischees, aber auch auf weltpolitische und Herzschmerz-Themen. Mit über 300 Live-Gigs und bisher vier veröffentlichten Alben gilt Trovaci als eine der erfolgreichsten Combos der Jugo-Diaspora. Die Band um den Ex-Balkanizer Danko Rabrenovic kombiniert

Musik | Mongooz & The Magnet Treffen sich ein Ire, ein Norweger, ein Ungar und machen Hendrix-Pop: Mongooz & The Magnet haben sich von ihren Medizinerkarrieren abgewandt – und für den Rock‘n‘Roll entschieden. Mit einem Mix aus Feuer und Courage, aber auch bittersüßer Ehrlichkeit, werden sie zu einer der beliebtesten FestivalBands Ungarns. subrosa, Dortmund, 20 Uhr

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SA 09 | 02 | 19 Party | NICE UP! In gemütlicher Atmosphäre garantieren ein entspanntes Publikum und die Mischung aus Dancehall, Reggae, Hip-Hop und World Beats beste Vibes. Die authentischen Jungs vom Blockbuster Soundsystem versprühen zusammen mit NasAIR echtes Jamaica-Feeling. Dazu verbinden sie die tanzbarsten Riddims und Tunes aus Dancehall, Reggae und Hip-Hop zu einem zeitlosen und schweißtreibenden Mix, bis alles in Bewegung ist und der Euphoriepegel voll ausschlägt. Großmarktschänke, Dortmund, 23 Uhr

SO 10 | 02 | 19 Ausstellung | Stop and Go „Stop and Go“ ist eine Art Spielfeld, auf dem die BesucherInnen an Kreuzungspunkten ihre Mobilitätsentscheidungen treffen. So wie eben jeden Tag. Die Ausstellung gibt inspirierende Einsichten auf die Straße: ins Herz von Bus und Bahn, ins Innerste von Autos, auf Sattel und Reifen und natürlich für Fußgänger – und fragt nach der Zukunft der Mobilität. Bis 14. Juli. Öffnungszeiten: www.dasa-dortmund.de DASA, Dortmund

WENN ES EINEN ZWECK HAT, STATT SELBSTZWECK ZU SEIN, DANN IST ES GUTES GELD. © Nicolas Villaume

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NACHHALTIGE GELDANLAGE SEIT 1975.

Ausstellung | In geheimer Mission – Der Spion, der aus Wattenscheid kam Eingefleischte Bond-Fans sind natürlich im Bilde, alle anderen denken dagegen an einen schlechten Scherz, wenn James Bond mit Wattenscheid in Verbindung gebracht wird. Denn gemäß der autorisierten Biografie von John Pearson, einst enger Mitarbeiter von Ian Fleming, dem Autor der James-Bond-Romane, ist Bond 1920 in Wattenscheid geboren. Entsprechend präsentiert Bochum Marketing vom 1. Februar bis 31. März in der Bochumer City eine James-Bond-Ausstellung unter dem Titel „In geheimer Mission – Der Spion, der aus Wattenscheid kam“. Kortumstraße 49, Bochum (Mo. – Fr., 15 – 19 Uhr, Sa. u. So, 11 – 18 Uhr)


Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte ab 16. Februar Schauspielhaus Dortmund

Die Omma war mal Wirtschafterin im Puff in Essen-Rellinghausen, bis sie den brutalen Zuhälter Herbert nicht mehr ertrug und ihn mit einer Flasche Korn erschlagen hat. Und sie ist Titelfigur des Romans „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ von Anna Basener. Mit Gerburg Jahnke bringt eine der bekanntesten Kabarettistinnen des Ruhrgebiets den Stoff nun auf die Bühne: Die Regisseurin inszeniert „Omma“ – mit Musik von Tommy Finke – am Schauspiel Dortmund. Als die schöne Mitzi, ehemalige Hure und enge Vertraute, plötzlich stirbt, bricht die Omma alle Zelte in Essen ab und zieht zu ihrer Enkelin Bianca nach Berlin-Kreuzberg. Die designt Damenschlüpfer, hat damit aber nur mäßigen Erfolg, ähnlich wie bei der Suche nach dem Sinn des Lebens. Und wundern tut sie sich auch – darüber, dass die vitale Mitzi so pötzlich gestorben ist, zum Beispiel. Uraufführung am 16. Februar Alle Termine online unter www.theaterdo.de

Familie | Familiensonntag mit Barfußpfad Beim Familiensonntag in der Werkstadt können Eltern mit ihren Kindern einen Barfußpfad erkunden und dabei verschiedene Formen und Stoffe kennenlernen. Wer möchte, kann sich am Basteltisch kreativ austoben. Auch in der Holzwerkstatt kann wieder gewerkelt werden. Im kostenlosen Kinderkino gibt es einen Film über ein Haustier, dessen Leben sich durch seinen neuen Mitbewohner komplett auf den Kopf stellt. Eintritt frei. Werkstadt, Witten, 14 – 18 Uhr Theater | Trio Wackldackl Das Trio Wackldackl verbindet Ernst-JandlTexte, Musik und Tanz zu einem skurrilfröhlichen Feuerwerk der Clownerie, das abgerundet wird mit Funken leiser Poesie. Mal verhaken sich Litzi, Klaus und Pellerine in den Tücken des Miteinander. Mal machen sie aus Mücken Elefanten und andere Verwunderlichkeiten. Mal verzaubern sie sich und die Zuschauer auf Reisen in phantastische Welten. Doch finden sie immer in der Leere des Clownhirns erstaunliche Lösungen. Theater48, Bochum, 18 Uhr

DI 12 | 02 | 19 Theater | Funny Girl Azime ist zwanzig Jahre alt, eine moderne junge Frau und unfassbar witzig. Ihre Eltern sind stolze Kurden und betreiben ein kleines Möbelgeschäft in London. Der größte Wunsch der Eltern ist, Azime schnell und gut zu verheiraten. Azimes größter Wunsch ist es, Comedian zu werden – ein Wunsch, den weder Eltern, Bruder noch Cousins teilen. Flottmann-Hallen, Herne, 18 Uhr

FR 15 | 02 | 19 Mischmasch | Retro Gaming Days Die ersten Videospielerinnerungen, das erste Mal am Flipper spielen. Aktiv oder nur als ZuschauerIn. Unvergessliche Sounds, rasante Spiele, die die Phantasie beflügelten. Vom 15. bis 17.2. finden im Dampfgebläsehaus die ersten Retro Gaming Days statt. Dann stehen den BesucherInnen u.a. Gaming-Stations mit Retro-TVs, Konsolen, Arcade- und Flipperautomaten zur Verfügung. An vielen klassischen Spielkonsolen können hunderte von Video-Games gespielt werden. Dampfgebläsehaus Jahrhunderthalle Bochum, 17 – 22 Uhr (auch 16.2., 12 – 22 Uhr und 17.2. 12 – 21 Uhr)

SA 16 | 02 | 19

Theater | Gardi Hutter Der Tod schafft Raum für die nächste und weitere Generationen und ermöglicht so Verlebendigung. Gardi Hutter, alias Hanna, hat Übung im Sterben. In bisher acht Stücken war sie am Schluss sieben Mal tot. Der Tod des Clowns provoziert das ursprünglichste Lachen, das die Menschen gefunden haben, um sich mit dem unabwendbaren eigenen Ende auzusöhnen. In „Gaia Gaudi“ ist Hanna gleich von Anfang an tot. Das Publikum versteht das sofort, nur Hanna nicht. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

SO 17 | 02 | 19 Musik | Habib Koité Vor allem wegen seiner mitreißenden LiveAuftritte wurde Habib Koité zu einem der großen Stars der Weltmusik: ein Musiker und Geschichtenerzähler, der mit Charisma und Können seine musikalischen Wurzeln einem breiten Publikum zugänglich macht. Es ist wohl die unerschrockene und äußerst

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08.02.19

mit Robert Habeck – Grüner Politiker

16.02.19 Milonga Noche Argentina mit dem Hamburg Tango Quintet

22.02.19

bodo verlost 2x2 Karten*

VERLOSUNG Schwerter Kleinkunstwochen: Ingolf Lück Ingolf Lück seziert eine Welt, die sich immer schneller dreht. Kaum fühlt man sich innerlich dem Bobby Car entstiegen, ist da überall diese Verantwortung. Alles ist nur noch ökologisch, alle sind fit und ständig soll man im Einklang mit sich selbst sein, auf dass der eigene Darm noch charmanter werde. Was für eine Aussicht für jemanden, der gerade 60 geworden ist und sich eigentlich nichts Anderes wünscht, als endlich in der Straßenbahn auch mal einen Platz angeboten zu bekommen. Friedrich-Bährens-Gymnasium, Schwerte, 19.30 Uhr

Alkoholfreier Karneval

23.02.19 Hordengrölen Die Hardrock Karaoke Show

Leopoldstr. 50-58 · 44147 Dortmund Tel. 0231 50-25145 · Fax 0231 50-26019 facebook.com/DietrichKeuningHaus

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KALENDER

feinsinnige Verschmelzung aller malischen Nuancen mit Soul-, Blues-, Flamenco-Reminiszenzen und modernem Afro-Groove zu einem neuen Klangbild, die den Zauber seiner Musik ausmacht. domicil, Dortmund, 20 Uhr

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bodo verlost 2x2 Karten*

VERLOSUNG 12. Historischer Jahrmarkt Ab dem 17. Februar heißt es Familienspaß pur, in nostalgischem Ambiente zwischen jahrhundertealten Fahrgeschäften an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden. Die Luft füllt sich wieder mit dem Duft nach süßen Leckereien, fröhliches Kindergeschrei dringt in alle Ecken und Musik ertönt aus allen Richtungen zugleich. Der Historische Jahrmarkt hat sich über die Jahre zu einer festen Institution im Veranstaltungskalender der Jahrhunderthalle Bochum entwickelt. Alle Termine: www.jahrhunderthalle-bochum.de Jahrhunderthalle Bochum, 11 Uhr bodo verlost 2 x 2 Karten für den 3. März

MO 18 | 02 | 19 Musik | Heinz Rudolf Kunze Auch mit über 60 zieht es Heinz Rudolf Kunze noch immer regelmäßig „Raus auf die Straße“. Mit der Eröffnungsnummer des Albums „Schöne Grüße vom Schicksal“ liefert der Rockpoet nicht nur das Motto zur Tour, sondern feiert, stilecht mit Springsteen-Klavier, den Aufbruch und die stetig andauernde Liebe zu seinem Publikum. FZW, Dortmund, 20 Uhr

MI 20 | 02 | 19

Historischer 12.Jahrmarkt re 12 Ja hsc h e r Histo ri a rkt Ja h rm

Comedy | Moritz Neumeier Das Leben ist selten lustig. In vielen Momenten ist es nervig, anstrengend, niederschmetternd, traurig, zermürbend, blutdruckerhöhend, langweilig und vor allem normal. Und aus genau diesen Momenten macht Moritz Neumeier Stand Up Comedy. Mit seinem neuen Programm „Lustig“ ist er am 20.2. live in der Rotunde. Rotunde, Bochum, 20 Uhr

DO 21 | 02 | 19

17. und 23. + 24. Februar und 02. + 03. März 2019 jeweils ab 11:00 Uhr www.jahrhunderthalle-bochum.de

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Musik | The Dark Tenor Zum mittlerweile dritten Mal öffnet der dunkle Tenor die Pforten zu seinem Reich. Auf „Symphony Of Ghosts“ verarbeitet „The Dark Tenor“ seine privaten Erinnerungen und Erfahrungen der letzten Jahre, die er als Geister definiert. Das Album ist geprägt von epischen Klängen, die Pop- und Rockmusik miteinander verschmelzen lassen. FZW, Dortmund, 19.30 Uhr

FR 22 | 02 | 19 Musik | The Unforgettable Monkey Gland Von den wilden 20er Jahren geht noch immer eine ungeheure Faszination aus. Und jetzt mutiert das Sissikingkong für einen Abend und eine Nacht zur „Bar zum Krokodil“, über das die Comedian Harmonists sangen. Deren Aufnahmen gehören selbstverständlich ins Repertoire von DJ Martini. In seinen Plattenkisten stecken Charleston, Swing und ganz viele Schlager der 1920er Jahre. Eintritt frei. Sissikingkong, Dortmund, 19 Uhr …bei bodo | Jeff Silvertrust und Chained to the Cooker Jeff Silvertrust ist als One-Man-Band in ganz Europa unterwegs. Mit seinem charakteristischen Sound aus Casio-Keyboard, Hi-Hat, Trompete und Gesang spielt er sich quer durch alle Genres und erweitert die Songs um bissige, sozialkritische Texte in diversen Sprachen. Am 22.2. tut er sich bei bodo mit „Chained to the Cooker“ zusammen. Dagmar und Thomas Breuer haben jahrelang in Küchensessions Klassiker von Nat King Cole bis Cole Porter gespielt, jetzt gehen sie auf die Bühne. bodo Buchladen, Dortmund, 19.30 Uhr Karneval | Alkoholfreier Karneval Diese Karnevalsveranstaltung ist in ihrer Art einzigartig in der Region. Gute Stimmung kommt auch ohne Alkohol auf, wenn die Dortmunder Karnevalsvereine ihr Showprogramm zeigen und das amtierende Prinzenpaar zu Besuch ins DKH kommt. Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund, 19.11 Uhr Ausstellungseröffnung | „45257//44147“ Die Ausstellung „45257//44147“ zeigt Positionen von zehn ausgewählten Studierenden und AbsolventInnen des Fachbereiches Fotografie und Medien der HBK Essen unter der Leitung von Professor Carsten Gliese. Die Auswahl der präsentierten Werke erfolgte nicht unter einem thematischen Gesichtspunkt – vielmehr soll die Ausstellung allgemein Einblick in die künstlerische Forschung und Lehre der noch jungen Kunsthochschule geben. Bis 7. April Künstlerhaus Dortmund, Dortmund, 20 Uhr Theater | Hedda Gabler Eifersucht, Egoismus, Intrigen und gespielte Gefühle – Ibsens Hedda Gabler versammelt klassische Motive der Dramenliteratur. Die junge Hedda verkörpert zugleich Wünsche an und Ängste vor der emanzipierten, vermeintlich perfekten Frau. Der Regisseur Jan Friedrich – erstmals am Schauspiel Dort-


Fräulein Nina, Autorin, Musikerin, Allroundtalent und frühere bodo-Kolumnistin, hat neue Essays und Texte verfasst. Mit denen sitzt sie am 21. Februar vor dem elektrischer Kamin von DJ, Kräuterkenner und bodo-Autor Wolfgang Kienast.

Ekamina präsentiert: Fräulein Nina – on demand! 21. Februar, 20 Uhr Lesung & Konzert Sissikingkong Dortmund

In ihren Texten zerlegt Fräulein Nina mal die Wortschöpfung „Freundschaft plus“, mal die Frage, was nur wäre, wenn auf Wohlfühl-Teebeuteln „Was ist bloß mit den Leuten los?“ stünde. Und sie hält ein Plädoyer für gesundes „Wollen“ statt reflektiertem „Wünschen“. Klartext statt weichgespülter Worte, jonglierend zwischen philosophisch und humorvoll. Ganz weg von der Pädagogin kann und will das Fräulein wohl nie – außer, wenn sie Canzoni zu Playbacks singt oder Experimentelles aus dem Kleinkunstwagen zaubert. „On demand“ steckt dabei schon den Rahmen für die nächste Show: Das Publikum kann sich Texte, Lieder und Gedanken zu bestimmten Themen wünschen und für Fräulein Ninas nächsten Besuch quasi „vorbestellen“.

mund – betrachtet Ibsens Drama als Folie für eine perfekte kleinbürgerliche Fassade. Und blickt schonungslos dahinter. Studio im Schauspielhaus, Dortmund, 19.30 Uhr Kabarett | Ulli Lohr – „Ein Kellner packt aus“ Viele arbeitslose Schauspieler müssen sich als Kellner durchschlagen. Ein Kellner, der jedoch auf die Bühne geht, ist eine Rarität. Der Schauspieler, Sänger und Moderator Ulli Lohr schlüpft leichtfüßig in diese Rolle und serviert seinem Publikum sentimentale Satire an ironischen Chansons und mit karamellisierten Pointen gespickte Comedy. Zauberkasten, Bochum, 20 Uhr

SA 23 | 02 | 19 Musik | Fatima & The Eglo Live Band Die energetischen Live-Shows und die ausdrucksstarke Stimme der schwedischen Soul-

und Jazz-Sängerin Fatima haben der Eglo Live Band einen Ruf als kraftvolle, charismatische und leidenschaftliche Live-Performer eingebracht. Ihr Debüt „Yellow Memories“ wurde bei den Gilles Petersons Worldwide Awards 2015 zum „Album des Jahres“ gekürt und im Rolling Stone Magazine unter den Top 20 der R‘n‘B-Alben des Jahres mit Platz 10 ausgezeichnet. domicil, Dortmund, 20 Uhr

bodo verlost 2x2 Karten*

VERLOSUNG Dirty Dancing – Das Original Live On Tour Johnny blickt seinem „Baby“ tief in die Augen – und schon wird der Sommer ‘63 im Holiday Resort Kellerman‘s wieder lebendig. Szene um Szene erzählt die Show eine der größten Romanzen der Filmgeschichte. Die be-

rühmte Wassermelone darf da ebenso wenig fehlen wie Johnny Castles legendäres „Mein Baby gehört zu mir!“. Doch bis der charismatische Tänzer das Herz der jungen Frances „Baby“ Houseman erobert, durchleben die beiden ein Auf und Ab der Gefühle. Zum Abschluss der Ferienzeit haben sie dann ihren ganz großen Show-Auftritt: Ein Happy End, das elektrisiert und glücklich macht. Die Bühnenversion des Kultfilms hat weltweit bereits mehr als acht Millionen Besucher begeistert. Westfalenhalle, Dortmund, 15 Uhr (auch 23.2., 19.30 Uhr, 24.2., 14 Uhr und 18.30 Uhr) bodo verlost 2 x 2 Karten für den 23. Februar um 15 Uhr Theater | Shockheaded Peter Faszinierend, poetisch, schräg und vor allem musikalisch: Die Tiger Lillies haben aus dem berühmt-berüchtigten deutschen Kinderbuch „Der Struwwelpeter“ eine groteske, schaurig-schöne Junk-Oper gemacht, die längst Kultstatus genießt. Die „Kulturbrigaden“ haben sich des berühmten Stoffs angenommen und drücken dem tragikomischen Musiktheater ihre eigenen Stempel auf. Eine Junk-Oper für Erwachsene, in der sich Zirkusklänge und Varieté mit Punk, Musik in der Brecht-Weill-Nachfolge und bitterbösem britischen Humor zu einer höchst effektvollen Mischung verbinden. Theater im Depot, Dortmund, 20 Uhr (auch 22.02.)

SO 24 | 02 | 19 Kinder-Workshop | Feuerstein – Vom Leben in der Steinzeit Heute sind unsere Messer aus Stahl. Die Menschen in der Steinzeit machten ihre Werkzeuge und Waffen aus Feuerstein und

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KALENDER

bauten diesen sogar in richtigen Bergwerken ab. Was Feuerstein ist, wie man damit Feuer machen konnte und was man sonst noch daraus herstellte, zeigt der zweistündige Workshop für Kinder ab 9 Jahren. Deutsches Bergbaumuseum, Bochum, 14.30 Uhr Kindertheater | Die Schmuddels feiern Karneval In Frau Saubermanns Keller geht es drunter und drüber: Beppo Besen, Klodwig Bürste und der strubbelige Moppel sind im Karnevalsfieber und wollen mal so richtig auf den Putz hauen mit Helau und Alaaf, Konfetti und Kamelle. Doch mitten in der Karnevalssause ist Moppel plötzlich spurlos verschwunden. Was ist denn da passiert – und kann Rosenmontag noch gerettet werden? Ein närrisches Vergnügen für Kids ab 4 Jahren. Weitere Termine: www.fletch-bizzel.de Fletch Bizzel, Dortmund, 15 Uhr Musik | The Inexplicables – urban urtyp spezial „Heavyweight beat box extravaganza“ nennen sie es selber, das erklärt auch nichts. Halten wir uns an die Zutaten: Jungle, Hiphop und Jazz, auch Reggae, auch Dub, alles sehr vokal-betont. Erklärt das was? Ja, es erklärt die Energie, die diese britische Band über die Jahre – sie sind alle aus den 20ern raus, sie sind europaweit unterwegs – angesammelt und verarbeitet hat. Tanzmusik? Ja. Weltmusik? Ja. Urban? In jedem Fall. Christuskirche, Bochum, 19 Uhr

„Aber ich schrieb mich verrückt“ Die Wolfgang-WeltAusstellung

17. Februar bis 5. Mai Kulturgut Haus Nottbeck Oelde-Stromberg

Das Schreiben von Wolfgang Welt (1952 – 2016) ist geprägt von radikaler Subjektivität. Seine Stoffe speisen sich aus den Erlebnissen in seinen Jobs als Journalist und Nachtwächter am Bochumer Theater, aus seiner Leidenschaft zur Musik, der Popkultur, dem Fußball, aber auch dem Umgang mit seiner schizophrenen Psychose. Eine Ausstellung rückt nun das vielschichtige Werk des gebürtigen Bochumers in den Fokus und zeigt Materialien aus seinem Nachlass und aus Privatsammlungen: Literaturund Musikkritiken, Kurzporträts bis hin zu seinen lakonisch-lässigen Romanen und Kurzerzählungen. Peter Handke, ein Förderer von Wolfgang Welt, sah in dessen Werk eine „grundandere Art von Geschichtsschreibung.“ Die Ausstellung ist bis zum 5. Mai zu sehen. Am 27. Februar präsentiert Autor Frank Goosen einen Querschnitt durch Wolfgang Welts journalistisches und literarisches Schaffen. Informationen: www.kulturgut-nottbeck.de

MI 27 | 02 | 19 Comedy | Jean-Philippe Kindler Mit seinem Programm „Mensch ärgere Dich“ erhebt Kindler auf irrwitzige und poetische Art und Weise die Stimme für jene Geschichten, die zu selten gehört werden. So geht es mal um soziale Ungerechtigkeiten und mal um seine Eltern, die gerne „Läuft bei dir“ sagen. Das Publikum erwartet eine Mischung aus Slam-Poetry, Sprechgesang, Comedy-Elementen und Kabarett. Der Titel verrät es bereits: Kindler denkt gesellschaft-

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lich spielerisch, seine eigene Verantwortung betonend, dass wir die Politik so gestalten müssen, dass sie Glück für alle ermöglicht. Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr

DO 28 | 02 | 19 Party | Weiberfastnacht Nach den gelungenen Partys der vergangenen zwei Jahre wird auch in diesem Jahr die Weiberfastnacht im FZW gefeiert. Bei kühlen Cocktails, Specials und den größten Partyhits wird bis in den frühen Morgen getanzt. Der Eintritt ist frei. FZW, Dortmund, 17 Uhr Liederabend | O, Augenblick Bochum in nicht allzu ferner Zukunft: Eine Touristengruppe sucht nach dem legendären Theater der Stadt. Aber wo das Schauspielhaus stehen müsste, findet sich kaum etwas, was daran erinnert. Wo sind sie hin, die vergangenen 100 Jahre Theater in Bochum? Aus ausgegrabenen Archivfundstücken, überlieferten Gerüchten, lückenhaften Legenden, vergessenen Ritualen und vielen alten und neuen Songs entsteht ein Liederabend, der die Unmöglichkeit feiert, das Vergangene zurückzuholen. Eine Liebeserklärung an eine Kunst, die sich nicht festhalten lässt. Schauspielhaus, Bochum, 19.30 Uhr

FR 01 | 03 | 19 Theater | Frankenstein Getrieben von dem Zwang etwas Neues zu erschaffen, gelingt es Victor Frankenstein,


toten Dingen Leben einzuflößen. Auf der Suche nach Liebe reagieren die Menschen auf die Erscheinung der Kreatur mit Gewalt und so wird auch sie gewalttätig. Frankenstein verspricht der Kreatur einen Partner zu erschaffen, damit sie nicht mehr in Einsamkeit leben muss. Doch kurz vor der Vollendung zerstört er sein Werk und erntet dafür unauslöschlichen Hass. Rottstr.5 Theater, Bochum, 19.30 Uhr

SA 02 | 03 | 19 Karneval | Mummenschanz Bekannt ist der Mummenschanz für seine entspannte Stimmung und die fantasievollen Kostüme der Gäste. Ausgelassen gefeiert wird beim Kostümball nicht bei der karnevalstypischen Musik, sondern mit verschiedenen Acts wie der Jim Rockford Band feat. Sonja La Voice und dem Adriano Batolba Trio, Klassikern und aktuellen Hits. Rotunde, Bochum, 20.30 Uhr

SO 03 | 03 | 19 Lesung | „Karneval der Tiere“ (inklusive Kinderschminken) Das Kindermuseum „mondo mio!“ im Dortmunder Westfalenpark begibt sich immer am ersten Sonntag des Monats ab 15 Uhr auf eine Geschichten- und Märchenreise um die Welt. Dabei werden immer wieder neue Themengebiete, Regionen oder Phänomene erkundet. Für die Märzlesung arbeitet das Museum erstmalig mit dem Verein MENTOR – Die Leselernhelfer Dortmund e.V. zusammen. Passend zur fünften Jahreszeit lautet das Motto „Karneval der Tiere“. Vor der Lesung bietet das Museum zusätzlich ab 13.30 Uhr eine Kinderschmink-Aktion an. Kindermuseum „mondo mio!“, Dortmund, 15 Uhr Theater | Der Sandmann Der Student Nathanael ist verzweifelt. Er glaubt in dem Hausierer Coppola einen alten Bekannten wiedererkannt zu haben. Und zwar den Advokaten Coppelius, den er für den mysteriösen Tod seines Vaters verantwortlich macht. Nathanael erinnert sich nur mit Schrecken an Coppelius und seine traumatische Kindheit. Denn jeden Abend transformierte sich der harmlose Sandmann, der schläfrigen Kindern Sand in die Augen streut und sie ins Reich der Träume geleitet, in Nathanaels Fantasie in

einen furchterregenden, augenausreißenden Schrecken. KJT in der Sckellstraße, Dortmund, 18 Uhr

MI 06 | 03 | 19 Show | Game of Thrones – The Concert Show Die Serie Game Of Thrones Serie hat einen weltweiten Hype ausgelöst, der noch bis Ende 2019 anhalten wird, denn dann wird die 8. und letzte Staffel der berühmten TVSerie ausgestrahlt. Um die Wartezeit zu verkürzen, können Fans die ergreifende Musik live erleben. Mit modernster Technologie wird das gewaltige, 100 Mitwirkende umfassende Game-of-Thrones-Ensemble der renommierten London Festival Symphonics mit Orchester, Solisten und Chor die Fans auf eine musikalische Reise führen. RuhrCongress, Bochum, 20 Uhr

DO 07 | 03 | 19 Theater | Penthesilea Die Szene ist ein Schlachtfeld. Und die zwei Hauptfiguren sind zugleich Krieger und Liebende: Penthesilea und Achilles. Nur als Kriegsbeute kann die stolze Amazone den griechischen Heerführer als Mann gewinnen. Doch ihr Rausch endet tödlich. Die Neuinszenierung von Johan Simons in einer Textfassung von Vasco Boenisch fokussiert den Kern des berühmten Dramas von Heinrich von Kleist auf nur diese zwei Akteure: Penthesilea und Achilles. Duell und Duett. Schauspielhaus, Bochum, 19.30 Uhr

FR 08 | 03 | 19 Musik | Side by Side Seite an Seite mit dem Gastgeber JugendMädchenchor der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund präsentieren preisgekrönte Mädchenchöre aus ganz Deutschland ein stimmgewaltiges Konzert zur Feier des Weltfrauentags 2019. Konzerthaus, Dortmund, 19.30 Uhr

SA 09 | 03 | 19 Musik | GospelLounge – New Life Gospel Choir Im New Life Gospel Choir aus Düsseldorf singen über 20 Sängerinnen und Sänger aus verschiedenen Nationen und verkörpern ganz natürlich das Gefühl der schwarzen Gospelmusik. Der New Life Gospel Choir ist das hörbare Beispiel von gelungener Integration und alltäglichem musikalischen Miteinander. Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund, 18 Uhr

sweetSixteen-Kino | Ailos Reise Für ein kleines Rentier wie Ailo ist die Welt ein großes Abenteuer. Geboren in der wilden und majestätischen Natur Lapplands, muss Ailo mit seiner Herde do bo eine gefährliche Reise verlost 1x2 durch die gefrorene Karten* Taiga antreten, die an imposanten Fjorden und unwegsamen Bergen vorbeiführt und ein ganzes Jahr dauern wird. Jeder neue Tag birgt für das Rentier und seine Herde neue Überraschungen, aber auch neue Gefahren: Ailo trifft auf Polarfüchse, Lemminge, Adler, Wölfe, Eichhörnchen und Hermeline – harmlose Tiere und solche, vor denen sich ein kleines Rentier in Acht nehmen sollte. An der Seite seiner Mutter lernt Ailo zu überleben und wächst auf der Wanderung seiner Herde durchs wilde Lappland zu einem großen Rentier heran. Der Regisseur Guillaume Maidatchevsky ist spezialisiert auf Naturdokumentationen. Für seinen aktuellen Film hat er ein neugeborenes Rentier und seine Herde ein Jahr lang mit der Kamera durch Lappland begleitet. In „Ailos Reise“ beschreibt er so nicht nur die jährliche Migration einer der letzten wilden Rentierherden dieses Planeten, sondern erzählt, basierend auf wissenschaftlichen Grundlagen, die Auswirkungen der globalen Erwärmung und des menschlichen Einflusses auf die Natur. Der Dokumentarfilm wurde über fünf Jahre entwickelt, für die deutschsprachige Fassung konnte eine prominente Sprecherin gewonnen werden: Anke Engelke erzählt die Geschichte des kleinen Rentiers und seiner großen Reise. Bundesstart am 14. Februar, im sweetSixteen-Kino zu sehen vom 14. bis 27. Februar. sweetSixteen-Kino Immermannstr. 29, 44147 Dortmund www.sweetsixteen-kino.de 29


BODO GEHT AUS

Jia – the taste of home Am Bruchheck 29 44263 Dortmund

Jia – the taste of home Hausmannskost von sehr weit her Jia ist chinesisch, spricht sich in etwa „dschja“ und bedeutet so viel wie Heimat oder Wohnung. Den Untertitel „the taste of home“ übersetzt Alexander von Kleist, im Übrigen tatsächlich ein Nachfahr des Dichters und Dramatikers, schlicht mit „Hausmannskost“. „In unserem Restaurant gibt es, was ich zu Hause immer gegessen habe“, sagt er. Das sollte erklärt werden. Vor vielen Jahren haben sich er und seine Frau Dorna, eine Mongolin aus dem nördlichen China, in Freiburg kennengelernt, haben annähernd ein halbes Jahrzehnt in China gelebt und sind schließlich über Berlin nach Dortmund gezogen. „Wir bieten Speisen an, wie sie in Dornas Heimat alltäglich sind. Dazu gehören Jiaozi, das sind gefüllte Teigtaschen, oder Baozi aus Hefeteig, jeweils in vielen Variationen und mit der Möglichkeit, sie gebraten, gedämpft oder gekocht zu bekommen. Was uns aber auch wichtig ist: In China ist Essen immer ein gemeinschaftlicher Akt. Die Gerichte stehen auf dem Tisch in der Mitte, jeder bedient sich. Ein ‚Das ist mein und das ist dein‘ ist unbekannt. Das ist viel kommunikativer als in Deutschland und wir wollen es hierher transportieren.“

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Von Wolfgang Kienast Fotos: Daniel Sadrowski

Ausgesprochen kommunikativ ist auch Alexander von Kleist. Wenn die Zeit es zulässt, erzählt er mit Leidenschaft von Tischsitten und Gebräuchen, regionalen Besonderheiten der chinesischen Küche, unterschiedlichen Zubereitungsarten und rät, was man zum Essen trinken sollte. Jasmintee zum Beispiel, der ist im Jia wirklich gut. Und Bier. Aber nicht das industrielle deutsche Einheitspils, sondern Craft Beer, handwerklich gebrautes Bier von individuellem Charakter und Geschmack. Das nämlich ist ein weiteres Steckenpferd des

jetzigen Restaurantbetreibers, der zuvor bei der szenebekannten Brauerei Stone Brewing Berlin gearbeitet hat. „Chinesische Gerichte sind würzig. Da muss ein Bier mithalten können. Idealerweise unterstreicht es die Aromen, dann ist es perfekt, dann ergeben sich unvergleichliche Geschmackserlebnisse.“


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Gebratene Nudeln

Einfach nah.

Für die originalen Teigtaschen braucht es einiges Geschick – gebratene Nudeln sind aber ein ebenso originales Rezept, das nicht nur schnell und einfach ist, sondern sich auch mit dem zubereiten lässt, was gerade im Kühlschrank ist. Wichtigste Voraussetzung: Hitze. Je heißer die Pfanne wird, umso besser. Und dann ist das Gericht auch in weniger als einer Minute fertig. Nudeln kochen und abkühlen lassen. Spaghetti – im Jia sind sie hausgemacht – eignen sich für das Gericht hervorragend, es können aber auch andere Arten sein, gern auch vom Vortag. Die Nudeln dürfen aber nicht aneinander kleben. Gemüse, je nach Geschmack und Vorliebe, in sehr kleine Stücke schneiden. Knoblauch hacken.

Energie für eine ganze Region

dew21.de

872 mal für gute Arbeitsumgebung gesorgt und 273 gute Geschichten gepostet.* * * Bernd Kesseboom

Diplom-Sozialpädagoge, sichert Arbeitsplätze für Menschen mit Schwerbehinderungen.

Lena Behling studiert PR und Journalistik und betreut ehrenamtlich den Facebook-Auftritt des Evangelischen Kirchenkreises Bochum.

Zwiebeln würfeln und in wenig Öl bei wirklich starker Hitze glasig dünsten. Zuerst das Gemüse und den Knoblauch zugeben, dann erst die Nudeln. Mit heller (!) Sojasauce schnell verrühren. Wenn die Temperatur stimmt, ist das Essen nach nur dreißig Sekunden fertig. Mit frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer abschmecken und servieren.

Was auch passiert. Wir sind da.

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13.12.2018 13:35:1931


REPORTAGE

Unverpackt einkaufen in Bochum und Dortmund Die Zeiten, in denen man in jedem Laden umsonst eine Plastiktüte zum Einkauf bekam, sind glücklicherweise vorbei. Die Zeit von eingeschweißtem Gemüse oder kleinen Gummibärchentüten in der großen Gummibärchentüte nicht. Doch ein anderes Leben ist möglich: In Dortmund und Bochum haben jetzt Unverpacktläden aufgemacht. Zwei Besuche. Von Max Florian Kühlem | Fotos: Daniel Sadrowski

Kulturmarkt und Lebensmittel-Boutique

Bioku-Gründer Theo Kudios und Stefan Holewa: „Unser Laden soll eine Einkaufsalternative für das gesamte Viertel sein.“

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er Bochumer Unverpacktladen heißt „Bioku“, das steht für „Bio- und Kulturmarkt“, und beeindruckt erstmal durch schiere Größe. 300 Quadratmeter hat das Team im angesagten Kortländer-Kiez am innerstädtischen Teil der Herner Straße angemietet. Davon ist allerdings nur die Hälfte Verkaufsfläche. Im hinteren Teil soll Raum für Veranstaltungen wie Nähkurse, Workshops zum Beispiel zum Thema Upcycling oder Co-Working-Plätze entstehen. Gerade zieht das studentische Theaterfestival „Zeitzeug_“ ein, um ein temporäres Festivalzentrum einzurichten. Der Verkaufsraum wirkt auf den ersten Blick erschreckend leer. Doch ein kritisches Hinterfragen dieser Empfindung ergibt: Wir sind es einfach gewohnt, in einem Supermarkt mit einem Überangebot konfrontiert zu werden, mit bunten Tüten, Do-

sen und anderen Verpackungen, die aus vollen Regalen quellen. „Bioku“ gibt ausgesuchten Waren in Regalen und Aufstellern aus Holz in Eigenbau-Charme Raum. Die Art der Präsentation scheint zu sagen: Lebe in Respekt vor deiner Umwelt, diese Lebensmittel sind wertvoll, verschwende sie nicht. Die 22-jährige Elisa füllt gerade Spülmittel aus dem großen Kanister in eine ausgewaschene Essigflasche um. „Ich versuche, unverpackt zu leben“, sagt sie. „In der Kleinstadt ging das früher nicht. Jetzt habe ich die Möglichkeit dazu.“ An Grenzen stößt sie nur bei veganen Milchalternativen. Soja-Joghurt ist noch nicht mal im Glas zu bekommen. Trotzdem ist sie genau wie das Paar Linda und Philipp, das gerade an der Kasse steht, durch die vegane Ernährung zum unverpackten Einkaufen gekommen. Weil der Schritt von der bewussten Ernährung zum nachhaltigen Konsum kein großer mehr ist. An der Kasse stehen die „Bioku“-Gründer Theo Kudios und Stefan Holewa: „Unser Laden soll eine Einkaufsalternative für das gesamte Viertel sein“, sagt Theo. Deshalb gibt es neben dem Unverpacktsortiment mit Nudeln, Reis, Körnern, Nüssen, Kos-

Cem Erdoğdu von „Pur – Loses und Feines“: „Ich orientiere mich mit allen Preisen an der günstigsten Bio-Variante.“

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REPORTAGE INTERVIEW

metika, Brot, Gemüse, Obst oder Süßigkeiten auch zum Beispiel Aufstriche in Gläsern, Getränke in Flaschen, Milch und Milchalternativen im Tetra-Pak und eine kleine Kühltheke. Auch eine kleine Käseauswahl soll es bald geben. Und hinten finden sich Accessoires und Klamotten. Alles in Bio-Qualität und fair gehandelt, versteht sich. Das breite Sortiment hat „Bioku“ mit seinem Dortmunder Pendant „Pur – Loses und Feines“ gemein. Zum Losen gehören Basics wie Nudeln, Reis, Zucker und so weiter, die die Kunden in mitgebrachte Gefäße füllen, die sie vorher leer gewogen haben. Das Leergewicht notieren sie auf einem daran befestigten Aufkleber, an der Kasse wird dann das zusätzliche Gewicht berechnet. Alles ganz einfach also. Die angeschlagenen Preise gelten in der Regel für 100 Gramm. 100 Gramm Bio-Fusili kosten bei „Pur“ zum Beispiel 0,29 Euro. Mit diesem Preis entkräftet Inhaber Cem Erdoğdu auch gleich das hartnäckigste Vorurteil, das über Unverpacktläden kursiert: dass dort alles wahnsinnig teuer ist. „Ich orientiere mich mit allen Preisen an den Alnatura-Produkten, also der günstigsten BioVariante“, sagt der 49-jährige Inhaber, dessen Lebensgeschichte ein eigenes Porträt wert wäre. Hier nur so viel: Cem hat türkische Wurzeln, wuchs aber in Iserlohn und Dortmund bei vier verschiedenen (Pflege-)Müttern auf, hauptsächlich in der Ökoszene des Dortmunder Kreuzviertels. Da verdrehte er als Kind die Augen, wenn der Apfelkuchen natürlich wieder aus Vollkornmehl gemacht war. „Aber geschmeckt hat er trotzdem.“ Sein Unverpacktladen unterscheidet sich vom Bochumer Modell, weil er problemlos als Ein-Mann-Betrieb geführt werden kann: Alle Waren befinden sich auf gemütlichen 60 Quadratmetern hinter einem süßen Schaufenster an der Saarlandstraße, das eher zu einer Boutique zu gehören scheint als zu einem Lebensmittelladen.

Auf den Unverpackt-Gedanken kam Cem Erdoğdu, der vorher Bioläden mit Feinkost beliefert hat, bei einer Türkeireise. „Da gibt es an jeder Ecke Läden wie Muskara am Borsigplatz“, erzählt er. Also Läden, die Nüsse, getrocknetes Obst, Süßigkeiten und anderen Leckereien aus großen Behältern in Papiertüten füllen, abwiegen und kassieren. Und weil der Handel mit Bio-Feinkost nicht reich, sondern eher arm macht, schuf Erdoğdu kurzerhand die erste Adresse für unverpacktes Einkaufen in Dortmund. Feines hat er trotzdem noch im Angebot – und zu jedem Produkt eine Geschichte: Das Mangomus aus dem Schaufenster zum Beispiel besteht aus 100 Prozent Mango – nicht wie das mit 80 Prozent Apfelmus gestreckte aus dem Drogeriemarkt. Für jede seiner Flaschen Brombeersaft werden 117 Brombeeren verarbeitet. Die dunkle Schokolade aus München wurde nur mit Kokosblütenzucker gesüßt. Und die Frühstücksbrettchen aus Olivenholz reibt er dem Kunden an der Kasse noch schnell mit Öl ein, um sie beständiger zu machen. Seine losen Waren bekommt er im Idealfall im großen Papiersack. „Junge Unternehmer spezialisieren sich gerade auf die Belieferung von Unverpacktläden“, weiß er. Waren wie Zucker, die nicht feucht werden dürfen, bekommt er allerdings nur im Plastikbehälter – aber die Kunden sorgen durch ihren Einkauf immerhin für eine Verringerung des Verpackungsmülls. In Dortmund wie Bochum rennen die Menschen den Unverpacktläden noch nicht unbedingt die Bude ein. Doch ein guter Stamm hat sich schon gebildet. Und darauf lässt sich hoffentlich aufbauen.

Bioku Herner Straße 14 44787 Bochum Mo. bis Fr. 10 – 20 Uhr Sa. 10 – 18 Uhr bioku.org Pur – Loses und Feines Saarlandstraße 118 44139 Dortmund Mo. bis Sa. 10 – 20 Uhr pur-bio.de 34


Acht Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr in den Weltmeeren, töten Meeresbewohner und finden ihren Weg in die menschliche Nahrungskette. Trotzdem sind wir jeden Tag gezwungen, durch die Dinge, die wir kaufen und essen, bei diesem zerstörerischen Vorgang mitzumachen. Reuters hat Familien auf der ganzen Welt fotografiert, die versuchen, den Verbrauch von Einwegverpackungen zu reduzieren. Text und Fotos: Reuters Photographers

Familien weltweit schließen sich dem Kampf gegen Plastikmüll an Eri Sato mit ihrem Ehemann Tatsuya und ihrer drei Monate alten Tochter Sara in ihrem Zuhause in Yokohama, Japan. „Ich denke, man kann Plastikmüll nicht entkommen. Ich sehe ihn auf den Straßen, in den Bergen, unter Wasser. Er ist überall. In unserer Familie versuchen wir, unseren CO 2 -Fußabdruck so gut wie möglich zu reduzieren. Wir sind uns sehr wohl bewusst, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen auf die Umwelt haben können. Zuerst haben wir versucht, weniger Plastik zu kaufen – etwa bei Lebensmitteln, Kleidung und vielen anderen Produkten. Wenn es nicht anders geht und wir Plastik kaufen müssen, versuchen wir, so wenig wie möglich mitzunehmen. Anstatt der ganzen Einweg- oder Wegwerfflaschen kaufen wir jetzt wiederverwertbare Flaschen. Außerdem nutzen wir Haarseife. Unsere Zahnbürste ist aus Bambus und wir verwenden Einkaufstaschen anstelle von Plastiktüten“, sagt Eri. Foto: Reuters / Kim Kyung Hoon

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REPORTAGE

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cht Millionen Tonnen Kunststoff – Flaschen, Verpackungen und anderer Abfall – gelangen jedes Jahr ins Meer, töten Schildkröten, Fische und andere Meeresbewohner, die das Plastik mit Futter verwechseln oder sich in dem Abfall verfangen. Das teilte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen im Dezember mit. Ein großer Teil des haltbaren Mülls gelangt zudem in die menschliche Nahrungskette. Das alles wurde Eri Sato (32) aus Yokohama erst bewusst, als sie eine Zeit lang in Kanada lebte und dort mithalf, Trümmer aus ihrem japanischen

Heimatort wegzuräumen. Sie waren nach dem Tsunami in Japan 2011 an Kanadas Küste angeschwemmt worden. „Es war das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie Plastikmüll die Ozeane und Strände auf der ganzen Welt verschmutzt. Ich denke, es gibt keinen Weg, ihm zu entkommen“, sagt sie. Wie lässt sich Plastikmüll reduzieren oder ganz beseitigen? „Plastik dominiert unser tägliches Leben. Deshalb ist es nahezu unmöglich, es gar nicht mehr zu verwenden. Aber wenn jemand irgendwie einen guten Weg fän-

Links: Brandy Wilbur koordiniert den Bereich Naturwissenschaften an einer High School, ihr Mann Anthony unterrichtet Umweltwissenschaften. Mit ihren Kindern Sophie und Andrew leben sie in Wenham, Massachusetts, USA. „Wir alle verwenden Wasserflaschen aus Edelstahl und bringen unsere eigenen Kaffeetassen mit. Ich versuche, Einwegkunststoffe wie Strohhalme, Becher und Flaschen zu vermeiden, aber ich bin nicht immer erfolgreich“, sagt Brandy. „Beim Einkaufen versuche ich, Produkte mit minimaler Verpackung zu kaufen, aber das ist auch

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de und ihn zur Gewohnheit machte, wäre es wahrscheinlich auch möglich, mit dem Kaufen aufzuhören“, sagt Alexandra Patrikou, 39, aus Athen, die sich bemüht, Papier und Glas zu recyceln und recycelte Produkte zu kaufen. Die gleiche Meinung hat auch der 44-jährige Brandy Wilbur aus Wenham, Massachusetts: „Beim Einkaufen versuche ich Produkte zu kaufen, die nur minimal verpackt sind. Aber selbst das ist schon eine Herausforderung. Es ist ja alles verpackt.“

eine Herausforderung, alles ist verpackt“, fügt sie hinzu. „Ich habe den Eindruck, dass der Anteil von Kunststoffen weiter wächst, vor allem der Kunststoffe, die nicht recycelt werden können, wie z.B. Verpackungen, Produkte, die in Frischhaltefolie verpackt sind, Snacktaschen usw. – alles aus Gründen des Komforts. Wir sind uns dessen bewusst und versuchen unser Bestes, den Einsatz von Kunststoffen zu reduzieren, aber es ist hart.“ Fotos: Reuters / Brian Snyder

Rechts: Mughda Joshi mit ihrem Ehemann Tanmay Joshi, Sohn Kabir Joshi sowie den Großeltern väterlicherseits Manohar Joshi und Vandana Joshi in ihrem Haus in Mumbai, Indien (Mai 2018). „Wir verwenden Bambuszahnbürsten anstelle von solchen aus Plastik; Haarseife als Alternative zu Shampoo und Conditioner in Plastikflaschen. Gemüse und Obst kaufen wir eher auf lokalen Märkten. In den großen Supermärkten ist ja selbst einzelnes Gemüse und Obst in Plastikfolie verpackt“, sagt Mugdha. Fotos: Reuters / Danish Siddiqui


Während Regierungen und Einzelhändler vor mehr als zehn Jahren begonnen haben, die Verwendung von Plastiktüten durch Verbote und kleine Gebühren zu beschränken, liegt heute der Fokus zunehmend darauf, Einwegartikel wie Strohhalme, Essen zum Mitnehmen und Getränkeverpackungen aus dem Verkehr zu ziehen. „Es sind meist die kleinen Einwegkunststoffe, die lange Zeit überdauern und in alles eindringen“, sagt Audrey Gan, 31, aus Singapur. „Wenn wir uns wirklich nach einem Getränk wie Bubble Tea sehnen, sollten wir unsere eigenen Behälter

Links: Vicente Compas arbeitet als Technischer Architekt, seine Frau Inmaculada Ponce ist Krankenschwester. Mit ihren Töchtern Ana und Ruth posieren sie für ein Foto im Hof ihres Hauses in Arriate, Südspanien. „Wir trennen Kunststoffe, Gläser, Papier, Karton und organische Abfälle“, sagt Vicente. „Unser Verbrauch an Kunststoff nimmt von Tag zu Tag ab, wir sind uns der Sorge um den Planeten, unser Zuhause, bewusst.“ Fotos: Reuters / Jon Nazca

mitbringen, um den obligatorischen Plastikbecher und den Strohhalm zu vermeiden.“ Wie auch andere Familien, mit denen Reuters sprach, hat die indische Familie Joshi aus Mumbai in Sachen Müllvermeidung bereits erste Maßnahmen ergriffen. Zum Beispiel verwendet sie Bambuszahnbürsten und kauft unverpackte Haarseife anstelle von Shampoo. „Ich bringe immer eigene Löffel, Gabeln und Edelstahlstrohhalme mit, um Einwegbesteck aus Kunststoff zu vermeiden“, sagt Mugdha Tanmay Joshi, 32.

Für einige ist der Kampf gegen Plastikmüll auch ein sehr persönlicher, bei dem es auch gilt, die Vorurteile anderer zu überwinden. „Viele sagen: ,Du bist Teil dieser grünen Bewegung‘ – sie verstehen es nicht. Auch keine Plastiktüten für Gemüse zu verwenden, erregt Anstoß, viele hassen es, aber ich tue es trotzdem“, sagt Tatiana Schnittke, 39, aus Jaffa, Israel. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Reuters / INSP.ngo

Rechts: Tatiana Schnittke, Yaniv BenDov und ihr Sohn Jonathan in ihrer Wohnung in Tel Aviv-Jaffa, Israel. „Ich glaube, der wichtigste Aspekt in dieser Angelegenheit ist, die Mindestmenge an Material zu kaufen. Ich versuche es, aber es ist schwer, wir leben in einer kapitalistischen Welt. Wir kaufen vieles Second-Hand, aber wenn man ins Einkaufszentrum oder in den Supermarkt geht, sind viele Dinge aus Kunststoff. Eigentlich ist alles in Kunststoff verpackt“, sagt Yaniv. Fotos: Reuters / Corinna Kern

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BÜCHER

Gelesen von Bastian Pütter

Das Phantom B. Traven. Unter dem Namen des mysteriösen Unbekannten, mit dem seine Verlage über Postfächer in Mexiko kommunizierten, wurden seit Mitte der 1920er-Jahre 30 Millionen Bücher verkauft. Er war der Abenteuerschriftsteller der Weimarer Republik, und dabei einer der Arbeiterschaft, auch wenn seinen sozialdemokratischen Verlagen die durchscheinenden anarchistischen Grundhaltungen missfielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen höchst erfolgreiche Verfilmungen von „Das Totenschiff“, „Rebellion der Gehenkten“ oder „Der Schatz der Sierra Madre“ und ganze Lesergenerationen hinzu. Dabei blieb B. Traven ein Phantom. Der Bochumer Literaturwissenschaftler Jan-Christoph Hauschild hat in akribischer Forschungsarbeit die mehrfachen „Verwandlungen“ B. Travens offengelegt und nun eine 300-Seiten-Biografie publiziert, die es mit jedem Abenteuerroman aufnehmen kann. Hauschild folgt B. Traven ins mexikanische Exil und legt schrittweise offen, wie aus dem Gelsenkirchener Gewerkschaftssekretär Otto Feige der Schauspieler Ret Marut wurde, und aus ihm der Revolutionär, der mit Mühsam, Toller und Landauer die intellektuelle Spitze der Münchener Räterepublik bildete, bevor Noskes Reichswehr sie zusammenschoss. Marut konnte fliehen und fing neu an – als Bestsellerautor. Jan-Christoph Hauschild Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven ISBN: 978-3-89320-233-1 Edition Tiamat | 320 S. | 24 Euro

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1919 Nicht, dass plötzlich alles gut war. Wirklich nicht. 1919 war auch ein Jahr des Chaos, der Gewalt und der Reaktion. Doch erfand sich Europa nach dem millionenfachen Tod und den Traumata des ersten industriellen Krieges tatsächlich neu, wie die Bremer Historikerin Birte Förster im Untertitel ihrer Monografie vorwegnimmt.

Serotonin Gelingende Literatur ist klüger als ihr Autor. Ob „Serotonin“ ein guter Roman ist, hängt nicht davon ab, ob Michel Houellebecq ein Visionär, ein Clown, ein Gesamtkunstwerk oder ein rechter Ideologe ist. Die Frage ist spannend, doch die Bedeutung eines Textes steckt im Text selbst.

Bemerkenswert, wie es Förster gelingt, die Ambivalenzen, das Gegeneinander von Fortschritt und Regression, greifbar werden zu lassen, auch mithilfe eines vielstimmigen Chors von ZeitzeugInnen.

Und der erscheint erst einmal wohlig vertraut. Florent-Claude, der Ich-Erzähler, ist ein rassistisch-misogynes Arschloch. Mit beeindruckender sprachlicher Brillanz zieht „Serotonin“ den Leser in dessen kaltes Universum aus Hass, Depression, Sucht und Lust. Nirgendwo sind das Marktförmigwerden der sozialen Beziehungen, der Sexualität, und dessen zerstörerische Folgen klarer herausgearbeitet als in Houellebeqs Texten. Und nirgends ist die in Provokation verpackte Zivilisationskritik so fundamental. Und auch hier sind klug doppelte Böden eingezogen – hier heißen sie Liebe und Psychopharmaka –, die verhindern, dass sich Inhalt und Bedeutung kurzschließen lassen. Dennoch: Der Gestus des Zynischen und die Sprache der Verachtung bedeuten im Zeitalter der antisozialen Netzwerke etwas Neues. Ebenso wie der ausgestellte Hass auf die Metropole und die EU. All das ist meisterhaft erzählt, aber ohne Ironie.

Birte Förster 1919. Ein Kontinent erfindet sich neu ISBN: 978-3-15-011181-9 Reclam Jun. | 234 S. | 20 Euro

Michel Houellebecq Serotonin ISBN: 978-3-8321-8388-2 Dumont | 330 S. | 24 Euro

Es war das Jahr des Pazifismus und der Friedensverträge, Frauen setzten ihr Wahlrecht durch, der Völkerbund wurde gegründet und die „International Labour Organization“ mit dem Ziel, Arbeitsrechte international zu verankern. Es war auch das Jahr der Revolutionen in Technik, Wissenschaft und Kunst – vom NonStop-Atlantikflug über die Bestätigung der allgemeinen Relativitätstheorie bis zu Bauhaus und Dada. Gleichzeitig fanden sich im „institutionalisierten“ Nationalismus, in der ungebrochenen Macht der antidemokratischen Eliten und im aufkommenden Faschismus schon die Anzeichen für den noch tieferen Abgrund, auf den Europa zusteuerte.


Eine Frage, Frau Banspach:

Lebensmittelrückruf – Wie funktioniert das?

Nina Banspach vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit

Salmonellen im Ei, Verpackungsmaterial in der Leberwurst oder einfach ein verdorbenes Produkt – die Gründe für einen Lebensmittelrückruf können sehr unterschiedlich sein. Die Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit liegt zuerst einmal bei den herstellenden Unternehmen selbst. Diese müssen im Herstellungsprozess Kontrollmechanismen einbauen, die regelmäßig seitens der zuständigen Behörden der Länder überprüft werden. Sollte trotzdem ein unsicheres Produkt in den Handel gelangen, ist das Unternehmen verpflichtet, Maßnahmen zum Verbraucherschutz zu ergreifen. „Konkret heißt das, die Verbraucher müssen informiert und das Produkt muss aus dem Handel genommen werden“, so Nina Banspach vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Wenn ein Produkt noch nicht beim Verbraucher angelangt ist, kommt es zu einer Rücknahmeaktion, bei der der Handel vom Hersteller aufgefordert wird, das Produkt nicht in den Verkauf zu geben. Dabei spricht man von einem „stillen Rückruf “, da der Kunde davon nichts erfährt. Ist ein Produkt bereits in den Verkauf gelangt, muss der Rückruf öffentlich erfolgen. In welcher Form die Öffentlichkeit im Falle einer solchen Maßnahme informiert wird, liegt beim

Hersteller und ist nicht einheitlich geregelt. „Der lokale Markthändler wird keine bundesweite Pressemitteilung herausschicken, sondern wahrscheinlich eher einen lokalen Aushang machen“, so Nina Banspach. Egal ob Rückruf oder Rücknahme, die Lebensmittelüberwachungsbehörden überprüfen die vom Betrieb eingeleiteten Maßnahmen und kontrollieren im Einzelfall, ob diese ausrei-

Unter www.lebensmittelwarnung.de werden Rückrufe von bundesweiter Relevanz zusammengefasst, im Schnitt drei Meldungen pro Woche. chend und erfolgreich waren. Gegebenenfalls können sie auch bestimmte Maßnahmen zur Information anordnen. Rückrufe von bundesweiter Relevanz werden auf dem Portal lebensmittelwarnung.de des Bundesamtes zusammengefasst. Im Durchschnitt landen drei Meldungen pro Woche auf der Webseite. Wer selbst Fremdkörper in einem gekauften Lebensmittel findet oder an ihnen etwas anderes bemerkt, das so nicht sein sollte, kann sich an die zuständige Lebensmittelüberwachung der Städte wenden, in denen der Händler ansässig ist, der das betroffene Produkt verkauft hat.

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PORTRÄT

Mehr als sechs Mal um den Globus In den 1960er Jahren stieg Dortmund zur unumstrittenen Bierhauptstadt Europas auf. Der Ausstoß der ansässigen Brauereien lag 1972 bei sagenhaften 7,5 Millionen Hektolitern. Herr Duffe hat diese Zeit erlebt, zuerst als Fahrer bei der Dortmunder Actien-Brauerei (DAB), später fuhr er mit dem DAB-Truck auf Promotionstour quer durch Europa und die Vereinigten Staaten. Von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski

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I

m Dortmunder Brauereimuseum kann es passieren, dass man die Exponate übersieht, die auf mehrere Auszeichnungen hinweisen, mit welchen anno 1937 das Bier der DAB bei der Weltausstellung in Paris dekoriert wurde. Horst Duffe zeigt sie uns – und erlaubt sich einem kleinen Scherz: „Das ist nämlich das Jahr, in dem ich geboren wurde“, verrät er. „In der Familie erzählt man sich, ich hätte bereits im Kinderwagen behauptet, bei denen mal als Fahrer anzufangen.“ Die 81 Jahre sieht man ihm nicht an. Herr Duffe hat volles, weißes Haar und wache Augen. Das Ruhrgebiets-Original nimmt mit unbestreitbaren Entertainerqualitäten Museumsbesucher sogleich für sich ein. Wer seinen Erzählungen lauscht, wird dann unwillkürlich Teilnehmer einer Zeitreise in die jüngere Vergangenheit.

„Erst einen vernünftigen Beruf“ „Schon in der Volksschule habe ich eine Fahrermütze getragen, eine mit Mercedesstern vorne drauf. Bei mir war das so, ich wollte Kraftfahrer werden. Die anderen Kinder lachten mich dafür aus. ‚Der hat doch schwer einen weg‘, haben die sich lustig gemacht. Mein Opa hat nach der Schule meine Ausbildung in die Hand genommen, der Papa ist ja im Krieg geblieben. Opa hat gesagt, gut, du kannst meinetwegen Fahrer werden, irgendwo mit dem LKW, aber du musst erst einen vernünftigen Beruf lernen. So bin ich Maurer geworden, fünf oder sechs Jahre auf dem Bau. Den Führerschein habe ich 1957 gemacht, Klasse 2, hat sieben Fahrstunden gedauert. Heute undenkbar. Zunächst war ich bei einer Firma, die als Großhandel mit Bier zu tun hatte. Ich dachte, wenn ich mal zu einer Brauerei kommen möchte, ist das wichtig. Ich habe aber gekündigt, weil ich einen größeren LKW fahren wollte. Bei der nächsten Arbeit habe ich ein Jahr lang Asche aus der Kokerei in Huckarde abtransportiert. Die wurde als Untergrund bei Baustellen gebraucht. 1959 habe ich endlich zur Brauerei geschrieben. Ich sollte mich vorstellen und wurde sofort genommen. Da bekam ich es zuerst nur mit Fässern zu tun. Zwei Tage Fassrampe, um zu lernen, die zu laden. Dann hatte ich Glück. Auf dem Hof wurde jemand befördert und eine Stelle als zweiter Fahrer frei, auf dem damals größten LKW der Brauerei. Und wenn der erste Überstunden abschlafen musste, war ich der Fahrer.“

„Wollen Sie das machen?“ Seinerzeit begann der Aufstieg der Stadt zur Biermetropole Europas. Die Brauereien bauten ihre LKW-Flotten auf und aus. Sie vertrauten der Werbewirksamkeit eines firmeneigenen Fuhrparks. An die vierzig Wagen habe allein die DAB unterhalten, erzählt Herr Duffe. Eine prestigeträchtige Werbeansichtskarte zeigt die Kolonne auf den Serpentinen zwischen Syburg und Ruhrtal. Am Horizont qualmen die Schlote Hagens. Neben Bier prägten Kohle und Stahl die Region. Die Bindung der Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz war eng. Man nannte sich Hoeschianer oder Kruppianer. „Ich war immer DAB-Mann“, bekennt Horst Duffe. „Man hat damals gesagt, ‚das ist meine Brauerei‘. Und der Boss hat gesagt, ‚das sind meine Leute‘. Das ist heute doch ganz anders. Aber ich bin sowieso immer gern gefahren. Und ich habe fotografiert, alles, Busse, Straßenbahnen, Kirchen, Kirchenfenster. Auch im Urlaub. Insgesamt sind das dreihundert Alben geworden. Dann, das war wohl in den 80er-Jahren, suchten die einen Fahrer für einen Werbezug. Da hat mein Fahrdienstleiter zum Boss gesagt, er hätte da jemanden in der Gruppe, der zeige ihm jedes Mal seine Urlaubsbilder. In Wien hätte er drei DABGaststätten fotografiert. Und in Paris. ‚Den schick mir mal hoch‘, hat der Boss gesagt. Ich also rauf in sein Büro.

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PORTRÄT

‚Wollen Sie das machen?‘, hat er mich nach dem Gespräch gefragt. ‚Vielleicht kommen sogar die USA in Frage. Da müssten Sie noch Englisch lernen.‘ Das habe ich später in einem Crash-Kurs tatsächlich getan.“ Der DAB-Truck war ein Eventmobil, ein Lastzug mit einer Länge von sechzehn Metern und einem Gewicht von zweiunddreißig Tonnen. Der separate Auflieger verfügte über eine ausfahrbare Bühne, Lautsprecher und eine Zapfanlage für fünfhundert Liter Bier an Bord. Die Aufbauten waren kupfernen Sudkesseln nachempfunden. 1985 begann die Promotour. Der Zug machte bei Jahrmärkten, Straßen- und Schützenfesten Station, in Leipzig war er 1989 bei der Maueröffnung dabei. Begleiter des Trucks war meist ein RTL-Übertragungswagen; der Sender kündigte das Kommen an, das Publikum folgte offensichtlich dem Ruf. Ungezählte Werbegeschenke kamen bei Wettspielen unters Volk. Herr Duffe wurde dabei auf einen Mann aufmerksam, der stets zugegen war, wenn der Truck in Ruhrgebietsnähe hielt. „Der hat Fotos von Details gemacht und Teile ausgemessen. Als ich fragte, warum, hat er geantwortet, er wolle ein Modell bauen. Das wird nie was, dachte ich bei mir. Aber es ist wirklich schön geworden. Das Ergebnis steht jetzt als Leihgabe im Museum.“

„Die tun Eis ins Bier“ Kreuz und quer ging es durch Deutschland, nach Skandinavien, England, in die Beneluxländer, über die Iberische Halbinsel, Italien, Österreich und Jugoslawien bis nach Griechenland. Die angesprochene Tour durch die Vereinigten Staaten wurde Wirklichkeit. Horst Duffe erinnert sich gern an diese Zeit. „Acht Monate waren wir dort unterwegs. Von New York bis Chicago, Virginia, Kentucky, Georgia, Florida und wieder rauf nach New York. Die ganze Aktion war sowieso einmalig. Ähnliches hat in Europa keine andere Brauerei gemacht und in den Staaten nicht einmal Coca-Cola. Ich selbst bin nach Amerika geflogen, der Auflieger kam mit einem Schiff über den Teich. An Bord war auch die grüne original DAB-Farbe. Mit der wurde in Amerika ein Freightliner als Zugmaschine umgespritzt. Dann ging es los. Ein Moderator hat die Leute auf die Bühne geholt und Spiele mit denen gemacht, Krügestemmen und was es so gibt. Und die Polizei war immer dabei. In Amerika darf man ja in der Öffentlichkeit kein Bier trinken. Es sei denn, die Polizei sagt, es ist ausnahmsweise okay. Einmal, in Florida, sollten wir an den Strand fahren. Das ging aber nicht, die Räder drehten durch, die waren zu schmal. Eine Spezialmaschine musste uns dahin ziehen. Als die Show losging, habe ich weit hinten einen Rollifahrer gesehen. Der kam auch nicht durch den Sand. Dem habe ich ein Bier gebracht. Für Menschen da sein, das habe ich drin. Der Rollifahrer hat sich gefreut, das glaubt ihr nicht. Der hat später sogar an die Brauerei geschrieben, um sich zu bedanken. Aber in manchen Dingen sind die Amerikaner komisch. Die tun Eis ins Bier. Einmal, an einem sehr heißen Tag, da habe ich in einer Bar ein Glas bestellt. Als es gezapft war, plopp, plopp, plopp, war da Eis drin. Bei uns würde man fragen, ob die sie noch alle stramm haben.“ In den 1990er Jahren löste die Brauerei ihren Fuhrpark auf. Fahrer wurden nicht mehr benötigt. Herr Duffe wurde innerbetrieblich versetzt. 250.000 km hatte er für die DAB zurückgelegt, mehr als 100.000 davon mit dem DAB-Zug. Der sollte nach Ende der Aktion in Amerika bleiben. Zunächst stand er im sogenannten Germania Park, einer Freizeitanlage bei New Jersey. Dann verliert sich seine Spur – verschollen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

„Acht Monate waren wir dort unterwegs“, erzählt Horst Duffe von seiner Werbetour durch die USA. „Von New York bis Chicago, Virginia, Kentucky, Georgia, Florida und wieder rauf nach New York.”

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Das Magazin

Lob aus dem Sauerland Hallo, ich möchte mich auf diesem Wege für ganz tolle Zeitschriften bedanken. Seit letztem Jahr kaufe ich regelmäßig bodo bei Verkäufer Mario (der immer superfreundlich ist) hier in Iserlohn. Ich bin sehr beeindruckt von der guten Qualität der Zeitung, lese gerne die Veranstaltungstipps und Berichte zu Museen und Ausstellungen. Bin aber auch sehr interessiert an Ihrer Arbeit. Toll, dass sich so viele Leute regelmäßig für die gute Sache einsetzen. Herzliche Grüße E. A. Das Magazin

Verkaufsplätze Sehr geehrte Damen und Herren, täglich steht auf dem Parkplatz vor meinem Supermarkt in Bochum ein bodo-Verkäufer. Bei Wind und Wetter im Freien. So auch heute früh bei minus 8 Grad! Ich habe dann an der Information nachgefragt, ob man ihm nicht bei diesen Temperaturen erlauben kann, den sehr großen Vorraum zum Supermarkt zu nutzen oder sich unter das Vordach zu stellen. Die Damen mussten erst die Geschäftsleitung befragen (ist ja auch okay). Nach meinem Einkauf bekam ich zur Antwort, er sei nur geduldet und darf die wärmeren Räumlichkeiten nicht nutzen. Ich bin ziemlich sauer und wollte mich gleich an die örtliche Presse wenden, habe dann aber gedacht: Vielleicht wird er dann ganz vertrieben. Deshalb die Frage an Sie, haben sie Erfahrung mit diesen Märkten? Vielleicht können sie mir einen Tipp geben. Mit freundlichen Grüßen, D. N. Liebe Frau N., mit den allermeisten inhabergeführten Supermärkten machen wir sehr gute Erfahrungen. Oft werden unsere Verkäuferinnen oder Verkäufer von der Kundschaft freundlich aufgenommen und von den Marktleitungen und Angestellten respektvoll behandelt. Schwierig sind für uns die Discounter mit stark hierarchischen Strukturen. Marktleitungen ziehen sich auf Weisungen „von oben“ zurück, machen von ihrem Hausrecht Gebrauch – in der Tat sind auch die Parkplätze vor den Märkten Privatgelände – und verweisen VerkäuferInnen des Grundstücks. Mit der Handelskette aus ihrem Beispiel machen wir zwar keine besonders guten Erfahrungen, immerhin wird der Verkauf draußen aber geduldet. Das würden wir uns gern erhalten. Wir sprechen mit unserem Verkäufer und schauen, ob er für die kalte Zeit mit uns einen geschützteren Ausweichplatz aussuchen möchte und hoffen im Interesse aller Menschen, die zu uns kommen, dass der Winter nicht zu lang dauert. Viele Grüße von bodo, die Redaktion


RÄTSEL

Ganz schön viel zu knobeln gab es bei unserem Betriebsausflug Ende Januar. Einen Tag lang haben wir Bücherregale, Schreibtische, Kaffeemaschinen, Verwaltungsordner und Transporter in Ruhe gelassen und im Escape Room „Enigmania“ in der Dortmunder Innenstadt Detektive gespielt. Schön war’s!

Schreiben Sie uns: redaktion@bodoev.de Telefon: 0231 – 950 978 0

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Verlosung Liebes bodo-Team, gerade komme ich von der Show im Varieté et cetera in Bochum zurück, für die ich dank Ihnen zwei Karten gewonnen habe. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen und beim Varieté et cetera bedanken! Es war für uns ein ganz toller Abend mit hervorragenden Künstlern in einer sehr angenehmen Umgebung. Nochmals vielen Dank und viele Grüße, C. L. bodo 12.18

Danke für diese schöne Weihnachtsausgabe, die ich gerne verschlungen habe. Geschichten von Rosi lese ich immer gerne, auch den Artikel mit den Musikvorlieben der Verkäufer fand ich ganz stark. Auch habe ich erstmalig das Angebot zu Wohnungsauflösungen wahrgenommen, dass ich mir für meine Mama mal gemerkt habe. Nicht gut gefällt mir persönlich allerdings die „Weihnachtsanzeige“ der Grünen. Also ein gutes Jahr 2019 für bodo und Ihre Schützlinge. Mit freundlichen Grüßen, M. M.

AUFLÖSUNG HEFT 01.19

Weihnachtsausgabe

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VERKÄUFERGESCHICHTEN

Abdülcabbar verkauft das Straßenmagazin an der Saarlandstraße in Dortmund.

„BVB-Mütze auf und fertig“ Seit sechs Monaten ist Abdülcabbar bei bodo. In unserer Dortmunder Anlaufstelle haben wir uns auf einen Kaffee getroffen. Auf dem Weg zu seinem neuen Verkaufsplatz hat er uns erzählt, wie schwierig die Wahl des richtigen Verkaufsplatzes ist und wie einfach dagegen, in Dortmund Fußballfan zu sein. Text und Foto: Sebastian Sellhorst Als wir uns in der Dortmunder Schwanenstraße treffen, probiert Abdülcabbar gerade bodo-Jacken an. Nachdem die richtige Größe gefunden ist, erzählt er uns beim Frühstück von seinem neuen Verkaufsplatz. „Als ich bei bodo angefangen habe, stand ich zuerst vor einem großen Supermarkt. Da war zwar sehr viel mehr los. Es war laut und stressig und es wurde gebettelt“, erzählt er. Dort habe er immer den Eindruck gehabt, dass die Leute nicht so gerne stehen bleiben. An seinem aktuellen Verkaufsplatz vor einem Bioladen auf der Saarlandstraße sei es sehr viel ruhiger, die Leute seien freundlich und hätten mehr Zeit. „Das macht den Verkauf einfacher.“ Abdülcabbars jetziger Verkaufsplatz wurde frei, weil sein Vorgänger auf der Saarlandstraße, Goekhan, bei bodo einen langen, bemerkenswerten Weg hinter sich hat: aus der Obdachlosigkeit in eine Festanstellung. „Da freu ich mich natürlich. Einmal für mich, weil ich so an diesen Platz gekommen bin, aber auch für ihn natürlich.“ Fast jeden Morgen macht sich Abdülcabbar aus Witten auf den Weg nach Dortmund. Das koste ihn zwar einiges

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an Fahrtkosten, aber alle Freunde und Bekannten wohnen in Dortmund. Vor einigen Wochen habe er das „Bärenticket“ beantragt. Das sei teuer, aber für das Pendeln immer noch die günstigste Alternative. Netterweise habe er im Dortmunder Bahnhof einen Bekannten getroffen, der ihm beim Ausfüllen des Formulars geholfen hat. 1989 kam Abdülcabbar aus der Türkei nach Deutschland. Lange habe er in Restaurants und Hotels als Spüler gearbeitet. Seit Jahren bekomme er diese Jobs aber schon nicht mehr, weil sich auch viele junge Leute auf die Stellen bewerben. „Da habe ich mit meinen 60 Jahren natürlich keine Chance.“ Wenn er seine jungen türkischen Freunde betrachte, sei er überrascht, wie gut sie Deutsch sprechen. Er selbst ringe ab und zu immer noch nach Worten. „Als ich nach Deutschland kam, habe ich einen Sprachkurs gemacht, für Anfänger.“ Alle weiteren Kurse hätten dann aber zu viel Geld gekostet und so sei es dabei geblieben. So sei sein Deutsch kein Vergleich zu dem seiner türkischen Freunde, die hier zu Schule gegangen sind. „Dafür kommen die

jetzt zu mir, wenn sie irgendwelche türkischen Dokumente übersetzt haben wollen“, erzählt er schmunzelnd. Bevor Abdülcabbar ins Ruhrgebiet kam, lebte er in Köln. Die Stadt könne er sich aber lange schon nicht mehr leisten. „An manchen Stellen bezahlst du da ja für einen Döner bereits fünf Euro. Von den Mieten ganz zu schweigen, wenn du überhaupt eine Wohnung findest. In Dortmund gefalle ihm besonders der BVB. Als Fußballfan habe man es in Dortmund sehr einfach. Da sei es in seiner alten Heimatstadt Istanbul etwas komplizierter. Dort spielen mit Beşiktaş, Fenerbahçe, Galatasaray, Başakşehir und Kasımpaşa Spor fünf Mannschaften alleine in der Süper Lig, der ersten türkischen Fußballiga. „Hier in Dortmund setzte ich mir meine BVB-Mütze auf und bin fertig.“


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Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt

Endlich mal eine positive Meldung, denkt man, wenn man es mit dem Denken nicht so genau nimmt. Alle Probleme der Pflege werden gelöst, ab 2020, absolut eventuell. NRW-Fachminister Karl-Josef Laumann (CDU) jubelt schon vorab. Das Land soll bald eine Pflegekammer erhalten. Keine zeugungsfreudige Besenkammer, keine sozialfreundliche Kleiderkammer, sondern so eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie es die Industrie- und Handelskammer heute schon ist. Die Bezeichnung ist wirklich so umständlich, wie man sich ihre Arbeit vorstellt. Verwunderlich, dass die Staatsgegner der FDP die Idee mittragen, in schneller Lust aufs Mitregieren in Düsseldorf entsprechende Passagen im Koalitionsvertrag abnickten. Überall will man Bürokratie abbauen, freie Kräfte entfesseln. Großflächig werden bestehende Kammern bekämpft, wegen ihrer Protz- und Verschwendungssucht und ihrer Zwangsbeiträge. Hier zeugt man ein kleines, noch süßes Verwaltungsmonster. Man hat bei der Pflegekammer vorher gefragt, repräsentativ. Über tausend Pflegekräfte wollen angeblich das Ding, das endlich die Pflege nach vorne bringt. Nun war ich selbst schon dabei, als mit einem bekannten Meinungsforscher so lange an den Fragen gebastelt wurde, bis man sicher sein konnte, dass Martin Kaysh (Geierabend) schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.

man die gewünschte Antwort erhält. Geschenkt. Wenn die Kammer da ist, schwindet die Begeisterung bald. Man . sieht es in Niedersachsen. Denn sie kassiert erst einmal Mitgliedsbeiträge, ungefragt und zwangsweise. Ob sie den Beruf

SAVE THE DATE: 30./31.8. + 1.9.2019 barett, leinkunst, Ka K k, si u M e g Drei Ta en in der Überraschung Aktionen und ty! Dortmunder Ci

nach vorne bringt? Dann sollte man schnell eine Bildungs-, eine Klima- und eine Migrationskammer einrichten. Vielleicht ersetzt der gefühlte Bedeutungsgewinn den Stellenausbau oder eine bessere Bezahlung. Alternativ kann man der Gewerkschaft beitreten. Die ist vielleicht etwas teurer, dafür aber freiwillig, und sie fragt nicht erst den Arbeitgeber, ob das mit den Forderungen so in Ordnung ist.

Unterbezirk Dortmund

Unterbezirk Ruhr-Mitte

Unterbezirk Unna

Klosterstraße 8-10 • 44135 Dortmund 0231 - 99 340

Bleichstraße 8 • 44787 Bochum 0234 - 96 47 70

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Ganzer Einsatz bei der Wohnungsauflรถsung www.edg.de


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