INTER.VISTA 5

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Inter. Vista Magdeburger im Gespräch.

Nah. Persönlich. Echt.

# 5 Carola Ackermann  .  Kathrin Beyerling  . JÜrgen Canehl  .  Claudia Dalbert  .  Frank Ebel  .  Matthias Engel  .  Ines Lacroix  .   Anne Lequy  .  Madeleine Linke  .  ­Gerhard Mette  .  Gordon Motsch  .  Benjamin Motzkus  .  Martin Otto  .  Elisabeth Pfeif  .   JÜrgen SchmÖkel  .  Andreas Schomaker  .   Andreas Schwarzbach  .  Norman Seidler  .   Christina Karina Wilczek und

Susi Brandt



Vista noch nicht?

High Five!

Es tut sich eine Menge in der Stadt. Tunnelbau, Kulturhauptstadt-­ Konzepte, FCM-Aufstieg, phantastisches Sommerwetter und herr­ liches Grün. So wie der Farbtupfer unseres neuen Layouts. Magdeburg ist eben nicht schwarz-weiß sondern farb- und facettenreich. Da ist es immer gut, ein bisschen lokalpatriotische Lektüre zur Hand zu haben. Hier habt Ihr wieder eine illustre Schar von Personen, die in der Stadt was bewegen. Präsidenten, eine Rektorin, Bäcker, Unternehmerinnen, die Miss Sachsen-Anhalt, den FCM-Pressesprecher und viele andere. Aber lest selbst. Erstmals gelang es uns auch in Sachen Geschlechter­parität fast gleichzuziehen: 19 Interviews mit insgesamt 20 Gesprächs­ partnern, von denen neun Frauen sind. Wir sagen: ­Prima, und die ›wahre‹ Parität schaffen wir auch noch! Wir haben Antworten auf Fragen, von denen wir nicht einmal wussten, dass sie uns bewegen: Worin besteht der Unterschied zwischen einer deutschen und einer französischen Mutter? Was treibt eine Huforthopädin? Wieso lernt ein LKA-Chef spanisch? Was macht die Umweltministerin am Rosenmontag und wie trinkfest sollte man als Chef eines Zirkusmuseums sein? Lasst Euch also treiben vom stets unfertigen Charme der Gegenwart! Auch an unserer Netzfront hat sich viel getan. Auf Instagram findet Ihr unsere interaktiven Formate SAG.NIX und SAG.FIX und auf der Webseite und bei Facebook halten wir Euch auf dem Laufenden. Und dann auch noch das: Wir waren mit einer Porträtfoto-Ausstellung bei der Langen Nacht der Wissenschaften im Juni 2018 präsent und wurden bestaunt. Nicht schlecht! Ach so, bevor wir es vergessen, nach dem Sommer erscheint die Nr. 6. Haltet also die Augen auf. In diesem Sinne wünschen wir Euch wie immer eine lässige Lektüre. Euer Inter.Vista-Team


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4 Ines Lacroix & Matthias Engel

Norman Seidler

Schauspieler und Theatergründer Theater an der Angel

Pressesprecher 1. FC Magdeburg

Interview Übersic ht

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2

32

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Carola Ackermann

Claudia Dalbert

Andreas Schomaker

Unternehmerin Fräulein Liebe

Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie in Sachsen-Anhalt

Polizeipräsident Sachsen-Anhalt Nord

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64

72

Anne Lequy

Gerhard Mette

Bernd Ebel

Rektorin Hochschule Magdeburg-Stendal

Leiter Circusmuseum Magdeburg

Traditionsbäcker aus Stadtfeld

80

88

90

Susi Brandt

INTER.Aktiv

Martin Otto

Journalistin MDR Sachsen-Anhalt

Online-Angebot SAG.NIX

Musiker und Lehrer


106

98

116

JÜRGEN SCHMÖKEL

Madeleine Linke

Benjamin Motzkus

Präsident des Landeskriminalamtes

Politikerin Studierendenrat OvGU

Künstler und Elbschaukel-Aktivist Tor 5

134

126

140

JÜRGEN CANEHL

Christina Karina Wilczek

Gordon Motsch

Stadtrat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unternehmerin Pferdefachtherapeutin

Graffitikünstler Strichcode

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150

164

Kathrin Beyerling

Elisabeth Pfeif

Andreas Schwarzbach

Unternehmerin KinderschauSPIELschule

Model Miss Sachsen-Anhalt

Unternehmer Beate-Uhse-Shop Magdeburg

174 redaktion Inter.Vista 5

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Ines Lacroix & Matthias Engel >>Wir tun das, weil wir hier sein wollen.<< Als Kunsterzieherin und Krankenpfleger zur Schauspielerei und Theaterdirektion: Ines Lacroix und Matthias Engel haben ihr Glück gefunden. Gemeinsam leiten sie das Theater an der Angel auf dem Werder. Inter.Vista erzählen sie, welchen Einfluss die Wende auf die Theaterlandschaft hatte, wie eine Premierenfeier abläuft und warum Finden besser ist als Suchen. Außerdem erfahren wir, was jeder angehende Schauspieler vorher wissen sollte. Interview und Fotos: Amelie Uding und Franziska Ertelt



Ines Lacroix & Matthias Engel Woher kommt Ihre Leidenschaft für’s Schauspiel? Lacroix: In der Schule hatte ich große Schwierigkeiten vor der Klasse zu stehen und frei zu sprechen. Richtige Berührungsängste. Als ich in Deutsch mal was aufsagen musste, forderte ich, dass sich alle umdrehen sollten. Die Lehrerin hat das tatsächlich mitgemacht! Ich wurde später zunächst Kunsterzieherin, ein an­ ständiger Beruf. Den habe ich aber nicht wirklich ausgeführt. Es kam die Wendezeit, wo es uns alle, die nicht so ganz mit dem System zurechtkamen, in die Nischen verschlagen hat. Ich wollte das Theater für mich erobern. Was war Ihre erste Rolle? Lacroix: Am Puppentheater habe ich tatsächlich ein Huhn gegeben, als Handpuppe. Mein erster Bühnensatz war: »Bin ich schon auf Sendung?« (lacht) Das wurde dann programmatisch für mein Künstlerdasein.

Besuchen Sie das Puppentheater noch ab und zu? Lacroix: Ja, sehr viel. Da gibt es einmal im Monat mittwochs eine schöne Reihe, das Café Monaco. Sehr amüsant! Tolle Leute, junges Ensemble, die alternative Theaterkunst machen. Mit Figuren, nicht mit Puppen im klassischen Sinne. Ich gucke mir das gerne an, weil das ein tolles Medium ist.

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Wie haben Sie und Matthias sich kennen­gelernt? Lacroix: Wir waren Kollegen am Puppen­ theater Magdeburg. Matthias ist ein studierter Puppenspieler, ich bin eine Quereinsteigerin. Daraus entstand eine kleine, persönliche Liaison. Und wie das bei Paaren so oft ist, man stürzt erstmal

übereinander her. Das ging viele Jahre und später sind wir dann noch als Kollegen zusammengeblieben. Es war aber vor allem die Situation, in der wir uns befanden. Wende! Man diskutierte viel und wollte etwas bewegen.

Wir haben kein Marketing-Geheimnis, das ist das Geheimnis.

Erzählen Sie mal, wie haben Sie diese Zeit erlebt? Lacroix: Vor der Wende zog es mich immer irgendwo hin. Irgendwie sind wir ja alle mehr oder weniger republikflüchtig gewesen. Ich war unter anderem in Ungarn, dort wollte ich heiraten, damit ich hier wegkomme. Gott sei Dank ­erübrigte sich das und als sich die Dinge hier geebnet hatten, wollte ich wieder zurück. Ich bin gern wiedergekommen. Die Grenzöffnung selbst habe ich aber verpasst, ich war nämlich im Kino. Ich kam nachts um 11 Uhr aus dem Kino und fragte mich, warum die Straßen so leer sind. Offensichtlich saßen alle vorm Fernseh­apparat. Zu der Zeit war ganz viel in Bewegung, es gab viele Demonstrationen. Engel: Es war sehr überraschend, die Menschen haben sich dem Umbruch hingegeben. So ergaben sich neue Möglichkeiten, wie etwa öffentlich und ­ frei Theater spielen, ohne dass man dazu eine Erlaubnis brauchte oder P ­apiere vorweisen musste. Also fingen wir ­neben unserem festen Engagement beim Puppentheater damit an, eigene Produktionen zu machen. Es gab damals noch viele kleine Klubs, in denen man was aufführen konnte. Das war eine große Chance, un-


Ines Lacroix & Matthias Engel

sere Geschichten zu erzählen, von denen wir dachten, dass sie wichtig sind. Das Theater an der Angel gäbe es so nicht, wenn es diese Gesellschaftsform nicht gegeben hätte. Insofern ist es ein Kind der Wende.

Pippi Langstrumpf sagt, sie suche nicht, sondern finde immer alles. Das bringt viel Lebensqualität. Wir finden einfach sehr viel.

Warum arbeiten Sie eigentlich nicht in einem normalen Theater? Lacroix: Was ist normal?

Vielleicht ein bekannteres Theater. Dieses hier ist ja recht klein. Engel: Ja, aber sehr bekannt. Gäste kommen auch aus Hamburg und Berlin. Es ist ein kleines Theater, man kann davon leben, aber nicht reich werden. Es ist ja auch eine spezielle Form in der Theater-

landschaft. Den Theaterbetrieb lernten wir von allen Seiten kennen: Bühne, Werkstattbereich, Intendanz und künstlerische Leitung. In einem Theater haben diese strukturierten Bereiche feste Pläne. Da wird fast alles Jahre vorausgeplant, wer mit wem, warum und welches Stück. Das fanden wir ziemlich schwerfällig. Wir waren einfach nicht ausgelastet, also machten wir unser Theater noch nebenbei. Lacroix: Als Privattheater bestimmen wir den Spielplan und wer mit uns spielt. Wir bestimmen, ob es draußen stattfindet oder wie lange es dauert. Als Schauspieler in einem Angestelltenverhältnis ist das nicht möglich. Da kriegst du eine Rolle zugeschrieben. Diese Dinge haben wir mit unserer Arbeitsweise ausgeschaltet. Wir wollten es besser machen als die anderen! Woher nehmen Sie Ihre Ideen für die Stücke? Engel: Aus dem Leben. Das, was einem passiert. Künstler haben das Privileg, dass sie das in die Welt schreien, malen oder fotografieren dürfen, um sich

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Ines Lacroix & Matthias Engel auszudrücken. Und um mehr geht es ja eigentlich nicht. Wir haben das große Glück, dass Leute dafür Geld hinlegen. Es ist eine Art von Kommunikation mit anderen Menschen. Künstler und Gäste kommen ins Gespräch. Da gibt es viele Geschichten, die wir vielleicht aufgreifen, weil sie uns berühren.

Bei der Recherche im Internet fanden wir wenig über Sie. Warum gibt’s so wenig Infos im Netz? Engel: Wir haben eine Webseite seit es dieses Theater gibt, aber wir haben ein bisschen Probleme damit, die neuen Medien zu pflegen. Unser Publikum erfährt vieles durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Leute genießen, dass sie nicht überredet werden, hierher zu kommen. Und deshalb findet man auch nichts im Netz. Lacroix: Es gibt auch eine Facebook-­ Seite, die wir aber nicht wirklich pflegen. Das ist ja auch nicht so richtig unsere Generation. Außerdem sind wir nicht so berühmt. Theater ist eben doch eine kleine Nische. Es bringt mal die Lokalpresse was oder das Magdeburger Fernsehen. Wir sind nicht wirklich Berühmtheiten. Höchstens lokal berühmt.

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Ihre Vorstellungen sind fast immer ausverkauft. Was ist Ihr Marketing-­ Geheimnis? Lacroix: Wir haben kein Marketing-­ Geheimnis, das ist das Geheimnis. Alles, was wir machen, legen wir offen. Es gibt kein Rezept. Nichts ist künstlich. Es ist ein ganzheitliches Produkt. Bringen wir ein Stück auf die Bühne, dann schreiben wir fast immer ein kleines Buch dazu, das das Thema nochmal durchwalzt oder Vor- und Nebenprogramme dazu auf­listet. Einen ganzheitlichen Moment schaffen


Ines Lacroix & Matthias Engel

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Ines Lacroix & Matthias Engel wir von dem Moment an, wenn die Leute hier ins Haus kommen. Man kann sicher sein, dass man das Magdeburg von hier und jetzt verlässt und in eine andere Welt eintaucht. Aber das ist nicht geheim, sondern das erlebt man. Ein Geheimnis wäre es nur dann, wenn es keiner weiß. Engel: Wir versuchen uns bei dem, was wir spielen, nicht zu verstellen oder so zu tun, als ob. Wenn für uns das Thema nicht mehr stimmt, dann müssen wir ­irgendwas an dem Abend ändern oder wir können das nicht mehr spielen.

Es ist ein schöner Beruf, auch als älterer Mensch. Es lohnt sich, bis dahin durchzuhalten.

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Sie haben bis zu 180 Aufführungen im Jahr. Frau Lacroix, Sie haben in einem Interview mal gesagt, Kunst sei immer ein Experiment, das könne auch mal schiefgehen. Gab es denn mal eine Vorstellung, die komplett aus dem ­ Ruder lief? Lacroix: Als 2010 die Fußball-WM in Südafrika stattfand, nahmen wir das zum Anlass und machten ein Stück über den Aufstieg und Fall eines berühmten brasilianischen Fußballspielers: Die Ballade von Garuma. Fußball war so ein großes Event geworden. Alle Welt war voller Jubel. Aber wir wollten zeigen, wie viel Korruption und Leid dahinterstecken. Also erzählten wir im Fußballstadion diese skurrile Geschichte, mit großen Bildern und einer fantastischen Musik. Aber das feiernde Deutschland wollte nicht so eine Armengeschichte sehen. Wir haben ja eine große und treue Anhängerschaft,

auch Stammgäste, aber die standen reihen­weise auf und gingen. Mitten in der Vorstellung! Engel: Ines hat sogar während der Pause noch eine Figur erdacht. Sie ging in der Pause raus und versuchte die Menschen mit lustigen Kommentaren festzuhalten. Das hielt die Leute aber nicht davon ab, zu gehen. Wir haben das Gott sei Dank überlebt und die Zuschauer sind danach wieder zu anderen Stücken gekommen. Am 24. November 2017 war ja die Premiere für das Stück Himmel und Hölle – Der Engel dritte Versuchung. Wie war denn die Premierenfeier? Lacroix: Das ist immer ganz schön! Freunde sind da und wir haben eine kleine Theaterfamilie um uns herum, also engagierte Leute, die nicht unbedingt professionell mit uns verbunden sind. Die kochen uns immer was. Jedenfalls laden wir die Leute nach der Vorstellung ein und es bleiben in der Tat so etwa 50 bis 60 Leute, die dann auch die Gelegenheit nutzen, mit uns zu sprechen. Ich mache dann einen Schallplattenspieler an und wir tanzen noch ein bisschen. Engel: Die Leute beschreiben dann auch, was sie erlebt oder gesehen haben. In einem größeren Theater erfährt man das mitunter gar nicht. Also man misst vielleicht am Applaus, wie toll der Abend war, aber man kriegt nicht die direkte Reaktion mit. Sie machen so gut wie alles selbst und leiten das Theater. Ist das nicht manchmal zu viel? Lacroix: Wir machen nicht alles selbst. In der Regel haben wir einen Regisseur, ­einen Bühnenbildner und auch jemanden, der Kostüme anfertigt. Aber dennoch ist


Ines Lacroix & Matthias Engel es ein Privattheater und benötigt einen großen, persönlichen Zeitaufwand. Die ersten 20 Jahre ist uns das leicht gefallen. Jetzt wird es etwas schwieriger, weil wir älter sind und weil sich unsere privaten Wege trennten. Aber wir sind dabei, einen neuen Modus zu finden. Das wird sich regeln. Engel: Auch wenn wir die Arbeiten auf­ teilen, letztlich vertreten wir beide das nach außen und wenn wir was anderes wollen, dann müssen wir auch eingreifen. Das ist schon sehr zeitaufwändig und hat mit dem normalen Beruf des Schau­ spielers wirklich wenig zu tun. Wir hoffen, dass es Nachfolger geben wird.

Sie verbringen beide viel Zeit hier im Theater an der Angel. Engel: Ja, wir spielen fünf Tage die Woche und sind trotzdem auch montags und dienstags hier, weil es andere Arbeiten gibt. Aber das ist in Ordnung, solange es

Freude macht. Man muss das mögen und wollen.

Das Theater liegt ja auch recht idyllisch auf der Insel Werder. Haben Sie denn noch andere Orte in Magdeburg, an denen Sie entspannen oder die Sie gerne mögen? Lacroix: Heute Abend gehe ich in die Sauna. (lacht) Es ist eine Stadt, die in den letzten 20 Jahren eine klare Entwicklung gemacht hat. Das sieht man im Stadtbild, es gibt immer wieder überraschende Blickwinkel. Ich kann mich überall wohl oder unwohl fühlen. Kommt drauf an, was drum herum ist. Aber Lieblingsorte? My home is my castle!

Was machen Sie sonst privat, wenn Sie mal nicht schauspielern? Engel: Wir tun das, weil wir hier sein wollen. Insofern ist das auch ein Stück Freizeit. Nicht alles, aber vieles. Ich könnte

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Ines Lacroix & Matthias Engel

mich hier jetzt auch anderthalb Stunden ans Klavier setzen und spielen. Aus reinem Vergnügen. Aber ich gehe dienstagabends auch noch zur Big Band. Das ist meine große Leidenschaft. Das sind insgesamt fast dreißig Leute, die das aus Lust und Laune machen. Auch Berufsmusiker sind dabei, aber die leben nicht davon. Die Band hat sich nämlich geschworen, damit kein Geld zu verdienen. Wir musizieren zusammen etwa anderthalb Stunden. Manchmal gehen wir danach auch noch ein Bier trinken, aber eher selten. Lacroix: Ich treffe mich mit Freunden und wir machen nichts. Wir chillen.

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Sie lernten beide zunächst andere Berufe bevor Sie zur Schauspielerei und Theaterdirektion kamen. Haben Sie Ihr Glück gefunden? Lacroix: Jeden Tag aufs Neue! Das kann auch schnell Unglück werden, aber im Moment ist das noch so. Engel: Gefunden ist das richtige Wort. Pippi Langstrumpf sagt, sie suche nicht, sondern finde immer alles. Das bringt viel Lebensqualität. Wir finden einfach sehr viel, beispielsweise tolle Leute, die uns

bei der Arbeit unterstützen. Manchmal suchen wir auch, aber das endet meistens im Krampf. Wir finden lieber die Sachen.

der Beruf des Schauspielers hat Vornehmlich damit zu tun, sich an- und auszuziehen.

Was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben, die Schauspieler werden wollen? Lacroix: Was ich früher nicht wusste, der Beruf des Schauspielers hat vornehmlich damit zu tun, sich an- und auszuziehen. Wenn ich daran denke, wie oft ich mich am Tag umziehe, das habe ich unterschätzt. Engel: Manchmal muss man sich innerhalb eines Stückes achtmal umzuziehen, vielleicht auch noch jedes Mal die Haare wechseln und sich irgendwas ins Gesicht schmieren. So etwas wird einem nicht wirklich gesagt. Manche denken die


Ines Lacroix & Matthias Engel

ersten Jahre, dass es ganz toll sei, sich zu verkleiden. Die ganzen Kostüme, super! Aber beim Stückelesen im Alter weißt du schon, was alles auf dich zukommt. An- und ausziehen, das mag man dann nicht mehr. Ich gehe privat am liebsten im Bademantel. Darum geht Ines in die Sauna und ich am liebsten nackt, aber die ›Nacktstrecken‹ in Magdeburg sind begrenzt. (lacht) Lacroix: Ansonsten sage ich gerne jungen Leuten, die sich für die Schauspielerei entscheiden, dass sie durchhalten sollen. Es ist ein schöner Beruf, auch als älterer Mensch. Es lohnt sich, bis dahin durchzuhalten. Viele geben so früh auf, vielleicht weil es nicht so toll bezahlt ist. Engel: Diejenigen, die Schauspiel studierten und gut ausgebildet sind, tendieren oft stark zum Film. Erfolg, Durchbruch, irgendwann berühmt zu sein. Das hat auch mit Geld und Verträgen zu tun. Es geht schnell, dass junge, talentierte Schauspieler alle möglichen Jobs machen und in Berlin auf irgendein Angebot warten, was aber nicht kommt. Ich möchte den jungen Leuten also gerne mit auf den Weg geben, dass sie risikofreudiger sein sollen

und sich mal öfter in eine Unternehmung stürzen, die vielleicht auch nicht nach oben oder unten, nach rechts und links abgesichert ist. Dezember 2017

Vista.Schon? Die gebürtigen Magdeburger Ines Lacroix und Matthias Engel leiten gemeinsam das Theater an der Angel, das auch ihr Lieblingsort ist. Von 1991 bis 2015 waren sie ein Paar. Ines Lacroix, gelernte Kunsterzieherin, ist 56 Jahre alt und beschreibt Magdeburg mit den Worten lebendig, Heimat und Verwirrung. Matthias Engel, Jahrgang 1963, ist gelernter Krankenpfleger und studierter Puppenspieler und mag keine Zahlen. Für ihn ist Magdeburg schön, grün und überschaubar lebendig. 13


Norman Seidler >>Im Social-Media-Bereich gibt es Likes, im Stadion die Fans.<< Aus der Kurve ans Podium des Presseraums. Norman Seidler, Pressesprecher des 1. FC Magdeburg, ist immer mit dabei, wenn Blau-Weiß das Spielfeld betritt. Früher mit Trikot und Schal, heute mit Hemd und Krawatte. Nach einem langen Arbeitstag nimmt sich der gebürtige Schönebecker Zeit für ein Interview und spricht mit uns über seinen Herzensverein. Bis vor kurzem spielte der FCM noch gegen Konkurrenten aus Meuselwitz, Bautzen oder Neustrelitz. In der nächsten Saison heißen sie Hamburger SV, SG Dynamo Dresden oder Union Berlin. Norman verrät, wie er den Aufstieg und die Meisterschaft erlebte und wie dieser lang ersehnte Erfolg sein Leben verändert. Interview und Fotos: Marvin Michitsch



Norman Seidler Norman, gibt es bei Dir zu Hause ein blau-weißes Zimmer? Nein. Aber an der Wand meines Arbeits­ zimmers habe ich Trikots von den Aufstiegsspielen in die 3. Liga 2015 gegen ­Kickers Offenbach und vom Aufstiegsspiel in die 2. Liga gegen Fortuna Köln eingerahmt. Außerdem gibt es einen Rahmen, in dem ich Arbeits- und Eintrittskarten aus der Zeit in der Regionalliga zusammengestellt habe. Das sind Lebens- und Arbeitsabschnitte beim 1. FCM, die mich nicht vergessen lassen, wo wir herkommen. Wie viel FCM-Fan steckt in Dir? Eine ganze Menge, genau wie in jedem anderen Mitarbeiter oder Aktiven beim 1. FCM. Ohne Herzblut zum Verein würde es nicht funktionieren.

Wann bist Du mit dem Verein das erste Mal in Berührung gekommen? Eher durch Zufall. Ende der neunziger Jahre war ich zu Besuch bei meinem Cousin in Magdeburg Cracau. Er nahm mich zu einem Punktspiel des 1. FCM gegen SG Dynamo Dresden mit. Die Partie wurde im Ernst-Grube-Stadion unter Flutlicht ausgetragen. Es lag Schnee und Leuchtspuren flogen zwischen den ­Blöcken hin und her, heute unvorstellbar. Ich war noch ein junger Schüler, aber seitdem war das Bewusstsein für meinen Heimatverein vorhanden. Ein Wiedersehen gab es erst 2006 – ich besuchte kurz nach der Stadioneinweihung das Testspiel gegen den SV Werder Bremen.

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Was macht den 1. FC Magdeburg in Deinen Augen besonders? Der Club hat eine eigene DNA und damit auch seine Fans. Magdeburg war schon zu

DDR-Zeiten eine Arbeiterstadt. In einer Choreografie der aktiven Fanszene hieß es damals »Stadt der Schwermaschinen« und genau das war Magdeburg. Früher und teilweise noch heute. Magdeburg ist etwas ganz Besonderes im Osten der Republik, eine der sich am schnellsten wandelnden Städte, genau das macht sie so reizvoll.

Ich bin ein Kind aus der Kurve und war schon als Schüler Fan des Clubs.

Wie wird man Pressesprecher? Gar nicht so leicht zu sagen. Es war nie mein Ziel, Pressesprecher beim Verein meines Herzens zu werden. Das ergab sich über einige Umwege.

Wolltest Du Profifußballer werden? Bis zur C-Jugend habe ich selbst gekickt. Ich hörte dann auf, weil zu diesem Zeitpunkt die schulischen Leistungen und das Abitur mehr im Vordergrund standen, so dass ich mich darauf konzentrierte. Welche Berufsausbildung hast Du? Abitur, danach eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann. Anschließend habe ich Bauingenieurswesen studiert. Neben dem Studium jobbte ich und arbeitete als freier Journalist und Fotograf.

Was waren Deine ersten Tätigkeiten für den 1. FC Magdeburg? Ich bin ein Kind aus der Kurve und war schon als Schüler Fan des Clubs. 2009 war ich erstmals für den Verein ehrenamtlich


Norman Seidler aktiv, seither hat sich das Stück für Stück gesteigert: Spielberichte für Sport­ fotos-MD, Zuarbeiten für das offizielle Programmheft, später der Liveticker und Fotos vom Training und andere Sachen.

Welche Personen waren anfangs ­wichtig? In einem Internetforum lernte ich den Fotografen Björn Possiencke kennen, der den Verein schon seit rund 25 Jahren ehren­ amtlich begleitet. Unter anderem hatte ich zuvor einige seiner Bilder verwendet ohne zu wissen, was Urheberrecht eigentlich bedeutet. (lacht) Aber es kam dann so, dass ich seine Bilder beispielsweise mit Spielberichten unter­ legt habe. Da konnte ich mich etwas ›austoben‹. Zwischen uns beiden passte es damals ›wie die Faust aufs Auge‹ und wir trafen uns dann regelmäßig.

Der Job als Pressesprecher in einem professionellen Fußballverein sei nur mit einer persönlichen Identifikation mit dem Club vereinbar. Stimmt diese These? Ich würde widersprechen. Es gibt zahl­ reiche Pressesprecher, die vorher in anderen Berufszweigen als Journalisten oder Sprecher tätig waren und den Sprung ›auf die andere Seite‹ wagten. Und es gibt Leute wie mich, die mit viel Herzblut und Interesse aus einem Ehrenamt in das Berufsbild hineinwachsen.

Wie viele Stunden ›reißt‹ Du denn in einer Woche so ab? Wenn man mit dem Herzen dabei ist, zählt man die Stunden oder Minuten nicht. Die Familie beziehungsweise der Partner dürfen jedoch nicht zu kurz kommen. Der Verein und seine Entwicklung

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Norman Seidler

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Norman Seidler liegt mir sehr am Herzen. Die positiv zu gestalten, ist einer der Gründe, warum ich diesen Job angenommen habe. Würde ich den Job als normalen ›Nine-to-Five-Job‹ betrachten, würde es nicht funktionieren. So geht es übrigens den meisten Mit­ arbeitern im Verein.

Mich umarmten wildfremde Menschen und dankten mir persönlich für die geleistete Arbeit.

Welche Tätigkeiten fallen täglich bei Dir an? In erster Linie steht die Zusammenarbeit mit verschiedenen Medien im Vordergrund, Anfragen für Interviews oder Ähnliches. Ein riesiges Feld sind natürlich die sozialen Medien, die bearbeitet und verwaltet werden müssen. Hinzu kommen das Pflegen der Homepage und das Erstellen des Stadionheftes. Auch PR-­ Termine müssen koordiniert werden. Ein großer Punkt ist auch das Bearbeiten von Akkreditierungen. Ich selbst trete aller­ dings meist nur beim Leiten der Pressekonferenzen in Erscheinung, worauf man oftmals reduziert wird. Da der Club ein beliebter Traditionsverein ist, fallen also allerhand Aufgaben an. Wie ist Dein Verhältnis zu den T ­ rainern und der Mannschaft? Die enge Zusammenarbeit mit Spielern und Trainern ist ein wichtiger Bestand­ teil meiner Arbeit. Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen und sehr feinfühlig sein. So verhält es sich auch mit anderen Institutionen im Verein, egal

ob Mitarbeiter oder Geschäftsführung. Als Pressesprecher ist man überall und stellt ein wichtiges Bindeglied im Verein dar. Ich bin also Vertrauensperson und Vermittler, das kann sehr spannend sein.

Für die Spieler ist das Spiel nach 90 Minuten vorbei. Für Dich auch? Ein Heimspieltag ist ganz sicher die stressigste Arbeitszeit. Der ganze Tag dreht sich um das Heimspiel, die Vorbereitungen laufen bereits viele Tage vorher an. Aber auch bei Auswärtsspielen ist man den ganzen Tag eingespannt.

Was machst Du, wenn das Spiel läuft? Ich bestücke die Social Media-Kanäle und bin am Spieltag als offiziell beim DFB und bei der DFL benannter Medienbeauftragter für die Kommunikationssteuerung beim 1. FCM verantwortlich. Sprich, ich koordiniere sämtliche Interviewpartner und bin auch dafür verantwortlich, auf bestimmte Ereignisse oder Situationen zu reagieren. Welche Aufgaben nerven Dich? Jene Dinge, die weh tun. Ich kann nicht jeder Anfrage gerecht werden oder jede Autogrammstunde bedienen. Alles, was dem Verein schadet, macht einfach keinen Spaß, beispielsweise Vorfälle mit Störern oder negative sportliche Ereignisse.

Wie wirkt sich der sportliche Erfolg auf die Arbeit in der Geschäftsstelle aus? Mehr als positiv! Ich habe mal zu Mario Kallnik kurz vor der Partie gegen den FSV Zwickau (Ende März 2018, Anm. d. Red.) gesagt, dass es keine schönere Würdigung gibt, als dass die Fans förmlich auf ein Spiel ›brennen‹ und der Ansturm auf die Eintrittskarten entsprechend groß ist.

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Norman Seidler Du spürst diese Resonanz an allen Ecken und Enden. Im Social-Media-Bereich gibt es Likes, im Stadion die Fans. Das ist Freude und Vorfreude pur, das lässt sich nicht in Worte fassen. Es peitscht einen förmlich nach vorn und genau das muss man auf die Mannschaft übertragen. Bist Du Pessimist oder Optimist? Eher ein Pessimist, was manchmal Nachteile mit sich bringen kann. Ich plane meistens erstmal konservativ und kann dann das Optimum herausholen und sehr zufrieden sein. Dafür verlange ich oftmals viel von mir selbst. Wie bereitest Du Dich auf ein Spiel des FCM vor? Kalkulierst Du Siege und Niederlagen gleichermaßen ein? Weder noch. Ich gehe da eher mit den Magdeburger Grundtugenden heran. Demütig sein, an die eigenen Stärken glauben und dann das Beste draus machen.

Wäre ich zufrieden, würde ich rasten.

Wie emotional war der Tag des Aufstiegs für Dich? Ich glaube, jeder Club-Fan wurde an diesem Tag von seinen Emotionen überwältigt. All die Jahre in den Niederungen der Regionalliga: Man fuhr über die ›Dörfer‹ und musste bittere Niederlagen kassieren. Überall war ich dabei und habe berichtet. In den letzten Jahren gab es endlich wieder mehr Gründe, zu feiern und stolz auf den Verein zu sein. Der Tag wird immer etwas Besonderes bleiben. 20

Gab es Planungen für den Aufstieg? Während der letzten Spieltage wurde klar, dass wir es packen können. Gegen Fortuna Köln lag der erste Matchball auf dem Tisch. Ja, man funktionierte einfach so wie bei jedem Heimspiel. Klar, es gab schon Gedanken, was passiert, wenn wir es schaffen und wie könnte es ablaufen. Und natürlich gab es feste Absprachen innerhalb des Funktionsteams.

Demütig sein, an die eigenen Stärken ­glauben und dann das Beste draus machen.

Wie hast Du den Moment nach dem Abpfiff wahrgenommen? Tausende Fans strömten auf das Spielfeld. Mich umarmten wildfremde Menschen und dankten mir persönlich für die geleistete Arbeit. Das war die größte Würdigung, die ich bisher in meiner Tätigkeit erhalten durfte. Das brannte sich ein und dafür bin ich sehr dankbar. Der 21. April war zugleich unser jährlicher Behindertentag des 1. FC Magdeburg und die wichtigste Person an meiner Seite, meine Frau, war ausnahmsweise auch im Stadion. Als Altenpflegerin besuchte sie mit einigen Fans mit Handicap die Partie. Ein paar Minuten nach Abpfiff bin ich zu ihr durch die Absperrung hindurch gerannt und habe mir den Weg zur Eckfahne gebahnt. Ich habe sie gefunden und umarmt. Sie fragte mich, ob ich glücklich sei. Ich hatte Tränen in den Augen und sagte: Ja.


Norman Seidler Bist Du schon in der 2. Bundesliga angekommen? Bislang noch nicht. Es ist wie ein Film und ich habe es noch immer nicht verstanden.

Oben drauf gab es nun noch die Meister­ schaft. Wie hältst Du den ­Erfolg aus? Ähnlich wie die Spieler und Trainer versuche ich, so viel wie möglich von den positiven Dingen aufzusaugen und diese Erfolge auch zu leben. Dabei gilt es, die nötige Demut zu wahren und immer zu wissen, dass all das auch endlich ist.

Vor vier Jahren hat der Club noch in der Regionalliga gespielt. Worauf führst Du die gute Entwicklung des Vereins zurück? Mehrere Komponenten spielen eine Rolle. Sicher war der Ausgangspunkt Präsident Peter Fechner. Er hat damals mit Mario Kallnik ein Präsidiums­mitglied für Sport und Finanzen gefunden und binden können. Mario hat den Verein mit seiner unglaublichen Kraft ganz neu geordnet und aufgebaut und nach Andreas Petersen einen Trainer installiert, der ›großen Hunger‹ verspürte, weiter zu kommen. Jens Härtel stand zwar nach wenigen

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Norman Seidler Wochen seiner Amtszeit stark in der Kritik, doch das ließ seit Oktober 2014 nach. Seine akribische Arbeit hat die Mannschaft geformt. Regionalliga-Spieler werden künftig in der 2. Bundesliga antreten. Das ist sein Verdienst. Mit der Installation von Maik Franz als Leiter der Lizenzspielerabteilung ist ein weiterer wichtiger Baustein zementiert worden. Dieses Dreiergespann hat den ehemaligen Regionalligisten zu einem Aufsteiger werden lassen, der nun die nächste Reife­ prüfung bestehen muss.

Was war Dein größter Tiefpunkt mit dem Verein? Das Heimspiel gegen den TSV Havelse im April 2011. Es war das erste und letzte Mal, dass ich die MDCC-Arena vorzeitig verließ. Die Partie ging vor knapp 4.000 Zuschauern mit 1:2 verloren. Ich hatte mir geschworen, dass ich ab sofort auf diesen Verein verzichte. Das hielt so circa zwei Tage an. (lacht) Wünschst Du Dir manchmal, lieber im Block zu stehen, als an der Seitenlinie zu sitzen? Sowohl als auch. Manchmal fehlt es, im Block zu sein und sich die Kehle ›freizuschaufeln‹. Ich fühle oft mit den Fans, wie sehr sie sich nach einer harten Arbeits­ woche auf das Spiel freuen, um alles rauszuhauen und die Mannschaft siegen zu sehen. Und ich weiß genau, dass ich dort irgendwann wieder stehen werde.

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Wie lässt sich Dein Familienleben mit Deinem Full-Time-Job vereinbaren? Ohne einen verständnisvollen Partner würde es nicht funktionieren. Das gilt für alle Partnerinnen und Partner der Spieler, Mitarbeiter und Gremien im Verein.

Die gemeinsame Zeit ist ein wertvolles Gut und es ist wichtig, mit seinem Partner auch über Probleme sprechen zu können.

Wie erholst Du Dich? Es gibt nichts Wichtigeres als dein Privatleben. Du benötigst einen Halt und musst definitiv abschalten können, was manchmal nicht leicht ist. Meine Partnerin ist ein wundervoller Mensch und hilft mir dabei sehr. Früher bin ich ins Fitnessstudio gerannt, um den Kopf frei zu bekommen, heute kann ich das mit meiner Partnerin, mit Haus und Garten.

Ein FuSSballverein ist nun mal kein Amt. Alles hängt am sportlichen Erfolg oder Misserfolg der Mannschaft.

Könntest Du Dir vorstellen, im selben Amt bei einem anderen Sportverein zu arbeiten? Ja, aber dann müsste alles passen. Man sollte also niemals ›nie‹ sagen.

Dein Beruf ist nicht leicht. Brauchst Du ein dickes Fell? Wie in jedem Beruf muss man sehr flexibel sein. Ein Fußballverein ist nun mal kein Amt. Alles hängt am sportlichen Erfolg oder Misserfolg der Mannschaft. Das Herzstück ist das Team. Die Mitarbeiter, die Ehrenamtlichen, die Fans und die Wirtschaftspartner sind die lebenswichtigen Organe des Vereins. Versagt das Herz, versagt der Körper. Doch versagt ein Organ, hat es das Herz sehr schwer. Alle müssen also zusammenhalten und eine Einheit bilden.


Norman Seidler Bist Du zufrieden mit dem, was Du machst? Wäre ich zufrieden, würde ich rasten. Man muss immer ›hungrig‹ bleiben, um sich weiterzuentwickeln und seiner Aufgabe gerecht zu werden. Der Job macht mir sehr viel Spaß, mit all seinen Facetten. Welche Ziele hast Du? Lieber einen BMW fahren oder eine Weltreise ­machen? Weder noch. Es ist das größte Glück für mich, dass ich gesund bin und es hoffent­ lich auch bleibe. Eine Freundin von mir kämpft seit über zwei Jahren gegen den Krebs und ich bin immer wieder beeindruckt, wie viel Lebensmut und Kampfkraft sie besitzt. Es reicht schon, wenn man abends gemeinsam mit seinem Partner die Zeit genießen kann. Das ist das kostbarste Gut.

Du brennst für den FCM, auch für die Stadt? Magdeburg ist wunderschön. Ich habe meinen Lieblingsort, die Hubbrücke, schon lange nicht mehr besuchen können. Jeder kennt dieses Gefühl, wenn du durch die Stadt oder beispielsweise auf der A2 Richtung Landeshauptstadt fährst: Erblickt man die beiden Domtürme, weiß man, dass man zu Hause ist. Gibt es Dinge in der Stadt, die Dir nicht gefallen und die Du gern ändern ­würdest? Die Verkehrssituation ist sicher eines der meist diskutierten Themen. Doch hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Lebe damit oder lass es. Ich werde damit leben, denn es ist mein Magdeburg.

Wo steht der Verein in zehn Jahren? Der 1. FC Magdeburg befindet sich dann hoffentlich mindestens in der 2. Bundesliga oder spielt höherklassiger. Vielleicht darf ich dann noch immer ein Teil des 1. FCM sein. Mai 2018

Vista.Schon? Norman Seidler ist 1986 in Schöne­ beck (Elbe) geboren. Bis 1995 wuchs er in seinem Geburtsort auf, ehe es ihn und seine Familie nach Altenweddingen in die Börde zog. Seit nunmehr acht Jahren ist er in Magdeburg ansässig. Im FCM-Winter­ trainingslager 2015 sprach ihn erstmals Mario Kallnik, Geschäftsführer der 1. FC Magdeburg Spielbetriebs GmbH, an und fragte, ob er sich vorstellen könne, zukünftig die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zu ver­richten. Kurz darauf gelang dem Verein der Aufstieg in die 3. Liga. Im Zuge der Feierlichkeiten intensivierten sich die Gespräche zwischen dem Geschäftsführer und dem damals 29-Jährigen. Norman entschied sich, die Heraus­ forderung anzugehen. Im Sommer 2018 beginnt seine vierte Spielzeit im Amt des Pressesprechers.

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Carola Ackermann >>Ich betrachte mich nicht als Prominenz, ich bin eher peinlich berührt.<< In ihrem Laden Fräulein Liebe lässt sie Mädchenträume wahr werden. Vor vier Jahren hat sich Carola Ackermann, studierte Designerin, mit ihrem Label selbstständig gemacht. Jedes ihrer Kleider ist ein Einzelstück, selbst entworfen und handgenäht. Doch wie steht sie eigentlich zur ›großen Liebe‹, wenn man täglich Frauen auf dem Weg zum Traualtar begleitet? Und wie sieht es mit ihrem eigenen Kleid aus? Außerdem sind wir neugierig, wie es mit der TV-Show Zwischen Tüll und Tränen läuft. Interview und Fotos: Larissa Jung


Nils Klebe >>Ich bin zu sehr Lebemensch.<< Breakdance ist seine Leidenschaft. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Nils Klebe ist seit 1999 Tänzer der erfolgreichen Magdeburger Breakdance Crew DaRookies und gründete die Movement Dance Academy. Inter.Vista erzählt er, was ihn fit hält, warum er nicht auf seine Ernährung achtet und ob die Magdeburger gute Tänzer sind. Außerdem arbeitet er an einem Mammutprojekt für Magdeburg. Interview und Fotos: Greta Haberstroh


Carola Ackermann Bist Du eher Prinzessin oder Räubertochter? Definitiv Räubertochter. Ich war schon immer mehr ein Junge. Als kleines Mädchen hätte ich nicht gedacht, dass ich irgend­ wann mal einen so weiblichen Beruf ausüben würde.

Wie kamst Du auf die Idee, Brautmode zu entwerfen? Nach meinem Studium bekam ich ziemlich schnell eine Festanstellung in einem Brautladen. Ich war Einkäuferin, habe aber auch designt und half im Verkauf. In der Zeit wurde meiner Schwester der Heiratsantrag gemacht. Also mussten wir uns darum kümmern, das perfekte Kleid zu finden. Letztendlich bat sie mich, es zu entwerfen. Ich war immer auf Freizeit­ mode spezialisiert. So etwas hatte ich vorher noch nie gemacht, trotzdem wagte ich es und entdeckte ziemlich schnell meine Leidenschaft dafür. Mit dem Brautkleid meiner Schwester begann auch meine Selbstständigkeit.

Ich finde es toll, wenn ein Brautkleid nicht immer weiSS ist.

Wer sind Deine Kundinnen, ein bestimmtes Klientel? Von 19- bis 55-jährigen Bräuten ist alles dabei – deutschlandweit, international. Es gibt sogar Interessenten aus Boston. Das ist wirklich erstaunlich.

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Schon mal dran gedacht, auch Männermode zu entwerfen? Der Hochzeitsanzug für Männer ist doch immer das Gleiche, nichts Individuelles,

kein Vintage-Stil passend zu den Brautkleidern. Ich kann mir aber gut vorstellen, eines Tages Anzüge in meine Kollektion aufzunehmen, damit die Läden auch Alter­nativen anbieten können.

Hast Du Vorbilder für Deine Mode? Ich finde den Stil vieler Designer schön und gucke, was gerade im Trend ist oder sein wird. Aber ich habe keinen bestimmten Designer, den ich verfolge. Mein Stil geht auch ein bisschen in eine andere Richtung, da ich viel mit Farben arbeite. Ich verbinde den Vintage-Stil mit eigenen Vorlieben. Ich finde es toll, wenn ein Brautkleid nicht immer weiß ist. Was magst Du gerne an Deinem Job, was eher nicht? Ich liebe den Umgang mit Kunden, und dass ich kreativ sein darf. Hier kann ich einfach mein gelerntes Handwerk ausleben. Nicht so gut finde ich, dass man wirklich selbst und ständig arbeiten muss. Wenn Kunden mal nicht so freundlich sind, nimmt man das Negative mit nach Hause. Hast Du Helfer, die Dich unterstützen? Bisher habe ich keine Angestellten, möchte das aber ändern. Viel Unterstützung bekomme ich von meiner Familie. Meine Mama ist selbst sehr kreativ und hilft mir ab und zu.

Wie läuft der Arbeitsprozess bei einem maßgeschneiderten Kleid? Es ist ein sehr langer Prozess, die Braut sollte mindestens ein halbes Jahr vor der Trauung das erste Mal bei mir gewesen sein. Beim ersten Treffen lernen wir uns kennen und besprechen die Vorstellungen der Braut. Sie probiert Musterkleider


Carola Ackermann

an und ich mache bereits ein bis drei Skizzen. Wenn der Entwurf steht, suche ich passende Stoffe aus und kalkuliere den Preis. Sobald die Anzahlung von circa 50 Prozent eingeht, konstruiere ich den Schnitt nach den Maßen der Braut. Dann gibt es die Anprobe, bei der das Kleid ­ körpernah an der Kundin abgesteckt wird. Es ist mir sehr wichtig, dass meine Kunden mir vertrauen und wir ein freundschaftliches Verhältnis pflegen. Wenn die Sympathie beim ersten Treffen nicht stimmt, sollte man es lieber lassen. Soll Dein Geschäft expandieren? Ja, ich bekam mittlerweile schon mehrere Anfragen von Brautläden, die meine Kleider gerne in ihr Angebot aufnehmen möchten. Deshalb arbeite ich intensiv daran, meine eigene Kollektion auf die Beine zu stellen. Bisher habe ich ja nur Inspirationskleider, die kann man nicht

vervielfältigen. Das wird sich bald ändern. Ich suche schon Stoffhändler aus, die mir ihre Stoffe garantieren können, damit ich diese nachbestellen kann. Stück für Stück möchte ich von der Maßanfertigung weggehen. Später wird es circa ein bis zwei Kollektionen pro Jahr mit fünf bis sechs Kleidern geben, die es dann deutschlandweit zu kaufen gibt.

Glaubst Du, dass Deine Karriere in einer anderen Stadt anders verlaufen wäre? Durch meine Präsenz in der Sendung Zwischen Tüll und Tränen ist es egal, in welcher Stadt ich bin. In Köln gibt es auch viele Designer, die einen ähnlichen Stil haben, Victoria Rüsche zum Beispiel. In Magdeburg und Umgebung war ich lange die Einzige. Wenn die Sendung nicht gewesen wäre, hätte ich sicherlich in einer anderen Stadt zunächst besser

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Carola Ackermann Kundschaft gewinnen können. Zu Beginn kamen die meisten Kunden eher aus Berlin, Braunschweig oder Hannover.

Ist es für Dich denkbar, Deinen Laden an einem anderen Ort zu führen? Wo wäre das? Leipzig. Auch viele Bekannte und Kunden sagen, dass die Art meines Ladens nach Leipzig passen würde. Es kommt aber auch darauf an, wo mein Freund arbeitet. Ich bin offen für alles. Auf dem Dorf könnte ich es mir auch gut vorstellen. Die Kunden kommen ja gezielt zu meinem Laden, deshalb würde das keinen Unterschied machen. Eine Scheune oder ein Bauernhof wäre toll, das würde gut zu dem Stil meiner Kleider passen. Du kommst nicht aus Magdeburg, wie bist Du auf die Idee gekommen, hier einen Laden aufzumachen? Ich wusste immer, dass Gardelegen nicht der Ort ist, an dem ich den Durchbruch schaffe. Letztendlich lag es an meinem damaligen Freund, dass ich nach Magde­ burg zog und hier bleiben wollte. Ich hatte nichts zu verlieren, vorher habe ich in Stendal gearbeitet und mit der Ent­ fernung machte das keinen Unterschied.

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Wie kam es zu Deiner Mitwirkung in der VOX-Sendung Zwischen Tüll und Tränen? Das war ganz verrückt! VOX rief mich im April 2016 an, da hatte ich noch nicht mal meinen eigenen Laden, den eröffnete ich erst im Juli des Jahres. Aber ich bin damals immer an den leeren Räumen vorbeigegangen und checkte, ob sie noch frei sind. Nach einem Besichtigungstermin habe ich VOX zugesagt. Wenn ich bei Tüll und Tränen mitmache, bekomme ich viel

Werbung. Deshalb ging ich diesen Schritt und traute mich.

Wie ist das bei den Dreharbeiten? Ich bin wirklich immer aufgeregt. Man gewöhnt sich nie daran, jeder Dreh ist wie der erste.

Man muss einen Menschen kennen, um ihn wirklich zu lieben.

Gibt es Bräute, die nur wegen der ­medialen Präsenz bei Dir landen? Durch die Sendung bekomme ich Kundschaft aus ganz Deutschland. Alle sind ganz aufgeregt, seit ich im Fernsehen bin. Viele wollen oft auch nur gucken. Aber, so viel Kundschaft ich auch haben mag, es kommen nicht alle Aufträge zustande. Viele sagen hinterher doch ab. Erkennen Dich die Leute, sprechen sie Dich auf der Straße an? Wirklich selten. Manchmal tuscheln einige, aber direkt angesprochen wurde ich kaum. Ich betrachte mich nicht als Prominenz, ich bin eher peinlich berührt.

Wie läuft das ab, wenn das Fernsehteam in Deinem Laden ist? Es sind in der Regel drei Leute: Autorin, Kameramann, Tontechniker. Manchmal sind noch Praktikanten am Set, da es bei uns doch ruhiger und überschaubarer ist. Es funktioniert wirklich gut, alle hängen wie ein Tropfen zusammen und bewegen sich ganz langsam. Der Tontechniker ist mit dem Kameramann verbunden und die Autorin muss immer unmittelbar neben der Kamera stehen, damit man sie an-


Carola Ackermann

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Carola Ackermann guckt, statt in die Kamera. Es muss sogar ein bestimmter Winkel sein.

einen Menschen kennen, um ihn wirklich zu lieben.

Bist Du hoffnungslos romantisch? Ich weine schnell, aber mir fällt es schwer, tiefe Gefühle zu zeigen.

Du bist nicht verheiratet, aber hast Du den Mann fürs Leben schon gefunden? Ja, ich habe einen Freund, mit dem ich mir auch alles Weitere vorstellen könnte. Heiraten, Kinder … Wir haben schon öfter darüber gesprochen.

Wenn Du keine Kleidung entwerfen würdest, was wäre die Alternative? Wahrscheinlich Erzieherin im Kindergarten. Ich kann mir nicht vorstellen in einem Büro zu sitzen. Irgendwas Soziales auf jeden Fall, bei dem ich kreativ sein kann. Aber nichts Medizinisches, Blut kann ich nicht sehen.

Glaubst Du an die eine große Liebe? Der Mensch ist dazu ausgelegt, sich fortzupflanzen. Egal wie lange man zusammen ist, man kann sich sehr schnell wieder entlieben. Ich bin da sehr realistisch, trotz meines Berufs und meiner Familie, die mir eigentlich zeigt, dass es wirklich klappen kann. An Liebe auf den ersten Blick glaube ich nicht, man muss

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Als kleines Mädchen hätte ich nicht gedacht, dass ich irgendwann mal einen so weiblichen Beruf ausüben würde.

Wie wird Dein Brautkleid aussehen? Darüber denke ich praktisch täglich nach. Für mich ist es schwierig, etwas Passendes zu finden. Ich kenne die Stile und Schnitte, im Endeffekt ist alles schön. Ich würde es davon abhängig machen, wo


Carola Ackermann und zu welcher Jahreszeit wir heiraten. Es sollte alles stimmig sein. Ich werde es auf jeden Fall selber nähen. Aber die letzten Stiche muss jemand anderes machen, da es sonst Unglück bringt. Den Saum wird ein anderer übernehmen. Unter den vielen Kleidern, die Du entworfen und genäht hast, gibt es da ein Lieblingskleid? Ich habe mehrere. Mein Favorit ist wohl das Kleid meiner Schwester, das ich zu Beginn meiner Karriere entwarf. Ich stehe hinter jedem meiner Kleider, aber es gibt nur zwei bis drei, in denen ich auch selber heiraten würde. Was magst Du besonders gerne an Magdeburg? Ich bin schon immer gerne draußen, deshalb liebe ich den Sommer hier, denn da sind die Möglichkeiten unendlich. Ich fahre gerne Fahrrad und bin viel in der Datsche. Ich genieße das Wetter und die Freizeit mit meinen Freunden. Gab es Momente, in denen Du dachtest, es wird Dir alles zu viel? Absolut. Letztes Jahr war es eine Zeit lang so schlimm, da habe ich mich überschätzt und nahm zu viele Aufträge entgegen, so dass ich Panikattacken hatte. Ich habe meistens im Laden geschlafen, weil ich dachte, dass ich es sonst nicht schaffe. Aus 2017 habe ich sehr viel mitgenommen für das neue Jahr. Januar 2018

Vista.Schon? Carola Ackermann, Jahrgang 1988, kommt aus Gardelegen in der Altmark. Ihre Mitwirkung in der VOX-Serie Z ­wischen Tüll und ­Tränen verhalf ihr nicht nur in Magde­burg zu einiger Bekanntheit. 2014 hat es sie der Liebe wegen nach Magdeburg verschlagen. Im selben Jahr rief sie auch ihr Label Fräulein Liebe ins Leben, nachdem sie das Brautkleid ihrer Schwester entwarf und nähte. 2016 folgte der eigene Laden, der sich mittlerweile in der Otto-von-Guericke-Straße in der Altstadt befindet. Carolas Kleider sind alle maßgefertigte Einzelstücke. Magdeburg ist für sie in drei Worten: Anfang, Entwicklung, Zuhause. 31


Claudia Dalbert >>Ich wusste, was ich nicht werden will: Politikerin.<< Vom Hörsaal ins Kabinett. Die gebürtige Kölnerin erzählt aus ihrem Leben als Studentin, Wissenschaftlerin und Politikerin. Inter.Vista erfuhr von der Umweltministerin, was sie unter Gerechtigkeit versteht, welches ihr erstes Auto war und woher ihr Interesse an Politik kommt. Außerdem wollten wir von ihr als passionierte Zugreisende und Pendlerin wissen, was sie an Magdeburg und Halle so schätzt, denn das dürfte viele in ­ Sachsen-Anhalt lebhaft interessieren. Interview und Fotos: Marco Starkloff und Jenny Wyrwiak



Claudia Dalbert Die Frage ›Magdeburg oder Halle‹ wird ja in Sachsen-Anhalt schnell zum ›­ Politikum‹. Daher fragen wir: Saale oder Elbe? Saale. Die ist ein ganz wunderbarer Fluss. Und sie hat auch etwas ganz Besonderes – die Peißnitzinsel. Ein großes Naturschutzgebiet mit vielen Spielplätzen für Kinder und Angeboten für die ganze Familie. Dort treffen sich Studierende ebenso wie die Leute, die in Neustadt leben. Es ist ein sehr bunter und vielfältiger Ort, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Wie sieht die Woche einer Umweltministerin aus? Sitzungen, Presse­ auftritte und zwischendurch noch die Umwelt retten? Sehr abwechslungsreich. Montags finden viele interne Beratungen oder Treffen mit Verbänden statt. Dienstag ist der Tag des Kabinetts und da tagt auch die Fraktion. Abends vielleicht auch mal noch ein

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auswärtiger Termin. Mittwoch sind dann noch die Ausschüsse im Landtag. Einmal im Monat tagt auch der Bundesrat. Wenn keine Sitzungen stattfinden, sind Mittwoch, Donnerstag und Freitag immer die auswärtigen Termine. Was machen Sie da? Unterschiedlich. Es gibt Veranstaltungen von Verbänden oder Institutionen, die wollen, dass die Ministerin ein Grußwort hält. Dann gibt’s natürlich die Vor-Ort-Termine, bei denen wir gucken, was geleistet wurde. Im Rahmen des Umwelt-Sofort-Programms haben wir letztes Jahr 139 Projekte abgearbeitet und die schaue ich mir dann vor Ort an. Welche Termine sind Ihnen am liebsten? Die, die draußen sind. Ein Termin an den Flüssen oder in den Bergen ist einfach schön.


Claudia Dalbert Ihre Arbeit kann man auch sehr gut in den sozialen Medien verfolgen. Betreiben Sie Ihre Kanäle selbst? Bei Facebook haben wir zwei Seiten. Eine offizielle Seite, die von meinem Team gemacht wird. Dort wird die Ministerin mit ihren Aufgaben dargestellt. Aber ich habe auch noch persönliche Facebook-, Twitter- und Instagram-Profile, auf denen ich dann mehr über Politik mache. Die betreue ich auch wirklich selber.

Man darf nicht alles ­persönlich nehmen.

Warum ist Ihnen das so wichtig? Als Ministerin bin ich mit einer öffentlichen Aufgabe betraut und werde aus Steuermitteln bezahlt. Die Wähler und Wählerinnen haben daher ein Recht zu wissen, was ich tue und denke.

Sie sind nicht nur Umweltministerin, sondern auch Mitglied einer grünen Partei. Wie ökologisch leben Sie eigent­lich privat? Das ist immer eine schwierige Frage. Jeder von uns hat einen ökologischen Fußabdruck, der größer ist, als wir uns das wünschen. Natürlich arbeite ich an einem anderen Lebensstil. Mein Dienstwagen zum Beispiel ist ein Hybrid­fahrzeug. Wir haben inzwischen fast alle Dienstwagen auf Hybrid umgestellt. Natürlich gibt es auch E-Tanken und auch E-Bikes im Ministerium. Ich persönlich habe ein kleines Auto, aber der hat kaum Kilometer drauf. Privat bin ich nämlich eine ausgesprochen überzeugte Zugfahrerin. Das ist entspannender, ich kann arbeiten, mir ei-

nen Kaffee besorgen. Nichts geht über Zug fahren.

Wenn Sie so viel Zug fahren, haben Sie doch sicher eine Anekdote parat? Ich bin einmal hektisch zum Zug gekommen und plötzlich war mein Handy weg. Ich stand vor dem Zug, konnte aber nicht einsteigen. Ich überlegte panisch, wo mein Handy sein könnte. Aber zum Glück gab es ganz nette Leute, die es am Bahnsteig fanden. Im Zug stellte sich dann heraus, dass es der Bruder eines Studenten war, der mich im Wahlkampf begleitet hatte. Natürlich gibt es auch nicht so schöne Geschichten. Im Dezember 2017 gehörte ich zu den Reisenden, die wegen eines brennenden Intercity in Halle auf der Strecke anhielten. Über Twitter versuchte ich herauszufinden, was eigentlich los ist und somit ein bisschen zur Informationspolitik der Deutschen Bahn beizutragen. Es passiert immer irgendwas.

Finden wir viele regionale und Bio-­ Produkte in Ihrem Kühlschrank? Ja, alles was ich in Bio-Qualität kriegen kann, kaufe ich. Das ist zum Glück schon leichter geworden. Auch normale Läden haben inzwischen ein gutes Bio-Angebot. Und regional natürlich sowieso. Leben Sie selbst vegetarisch oder vegan? Nein, aber ich respektiere jeden, der das tut, zumal es oft auch ein politisches Statement ist. Ich selbst esse wenig Fleisch. Ich finde das als Landwirtschaftsministerin auch schwierig, denn ökologische Landwirtschaft geht nicht ohne Tiere.

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Claudia Dalbert Sie sprachen schon von Ihrem Dienstwagen. Was war denn Ihr erstes Auto? Ein türkisfarbener R4. Das war für mich eine große Sache, denn es war auch ein Zeichen von Freiheit und Abenteuer. Es gab nur zwei oder drei Autos, die ich mir hätte leisten können, den R4 oder den VW-Käfer. Der R4 hatte den Vorteil, dass es ein Kastenwagen war. Da konnte man auch drin schlafen, was natürlich ganz praktisch war. In den Urlaub habe ich die Übernachtung sozusagen gleich mitgenommen.

Nichts geht über Zug fahren.

Sind Sie viel gereist? Ja. Das war mir auch während meines Studiums sehr wichtig. Wir hatten zweimal Semesterferien. In den einen habe ich gearbeitet, um Geld zu verdienen. Die anderen nutzte ich zum Reisen. Nach Nordafrika, in die USA. Ich wollte einfach die Welt sehen.

Erzählen Sie uns davon. Für mich war Nordafrika damals sehr interessant. Marokko, Tunesien, Alge­ rien und die Sahara. Ich bin noch immer verliebt in die Wüste. Da sieht man ganz spannende Sachen. In den USA natürlich genauso. Die waren ja damals noch ganz weit weg. In drei Monaten bin ich damals 21.000 Kilometer durchs Land gereist. Haben Sie eigentlich den nächsten Urlaub schon geplant? Nein. Ich reise gerne spontan.

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Gab es ein Schlüsselereignis, das Sie dazu brachte, Politik aktiv mitgestalten zu wollen? Ich komme aus einem sehr politischen Elternhaus und war schon früh politisch aktiv. Ich war Klassensprecherin, an der Uni engagierte ich mich in einer studentischen Gruppe. Wir gründeten damals die Fachschaftsvertretung. Danach war ich eine Zeit lang nicht mehr politisch aktiv, weil ich als Wissenschaftlerin wechselnde Verträge hatte. Als es beruflich für mich dann etwas sortierter wurde, fing ich an, Wissenschaftspolitik zu machen. National und international. Als ich wusste, dass ich in Halle bleibe, trat ich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei. Ich fand das eine sehr schöne und interessante Vorstellung. Nette Leute treffen, mit denen ein Bier trinken und über Politik diskutieren.

Und das gefällt Ihnen heute auch noch? Natürlich, sonst würde ich es nicht ­machen.

Ein Teil Ihrer Forschung kreist um das Thema, was Gerechtigkeit ist. Verraten Sie uns die Antwort. Für uns als Psychologen ist Gerechtigkeit ein subjektives Erleben. Fühle ich mich gerecht oder ungerecht behandelt? Ein anderer Gesichtspunkt ist das Streben nach Gerechtigkeit. Es gehört zu den grundlegenden menschlichen Motiven. Man spricht eigentlich immer von drei Motiven: Macht, Affiliationen und Leistung. Unsere Forschung belegt, dass letztlich das Streben nach Gerechtig­keit den Menschen zum Menschen macht. Die Quelle von Gerechtigkeit kann aber für jeden Menschen etwas anderes sein.


Claudia Dalbert

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Claudia Dalbert Erleben Sie Politik als gerecht? Politik versucht einen fairen Mix aus verschiedenen Gerechtigkeitsprinzipien zu verwirklichen. Es gibt die Verfahrensgerechtigkeit, also dass man gehört wird. Es ist den Menschen wichtig, eine ›Voice‹ zu haben. Neben dem gerechten Verfahren existiert außerdem das Leistungs-, das Gleichheits- und das Bedürfnisprinzip. Politik besteht darin, daraus eine gute Mischung zu machen. Haben Sie einen Masterplan? Das wäre schön. (lacht) Nein, habe ich nicht. Wir haben viele Gesprächsrunden und stellen so den Dialog her. Wir gehen raus und wollen wissen, was die Menschen wirklich beschäftigt. Wir müssen ihnen mehr zuhören und eine Stimme geben. Das sind viele kleine Schritte, die wir hier im Team versuchen zu gehen.

Was verstehen Sie unter Generationen­ gerechtigkeit? Unser Handeln muss der nachkommenden Generation noch ein gutes Leben ermöglichen. Meine Partei hat den schönen Spruch: Es gibt keinen Planeten B. Man darf nicht nur auf das heute schauen.

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Woher kommt Ihr Interesse an diesen Themen? Mein Vater war politischer Journalist. Kommentar und aktuelles politisches Handeln war immer ein Thema zuhause. Doch weniger in Bezug auf Nachhaltigkeit sondern eher hinsichtlich Fairness und Gerechtigkeit. Auch mein Professor war sehr prägend, ich schrieb bereits Hausarbeiten sowie meine Abschlussarbeit über gerechtigkeitsnahe Themen.

In Ihrer Dissertation schrieben Sie über »interpersonale Verantwortlich­ keit erwachsener Töchter ihren Müttern gegenüber«. Wie kamen Sie darauf? Ich arbeitete an einem großen Projekt über Verantwortlichkeitsübernahme, wie sie entsteht und mit welchen Gefühlen sie einhergeht. Ein spannendes Thema, damals auch noch sehr unerforscht. Da die Menschen länger leben, müssen erwachsene Töchter neben eigenen Kindern auch noch die eigene Mutter oder die Großmutter versorgen. Das untersuchten wir in unterschiedlichen Altersgruppen. Wofür übernehmen Töchter Verantwortung und wie kommt das zustande? Wir stellten fest, dass Töchter die Verantwortung für ihre Mütter widerspuchslos übernehmen, egal ob sie Brüder haben oder nicht. Eine solche Geschlechter­ spezifität ist vorhanden.

Man lernt als P­sychologin, sich bei manchen Prozessen gewisser­maSSen ­danebenzustellen, den analytischen Blick zu behalten.

Vermissen Sie die Uni manchmal? Nein, eigentlich nicht. Meine Arbeit hier ist so spannend, fünf Jahre als Fraktions­ vorsitzende und jetzt als Ministerin. Da bleibt nicht viel Zeit, um etwas zu vermissen. Ich hielt zwar keine Vorlesungen mehr, aber anfangs begleitete ich die Forschung trotzdem und publizierte mit


Claudia Dalbert meinen ehemaligen Kollegen. Aber heute habe ich dafür keine Zeit mehr.

Ich wollte einfach die Welt sehen.

Wie war Ihr Verhältnis zu den Studierenden? Das müssen Sie meine Studierenden fragen. (lacht) Mein Eindruck war, dass wir ein gutes Verhältnis hatten. Ich kommuniziere klare Anforderungen und versuche, fair zu sein. Ich glaube, das haben die auch so wahrgenommen. Wenn Ihre Studierenden eines von Ihnen mitgenommen haben, was wäre das? Ich hoffe, sie haben nicht nur eines von mir gelernt. Zum einen natürlich der Inhalt, aber andererseits auch Fähigkeiten

wie selbstständiges Lernen, Ergebnisse vorzutragen, sich darzustellen. Ich habe viel Wert auf Rückmeldung gelegt, weil das am Ende die Kompetenzen sind, die man mitnimmt.

Wissenschaftlerin und Politikerin, beides sind nicht unbedingt Berufswünsche eines kleinen Mädchens. Was wollten Sie eigentlich werden? Ich wusste, was ich nicht werden will: Politikerin. Das hatte ich bei meinem Vater gesehen, da bist du nie zu Hause. Also zunächst wusste ich nicht so richtig, was ich werden will. Ich habe in Chemie Abi gemacht, das gefiel mir eigentlich. Dann machten wir eine Exkursion zu einer großen Chemiefirma. Danach war dieser Beruf für mich tot. Das war mir zu langweilig. Bei der Berufsberatung wurde mir dann geraten, Psychologie zu studieren.

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Claudia Dalbert Wie kam es, dass sie so lange bei Ihrer Forschung blieben? Das ergab sich. Als ich meinen Abschluss hatte, fragte mein Professor, ob ich Lust hätte, an einem Projekt in der klinischen Psychologie mitzuarbeiten. Es ging um den Aufbau einer ambulanten psychologischen Beratungsstelle. Das war ein tolles Angebot. Ich blieb also an der Uni und entschied mich im akademischen Bereich zu bleiben und zu promovieren.

Sachsen-Anhalt ist für mich ein sehr ­unterschätztes und ­unglaublich schönes Land.

Inwieweit können Sie Ihr Wissen aus der Psychologie heute in der Politik anwenden? Es ist immer hilfreich. (lacht) Das kann man nicht trennen. Es ermöglicht mir manchmal eine andere Perspektive auf bestimmte Vorgänge einzunehmen. Man lernt als Psychologin, sich bei manchen Prozessen gewissermaßen danebenzustellen, den analytischen Blick zu behalten. Das ist eine wichtige professionelle Haltung. Gerade in der Politik. Man darf nicht alles persönlich nehmen.

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Sie kommen ursprünglich aus Köln. Haben Sie schon Pläne für den kommenden Rosenmontag? Ich werde nicht in Köln sein. Aber ich kann Ihnen erzählen, was ich normalerweise am Rosenmontag mache. Ich bin beim Rosenmontagszug KUKAKÖ in Köthen.

Was war als Kind Ihr Lieblingskostüm? In Köln ist man jedes Jahr anders kostümiert. Das war immer eine Herausforderung. Man ging am Karnevalssamstag auch kostümiert zur Schule. Da gibt’s ja die Klassiker wie Cowboy, Indianer oder Chinese. Im Kindergarten war ich der Cowboy und meine Freundin der Indianer.

Welches Buch haben Sie zurzeit auf dem Nachttisch liegen? Ich lese gern Krimis zur Ablenkung. Für die Schulferien habe ich mir zwei Bücher vorgenommen. Robert Menasse Die Haupt­stadt, ein Roman, über den gerade alle reden, und Bella Germania von Daniel Speck, eine deutsch-italienische ­Familien-Saga.


Claudia Dalbert Magdeburg bewirbt sich als Kulturhauptstadt 2025. Haben Sie als Hallenserin einen Tipp, was Magdeburg sich von Halle abgucken könnte? Diese Städterivalitäten sind ja in jedem Bundesland zu finden. Halle und Magdeburg sind beides Städte mit einem sehr eigenständigen Profil und einer ganz unterschiedlichen Anmutung. Halle hat diese kleine, mittelalterliche Stadtstruktur mit ganz viel Grün. Das ist so eher das Kleine, Verwinkelte. Magdeburg ist das Großzügigere, da gibt es die Boulevards und diese Weite zum Fluss. Die Elbe mit ihren Armen hat für mich eine ganz andere Anmutung als die Saale und die Peißnitz.

Was ist ihr Lieblingsort in Magdeburg? Bei schönem Wetter auf dem Domplatz einen Kaffee trinken, das ist schon sehr schön. Ich bin aber in meiner Freizeit selten in Magdeburg unterwegs. Wenn, dann meistens nur zwischen Staatskanzlei, Ministerium und Landtag.

Haben Sie eine Vision für Sachsen-­ Anhalt? Sachsen-Anhalt ist für mich ein sehr unterschätztes und unglaublich schönes Land. Ich bin vor 20 Jahren hergekommen. Die meisten meinten: »Du Arme, musst nach Halle gehen«. Ich musste nicht, ich habe es mir ausgesucht. Und alle, die mich dort besuchten, sind begeistert wieder gegangen. In Sachsen-Anhalt finden sie alles: traumhafte Flüsse, Denkmäler aus allen Kulturepochen, den Harz mit dem Brocken, eine wunderschöne Tier- und Pflanzenwelt. Zwei tolle Großstädte und vieles mehr. Dafür sollte mehr Begeisterung entstehen. Man muss seine

Stärken erkennen und entwickeln. Da würde ich gern zu beitragen. Januar 2018

Vista.Schon? Prof. Dr. Claudia Dalbert ist 1954 in Köln geboren und aufgewach­ sen. 18 Jahre lehrte die Psycho­ login an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Zuge ihrer wissenschaftspolitischen Ar­ beit war sie unter anderem Präsidentin der International Society for Justice Research. Seit 2007 ist sie Mitglied der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 2016 trat sie ihr Amt als Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie an. Als grüne Ministerin und stellvertretende Minister­ präsidentin gehört sie derzeit auch zur Landesvertretung im Bundesrat. Bei ihrer Arbeit be­ gleitet sie stets das Wappentier Sachsen-Anhalts, ein grüner Bär.

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Andreas Schomaker >>Jura kann nie schaden.<< Als er 1991 von Hamburg ins chaotische NachwendeMagdeburg zieht, sucht er eigentlich nur eine Stelle bei der Bezirksregierung, landet dann aber im Innenministerium. Heute ist der gebürtige Oldenburger Polizeipräsident der Direktion Sachsen-Anhalt Nord und fühlt sich in seiner neuen Heimat sehr wohl. Wir sprachen mit ihm über seine Ankunft in Magdeburg, den Hasselbachplatz und sein Verhältnis zu Twitter und Co. Interview und Fotos: Lara-Sophie Pohling und Felix Ernemann


Andreas Schomaker Kennen Sie eigentlich Ihren eigenen Wikipedia-Eintrag? Aus meiner Sicht ergibt es keinen Sinn, etwas über sich selbst zu lesen. Es ist mir auch ein wenig unangenehm. In Vorbereitung auf das Interview habe ich mir das aber angeguckt und war dann etwas überrascht, was da alles steht.

Was hat Sie am meisten überrascht? Also da steht Jahrgang 1960. Das ist schon krass. Das sind ja nun Daten und Fakten, die man leicht überprüfen, gegebenenfalls nachfragen kann. Da war ich eher ein bisschen angesäuert. Haben Sie vor Interviews noch Lampen­fieber? Mal mehr, mal weniger, es kommt auf die Situation drauf an. Als Polizeipräsident haben Sie öfter mit Medien zu tun. Haben Sie zu Journalisten ein spezielles Verhältnis? Nein. Ein ganz normales berufliches Verhältnis, das mit fast allen auch gut klappt.

Ein Behördenleiter bei der Polizei ist kein Showstar.

Nutzen Sie selbst soziale Medien? Ich persönlich, nein. Ich glaube, in meinem Alter ist das eher normal. In meinem Freundeskreis kenne ich keinen, der twittert. Dienstlich machen wir das in der Polizeidirektion Nord. Wir waren auch die Pilot-Behörde für das Twittern in der Landespolizei und konnten mittlerweile unseren 5.000 . Follower begrüßen. 44

Welche Rolle spielen die sozialen Medien in der Polizeiarbeit? Für die polizeiliche Arbeit wird es zunehmend wichtiger, insbesondere um den Kontakt mit dem jüngeren Teil der Bevölkerung herzustellen. Ich denke, bei 40 oder 45 plus sind im Großen und Ganzen ›die Messen gesungen‹. Aber bei den Jüngeren ist die Affinität ziemlich groß und deswegen versuchen wir, sie über diesen Kanal zu erreichen. Würden Sie sagen, dass durch die Medien die Polizeiarbeit schwieriger geworden ist oder hat es sie eher erleichtert? Also schwieriger ist die Kurzfristigkeit, mit der Informationen rausgegeben werden. Die Verbreitung von Nachrichten ist wesentlich schneller als früher. Wir haben manchmal die Situation, dass Journalisten schon vor den Polizei­ kollegen am Unfall- oder Tatort sind. Aber für die Kommunikation können Twitter und Co. auch gut sein, oder? Richtig, deswegen machen wir es ja auch und wollen in diesem Bereich stärker vorangehen.

Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der Polizei in Ihrer Kindheit oder Jugend? Ja durchaus, ich war mit dem Fahrrad auf dem Weg zu einer Fete und wollte eine große Straße überqueren. Die Ampel war rot und ich dachte, wenn kein Auto kommt, kannst du mal fahren. Es kam aber eins und das hatte eine grün-weiße Farbe. Dann gab es für mich einen Nachhilfekurs bei der MPU-­Behörde (Medizinisch-Psycholo-


Andreas Schomaker gische Untersuchung, Anm. d. Red.) zum ­Thema Verkehrs­erziehung.

In Olvenstedt herrschte fast schon Wild-West-Stimmung.

Hatten Sie schon immer den Plan, zur Polizei zu gehen? Nach dem Abitur leistete ich erstmal meinen Wehrdienst. Das war damals noch Pflicht. Und danach studierte ich Jura in Kiel. Da machte ich mir noch keinen Kopf, was ich später mal werde. Warum gerade Jura? Naja, der ›Techniker vor dem Herrn‹ war ich nicht und Naturwissenschaften waren auch nicht so mein Ding. Ich dachte, Jura

kann nie schaden. Lehramt wäre auch gegangen, aber die Situation dafür war 1980 viel schlechter als heute. Lehrer werden ja heute gesucht, aber damals war es so, dass gefühlt drei Viertel der Absolventen keinen Job kriegten. Da war Jura eine Möglichkeit, breit gefächert ins Berufsleben zu starten.

Wie sind Sie dann zur Polizei gekommen? Nach dem Staatsexamen in Kiel und Oldenburg war ich erst in Hamburg bei einer Versicherung tätig, im Schadensund Leistungsbereich. Im Juli 1991 wechselte ich in die damalige Bezirksregierung Magdeburg, was später das Regierungspräsidium wurde. Dort landete ich im Bereich Gefahrenabwehr, im Bereich Innere Sicherheit.

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Andreas Schomaker

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Andreas Schomaker Was war Ihre erste Aufgabe? Ich war zuständig für alles, was mit Hoheitsangelegenheiten, Gefahrenabwehr­ recht und Namensrecht zu tun hat, mit der Flüchtlings- und AsylbewerberUnter­bringung. Das war 1991 auch schon ein großes Thema. Es gab schon das ein oder andere, was ziemlich aufreibend war.

Ich gucke und lese keine Krimis, wir haben hier genug Spannung.

Und Ihre schwierigste Aufgabe? In der Bevölkerung Akzeptanz für das Thema Asyl zu gewinnen. Rund um die ZASt in Halberstadt gab es ziemlich Unruhe. Es gab aber noch andere Probleme: Als junger Jurist musste man viel selber machen, also beispielsweise Formulare entwickeln. Und das unter erheblich anderen technischen Voraussetzungen als heute. Es gab ungefähr für jedes fünfte Büro ein Telefon. Festnetztelefon würde man heute sagen. Nur ein Fax im ganzen Haus für 500 Leute, man musste sich anstellen. Welcher Fall Ihrer Laufbahn hat sich in Ihr Gedächtnis besonders eingebrannt? Ganz schlimm, der Fall Inga. Das ist das verschwundene Mädchen in Wilhelmshof bei Stendal, Mai 2015. Das liegt mir natürlich nach wie vor noch schwer im Magen. Dass wir das nicht klären konnten, das wiegt schon schwer.

Spiegeln die Filme der Reihe Tatort annähernd die Realität der Polizeiarbeit wider? Das ist alles nur Theater und aus meiner Sicht sogar schlechtes. Ich gucke und lese keine Krimis, wir haben hier genug Spannung. Ich sehe lieber Sportsendungen. Der Tatort mit diesen etwas psychologisch angehauchten Werdegängen, mit den Beziehungsproblemen innerhalb der Ermittlungen, das ist mittlerweile so fremd und absurd, also das gucke ich nicht. Wie haben Sie die Stimmung in der Polizei kurz nach der Wende erlebt? Es gab schon sehr viele Ängste und Sorgen, wie es überhaupt mit dem Leben und mit der beruflichen Entwicklung weitergeht, weil die Umwälzungen doch sehr, sehr groß waren. Den meisten ist das hervorragend gelungen. Also alle Achtung. Chapeau. Ich glaube, viele Westdeutsche hätten das wohl nicht so klaglos hingekriegt. Was war Ihr persönlicher Eindruck vom Magdeburg nach der Wende? Es gibt immer Gutes und weniger Gutes. Weniger gut war zum Beispiel, dass man Probleme mit dem Telefonnetz hatte. Es gab ein paar Telefontreffpunkte, wo man dann den ganzen Abend stand. Es gab drei Zellen, davor bildeten sich Menschen­trauben. Jeder wartete darauf, für 50 Pfennig nach Hause zu telefonieren. Man hat in der Regel immer um die zwei Stunden angestanden, denn jeder wollte telefonieren. Der Andrang war groß. An Handys war noch nicht zu denken. Da stand man eben an, was natürlich überaus nervig und ermüdend

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Andreas Schomaker war, manchmal aber auch kurzweilig, weil man ins Gespräch kam. Sie sind ja dann nach Magdeburg umgezogen? Ja, erst einmal nach Olvenstedt, dann nach Stadtfeld an den Schellheimerplatz. 1998 zogen wir dann nach Ottersleben, weil wir ein Reihenhaus kauften.

Man ist mit 25 einfach anders drauf als mit Mitte 50.

Wo war Ihre erste Wohnung in Magdeburg? Die war am Bruno-Taut-Ring. Im inneren Ring. Ich erinnere mich noch gut an die ausgebrannten Trabis auf dem Weg zum Hauseingang. Daneben der Müll, den man einfach auf der Straße ausgekippt hatte. In Olvenstedt herrschte fast schon WildWest-Stimmung. Alles war ungeregelt. Mülltrennung wie man sie heute kennt, gab es zum Beispiel gar nicht. Die Autos wurden auf Grünflächen geparkt, wie es gerade eben so kam. In meinem ersten Haus hing im Flur immer ein Putzplan, alle zwei Wochen musste man putzen. In meiner zweiten Magdeburger Wohnung am Rennebogen war es schon besser. Da hatte man viel Kontakt mit seinem Umfeld. Das waren relativ neue Häuser, 1990 herum fertiggestellt. Mittlerweile sind sie schon wieder abgerissen. Gleichzeitig gab es in Neu-Olvenstedt auch ein richtiges soziales Umfeld. Also Kindergärten, Ärzte und so weiter. Es war nicht so, dass dort nur ein bestimmtes Klientel wohnte. Ich konnte mich nicht beschweren. 48

Wie kam dann die Entscheidung nach Stadtfeld zu ziehen? Ich wollte dann irgendwann einfach aus Neu-Olvenstedt raus. Mit einer Familie bewohnte ich eine Dreiraumwohnung direkt unter dem Dach im sechsten Stock. Nachdem wir dort einen Sommer richtig geschwitzt hatten, sahen wir uns schnell nach etwas Neuem um.

Sie sind seit fast 27 Jahren in Sachsen-Anhalt. Vermissen Sie Ihre alte Heimat noch? Nein. Heimat ist immer da, wo man sich wohlfühlt, wo Familie und Freunde sind. Das ist hier. Natürlich wohnen meine Mutter und meine Geschwister, die ich ab und an zu den Feiertagen und Geburtstagen besuche, noch in Oldenburg. Aber sonst vermisse ich nichts. In Halberstadt arbeiteten Sie auch. Warum wurde es Magdeburg? Es gab damals drei Bezirksregierungen: Dessau, Halle und Magdeburg. Magdeburg sagte mir von den dreien am meisten zu. Woran erinnern Sie sich noch, als Sie hier ankamen? An den Stau auf dem Magdeburger Ring und die enorme Fahrzeit, die man damals brauchte, um durchzukommen. Die A2 war noch zweispurig, aber mit vielen Schlaglöchern und Baustellen. Also eigentlich nur einspurig und das bei mindestens so viel Verkehr wie heute. Für die 300 Kilometer nach Oldenburg brauchte ich damals manchmal sieben bis acht Stunden. Allein für den Ring vom Kreuz der A2 bis zum Damaschkeplatz, da war ja die Bezirksregierung, benötigte man oft anderthalb Stunden. Es gab auch zwei Ampelanlagen auf dem Wege


Andreas Schomaker

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Andreas Schomaker zur ­Innenstadt, wo alle warten mussten. Daran kann ich mich noch erinnern. Und an mein Vorstellungsgespräch – ein ›schweine­ kalter‹ Dienstagmorgen nach Ostern im April 1991. Alles war grau, es gab nur zwei bunte Flecken: einen Bäcker in der Olvenstedter Straße und die Kneipe Moll gegenüber vom Finanzministerium. Die waren schon angemalt und mit Reklame versehen.

Lehramt wäre auch gegangen.

Und wohnten Sie auch in Halberstadt? 1998 wurde ich angesprochen, ob ich nicht nach Halberstadt gehen wolle. Zuvor war ich im Innenministerium als Referent für Grundsatzangelegenheiten der Gefahrenabwehr, Strafrecht und derartige Angelegenheiten, stellvertretender Referatsleiter. Dann kam die Aufgabe in

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Halberstadt, weil es Probleme auf der Führungsebene gab. Ich pendelte dann vier Jahre zwischen Magdeburg und Halber­stadt.

2002 kehrten Sie nach Magdeburg zurück. Worin unterschied sich denn Ihre Arbeit als Polizeipräsident in Magdeburg von der in Halberstadt? Im Grunde machte ich dort dasselbe wie hier, nur auf kleinerer Ebene. Magdeburg ist viel größer und Landeshauptstadt. Nehmen wir mal die Versammlungen. Die finden in der Regel hier in Magdeburg, seltener in Halle oder in Dessau statt. In Halberstadt gibt es vielleicht vier in zwei Jahren. Die Brisanz und der Stress sind hier in Magdeburg einfach größer als in Halberstadt. Aber natürlich war es da auch schön. Die Rahmenbedingungen für die Polizei sind schlechter geworden. Insbesondere was das Personal betrifft.


Andreas Schomaker Gibt es etwas, dass Sie an Ihrer Arbeit in Halberstadt vermissen? Eine familiäre Atmosphäre wie im Harz kann man in Magdeburg natürlich nicht herstellen. Die Region ist hier zu groß. Das sind 150 bis 160 Kilometer in der Länge. Das bekommt man nicht hin. Ich fühle auch heute noch eine große Verbundenheit zu den Kolleginnen und Kollegen in Halberstadt.

Uns ist die im Vergleich zu anderen deutschen Städten hohe Polizei­ präsenz aufgefallen, besonders am Hasselbachplatz. Gibt es dafür einen bestimmten Grund? Also die Bürger beklagen eher das Gegenteil. Wir sind in einer ständigen Defensivhaltung dafür, dass wir so wenig Polizei haben. Aber ich gebe zu, dass die Polizeidichte hier schon ziemlich hoch erscheinen kann, wenn man eine größere Perspektive hat. Natürlich darf man beim Hasselbachplatz nicht vergessen, dass der ein Brennpunkt ist, spätestens seit dem letzten Sommer. Außerdem ist der Kreisel am Hasselbachplatz nun einmal die Durchfahrtsstrecke für das ganze Revier. Ungefähr 80 Prozent unserer Wagen fahren dort herum in die Sternstraße, wo sich unsere Haupteinfahrt befindet. Da sieht man natürlich zehn Polizeifahrzeuge pro Stunde. In Ottersleben oder Rothensee ist das nicht so. Das kann ich versichern. (lacht) Aufgefallen sind uns die Schilder am Gebäude, die die Dienststelle Nord als »schlechtestes Dienstgebäude Deutschlands« bezeichnen. Schon bei ihrem Amtsantritt versprachen Sie, sich um die marode Bausubstanz zu

kümmern. Wie weit sind Sie mit ihren Bemühungen gekommen? Das Schild ist übrigens von der Gewerkschaft, wir dürften sowas ja gar nicht aufstellen. Politisch sind die Umbaumaßnahmen auf den Weg gebracht, aber es schleppt sich. So ist das nun mal. Hier in Magdeburg und auch in Haldensleben. Das sind zwei Gebäude, die nicht wirklich schön sind. Der Finanzausschuss hat beschlossen, dass es irgendwann losgeht und wir erwarten, dass die Arbeiten Ende 2018 beginnen können. Schauen wir mal. Wenigstens sitzen wir hier im Trockenen.

Heimat ist ja immer da, wo man sich wohlfühlt.

Ihr Arbeitsplatz befindet sich nah am Zentrum des Magdeburger Nachtlebens. Gibt es eine Bar am Hasselbachplatz, in der auch Sie ab und zu anzutreffen sind? Ja, die gibt es und ich erlebe das bunte Treiben öfter mal aus eigener Anschauung. Ich bin Vater von zwei Söhnen im Studentenalter, daher weiß ich auch, wo man hingeht und wohin nicht. Haben sie ein Lieblingsgetränk? Espresso oder mal ein Weizenbier.

Wie hat sich die Sicherheitslage in den letzten zwei Jahrzehnten verändert? Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Die Anzahl der Straftaten ist in den letzten 25 Jahren gesunken, insbesondere die Jugend­ kriminalität. Andererseits ist die Neigung

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Andreas Schomaker zu unvorhersehbaren Gewaltausbrüchen höher geworden. Während es zu meiner Zeit ein absolutes No-Go war, einem am Boden liegenden Menschen gegen den Kopf zu treten, ist das heute schon fast Gang und Gäbe. Die Hemmschwelle war früher größer. Aber insgesamt ist die Kriminalität zurückgegangen. Ein ziemlich präsentes Thema sind nach wie vor die Rauschmittel. Das gab es früher natürlich auch, der Name hat sich geändert, heute sagen wir Betäubungsmittel oder BTM. Früher war es eben Alkohol.

unnormal wäre. Man darf das auch nicht überschätzen. Ein Behördenleiter bei der Polizei ist kein Showstar. Die meisten Leute kennen einen nicht. Und wenn ich mit Mütze und dick angezogen unterwegs bin, dann erkennt mich überhaupt niemand. (schmunzelt) Im Endeffekt bin ich nur ein Behördenleiter, wie viele andere auch. Dezember 2017

Sind Sie als Vater besorgt, wenn Ihre Kinder nachts ausgehen? Manchmal schon, das gebe ich offen zu. Das hängt vielleicht auch mit dem Alter zusammen. Je älter man ist, desto vorsichtiger wird man auch.

Haben Sie einen Trick, wie Sie damit umgehen? Leider nein. Ich sage mir immer: Es nützt ja nichts. Waren Sie dann früher weniger um Ihre Kinder besorgt? Als sie jünger waren, sind sie ja abends nicht weggegangen. Man ist mit 25 einfach anders drauf als mit Mitte 50. Man denkt etwas pauschal und nicht so weit voraus. Meistens jedenfalls. Man lebt mehr im Augenblick. Da macht man sich mit 58 einfach mehr Gedanken.

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Hat Ihre Funktion als Polizeipräsident manchmal auch Auswirkungen auf Ihr privates Leben oder das Ihrer Familie? Wenig eigentlich. Meine Söhne sind zum Studieren weggezogen, meine Frau arbeitet im Innenministerium. Da gibt es eigentlich nichts, was durch meinen Posten

Vista.Schon? Andreas Schomaker, Jahrgang 1959, stammt aus dem niedersächsischen Oldenburg. Nach absolviertem Jura-Staatsexamen in Kiel und Oldenburg und einer ersten Tätigkeit in Hamburg begann er seine Karriere in der Bezirksregierung Magdeburg. Seit 1991 ist er in Sachsen-Anhalt. Mit seiner Frau wohnt er im Magdeburger Stadtteil Ottersleben, wo auch seine beiden bereits erwachsenen Söhne aufwuchsen. Zunächst wurde er Polizeipräsident in Halberstadt, bevor er das Amt in der Polizeidienststelle Nord in Magdeburg antrat. Mit Magdeburg verbindet er Heimat, Leben und Spannung.


Andreas Schomaker

Hochschule MagdeburgͲStendal Breitscheidstraße 2 Haus 11 39114 Magdeburg Tel: 0391 886Ͳ4431 Fax: 0391 886Ͳ4531 EͲMail: stura@hsͲmagdeburg.de

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Anne Lequy >>Die Franzosen trennen nicht so scharf zwischen Arbeit und Leben.<< In ihrer Rolle als Rektorin der Hochschule MagdeburgStendal wirkt sie stets professionell. Inter.Vista lud die französische Professorin ein, um auch andere Seiten kennenzulernen. Wir wollten wissen, wie sie sich als Frau in einer Männerdomäne behauptet, wie die zweifache Mutter Familie und Beruf unter einen Hut bekommt und wie viel Frankreich nach zwölf Jahren Magdeburg noch in ihr steckt. Ganz nebenbei erfuhren wir auch eine Menge über unsere deutsche Kultur. Interview: Larissa Jung und Anne Streicher Fotos: Arlette Krickau



Anne Lequy Als Rektorin brauchen Sie eine gewisse Autorität. Sind Sie eine strenge Mutter? Französische Mütter sind vielleicht ein wenig anders als deutsche Mütter. Ich bin in einer Welt groß geworden, wo Erziehung durchaus wörtlich genommen wurde. Es ist wie bei einer Pflanze, die oft eine Stütze braucht, um gerade zu wachsen. Das französische System, in dem ich zwanzig Jahre lebte, legt Wert darauf, dass das Kind gesellschaftsfähig ist. In der Schule wird Wert darauf gelegt, dass sich das Kind integriert. Genauso wichtig ist, dass es intelligent wird und lernt. Instinktiv gehe ich so mit meinen Kindern um. Ich möchte meinen Kindern gerne viel bieten. Manchmal sagt mein Mann, dass ich sie doch mal machen lassen soll. Sich langweilen sei doch wunderbar. Das hätte ich als französische Mutter nie gesagt. Diese freie und spielerische Entfaltung ist dort weniger präsent.

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Stellen Sie sich für Ihre Kinder eine akademische Laufbahn vor? Da bin ich jetzt eher deutsch. Sie werden ihren Weg gehen mit uns als Eltern, die sie begleiten. Sie sind jetzt 12 und 14. Sie haben Appetit auf Wissen und lernen ­gerne. Aber kritisch sind sie auch. Das würde sie auf eine akademische Laufbahn gut vorbereiten. Aber wenn sie etwas Praktisches machen wollen, habe ich auch kein Problem damit. Meine Kinder sollen sich in ihrer Haut wohlfühlen. Wie hat sich Ihr Leben verändert, seitdem Sie und Ihre Familie in der Öffentlichkeit stehen? Auf Arbeit spreche ich selten über meine Familie und trenne Berufliches und Privates recht scharf. Meinen Mann sieht man kaum hier in der Hochschule. Er möchte das nicht. Er kümmert sich um viele andere Dinge unseres Alltags. Das Hoch-


Anne Lequy schulleben und die Öffentlichkeit sollen uns als Familie nicht zu sehr in Beschlag nehmen.

Wir sind keine ­konservative, ­sondern eine ­progressive, ­fortschrittlich denkende Hochschule.

Also bringen Sie mit Hilfe Ihres Mannes alles unter einen Hut? Für das Familienleben stimmt das. Ich hätte ja auch kinderlos sein können, aber dann wäre ich nicht so ausgeglichen. Es ist eine gute Balance, doch dafür braucht man Zeit. Kinder auf die Welt zu bringen, ist zwar das Schönste, das es gibt. Aber die ganze Alltagsbetreuung und sich auf die Kinder einzulassen, das braucht Zeit und ist nur bedingt mit der Aufgabe einer Rektorin zu vereinbaren. Das geht nur mit einem Partner, der sehr viel zu Hause macht. Inwiefern hat sich Ihr Berufsbild verändert, seitdem Sie Hochschulrektorin sind? Professoren und Professorinnen, so wie ich, kommen nicht mit der Absicht an die Hochschule, das Rektorat zu übernehmen. Das ist nicht die Karriereplanung. Zumindest war es nicht meine. Zuerst war ich Studiendekanin, dann Pro­ rektorin. So sammelte ich Erfahrungen und hatte nicht das Gefühl, dass ich das nicht schaffe oder dass der ›Anzug zu groß‹ ist. Es ist eine gewisse Arbeitslast sowie Verantwortung für Menschen, die man trägt. Aber es macht auch großen Spaß.

Sind Sie lieber Rektorin oder Dozentin? Ich bin sehr gerne Rektorin und früher war ich sehr gerne Dozentin. Es bot sich einfach an. Gewählt bin ich für eine gewisse Zeit. Und falls ich nicht erneut gewählt werde, bin ich wieder Dozentin. Das ist für mich kein Scheitern, wie in der Politik oder in der Wirtschaft. Man ist dann immer noch Teil des Lehrkörpers und der Hochschule. Ich kann weiterhin gestalten, natürlich anders als jetzt, aber dafür mehr mit den Studierenden zusammen.

In Ihrer Position muss man Managementfähigkeiten mitbringen. Woher nehmen Sie die? Diese Entwicklung, die ich vorhin skizzierte, ist ganz wichtig. Wäre ich sofort von der Hochschulprofessorin ins Rektoren­ amt gewechselt, hätte ich wahrscheinlich mehr Fehler gemacht. So konnte ich aber bei jeder Stufe sehen, wie die Komplexität steigt. Als Studien­ dekanin hatte ich mit verschiedenen Fachrichtungen aus demselben Fach­ bereich zu tun. Sozialwissenschaftler sind ›bunt‹ und divers, aber trotzdem für mich eine Fachkultur, die ich verstehe. Als Prorektorin ist man dann verantwortlich für eine Hochschule mit ca. 130 Professorinnen und Professoren aus vielen Fach­ bereichen. Ganz unterschiedliche: Ingenieurwissenschaften, Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Stendal, Magdeburg. Es ist wichtig, ­untereinander zu kommunizieren und die Leute miteinander reden zu lassen, damit keine Fronten aufgebaut werden. Wir sind eine Hochschule, wir haben einen Bildungsauftrag. 57


Anne Lequy

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Es ist wichtig zu kommunizieren und die Leute miteinander reden zu lassen. Ist es schwer, sich als Frau in einer Männerdomäne zu behaupten? Jein. Nein, ich denke, dass ich in einem Umfeld lebe, in dem das respektiert wird. Wir sind keine konservative, sondern eine progressive, fortschrittlich denkende Hochschule. Es hätte vielleicht nicht an jeder Uni oder Hochschule geklappt, aber bei uns klappt es. Ja, weil es Situationen gibt, die ich tagtäglich erlebe. Nicht an der Hochschule, sondern eher draußen. Dass ich die einzige Frau in einer Runde bin, kommt ständig vor. Ich bin die einzige Rektorin in Sachsen-Anhalt, die einzige Frau, die eine wissenschaftliche Organisation in der Landeshauptstadt führt. Das heißt, wenn sich wieder die ›Elefantenrunde‹ trifft, bin ich die einzige Frau. Alle anderen sind Männer. Sie sind nett und toll, Freunde und Kollegen, aber sie haben oft per se eine andere Sozialisation. Aber nicht unbedingt andere Führungsstile. In drei Punkten bin ich exotisch: als Französin, als Frau und ich bin noch relativ jung. Inwiefern sollte man als Frau in einer Führungsposition sich besonders dazu berufen fühlen, Frauen zu unterstützen? Mir geht es weniger um die Frauen an sich, sondern um die Tatsache, dass sie oft eine Minderheit sind. Teams, Organisationen und Institutionen sind gut, wenn sie heterogen sind, das ist auch wissenschaftlich untersucht. Wir machen nun mal 50 Prozent der Bevölkerung aus. Ich bin der

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Anne Lequy Meinung, wir sollten auch 50 Prozent aller Etagen in Institutionen besetzen, weil es eben die bessere Mischung ist. Wir sind keine besseren Menschen, aber es muss eine diverse Teamkultur geben.

Sie verfassten Ihre Doktorarbeit über schreibende Frauen in der DDR. Wie wichtig ist Ihnen Feminismus? Immer noch sehr wichtig, aber ich bin nicht fokussiert auf diese Geschlechtersache. Wenn man sich mit Feministinnen unterhält, merkt man, dass sie in anderen Kategorien denken. ›Gender‹ ist eine Kategorie. Dann gibt es noch ›Age‹, ›Race‹ und ›Class‹ zum Beispiel. Dass man altersund herkunftsgemischte und gerne auch sozial gemischte Teams hat, das macht es wirklich besser. Feminismus ist der politische Ausdruck für den Kampf um mehr Diversität. Ein Beispiel sind die Frauen, aber es existieren ebenso die anderen Kategorien, die ich nannte. Uns ist bei der Recherche aufgefallen, dass Sie während Ihrer Karriere verschiedene Frisuren hatten. Sind Sie denn eitel? Puuh, das ist wahrscheinlich eine Frage, die Sie einem Mann so nicht gestellt hätten! Wissen Sie, fürs Eitelsein habe ich keine Zeit. (lacht) Ich würde auch anders aussehen, wenn ich wirklich eitel wäre. Aber, mehr denn je muss ich auf mein Äußeres achten, weil damit ein Image transportiert wird. Es ist eine politische Botschaft, die man schickt. Andererseits bin ich kein Model. Ich gucke, dass ich gesund bleibe und belastbar bin. Ich versuche genug zu schlafen. Ich bewege mich ein bisschen und ernähre mich einigermaßen gesund, so dass ich arbeits60

fähig bleibe und zufrieden bin. So viel zu meiner Frisur. (lacht)

Die Stadt ist nach wie vor unfertig und vieles lässt sich noch schön prägen.

Welches französische Klischee erfüllen Sie? Das kulinarische Klischee. Ich habe große Schwierigkeiten mit der deutschen Cuisine – nach wie vor. Ich bin 25 Jahre hier und kann mich immer noch nicht mit dem deutschen Abendbrot anfreunden. Wir haben zuhause ein Agreement. Wenn ich da bin, dann gibt es kein deutsches Abendbrot, sondern was richtiges. Das typisch deutsche Abendbrot ist für mich wie picknicken. Die Kinder sind aber auch manchmal froh, wenn sie Abendbrot essen können, weil sie das auch mögen. Es gibt noch etwas, das mich beim deutschen Essverhalten irritiert. In Frankreich stehen die Essenszeiten ziemlich fest. Da gibt es klare Zeiten, wann man isst. Dazwischen isst man nicht. Aber hier wird oft zwischendurch genascht. Mittlerweile bin ich in der Hinsicht eingedeutscht. Aber den ganzen Tag essen, das war mir am Anfang fremd.

Abgesehen vom Essverhalten, was würden Sie als typisch deutsch bezeichnen? Ah! Da gibt es ein paar Wörter, die sehr viel über die deutsche Seele verraten. ›Abendbrot‹ habe ich schon genannt. Die Idee, ein Abendessen als ›Brot‹ zu bezeichnen, weil Brot so eine große Rolle


Anne Lequy

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Anne Lequy spielt, das kennen die Franzosen nicht. Dann gibt es Wörter wie ›Feierabend‹, das kann man nicht übersetzen. Ich wünsche meiner Kollegin einen schönen Feierabend, weil sie dann im übertragenen Sinne feiern kann, dass sie mit der Arbeit fertig ist. Ein ganz interessantes Gebilde! Die Franzosen trennen nicht so scharf zwischen Arbeit und Leben. Sie leben auf der Arbeit und sie arbeiten in ihrer Freizeit. Sie nehmen Arbeit mit nach Hause oder gehen ausgiebig essen während der Arbeitszeit. Also gibt es in Frankreich keinen ›Feierabend‹. Oder ›Gemütlichkeit‹, das ist auch etwas sehr Deutsches. Das können sie nicht mit einem Wort ins Englische oder Französische übersetzen, es ist eher eine Atmosphäre. Eine typisch deutsche Atmosphäre, finde ich. Würden Sie sagen, dass Sie sich davon schon etwas angeeignet haben? Beispielsweise sich nach der Arbeit freuen, Feierabend zu ›feiern‹? Nein, in meinem Job geht das nicht. Es belastet mich auch nicht, die Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Oder nehmen wir die Gemütlichkeit. Ich sehe, wenn etwas gemütlich ist, ich genieße das auch, aber ich kann das selbst nicht herstellen. Zum Beispiel die Adventszeit, mit dem Adventskalender und dem Plätzchen­ backen. Wir haben in Frankreich nur unseren Weihnachtsbaum und das war’s. Mittlerweile gibt es zwar in manchen französischen Städten Weihnachtsmärkte und es werden immer mehr Advents­ kalender gekauft. Aber die Weihnachtskultur und die Vorfreude auf Weihnachten bleiben etwas sehr Deutsches.

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Sagen Ihre Freunde oder Familien­ mitglieder in der Heimat, dass Sie typisch deutsch sind? Ja, ganz klar. Das fängt mit Kleinigkeiten an. Wenn wir uns treffen, gebe ich ihnen mittlerweile die Hand, das geht natürlich gar nicht. Die Franzosen begrüßen sich mit Küsschen. Es ist schwer für mich, immer wieder den Schalter umzulegen. Ich verliere mein Französisch ein bisschen. Ich suche Wörter und finde sie nicht mehr, weil ich sie nicht regelmäßig nutze. Auch wenn ich meine Muttersprache mit meinen Kindern spreche, ist es hier trotzdem eine Sprachinsel. Es ist nicht leicht, mein Französisch auf hohem Niveau beizubehalten. Und wie oft fahren Sie noch nach Frankreich? Nicht so oft. Meistens im Sommer und an Weihnachten, wenn es sich anbietet. Aber wissen Sie, es ist im Zeitalter von Internet kein Problem mehr, sich mit französischen News und Filmen zu versorgen. Ich habe ja alles hier vor Ort, was ich mir wünsche, bis auf einige Freundinnen von früher und die nahe Familie. Neulich sagten meine Kinder: Warum fahren wir in den Ferien schon wieder nach Frankreich? Wir wollen jetzt nach Australien oder Neuseeland!

Haben Sie in Magdeburg schon Ihr Stück Frankreich gefunden? Es gibt hier eine ziemlich starke französische Szene. Wir haben einen Stammtisch und ein Französisches Institut. Mit den Verantwortlichen bin ich gut befreundet. Wir haben einen Newsletter, in dem wir uns über alle Aktivitäten und Angebote austauschen. Es ist mehr los, als man denkt. Es gibt in Magdeburg eine große


Anne Lequy frankophone und frankophile Community. Wenn wir uns treffen, dann ist es meistens an einem ganz großen Tisch. Wie war denn Ihr erster Eindruck von Magdeburg und wie hat er sich ver­ ändert? Das ist schon eine Weile her. Einmal war ich zur Wendezeit als Studentin für ein paar Monate hier. Alles wirkte recht grau. Das ist jetzt vollkommen anders. Die Stadt ist nach wie vor unfertig und vieles lässt sich noch schön prägen. Wenn Sie die Wahl hätten, wo würden Sie am liebsten leben? Unabhängig vom Beruf. Leben und Beruf, ich kann das im Moment nicht trennen. Ich würde wahrscheinlich naturnah leben wollen, aber das ist in Magdeburg nicht schwer. Auf einer einsamen Insel möchte ich nicht sein. Lieber ein Ort, an dem man gesund essen und leben kann. Ich fahre sehr gerne Rad und möchte nicht auf ein Auto angewiesen sein. Und ich hätte gerne meine Freunde und Familie dabei.

Denken Sie, dass Sie in Deutschland bleiben werden? Es ist gut möglich. Allerdings mache ich jetzt keine Pläne für die nächsten fünfzig Jahre. Ich plane im Moment so fünf bis zehn Jahre. Für diesen Zeithorizont habe ich schon vor, in Deutschland zu bleiben, ja. Und wie sehen Sie Magdeburg in zehn Jahren? Also am 7. Dezember 2027? Dann sind wir hoffentlich Kulturhauptstadt geworden. Ich hoffe sehr, dass wir neben den abgeschlossenen Baustellen viele Bäume haben. Eine lebendige Kleinkunstszene

wäre toll, nicht nur Sport als einziges Freizeitangebot. Sport ist etwas Schönes, aber eben auch nicht alles. ­ Und ich würde mich freuen, wenn wir noch viele, kleine gemütliche Kinos haben. Dezember 2017

Vista.Schon? Prof. Dr. Anne Lequy ist 1971 in Montereau-Fault-Yonne in Frankreich geboren und lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Sie hat zwei Kinder und ist verheiratet. Als Studentin kam sie das erste Mal nach Magdeburg. Bis 2010 lehrte sie als Dozentin »Fachübersetzen für Französisch und Deutsch« an der hiesigen Hochschule. Sie übernahm dann das Amt der Pro­ rektorin für Studium und ­Lehre. Seit 2014 ist sie Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal und wurde im Februar 2018 erneut für vier Jahre gewählt. Für sie ist Magdeburg formbar, naturnah und hat genau die richtige Größe.

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Gerhard Mette >>Magdeburg war früher eine richtige Zirkusstadt.<< Er ist eine richtige ›Machdeburjer Pflanze‹ und ein vielbeschäftigter Mann. Der gebürtige Magdeburger kümmert sich nicht nur ehrenamtlich, sondern auch leidenschaftlich um das Erste Magdeburger Circusmuseum. Zudem ist er Geschäftsführer der Spezialitäten-Destillerie Abtshof. Mit Inter.Vista spricht er über besondere Requisiten im Museum, über aktuelle Probleme der Zirkuskultur und wie man trinkfest bleibt, auch wenn man täglich mit Spirituosen und Weinen zu tun hat. Interview und Fotos: Franziska Ertelt und Amelie Uding



Gerhard Mette Circusmuseum oder Zirkusmuseum? Wir halten uns an die traditionelle Schriftweise, zweimal mit C. Es gibt viele große Zirkusse, die heute noch in ihrem Titel das Wort »Circus« haben.

Bei unserer Anfahrt mit der Straßenbahn sind wir an der Haltestelle Neue Straße/Zirkusmuseum ausgestiegen. Wieso hat das Circusmuseum eine ­eigene Haltestelle? Katrin Budde, frühere SPD-Fraktions­ vorsitzende im Landtag und jetzt im Bundestag, ist Mitglied im Förderverein der ­Circusfreunde. Sie setzte sich 2011 dafür ein, dass in der Straßenbahn die Haltestelle Zirkusmuseum ausgerufen wird, damit die Leute wissen, wo sie aussteigen müssen. Wie kam es zu der Idee, einen Förderverein zu gründen? Das Ganze fing an, bevor es das Museum gab. Ich war bereits 2000 in die Gesellschaft der Circusfreunde Deutschlands (GCD) eingetreten. 2004 riefen mich Magde­burger Zirkusfans an, ob wir uns nicht regelmäßig treffen wollen. Anfangs waren wir sieben Personen. Als wir mehr wurden, bildeten wir schließlich die Sektion Magdeburg der GCD. Das Circusmuseum braucht Förderer, deshalb gründeten wir den Förderverein.

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Das Erste Deutsche Circusmuseum hatte seinen Standort zunächst in ­ Preetz. Wie kam es nach Magdeburg? Der Präsident der GCD Friedel Zschar­ schuch gründete 1974 das Circusmuseum. Er hatte auf seinem Dachboden eine private Sammlung als Museum eingerichtet. Auf Anfrage wies ihm der Preetzer Magistrat dann Räumlich-

keiten im Preetzer Heimatmuseum zu. Damals gab es dort eine starke Sek­ tion an Circusfreunden, aber als Herr Zscharschuch starb, wurde diese Sek­ tion kleiner. Schließlich konnten sie die Öffnungszeiten nicht mehr absichern. Eines Tages besichtigten sie unser ­Museum und waren so begeistert, dass sie uns fragten, ob wir die Preetzer Sammlung nicht bei uns mit ausstellen könnten. Als das Museum in Preetz 2010 schloss, kamen die ganzen Sachen mit drei LKW-Ladungen hierher. Was macht dieses Museum in Magdeburg so einzigartig? Die Vielseitigkeit der Exponate und Themen. Wir zeigen die Geschichte bestimmter Zirkusse und gehen auf bestimmte


Gerhard Mette Genres ein wie zum Beispiel Clowns, Artistik, Varieté und Dressur. Magie ist auch dabei. Wir stellen Programme, Plakate, Bücher, Fotos, Kostüme, Requisiten und Clownsfiguren aus. So wie wir es haben, gibt es in Deutschland kein weiteres Zirkus­museum.

Welcher Bereich fasziniert Sie am meisten? Einerseits Dressur. Mir gefallen Pferde, am liebsten ohne jegliches Zaumzeug. Andererseits mag ich Raubtiergruppen. Und Artistik finde ich gut. Flugtrapez­ nummern sind klasse, aber auch große Truppennummern, die mit Schleuderbrett oder der Russischen Schaukel arbeiten.

Einen Zirkus für 5.000 ­Besucher ­brauchen wir ­ nicht mehr. Stichwort Tierdressur, befürworten Sie diese? Ja, wenn sie den Anforderungen entspricht. Tiere sollten artgerecht präsentiert werden und keine Kunststücke vorführen, die ihnen nicht ›angeboren‹ sind. In den Sechzigern musste ein Elefant auf einem Dreirad fahren oder auf rollenden Kugeln balancieren. Das sind schwierige Dressur­ elemente, aber das muss nicht sein.

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Gerhard Mette Welche Ausstellungsstücke gehören zu Ihren Favoriten? Das könnten Sie mich in jedem Raum neu fragen. (lacht) Da ist der kleine, unscheinbare Ring von Sarrasani, das Kostüm der Josefine Baker, die Büste von Hans Stosch-Sarrasani und die Grabplatte vom alten Carl Krone.

Wie bekommen Sie die Exponate? Teilweise von Besuchern, die noch Sammler­stücke bei sich zuhause liegen haben. Es gibt aber auch Sammler, die verkaufen wollen. Die GCD bringt monatlich eine Zirkuszeitung raus, da gibt es eine Rubrik Sammler. Darüber kaufte ich früher eine ganze Menge, aber mittlerweile halte ich mich zurück, weil wir wirklich genug haben. Wo soll das denn alles hin?

Bei privaten Feiern ­halte ich mich zurück, aber bei Verkostungen kann ich eine Menge ab.

Wie halten Sie sich finanziell über Wasser? Durch Spenden, Eintrittsgelder und Sponsoren. Die Gelder, die ich von der Stadt kriege, bewegen sich um die 2.000 Euro im Jahr. Ich muss aber Betriebskosten und eine kleine Miete zahlen. In der Villa Wolff war das alles kostenlos, weil der Abtshof uns sponserte. Das ist heute leider nicht mehr der Fall. Das Circusmuseum befindet sich auf dem Gelände der Spezialitäten-Destil-

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lerie Abtshof. Wie passt das zusammen? Das ist durch mich bedingt. Ich bin seit 1961 im Abtshof und mittlerweile der Geschäftsführer. Die ›andere Seite von ­Gerhard Mette‹ ist eben der Zirkus und das Circusmuseum, so passt das zusammen.

Wie kamen Sie denn zum Abtshof? Eigentlich wollte ich nach meinem Abi­ tur Archäologe werden, aber zunächst musste ich den Wehrdienst bei der NVA ableisten. Dort wurde ich nach 13 Tagen aufgrund eines Herzfehlers ausgemustert. Ersatzweise sollte ich für ein Jahr in die sozialistische Produktion. Meine Schwägerin arbeitete damals im Abtshof und schlug vor, das Jahr dort zu verbringen. Also ging ich dorthin und mein Chef behielt mich danach gleich da. Ich absolvierte eine Erwachsenenqualifizierung zum Weinprüfer, studierte von 1965 bis 1968 Ingenieurswesen für Lebensmittel­ industrie in der Fachrichtung »Gärung und Getränke« in der Nähe von Dresden. Fünf Jahre später machte ich den Abschluss zum Ingenieurökonom. Zurück im Abtshof fing ich als Produktionsleiter an und wurde später Geschäftsführer. Hand aufs Herz, wie trinkfest sind Sie? Bei privaten Feiern halte ich mich zurück, aber bei Verkostungen kann ich eine ­ Menge ab. Wenn einer unserer Weinstammtische mit 16 Personen und 16 Flaschen Wein stattfindet, dann nehme ich einen kleinen Schluck und probiere, wie der Wein schmeckt. Meistens bleibe ich dann beim Besten. Bei Jungwein­ verkostungen mit 150 Proben spucke ich den Wein nachher aus. Ich schätze, ich nehme pro Probe etwa 8 Milliliter zu mir.


Gerhard Mette Welchen Wein trinken Sie denn am liebsten? Das kommt auf die Jahreszeit an. Im Winter mag ich spanischen Rotwein, weil es ein schwerer und kräftiger Wein mit viel Charakter ist. Im Sommer und in der Übergangszeit bevorzuge ich trockene Rosé-Weine oder auch Weißweine wie Weißburgunder. Aber nur deutsche, denn die besten Weißweine kommen aus Deutschland. Sie sind ein viel beschäftigter Mann. Was machen Sie, wenn Sie mal frei haben? Dann unternehmen meine Frau und ich Tagesfahrten in den Harz, in Richtung Fläming, Wörlitzer Park oder nach Potsdam. Oft besuchen wir auch Tiergärten, gehen in die Oper und schauen uns Kulturveranstaltungen an. Gerne machen wir auch Zirkusreisen. Im Januar waren

wir mit einer organisierten Busreise an drei Tagen in fünf Weihnachtszirkussen in Süddeutschland. In Monte Carlo waren wir auch schon zweimal. Da würde ich gerne nochmal hin.

So wie wir es haben, gibt es in Deutschland kein weiteres ­ZirKusmuseum.

Wann kamen Sie das erste Mal mit dem Zirkus in Berührung? Als kleines Kind nahm mich meine ­Mutter oft in die Oper oder den Zoo mit. Als wir den Zirkus besuchten, gefiel der mir besonders. Das setzte sich bis in das Erwachsenenalter fort. Das Zirkusvirus wurde mir erst in den Siebzigern durch den Magdeburger Zirkusschriftsteller und Historiker Gerhard Zapff einge-

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Gerhard Mette pflanzt. Wir waren sehr eng befreundet. Er hielt bei unseren sozialistischen Brigaden Schriftstellerlesungen und pflegte Kontakte mit Zirkussen in Ost- und Westdeutschland. Unsere Kollegen gingen dann geschlossen in jede Vorstellung der gastierenden Zirkusse. Wie sieht die heutige Zirkussituation in Deutschland aus? Sehr angespannt. Die Menschen werden heute mit so vielen Kulturangeboten überschüttet, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie zuerst machen sollen. Zudem ist alles wahnsinnig teuer. Und Tierschützer machen den Zirkussen das Leben schwer. Das alles kostet Zuschauerzahlen. Deshalb muss die junge Zirkusgeneration darüber nachdenken, wie es weitergehen soll. Die müssen ökonomischer denken

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und sich gesund schrumpfen. Einen Zirkus für 5.000 Besucher brauchen wir nicht mehr. Programme müssen zu Event­ ereignissen gestaltet werden. Man muss die Kinder heranholen, denn die ziehen ihre Eltern mit. Wie stehen die Magdeburger zum ­Zirkus? Magdeburg war früher eine richtige Zirkusstadt. Das ist heute leider nicht mehr so. Den Staatszirkus der DDR, ein Kombinat aus mehreren Zirkussen, kannte ich nur mit langen Wartezeiten und vollem Zelt. Nach der Wende änderte sich das. Nur Zirkus Probst verzeichnete noch recht gute Zuschauerzahlen. Der beendete schon damals seine Saison in Magdeburg und ist gewissermaßen hier der Heimatzirkus.


Gerhard Mette Wie sieht denn die Zukunft des Circusmuseums aus? Sollte der Abtshof mal geschlossen werden, dann kommt es darauf an, wie man mit dem neuen Inhaber klar kommt. Ansonsten wäre das das Aus. Ich habe

Die Menschen ­werden heute mit so ­vielen Kultur­ angeboten überschüttet, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie zuerst machen ­sollen.

zwar einen Nachfolger, der das noch eine Weile machen wird, aber das Schicksal ist trotzdem eng mit dem Abtshof verbunden. Deswegen hören wir uns immer um, ob wir nicht eine preiswerte Immobilie kriegen können, wo wir eine langfristige Zukunft hätten.

Wie lange wollen Sie noch ehrenamtlich im Circusmuseum arbeiten? Solange ich gesund bin und es mir Spaß macht, werde ich hier bleiben. 2019 feiert der Abtshof sein 95-jähriges Be­ stehen, das ist erst mal ein Ziel. Und dann ­schauen wir mal weiter. Januar 2018

Vista.Schon? Gerhard Mette, 1942 in Magdeburg geboren, wollte nach dem Abitur eigentlich Archäologie studieren. Durch Zufall landete er bei der Spezialitäten-Destillerie Abtshof und ist heute dort Geschäftsführer. Er ist zudem der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Erstes Magde­ burger Circusmuseum e.V. Für seine ehrenamtlichen Tätigkeiten beim Förderverein des Rehaund Behindertensports Sachsen-­ Anhalt, dem Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft und der Vollversammlung IHK wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Zu seinen Lieblingsorten in Magdeburg gehören der Rotehornpark und der Elbauen­park. 71


Bernd Ebel >>Einen Sauerteig musst du wie ein kleines Baby behandeln.<< Wenn die meisten noch von Frühstücksbrötchen träumen, steht Bernd Ebel schon seit Stunden in der Backstube. Den Geruch von frisch gebackenen Brötchen und Kuchen bekommt der Konditor nie ganz aus seiner Nase, da sein Arbeitsplatz auch sein Zuhause ist. Der Familienbetrieb besteht schon seit 117 Jahren und ist den meisten Magdeburgern als ›bester Bäcker der Stadt‹ bekannt. Was ist das Erfolgsrezept? Inter.Vista durfte mal hinter den Kulissen schnuppern. Interview und Fotos: Anne Streicher



Bernd Ebel Wo versteckt Ihr Eure Rezepte, so dass sie niemand klauen kann? Im Kopf. Was nützt mir das, wenn es irgendwo geschrieben steht? Das ist ­ keine Garantie dafür, dass es am Ende genauso schmeckt. Jeder backt anders. Schon das Backen in einem anderen Ofen unterscheidet sich in Feinheiten. Wolltest Du schon immer Konditor werden? Ja. Ich war bei meinen Eltern mit im Betrieb und wollte alles lernen. Ich bin damit aufgewachsen. Man kennt nur dieses Leben und weiß, dass es nicht so ist, wie in anderen Familien.

Seit 117 Jahren seid Ihr ein Familienbetrieb. Es gab Zeiten, als zwei Generationen an einem Arbeitsplatz arbeiteten. Wie hat das funktioniert? Das war schon schwierig wegen des Generations­konflikts. Als junger Mensch hat man andere Ideen, will vieles umschmeißen. Doch der Vater will am Alt­ bewährten festhalten, weil es schon immer so gemacht wurde.

Ich stehe Um ­Mitternacht auf und bin bis mittags in der ­Backstube.

Ihr habt das Geschäft in der DDR ­erlebt. Welche Unterschiede siehst Du zu heute? Damals gab es nur eine Sorte Brötchen, nur helle Semmeln und Misch- oder Kastenbrot in endlosen Massen. Heute gibt es mehr Vielfalt, aber in kleineren Mengen. 74

Das Sortiment wäre vom Arbeitsaufwand sonst nicht zu schaffen.

Mittlerweile seid Ihr als ›bester Bäcker Magdeburgs‹ bekannt. Was ist Euer Erfolgsrezept? Die Liebe zum Beruf. Und es anders zu machen als die anderen. Wir stehen für Frische und Qualität und sind unseren Kunden gegenüber ehrlich, wenn es um Produkte vom Vortag geht. Die Leute sollen selbst entscheiden, ob sie es kaufen wollen. Ehrlichkeit bewährt sich! Ansonsten verliert man die Kunden, die dann zum Supermarkt gehen.

Soll es weitere Filialen von Euch ­geben? Nein. Dafür müssten wir komplett neu bauen, da der Betrieb hier viel zu klein ist. Vielleicht würde auch die Qualität darunter leiden, wenn wir mehr Mit­ arbeiter beschäftigen. Ich müsste mich immer vergewissern, dass alles vernünftig abläuft. Je größer man wird, desto schwieriger ist es.

Könntest Du dir vorstellen, woanders als in Magdeburg zu leben? Nein. Mein Uropa hat schon in der Arndtstraße gebacken und meine Uroma hat die Backwaren dort auch verkauft. Diese Tradition wollte ich beibehalten. Aber hätte ich einen anderen Beruf, um mein Leben zu bestreiten, würde ich die Berge wählen. Ist Magdeburg schöner als sein Ruf? Ich weiß nicht welchen Ruf Magdeburg hat. Langweilig ist diese Stadt nicht, es gibt viel zu erleben. Wer Lust auf Pick­ nicken hat, kann das in so vielen offenen


Bernd Ebel Parks tun. Meine Familie und ich lieben unser Magdeburg.

Wir essen lieber unser eigenes Brot.

Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus? Viel Arbeit, wenig Freizeit. Ich stehe um Mitternacht auf und bin bis mittags in der Backstube. Dann schlafe ich. Nachmittags bin ich wieder im Laden, um Vorbereitungen für den nächsten zu Tag treffen. Sonntag haben wir geschlossen. Das ist der einzige Tag, an dem wir etwas Freizeit haben. Im Sommer bin ich dann viel im Garten und versuche etwas Ruhe zu bekommen. Denn ab und zu fällt doch

noch Arbeit an, die man unter der Woche nicht geschafft hat. Was ist die größte Herausforderung beim Backen? Brot. Mein Opa hat immer gesagt: »Einen Sauerteig musst du behandeln wie ein kleines Baby.« Der darf weder zu kalt noch zu warm stehen. An heißen Sommertagen ist das manchmal nicht so leicht. Dafür muss man ein Händchen haben.

Was hältst Du von industriellen ­Back­waren? Das ist ziemlich schockierend, wenn ich auf die Inhaltsliste schaue. Und die Preise sind so günstig – das kann eigentlich nicht wahr sein. Aber die Industrie wird stark gefördert, da kann man als

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Bernd Ebel

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Bernd Ebel ›kleiner Mann‹ nichts machen und muss seine eigene Sparte finden. Es ist sinnlos dagegen anzukämpfen. Wir erreichen die Kunden, die Qualität wertschätzen und diese bewusst kaufen. Leute, die auf geringere Qualität und kleine Preise aus sind, können wir nicht erreichen. Und das ist auch okay.

Meine Familie und ich lieben unser Magdeburg.

Könntest Du bei einer Blindverkostung ein Industrie-Brötchen von einem ­Bäcker-Brötchen unterscheiden? Davon gehe ich mal aus. Das Gewicht ist ausschlaggebend. Industrielle Brötchen sind groß und leicht, handwerkliche sind kompakt und schwer. Wenn du Brötchen vom Handwerksbäcker anschneidest, duften die nach Hefe, die vom Industriebäcker riechen nach Chemie. Gibt es ein typisch ostdeutsches ­Gebäck? Quarktaschen. Die machte mein Opa schon. Es kommen auch Kunden, die das Kastenbrot schon vor 45 Jahren bei meiner Oma gekauft haben und die erzählen, dass es immer noch wie damals schmeckt. Was ist das Lieblingsgebäck der Magde­­ burger? Bei uns sind es die Franzbrötchen, die meine Frau vor sechs Jahren in Hamburg das erste Mal gegessen hatte. Die wollten wir mit in unser Angebot nehmen. Wir haben sehr lange an der Rezeptur ge­ arbeitet. Das hat ›vier Teige und Wochen gedauert‹. Einige westliche Vertreter fragten uns, warum unsere Franzbrötchen so flach seien? Dazu sage ich nur: Wir wollen

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Bernd Ebel sie saftig und schmackhaft und machen bewusst Abstriche bei der Größe. Optik ist nicht alles.

Das hat >vier Teige und Wochen gedauert<.

Achtet Ihr auf die neuesten Trends? Überhaupt nicht, weil die oft kurzlebig und nicht sehr ausgewogen sind, wie beispielsweise die glutenfreie Ernährung. Die Allergien vermehren sich erst jetzt, früher gab es die alle nicht. Unsere Kunden sind meistens etwas älter und kaufen die Produkte schon seit Jahren. Altes bewährt sich eben doch oft. Hast du einen Lieblingsbäcker? Wir sind sehr wählerisch. Wir essen lieber unser eigenes Brot. (lacht) Aber wir gehen gerne in verschiedene Cafés zum Kuchen essen. Und im Urlaub suchen wir immer nach dem besten Bäcker der Gegend.

Wenn Du mal vor der Theke stehst, was lacht Dich am meisten an? Kuchen. Und dazu eine Tasse Kaffee, das ist immer etwas Schönes! Februar 2018

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Vista.Schon? Bernd Ebel wurde 1970 in Magde­ burg geboren. Den Familien­ betrieb Bäckerei Ebel führt er schon in vierter Generation. Als gelernter Konditor und Bäcker­ meister backt er zusammen mit seiner Frau und vier Mitarbei­ tern fast rund um die Uhr. Seine Tochter macht in einem anderen Betrieb ebenfalls eine Ausbil­ dung zur Konditorin. Wenn er sonntags mal nicht arbeitet, hält er sich am liebsten im Schreber­ garten auf oder spaziert mit Frau und Hund an der Elbe entlang. Als gebürtiger Magdeburger fühlt er sich seiner Heimatstadt sehr ver­ bunden. Für ihn hat sich die Stadt seit der Wende sehr entwickelt.


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Susi Brandt >>Ich bin ein fürchterlich neugieriger Mensch.<< Moderieren ist ihre Leidenschaft. Die Magdeburgerin steht unter anderem für MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE vor der Kamera. Inter.Vista erzählt sie von ihrer schlimmsten TV-Panne, wen sie gern mal interviewen möchte und was für sie typisch Magdeburg ist. Außerdem gewährt uns Susi Brandt ein paar amüsante Einblicke in ihr Privatleben. Interview: Greta Haberstroh Fotos: Arlette Krickau und Greta Haberstroh



Susi Brandt War Deine Jugend eigentlich turbulent? Ja, es war eine aufregende, voll verrückte Zeit. Mit vielen Umbrüchen, der Wende und allem, was dazu gehört. Du wolltest ursprünglich Lehrerin werden, warum dann Journalistin? Zu DDR-Zeiten wurde dir ›gerne‹ mal was von deinen Lehrern vorgeschlagen. Obwohl ich immer viel gequatscht habe, dachten sie, die wird mal Lehrerin. Aber eigentlich wollte ich schon immer Journalistin werden. Das war zu DDR-Zeiten nicht so einfach. Ich war dann froh, dass die Wende kam und ich meinen Traum verwirklichen konnte.

Ich blühe erst mittags auf. Gott sei Dank sende ich abends.

Die Moderationskarriere begann mit einem Volontariat bei radio SAW. Was durftest Du zuerst machen? Kaffee kochen und zu McDonald’s fahren, um Essen für die ganze Redaktion zu holen. (lacht) Als erstes durfte ich Nachrichtenaufsager schreiben. Ich hatte einen ganz tollen Chef, der hat mich die Aufsager auch 14 mal schreiben lassen. Das hat mich natürlich zur Weißglut gebracht, aber ich lernte viel von ihm.

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Was liebst Du an deinem Beruf? Man weiß immer worüber geredet wird, das ist toll. Ich bin ein fürchterlich neugieriger Mensch und kann so meinen Wissensdurst immer stillen. Es gehört zu meinem Job zu berichten, Dinge rauszubekommen und zu hinterfragen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Es ist toll,

wenn ich für »MDR vor Ort« unterwegs bin. Du kommst in eine Region und dann freuen sich die Menschen, weil du da bist. Man ist immer am Puls der Zeit und weiß, worüber die Sachsen-Anhalter sprechen. Hand aufs Herz, wofür schlägt Dein Herz am höchsten? Radio oder Fernsehen? Beides hat seine Vorteile. Mein ­Radio-Herz ist natürlich sehr groß, ich liebe das schnelle Reagieren, wenn etwas passiert ist. Ich mag beides gern.

Wer war Dein Lieblingsinterview­ partner? Unser ehemaliger Ministerpräsident Wolf­ gang Böhmer, den fand ich toll. Mit dem zu sprechen ist angenehm. Ich ­schätze ihn sehr. Er ist sehr klug, welt­ offen und hat eine gute Art. Wen würdest Du gerne mal inter­ viewen? Da gibt es wahrscheinlich einige. Vielleicht Trump und fragen, warum er so einen Quatsch macht. Ihn fragen, warum er so ist, wie er ist. So lange er Präsident ist, fahre ich nicht mehr nach Amerika.

Wie hast Du Dich vor deiner ersten Fernsehsendung gefühlt? Ich hatte Lampenfieber und ich wusste, dass alle Bekannten, Freunde und die Familie zugucken. Das macht einen so aufgeregt. Sonst sage ich mir immer: dreimal atmen und dann geht’s schon. Was war Deine schlimmste Panne? Ich hatte mal einen Hustenanfall, weil ich mich beim Luftholen verschluckte. Das war während einer Live-Schalte mit Kollegen aus anderen Studios. Ich konnte nur noch sagen, dass sie mit den anderen


Susi Brandt

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Susi Brandt Kollegen erstmal weitermachen sollen. In der Zwischenzeit beruhigte ich mich dann etwas, aber die Stimme war noch etwas piepsig.

Welche gute Nachricht würdest Du gerne mal in der Sendung verkünden? Dass es gibt kein Kind mehr gibt, das Hunger leiden muss. Aber das ist ja eine Weltnachricht. Auf Sachsen-Anhalt bezogen, dass kein Kind in Sachsen-Anhalt an Armut leiden muss. Das trifft ja leider auf mehr Kinder zu, als man so denkt.

Apropos Sachsen-Anhalt: Was ist für Dich typisch Magdeburg? Die Menschen sind ein bisschen spröde, aber wenn sie einmal warm werden, sind sie sehr herzlich. (lacht) Typisch Magdeburg ist für mich die Elbe, der Dom und die vielfältige Architektur, durch alle Epochen, besonders rund um den Domplatz. Ich mag, dass man überallhin nur zehn Minuten braucht. Wir haben in dieser Stadt alles, was das Leben lebenswert macht.

Du hast eine Weile in Hamburg gelebt. Was unterscheidet die beiden Städte? Die kurzen Wege. In Hamburg ist das eine Katastrophe. Für zwei Kilometer mit dem Auto brauchst du eine halbe Stunde. Da geht einfach zu viel Lebenszeit drauf.

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Wenn Du Bürgermeisterin wärst, was würdest Du in Magdeburg verändern? Ich möchte Herrn Trümper nicht in die Pfanne hauen (lacht), ich schätze ihn sehr. Was mir in der Stadt fehlt, ist eine schöne Altstadt, aber die kann man auch als Bürgermeister nicht wieder her­ richten. Durch kleine Gassen bummeln und interessante, kreative und ausgefalle-

ne Geschäfte fehlen mir. Ich bin nicht der Shoppingmall-Gänger, ich hasse das. Ich gehe auch gerne in den Städten shoppen, in die ich verreise.

Wirst Du für die Sendungen einge­ kleidet? Nein, wir müssen uns unsere Klamotten selber besorgen. Wir haben aber einen Coach der uns sagt, was zu kariert, was zu groß, zu geblümt oder eine zu krasse Farbe ist. Puffärmel und Volants lassen wir auch weg. Es sollte klassisch sein, aber man darf auch mit der Mode gehen. Bekommst Du Fanbriefe? Ja, kriege ich – und verrückte Dinge. Es gibt ganz viele liebe Zuschauer, die mir schreiben. Meistens, dass sie meine spon-


Susi Brandt tane, neugierige und lustige Art mögen und ich weiterhin so fröhlich sein soll.

Finden Deine Kinder cool, dass Du im Fernsehen bist? Sie waren noch relativ klein, als das losging. Bei dem Großen, der ist jetzt zwölf, rückt es ein bisschen ins Bewusstsein, weil er darauf angesprochen wird. Aber er tut das ganz gut ab: Mein Gott, der eine ist Lehrer, der andere Moderator. Werden aus Deinen Kindern auch mal Moderatoren? Also der Große ›quatscht die Glucke vom Nest‹ und die Kleine hat die Attitüden dazu. Wir gucken mal, wohin das führt. Aber jeder soll bitte das machen, worauf er wirklich Lust hat.

Man sagt, wer Radio macht, redet viel und gerne. Ist Dein Freund ein ruhiger Gegenpol? Ja, ich fürchte, das kann man so sagen. Er fragt auch ziemlich häufig, ob ich eigentlich auch mal fünf Minuten die Klappe halten kann. (lacht)

Autos dürfen gerne sehr stark, schnell und ­hochmotorisiert sein.

Bist Du Frühaufsteher? Wie viele ­Wecker stellst Du dir am Morgen? Ich bin ein totaler Morgenmuffel, eigentlich die ganze Familie. Ich blühe erst mittags auf. Gott sei Dank sende ich

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Susi Brandt abends. Morgen­ magazin würde nicht gehen. (lacht) Ich habe morgens nur einen Wecker, aber der ist sensationell. Statt nervender Handytöne habe ich jetzt einen irren Wecker von einer Freundin geschenkt bekommen. Der simuliert den anbrechenden Tag und wird von Minute zu Minute heller. Dazu kann ich Wellenrauschen und Vogelzwitschern einstellen. Seitdem ist das Aufwachen nicht mehr ganz so schlimm.

ganzen Familie. Wir haben eine tolle Nachbarin, die ganz viel in ihrem Garten anbaut. Dementsprechend gibt es immer frische Sachen und die Kinder bauen mit an. Das finde ich super. Ich kenne das auch noch von meinen Großeltern früher.

Du machst viel Sport. Was ist Deine Lieblings-Joggingstrecke in Magdeburg? Joggen gehe ich nicht, das ist so gar nicht meins. Das finde ich fürchterlich langweilig. Ich bewundere immer Menschen, die Gibt es ein typisches Susi Brandt-­ so lange laufen können. Ich tanze gerne lateinamerikanisch, das macht mir viel Frühstück? Ja, gerne mit meinen Kindern im Bett. Ich Spaß und ich habe einen tollen Tanzlehbereite leckere Schnittchen, Obst, Kaffee rer, mit dem ich gerade Samba einübe. und Tee vor. Das geht jetzt aber leider Ansonsten bin ich an der Hubbrücke in nur noch in den Ferien, weil beide Kinder einem kleinen Studio und mache viel Sport an der freien Natur. Im Sommer bereits in der Schule sind. schwimme ich gerne in den Seen ringsum Habt Ihr als Familie ein Lieblings­ Magdeburg oder fahre gerne Fahrrad. essen? Nudeln mit Pesto, beides selbstgemacht, Fährst Du auch mit dem Fahrrad zur und Garnelen. Darauf stehen alle in der Arbeit? Familie und wir ›stinken‹ danach immer Selten, oft mit dem Auto. Ich habe so drei Tage lang nach Knoblauch. Wir eine kleine Schwäche für motorisierte kochen und backen gerne selber mit der

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Susi Brandt Fahrzeuge. Autos dürfen gerne sehr stark, schnell und hochmotorisiert sein.

Was hast Du für ein Auto? Ich habe zum Beispiel ein altes Cabrio, das ist schon ein Oldtimer. Eine Schwalbe fahre ich auch.

Wenn die Magdeburger ­einmal warm werden, sind sie sehr herzlich.

Im Urlaub tauchst Du gerne. Was fasziniert Dich daran? Mich fasziniert – pass auf – die Ruhe! (lacht) Dass mal keiner quatscht. Die Vielfalt ist toll, man taucht in eine andere Welt ein und ist in dieser anderen Welt gefangen.

FCM oder SCM? Ich gehe sowohl zu den Fußballern als auch zu den Handballern. Die Kinder müssen auch mit. Ich bin sehr sportinteressiert. Durch den Job kenne ich auch viele Sportler persönlich. Eigentlich bemerkt man mich auch im Stadion, ich bin nämlich sehr laut und emotional. Wie verbringst Du einen Samstagabend am liebsten? Das lesen ja hier auch Freunde. (lacht) Ich gehe gerne aus und auf Partys mit Freunden. Hier in Magdeburg oder auch in anderen Städten. Ich mag außer­ gewöhnliche und schöne Locations.

Leseratte oder Filmjunkie? Ich bin eher die Leseratte. Wenn Filme, dann am liebsten Thriller oder Krimis. Ich bin ein Tatort-Fan. Manche Filme gucke

ich auch dreimal. Mir fällt dann kurz vor Ende ein, dass ich den Film schon mal gesehen habe. Darüber amüsiert sich mein Freund immer. Welche Musik hörst Du am liebsten? Ich bin noch aus meiner Jugend geprägt und höre gerne die Red Hot Chilli Peppers. Heutzutage ist ja alles etwas elektronischer, auch da kann ich abgehen. Hauptsache ich kann tanzen. Womit kann man Dir eine Freude ­machen? Zeit an einem schönen Ort mit den Kindern oder auch mal nur mit meinem Freund. Dann mit einem guten Glas Wein, einem guten Essen und einem schönen Gespräch. Oktober 2017

Vista.Schon? Susi Brandt wurde 1975 in Magdeburg geboren. Zusammen mit ihrem Freund und den zwei Kindern lebt sie im Stadtteil Diesdorf. Ihre journalistische Karriere startete sie als freie Mitarbeiterin beim Stadtmagazin DATEs und der Volksstimme. Nach ihrem Abitur absolvierte sie ein Volontariat bei radio SAW. Susi Brandts Fernsehkarriere begann 2005 beim MDR. Dort moderiert sie unter anderem »MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE« und »MDR vor Ort«. Magdeburg beschreibt sie als Heimat, unterschätzt und grün. Ihr Lieblingsort in der Stadt ist eine kleine abgelegene Bucht an der Elbe. 87


Susi Brandt

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Noch nicht genug Inter.Vista? Dann haben wir für Euch noch einiges online zu bieten. Ob Schnappschüsse aus der Redaktion, Interview-Impressionen, Selfies oder ganz eigene Formate – all das gibt es auf unseren Social-Media-Kanälen bei Instagram und Facebook. SAG.FIX ist ein Video-Format, bei dem alles ganz schnell gehen muss. Leute stellen sich hier unserem Fragenhagel. Ganz ohne Worte kommt hingegen SAG.NIX aus. Hier geht es um die Kunst, ohne Worte viel zu sagen. Eine Frage. Ein Foto. Eine Antwort. Eine Auswahl aus unserer Reihe SAG.NIX seht Ihr hier.

Interviews ohne Worte

Weihnachten bei Inter.Vista?

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Was wolltest du werden, als

Was vermisst du an deiner

du ein Kind warst?

Heimat am meisten?

Das wÄren wir ohne einander...

Auf den zweiten Blick bist du?


Susi Brandt

Euer erster Gedanke, wenn ihr an

Wie sieht es in deinem Inneren aus,

Bist du eher TagtrÄumer oder

Magdeburg denkt?

wenn du auf der BÜhne stehst?

Nachteule?

Wenn du ein Instrument deiner

Woher nimmst du deine

Und was machen Sie

Wahl lernen kÖnntest?

Inspiration?

hauptsÄchlich?

Was kam in ihrem Leben zu kurz?

Tatort oder GZSZ?

Zeig uns dein Fussball gesicht!

Mehr Interviews ohne Worte auf: www.instagram.com/inter.vista 89



Martin Otto >>Ich brauche die Musikindustrie nicht mehr. Die kann mich mal.<< Eigentlich sollte es für Martin Otto die große Bühne in Hamburg werden. Doch der Familie wegen bleibt er in Magdeburg. Seinen Kiez findet er stattdessen in Stadtfeld, wo er mit seinen Bands und privat die Kneipen und Bars ›unsicher macht.‹ Heute musiziert er allerdings nur noch, wenn er Lust darauf hat, denn hauptberuflich ist er Lehrer. Was seine Schüler zu seiner anderen Karriere sagen, was ihn mit Modern Talking verbindet und warum er heute lieber im Studio sitzt, als aufzutreten, erzählt er im Interview. Interview und Fotos: Jennifer Fiola


Martin Otto Du spielst heute mit Deiner Band im Rolandkeller in Burg. Bist Du nach 25 Jahren als Musiker noch aufgeregt? Ja, immer. Meistens kommen wir eine halbe Stunde vor dem Auftritt zusammen und wollen keinen anderen sehen. Wir konzentrieren uns nochmal, gehen raus und dann bin ich auf den Punkt da.

Hotel war die einzige Band, die ich in Magdeburg gesehen habe. Ich fand sie damals schon klasse, da hießen sie noch anders. Ansonsten kenne ich noch Stephan Michme. Guter Mann. Toll, was er macht.

In Magdeburg hört man überwiegend Techno und Electro. Was lief eigentlich, als Du mit der Musik angefangen hast? Das war mit meiner ersten Band Excuse in den Neunzigern. Wir wussten nicht, in welche Richtung es gehen soll. Dirk Wellborn war Depeche Mode-Fan, ich ­ fand U2 toll. Wir versuchten, alle mög­ lichen Stilmittel miteinander zu vereinen. Zu der Zeit kam gerade Techno auf. Irgendwann sagte ich aus Spaß, dass ich so einen Scheiß in einer halben Stunde machen könnte. Das stimmte nicht ganz. (lacht) Als der Techno-Track fertig war, hat er uns nicht gefallen. Wir haben aus Spaß dazu gesungen. Heraus kam die Band Gregory̕s Return.

Tokio Hotel war die einzige Band, die ich in Magdeburg gesehen habe.

Du hast mit Deiner Band Kosmos einen Preis als Beste Elektroband 2016 gewonnen. Was ist Dein nächstes Ziel? Ich habe mehrere Projekte. Kosmos ist ein Projekt, das mir sehr wichtig ist. Aber noch mehr am Herzen liegt mir mein Projekt Martin Otto. Ich möchte es auch solo nochmal wissen.

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Wie ist die Magdeburger Musikszene? Das hört sich vielleicht arrogant an, aber Magdeburg hat mich nie wirklich interessiert. Die Magdeburger Musik­ ­ szene soll ganz toll sein. Es gibt gute ­Musiker. Ich arbeite aber in letzter Zeit lieber mit Hamburgern zusammen. T ­ okio

Du hast in Magdeburg Gesundheitsmanagement studiert. Ein ziemlicher Kontrast zum Musiker-Dasein. Wieso hast Du Dich für das Studium entschieden? Alle sagten, ich müsse noch etwas anderes machen. Diese ›brotlose Kunst‹ könne mich nicht ernähren. Ich studierte dann parallel zur Musikkarriere. Was, das war mir damals völlig wurst. Gesundheits­ management klang irgendwie gut.

Nach dem Studium hast Du im Stadtteilbüro in Olvenstedt gearbeitet, um Praxiserfahrung zu sammeln. Dafür brannte ich genauso, wie für die Musik. Mich interessierte das Thema lokale Ökonomie, also wie mit sozial benachteiligten Menschen gearbeitet werden kann. Da sammelte ich teilweise bittere Erfahrungen. Es war trotzdem eine interessante Zeit. Was für bittere Erfahrungen waren das? Zum Beispiel veranstalteten wir einen Weihnachtsflohmarkt mit dem Ziel, dort eine alternative, komplementäre Währung einzuführen. Aber auch, um Menschen mit wenig Geld die Möglichkeit zu bieten, Weihnachtsgeschenke für ihre


Martin Otto Kinder zu kaufen. Die haben sich aber lieber am Glühweinstand für 50 Cent volllaufen lassen. Das war ein Praxis­ schock für mich.

Du bist dabei vielen Menschen be­­ ­ gegnet. Wie würdest Du die ­Magde­burger beschreiben? Sie sind das, was man Hamburgern nachsagt: ein stures und skeptisches Volk. Es dauert eine Weile, bis sie mit jemanden warm werden. Einmal aufgetaut, sind Magdeburger herzliche Menschen.

Du bist heute Berufsschullehrer. Was sagen Deine Schüler dazu, dass Du Musik machst? Ich versuche es nicht zu thematisieren. Es wissen aber mittlerweile alle Schüler,

woher weiß ich auch nicht. Ich denke, sie finden das cool. Wenn ich im Unterricht bin, sind es aber trotzdem meine Schüler. Vielleicht ist es für mich ein Bonus. Da müsstest du die Schüler fragen. Was für eine Art von Lehrer bist Du? Einer, der seinen Job liebt. Beschreiben würde ich mich als geordneten Chaoten. Ordnungsliebhaber als Lehrer, Chaot als Musiker.

Bleibt neben Deinen Tätigkeiten noch Zeit für die Familie? Ja, viel Zeit, weil ich meine Musik weitestgehend zuhause mache und nur wenn ich Bock drauf habe. Ohne meine Familie würde ich das nicht hinkriegen, sie unterstützt mich bei der Musik.

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Martin Otto Was machst Du in Deiner Freizeit? Ich spiele am liebsten mit meinen Kindern. Wenn ich Zeit für mich brauche, gehe ich gern wandern. Dabei kann ich nachdenken. Oder ich trainiere mit meinem Boxsack im Keller.

Einmal aufgetaut, sind Magdeburger herzliche Menschen.

Wo gehst Du wandern? An den Elbauen durch den Wald, wo kaum andere Menschen sind. Ich will meine Ruhe haben und keinen sehen.

Du wirkst sehr bodenständig. War das immer so? Nein. (lacht) Bodenständig war für mich immer ein Fremdwort. Ist es das, was sich irgendwelche spießigen Beamten in ihren Träumen erhoffen, also wie ein Mensch

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zu sein hätte? So war ich nie. Ich bin nur ein bisschen gereifter. Bist Du lieber Lehrer oder Musiker? Oh, gute Frage. Die sitzt. Wenn ich das eine nicht hätte, könnte ich das andere nicht machen.

Wieso? Ich brauche beides. Ich kann entspannt sein. Ich verdiene meine Kohle. Finanziell gesehen bräuchte ich die Musik nicht mehr. Vorher war es teilweise Zwang., also die Vorgaben der Plattenfirmen, wie wir etwas zu machen hätten, um in die Charts zu kommen. Jetzt bin ich frei, weil ich das Geld habe. Ich brauche die Musikindustrie nicht mehr. Die kann mich mal.

Warum bist Du Lehrer geworden? Die Idee ist ein bisschen aus der Not geboren. Ich wusste einfach nicht mehr so richtig, was ich machen soll. Meine Schwester gab mir den Tipp, dass in Burg Lehrer gesucht werden. Dazu holte ich


Martin Otto in Halle ein paar Sachen, wie die Lehr­ befähigung und Berufspädagogik, nach. Ich studierte also nochmal, um Lehrer zu werden.

Du bist seit 1992 Musiker. Was hast Du seitdem dazugelernt? Früher war ich ein sehr ehrgeiziger Mensch. Mein Ziel war, in die Charts zu kommen, im Radio und Fernsehen gespielt zu werden. Ich war fokussiert, aber auch verbissen. Selbst, als ich die Sachen geschafft hatte, wollte ich noch mehr. Ich ging durch die Plattenfirmen viele Kompromisse ein und stand nicht mehr hinter meinen Songs. Jetzt mache ich, was ich will. Ich bin geerdet. Außerdem bin ich effizienter geworden. Früher arbeitete ich an einem beschissenen Song fünf bis 14 Tage. Jetzt merke ich relativ schnell, wenn es keinen Sinn hat.

Unter welchen Umständen würdest Du mit der Musik aufhören? Gar nicht. Das ist wie eine Droge, von der ich abhängig bin. Ich bin musiksüchtig. Du bist nicht nur Sänger, sondern auch Songwriter. Hast Du auch schon für andere Künstler Songs geschrieben? Ich habe den Titelsong für das Album des jungen Star-Search-Gewinners Daniel geschrieben und komponiert. »Luckystar« war auch in den Charts. Darauf bin ich ziemlich stolz. Für Senta Sophia habe ich auch einen Song geschrieben.

Für wen würdest Du noch gerne einen Song schreiben? Die sind leider schon tot. (lacht) Nein, einen richtigen Wunsch habe ich nicht. Wer einen Song möchte, für den versuche ich einen zu schreiben.

Wie schreibst Du einen Song? Songwriting ist Handwerk. Ich arbeite immer mit einem Slogan und versuche, zu einem bestimmten Thema etwas zu schreiben. Wie der Song klingen soll, also eher mystischer oder lustiger, ergibt sich oftmals mit dem Thema. Und dann dauert es ewig, bis ich damit zufrieden bin. Was inspiriert Dich? Begegnungen. Dabei geht es nicht um den Menschen, sondern um die Themen, über die wir gequatscht haben. Inspirationen habe ich viele: meine Tochter, die Söhne oder wenn ich wandern gehe. Das kommt dann einfach.

Gibt es Künstler, die Einfluss auf Deine Musik haben? Gregor Meyle inspirierte mich. Was er von sich gibt, kann ich gut mitfühlen. Auch als Typ finde ich ihn genial. Ich höre viel elektronische Musik, wie Depeche Mode und Erasure. Diese Ikonen der achtziger Jahre lassen mich bis heute nicht los. Die Foo Fighters finde ich auch mega. Das ist komplett andere Mugge, aber die haben unglaublich viel Gefühl und Seele in den Songs. Zurzeit inspirieren mich auch die Chainsmokers. Bist Du lieber Songwriter oder Sänger? Ich glaube, lieber Songwriter. Aber ich singe auch gern. Manchmal habe ich noch Angst vor Auftritten. Früher habe ich das geliebt, aber heute bin ich lieber in meinem Studio und in der Nähe meiner kleinen Familie. Dieses Herumgereise will ich nicht mehr.

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Martin Otto Man sagt über Musiker, sie könnten ›keine Kritik ab‹. Wie sieht’s bei Dir aus? Mit Kritik konnte ich früher nicht umgehen. Wenn jemand meinen Song verriss oder harte Kritik übte, ging für mich eine Welt unter. Ich musste lernen, Kritik anzunehmen, um mich weiter zu entwickeln. Natürlich kränkt mich das immer noch. Neulich meinte jemand zu mir: Martin, das ist zwar cool, aber es klingt ein bisschen wie Schlager. Da hat er schon recht, aber was spricht eigentlich dagegen? Und was ist mit dem Klischee, dass Musiker immer lange schlafen? Habe ich erfüllt. Jahrelang. Ich war quasi ein Nachtmensch. Im Studium ging ich ab und zu nicht zur Vorlesung, weil ich zu müde war. Früher fühlte ich mich nachts am wohlsten. Da sind die Menschen entspannter. Das ist viel schöner, als die gestressten, hektischen und boden­ ständigen Leute. Ich war viel in Hamburg und Flensburg unterwegs, weil meine Produzenten da wohnten. Egal wo ich war, die Nacht war meins. Jetzt ist es anders. Um zehn bin ich müde.

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Welche Clubs kannst Du in Magdeburg empfehlen? Früher war ich oft in Stadtfeld. Das war mein Kiez. Heute sind die ganzen Kneipen leider nicht mehr da. Feuerwache, Klausener in Sudenburg, Factory, Prinzzclub. Alle Clubs, die es mal gab, habe ich ausprobiert, je nach Laune. Am meisten war ich aber in der Baracke. Das war unser Dienstagsritual. Heute bin ich am liebsten zuhause bei meiner Familie oder mache irgendwas für mich. Man sieht mich nirgendwo mehr, außer vielleicht bei Facebook. (lacht)

Du warst mit der Band Eisleben Supporter von Modern Talking. Wie kam es dazu? Die Produzenten von Eisleben hatten auch die Comebackplatte von Modern Talking gemacht. Dann hieß es, wir werden Vorband von Modern Talking. Wir, mit elektronischer Mugge, die gar nicht zu Modern Talking passte. Wir hatten immer Schiss, weil die Fans natürlich wegen Modern Talking da waren. Aber wir haben sie immer gekriegt. Genial. Und es hat Spaß gemacht. Zu Dieter Bohlen oder Thomas Anders hatten wir aber keinen Kontakt.

Egal wo ich war, die Nacht war meins. Jetzt ist es anders. Um zehn bin ich müde

Gibt es etwas, das Du immer dabei hast, wenn Du unterwegs bist? Eine Platte mit dem Relief eines kleinen Engels in meinem Portemonnaie. Ich bekam ihn als Glücksbringer irgendwann geschenkt. Ich weiß aber nicht mehr von wem. Warum bist Du hier geblieben und nicht in eine Großstadt gezogen, wie man es von einem Musiker erwarten könnte? Ich wollte immer nach Hamburg, habe da auch ganz viel in Studios gearbeitet. Ich mag die Leute, die Mentalität. Als ich Papa wurde, entschloss ich mich, hier zu bleiben. Ich hatte irgendwie nicht den Arsch in der Hose, das durchzuziehen. Jetzt habe ich hier einen sicheren Job. Es


Martin Otto ist aber nicht ausgeschlossen, dass ich das irgendwann nochmal mache.

Du arbeitest an Deinem Soloalbum. In welche Richtung geht es? Ich glaube, meine Platte wird total chaotisch. Textlich ist es eine Mischung aus sehr nachdenklich, depressiv und ein bisschen zu lustig. So ist auch die Musik. Von Happy-Joy-Pop bis sehr nachdenklich. Das ist das Verrückte. Ich mag harte Gitarren, elektronische Musik, aber auch mal was ganz Softes.

Wieso erst jetzt? An meinem Soloalbum arbeite ich schon lange. Zwischendurch hatte ich keinen Bock mehr. Ich nenne es Musikallergie. Früher habe ich bis drei Uhr nachts gearbeitet und fuhr dann auf zwei ›schlafenden Schuhen‹ zur Schule. Irgendwann wollte ich das nicht mehr. Auch gesundheitlich kam ich an meine Grenzen. Mittler­weile kriege ich es mit, wenn es nichts bringt. Ich arbeite erst an der Musik weiter, wenn von innen der Wunsch kommt. Dann wird es meistens auch gut. Kannst Du Dich an Deinen ersten Auftritt erinnern? Das war 1992 im Metropol in Magdeburg mit meiner Gruppe Excuse. Ein ganz kleiner Club. Die Bude war immer voll, wenn wir gespielt haben.

Wann war Dir klar, dass Du Musiker werden möchtest? Schon als junger Bengel. Gitarre habe ich wie ein Verrückter geübt, zwischen vier und acht Stunden am Tag. Komischerweise habe ich nie was nachgesungen, sondern mich schon früh am Songwriting versucht. Furchtbare Songs, aber das war

egal. In der Schule war ich aber ein guter Musikschüler.

Auf Deiner Facebook-Seite steht: »Ich möchte am Ende meines Lebens sagen, ich habe alles so gewollt.« Wie ist der Zwischenstand? Ich arbeite dran. Es gibt viele Sachen, die ich so nicht wollte. Aber im Großen und Ganzen kann ich das schon bejahen. Was möchtest Du noch erreichen? Hört sich ein bisschen platt an, aber ich möchte glücklich und gesund bleiben. Das gilt auch für meine Kids. Glücklich sein impliziert eigentlich alles. Ich will keinen Stress mehr haben. Juni 2017

Vista.Schon? Martin Otto ist 1972 in Burg ge­ boren. Er war Mitglied der Bands Excuse, Gregory´s Return, Highland und Eisleben. An der Hochschule Magdeburg-Stendal studierte er Gesundheitsmanagement und machte einen Master in Soziale Arbeit und Gerontologie. Seit 2013 arbeitet der dreifache Vater in Burg als Lehrer an der Berufsbildenden Schule »Conrad Tack«. Dort unterrichtet er Musik, Psychologie und sozialwissenschaftliche Themen im Bereich Gesundheit und Pflege. Zurzeit arbeitet er an seinem ersten Soloalbum und ist Mitglied der Band Kosmos. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist der Hasselbachplatz. Er beschreibt Magdeburg als klein, aber fein und grün.

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Jürgen Schmökel >>Das Handy ist meine elektronische FuSSfessel.<< Nicht nur als Direktor des Landeskriminalamtes SachsenAnhalt beobachtet Jürgen Schmökel die Entwicklung der Stadt sehr aufmerksam. Seit den Neunzigern arbeitet der gebürtige Niedersachse in Magdeburg und konnte die hiesigen Veränderungen hautnah verfolgen. Inter.Vista erzählt er von seinen ersten Wohnungen hier vor Ort, warum er Spanisch lernt, was er vom Polizeiruf hält und weshalb er Homeland etwas abgewinnen kann. Außerdem wollen wir mal wissen, wie eigentlich das LKA arbeitet. Interview und Fotos: Felizia Maertens und Jenny Wyrwiak



Jürgen Schmökel Wann hatten Sie das letzte Mal eine Waffe in der Hand? Das ist noch gar nicht so lange her. Im September auf dem LKA-Schießstand in Schricke. Ich bin Verwaltungsbeamter, kein Vollzugsbeamter, deswegen trage ich keine Schusswaffe bei mir. Und wann das erste Mal? Als ich 1976 zur Bundeswehr kam.

Was macht eigentlich das Landes­ kriminalamt? Die Arbeit verteilt sich auf den Leitungsstab und diverse Abteilungen. ­ Im Leitungsstab liegt das Informationsmanagement der internationalen und bundesweiten Zusammenarbeit in der Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere in der AG Kripo. Im Kriminaltechnischen Institut werden Spuren untersucht. In der Abteilung für die Spezialkräfte sind die mobilen Einsatzkommandos, MEK und SEK, was übrigens Spezial­ einsatzkommando heißt und nicht Sonder­ einsatzkommando. Dann gibt es noch eine Ermittlungsabteilung für die besonderen Fälle wie Betäubungsmittelund Waffenhandel, Organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und den verdeckten Bereich sowie Zeugenschutz. Zwei weitere besondere Abteilungen sind der polizeiliche Staatsschutz und das ­Cybercrime-Kompetenzcenter.

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Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus? Als Behördenleiter sorge ich für die strategische Ausrichtung und die dafür nötigen Ressourcen. Ich beschaffe Personal, kümmere mich um die Ausstattung sowie gesetzliche Befugnisse. Ich wirke in den politischen Raum hinein und gebe fachliche Stellungnahmen ab, die die

Politik aufnimmt und dann hoffentlich in Beschlüsse umsetzt. Beförderungen auszusprechen oder gelegentlich ein Disziplinar­ verfahren einzuleiten gehört auch zu meinen Aufgaben. Ich befasse mich auch mit besonderen Ermittlungsverfahren, die in einem größeren Kontext stehen. Wenn sich ein Fall zum Beispiel politisch auswirken könnte oder im Bereich des islamistischen Terrorismus liegt, muss ich ›über den Tellerrand‹ hinausblicken und Minister oder Bürgermeister informieren.

Als man mich fragte, ob ich LKA-Direktor werden wolle, habe ich sehr mit mir gerungen.

Wir haben gelesen, dass das LKA momentan ungefähr 600 Mitarbeiter hat. Kennen Sie die alle persönlich? (lacht) In meinen zehn Jahren als LKAChef habe ich bestimmt jeden schon mal gesehen und wahrscheinlich auch gesprochen. Ich kann mir aber nicht alle Namen merken. Wenn ein neues Gesicht ins Haus kommt, lasse ich es mir aber gerne vorstellen. Gibt es einen Ermittlungsfall, der ­Ihnen besonders im Gedächtnis blieb? Ja, sogar einige. Wir hatten einen sogenannten CEO Fraud. Dabei wird medial eine Fiktion aufgebaut und die Buch­ haltung eines Unternehmens hat den Eindruck, sie würde mit dem Geschäftsführer kommunizieren. Unter einem Vorwand wird der Auftrag gegeben, Gelder auf ein Auslandskonto zu überweisen. Es gelang uns, das Geld wieder zurückzuholen.


Jürgen Schmökel Ein anderer eindrucksvoller Fall war die Geschichte mit den Gasbombern. Vor ein paar Jahren sprengten Unbekannte immer wieder mit einem Gasgemisch Geldautomaten auf. Da auch Menschen in den Gebäuden wohnten, bearbeiteten wir den Fall im LKA. Wir identifizierten, beobachteten und verfolgten die Täter, bis wir sie auf frischer Tat ertappten. Mittlerweile sind sie verurteilt und sitzen ein. Was würden Sie in Ihrer Karriere als größten Erfolg bezeichnen? Was war die schwierigste Entscheidung? LKA-Direktor zu werden. (lacht) Bevor ich nach Sachsen-Anhalt kam, hatte ich schon im Bereich Sicherheit gearbeitet. Ich war beim Verfassungsschutz und Rechtsberater bei der Bundeswehr. Als man mich fragte, ob ich LKA-Direktor werden wolle, habe ich sehr mit mir ge-

rungen. Der Familienrat tagte 24 Stunden und kam zu dem Schluss, dass ich es machen soll.

Warum haben Sie mit sich gerungen? Weil das hieß, zur Polizei zu gehen. Das war für mich ein völlig neuer Ansatz, davor hatte ich Respekt. Aber ich habe es nicht bereut. Nehmen Sie Arbeit oft mit nach Hause, so dass Sie noch viel daran denken müssen? Ich muss 24 Stunden und sieben Tage die Woche erreichbar sein und werde in bestimmten Lagen angerufen. Das Handy ist meine elektronische Fußfessel. Auch wenn ich keine Arbeit in Papierform nach Hause mitnehme, ereilt sie mich durch Kommunikationsmittel manchmal doch.

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Jürgen Schmökel Seit 2013 ist der Polizeiruf aus Magdeburg im Ersten zu sehen. Arbeiten Sie mit den Produzenten zusammen? Nein. Wir kriegen gelegentlich Anfragen, ob wir Requisiten zur Verfügung stellen können. Zum Beispiel sollten wir mal ein Mikroskop leihen. Ansonsten unterstützt eher die Polizeidirektion Magdeburg die Dreharbeiten.

Sehen Sie sich die Filme an? Das ist Fiktion und Unterhaltung, das hat nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun. Wenn es gutes Entertainment ist, dann schau ich’s mir an. Ich messe es nicht am Realitätsgehalt, denn dann dürfte ich es gar nicht gucken. Wenn die eine DNA-­Probe finden und ihrem Assistenten geben sagt der zehn Minuten später: Wow, ich habe ein Match. So schnell geht das nicht.

Es gab überhaupt kein Nachtleben, ­stattdessen wurden um 21 Uhr die ­Bürgersteige hochgeklappt.

Was sehen Sie stattdessen gern? Ich habe ein Sky-Abo und samstags guck ich immer gern Fußball. Als Fan von Hannover 96 ist das schwer genug. (lacht) Sonst schaue ich auch Serien auf Amazon Prime oder Netflix. Homeland hab’ ich gesehen, da kam die Berufsaffinität ein wenig zum Tragen.

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In Ihrer Position müssen Sie sehr organisiert sein. Sind Sie das auch privat? Ich bin eher der ordentliche Typ. Meine Sachen muss ich da wieder abholen, wo ich sie abgelegt habe. Wenn meine Frau

etwas woanders hinlegt, dann finde ich es nicht mehr. Aber wenn ich etwas woanders hinlege, findet sie es immer. (lacht) Sie ist die Meisterin im Chaos.

Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit? Momentan lerne ich an der Volkshochschule Spanisch. Früher habe ich auch Fußball und Tennis gespielt. Heute laufe ich noch und mache Muskeltraining. ­Ansonsten lese ich gerne.

Warum lernen Sie Spanisch? Ich mache gerne Urlaub in Spanien und will mich auch verständigen. Vor allem möchte ich verstehen, was auf den Speisekarten steht. (lacht) Haben Sie einen Lieblingsplatz oder ein Lieblingsrestaurant in Magdeburg? Vielleicht das Lago, die Pizzeria am ­Universitätsplatz.

Wie war Ihr erster Eindruck von der Stadt? Ziemlich schrecklich. Im Dezember 1990 sind wir hergefahren. Die Bäume waren kahl, die Häuser grau und verrußt. Über Magdeburg hing eine Wolke aus Kohleabgasen von den Heizungen. Das konnte man sehen und riechen, was ziemlich ernüchternd war. Das lag aber auch am Winter. Dieser Eindruck hat sich jedoch nicht verfestigt.

Wo war Ihre erste Wohnung? Das war das Bauarbeiterhotel in der Erzbergerstraße. Später waren es die Triton-Towers, zwei Hochhäuser, die dann abgerissen wurden. Danach zog ich mit einem Kollegen in eine Wohngemeinschaft über dem Kartoffelhaus. Das gibt’s


Jürgen Schmökel

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Jürgen Schmökel ja leider auch nicht mehr. Schließlich habe ich am Universitätsplatz gewohnt und dann wieder in Olvenstedt. Heute leben wir etwas außerhalb.

Momentan lerne ich an der Volkshochschule Spanisch.

Was sind seitdem für Sie die bedeutendsten Veränderungen in Magdeburg? Wie wenig Gaststätten es damals am Hasselbachplatz gab. Die konnte man an einer Hand abzählen. Es gab überhaupt kein Nachtleben, stattdessen wurden um 21 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Die Stadt hat sich wahnsinnig positiv entwickelt. Eine lebendige Kneipenszene und viele Restaurants unterschiedlicher Convenience. Im kulturellen Bereich hatte Magdeburg schon immer etwas zu bieten. Welche Begriffe fallen Ihnen spontan zu Magdeburg ein? SKET und SKL. Schwermaschinenkombinat Ernst Thälmann und Schwermaschinenbau Karl Liebknecht. Damit war ich konfrontiert. Magdeburg war einmal die Stadt der Schwerindustrie und des Maschinenbaus. Buckau ist heute eine Industrieruine, da waren die großen ­ Betriebe. Ansonsten ist Magdeburg sportlich und im Handball wie im Fußball wieder im Kommen.

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Welche Orte würden Sie einem Freund zeigen, der Sie in Magdeburg besucht? Hier gibt es viele schöne Orte. Die Hegelstraße wurde restauriert. Der Rotehornpark oder der Herrenkrug sind auch gute Beispiele für Konversion. Die Russen hatten dort ihren Übungsplatz

und eine Kaserne. 1994 hinterließen sie ein verwüstetes Gelände, aber heute ist es wieder rekultiviert. Man kann an der Elbe spazieren gehen. Das Bahnhofsviertel gedeiht und wächst. So können die Wunden einer Stadt verheilen. Januar 2018

Vista.Schon? Jürgen Schmökel, geboren 1956, ist seit März 2008 Direktor des Landes­kriminalamtes SachsenAnhalt. Er studierte Rechts­ wissenschaften in Kiel und arbeitete mehrere Jahre lang im Innenministerium und beim Verfassungsschutz. Zuvor war er Rechtsberater bei der Bundeswehr. Als er 1990 erstmals nach Magdeburg kam, war sein Eindruck eher durchwachsen. Das ist mittlerweile anders, denn er sieht die Stadt seit langem auf einem guten Weg. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. In seiner Freizeit lernt er unter anderem Spanisch.


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MAdeleine Linke >>Wenn sie merken, dass ich Ingenieurin bin, sind alle erstmal geschockt.<< Ist die Zeit der Studentenbewegungen vorbei? Sind nur noch Partys und Regelstudienzeit angesagt? Auf keinen Fall. Madeleine Linke zeigt, was Studierende auch heute noch alles bewirken. Inter.Vista erzählt sie, warum sie unbedingt nach Magdeburg wollte, warum gendergerechte Sprache wichtig ist und wie sie als junge Ingenieurin und Politikerin auch mit Sexismus zu kämpfen hat. Außerdem erfahren wir, was es bedeutet, 3.000 Kilometer zu Fuß zu gehen. Interview und Fotos: Marco Starkloff



MAdeleine Linke Wie sieht eine normale Woche bei Dir aus? Ich studiere in Teilzeit und habe daher nicht so viele Lehrveranstaltungen wie meine Kommiliton*innen. Nach dem Mittag habe ich öfter Sprechzeit im StuRa oder im Nachhaltigkeitsbüro der Uni. Abends dann oft Kommissionen, Sitzungen, Ausschüsse oder Stammtische. Wenn ich dann noch Zeit finde, mache ich Sport.

Was macht eigentlich der Studierendenrat? Partys und Feste veranstalten? Nein, das machen eher die Fachschaftsräte. Wir sind tatsächlich kein Party­ verein. Der StuRa ist ein Gremium, das vom Landeshochschulgesetz vorgeschrieben und demokratisch gewählt ist. Wir sind eher Servicedienstleister für die Studierenden. Vor allem aber sind wir ein demokratisches, selbstverwaltetes Organ. Wir vertreten die Interessen der Studieren­ den und äußern uns zu hochschul- und allgemeinpolitischen The­men. Mit unserem Geld fördern wir zum Beispiel Kulturveranstaltungen und studentische Projekte.

Wie viel kann der StuRa bewirken? Wir haben viele Mitbestimmungsrechte und studentische Vertreter*innen in den meisten Gremien. Die sind jedoch nicht paritätisch besetzt. Wir sind nie in der Mehrheit. Im Senat können wir zwar unsere Meinung äußern, aber am Ende haben wir nur vier von 23 Stimmen.

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Ist das nicht demotivierend? Auf jeden Fall. Man kann leider nicht so viel beeinflussen und das wird uns auch immer wieder vermittelt. Da hört man öfter, dass wir doch noch gar keine Lebenserfahrung besitzen. Es ist schon

krass, wie groß die Kluft zwischen Professor*innen und Studierenden sein kann.

Ist es nicht merkwürdig, wenn man dann ein Seminar von Dozent*innen besucht, mit denen man im Senat stritt? Definitiv. Schade, dass diese Hierarchien an Hochschulen noch existieren. Natürlich ist es wichtig, dass man sich einbringen und beschweren kann, aber man hat auch immer Angst, bei einer Prüfung oder generell schlechter behandelt zu werden.

Wer bekannt ist, wird gewählt.

Hast Du das persönlich schon zu ­spüren bekommen? Mich kennen viele Dozent*innen. Es gab schon Momente, in denen ich die Hierarchien spürte und wusste: Okay, jetzt sollte ich leise sein, sonst hätte das Auswirkungen auf mein Studium.

Wie überzeugst Du die Studierenden davon, Dich zu wählen? Durch das Programm, das wir als Grüne Hochschulgruppe vertreten. Inzwischen kennen mich viele Leute und wissen, dass ich gute Arbeit mache. Am Ende will keiner 1.000 Prüfungen in einer Woche schreiben, oder dass ein Studiengang abgeschafft wird. Sie wissen, dass ich mich für diese Belange einsetze. Oft ist es aber eine Beliebtheitswahl. Wer bekannt ist, wird gewählt. Was ist das Skurrilste, was du im Umgang mit Studierenden erlebt hast? Häufig kommen sie mit Problemen zu uns. Wir vergeben Sozialdarlehen an


MAdeleine Linke Studierende, die sehr tief in der Klemme sitzen. Manche haben zwar Geld auf ihrem Konto im Ausland, aber kommen nicht ran. Andere bekommen ein Kind, aber die Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Entbindung nicht. Einfach unvorstellbar. Das macht mir immer wieder bewusst, wie privilegiert wir hier eigentlich leben. Wärst Du manchmal gerne einfach nur eine ›normale‹ Studentin? Das werde ich oft gefragt. (lacht) Nein, ich bin sehr zufrieden und heilfroh, dass mich das Studium politisiert hat. Es macht mir Spaß, mich für solche Themen zu engagieren. Es ist mein Lebensinhalt,

Sachen zu verbessern, Probleme zu beheben und mein Lebensumfeld positiv mitzugestalten.

Was ist richtig: Studentenrat oder ­Studierendenrat? Studierendenrat. Schon seit sehr langer Zeit. Für mich ist das sehr wichtig, das gebe ich zu.

Wieso ist gendergerechte Sprache so wichtig? Ich bin mir bewusst, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Es ist auch wissenschaftlich belegt, dass sich Frauen nicht angesprochen fühlen, wenn man sie mit männlichen Bezeichnungen konfrontiert.

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MAdeleine Linke

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Das verstärkt Strukturen. Sprache soll alle inkludieren.

Bist Du Feministin? Auf jeden Fall. Es hat mich anfangs etwas Überwindung gekostet, das so zu sagen. Ich hatte das Gefühl, dass es mich stigmatisiert. Heute kann ich mich frei dafür einsetzten.

lasst euch von den vielen kleinen und ­unkommerziellen ­Veranstaltungen inspirieren.

Hast Du persönlich schon Sexismus erlebt? Ja. Hier vor Ort ist es nicht so schlimm, aber ich bin ja auch bundesweit ­unterwegs. Dort bekomme ich häufig zu spüren, dass ich jung und eine Frau bin. Wenn ich über Energiepolitik rede, denken viele, dass das ›Hippiemädchen‹ sowieso keine Ahnung hat. Wenn sie merken, dass ich Ingenieurin bin, sind alle erstmal geschockt. Ich habe im Bachelor Maschinenbau studiert. Wie revolutionär sind die Unis und die Studierenden heute noch? Ich lebe natürlich in einer Blase, in der viel passiert. Aber nach wie vor sind Studierende verantwortlich für kritische Töne in der Gesellschaft. Es gibt viele Proteste, sei es in Berlin mit dem Tarifvertrag Stud, bei dem es darum geht, dass die studen­tische Bezahlung verbessert wird oder hier vor Ort, als wir uns gegen die Schließung der Fakultät für Human­ wissenschaften

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MAdeleine Linke einsetzten. Natürlich tragen das nicht alle mit von den über 13.000 Studierenden. Es ist nur ein kleiner Teil, der wirklich aktiv ist. Wenn Studierende sich jedoch wirklich bedroht fühlen, dann gehen sie auch auf die Straße.

Ich wusste eigentlich nicht, was es heiSSt, zu studieren.

Warum willst Du 2019 für den Stadtrat kandidieren? Weil ich Sachen positiv beeinflussen möchte und das Gefühl habe, dass es noch zu wenig Menschen im Stadtrat gibt, die wirklich für ihre Überzeugung einstehen. Ich möchte diese Stadt, die ich sehr lieb gewonnen habe, mitgestalten. Ist es schon lange Dein Wunsch, Dich so zu engagieren? Tatsächlich habe ich mich erst spät politisiert, als Kind wollte ich aber schon Ingenieurin werden. Ich war kein 08/15Kind. Aufgewachsen auf dem Dorf, war ich viel spazieren und sammelte Müll auf. Oft fühlte ich mich dort auch eingeengt. Es gab keine Kultureinrichtungen, nichts wo man sich treffen konnte. Hier dagegen gibt es alles. In Magdeburg kann ich mich frei entfalten, das finde ich super.

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Welche Rolle spielt Natur für Dich als Stadtmensch im Alltag? Eine ziemlich große. Ich verbringe viel Zeit draußen. Auch wenn es so klingt, als wäre ich nah am Burn-Out, ich bemühe mich, sehr achtsam mit mir umzugehen. Oft gehe ich spazieren und bin in einem Gemeinschaftsgarten aktiv. Wann immer

sich die Gelegenheit bietet, fahre ich mit dem Fahrrad raus ins Umland.

Wie ökologisch lebst Du privat? Ist bei Dir alles vegan, bio und lokal? Ich sehe mich als Multiplikatorin, die nicht versucht, die Leute lange zu überreden, sondern durch ›Vorleben‹ zu überzeugen. Privat lebe ich tatsächlich sehr minimalistisch. Das heißt Zero Waste, Bio und Vegan. Abgesehen davon, dass ich manchmal Käse esse. (lacht) Das meiste Geld gebe ich daher für Essen aus.

Ist es schwierig, das in Magdeburg umzusetzen? Früher hatten wir Webseiten, auf denen wir uns absprachen, wo man unverpackten Kaffee bekommt. Das ist mit den zwei Unverpacktläden in Magdeburg nun einfacher geworden. Ich mache zum Beispiel auch Crèmes und Shampoo selbst. Außerdem gärtnere und sammle ich viel.

Wie verbringst Du Deine Freizeit? Mein Leben besteht überwiegend aus Politik und ein bisschen Sport, was sich gut kombinieren lässt. Viele Wochenenden bin ich zu Sitzungen oder Weiterbildungen bundesweit unterwegs. Manchmal bleibe ich auch noch einen Tag länger und gucke mir die Stadt an. Die meisten Studierenden gehen oft feiern. Du auch? Ich bin nicht so der Party-Typ. Ich treffe mich viel mit meinen Freund*innen, wir kochen und unternehmen Dinge gemeinsam. Viele sind auch im politischen Kontext aktiv und wir organisieren dann gemeinsam die Veranstaltungen, zum Beispiel das Vakuum-Festival. Das entspricht


MAdeleine Linke

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MAdeleine Linke schon eher einer Party. Da bleibe ich auch lange, obwohl ich kein Nachtmensch bin.

Wenn Du eine Woche frei hättest, was würdest Du tun? So richtig hört die Arbeit nie auf. Auch wenn ich mal eine Woche frei habe, führe ich Gespräche mit Entscheider*innen oder schreibe Positionspapiere. Gerade sind ja Semesterferien und ich genieße es, auszuschlafen. Oder ich sortiere Sachen aus, so dass ich noch weniger Dinge in meiner kleinen Wohnung haben kann. (lacht) Was hat Dich dazu bewogen, aktiv zu werden? Einen konkreten Auslöser gab es nicht. Es begann damit, dass ich zur Grünen Hochschulgruppe ging. Dort fing ich an, kleine Veranstaltungen zu organisieren und zu moderieren. Dann waren Gremienwahlen und ich kandidierte vor vier Jahren das erste Mal für den StuRa und den Senat.

Du hast Maschinenbau im Bachelor und Nachhaltige Energiesysteme im Master studiert. Wie kam es dazu? Ingenieurin für erneuerbare Energien wollte ich schon immer sein. In der ­Schule

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war ich sehr gut in Mathe und Physik. Ich wusste eigentlich nicht, was es heißt, zu studieren. (lacht) Niemand in meiner Familie hat studiert. Ich wollte unbedingt nach Magdeburg. Mit Maschinenbau studierte ich erstmal was Allgemeines, konnte mir aber darunter zunächst wenig vorstellen. Ich redete mir ein, dass es total cool sei. Allerdings musste ich dann einsehen, dass es mit meinen Moral­ vorstellungen nicht ganz übereinstimmte. Durchgezogen habe ich es dann trotzdem. In meiner Bachelorarbeit ging es dann schon in Richtung Nachhaltigkeit. Nach einem Brückensemester fing ich an, Nachhaltige Energiesysteme im Master zu studieren. Damit bin ich glücklich und bald fertig.

Warum wolltest Du unbedingt nach Magdeburg? Mein Onkel wohnte hier und immer, wenn wir ihn besuchten, war es sehr schön. Viele Parks, viel Grün. Es war auch ein guter Kompromiss zwischen weit weg genug von zu Hause, aber noch ausreichend nah dran, um preiswert und kurz hinzufahren. Außerdem ist die Stadtgröße perfekt für mich. In Berlin wären mir zu viele Menschen, zu viele


MAdeleine Linke Optionen. Wahrscheinlich gäbe es da auch nicht so viele Einflussmöglich­ keiten wie hier. Vermisst Du manchmal Dinge aus ­Deiner alten Heimat? Meine Freund*innen werden jetzt lachen. Pferde. Die Natur vermisse ich schon. Einfach aus dem Fenster in die Weite gucken und nur Tiere und Bäume zu sehen.

Wie waren Deine ersten Tage an der Uni? Die Einführungstage bestanden traditionell aus sehr viel Alkohol, Kennenlernen und chaotischem Einschreiben für Kurse. Ich war davon total überfordert, was mich nachhaltig prägte, so dass ich jetzt die progressiven Einführungstage mitorganisiere. Ich versuche Studierenden einen anderen Start zu ermöglichen, abseits von Alkoholexzessen und Zwängen. Wo ist Dein Lieblingsort in Magdeburg? Die Schrote und die Goethestraße in Stadtfeld. Ansonsten bin ich gern einfach an den Gewässern. Manchmal fahre ich mit dem Fahrrad ganz ohne Plan und lasse mich überraschen.

Was sollten Studierende in Magdeburg unbedingt gesehen haben? Ich empfehle eine Fahrradtour zum Wasser­straßenkreuz. Aber der beste Tipp ist: Wartet den Sommer ab und lasst euch von den vielen kleinen und unkommerziellen Veranstaltungen inspirieren. Es gibt viel Subkultur, so viele Sachen, die man erleben kann, einfach treiben lassen. Viele Veranstaltungen, die stattfinden, weil Menschen Bock drauf haben, sie zu machen.

Welche Vision hast Du für Magdeburg? Eine Stadt, in der Menschen sich gerne aufhalten und leben. Alle Wege sollten zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Nahverkehr einfach zu erledigen sein. Wir brauchen Orte mit Aufenthaltsqualität und weiterhin bezahlbaren Wohnraum für alle.

Gibt es was, dass die Welt über Dich wissen sollte? Nach dem Abitur habe ich einmal Neuseeland 3.000 Kilometer zu Fuß durchquert. Das war eine krasse Erfahrung für mich. Mit 19 Jahren jeden Tag seine Kilometer machen, den Berg hoch kraxeln, Flüsse durchqueren – das war schon ziemlich anstrengend. Das hat mein Durchhaltevermögen und die Liebe zur Natur weiter gestärkt. März 2018

Vista.Schon? Madeleine Linke, Jahrgang 1992, wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe von Braunschweig auf. Sie sitzt als sachkundige Einwohnerin im Ausschuss Umwelt und Energie der Stadt Magdeburg und will bei der Kommunalwahl 2019 selbst in den Stadtrat einziehen. Als Mitglied des Studierendenrats der Otto-von-Guericke-Universi­ tät setzte sie sich jahrelang für die Rechte der Studierenden ein. Unter anderem organisierte sie die Ökosozialen Hochschultage und das Vakuum-Festival. 115


Benjamin Motzkus >>Wir wollten hier kein Schaukelparadies wie im Disneyland.<< Er weiß, wie es von der Idee eines Hinguckers zur Elbschaukel kam. Er mag es handfest, grün und idyllisch. Und er sieht im Pendeln kein Problem: Benjamin Motzkus. Im Interview mit Inter.Vista erzählt er Sachen, die ihr noch nicht über die Elbschaukel wusstet, warum es keine Bank wurde und warum es schön ist, sich auch mal zurückzulehnen und den ›Jungschen‹ zuzusehen. Interview und Fotos: Jana Bierwirth



Benjamin Motzkus Auf Facebook nennst Du Dich »Onkel Ben«. Wie kommt’s? Ich bin Onkel. Meine Schwester hat zwei süße Kinder. Ich war total euphorisch, als sie mir sagte, dass sie schwanger ist. Da wollte ich das bei Facebook sofort ändern. Ich durfte aber erst, als Anton, das erste Kind, geboren war. Da war ich so stolz, dass ich mich in Onkel Ben umbenannte. Ich bin eben ein Familienmensch. Du arbeitest in Köln, wieso nicht in Magdeburg? Nach meinem Maschinenbaustudium war ich drei Jahre lang selbstständig. Ich merkte aber, dass Selbstständigkeit nicht das Richtige für mich ist. Unverhofft kam dann das Jobangebot auf der Baustelle in Köln. Da ich ein praktischer Mensch bin und weniger Bürohengst, erschien mir das als die goldene Mitte. Ich kann im Büro arbeiten und an der Front auf der Baustelle mithelfen. Ich kann sehen was passiert, wie der Bau fortschreitet und bin direkt am Endkunden.

Es war nie unsere Absicht, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir ­wollten ­lieber im Hintergrund ­bleiben und uns nicht damit brüsten.

Planst Du irgendwann zurückzu­ kommen? Wenn es für mich den entsprechenden Job hier gäbe, dann käme ich gerne zurück. Mein Herz schlägt immer noch für Magdeburg. 118

Wie kam es zu der Idee mit der ­Schaukel? Das ist schon ein bisschen länger her. Wir haben einen Verein, den wir Tor 5 nennen. Irgendwann taten wir uns mit den Urbanpiraten zusammen. Daraus entstanden die Torbanpiraten. Damals war unter der Hubbrücke eine Outdoorkinoveranstaltung. Danach ging es mit Musik weiter. Wir überlegten, ob man hier nicht noch einen kleinen Hingucker platzieren könnte. Und dann kamen wir auf die Idee, eine Schaukel zu bauen.

Die Idee stand. Aber wie kam das ­Projekt dann ins Rollen? Am Anfang war es ganz einfach. Mit einer Baubohle, Schaukelhaken und ein paar Seilen aus dem Baumarkt haben wir die erste Schaukel montiert. Wir ließen sie über Nacht hängen und am nächsten Tag war sie weg. Danach hingen wir sie erneut auf. Die Schaukel erfreute sich schnell großer Beliebtheit. Sie hing dann auch eine Weile, bis Vandalen die Seile durchschnitten. Danach wurden wir angesprochen, ob wir die Schaukel nicht wieder hinhängen wollen. Diesmal mit Spendengeldern, die uns ermöglichten, eine massivere Schaukel zu bauen. Mehr Sicherheit und mehr Stabilität. Wir haben uns mit einem Tischler und mit einem Seilhersteller zusammengesetzt, mit denen wir die Möglichkeiten ausloteten.

Wie läuft das heute mit der Finanzierung? Es fing an mit einer Crowdfunding-Aktion. Darum hatten wir gar nicht gebeten, aber die Leute wollten diese Schaukel und unterstützen uns finanziell. Heute finanziert sich alles nach wie vor durch Spenden. Unsere Ausgaben machen wir


Benjamin Motzkus

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Benjamin Motzkus

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transparent. Wir selber wollen nichts dafür haben.

Habt Ihr die Schaukel nachts auf­ gehängt? Das aller erste Mal haben wir es tagsüber gemacht. Da sagt keiner was. Wenn man so autoritär auftritt denken alle, dass das schon seinen Grund hat. Dreistigkeit siegt eben.

Früher hatte man Zeit, aber kein Geld und heute haben wir Geld, aber keine Zeit mehr.

Die Hubbrücke steht unter Denkmalschutz. Hattet ihr nicht Sorge, dass die Schaukel einfach wieder abgehängt werden könnte? Vom Denkmalamt hätte was kommen können, aber da die Hubbrücke in privater Hand ist und wir keine baulichen Veränderungen vorgenommen haben, bekamen wir das mit einem Augenzwinkern durch. Man sagte uns sogar von offizieller Seite, dass unser Projekt toll ist.

Wurden jetzt Vorsichtsmaßnahmen getroffen, damit die Schaukel nicht wieder abgeschnitten werden kann? Die ist jetzt richtig massiv. Ab und zu wird sie etwas beschädigt, aber da sie jetzt an einem Seil mit Stahlkern hängt, ist sie ziemlich schwer zu verwüsten. Einfach mit dem Taschenmesser kann man die nicht mehr durchschneiden. Die Ösen haben wir mit Schraubensicherungslack versehen. Wir können sie nicht so schützen, dass gar nichts mehr passiert. Aber wir hoffen auf den gesunden Menschen-

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Benjamin Motzkus verstand, dass die Schaukel nicht mehr kaputt gemacht wird. Es ist unfair gegenüber denen, die die Schaukel gut finden. Wir müssen sie nur regelmäßig warten, damit es für alle sicher ist.

In einem Artikel der Volksstimme heißt es »die anonymen« Organisatoren. Warum wolltet Ihr anonym bleiben? Wir haben uns immer ein bisschen schwer damit getan, zu sagen, wer wir sind. Es war nie unsere Absicht, an die Öffent­ lichkeit zu gehen. Wir wollten lieber im Hintergrund bleiben und uns nicht damit brüsten. Da waren wir uns alle einig. Wir wollten einfach was cooles machen. Dass es so gut ankommt, damit hätten wir nie gerechnet.

Warum eine Schaukel und keine Bank? Das hat sich irgendwie so mit der ­Brücke angeboten. Bänke gibt es schon so viele und eine Schaukel ist ein kleines Stück Kindheit. Wann geht man schon

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mal wieder schaukeln als Erwachsener? Schaukeln ist für alle Altersklassen. Wir hatten sogar die Idee von einer ­Schaukel-App, die einem anzeigt wo sich die nächste Schaukel befindet.

Früher war ich grimmig, wenn Leute ­weggezogen sind.

Plant Ihr noch mehr Schaukelprojekte? Nein, denn wir wollten hier kein Schaukel­ paradies wie im Disneyland. Der Spot lebt davon, dass man eine Schaukel hat. Und mit der Kulisse ist sie auch schon irgendwie zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Und wie sieht es mit weiteren kleinen Attraktionen für Magdeburg aus? Ist da was in Planung? Schwierig. Wir hatten darüber anfangs nachgedacht, aber da wir keine Studen-


Benjamin Motzkus ten mehr sind und jeder sein Berufs­ leben hat, ist das alles etwas eingeschlafen. Wir besinnen uns eher auf die Dinge, die wir mit Herzblut machen, wie das Draußenkino, das Fahrradkino oder das Tischtennisturnier. Es fehlt die Zeit. Wie heißt es doch gleich? Früher hatte man Zeit, aber kein Geld und heute haben wir Geld aber, keine Zeit mehr. Da ist was Wahres dran. Wir sind aber alle noch in Kontakt, trinken gerne mal ein Bierchen und spinnen uns ein paar Ideen zusammen. Aber es ist schön zu sehen, dass die Szene weiter aktiv ist. Zum Beispiel die Festival-Organisa­ tionstruppe von der OVGU. Es finden sich immer neue Leute, die sich dem annehmen und sich verwirklichen wollen. Und für uns ist es auch super, auf Veranstaltungen zu gehen und zu gucken, was die ›Jungschen‹ so machen. Dass ich den Spruch mal bringe. (lacht) Wir sind froh, dass wir das gemacht haben und der Stadt einen kleinen Stempel aufdrücken konnten. Was fällt Dir als Erstes ein, wenn Du an Magdeburg denkst? Zweite Chance.

Wieso zweite Chance? Man muss Magdeburg auf dem richtigen Fuß erwischen. Wenn man einen falschen Einstieg hat, sieht man nur Plattenbau, alte verlassene Häuser und unfreundliche Menschen. Deshalb ist es für mich wichtig, auch eine zweite Chancen zu geben, um die Schönheit der Stadt kennenzulernen. Was macht Magdeburg für dich so besonders? Das Familiäre. Wenn man hier aufgewachsen ist, dann kennt man die Leute. Es ist so eine Verbundenheit, wenn man

auf Veranstaltungen geht. Wie ein großes Klassentreffen. Man ist hier verwurzelt. Magdeburg hat auch eine schöne Lebensgröße. Manche vermissen hier das Großstadtflair, aber ich gar nicht. Wir haben unsere Innenstadt, den Hasselbachplatz, den Stadtpark. Die Elbe macht natürlich auch viel aus. Früher war ich grimmig, wenn Leute weggezogen sind. Ich dachte, die Leute lassen die Stadt im Stich. Aber viele sind wiedergekommen.

Welche besonderen Ziele hast Du für Dein Leben? Glücklich werden und eine Familie gründen. Mit einem Haus tue ich mich schwer. Ich würde lieber etwas Altes renovieren. Ich brauche keinen Luxus wie einen Audi Q5 vor der Haustür. Ich habe mir vor zwei Jahren eine Bulli T4 (VW-Bus, Anm. d. Red.) gekauft. Mittlerweile habe ich ihn durch die Reparaturen zweimal bezahlt. Es ist ein altes Auto, aber es ist mir ans Herz gewachsen. Für mich sind die kleinen Dinge besonders.

Mein Herz schlägt immer noch für Magdeburg.

Wo hältst Du Dich in Magdeburg am liebsten auf? Ich bin am liebsten in unserem Schrebergarten. Wir hatten das Glück, dass wir einen Garten auf der Festungsanlange bekommen haben. Super zentral, hinten am Bahnhof. Wir sind zehn bis 20 Leute, die alle mit anpacken. Dort ist immer was los. Jeder kann das machen, was er möchte. Wir finanzieren das über eine gemein­ same Gartenkasse. Der Garten ist auch

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Benjamin Motzkus der Grund, warum ich jedes Wochenende aus Köln herkomme. Da der Garten direkt am Bahnhof liegt, gehe ich manchmal gar nicht erst nach Hause. Der Garten ist 250 Quadratmeter groß und auf verschiedenen Ebenen mit perfekter Aussicht auf den Dom. Wir haben dort auch schon zwei Gartenkonzerte organisiert. Unter der Festung ist jetzt nach und nach eine kleine Tischlerwerkstatt entstanden, wo wir auch mal schöne Projekte realisieren können. Das ist unser kleines Idyll.

Man muss Magdeburg auf dem richtigen FuSS erwischen.

Wie würdest Du Dich selber beschreiben? Zuverlässig, pflichtbewusst, ein bisschen penibel, liebenswert, fröhlich, sehr ratio­ nal, aber auch ein bisschen emotional, hilfsbereit und manchmal denke ich zu viel nach. Ich bin eine Frohnatur und sehe immer das Positive. Was ist das schönste Kompliment, das Du bisher bekommen hast? Wenn mir meine Freundin sagt, dass sie mich liebt. (lacht) Mai 2017

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Vista.Schon? Benjamin Motzkus ist 1985 in Magdeburg geboren und hat Maschinenbau studiert. Seine Heimat verlässt er seit 2016 werktags für den Job. Er kommt aber jedes Wochenende für sein kleines Idyll zurück nach Magdeburg. Außerdem hat er die Liebe in Magdeburg gefunden. Seine Freundin zog aus Hamburg hierher. Er beschreibt sich selbst als eine penible Frohnatur und gibt gerne eine zweite Chance.


Benjamin Motzkus

Magdeburg ist intelligentes Indie­Kino. Wer hat's gesagt?

AuflĂśsung: 125 Das ganze Interview gibt es auf: www.inter-vista.de Lars Johansen


Jürgen Canehl >>Ich kann nicht sagen, dass ich irgendwas wirklich bereue.<< Mitglied in drei Parteien, Hausbesetzungen in Göttingen und zahlreiche Engagements in Vereinen und Organisationen. Jürgen Canehl kann auf ein bewegtes politisches Leben zurückschauen. Im Fokus dabei immer: die Stadtentwicklung. Wir wollen wissen, wieso es ihn nach Magdeburg verschlagen hat und ob er demnächst mal kürzertreten will. Interview und Fotos: Marco Starkloff



Jürgen Canehl Du bist 65, da beginnt für die meisten die Rente. Bei Dir klingt das nicht danach. Hast Du nicht langsam Lust auf Freizeit? Viele, die die Rente herbeisehnen, sind oft in lohnabhängiger Arbeit. Man hat Vorgesetzte und ist nicht mehr ganz so fit wie die jungen Leute. Daher ist man froh, wenn man aufhören kann. Bei mir ist es ein bisschen anders. Da ich seit 2000 selbstständig bin, kann ich mir die Arbeit selbst einteilen. Natürlich habe ich meinen Rentenantrag abgegeben und da gibt es auch ein bisschen was. Ich werde aber trotzdem noch weiter arbeiten. Wir wollen aber nächstes Jahr deutlich mehr Urlaub machen. Wie sieht eine normale Woche bei Dir aus? Unterschiedlich. Diese Woche sind zum Beispiel viele Sitzungen. Heute Nachmittag ist Betriebsausschuss des Stadt­ gartenbetriebes, am Abend dann noch das Kuratorium zum Schiffshebewerk und morgen die Ausschusssitzung der ­WOBAU. Im Dezember findet immer unser Weihnachtsspektakel vom Bürgerverein statt, wofür wir diese Woche auch eine vorbereitende Vorstandssitzung haben. Ansonsten habe ich auch in meinem Büro viel zu tun.

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Wo bist Du in Magdeburg aktiv? Beruflich bin ich Geschäftsführer eines kleinen Planungsbüros. Eigentlich wollten wir uns weniger aufbürden, aber es ist anders gekommen. Ehrenamtlich mache ich eine ganze Menge. Ich bin noch zweiter Vorsitzender vom Bürgerverein Stadtfeld, den ich 2002 mitgründete. Seit ein paar Jahren bin ich auch im ADFC wieder aktiv. Und seit 2004 bin ich im Stadt-

rat, zunächst für die SPD, später dann als bildungs- und verkehrspolitischer Sprecher für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich habe auch eine Familie mit zwei Kindern, die jetzt schon selber eine Familie gegründet haben. Ein Enkelkind ist schon da, das zweite kommt im Dezember.

Magdeburg sollte lebenswerter werden.

Du hast eine sehr bewegte politische Vergangenheit. Wie kam es zu Deinem Engagement? 1971 fing ich an, zu studieren, die Studentenbewegung war noch voll im Gange. Zu jener Zeit bin ich politisch aktiv geworden. Ich ließ mich zum Beispiel für den Studentenrat und Fachschaftsrat aufstellen und habe so die Interessen der Studenten vertreten. Wie bist Du zur Kommunalpolitik ­gekommen? In Göttingen studierte ich Wirtschaftsund Sozialwissenschaften und beschäftigte mich mit Stadtsanierung sowie mit Partizipation in der Stadtplanung. Göttingen hat ein Sanierungsgebiet, praktisch die gesamte Innenstadt. Dort wollte man ein ganzes Quartier abreißen. Als Gegenbewegung besetzten wir einfach die Häuser. Fachwerkhäuser sollten abgerissen und ein Kaufhaus gebaut werden. Damals gab’s den Spruch: »Die Stadt saniert, ­Oetker kassiert«. Der war der Bauträger des Projekts. Hausbesetzung, wie lief das ab? War das nicht schwierig? Nein, die Häuser standen leer und waren vorbereitet für den Abbruch. Wir sind


Jürgen Canehl

reingegangen und hängten Transparente dran. Wir hatten immer eine Art Wache, die aufpasst. Natürlich nutzten wir das, um auf die Stadtplanung oder -sanierung aufmerksam zu machen, die wir so nicht wollten.

Wann bist Du dann zum ersten Mal mit den Parteien in Kontakt gekommen? Das war in einer anderen Situation. Es ging um Verkehr. Über den öffentlichen Nahverkehr in mittleren Großstädten hatte ich ja meine Diplomarbeit geschrieben. Man plante also ein großes Parkhaus für Karstadt, wofür ein weiteres Viertel abgerissen werden sollte. Wir gründeten eine Bürgerinitiative dagegen und die einzige Partei, die uns voll unterstützte, war die DKP (Deutsche Kommunistische Partei, Anm. d. Red.). Ich trat letztendlich dort ein und kandidierte auch für den Rat. Das war naheliegend, mich kommunal-

politisch zu engagieren. Es machte Spaß und war ja quasi angewandtes Studium. (lacht) In Göttingen bist Du aber nicht ge­ blieben. Wohin ging’s dann? Zu einem städtebaulichen Aufbaustudium an der TU in München. Im April 1979 fing ich in Frankfurt am Main bei einem Wohnungsbauunternehmen als Sanierungsbeauftragter an. Meistens ging es um Fachwerkstätten. Schließlich landete ich in einem Planungsbüro in Darmstadt und mein Chef wollte nach der Wende im Osten mitmischen. Mir wurde angeboten, die Geschäftsstelle in Erfurt aufzubauen, allerdings hatte ich keine Lust darauf, Frankfurt am Main zu verlassen und montags bis freitags in Erfurt zu wohnen. Im Becken, wo es 1991 noch nach Braun­kohle stank. Ich hörte dann von einem Freund, dass in Potsdam ein Geschäftsführer ge-

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Jürgen Canehl

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Jürgen Canehl sucht wird, um einen Sanierungsträger zu gründen. Dort bewarb ich mich. Den Job in Potsdam habe ich sechs Jahre gemacht. Anschließend ging ich nach Magdeburg und war Vorstandsvorsitzender einer Wohnungsbaugenossenschaft. Was wurde aus Deinem politischen Engagement? Schon in Frankfurt am Main war ich aus der DKP ausgetreten. (lacht) Ich konnte das alles auch gar nicht mehr mit ansehen. In Potsdam schloss ich mich der SPD an. Wie ging es mit der politischen Laufbahn in Magdeburg weiter? 1997 war ich im SPD-Vorstand des Orts­ vereins Stadtfeld, wo ich 2000 auch Vorsitzender wurde, wenn ich mich nicht irre.

Heute bist Du nicht mehr in der SPD. Wie kam es dazu? 2004 kam die Idee mit dem Tunnel auf, der uns jetzt die Stadtfinanzen kaputt macht. Unser Ortsverein Stadtfeld war mehrheitlich dagegen. Wir stritten uns auch permanent mit dem Oberbürgermeister. Im gleichen Jahr war ich für die SPD als Stadtrat gewählt worden, doch ich konnte den Beschluss nicht mittragen und stimmte bei manchen verkehrspolitischen Themen mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der ich damals nicht angehörte.

Bist Du wegen des Tunnels ausge­ treten? Nein, aber das war natürlich stressig. Den Vorsitz des Ortsvereins gab ich daraufhin ab. Als es 2009 darum ging, wer für den Stadtrat kandidiert, formierte sich eine

Gegenbewegung in der SPD, der es darum ging, mich nicht auf einem vorderen Listenplatz zu haben. Im Rahmen eines Parteitages verließ ich dann die Partei und sagte, dass sie mich alle ›am Arsch lecken können‹.

Das ehrenamtliche Engagement wird nicht immer wertgeschätzt.

War das eine schwere Entscheidung? Nein, es war einfach Zeit und ich stehe dazu, dass es richtig und wichtig war.

Trotzdem bist Du wieder in den Stadtrat eingezogen. Wie ging das? Ich bemühte mich für BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN aufgestellt zu werden. Als Nichtmitglied ist mir das recht schnell gelungen. Bei der entscheidenden Wahl erzielte ich schließlich das beste Ergebnis aller Kandidaten. Von Platz 5 bin ich dann ganz hoch gerückt. Das war eine schöne Bestätigung für mein Engagement in Stadtfeld. Ende des Jahres bin ich dann auch in die Partei eingetreten.

Du hast den Bürgerverein für Stadtfeld mitgegründet. Warum? Alle großen Stadtteile haben eigene Bürger­ vereine. Wenn man etwas erreichen will, ist es wichtig, öffentlichkeitswirksam Sachen herauszustellen. Man kann ja über unsere Heimatzeitung Die Volksstimme mit ihrem Monopol denken, was man will. Aber Tatsache ist, wenn man als Bürgerverein auf den Stadtteilseiten vertreten ist, wird das von vielen gelesen. Anliegen lassen sich so leichter durchsetzen. Das haben wir bereits in

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Jürgen Canehl Frankfurt so gemacht. Wir organisierten Straßenfeste, um Forderungen durchzusetzen. Dort gründete ich übrigens die Bürgerinitiative Friedberger Landstraße. Uns ging es zum Beispiel darum, etwas für den Fahrrad- und Straßenbahn­verkehr zu machen.

Ich kann keine Vision ­ sehen, weil ich ­langsam das Gefühl habe, dass ­manches nur mein >Problem< ist.

Du engagierst Dich im ADFC für mehr Radverkehr. Warum? Ja, das liegt doch auf der Hand. Wenn man in Straßen die Wohnfunktion erhalten

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will, muss man so handeln. Es macht die Stadt lebens- und liebenswerter. Es ist einfach an der Zeit, dass wir auch aus Gründen der Klimakatastrophe den motorisierten Individualverkehr zurückdrängen.

Eines Deiner Herzensprojekte ist der FahrRad-Aktionstag. Wie kam es dazu? Nachdem der OB den Auftrag des Stadt­ rates nicht umsetzten wollte, haben wir das als ADFC kurzerhand selbst organisiert. Es sollte ja nicht nur eine Ansammlung von Infoständen sein, sondern eine Fahrraddemonstration sollte dem vorausgehen, bei der wir über den Magde­burger Ring fahren. Das ist mittler­ weile schon Tradition. Irgendwann begann ich auch, mich um die Organisation zu kümmern. Doch es ist sicherlich an der Zeit, dieses Projekt abzugeben, weil ich


Jürgen Canehl auch nicht mehr der Jüngste bin. Und bald habe ich zwei Enkelkinder, dann will ich mich damit beschäftigen.

Fällt es Dir schwer, so etwas ab- oder aufzugeben? Ja, weil ich immer möchte, dass es ­weiterhin ›richtig‹ umgesetzt wird. Also manchmal bin ich bei so etwas wohl etwas einfühlsam. Aber was sein muss, muss sein. (lacht)

Für ehrenamtliche Arbeit opfert man viel Freizeit. Wird es gedankt? Selten. Ich kenne das aus der Parteiarbeit bei der SPD und den GRÜNEN. Wenn du Vorschläge machst, hast du es gleich ›am Hacken‹. Du sollst das dann auch umsetzen. Gleichzeitig wird einem vorgeworfen, man würde sich nur in den Vordergrund spielen wollen. Manchmal mag da etwas dran sein, ich bin ein wenig geltungs­ bedürftig. Aber das ehrenamt­ liche Engagement wird nicht immer wertgeschätzt. Wie lässt sich Familie und Deine ehren­amtliche Arbeit vereinbaren? Meine Frau hat zur Zeit auch viel zu tun. Die Kinder sind jetzt aus dem Haus, meine Tochter studiert und mein Sohn hat eine kleine Familie gegründet. Manchmal hätte ich mich sicherlich mehr um meine Kinder kümmern können.

Bereust Du das? Was würde das nützen? Ich will meinem Sohn jetzt stärker helfen, weil die Enkelkinder da sind. Vielleicht hole ich das an der Stelle ein bisschen nach.

Wenn Du zurückblickst, wie siehst Du Deine Entwicklung? Also die meisten Sachen, die ich angepackt habe, klappten. Ich kann nicht sagen, dass ich irgendwas wirklich bereue. Die »Ottostadt« liegt Dir sehr am Herzen. Was ist Deine Vision für die Stadt? Wir brauchen Aufenthaltsqualität, gerade in der Innenstadt. Auch bei Kindergärten und Schulen müssen wir handeln. Ich kann keine Vision sehen, weil ich langsam das Gefühl habe, dass manches nur mein ›Problem‹ ist. Ich denke auch, dass viele Dinge eher in die falsche Richtung gehen. Eigentlich traurig. Magdeburg sollte also lebenswerter werden. November 2017

Vista.Schon? Jürgen Canehl, Jahrgang 1952, studierte in Tübingen, Göttingen und München und ist Diplom-­ Sozialwirt und Stadtplaner. 1997 kam er nach Magdeburg und ist heute G ­e­ schäftsführer des Planungs­büros Lindner + Canehl GmbH sowie geschäftsführender Gesellschafter der Lofthaus Buckau OHG. Sein politischer Werdegang führte von der DKP über die SPD zu BÜNDNIS­90/ DIE GRÜNEN. Seit über 13 Jahren ist er Mitglied des Magdeburger Stadtrats und engagiert sich ehren­amtlich in vielen Vereinen, unter anderem beim ADFC. Der passionierte Radfahrer hat zwei Kinder und ist mittlerweile schon zwei­facher Großvater. 133



Christina Karina Wilczek >>Ich habe hinter die Kulissen gesehen.<< Als ihr während des Jurastudiums langweilig wurde, kaufte sie sich das ›schönste Pony‹ der Welt. Dessen gesundheitliche Leiden behandelte sie kurzerhand selbst. Seitdem arbeitet Christina Karina Wilczek als selbstständige, ganzheitliche Pferdefachtherapeutin und absolvierte sogar eine Ausbildung zur Huforthopädin. Mit Inter.Vista spricht sie zudem über ihre Vorliebe für Senf, wie sie zum Thema Pferdefleisch steht und weshalb wir uns für Geschichte interessieren sollten. Interview und Fotos: Benjamin Holz


Wie bist Du auf ›das Pferd‹ gekommen? Ich habe mit sechs Jahren Zorro geguckt. Er hat gepfiffen und das Pferd kam. Das faszinierte mich so sehr, dass ich auch ein Pferd haben wollte. Meine Mutter schleppte mich dann zu einem Bekannten, der Pferde hatte. Seitdem reite ich.

Als studierte Juristin arbeitest Du als ganzheitliche Pferdefachtherapeutin. Wie kam es dazu? Aus Langeweile kaufte ich mir während meines Jurastudiums ein Pony, das ›schönste Pferd‹ der Welt. Es ließ sich aber nicht reiten. Ich rief einen Tierarzt an und sagte, dass mein Pferd Rückenschmerzen habe. Er meinte, ich solle es zurückgeben. Ich habe nach Alternativen gesucht und errechnet, dass ich für das Geld, das ich einem Therapeuten drei J­ ahre lang bezahlen würde, auch selbst diese Ausbildung machen könnte. Nachdem mein Pferd wieder reitbar war, mussten die Hufe gemacht werden. Der Huf­orthopäde aus Halle wollte irgendwann nicht mehr nach Magdeburg kommen, deswegen habe ich auch eine Ausbildung als Huforthopädin absolviert. Willst Du irgendwann als Juristin ­arbeiten? Nein. Ich habe hinter die Kulissen gesehen. Recht haben und Recht bekommen sind zwei unterschiedliche Dinge. Ich habe keine Lust, mich dafür bezahlen zu lassen, um jemanden zu vertreten, der nicht Recht hat, aber wahrscheinlich Recht bekommen wird.

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Was ist Dir an Deiner Arbeit besonders wichtig? Reiter und Pferd sind immer ein Team, das über sich hinauswächst und gemein-


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Christina Karina Wilczek sam zum Ziel kommt. Ich finde es toll, wenn Menschen begreifen, was sie tun. Ich möchte meinen Kunden helfen, das Problem zu erkennen, an sich selbst zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln. Ich bin nicht das schlechte Gewissen, das sagt: Ich repariere, was du kaputt gemacht hast.

Wenn nicht Pferdetherapeutin, was dann? Wahrscheinlich wäre ich Lehrerin für Geschichte und Englisch. Ich halte es für wichtig, dass wir die Geschichte kennen und uns verständigen können. Menschen haben früher auch Fehler gemacht, daraus kann man lernen. Mich interessiert das Mittelalter, die Epoche um Sissi, auch die ganzen Kriege und die Industrialisierung, wie man sich damals selbst Steine in den Weg gelegt hat. Ich denke aktuell auch oft über den Zweiten Weltkrieg nach, auch bezüglich der AfD. Ich weiß nicht, was ich damals gemacht hätte, aber vielleicht müssen wir uns damit bald

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wieder auseinandersetzen. Früher interessierte ich mich auch sehr für Ägypten und wollte Archäologie studieren. Das Zweistromland Mesopotamien, die ganzen Pharaonen in ihren ›Totendingern‹, das Tal der Könige und die Mumien. Was die Menschen damals auch über das Leben nach dem Tod dachten, dass sie den Körper festhalten wollten, das finde ich sehr spannend.

Der Weg ist das Ziel, du musst jetzt anfangen zu leben.

Schlummern in Dir noch andere verborgene Talente? In Amerika habe ich Zeichenkurse belegt, das entspannt mich. Ich lese gern und habe gerade festgestellt, dass ich gar nicht so schlecht bastele. Wenn ich Zeit habe, koche ich auch, am liebsten mit Senf. Bockwurst mit Senf, Senfsoße


Christina Karina Wilczek mit Ei, Honig-Senf-Dressing für Salate. Schinken­sahnesoße mit Senf, Schweinefilet kleingeschnitten mit Senf, Knoblauch mit einem Löffel Honig mariniert, dazu eine Weißweinsoße, schmeckt super!

Durch Deine Arbeit baust Du ein enges Verhältnis zu Pferden auf. Hast Du ­jemals Pferdefleisch probiert? Nein. Aber ich glaube, ich würde sogar mein eigenes Pferd essen, denn ich weiß am besten, was ich jahrelang gefüttert habe. Im Endeffekt esse ich ja nicht meinen Freund, denn das Pferd ist dann tot. Sterben muss sowieso jeder. Ich würde natürlich nicht mein Pferd töten, damit ich es essen kann, aber irgendwann kommt sowieso das Ende. Der Körper ist dann nur noch eine Hülle. Ob ich diese wegschmeiße, Hundefutter daraus mache oder mir ein Steak brate, wenn es mir schmeckt, warum denn nicht? Zurück in die Gegenwart, was findest Du an Magdeburg spannend? Das bleibt immer irgendwie meine Heimat. Ich bin hier geboren und mit vier Jahren nach Landhaus (Stadtteil von ­Möckern, Anm. d. Red.) gezogen. Magdeburg hat nach Köln den schönsten Dom. Wir haben auch die Magdeburger Halbkugeln, die überall herumstehen und meistens besprüht und dreckig sind. So wirklich weg will ich eigentlich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, irgendwann ins Warme zu ziehen.

Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus? Eines Tages lief ich am Friedhof vorbei und mir fiel auf, dass wir als Kinder immer darauf gewartet haben, endlich in die Schule zu kommen. In der Schule wollten

wir dann endlich in der siebten Klasse sein, dann wollten wir das Abi haben, endlich studieren, den Führerschein machen, endlich 25 sein, Kinder haben. Jetzt habe ich Kinder, Abi, studiert und den Führerschein. Auf was will ich mich jetzt freuen? Auf die Rente und dann vielleicht die Gicht? Der Weg ist das Ziel, du musst jetzt anfangen zu leben. Ich möchte mir die Welt ansehen und die Zeit mit den Kindern genießen. März 2018

Vista.Schon? Christina Karina Wilczek, 1988 in Magdeburg geboren, ist ­Mutter zweier Kinder. Sie war mit 17 Jah­ ren als Ausstauschschülerin in Cam­ bridge (Ohio), machte dann das Abitur in Deutschland. Während des Jura­ studiums in Wolfen­ büttel begann sie 2010 eine Ausbildung im Bereich Aku­punktur-Massage nach Penzel und Osteopathie. Seit 2011 ist sie selbstständige Pferdefachthera­ peutin. Zu ihrer Arbeit gehören neben Kundenberatungen unter anderem das Be­heben von Verspan­ nungen, das Richten von Muskelund Wirbelblockaden, Blutegel- und Lasertherapie. Zusätzlich arbeitet ­ sie teilweise als Tierarzthelferin und bildet zudem Osteopathen an den ­Paracelsus-Schulen aus. 139


Gordon Motsch >>Wenn es nach uns geht, kann es nie genug Farbe sein!<< Jetzt wird’s bunt! Mit ihrer Kunst wollen Strichcode Farbe versprühen und kahle Betonflächen zum Leben erwecken. Ganz wichtig sind Kreativität und Selbstständigkeit. Wie es dazu kam, erzählt der studierte Designer und Strichcode-Mitbegründer Gordon Motsch. Im Interview erklärt er, wofür sein Team steht, wie die Arbeit abläuft und was in Magdeburg noch zu tun ist. Interview und Fotos: Florina Ademi



Gordon Motsch Hast Du in Deinem Leben je daneben gesprüht? Klar! Als Anfänger sprüht man öfter mal daneben, aber mit der Zeit wird die Kon­ trolle über die Dose besser. Wie kann man sich Deine Arbeit genau vorstellen? Bei Aufträgen hat der Kunde entweder schon eine Vorstellung, der wir noch den Feinschliff verpassen, oder die Kunden lassen von uns Ideen entwickeln. Bei freien Arbeiten geht man lockerer ran, legt meist freestyle los und entwickelt vieles erst im Entstehungsprozess. Oder man macht sich vorher einfach eine grobe Skizze.

Einige wollen kreativ sein, andere machen es illegal, weil sie den ­ Adrenalinkick brauchen.

Was hat Dich zum Sprayen bewegt? Das ist schon eine ganze Weile her. Damals habe ich noch in Schönebeck gewohnt. Ich bin dann nach Magdeburg gezogen, aber trotzdem jeden Tag mit dem Zug nach Schönebeck gefahren. Damals war die Bahnlinie schon von vorne bis hinten besprüht. Als Jugendlicher fällt einem sowas auf und es weckt Interesse.

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Wie seid Ihr auf den Namen »Strichcode« gekommen? Der Name entstand, als ich selbst noch nicht dabei war. Den Namen gibt es seit 2007 und ich bin 2008 dazugekommen. Strichcode wurde von den beiden Brüdern Tobias und Thomas Hildebrandt und dessen damaliger Freundin gegründet.

Sie entwarf das Logo und dachte sich den Namen aus. Man sprüht, sieht den ersten Strich und deshalb hat es gut gepasst.

Musstet Ihr jemals einen Auftrag abbrechen, weil die Vorlage zu schwer war? Nein, bisher noch nicht. Es ist jedes Mal eine neue Herausforderung. Jeder Auftrag ist anders. Wir machen das schon seit zehn Jahren beruflich, da haben wir fast alles gemacht und gesehen. Das Einzige, was steigt, ist der technische Anspruch.

Wie lange dauert ein Projekt? Das kommt auf das Motiv an. Bei graphischen Sachen sitzt man nicht so lange dran wie bei einem Werk, das viel Architektur oder technisches Wissen benötigt. Die Größe ist auch sehr entscheidend. Es sind mehrere Tage.

Klingt es nicht komisch, sich bei Fremden als Graffitikünstler vorzustellen? Wie läuft so ein Gespräch ab? Wir machen selbst so gut wie keine ­Akquise. Die Leute, die zu uns kommen, kennen uns. Sie wissen, was wir machen und haben uns oft über die Jahre beobachtet. Es ist mittlerweile schon ganz angenehm, man muss sich nicht mehr vorstellen. Wenn Ihr in einer öffentlichen Gegend arbeitet, gibt es bestimmt viele Schaulustige. Macht Dich das nervös? Bei Orten, die nicht oft besucht werden, kommt fast niemand vorbei. Bei anderen Arbeiten ist man mitten in der Stadt, da kommen den ganzen Tag Menschen. Die Passanten haben selbstverständlich auch Fragen, aufgeregt bin ich dabei aber nicht. Eher abgelenkt.


Und lasst Ihr Leute beim Sprühen auch mal mitmachen? Bei den Auftragsarbeiten gar nicht, da unsere Kunden das nicht wollen würden und nicht versichert sind. Aber bei freien Arbeiten und Workshops schon.

Wir sind unserE ­ eigenen Chefs und das Ganze ist kreativ.

Gibt es ein Werk, das Du bereust oder bei dem Du denkst, dass Du es hättest besser machen können? Im Grunde denkt man sich bei jedem Projekt, dass man es hätte besser machen können. Das ist der Ansporn, weiter zu machen.

Haben sich Leute beschwert, weil sie ein Werk nicht so gut fanden, wie sie erwartet hatten? Wenn wir mit den Arbeiten beginnen, kommt das häufiger vor. Wir ziehen die ersten Linien und da viele noch nichts damit anfangen können, beschweren sie sich. Aber sobald sie etwas erkennen, finden sie es durchweg gut. Da gibt es wenig Kritik. Wir kriegen ständig nur Lob, das ist schon ein wenig beängstigend. Wie schwer ist es eigentlich, Sprüh­ farbe wegzubekommen? Schwer zu sagen. Wir sind für die Ent­ fernung nicht zuständig. Es kommt darauf an, wie gut der Hintergrund und wie aggressiv der Lack ist. Das ist sehr unterschiedlich.


Gordon Motsch Kommt Ihr alle aus Magdeburg? Ja, wir sind alle von hier.

Vom Bleistift zur Sprühdose ist es ein groSSer Schritt.

Gefällt es Euch? Schon. Mittlerweile haben wir uns ein wenig zerstreut. Einer wohnt in B ­ erlin, der andere in einer anderen Stadt. Aber im Grunde ist die Basis immer in Magdeburg. Hier bekommen wir auch die meisten Aufträge. Wir machen zwar auch viel außerhalb, aber hier ist das Netzwerk.

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Ich hatte erwartet, dass Ihr als ­Freunde vielleicht zusammenwohnt. Nein, das nicht. Wenn man sich schon den ganzen Tag sieht, muss man nicht auch noch zusammenleben. (lacht)

Berlin oder Magdeburg? Ich finde, man muss nicht immer sofort nach Berlin und sich ins gemachte Nest setzen. Lieber sollte man versuchen, in der eigenen Stadt etwas zu reißen. In Magdeburg ist noch nicht so viel aus­ geschöpft, wie in anderen größeren Städten, wo sich alle kreativen Köpfe tummeln.


Gordon Motsch Gibt es einen bestimmten Ort in Magdeburg, an dem Du gerne sprühen würdest, aber noch nicht die Gelegenheit dazu hattest? Ja, da gibt’s viele. Auf jeden Fall diese ganzen großen Giebel. Auch an der Tangente entlang. Das sind tolle Flächen und da gehört auch etwas hin. Wie sich gezeigt hat, ist das Umfeld offen für so etwas und die Leute erfreuen sich daran. Außerdem sehen diese großen Betonklötze dann nicht mehr so bedrückend und langweilig aus. Vor allem finden wir, dass es zum Stadtleben dazugehört. Gerade wenn man bedenkt, dass Magdeburg Kulturhauptstadt werden will, aber man hier noch zu wenig

Kunst im offenen Raum sieht. Da müsste noch mehr passieren. Findest Du Magdeburg fehlt Farbe? Grundsätzlich, ja. Wenn es nach uns geht, kann es nie genug Farbe sein. Man muss nicht krampfhaft jedes Objekt bunt machen, aber ich finde, es gibt genug Flächen, an denen es wirklich passen würde. Aber so langsam ändert es sich.

Ihr habt vor einigen Wochen in Magdeburg einen Workshop gemacht. Gab es viele Interessenten, die mitmachten? Ja, das war beim Vakuum-Festival. Das Wetter spielte nicht ganz mit, es hat vor

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Gordon Motsch und nach dem Workshop geregnet. Ansonsten wären sicher mehr gekommen. Aber es war der Workshop, bei dem die bisher besten Arbeiten bei unseren Workshops rausgekommen sind. Inspiriert Ihr andere zum Mitmachen? Im Grunde schon. Erstmal legen wir Papier und Stift hin und lassen die Leute machen. Manchen fällt sofort etwas ein, anderen gar nicht. Grundsätzlich geben wir Tipps, wenn sie nicht weiterkommen. Unsere Hauptaufgabe bei Workshops ist die technische Umsetzung. Vom Bleistift zur Sprühdose ist es ein großer Schritt, da helfen wir weiter.

Ich habe gelesen, dass Dein Bruder Christopher auch im Team ist. Ja, er ist mehr für die technischen Sachen zuständig. Er bereitet oft die Fassaden für uns vor. Oder die hochwertigen Versiegelungen, die dafür da sind, um den Lack vor UV zu schützen.

Gibt es auch Auseinandersetzungen, gerade weil Ihr so viele Gründer seid? Es gibt mal Meinungsverschiedenheiten, aber dafür, dass wir das seit zehn Jahren machen, hatten wir erstaunlich wenig Probleme. Wir waren auch vorher schon Freunde und kennen uns alle aus der Graffitiszene. Es gab nie finanzielle oder kreative Differenzen. Man diskutiert, aber es wird immer eine Lösung gefunden.

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Wie reagieren neue Freunde oder Bekannte, wenn Du ihnen von Deiner Arbeit erzählst? Sehr unterschiedlich. Es hängt damit zusammen, ob derjenige offen für so etwas ist. Für manche ist das kein richtiger Job. Für uns war das auch nie der erste Berufs-

wunsch, es hat sich einfach so entwickelt. Aber grundsätzlich ist das Interesse da. Hast Du einen Lieblingssprayer? Sicherlich, aber mittlerweile sind es so viele, dass ich keinen konkret nennen kann.

Graffiti wird vor allem von Jugend­ lichen als sehr cool empfunden. Was würde Dein jüngeres Ich von Deinem jetzigen halten? Ich bin ziemlich jung geblieben. Mein jüngeres Ich würde das sicher cool finden. Es ist Selbstverwirklichung, einfach unser ›Baby‹. Wir sind unsere eigenen Chefs und das Ganze ist kreativ. Graffiti bricht auch die Mauer zwischen Jugendlichen und uns. Sobald sie eine Sprühdose sehen, sind sie Feuer und Flamme. Wie würdest Du jemanden überzeugen, der Graffiti nur als puren Vandalismus sieht? Jeder sieht das anders. Für einige ist es Vandalismus, für andere nicht. Es gibt so viele verschiedene Arten und Antriebe, Graffiti zu sprühen. Einige wollen kreativ sein, andere machen es illegal, weil sie den Adrenalinkick brauchen. Für viele ist es ein Gruppenevent, eine Art Zugehörigkeitsgefühl. Wie lange macht Ihr das schon? Sprühen? Schon seit zwanzig Jahren. Beruflich seit zehn Jahren. Es hatte für uns immer einen hohen Stellenwert, weil es viel Zeit und Hingabe braucht. Manche von uns haben nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen. Anfangs machten wir das neben dem Studium, es entwickelte sich immer mehr zum Hauptberuf. Mittlerweile ist es viel


Gordon Motsch

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Gordon Motsch Job, weniger Hobby. Kreative Köpfe wollen keinen monotonen Job machen.

Wir kriegen ständig nur Lob, das ist schon ein wenig beängstigend.

Wie habt Ihr Euch publik gemacht? Das ging im Bekanntenkreis los, da gab es die ersten kleinen Aufträge. Schnell kamen die ersten großen Firmen. Heutzutage soll alles individueller und auffallender sein. Ich glaube, da ist es genau das Richtige, sich von anderen abzuheben und sich individueller darzustellen. Durch die Medien kann man gut seine Kunst rausbringen. Habt Ihr auch schon mal daran gedacht, das für Strichcode zu machen? Die Nutzung sozialer Medien, wie Face­ book und Instagram, ist für uns sehr wichtig. Am besten ist aber immer noch die Arbeit im öffentlichen Raum, darauf erhält man die meiste Resonanz.

Wenn man Euer Strichcode-Logo durch einen Scanner zieht, welches Produkt würde rauskommen? Das haben schon viele gefragt. Meines Wissens kommt da gar nichts raus, weil es nicht gültig ist. Aber wir hatten schon mal die Idee, das zu benutzen, so als Scan. Magdeburg in drei Worten? Viel Potenzial. Wird zu wenig genutzt. Hat Zukunft. Juli 2017 148

Vista.Schon? Der 1980 geborene Gordon Motsch studierte nach dem Schulabschluss Design. Mit ihrer Kunst verschönerten er und seine Mitglieder von Strichcode unter anderem die Giebelwand einer Wohnbau-Genossenschaft in der Lumumbastraße. Seitdem werden Fahrer, die nach oder aus Magdeburg fahren, von einem jungen Mädchen auf einer Schaukel sitzend, begrüßt.


Gordon Motsch

Physik bedeutet etwas fร r das gesamte Weltbild. Wer hat's gesagt?

Auflรถsung: 149 Das ganze Interview gibt es auf: www.inter-vista.de Reiner Haseloff


Kathrin Beyerling >>Ich kann auch ein Haus bauen.<< Sie liebt Kinder, tapezieren und ihren Pool. Kochen kann sie nicht. Muss sie auch nicht, das macht schließlich ihr Mann. Trotz vieler verlockender Möglichkeiten, hat sie Magdeburg nie den Rücken gekehrt. Kathrin Beyerling leitet seit sieben Jahren die Magdeburger KinderschauSPIELschule, obwohl diese Arbeit ihr keinen finanziellen Mehrwert verschafft. Interview und Fotos: Benjamin Holz



Kathrin Beyerling Ist der Job in der KinderschauSPIELschule für Dich eher Arbeit oder mehr Leben? Wenn es nach der Bezahlung geht, ist es ›nur‹ Leben. Die Schule bringt finanziell nichts, dafür habe ich einfach zu viele Ausgaben. Die Lehrer sind sehr teuer. Hier unterrichten ausschließlich ausgebildete Schauspieler oder Dozenten, die alle fest im Job stehen und einen gewissen Stundensatz voraussetzen. Ich lebe also von meinem Mann. (lacht) Wir können im Vergleich zu Tanz- oder Musikschulen nur sehr wenig Schüler aufnehmen, daher bleibt am Ende nicht viel übrig.

Arbeit im Büro kann ich mir nicht vorstellen. Technik mag ich auch nicht.

Warum machst Du es trotzdem? Ich würde sicher in anderen Bereichen mehr Geld verdienen, aber ich habe meine Arbeit hier sehr gern. Es ist eine Art Hobby, das ich zum Beruf gemacht habe.

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Was lernen die Kinder bei Euch in der Schauspielschule? Sie bekommen Grundlagen für sprachliche Sachen, Bewegungsunterricht und anderes. Die wenigsten von ihnen möchten wirklich Schauspieler oder Schauspielerin werden. Sie wollen etwas machen, passen aber beispielsweise nicht in das Raster des Sportklubs oder der Musik­ schule, weil sie vielleicht nicht sportlich oder musikalisch genug sind. Hier bekommen sie von allem ein bisschen und noch ganz viel mehr. Sie lernen hier als erstes das Miteinander. Sie können sich nicht verstecken, dazu sind sie zu wenige.

Die, die immer im Vordergrund stehen wollen, müssen lernen, zurückzustecken. Das muss als erstes gelernt werden, bevor sie dann daran denken können, Texte und Instrumente zu lernen oder sich Szenen auszudenken und nachzuspielen. Das kommt alles erst später.

Du hast vier Kinder und alle sind im Schauspiel gelandet. Macht es Dich stolz, dass Deine Kinder in die Fußstapfen ihrer Mutter treten? Natürlich ist es schön, das eigene Kind groß auf einer Leinwand zu sehen. Aber stolz bist Du auf Deine Kinder immer, wenn sie was erreicht haben. Im Übrigen trete ich eher in ihre Fußstapfen. Die Kinder sind im künstlerischen Bereich gelandet, hier haben die Entwicklungen parallel stattgefunden. Sollten Kinder wissen, was sie wollen? Wie findest Du das? Die Frage stelle ich mir oft. Menschlich finde ich es gut. Eigentlich bin ich sehr stolz auf meine eigenen Kinder, weil sie sich nicht verbiegen lassen. Ob es gut ist? Da würde ich fast Nein sagen, weil man sich dadurch auch viele Sachen verbauen kann. Ich finde das bei den Kindern toll, aber ich musste auch oft beim Lehrer antanzen und dachte dann: Mensch, hättest du nicht einfach mal Ja sagen können, dann hätten wir alle unsere Ruhe und müssten nicht hier sitzen. Ich weiß aber auch, dass sie es genau richtig machen. In der Schauspielerei spricht man ja von Künstlern. Siehst Du Dich eher als Künstlerin oder als Lehrerin? Von allem etwas. Ich kann auch ein Haus bauen. Ich habe ganz viel an meinem Haus selbst gemacht. Es gibt vieles, was


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Kathrin Beyerling ich mag und gern tue, ich tapeziere auch gerne. Ich würde nicht sagen, dass ich grundsätzlich Lehrerin oder Künstlerin bin, aber Künstlerin bin ich am wenigsten.

Wenn ich meinen Dom nicht sehe, bin ich ohnehin kein Mensch mehr.

Würdest Du nicht die Schule leiten, was wäre stattdessen für Dich interessant? Ich wäre auch gern Hebamme geworden, aber ich hatte Angst, damit nicht richtig umgehen zu können, dass nicht alle Geburten glücklich laufen. Arbeit im Büro kann ich mir nicht vorstellen.

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Technik mag ich auch nicht. Ich würde mit Sicherheit immer was mit Menschen machen, mit Kindern und Jugendlichen, und mit den ganz kleinen am liebsten. Wenn ich aufgeregt bin, schlechte Laune oder richtig Stress habe, und du gibst mir ein Kind an die Hand, dann fahre ich komplett runter und werde extrem ruhig. Was magst Du absolut nicht? Computer. Und ich hasse kochen. Bei mir brennt sogar Wasser an. Essen ist mir auch nicht so wichtig. Mein Mann sagt immer, Essen wäre Kultur und zwingt mich, am Tisch zu sitzen, weil es ja so schön ist. Gott sei Dank kocht er gerne. Ich gehe auch überhaupt nicht gern in Gaststätten. Wenn der Kellner dann nicht zum Bezah-


Kathrin Beyerling len kommt ist das für mich Zeit, die ich sinnlos herumsitze. Stattdessen könnte ich so viel machen.

Bei mir brennt sogar Wasser an.

Wie verbringst Du Deine Freizeit in Magdeburg? Privat bin ich gern im Wasser, ich liebe meinen Pool, da muss ich auch nicht in den Urlaub fahren. Ich fliege nicht gerne und mag auch keine Autobahnen, weil das Orte sind, von denen ich nicht weg kann. Ich versuche immer, Freunde zu finden, die noch kleine Kinder haben und schlage ihnen vor, dass sie ihre Kinder zu mir bringen, damit sie abends mal weggehen können. Das entspannt mich. An Enkel ist bei mir noch nicht zu denken. Ansonsten gehe ich gerne zu Konzerten, vorwiegend zu den alten Ostbands oder mit meinen Kindern zu Jennifer Rostock. Aber wenn ich meinen Dom nicht sehe, bin ich ohnehin kein Mensch mehr. Was macht Dich glücklich? Kinder, die glücklich aus einer Sache herausgehen, die zufrieden sind. Eltern und Großeltern, die nach einer Veranstaltung zu mir kommen und sagen, wie toll das war. Zu Hause ist es natürlich die Familie. Wenn alle zu Hause sind, im Bett kuscheln, die Kinder um mich herum, der Dom vor der Tür, dann passt alles.

Dankeschön für das Gespräch. Wie, das war̕s schon? Da bin ich ja froh, dass du mich nicht gefragt hast, wann ich wie viele Drogen genommen habe. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe noch nie einen Joint geraucht. Ich rieche es auch

nicht. Selbst als ich noch zwei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte und als nach der Wende die ersten Joints die Runde machten, habe ich es nicht probiert. Ich habe Sorge, dass ich abhängig werde oder dass es mir nicht bekommt. Davor habe ich großen Respekt. Dezember 2017

Vista.Schon? Kathrin Beyerling, Jahrgang 1970, ist mit Hans-Jörg Beyerling (1961) verheiratet und seit 1998 als Produ­zentin, Schauspielerin, Sprecherin (Radiospots), Kamerafrau, Regisseurin (Werbespots für Kino und Fernsehen, Musikvideos, Kurzfilme) und Casterin tätig. Sie ist die Mutter der Schauspieler Hans Timo, Hans-Laurin und Hans-Jesse Bela Ben Beyerling. Ihre Tochter Lena (geb. 1995) gilt als Deutschlands berühmtestes Werbemädchen. Sie prägte 2004 in dem LBS-Werbespot den berühmten Satz: »Papa, wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.« 155


Elisabeth Pfeif >>Die Misswahl ist nicht das Wichtigste im Leben.<< Wie wird man eine Miss? Was sind die Kriterien? Und wie ausgeprägt ist der Konkurrenzkampf? All diese Fragen beantwortet uns Elisabeth Pfeif, die Miss Sachsen-Anhalt 2017. Bisher trug die gebürtige Russin ihre Krone und Schärpe nur mit Kleidern, für Inter.Vista macht sie jedoch eine Ausnahme und erzählt uns, wieso sie auf die Wahl zur Miss Germany verzichtete. Interview und Fotos: Anna Kaiser



Elisabeth Pfeif Wirst Du in der Öffentlichkeit erkannt? Wenn ich im Allee-Center bin, höre ich oft jemanden hinter mir flüstern. Sobald ich mich umdrehe, wollen sie dann Fotos machen. Das finde ich wirklich süß. Stört Dich das auch manchmal? Es gehört dazu und ist mittlerweile normal für mich. Allerdings bin ich auch nur ein Mensch und habe mal schlechte Tage. Wenn ich gestresst bin oder mich mit jemandem gestritten habe, möchte ich nicht angesprochen werden. Aber auch dann ignoriere ich die Leute nicht.

Magdeburg bleibt ­immer in ­meinem ­Herzen, aber es ­ersetzt nicht mein Heimatland.

Wie populär sind die Misswahlen ­eigentlich? Die Miss Sachsen-Anhalt-Wahl ist natürlich im Bundesland beliebt. Größere Events wie Miss Germany erreichen jedoch noch viel mehr Menschen. Wie hast Du Dich beworben? Eigentlich hatte ich von den Misswahlen überhaupt keine Ahnung. Ich kenne die Modelmanagerin Margit Tietz. Die rief mich an und fragte, ob ich mitmachen möchte und ich sagte direkt zu. Allerdings hätte ich nie gedacht, dass ich gewinne, denn da waren wirklich viele schöne Mädchen.

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Wie wurdet ihr auf die Wahl vor­ bereitet? Bei der Wahl selbst wurden wir noch nicht vorbereitet. Erst im Miss ­Germany-Camp

lernen wir, wie man isst, sich benimmt oder wie man mit den Medien umgeht. Und natürlich wie man läuft.

Wie genau läuft eine Misswahl dann ab? Die Show beginnt mit einer Moderation. Sobald man dann auf die Bühne gebeten wird, werden Fragen zur Person gestellt. Danach präsentiert man sich ganz klassisch auf dem Laufsteg. Ich musste zweimal laufen, einmal in Abendgarderobe und einmal in Bikini. Danach entscheidet eine Jury. Die meisten Jurymitglieder kommen aus der Modebranche, darunter auch bekannte Leute. Ansonsten sind dort viele Designer. Anschließend geht es für viele Missen zur Miss Germany-Wahl. Warum bist Du nicht angetreten? Leider fand das dreiwöchige Camp im Februar statt. Zu der Zeit schrieb ich drei Vorprüfungen. Wäre ich zur Miss Germany-Wahl angetreten, hätte ich den Stoff aufholen müssen und das wollte ich nicht. Wenn ich aber die Chance dazu hätte, würde ich noch mal mitmachen. Aber ich weiß nicht genau, wie meine Pläne für nächstes Jahr aussehen. Ist es denn üblich, mehrmals teil­ zunehmen? Manche Frauen waren schon zum vierten oder fünften Mal dabei! Die kannten ­natürlich den Ablauf und wussten, was sie machen müssen. Ich wusste nichts davon, aber ich war nicht die Einzige.

Wer kann sich zur Misswahl bewerben? Man muss zwischen 16 und 29 Jahre alt sein und die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Außerdem dürfen keine Nackt-


Elisabeth Pfeif

oder Erotikbilder im Netz existieren. Auch darf man weder verheiratet sein noch Kinder haben. Und natürlich sollte man aus dem Umkreis kommen, wo die jeweilige Misswahl stattfindet. Was den Körper angeht, wüsste ich nicht, ob es Einschränkungen gibt. Jedoch sollte man sich bewusst sein, dass man auch im Bikini laufen muss.

Welche Kleidung sollte man tragen? Jeder darf selbst entscheiden, was er anzieht und worin er sich wohl fühlt. Wenn das Outfit schön aussieht und es zu dir passt, wirkst du authentisch. Das Gesamtpaket muss stimmen. Kleidung spielt zwar eine Rolle, aber in erster Linie geht es um die Person. Da muss die Kleidung auch nicht teuer sein. Wie ausgeprägt ist der Konkurrenzkampf? Alle waren sehr nett. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und geschminkt.

Untereinander tauschten wir auch Sachen, wenn jemand vor Nervosität etwas vergessen hatte. Von Streitigkeiten habe ich nichts mitbekommen.

Manche Menschen wollen plötzlich nur wegen des Titels mit mir befreundet sein.

Wie hast Du Deinen Sieg gefeiert? Zunächst habe ich stundenlang Interviews gegeben. Da waren viele Zeitungen und Radiosender, die mit mir reden wollten. Danach war ich so erschöpft, ich wollte nur nach Hause.

Womit hast Du Deiner Meinung nach die Jury überzeugt? Ich habe gelesen, dass es an meiner Natür­ lichkeit lag. Ich war dezent geschminkt und hatte weder Extensions

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Elisabeth Pfeif

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Elisabeth Pfeif noch künstliche Wimpern. Ich habe mit dem gearbeitet, was ich habe.

Was sind Deine Pflichten und Auf­ gaben als Miss? Ich werde zu vielen öffentlichen Veranstaltungen eingeladen, spielte schon in einem Musikvideo mit und bin für die Brautmodemarke beJulicious gelaufen. Gemodelt habe ich zwar schon vorher, aber jetzt kennen mich mehr Leute. Ich war bereits auf der IHK Veranstaltung, auf der Mückenwiesn und auf der Fashion Week in Berlin. Auch bin ich bei Weihnachtsfeiern oder anderen Veranstaltungen in Berlin, wo ich das Land Sachsen-Anhalt vertrete. Dabei trage ich immer Krone, Schärpe und ein Kleid. Das Kleid ist meine persönliche Entscheidung, aber wenn du schon die Schärpe trägst, solltest du eins anziehen. (lacht)

Das Wichtigste ist, dass meine Familie, Freunde und ich selbst wissen, wer ich wirklich bin.

Was hat sich durch die Misswahl in Deinem privaten Umfeld verändert? Manche Menschen wollen plötzlich nur wegen des Titels mit mir befreundet sein. Aber die Leute, die schon vorher bei mir waren, sind mir wichtiger. Durch die Misswahl lerne ich auch viele neue Leute kennen. Auf der Mückenwiesn saß ich dem Rektor der Magdeburger Universität gegenüber. Bisher wirkte er auf mich immer seriös und ernst, aber dort war er locker und lustig.

Hast Du manchmal das Gefühl, nur auf den Titel reduziert zu werden? Auf Veranstaltungen bin ich eine Miss, aber ich bin ja nicht ständig als Miss unterwegs. Ich bin immer noch die alte, bodenständige Elisabeth. Dass ich Miss Sachsen-Anhalt bin, ändert nichts. Es ist schließlich nur ein Titel.

Als Person der Öffentlichkeit bekommt man nicht nur Zuspruch. Wie gehst Du mit Kritik um? Es gibt keine öffentliche Person, die nicht kritisiert oder beleidigt wurde. Ich achte aber nicht darauf. Das Wichtigste ist, dass meine Familie, Freunde und ich selbst wissen, wer ich wirklich bin. Wie sieht denn Dein Privatleben ­momentan aus? Ich mache ein einjähriges Praktikum im Büro, das mich auf das Studium vorbereiten soll. Zwischendurch mache ich ein paar Jobs als Miss Sachsen-Anhalt. Ansonsten widme ich mich meinen Hobbies, wie Basketball, Tanzen und ins Fitnessstudio gehen.

Was sind Deine Ziele für die Zukunft? Ich möchte gerne mein Studium schaffen. Ob das BWL oder etwas anderes ist, wird sich noch zeigen. Außerdem möchte ich ein schönes Leben führen, einen Partner finden und später Kinder bekommen. Eben ganz normale Ziele, die jeder Mensch hat. Die Misswahl ist nicht das Wichtigste im Leben. Du bist gebürtige Russin. Wieso ist Deine Familie nach Deutschland ausgewandert? In Russland gab es damals eine Wirtschaftskrise. Man hatte in Deutschland

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Elisabeth Pfeif Würdest Du Magdeburg als Deine ­Heimat bezeichnen? Als zweite Heimat. Hier wuchs ich auf und verbrachte meine Jugend. Magdeburg bleibt immer in meinem Herzen, aber es ersetzt nicht mein Heimatland.

Zu welcher Jahreszeit gefällt Dir Magde­burg am besten? Zur Weihnachtszeit, ich besuche sehr gerne den Weihnachtsmarkt. Und wenn ich am Zentrum entlang gehe, duftet es überall nach Weihnachten. Januar 2018

bessere Chancen auf ein gutes Leben und da meine Vorfahren Deutsche ­ waren, konnten wir hierherziehen. Ich war ­damals zwei Jahre alt, als meine Eltern mit mir nach Wittenberg gingen, wo mein Urgroßvater und andere Verwandte ­lebten. Mein Vater fand dann eine Arbeit in Magdeburg und deswegen leben wir jetzt hier.

Hast Du noch Familie in Russland, die Du besuchst? Die Familie meiner Mutter ist noch dort, aber ich fahre nicht allzu oft hin. Das letzte Mal war ich vor sieben Jahren in meiner Heimatstadt Omsk, eine russische Großstadt mit fast einer Million Einwohnern. Das ist mit Magdeburg nicht zu vergleichen.

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Sprichst Du auch Russisch? Ja, ich spreche es fließend. Manchmal sogar besser als Deutsch. (lacht)

Vista.Schon? Elisabeth Pfeif wurde 1998 in der russischen Großstadt Omsk in Sibirien geboren. Als sie zwei Jahre alt war, zogen ihre Eltern mit ihr zunächst nach Wittenberg und anschließend nach Magdeburg. Sie spricht fließend Russisch und Deutsch und modelte schon, bevor sie schließlich zur Miss Sachsen-Anhalt 2017 gekürt wurde. Neben ihren Verpflichtungen als Miss macht sie ein einjähriges Praktikum im Büro und möchte danach vermutlich BWL in Berlin, Hamburg oder Hannover studieren. Ihre Zeit verbringt sie am liebsten im Restaurant Alex oder im Kino Cinemaxx. Magdeburg ist für sie schön, ruhig und gemütlich.


Viele Denken, ich bin der Brร ckenpsychologe. Wer hat's gesagt?

Auflรถsung: 163 Das ganze Interview gibt es auf: www.inter-vista.de Matthias Marggraff (Prypjat Syndrome)


Andreas Schwarzbach >>Die Leute dachten, ich wisse, wo die Prostituierten sind.<< Er hat Maschinenbau studiert, heute ist er Seelsorger, Berater und eine ›linke Socke‹. Die Rede ist von Andreas Schwarzbach. Er ist kein Priester, er ist Sexshop-Besitzer. Wie es dazu kam, welches sein Lieblingsteil ist und woher sein Spitzname »Doktor Sex« kommt, ­verrät er uns im Interview. Interview und Fotos: Sarah Götz



Andreas Schwarzbach Herr Schwarzbach, sind Sie Feminist? Die Frage überrascht mich. Was ist ein Feminist?

Wie würden Sie es denn definieren? Feministen setzen sich für die Rechte der Frauen ein. Insofern bin ich Feminist. Frauen haben Rechte und müssen diese in unserer männerdominierten Gesellschaft auch durchsetzen. Wie hat der Feminismus Einfluss auf die Erotikbranche genommen? Frauen sind sexuell selbstbestimmter. Es gibt inzwischen Pornofilme, die auf den Geschmack von Frauen zugeschnitten sind. Eine eigene Art der Kunst. Ich wäre gerne zum Porno-Filmfestival, das von Frauen veranstaltet wird, nach Berlin gefahren, aber ich habe zu viel Arbeit, was mir gar nicht gefällt. Ich bin eher der faule Typ. (lacht)

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Sie sagen, dass Sie Feminist sind. Wie integrieren Sie das in Ihren Alltag? Frauen sind für mich gleichberechtigte Partner. Bei mir im Laden arbeiten außer mir nur Frauen. Ich bin auch für selbst­ bestimmte Abtreibung. Dabei verurteile ich alles, was Frauen eingrenzt.

Es war Wende und man musste sich was einfallen lassen.

Gerade in der Erotikbranche werden Frauen oft als Sexualobjekt benutzt. Sehen Sie das auch kritisch? Früher war das so. Inzwischen sind Männer genauso Sexualobjekte, zumindest für die selbstbestimmten Frauen (schmunzelt). Unser Sortiment ist mittlerweile zum Großteil auf Frauen ausgelegt. Wir


Andreas Schwarzbach haben sehr viel Wäsche und Hilfsmittel für Frauen. In den letzten Jahren kommen mehr Frauen und Paare zu uns, als Männer. Die schauen ihre Filme einfach im Internet. Wir mussten andere Geschäftszweige erschließen und ich denke, das haben wir ganz gut hinbekommen, trotz Internet.

Sexspielzeug ist vorzeigbar geworden. Es gibt viele große Firmen mit kleinen Preisen. Wie hat das den Markt, bzw. Ihren Laden hier in Magdeburg beeinflusst? In Magdeburg gab es früher sieben oder acht Läden. Bald bin ich der einzige in Magdeburg. Der Verkauf ist schwerer geworden, aber wir haben dem Internet etwas voraus. Bei uns können die Kunden alles anfassen, hören, riechen und bekommen eine individuelle Beratung. Aber das Internet macht mächtig Druck auf die Preise. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, einen Erotikladen zu eröffnen? Es war Wende und man musste sich was einfallen lassen. Ich hatte mein Maschinenbau-Studium an der Ingenieursschule für Maschinenbau und Elektrotechnik abgeschlossen, aber nie in dem Beruf gearbeitet. Ich war dann auch einer der ersten Arbeitslosen in der Wendezeit. Dass es für mich dann in Richtung Erotik ging, war Zufall.

Zufall? 1990 eröffnete ich mit meinem Ex-­ Schwager ein Spielautomaten-Casino. Das ging aber noch im selben Jahr den Bach runter. Ich lernte darüber jemanden kennen, der schon einen Erotikladen in Hannover hatte und fragte ihn, ob wir als

Partner einen Laden in Magdeburg eröffnen können.

Die Leute müssen ein bisschen Fantasie ­mitbringen.

Sie sind bald der einzige Laden hier in Magdeburg. Wie grenzen Sie sich von den anderen ab? Weshalb sind Sie nach Magdeburg gegangen? Mein Lebensmittelpunkt war damals schon Magdeburg, ich hab hier gelernt und studiert. Mit sehr viel Glück bekam ich damals Gewerberäume zugewiesen, was in der Wendezeit schwierig war. Anfangs liefen wir immer im Anzug durch Magdeburg. Man wurde mehr wahrgenommen, weil das in der DDR nicht üblich war. Ob das für die Raum­ zuweisung in Buckau ausschlaggebend war, keine Ahnung. Buckau war der ›hinterste Hinterhof‹, eine Ansammlung unsanierter Häuser, das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Heute ist es ein Vorzeigegebiet.

Und der Laden lief trotz des Stand­ortes Buckau? Nach der Wende lief alles. Die Leute hatten Geld und waren neugierig. Heute ist der Verkauf etwas völlig anderes. Aber, wenn ich mich nicht weiterentwickelt hätte, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

Seit 1991 haben Sie den Laden. Hatten Sie jemals Existenzängste oder Zweifel an der Entscheidung? Zweifel nie, aber Existenzängste. Ich begann recht früh, parallel mehrere Mietshäuser zu kaufen und zu sanieren.

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Das hielt mir immer den Rücken frei. In den Anfangsjahren der Selbstständigkeit hat man immer Existenzängste. Man weiß nie, wie sich das entwickelt. Nach fast 27 Jahren weiß ich, das geht schon irgend­ wie weiter. Durch meine Vermietung habe ich die Sicherheit, das ist sehr schön. Ich habe auch eine soziale Verantwortung für meine beiden Mitarbeiterinnen, die schon sehr lange bei mir sind, nämlich 20 und 25 Jahre. Heute würde ich kein junges ›Mädel‹ mehr da hinstellen, denn damit haben die meisten Kerle Probleme. Die sind dann gehemmt oder ihnen geht die Fantasie durch. Warum sind Sie hier geblieben und nicht nach der Wende in den Westen gezogen? Ich bin Ossi. Ich fühl mich da nicht wohl. Mir gefällt es in Magdeburg. Ich kenne hier einen Haufen Leute, vor allem durch den Sport. Ich will hier nicht weg. Ich wohne zwar jetzt nicht mehr in der Stadt, da ich in den ›Speckgürtel‹ gezogen bin, aber trotzdem ist hier mein Lebens­ mittelpunkt. Sind Sie denn schon immer sehr offen mit Sexualität umgegangen? Jo, würde ich meinen. (lacht)

Wie haben denn Freunde und Familie auf die Idee reagiert, einen Erotik-­ Laden zu eröffnen? Meine Mutter und meine Ex-Frau waren nicht so begeistert. Aber meine Ex-Frau hat dann viele Jahre bei mir gearbeitet. Anfangs war es komisch, weil niemand genau wusste, wie das Ganze abläuft. Die Leute dachten, ich wisse, wo die Prosti­ tuierten sind. Teilweise ist das heute noch 168


Andreas Schwarzbach

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Andreas Schwarzbach so. Die sollen in die Zeitung gucken, ich weiß das nicht. (lacht)

Wie war das für Sie? Hatten Sie schon immer eine Affinität zu Erotik? Nein, ich hatte auch Angst. Ich konnte den Leuten nicht mal in die Augen gucken und habe mich auch ein bisschen geniert. Dann arbeitete ich eine Woche bei meinem Ex-Partner in Hannover. Seine Mitarbeiterin sagte, ich solle die Leute anschauen. Man wächst mit seinen Auf­ gaben. Früher kamen die Leute ins Geschäft, nahmen die Ware und kauften sie. Heute muss man die Leute beraten, das ist sehr spannend. Haben Sie ein Beispiel für ein spannendes Verkaufsgespräch? Ich habe sogar zwei. Eine Mutter kam mit ihrer 18-jährigen Tochter in den Laden. Die Tochter war bei der Beratung wesentlich entspannter. Die Entjung­ ferung klappte mit ihrem Freund nicht, daher wollte sie einen Vibrator. Sie hat sich dann etwas ausgesucht. Das zweite Beispiel war vor ein paar Wochen. Eine Kundin, sie war sicher über 70 Jahre alt, fragte, ob auch eine Frau zur Beratung da wäre. Aber ich war der einzige im Laden. Sie erklärte mir recht detailliert, dass sie schon sehr lange keinen Sex mehr hatte. Bei solch einem Gespräch ist es nicht so einfach, die Kundin zufrieden zu stellen, so dass sie auch etwas kauft. Aber ich denke mal, nach so langer Zeit kriege ich das hin.

Wer kommt eher in den Laden, Frauen oder Männer? Inzwischen kommen mehr Frauen oder Paare. Nur noch ältere Männer kaufen 170

sich DVDs, die sterben aus. Mein ältester Kunde ist 94 Jahre alt.

Und er kommt immer noch? Ich weiß nicht, ob er immer noch kommt, aber erscheinen tut er regelmäßig. (lacht)

Ich brauche kein Puttchen, dem ich sagen muss, wo es lang geht.

Haben Sie ein Lieblingsstück, das Sie besonders gerne verkaufen? Es gibt zwei. Zum einen der Womanizer, weil ich damit bei meiner Freundin sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Meine Verkäuferinnen sind auch total begeistert. Und Liebeskugeln. Ich weiß, dass die sehr gut ankommen. Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihr Sortiment aus? Testen Sie die Ware auch selbst vorher? Das hängt von der Partnerin ab. Mit meiner Ex-Frau habe ich nichts ausprobiert. Wenn ich eine Partnerin habe, die das gut findet, dann ja. Die Kerle denken auch, ich müsste jeden Film gesehen haben. Da hätte ich ja viel zu tun. Es gibt auch viel Spielzeug, das ich nie ausprobiert habe. Aber ich sehe, dass es verkauft wird. Die Leute müssen ein bisschen Fantasie mitbringen. Sie haben eine Tochter. Hatte sie ­jemals Probleme mit ihrem Beruf? Sie hat bei mir gearbeitet, seit sie 18 war. Jetzt ist sie bei der Polizei. Sie hatte damit nie Probleme.


Andreas Schwarzbach Wo würden Sie hier in Magdeburg einen Erotikfilm drehen? Was ist der erste Ort, der Ihnen dazu einfällt? Die Elbe. Oder im Dom, das kann man dann mit Altertum verbinden. Da gibt es viele Möglichkeiten. Eine schöne Sache ist dieser ganze Bereich der alten Kase­ matten. Stichwort Fifty Shades of Grey. Haben Sie denn das Buch gelesen oder den Film gesehen ? Nix, gar nichts.

Hat sich der Film beim Verkauf ­bemerkbar gemacht? Ja, das habe ich nach dem ersten Film definitiv gemerkt. Nach dem zweiten habe ich vergeblich darauf gehofft.

Was haben Sie anders gemacht, dass Sie bestehen bleiben, während so viele andere ihr Geschäft aufgeben? Ich habe den Namen. Ich hatte noch zwei Geschäfte in Magdeburg, die musste ich aber wieder schließen. Die Lage auf dem Breiten Weg ist gut. Lage und Name, das ist eines. Das andere ist das Erscheinungsbild. Man muss schon ein gewisses Flair haben, um Frauen und Paare rein zu locken. Und das habe ich. Was macht Magdeburg für Sie interessant? Es ist eine relativ große Stadt, aber trotzdem überschaubar. Sie ist schön, grün und die Elbe fließt mittendurch. Das ist eine gute Lage, aber derzeit etwas chaotisch durch die Baustellen und diesen Tunnel, den keiner braucht. Vieles wurde in den

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Andreas Schwarzbach letzten Jahren saniert und die schönen alten Gebäude bleiben erhalten. Es passiert viel. Ich bin sehr zufrieden.

Kommen jeden Tag Kunden in Ihren Laden, die eine Beratung möchten? Hat sich was geändert? Es ist leider immer noch vielen peinlich. Das hat was mit Erziehung und Mentalität zu tun. Wenn ich verklemmt bin, bin ich halt verklemmt. Viele erzählen mir irgendwelche Märchen, dass sie etwas für irgendwen holen. Das nehme ich dann so hin. Werden Waren auch zurückgebracht? Eine junge Frau brachte mal den Vibrator zurück, weil sie keinen Orgasmus hatte. Das konnte ich natürlich nicht annehmen, denn der Vibrator war ja in Ordnung. Für Orgasmus-Probleme bin ich nicht zuständig. (lacht)

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Also sind Sie auch eine Art Seelsorger? Das kommt vor. Männer haben Probleme mit der Erektion. Frauen erzählen mir, ihr Mann habe keine Lust mehr auf sie. Eine

Es ist leider immer noch vielen peinlich. Das hat was mit Erziehung und ­Mentalität zu tun.

kaufte Wäsche als Eheretter. Es gibt aber auch Frauen, die meinen, sie müssten mich auf ›Herz und Nieren‹ prüfen. Sie erzählen mir Details und wollen, dass ich rot werde. Aber das funktioniert nicht mehr. Hat es mal funktioniert? Ich habe nicht von 0 auf 100 alles richtig gemacht. Ich musste mich entwickeln. Meine Frau hat früher »Doktor Sex« zu mir gesagt, das stand dann im DATEs


Andreas Schwarzbach drin. Danach kam der MDR und das ZDF hat dann auch einen Beitrag gebracht. Ich werde zur Zeit beim Sport immer wieder darauf angesprochen.

Worum geht es in diesem ZDF-Beitrag? Um meinen Werdegang vom Maschinenbauingenieur zum Sex-Shop-Inhaber. Ich finde diese Formulierung doof. Ich nenne es Erotik-Shop oder ›Fachgeschäft für Ehehygiene‹. (lacht) Ich bin Beate-­UhseFachgeschäft, das finde ich am unverfänglichsten.

Wieso Beate Uhse? Zahlen Sie den ­Namen mit? Ich zahle den Namen, das ist leider das einzige, was von dieser Firma noch übrig geblieben ist. Darüber hinaus gibt es nicht mehr sehr viel. Die Firma Beate Uhse wurde durch Scala, eine holländische Firma, aufgekauft. Also gibt es auch keine Eigen­produk­ tionen mehr? Schon ewig nicht. Wirklich bitter. Es gibt auch nicht mehr viele Beate-Uhse-Lizenznehmer. Ich bleibe dabei, weil ich den ­Namen sehr gut finde. Die Ware bekomme ich zu 90 Prozent von Orion.

Der Name Beate Uhse, was verbinden Sie damit? In erster Linie Seriosität, dem will ich gerecht werden. Ich habe diese Lizenz zu Zeiten erworben, als Beate Uhse noch lebte. Ich stehe zu dem Namen und habe ihm viel zu verdanken. Hätte ich einen Wischiwaschi Namen am Laden, wer weiß, ob es ihn noch gäbe.

Sie geben eine Kontaktanzeige von sich auf. Was würde drin stehen? Ich suche eine Frau auf Augenhöhe. Ich brauche kein Puttchen, dem ich sagen muss, wo es lang geht. Ich lehne mich auch selbst gern mal zurück und lass mir sagen, wo es langgeht. Für mich ist Sport eine ganz wichtige Sache, genauso wie Sex. Das liegt ja nahe. Ich bin unternehmenslustig. Freunde braucht jeder Mensch, sonst wäre das Leben langweilig. Ich muss auch gestehen, ich bin schon eine ›linke Socke‹.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen freien Tag und 1.000€ zur freien Verfügung. Wie wäre Ihr perfekter Tag in Magdeburg? Perfekt wäre ausschlafen, schön essen, Sport machen, schön essen [sic!] und ins Solebad gehen zum Entspannen. Das ist zwar in Schönebeck, aber es ist schön dort. Ganz einfach. November 2017

Vista.Schon? Andreas Schwarzbach wurde 1961 in Gardelegen geboren. Er hat Maschinenbau in Magdeburg gelernt und studiert. Doch in seinem ­eigentlichen Beruf hat er nie gearbeitet. Als Unternehmer ­probierte er in Magdeburg vieles aus. 1991 eröffnete er in Buckau sein Erotikgeschäft. Er war verheiratet und hat eine erwachsene Tochter, die Polizistin ist. 173


Die Inter.Vista-Redaktion

Amelie Uding

Anna Kaiser

Anne Streicher

Benjamin Holz

Felix Ernemann

Felizia Maertens

Florina Ademi

Franziska Ertelt

Greta Haberstroh

Jana Bierwirth

Jennifer Fiola

Jenny WyrWiak

Marco Starkloff

Marvin Michitsch

Lara-Sohpie Pohling

Sarah GĂ–tz 174

LArissa Jung

Arlette Krickau

Uwe Breitenborn


Impressum Projekt- und Produktionsleitung Dr. Uwe Breitenborn, Arlette Krickau

Redaktion und Autoren der Ausgabe Amelie Uding, Anna Kaiser, Anne Streicher, Benjamin Holz, Felix Ernemann, Felizia Maertens, Florina Ademi, Franziska Ertelt, Greta Haberstroh, Jana Bierwirth, Jennifer Fiola, Jenny ­Wyrwiak, Lara-Sophie Pohling, Larissa Jung, Marco Starkloff, Marcus Döpel, Marvin Michitsch, Sarah Götz Satz und Layout Marco Starkloff

Online publiziert auf www.issuu.com www.inter-vista.de Inter.Vista Nr. 5 | Juli 2018 Redaktionsschluss Mai 2018

Lektorat und Korrektorat Amelie Uding, ­Anne Streicher, Franziska Ertelt, Jenny Wyrwiak, Lara-­Sophie Pohling, Larissa Jung, Philipp Schöner Bildbearbeitung Marco Starkloff, Felix Ernemann, ­Benjamin Holz, Felizia Maertens Redaktionsfotos Axel Fichtmüller

Coverfoto Susi Brandt Arlette Krickau

Layout controlling Jule A. Brockenbach Ein Projekt von Studierenden des BA Journalismus FB Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien Hochschule Magdeburg-Stendal Breitscheidstraße 2, 39114 Magdeburg www.hs-magdeburg.de


Inter.Vista

bringt es auf den Punkt. Inter.Vista Inter.Vista Magdeburger im Gespräch.

Magdeburger im Gespräch. Nah. Persönlich. Echt.

Nah. Persönlich. Echt.

Inter. Vista maGDeburGer im GesprÄch.

Nah. persöNlich. echT.

Inter. Vista Magdeburger iM gespräch.

Gabriele brakebusch kNuT braNDsTÄTTer maTThias marGGraFF siGriD Jaspers Dirk klocke VarG köNiGsmark marco roTTe reiNer haseloFF WolFGaNG heckmaNN eNrico oTTersTeiN coNraD eNGelharDT marTiN müller GerharD FeiGe reGiNa mosT kai perreT Nils buTzeN loThar schirmer rolaND Jeske

Nah. persöNlich. echt.

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