INTER.VISTA 3

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Inter. Vista Magdeburger im Gespräch.

Nah. Persönlich. Echt.

Gabriele Brakebusch kNUT bRANDSTÄDTER Nils Butzen Conrad EngelhardT Gerhard Feige Reiner Haseloff Wolfgang Heckmann Sigrid Jaspers rOLAND ›Franz‹ jESKE Dirk Klocke Varg Königsmark mATTHIAS mARGGRAFF Regina Most Martin Müller Enrico Otterstein kAI pERRET Marco Rotte lOTHAR sCHIRMER

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Inhalt Enrico Otterstein Oberbrandmeister

Matthias Marggraff Cellist

Roland ›Franz‹ Jeske Hot Rats und Vinyl-Fan

Martin Müller Akkordeonist

Varg Königsmark Ehemaliger Hürdenläufer

Gabriele Brakebusch Landtagspräsidentin

Kai Perret Zoodirektor

Dirk Klocke Geschäftsführer Sub-Kultur

Wolfgang Heckmann Kinobetreiber OLi

Redaktion

6 14 Regina Most 22 Sopranistin 28 Marco Rotte 36 Bestatter 44 Conrad Engelhardt 52 DATEs-Chefredakteur 60 Reiner Haseloff 70 Ministerpräsident 78 Nils Butzen 86 Fußballspieler 1. FC M 96 Lothar Schirmer 104 Kriminalist 110 Gerhard Feige 118 Bischof 126 Sigrid Jaspers 132 Landgerichtspräsidentin 140 Knut Brandstädter 150 Rechtsmediziner



Lokalpatrioten, mal hergehört!

Vista noch nicht?

Willkommen in Magdeburg – der einzigen Stadt in Deutschland, von der wir mit Sicherheit sagen können, dass sie tatsächlich sympathischer ist als ihr Ruf. Der Beweis? 18 Interviews und mindestens 18 gute Gründe, warum Magdeburg eine lebenswerte Stadt ist. Für die dritte Ausgabe von Inter.Vista haben wir Magdeburger Köpfe getroffen, die an den unterschiedlichsten Orten das Stadtbild prägen. Egal, ob im Plattenladen oder im Landtag, ob Ur-Magdeburger oder Zugezogene – sie alle eint die Zuneigung zu dieser Stadt. Bei manchen eher unerwartet und widerwillig, bei anderen aus ­tief­ster Überzeugung. Wir haben in unseren Interviews nicht nur über Sport und Tod, Neuanfänge und Wendezeiten, Tiere und Religion, Mode und Helden gesprochen, sondern natür­ lich auch über die Vorteile des vibrierenden Magde­burger Stadtlebens. Urban. Umwerfend. Manchmal auch ›unmöchlich‹. Spoiler Alert: Magdeburg kann Elbe und viel Grün. Alle weiteren Gründe sind so widersprüchlich, persönlich und überraschend, wie die Stadt selbst. Und noch eine Bemerkung. Mit dem Erfolg der beiden ersten Ausgaben wächst auch das Vertrauen in unser Projekt. Wir erhalten viel Zuspruch und positives Feed­back. Im Netz findet Ihr uns mittlerweile auch unter www.inter-vista.de. Wie sagt man so schön: Läuft bei uns! Aller guten Dinge sind drei. Aber des­wegen hören wir noch lange nicht auf. Die vierte Ausgabe ist schon in Arbeit. Euer Inter.Vista-Team


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Enrico Otterstein »Mann, sind die schnell hier.« Enrico Otterstein bestätigt uns das Klischee, dass der Kaffee bei der Feuerwehr immer kalt wird: Wenn er gerade frisch aufgebrüht ist, ertönt der Alarm. Jetzt muss es schnell gehen. Die Männer rutschen die Stangen zu ihren roten Fahrzeugen hinunter und sausen mit lautem Tatütata durch die Straßen. Bei der Feuerwehr zählt jede Sekunde. Von diesen und anderen spannenden Momenten, von Heldenklischees, Urvertrauen und brenzligen Situationen erzählt Enrico Otterstein, Oberbrandmeister und Staffelführer der Feuerwache Nord der Landeshauptstadt Magdeburg.

Interview und Fotos: Luisa Hensel und Nadine Janetzky


Enrico Otterstein Spätestens seit den Anschlägen vom 11.  September hat man das Bild des heldenhaften Feuerwehrmanns im Kopf. Siehst Du Dich als Held? Wenn man dieses amerikanische Helden­ klischee nimmt, so setzt das immer voraus, dass man sich über Vorschriften hinwegsetzt. Beispielsweise um jemanden zu retten. Es gibt Momente, in denen wir aufgrund der Situation eine Entscheidung treffen müssen und die Sache dann durchziehen. Da weicht man auch mal von den Vorschriften ab. Das ist aber nicht die Regel. Viele von uns sind Familienväter. Das Ziel ist auch, einen Einsatz immer so sicher wie möglich für alle Beteiligten abzuwickeln. Dass man dann zu einem Helden stilisiert wird, kann sein. Man kann schon sagen, dass die Feuerwehrleute ein wirklich beispielloses Vertrauen genießen. Ein Polizist wird mehr hinterfragt. Aber wenn ein Feuerwehrmann sagt, mach das so und so, dann wird das so gemacht.

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Wie bist Du zur Berufsfeuerwehr gekommen? Feuerwehren sind in der Regel Teil der Stadtverwaltung. Es gibt öffentliche Stellen­ausschreibungen, auf die sich jeder bewerben kann. Im Vergleich zu den ehrenamtlichen Kräften sind die Berufsfeuerwehrleute eine kleine Gruppe. Gerade in den neuen Bundesländern muss man schon ein bisschen suchen, bis man eine Berufsfeuerwehr findet. Was würdest Du einem kleinen Mädchen sagen, das Feuerwehrfrau werden möchte? Muss es später besonders mutig sein? Das Mädchen muss besonders clever sein. Eine Einsatzkraft im Feuerwehrdienst muss eine gute Auffassungsgabe haben. Situationen schnell erkennen und erfassen und entsprechend darauf reagieren – das ist wichtig. Man sollte ein ausgeprägtes Gefühl für Sicherheit haben. Aber das lernt man


Enrico Otterstein in der Ausbildung. Meine persönlichen Erfahrungen sind, dass Frauen grundsätz­ lich anders an die Situation herangehen und dazu neigen, sie anders zu lösen als Männer. Was im Gesamtergebnis eine Bereicherung darstellt. Das ist manchmal ganz interessant. (schmunzelt) Wie viele Kolleginnen arbeiten auf der Feuerwache? Fünf Kolleginnen arbeiten hier in der Feuerwache Nord. Insgesamt sind wir etwa 140 Leute. Die Kolleginnen sind im Bereich der Einsatzleitung und in der Leitstelle tätig. Welche Eigenschaften muss ein Feuer­ wehrmann mitbringen? Er muss teamfähig sein. Teamarbeit wird großgeschrieben. Nur die Gesamtleistung zählt. Es gibt zwar viele Einzelleistungen, aber im Gesamtbild wird es dann rund. Du bist Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und bei der Berufsfeuerwehr. Welche Unterschiede gibt es? Schließlich unterscheidet man auch nicht zwischen freiwilligem Feuer und Berufsfeuer. Die Aufgaben sind dieselben. Beim zeit­ lichen Aufwand in der Ausbildung gibt es Unterschiede. Bei der Freiwilligen Feuer­ wehr ist die Grundausbildung nach rund 150 Stunden beendet. Dann kommen noch ein paar Fachlehrgänge dazu, man kommt aber nicht über 200 bis 250 Stunden hin­ aus. Die Vorbereitung für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst dauert zwei Jahre. Das sind die Leute, die in den Ein­ satzfahrzeugen sitzen. Da wird mehr auf die eigentliche Feuerwehrausbildung Wert gelegt. Bei uns ist noch ganz viel drum­ herum. Beamtenrecht, Verwaltungsrecht

und so weiter. Wir sind ja Beamte der Landeshauptstadt Magdeburg. Wir haben herausgefunden, dass ihr im Schnitt 32 Einsätze pro Tag habt. Wie setzt sich diese Zahl zusammen? Ein Großteil der Einsätze sind Rettungs­ einsätze. Wir als Berufsfeuerwehr Magdeburg übernehmen auch Aufgaben im Rettungs­ dienst. Wir betreiben zwei Rettungswagen im 24-Stunden-Dienst. Ansonsten natürlich Hilfeleistungen jeglicher Art und Brand­ bekämpfung. Letzteres ist statistisch gesehen rückläufig, aber wenn es mal brennt, dann erfahrungsgemäß intensiver.

Ich weiSS nicht wie die Kollegen in den USA arbeiten, aber es spiegelt nicht unsere ­A rbeitsweise wider. Nach einem Brand steht die Brand­ ursachenermittlung an. Wer ist Deiner Meinung nach besser in der Ursachen­ ermittlung? Polizei oder Feuerwehr? Die Polizei. Aber ihr seid doch die Feuerwehr? Ja, aber wir sind nicht dafür ausgebildet, die Brandursache herauszufinden, sondern um die Gefahr abzuwenden. Die Leute der Polizei sind speziell dafür geschult, den Sachverhalt zu erkennen. Die Brandursache hat eine nach­ gestellte Wichtigkeit, solange sich daraus kei­ ne taktischen Entscheidungen ableiten lassen. Wie viele Katzen hast Du schon vom Baum gerettet? Zwei.

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Enrico Otterstein Welche Geschichte steckt dahinter? Wir haben mal eine im Kindergarten ge­rettet, weil sie schon mehrere Stunden maunzte und die Kinder sich Sorgen ­ machten. Normalerweise tun wir das nicht. Katzen schaffen es meistens allein von Bäumen herunter, wenn sie nicht verletzt oder krank sind. Aber bei einem Kindergarten kann man schon mal eine Ausnahme machen. Das sind positive Erlebnisse. Um das aber klarzustellen: Grundsätzlich helfen wir je­ dem Tier, das sich in einer Notlage befindet. Wolltest Du als Kind schon Feuerwehr­ mann werden? Warst Du bei der Jugend­ feuerwehr? Nein, bei mir hat sich dieser Wunsch durch meine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Frei­ willigen Feuerwehr manifestiert. Ich wollte mein Hobby zum Beruf zu machen. In mei­ nem Grundwehrdienst war ich mit der Bun­ deswehr im Hochwassereinsatz in Dresden und Grimma. Dort hatte ich das erste Mal Kontakt mit Kollegen der Berufsfeuerwehr Hamburg. Das inspirierte mich. Bevor man zur Berufsfeuerwehr kann, muss man eine Ausbildung machen. Welche war das bei Dir? Ich bin Kraftfahrzeugmechatroniker. Das hilft auch bei der Arbeit, wir haben einen großen Fuhrpark. Was macht Dir an deinem Beruf Spaß? Kein Tag ist wie der andere. Mal kommt ein Interview dazu, mal ein Brandeinsatz. (schmunzelt) Das reizt mich. Erinnerst Du Dich noch, wie Dein erster Einsatz war? Der war in der Brandenburger Straße. Mein erster Gedanke damals war: ›Mann, sind die schnell hier.‹ Über der Fahrzeughalle waren

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zwei Etagen mit Ruheräumen und man muss­ te beim Rutschen umsteigen. Ich hatte ganz oben meinen Ruheraum und echte Probleme da mitzukommen. Die waren so verdammt schnell. Welche Einsätze sind Dir im Gedächtnis geblieben? Die Bombenentschärfung am Magdeburger Hauptbahnhof. Da musste die Leitstelle in der Brandenburger Straße geräumt werden. Das größte Problem war, die Notrufleitungen in die Ersatzleitstelle der Feuerwache Nord umzuleiten. Das sind Situationen, die sich einprägen. Oder zum Beispiel der Brand in ei­ nem leerstehenden Fabrikgebäude in der Ha­ fenstraße. Das brannte in voller Ausdehnung. Wir hatten schon beim Rutschen der Stange Sicht auf den Brand. Die Dimensionen waren exorbitant, ein Brand vom Keller bis ins Dach. Und dann natürlich das Hochwasser 2013. Da hat alles, was ich im Rahmen der Stabsausbil­ dung lernte, eine Form bekommen.

Jeder Einsatz ist ein Tropfen Wasser. Man muss immer ­v er­s uchen, das Glas mal auszuleeren. Was war Dein Aufgabenbereich beim Hoch­ wasser 2013? Wie hast Du die Magdeburger in der Zeit erlebt? Wenn ich ganz ehrlich sein soll, habe ich vom Hochwasser und den Magdeburgern wenig mitbekommen. Ich saß hier im Stab. Natürlich war ich auch an der Elbe, um einen Eindruck zu bekommen. Aber meistens sah ich es auf der Lagekarte.


Enrico Otterstein

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Enrico Otterstein Hast Du dir bei einem Einsatz schon mal schwere Verletzungen zugefügt? Gott sei Dank, nein. Hattest Du bei einem Einsatz schon mal Todesangst? Würde ich ›Nein‹ sagen, würde ich lügen. Wenn du dich in einem Raum befindest, in dem du nichts mehr siehst, wo nur Qualm und extreme Temperaturen sind, bei denen du dich instinktiv am Boden bewegst, dann hast du auch Angst. Wenn Menschenleben in Gefahr sind, kommt der Stressfaktor noch dazu.

Teamarbeit wird groSSgeschrieben. Nur die Gesamt­ leistung zählt. Und wie sicherst Du Dich dann ab? Wir versuchen, jede Situation so sicher wie möglich zu machen. Das heißt: Es gibt immer zwei Systeme, die unabhängig von­ einander agieren. Wenn etwas passiert, ist das andere System da. Deswegen ist es eine Teamleistung, auch wenn es von außen so aussieht, als stünden die draußen nur rum. Die sind meine Lebensversicherung. Es gibt sogenannte Sicherungstrupps. Die halten sich nur dafür bereit, uns rauszuholen. Nimmst Du schlimme Eindrücke mit nach Hause oder bleiben die auf Arbeit? Man versucht, alles hier zu lassen. Das klappt nicht immer. Ein erfahrener Kollege verglich das mal mit einem Glas Wasser. Jeder Einsatz ist ein Tropfen Wasser. Man muss immer versuchen, das Glas mal auszu­ leeren. Die Leute, die reden wollen, treffen sich. Dann spricht man darüber. Es gibt

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auch Vorkehrungen für so etwas: Krisen­ interventionsteams. Man sollte sich auf positive Ereignisse konzentrieren. Wie die Katze in der Kita. Die sind wichtig und die braucht man. Eure Schichten dauern immer 24 Stunden. Wie viel Zeit verbringt Ihr tatsächlich mit Einsätzen? Es kommt immer darauf an, wo man einge­ setzt ist, also auf welchem Fahrzeug oder im Rettungsdienst oder in der Leitstelle. Stichwort: Lagerkoller. Gibt es auch mal Streit auf der Wache? Ja, natürlich. Dann gibt es klärende Gesprä­ che, und es läuft wieder. Was macht die Feuerwehr, wenn sie mal keinen Einsatz hat? Wir bilden uns weiter, weil Sachen sich ständig ändern und man auf dem Laufenden bleiben muss. Es gibt Dienstberatungen, wir müssen unsere Küche selber bewirtschaften, die Fahrzeuge in Schuss halten und Termine für operativ-taktische Studien wahrnehmen. Da schauen wir uns Objekte an, bevor es brennt, damit wir im Einsatzfall wissen, wie die aussehen. So können wir uns besser orientieren. Ein weiterer Punkt ist, dass wir Einsatzberichte schreiben müssen. Bei mir kommt keine Langeweile auf.

Ein Polizist wird mehr hinterfragt. Wie verbringst Du deine freien Tage? Mit meinen Kindern. Ich bin sehr gerne mit meiner Familie unterwegs.


Enrico Otterstein Welche Hobbys hast Du? Einen großen Teil meiner Freizeit nimmt die ehrenamtliche Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr in Anspruch. Es engagieren sich dort zu wenige Leute. Außerdem segele ich sehr gern und fahre Motorrad. Das kommt momentan aber viel zu kurz und ist auch mit Kindern schwierig zu gestalten. Was halten Deine Kinder von deinem Beruf? Mein zweijähriger Sohn bekommt noch nicht so viel davon mit, aber meine Tochter, die bald fünf Jahre wird, ist schon stolz auf ihren Papa. Sie weiß, worum es geht und war auch schon mal hier. Schaust Du Fernsehserien, die den Alltag einer Feuerwache widerspiegeln, zum Beispiel Chicago Fire? Nein. Meine Frau schaut das gerne, ich nicht. Ich weiß nicht, wie die Kollegen in den USA arbeiten, aber es spiegelt nicht unsere Arbeitsweise wider. Musstest Du schon mal die 112 wählen? Nicht in eigener Sache, aber bei Unfallsituationen musste ich schon die 112 wählen. Abschließend: Was war das schönste Dankeschön, das Du bekommen hast? Hier kommen immer wieder Briefe an, in denen sich Leute bedanken. Da werden auch Kollegen benannt. Es kommt auch an Einsatzstellen vor, dass sich die Leute direkt bei einem bedanken. Aber ich glaube, das Vertrauen ist der größte Dank. Das spiegelt die Grundeinstellung der Leute wider. Januar 2017

Vista.Schon? Enrico Otterstein, Jahrgang 1983, ist Oberbrandmeister und Staffel­ führer der Magdeburger Feuerwache Nord. Dieses Jahr feiert er zehnjähriges Dienstjubiläum. Der gelernte Kraftfahrzeugmechatroniker pendelt zwischen seinem Wohnort nahe Potsdam und der Arbeitsstelle in Magdeburg. Sein Lieblingsort ist das Schlein­ ufer bei Nacht. Er beschreibt die Magde­ burger als reservierte, aber herzliche Menschen. Die Stadt sei abwechslungsreich, individuell und geschichtsreich. Für ihn ist die Arbeit bei der Feuerwehr die abwechslungsreichste und spannendste Aufgabe, die er sich vorstellen kann.

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Enrico Otterstein

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Regina Most »Private Zufriedenheit spielt eine große Rolle, wenn man mit schlechten Kritiken umgehen muss.« Seit den achtziger Jahren steht Regina Most im Opernhaus auf den Magdeburger Brettern, die die Welt bedeuten. Gleich nach ihrem Gesangsstudium wird sie in der Elbstadt engagiert und ist ihr seitdem treu geblieben. Inter.Vista erzählt sie, warum sie vor Lampenfieber lieber hechelt, was sie von Jeanslöchern im Theater hält und wie sich die Opernhaus-Bühne nach 36 Jahren anfühlt. Interview und Fotos: Stefanie Schreckenbach


Regina Most Sie stehen seit fast vier Jahrzehnten auf der Magdeburger Bühne. Haben Sie noch Lampenfieber? Ich habe immer Lampenfieber, egal wie groß die Rolle ist. Bei kleinen Rollen manchmal sogar noch mehr. Wenn man immer mit einem gewissen Level an Lampenfieber zu tun hat, hat man bei einer kleineren Rolle wenig Chance, das abzubauen. Bei einer großen Rolle wird man sicherer und kann was gutmachen. Haben Sie Tricks gegen Ihr Lampenfieber? Nein, einige Tricks meiner Kollegen fallen nicht in mein Repertoire. Zum Beispiel Yoga oder autogenes Training. Lampenfieber gehört zum Leben auf der Bühne dazu. Ich habe Tricks gar nicht erst ausprobiert.

Die Stimme wird eben im Alter nicht ­s chöner, sondern ­i nteressanter. Sie sind seit den achtziger Jahren hier in Magdeburg engagiert. Haben Sie in den 36 Jahren durchgehend am Opernhaus gespielt? Ich habe im Wesentlichen nur in Magdeburg gespielt. Woanders hatte ich nur Gastspiele. Ich hatte viele Angebote, aber dann war ich in Magdeburg, die Kinder waren klein und ich konnte nicht so einfach weg. Sie sind Sopranistin, waren aber immer wieder als Soubrette engagiert. Was genau ist denn eine Soubrette? Eine Soubrette wird heute als Fach nur noch wenig engagiert. Eine Soubrette ist die Rolle des Mädchens. Also der leichte Sopran, der meistens mit Koloraturen (im

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Gesang eine schnelle Abfolge von Tönen mit kurzen Notenwerten gleicher Länge, Anm. d. Red.) unterlegt ist. Er wird sehr stark in der Operette oder in Musicals eingesetzt. In der Oper sind das die leichten Sopranrollen, also häufig an jugendliche Rollen gekoppelt. Die Jahre sind mir inzwischen abhanden gekommen. (lacht) Es gibt aber durchaus noch Rollen, die ich machen kann, auch in diesem Fach. Eben ältere Damen oder Frauen. Ich habe immer noch einen guten Stimmumfang. Aber ich kann mich nicht mehr vergleichen mit dem Angebot, was heute an jungen Sängerinnen da ist. Der Maßstab ist hoch. Aber das finde ich toll.


Regina Most Wie hat sich denn Ihr Stimmenvolumen im Laufe der Jahre geändert? Die Stimme an sich ändert sich nicht. Man kommt mit einer ausgebildeten Stimme auf den Markt. Dafür studiert man lange. Aber auch nach der Ausbildung muss man die Stimme auf der Bühne weiterentwickeln. Man muss lernen, über den Graben zu kommen, also das Orchester. Die besten Tricks der Schulung, der Schonung und des Transports der Stimme sind reines Handwerk. Im Allgemeinen entwickelt sich bei Soubretten die Mittellage im Laufe der Jahre besser, aber im Alter sinkt die Höhe ab. So, wie man jeden Muskel trainieren kann, lässt sich auch die Stimme trainieren. Eine gewisse Abnutzung, wie man eben Falten kriegt, lässt sich aber nicht verhindern. Die Stimme wird eben im Alter nicht schöner, sondern interessanter. Oder auch uninteressanter. (lacht) Es ist nicht mehr der Glanz der Jugend drauf. Gewisse Rollen sind dann eben nicht mehr drin, während andere Rollen durchaus eine gewisse Patina benötigen. Wie sind Sie Sopranistin geworden? Sopran ist die Stimmlage, mit der man geboren wird. Die Stimmlage hängt mit der Größe der Stimmbänder und dem Kehlkopf zusammen. Meine Mutter war Sängerin in der Staatsoper in Berlin, mein Vater war leidenschaftlicher Laiensänger. Wir sind von klein auf an Musik herangeführt worden und waren oft in der Oper oder im Theater. Früh stand schon fest, dass ich singen oder schauspielern möchte. Ich habe mich an der Schauspielschule in Berlin beworben. Die fragten, ob ich nicht lieber Gesang studieren wolle? Also bewarb ich mich an der Musikhochschule. Die meinten, ich solle mich an der Schauspielschule bewerben. Da war ich genauso

schlau wie vorher und bin an die Hochschule für Musik »Hanns Eisler« gegangen. Wie kamen Sie nach der Ausbildung an das hiesige Opernhaus? Es war kein Zufall, denn mein Mann ist Magdeburger. Er ist Hornist und hat auch in Berlin studiert. Ich bin in Berlin aufgewachsen, aber ich fühlte mich nie als Berlinerin. Ich kann Berlin nicht leiden. Es gab damals einen großen Mangel an Hornisten und in Magdeburg war eine Stelle frei. Eine Mitarbeiterin des Opernhauses in Magdeburg wusste, dass in Berlin ein Magde­burger Hornist mit seiner Ausbildung fertig wird. Sie fragte seine Eltern, ob er schon ein Engagement habe. Das war 1979. Für mich war klar, dass ich mich auch hier bewerbe. Wir hatten das große Glück, ein Doppel-Engagement zu bekommen. Zu DDR-Zeiten war das schwierig, heute ist es fast unmöglich.

Auf der Bühne stehen, fühlt sich genauso an wie vor 30 Jahren. Sie kannten Magdeburg bereits durch ­Ihren Mann und seine Familie. Wie war Ihr erster Eindruck? Ich kenne Magdeburg seit 1976 und fand die Stadt und das Umland schon immer schön. Zum Beispiel Salbke, wo meine Schwiegereltern wohnten. Gerade da draußen war die Natur toll. Es war Ruhe und kaum hektisch, was mich an Berlin immer störte. Es war ein Vorteil, bei der Familie zu sein. Mein Kind war unterwegs und der Theaterberuf erforderte auch, abends auf der Bühne zu stehen.

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Regina Most Wie hat sich die Arbeit am Theater verändert? Wie ist es, im Vergleich zu damals, auf der Bühne zu stehen? Auf der Bühne fühlt es sich genauso an wie vor 30 Jahren. Man muss dieselbe Disziplin mitbringen. Der feste Kollegenstamm war allerdings größer. Heute haben wir in Magdeburg auch mehr Gäste. Das Niveau ist gestiegen, finde ich. Dinge ändern sich: Stil, Darstellung, Kostüme, was Regisseure fordern, wie die Maske arbeitet oder Perücken gemacht werden. Aber aus der eigenen Haut kann man schlecht raus. Man hat eine gewisse Art zu spielen und sich zu bewegen. Jeder Mensch ist im Prinzip sich selbst treu. Wenn man ihn kennt, erkennt man ihn an der Bewegung. Es gibt auch Regisseure, die versuchen daran zu drehen. In dem Augenblick, wo es sich um Dinge handelt, die man fühlen muss, gibt man sich immer selbst Preis und kann nicht aus seiner Haut. Geändert hat sich an dem Beruf für mich nichts.

In dem Augenblick, wo es sich um Dinge handelt, die man fühlen muss, gibt man sich immer selbst Preis. Wie haben sich für Sie die Arbeitsbedingungen nach der Wende geändert? Früher waren wir mehr oder weniger unkündbar. Heute hat man diese Verträge nicht mehr. Ich hatte das Glück, nach der Wende vom damaligen Intendanten übernommen zu werden und empfinde immer noch große Dankbarkeit. Nehmen Sie im kulturellen Bereich heute einen größeren finanziellen Druck wahr?

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Kultursubventionen stehen ja immer mal wieder auf der politischen Tagesordnung. Für mich persönlich war die Gage nie das Thema. Ich brauche keinen Pomp zum Leben. Mein Mann hatte eine gute Gage im Orchester und wir lebten immer relativ bescheiden. Aber es gibt gewisse Dinge, an denen nicht gespart werden kann. Was hilft es denn, wenn eine Inszenierung oder ein Theater kaputtgespart werden und die Leute sagen: Nein danke, da kann ich auch in meinem Wohnzimmer fernsehen. Im Theater möchten Zuschauer wirklich etwas Besonderes erleben, denn die Unmittelbarkeit ist genau das, warum Leute ins Theater gehen. Sie sagten, dass sich der Stil im Theater änderte. Haben Sie dafür ein Beispiel? Die Maske und gerade Perücken waren verspielter. Es war neckischer mit ein paar netten Löckchen. Die Augen wurden blau und die Augenbrauen als große Balken geschminkt. Heute ist die Maske natürlicher. Es wird mehr mit Eigenhaar und weniger mit Perücken gearbeitet. Deswegen trage ich meine Haar kurz, damit ich doch eine Perücke kriege. (lacht) Bei den Kostümen wurde schon immer sehr akribisch gearbeitet, weil wir eine eigene Schneiderei im Haus haben. Heute gibt es einen stärkeren Mix von Stilen. Man koppelt Modernes zum Beispiel mit barocken Elementen. Man nimmt die Polster, hat aber einen kurzen Rock dazu oder die Puffärmel, aber keine Handschuhe. Genauso, wie man ­Stücke, die 200 Jahre alt sind in die Moderne transferiert, wird das eben mit Kostümen auch gemacht. Gibt es eine Lieblingsrolle in Ihrer ­Karriere? Meine Lieblingsrolle war von Kindheit an Eliza Doolittle aus My Fair Lady. Die durfte ich auch in Magdeburg geben. Sehr gern


Regina Most habe ich Maria in West Side Story gespielt, weil das eine sehr lyrische Rolle ist. Ich habe immer gern geschauspielert und nicht nur gesungen. Sehr gerne auch Blondchen in Mozarts Die Entführung aus dem Serail oder Adele in Die Fledermaus. Ich habe so viele Rollen gespielt, dass ich eigentlich keine Wünsche mehr habe. Was ist die schönste Erinnerung, die Sie mit dem Opernhaus in Magdeburg verbinden? Don Carlos, Ende der neunziger Jahre. Ich habe den Pagen gegeben, mein Mann saß im Orchester, mein großer Sohn stand im Extrachor mit mir auf der Bühne. Und mein kleiner Sohn machte Statisterie und Bühnen­ musik, sodass wir alle vier zusammen in einem Stück involviert waren. Eine tolle Sache war die erste Walküre, die ich 1989 machen durfte. Das war von der Atmosphäre her

toll. Genau wie 1988 Das Land des Lächelns. Wir spielten vor ausverkauftem Haus und die Leute waren begeistert. Die Atmosphäre damals im Zelt nach dem Hausbrand 1990 ist mir auch in Erinnerung geblieben. Da wurde auf dem Uniplatz ein Kuppelzelt als Übergangsspielstätte aufgebaut. Das war eine tolle Erfahrung, weil es ganz anders zu bespielen war und eine andere Atmosphäre hatte. Es war ein Zelt mit einer richtigen Bühne und einem schönen Raum für das Publikum. Es gab keinen Orchestergraben, aber eine kleine Höhle für die Musiker. Sie betonen die Atmosphäre der Inszenierungen. Im Theater ist keine Aufführung gleich, oder? Nein, das sind sie nie. Man hat gute und schlechte Tage. Auch die Stimme ist nicht immer gleich. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man am schlechtesten drauf ist, gibt man die besten Vorstellungen. Das liegt am Adrenalin. Wenn das Level des Lampenfiebers ein leichtes Flattern, aber kein Hecheln ist, wird man unachtsam und fahriger. Da laufen vor und während der Aufführung im Körper chemische Dinge ab, die man nicht steuern kann. Wie lange ist die Vorbereitungszeit für ein Stück? Im Durchschnitt dauert der Regieteil sechs Wochen, je nach Länge des Stücks. Musikalisch ist die Vorbereitungszeit ein wenig anders. Mit Glück erfährt man von einer großen Rolle ein Jahr im Voraus, wenn man Pech hat, drei Monate. Die Vorbereitung auf eine Rolle macht man zunächst allein, dann arbeitet man mit einem Repetitor. Früher war die Vorbereitungszeit mitunter so knapp, dass man sich umfangreiche Rollen wirklich in den Hals singen musste.

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Regina Most Knallhart jeden Tag üben. Immer dieselben Kolorationen, immer dieselben Töne. Haben Sie das Gefühl, dass sich das Publikum in Ihren Bühnenjahren verändert hat? Klatschen ist immer noch Klatschen, aber früher haben die Leute nur ›Bravo‹ gerufen, wenn es ihnen gefallen hat. Heute sind es ›Brava‹ für Frauen und ›Bravo‹ für Männer. Das Publikum ist mutiger geworden. Es gibt auch Standing Ovations und durchaus Blumen. Und es wächst Publikum nach, das anders gekleidet zu Aufführungen kommt. Ich weiß, es ist modern, Löcher in der Jeans zu haben, Fransen an den Hosen, offene Turnschuhe und überall Schnipsel dran. Man gewöhnt sich an den Anblick. Ich habe gelernt, dass man nicht mit Stiefeln ins Theater geht. Wenn wir als Kinder in die Oper gingen, hatten wir im Winter eine große Tüte dabei. Wir fuhren mit der U-Bahn und in der Tüte waren unsere Pumps drin. Die Stiefel wurden dann in der Garderobe abgegeben und die feinen Schuhe angezogen. Das ist heute kein Thema mehr. Aber das sind Äußerlichkeiten und die haben natürlich nichts mit menschlicher Qualität zu tun.

Wenn man am ­s chlechtesten drauf ist, gibt man die besten Vorstellungen. Wenn man so lange wie Sie auf der Bühne steht, wie sehr freuen Sie sich noch auf Ihren Applaus? Es ist jedes Mal genauso schön wie beim ersten Mal. Der Applaus ist unser Lohn in Form von Dankbarkeit. Mein Sohn singt jetzt in Dessau im Chor. Er sagte mal zu mir,

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nachdem er im Chor eine größere Solorolle hatte: Mama, weißt du, wie geil das ist, wenn man den Applaus nur für sich kriegt. Als er das so sagte, dachte ich, ja da ist was dran. Haben Sie schon mal erlebt, dass das Publikum nicht zufrieden war? Ich denke nie lange über meine eigene Leistung nach. Ich bin ja ein Ensemble-­ Mensch. Das heißt, für mich ist immer wichtig, wie die gesamte Aufführung war. Manchmal wundere ich mich aber auch. Das Stück ist toll, wir waren toll. Und die Leute nehmen das gar nicht so wahr. Und dann frage ich mich, was wollt ihr dann? Aber das sind ja auch alles Individuen. Gehen Sie privat auch in die Oper? Ja, ich gucke mir hier im Musiktheater und Ballett viel an. Ich gehe auch in Dessau ins Theater oder in Konzerte in Berlin. Mein anderer Sohn ist freischaffender Musiker. Er spielt alles von Pop über Klassik. Wenn ich die Zeit habe, schaue ich mir das sehr gern an. Sind Sie als Frau vom Fach kritischer mit dem, was andere Kollegen machen? Wenn jemand Kunst macht, tut er ent­ weder das, was von ihm gefordert wird, oder das, was er sich dabei denkt. Ich kann eigentlich nur individuell sagen, ob mir das gefällt oder nicht. Ich sehe, wie viel Arbeit, Mühe und Liebe in der Rolle steckt. Das erkennt man als Zuschauer vielleicht nicht. Meine Kinder erwarten von mir schon Kritik. Denn sie wissen, die ist ehrlich. Kritik ist ja nicht dazu da, jemanden zu treten, sondern um aufzubauen. Wie gehen Sie selbst mit Kritik an Ihrer Leistung um? Man muss mit Kritik leben, aber man darf sie nicht an sich heranlassen. Man hat ja


Regina Most auch mit Regisseuren zu tun, die einem durchaus nicht gewogen sind. Ich hatte immer einen sehr großen privaten Rückhalt. Insofern hat das Gesagte zwar genagt, aber mich nicht kaputt gemacht. Ich habe dann immer gesagt, ich gehe nach Hause und mach die Tür zu und nehme meine Kinder in den Arm. Der private Rückhalt, die private Zufriedenheit, die spielen eine große Rolle, wenn man mit schlechten Kritiken umgehen muss. Was Kritik betrifft, ist man ja empfänglich für die positiven Dinge und merkt sich leider immer die negativen. Aber die taten früher auch mehr weh als heute.

Unmittelbarkeit ist genau das, warum Leute ins Theater gehen. Herrscht im Kulturbetrieb ein spürbarer Konkurrenzdruck? Es ist keine Ellbogengesellschaft, weil wir vom Ensemble immer so bestückt waren, dass wir das untereinander nicht brauchten. Natürlich möchte man das eine oder andere machen, was die Kollegin bekommen hat. Aber Neid war nicht dabei. Im Allgemeinen gab es Verständnis dafür, dass die Kollegin das besser kann. Heute ist ganz einfach die Qualität so hoch und die Auswahl so groß. Das Theatersterben ist überall. So gibt es im Prinzip immer weniger Arbeit für immer mehr hervorragende Künstler und Künst­ lerinnen. Magdeburg möchte 2025 Kulturhauptstadt werden. Kann Magdeburg das, was meinen Sie? Ich finde es mutig, Magdeburg ist eine Stadt, die den Wert von Kultur schätzt. Ihr fehlt

ein bisschen die Offenheit für große oder spektakuläre Sachen. Man muss anfangen mit kleinen Brötchen, um dann später einen großen Kuchen backen zu können. Möglicherweise sollte man die Brötchen schon jetzt ein bisschen größer und ein bisschen weitsichtiger backen. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall. Was ist Ihr liebster Ort in Magdeburg? Ich sitze sehr gerne auf meinem Balkon in Cracau, ich bin auch gerne in meinem kleinen Gärtchen. Wir sind viel im Stadtpark unterwegs, am Herrenkrug und am Elbdamm. Ich schätze an Magdeburg das viele Grün. Wenn ich so von meinem Balkon gucke, sehe ich zu dieser Jahreszeit den Sonnenuntergang direkt auf dem Stadtpark und den Albinmüller-Turm. Und wenn ich die rote Sonne in den Bäumen sehe, denke ich immer: Das ist wunderschön. November 2016

Vista.Schon? Regina Most wurde 1955 in Wurzen geboren und wuchs in Berlin auf. Ihr Gesangs­ studium absolvierte sie an der Hochschule für Musik »Hanns ­Eisler« in Berlin. Seit 1980 ist sie als Sopranistin am Opernhaus Magdeburg engagiert. In der Spielzeit 2016/17 ist sie unter anderem in Madame ­ Butterfly und in Pariser ­Leben zu sehen. Mit Magdeburg verbindet sie Natur, Theater und Bedachtheit.

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Matthias Marggraff »Viele denken, ich bin der Brückenpsychologe.« Ob Bahnhof oder Sternbrücke, ob Sommer oder Winter. Matthias Marggraff alias »Prypjat Syndrome« schmückt als unkonventioneller Cellist und Straßenmusiker das Stadtbild Magdeburgs. Mit Inter.Vista unterhält er sich über seinen experimentellen Werdegang und verrät uns, was er beim täglichen Musizieren in Magdeburg erlebt. Interview und Fotos: Diana Elschner


Matthias Marggraff Was verbindet Deinen Künstlernamen »Prypjat Syndrome« mit der verlassenen ukrainischen Geisterstadt Prypjat nach dem Tschernobyl-Unglück? Am meisten beschreibt der Begriff die Sound­ ästhetik. Da ist viel Fläche. Viel Weite. In Prypjat leben nur noch wenige Menschen und die Natur erobert sich alles zurück. Dazu habe ich viele Gedanken und Bilder. Ein kritischer politischer Ansatz ist auch dabei, da sich solche Ereignisse wie in Tschernobyl wiederholen und die Menschen nichts dazu lernen. Die Message möchte ich den Leuten aber nicht aufdrücken. Jeder kann sich seinen Teil dazu denken. Meine Musik ist nicht per se happy hippo.

und am Sonntag dann mit Hörsturz zum Klassikkonzert ins Kloster Unser Lieben Frauen. So etwas gab es ständig.

Punkrock nach der Schule machte SpaSS.

Irgendwann hat sich dann Deine Musik von klassisch zu experimentell entwickelt? Genau. Ich kaufte mir zunächst einen Tonabnehmer für viel Geld. Stück für Stück habe ich dann Sachen ausprobiert. Damals hatte ich noch ein geliehenes Cello von meiner Musiklehrerin. Da konnte ich nicht viel herumschrauben. Stattdessen habe ich das ­Instrument an einen Gitarren- und Bassverstärker angesteckt. Das klang mehr oder weniger gut. Mit den Jahren habe ich mir Effektgeräte gekauft und gebaut, mit denen ich noch heute spiele. Außerdem gründete ich mit ein paar Freunden eine Band und wir haben uns ausprobiert. Punkrock nach der Schule machte Spaß. Das war damals aber noch ein Hobby.

Wie würdest Du jemandem, der nicht ­hören kann, deine Musik beschreiben? Ich würde sagen, meine Musik ist vor allem sphärisch, flächig, weit und tief. Eine Mischung aus dröhnendem Ambient und ­ Punkrock. Ich versuche, den Sound, den ich im Kopf habe, so nah wie möglich durch mein Instrument zu realisieren. Hast Du musikalische Vorbilder? Die kennt bestimmt kein Mensch (schmunzelt). Ich versuche es mal: Steve Roach, Robert Rich, Alio Die. Drone Ambient, ­Naturaufnahmen, sogenannte Field Recordings, sphärischer Jazz und Ost-Punkrock gehören auch dazu. Ist Deine Familie sehr musikalisch? Zu Hause hat keiner wirklich ein Instrument gespielt. Es gab aber immer das komplette Kulturprogramm. Mein Vater war dafür die Stoßkraft. Samstag zu Motörhead ins AMO

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Wie kamst Du dann zur Musik? Dafür wurde ich Anfang der neunziger Jahre ›zwangsangemeldet‹. Damals musste man auf einen Platz in der Musikschule genauso lang warten, wie auf einen Trabant zu DDR-Zeiten. Nach mehreren Jahren wurde dann ein Platz für den Cellounterricht in der Musikschule frei. Eigentlich wurde ich für Geige angemeldet. Im Nachhinein bin ich froh, dass es so gekommen ist. Mit einem Cello hat man mehr zu schleppen, aber es klingt nicht so quietschig wie die Geigen.

Wie wurde Musik zu Deinem Hauptberuf? Das Leben ging gegen den Baum. Die Beziehung scheiterte. Kaufmann für Bürokommunikation hat mir nach der Beendigung meiner Ausbildung nicht mehr gefallen. Nichts ging vorwärts. Also musste ich die Initiative ergreifen. Ständig nur rumheulen geht auch nicht. Da habe ich mir mein Cello


Matthias Marggraff geschnappt und überall in Deutschland auf der Straße gespielt. Prompt gab es tolles Feedback. Mit simpler Technik begann ich , auf CD-Rohlinge meine Musik zu brennen und zu verkaufen. Das klang am Anfang technisch scheußlich, aber die Leute haben es gekauft. (lacht) Danach kamen die Visitenkarten, ich wurde gebucht und konnte dadurch meine Prozesse optimieren. Wichtig ist, sich nicht beirren zu lassen. Egal was dir jemand sagt, es gibt immer eine Lösung. Wenn ich einen bestimmten Sound haben wollte, baute ich mir meine Technik selbst. Ohne technische Vorkenntnisse. Ganz oder gar nicht. Im Sommer sieht man Dich oft unter freiem Himmel Cello spielen. Was gefällt Dir ­daran? Ich bin ein Sonnenfan. Ich kann Vitamin D tanken. Den Winter hasse ich wie die Pest. Ich kann in der Fläche flächige Musik machen. Ich werde bestrahlt und ich kann zurückstrahlen. Das soll jetzt aber nicht esoterisch klingen. Die Akustik klingt draußen auch anders. Die Temperatur, Wetterlage und Luftfeuchtigkeit verändern den Sound. Das bringt auch technische Schwierigkeiten mit sich. Wind ist zum Beispiel nicht so gut.

Die Vielfalt und die Kunst, dass so viele Faktoren zusammenspielen, reizt mich.

Meine Schullaufbahn war eher wie eine Sinus­k urve, hoch und runter. Wie beeinflussen der Ort und die Menschen um Dich herum Deine Musik? Brücken sind ein sehr angenehmer Ort zum spielen. Zum Beispiel die Sternbrücke. Da gibt es keinen städtischen Krach. Die Menschen dort sind anders als in der Innenstadt. Wesentlich entspannter. Die Leute gehen auch langsamer, wenn sie in Richtung Stadtpark gehen, als wenn sie hektisch zum Einkaufen laufen oder Termindruck haben. Spielst Du lieber vor vielen oder wenigen Leuten? Wenn sich ein Halbkreis von Zuhörern um mich bildet, entsteht eine andere Energie. Da gebe ich mir mehr Mühe. (schmunzelt) Es geht mehr ab, und meine Musik tendiert dann stärker zum Punkrock. Wenn ich mehr

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Matthias Marggraff für mich spiele, wird es experimenteller. Je nach Laune ist es aber auch genau anders rum. Spielst Du fertige Stücke oder improvisierst Du? So ›freejazzig‹ wie am Anfang ist es nicht mehr. Irgendwann sind bestimmte Melodien im Kopf, auf die man gerne zurückgreift. Es gibt keinen festen Aufbau von einem Stück. Ich spiele eine Phrase an und dabei entwickelt sich die Musik. Mit meinen Liedern ist es wie mit einem Sandwich. Da kommt eine Scheibe nach der anderen drauf.

Mit meinen Liedern ist es wie mit einem Sandwich. Da kommt eine Scheibe nach der ­a nderen drauF. Wie reagieren die Magdeburger auf Deine Musik? Sehr gut. Besser als in München. Bei der Sternbrücke bleiben Leute teilweise stundenlang neben mir. Besonders interessant ist die Reaktion der Kinder. Ein paar bleiben stehen und wollen am liebsten an den Saiten zupfen. Andere haben den Mund offen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man anhand der Reaktion der Kleinkinder er­ahnen kann, welche Charakterzüge sie später haben werden. Und wenn es gut läuft, landet etwas im Hut. Was war Deine interessanteste Begegnung in Magdeburg? Das sind so viele. Es gibt eine unwahrscheinliche Bandbreite an Menschen in dieser Stadt. Ich müsste mal ein Tagebuch führen. Studenten sämtlicher Nationen haben mich schon begleitet. Politiker kommen vorbei.

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Auch Obdachlose gehören dazu. In Magde­ burg kennt jeder jeden. Täglich kommen Leute vorbei, sagen ›Tach’ Matze‹ oder ›Bist du nicht der Typ von der Sternbrücke?‹ und wollen sich unterhalten. Da muss ich aufpassen, dass ich nicht die meiste Zeit vom Spielen abgehalten werde. Worüber redet Ihr dann? Viele denken, ich bin der Brückenpsychologe. Einige schütten mir ihr Herz aus. Am Häufigsten beschweren sich die Leute über ihre Arbeit und darüber, dass Geld allein nicht glücklich macht. Besonders Leute in höheren Positionen, bei denen man solche Probleme nie vermuten würde. Ist Magdeburg für Dich eine musikalische Stadt? Eher nicht. Es gibt viele Singer- und Songwriter. Mit meinem Musikgeschmack, also Punkrock und Ambient, findet man hier nichts. Nischenmusik wird in Magdeburg nicht wirklich bedient. Für mich ist hier leider wenig Spannendes dabei. Fühlst Du Dich in Magdeburg wohl? Ich bin kein Lokalpatriot. Ich finde es in Ordnung. Magdeburg ist eine grüne Stadt. Der Moritzhof und das Studiokino sind gut. Richtig krasse kulturelle Sachen fehlen aber. Früher gab es hier den Mikrokosmos, einen Punkrock-Schuppen und Punk-Konzerte im Heizhaus oder im Knast. Das hat alles nachgelassen. Ich weiß nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es zu schmuddelig für die Stadt. Wo hältst Du Dich hier am liebsten auf? Zu Hause und draußen in der Natur. Im Herrenkrugpark und in Diesdorf. Dort laufe ich gerne und fahre Fahrrad.


Matthias Marggraff Wo kann man Dich, außer an der Stern­ brücke, noch finden? Bei Auftritten, am Bahnhof Magdeburg und in anderen Städten. Bis zwei, drei Grad plus spiele ich auch im Winter draußen. Das ist schon Hardcore. Da muss ich mich echt warm anziehen. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass der Job nicht auf die Knochen geht. Ich mache es aber gerne.

Samstag zu Motörhead ins ›AMO‹ und am Sonntag mit Hörsturz zum Klassikkonzert ins ›Kloster unser ­L ieben Frauen‹. Ist Musizieren für Dich mehr Hobby oder Arbeit? Arbeit klingt nach Fabrik. Hobby zu verniedlichend. Leidenschaft nach einer Liebesromanze. Ich bin das einfach. Ich möchte das am liebsten noch nach meiner Rente machen. Am Besten, bis ich aus den Latschen kippe. Meine Schullaufbahn war eher wie eine Sinuskurve, hoch und runter. Ich wüsste gar nicht, was ich sonst machen sollte. Das ist mein Ding. Welche Projekte hast Du für die Zukunft? Gerade habe ich mein zehntes Album Carbohydrates fertiggestellt. Alle Alben sind limitiert. Nun verschicke ich alle Vorbestellungen. Sogar Russland, Italien, Tschechien und ein Inselstaat in Asien waren schon dabei. Da möchte ich anknüpfen und noch deutlich mehr Alben produzieren. Meine Ideen müssen raus. Mein Proberaum in Cracau ist endlich fertiggestellt. Ich würde sagen, ich bin ›equipmentgeil‹. Da gibt es

immer noch etwas, das ich gerne ausprobieren will. Was kann man vom Beruf eines Straßenmusikers lernen? Man überdenkt das Kategorisieren von Menschen. Oft lässt man sich von Äußerlichkeiten täuschen. Viele Menschen sind auf den zweiten Blick ganz anders. Jeder Mensch, egal welchen Bildungsgrad er mitbringt, hat Gefühle. Und Musik verbindet. Januar 2017

Vista.Schon? Matthias Marggraff wurde 1987 in Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern, geboren. In Magdeburg wuchs er auf. Nach seiner kaufmännischen Ausbildung beschloss er, das Cello zu seinem Beruf zu machen. Seit 2011 spielt er in den Großstädten Deutschlands als Straßenmusiker. Dabei erfindet Matthias das Cello durch Verstärker, Loops und elek­ tronische Verzerrungen neu. In Magdeburg kann man ihn auf der Sternbrücke sowie am Bahnhof spielen hören. Gerade stellt er sein zehntes Album mit dem Titel Carbohydrates fertig. Für ihn ist Magdeburg annehmbar und grün. Magdeburger sind für ihn oft »wie auf Valium«.

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Marco Rotte »Man darf den Bestatter nicht immer als den ernsten Mann betrachten.« Womit sich Bestatter beschäftigen, verdrängen die meisten Menschen. Marco Rotte ist ein Bestatter. Inter.Vista erzählt er, wie man in diesem Beruf quereinsteigt, warum es andere Berufe viel schwerer haben und wie seine ungewöhnlichste Trauerfeier war. Interview und Fotos: Jennifer Fiola



Marco Rotte Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit dem Tod? Es ist über zwanzig Jahre her. Damals hatte ich einen Bereitschaftsdienst übernommen und sollte meine erste Überführung von einem Sterbeort durchführen. Natürlich ist man ein bisschen aufgeregt, ich hatte aber keine Angst.

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Entscheidung, die ich getroffen habe. Ich möchte nichts anderes mehr machen. Ich habe meine Berufung gefunden.

Wir flaxen viel ­m iteinander.

Wie haben Freunde und Familie darauf reagiert, als es hieß, Sie werden Bestatter? Meine Familie kennt mich und weiß, was ich für ein Mensch bin. Dass ich sehr gut in diesen Situationen mit den Menschen umgehen und mich darauf einstellen kann. Auch im Freundeskreis haben alle positiv reagiert. Es ist ja auch ein spannendes Thema.

Wie sind Sie Bestatter geworden? Ich fing Anfang der neunziger Jahre an, auf den Friedhöfen als Organist Trauerfeiern zu begleiten. Nebenbei habe ich in verschiedenen Bestattungsinstituten ausgeholfen. Ich mochte meine Freiheit als freischaffender Organist. Leider konnte man nicht viel Geld damit verdienen. 1997 bekam ich vom Inhaber Helmut Schmidt das Angebot, in seiner Firma Mitarbeiter zu werden. Nach langem Für und Wider habe ich zugesagt. Heute kann ich sagen, es war die beste

Gab es schon mal negative Kommentare über Ihren Beruf? Das nicht. Es hat eigentlich jeder bewundert. Aber es gab oft den Ausdruck, dass mein Beruf ja so schwierig sei. Andere das nicht könnten. Das höre ich noch heute, was aber völliger Unsinn ist. Die Berufe in der Pflege wie Ärzte und Krankenschwestern haben es viel schwerer. Sie haben mit leidenden Menschen zu tun, die Schmerzen haben. Wenn die Angehörigen zu uns kommen, sind die Menschen verstorben. Natürlich


Marco Rotte müssen wir die Trauer der Angehörigen aushalten können. Aber ich denke, das ist nicht so schlimm, wie das, was man vor dem Tod auch als Familie erlebt. Den geliebten Menschen sterben sehen. Wie sieht ein ganz normaler Arbeitstag eines Bestatters aus? Ich bin der Filialleiter in dieser Firma. Ich ziehe die Fäden so, dass die Firma läuft. Unser Arbeitsalltag besteht aus Trauer­ gesprächen mit den Angehörigen, Trauer­ feiern und Formalitäten hinsichtlich des Trauerfalls. Das ist ein sehr ausgefüllter Tag. Man ist manchmal auch froh, wenn man nach Hause gehen kann. Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am meisten? Dass ich den Menschen in ihrer Not helfen kann und bei den Entscheidungen, die sie hinsichtlich der Bestattung treffen müssen. Das ist für mich als Mensch primär das Wichtigste. Wie haben Sie, bevor Sie Bestatter gewor­ den sind, zum Thema Tod gestanden und wie ist es heute? Bevor ich Bestatter wurde, hat mich der Tod nicht interessiert. Die ersten Gedanken zum Tod kamen, als ich mit dem Orgelspielen begann. Ich war dann oft bei Trauerfeiern und sah die Menschen leiden. Da denkt man über die eigene Familie nach und dar­ über, wie man selbst mit dem Tod umgehen ­würde. Das Thema Tod und Sterben wird in der heutigen Gesellschaft verdrängt. Woran könnte das liegen? Die Globalisierung macht es den Menschen schwieriger, eine Kultur zu leben. Schon in der DDR gab es kaum eine Bestattungs­

kultur. Wenn man einen vernünftigen Sarg wollte, hatte man ein Problem. Und der Staat hat es einem auch nicht leicht gemacht. Vor allem, wenn es um kirchliche Trauer­ feiern ging. Heute ist es hauptsächlich die Globalisierung und die Vereinsamung der Menschen. Es gibt viele Menschen, die keine Angehörigen haben und um die sich dann niemand kümmert.

Es ist schon oft ­passiert, dass wir uns selbst hinterher in den Armen ­l agen und miteinander ­g eweint haben. Der Umgang mit Trauernden gehört zu Ihrem Tagesgeschäft. Welche Fähigkeiten sollte ein Bestatter unbedingt haben, um diesen sicherlich schwierigen Situationen standhalten zu können? Man muss zuhören können und man braucht ein gutes Einfühlungsvermögen. Darauf verlassen sich auch die Angehöri­ gen. Wenn der Angehörige zu uns kommt, möchte er seinen Verstorbenen in professio­ nelle Hände geben. Der Bestatter muss sein Handwerk verstehen, nett sein, aber auch auf einen eingehen und zuhören können. Wie sieht das mit den Verstorbenen selbst aus? Wird der Umgang irgendwann all­ täglich? Bei der Versorgung der Verstorbenen natür­ lich. Es ist ein sich immer wiederholender Ablauf, den man macht. Es darf aber nie zur Routine werden. Man muss immer mit einem großen Maß an Respekt und Pietät mit den Verstorbenen umgehen. Das darf

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Marco Rotte man auch nie verlieren, ansonsten ist man in diesem Beruf falsch. Gruseln oder ekeln Sie sich vor manchen Verstorbenen? Nein, es gibt nichts zu gruseln. Wir kommen in den verschiedensten Situationen mit Verstorbenen in Berührung, von einem ganz normalen Haussterbefall bis hin zum Freitod oder Verkehrsunfällen. Das ist kein schöner Anblick, ich habe das aber bis jetzt immer gut verarbeitet. Welche Beisetzungen fallen Ihnen persönlich besonders schwer? Alle Bestattungen, die mit Kindern zu tun haben. Da stoßen auch wir an unsere Grenzen. Man assoziiert es immer mit der eigenen Familie. Es ist schon oft passiert, dass wir uns selbst hinterher in den Armen lagen und miteinander geweint haben. Wie lenken Sie sich zu Hause vom Beruf ab? Ich habe das große Glück, dass meine Frau auch in dieser Firma arbeitet. So können wir uns selber den notwendigen Trost geben und uns alles von der Seele reden. Oder gemeinsam froh sein, wenn wir unsere gesunden Kinder sehen. Man muss es trennen können. Es gibt aber bestimmte Sachen, die einem doch nah gehen und die man mit nach Hause nimmt. Gab es einen Moment, an dem Sie an Ihrer Berufswahl zweifelten? Nein. Wie hat Ihr Beruf Sie geprägt? Leben Sie seitdem intensiver beziehungsweise bewusster? An manchen Tagen ja. Wenn man etwas nicht so Schönes für sich selbst erlebt hat.

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Dann denkt man schon mehr über das Leben nach. Ansonsten lebe ich wie jeder andere Mensch auch. Ich lebe nicht extrem gesund, nur weil ich mit dem Tod zu tun habe und weiß, ich könnte früher sterben. Ich habe auch meine Hobbys und Tage, an denen man feiert und mal ein Gläschen Wein trinkt. Was haben Sie für Hobbys? Ich bin leidenschaftlicher Angler. Das ist für mich die beste Möglichkeit, vom Alltag abzuspannen. Ich fahre auch gerne Fahrrad. Das ist es, was mich glücklich macht. Kochen Sie auch? Sehr viel und sehr gern. Das sieht man. (lacht) Am liebsten durchforste ich die Kochbücher mit meiner Frau und koche mit ihr zusammen.

Ich muss nicht alles mögen, aber ich muss es akzeptieren. Gehen Sie auch gerne essen? Seltener, aber wenn, dann genießen wir es sehr. Wir gehen gerne ins Steakhaus Bralo House am Domplatz, zum Italiener Piccolo Mondo in der Münchenhofstraße oder in das Restaurant Croatien in der Hegelstraße. Gibt es eine Bestattung, die Ihnen stark im Gedächtnis geblieben ist? Ja, wir hatten in der Vergangenheit eine Trauerfeier von einem sehr bekannten Arzt in Magdeburg. Allein die Größe dieser Trauerfeier, die Bilder, die man gesehen hat, das Blumenmeer, welches in der Kapelle angehäuft war. Wenn man so etwas sieht, sagt man immer wieder: Wow. Das muss


Marco Rotte man sich im Leben erst mal verdienen, von so vielen Menschen auf seinem letzten Weg begleitet zu werden. Kümmert sich der Großteil der Menschen schon zu Lebzeiten um ein Begräbnis oder wird das eher von den Angehörigen im Nachhinein erledigt? Es wäre unser Wunsch, wenn alle Menschen vorher zu uns kämen und erzählten, was sie wollen. Wenn ich das vertraglich regele, nehme ich meinen Angehörigen schon so viele Entscheidungen ab und kann sie somit entlasten. Dann können meine Angehörigen sich wirklich um das Wichtige kümmern, und das ist das Trauern. Aber dieser Verdrängungsmechanismus sorgt natürlich dafür, dass meistens die Angehörigen dann entscheiden müssen, was wir machen. Gibt es denn Leute, die noch zu Lebzeiten zu Ihnen kommen? Ja, die gibt es schon. Wir wünschen uns natürlich, dass es viel mehr wären. Aber es kommen regelmäßig Menschen zu uns, die ihre einstige Bestattung selbst planen möchten. Die über Vierzigjährigen fangen an, sich Gedanken zu machen. Die meisten sind aber dann doch 50 oder 60 Jahre alt und älter. Welche Bestattungsarten bieten Sie an? Es gibt die Erd- und die Feuerbestattung. Bei der Erdbestattung sagt es schon der Name. Man lässt sich in einem Sarg auf einem Friedhof beisetzen. Bei der Feuerbestattung hat man mehr Möglichkeiten. Man kann sich ganz konventionell auf einem Friedhof in einer Grabstelle oder Gemeinschafts­anlage beisetzen lassen. Bei Naturverbundenheit kann der Friedwald oder die Seebestattung interessant sein. Auch die Almbestattung in den Bergen ist möglich.

Welche Bestattungsart wird bei Ihnen ­momentan am meisten nachgefragt? Die Feuerbestattung. Mit einem sehr hohen Prozentsatz von bis zu 92 Prozent in unserer Region. Glauben Sie, dass sich die Bestattungs­ kultur weiter individualisieren wird? Ja, auf jeden Fall. Bereits in den letzten Jahren kamen immer mehr Bestattungs­ formen dazu. Vor 20 Jahren hat noch keiner an einen Friedwald gedacht. Heute ist er fester Bestandteil der Bestattungskultur. Es werden immer neue Bestattungsformen dazu kommen, an die wir heute noch gar nicht denken. Das liegt auch an der Globalisierung der Menschen. Viele Familien sind in ganz Deutschland, ja sogar in der Welt verstreut. Ein Grab möchten sich deswegen manche Familien nicht mehr halten und suchen dann nach Alternativen.

Ich möchte nichts ­a nderes mehr machen. Wie stellen Sie sich Ihre Bestattung vor? Ich möchte eine Feuerbestattung. Hinsichtlich meiner neuapostolischen Konfession wird die Trauerfeier auf einer kirchlichen Basis stattfinden. Ich denke, das wird meine Familie aber mal sehr gut organisieren. Bei einer Trauerfeier lachen – wie denken Sie darüber? Gut, wenn es angemessen ist. Da sind wir beim Thema Trauerrede. Ein Trauerredner muss sich ganz viel Input von den Angehörigen geben lassen, was das Leben des Verstorben ausmachte. Und da sind auch Anekdoten und Momente im Leben dabei, die der Redner wiedergibt, und die ganze Trauer­gesellschaft fängt an zu lachen. Dann

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Marco Rotte weiß auch der Trauerredner, dass er ganz viel richtig gemacht hat. Es ist also nicht so, dass Lachen nicht erlaubt ist. Im Gegenteil. Mein Anspruch als Bestatter ist es, wenn ich mit den Angehörigen im Beratungsgespräch zusammensitze, sie wenigstens einmal lachen zu lassen. Welche Bestattungskulturen interessieren Sie? Prinzipiell alle. Wir haben zwar nicht so ein multikulturelles Leben wie in Berlin, München oder Hamburg, aber es kommt schon mal vor, dass wir verstorbene Menschen aus anderen Kulturen wie Afrika, Griechenland, Asien oder Russland haben. Wir hatten zum Beispiel die Beisetzung eines chinesischen jungen Mannes, bei der das buddhistische Glaubensgut dazugekommen ist. Dies einmal organisieren zu dürfen, ist einerseits eine Herausforderung, andererseits lernt man viel über die Kulturen der Menschen.

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Es gibt aber auch Kulturen, in denen die Leichen alle paar Jahre wieder ausgegraben werden. Das ist zum Beispiel in Madagaskar so, wo dieser Kult gelebt wird. Das ist eine überlieferte Kultur, die sie dort mit viel Eifer und Freude leben, was für uns vielleicht skurril ist. Ich als Bestatter sage aber, es ist richtig, was sie machen. Jedes Land hat seine überlieferten Kulturen und die sollen sie ruhig leben. Ich muss nicht alles mögen, aber ich muss es akzeptieren. Können Sie sich an eine ungewöhnliche Trauerfeier erinnern? Einige Jahre nach der Wende, als ich als Organist tätig war. Da haben wir eine Trauerfeier gehalten, bei der ich dachte, ich sitze im SED-Kreistag. Die Trauerfeier war wirklich ›so rot‹. Der Redner stellte sich mit erhobener Faust hin und sagte, sie würden die Fahne weiter tragen. Ich dachte, wir hätten das Thema DDR hinter uns gelassen.


Marco Rotte (lacht) Das ist wirklich etwas, was ich heute noch vor Augen habe. Wie ist Ihre Meinung zu Hospizarbeit? Ich bin ein großer Fürsprecher. Hospiz­ arbeit ist eine wichtige Aufgabe. Wir haben häufiger mit dem Hospiz zu tun. Da lernt man auch die Mitarbeiter und ihre Arbeit kennen. Die Betreuung ist einzigartig. Es ist keine primäre medizinische Versorgung, sondern ein wirkliches Begleiten in den letzten T ­agen, Wochen, vielleicht auch Monaten. Es ist ein Segen, dass es diese Organisation gibt. Beispiel Hirntod: Ethik und Medizin sind sich nicht einig. Die Ethik sagt, der Mensch ist nicht mehr am Leben, die ­Medizin sagt, der Mensch ist tot. Wann ist für Sie ein Mensch verstorben? Wenn der Arzt den Tod an seinen Merk­ malen feststellt, ist ein Mensch in meinen Augen verstorben. Schlägt sich die doch eher traurige Stimmung des Themas auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Kollegen nieder? Nein, ganz im Gegenteil. Wir flaxen viel mit­ einander. Es gibt sicherlich auch Momente, in denen es ernst ist. Wir sind aber sonst eine lustige Truppe. Man darf den Bestatter nicht immer als den ernsten Mann betrachten. November 2016

Vista.Schon? Marco Rotte ist, wie er selbst sagt, Magdeburger durch und durch. 1971 in Magdeburg geboren, lebt er auch heute noch mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen im Stadtteil Neustadt. Nach seiner Ausbildung zum Kfz-Elektromechaniker machte er sich als freischaffender Bestattungsorganist selbständig und übernahm Bereitschaftsdienste für Bestattungsinstitute. 1997 gab Marco Rotte seine Selbstständigkeit auf und fing an, bei Helmut Schmidt Bestattungen zu arbeiten. Mittlerweile ist er seit neun Jahren Filialleiter dieser Firma. Magdeburg in drei Worten beschreibt er als grün, schön und seine Heimat. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist die Elbe.

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Roland ›Franz‹ Jeske »Was hier so passiert, ist manchmal die reinste Freakshow.« Roland ›Franz‹ Jeske ist eine Institution in der Magdeburger Musikszene. Seit 25 Jahren betreibt er seinen Plattenladen Hot Rats, mit dem er in der Arndtstraße residiert. Mit Inter.Vista spricht er über das Plattensammeln in der DDR, geplatzte Träume und italienische Hausmannskost. Interview und Fotos: Laura Rittler


Roland ›Franz‹ Jeske Dein Vorname ist eigentlich Roland. ­Warum nennen Dich die Leute ›Franz‹? Meine damalige Frau und Mutter meines tollen Sohnes hat sich das ausgedacht. Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen richtigen Fransenbart und irgendwann wurde dann eben ›Franz‹ zu meinem Spitznamen, aber eigentlich nur in der Familie. In den ersten Jahren nach der Eröffnung haben wir den Laden gemeinsam betrieben. Da hat sie mich immer Franz genannt. Ich habe mich daran gewöhnt und meine Kunden auch. Ich glaube, 90 Prozent der Leute, die schon seit 20 Jahren herkommen, wissen nicht, wie ich richtig heiße. Kennst Du den Film High Fidelity? (lacht) Das ist mein Lieblingsfilm. Ich erkenne mich darin richtig wieder und meine Stammkunden auch. Wir hatten sogar einmal die Idee, im Laden Kameras und Mikrofone aufzustellen. Was hier passiert, ist manchmal die reinste Freakshow. Damit könnte man zehn Filme drehen!

Allein wegen der Musik und der alternativen Szene hat sich der Umzug gelohnt. In diesem Film wird ein gewisser Kult darum betrieben, wie der Protagonist seine Platten sortiert und dabei immer abstrusere Ordnungssysteme und Listen entwickelt. Wie ist Deine private Sammlung sortiert? Vor zehn oder 15 Jahren war sie alphabetisch sortiert. Aber meine Sammlung wurde häufig in Kisten verpackt, weil ich in meinem Leben etwa 15 Mal umgezogen bin. Es war

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immer ein einziges Rein und Raus, deshalb herrschte in meiner Sammlung nie wirklich Ordnung. Meine Platten alphabetisch zu sortieren, habe ich deshalb irgendwann wieder verworfen und jetzt ist vieles einfach im Wohnzimmer auf dem Boden gestapelt. Ich sollte die Platten wohl einmal in mein Regal einsortieren, aber ich habe einfach keine Zeit dafür.

Insgesamt ist das Schallplatten-Hören eben keine Neben­ sache, sondern ein ganz anderes, ­i ntensiveres Hören. Was machst Du, wenn Du etwas Bestimmtes suchst? Greifst Du blind in den Stapel und fischst nach dem Zufallsprinzip eine Platte heraus? Gezielt nach etwas zu suchen habe ich schon lange aufgegeben! Ganz grob ist meine Sammlung aber trotzdem sortiert. Vor meiner Musikanlage stehen die neuesten Platten aneinandergereiht, etwa 80 aus dem letzten halben Jahr. Weitere 30 oder 40 sind vor der Glasvitrine, in der ich meine Schätze aufbewahre, aufgereiht. Außerdem stehen drei oder vier Kisten hinter der Couch, jede mit jeweils etwa 100 Platten. Bei denen weiß ich ehrlich gesagt nicht ganz genau, was überhaupt drin ist. Erinnerst Du Dich noch an den Song, der Dein Interesse an Musik geweckt hat? Ja! Der »Farbfilm« von Nina Hagen. Das war ein Knaller, ein Ohrwurm. Der Song war witzig und etwas ganz Neues für mich. Bei meinen Eltern lief Elvis, aber auch sehr


Roland ›Franz‹ Jeske viel Schlager, das hat mir gar nicht ge­fallen. Aber einen Schlager mochte ich doch: den »Badewannentango«. Das war auch ein Hit. Ja, den fand ich cool. (lacht) Das heißt, bei Dir hat alles mit Nina Hagen angefangen. Ja, mit ihr hat alles angefangen. Von ihr war auch meine erste Westplatte. Alben von DDR-Bands gab es ja zu kaufen, aber Westplatten waren schwer aufzutreiben. 1979 gab es dann allerdings schon kleine, illegale Plattenbörsen. Einmal fand auf einem Hinterhof eine kleine Platten-Kauf- und Tauschbörse statt. Der Veranstalter hatte eine Kiste, in der ungefähr 50 Platten gestapelt waren. Die meisten davon waren Westplatten. Mir ist die Kinnlade runtergeklappt, als ich das sah. Dort habe ich zum ersten Mal echte Platten von den Rolling Stones und den Beatles gesehen. All diese Rockplatten! Und da stand eben auch das erste Album von Nina Hagen, bei dem bin ich irgendwie hängen geblieben. Der Besitzer verlangte 130 Mark dafür, das war damals normal für Westplatten. Weil das Lehrgeld nicht reichte, musste ich mir dann einen Zehner leihen und war für den Rest des Monats pleite. Aber das Album war einfach der Kracher. Wie war es, in der DDR ein Fan von Rockmusik zu sein? Wenn eine neue, besondere Platte rauskam, haben meine Freunde und ich manchmal kleine, private Releasepartys veranstaltet und uns das Album alle gemeinsam angehört. Es war auch ganz normal, Platten auszutauschen und auf Kassetten zu überspielen. Man konnte sich ja nicht alles kaufen. Ich habe auch nicht alles, was ich kaufte, behalten. Manchmal habe ich Platten nach dem Kauf mit meiner Bandmaschine archiviert und dann weiterverkauft. Es sei denn,

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Roland ›Franz‹ Jeske ein Album war so besonders, dass ich es einfach behalten musste, zum Beispiel die Platten von Frank Zappa oder eben Nina Hagen. Hast Du die Sachen von damals noch? Nein, leider nicht mehr. Zwischenzeitlich hatte mich dieses Medium ›CD‹ überzeugt. Ich mochte CDs, weil sie weniger Platz wegnahmen als Schallplatten und weil man sie im Auto hören kann. Deshalb verkaufte ich fast alle meine Schallplatten. Ich hatte dann zwar immer noch ein paar Platten, aber im Großen und Ganzen war das Thema für mich abgeschlossen.

Als ich den Laden ­e röffnete, da haben die Punks noch Punkrock und die Gruftis noch Grufti-Musik gehört. Das ist jetzt anders. Wann bist Du zur Schallplatte zurück­ gekehrt? Damals sind viele Leute in meinen ­Laden gekommen und wollten ihre alten Schallplatten gegen neue CDs eintauschen. 100 Platten gegen fünf CDs. So billig hat man nie wieder Platten bekommen. Es war verrückt, die Leute wollten sie einfach nur loswerden. Einmal war auch eine große Sammlung von Frank-Zappa-Platten dabei. Der Besitzer wollte sie loswerden, weil auf den CDs mehr Material drauf war. Wir hatten uns gerade die Bonustracks auf der CD angehört und waren begeistert. Eine der alten Schallplatten hatte einen tiefen Kratzer, deshalb wollte ich mir auch diese

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eine Platte anhören, bevor ich sie annahm. Als ich sie auflegte fiel mir sofort auf, dass sie trotz Kratzer viel besser klang als die CD. Daraufhin habe ich die Sammlung mit Kusshand genommen und ab diesem Tag wieder angefangen, Platten zu sammeln. Wie stehst Du als Verfechter der analogen Tonträger zu Downloads und Musikstreaming? Hier im Laden nutze ich Spotify, um in Songs und Alben reinzuhören, damit ich die Verpackung nicht öffnen muss. Oder um mich einfach schlau zu machen, bevor ich etwas kaufe oder anderen Leuten empfehle. Für jemanden, der sich nur berieseln lassen oder informieren will, ist Streaming eine gute Sache, das will ich gar nicht abstreiten. Aber ich muss immer etwas in der Hand haben. Jeder Tonträger ist ja auch ein Kunst­ objekt. Der Künstler macht sich schließlich auch über die Präsentation Gedanken. Er wählt ein Cover aus, er druckt die Texte ab, er möchte etwas damit sagen! Ich finde, das muss honoriert werden. Insgesamt ist das Schallplatten-Hören eben keine Nebensache, sondern ein ganz anderes, intensiveres Hören. Und abgesehen davon, kann der ­ Klang von MP3s einfach nicht mit dem einer Schallplatte mithalten. Du hast Deine Jugend in Halle verbracht. Was hat Dich später ausgerechnet nach Magdeburg verschlagen? Während meiner Lehre kannte ich jemanden, der in Burg lebte und regelmäßig nach Halle-Neustadt kam, weil seine Freundin dort wohnte. Abends trafen wir uns oft in einer Kneipe und er war ganz überrascht, dass ich noch nie in Magdeburg war. Deshalb lud er mich irgendwann zu sich ein. Im Interhotel am Bahnhof gab es damals eine Kneipe, die Pilsner Quelle. Als ich reinkam, saßen da


Roland ›Franz‹ Jeske 100 Leute. Alle mit langen Haaren, Bärten, Nickelbrillen und zerfetzten Jeans. Die sahen alle gleich aus – ich natürlich auch. (lacht) Ich fühlte mich sofort wie zuhause. Wir sind dann alle mit dem Bus in den Herrenkrug gefahren, wo oft Bluesbands spielten. Bei diesen Konzerten waren immer mehr als 500 Leute! Das hat mich beeindruckt. So etwas gab es bei mir zuhause nicht. Also beschloss ich, dass ich da hinziehen muss. Also bist Du der Musik hinterher gereist? Ja, und zwar mit dem Traktor. Acht Stunden hat das gedauert. Umzugsunternehmen, wie wir sie heute kennen, gab es nicht. Aber einer meiner Kollegen von der Baustelle wohnte in einem Dorf und sein Nachbar hatte einen Traktor. Den haben meine ­Helfer und ich uns ausgeliehen. Ein Sofa, die Schallplatten, meine Anlage und eine Kiste Bier, mehr hatte ich nicht. Und so zog ich dann nach Magdeburg.

Es war wie ein Tollhaus. Vier Läden unter einem Dach. Das war cool. Warum hast Du ausgerechnet in der Arndtstraße Deine Zelte aufgeschlagen? Ursprünglich war mein Laden in der Wolfenbütteler Straße. Später bin ich mit Andrea, einer Freundin, die auch einen Laden hatte, in ein wunderschönes Gebäude in der Heidestraße umgezogen: ein quadra­ tisches Backsteingebäude, ein richtiger Industriebau. Wir haben noch einen Piercer mit ins Boot geholt und dann kam noch ein weiterer Laden dazu, eine Teestube. Es war wie ein Tollhaus. Vier Läden unter einem Dach. Das war cool. Dort haben

wir gemeinsam zehn Jahre verbracht, bis der Piercer in die Stadt zog, weil er mehr Kundschaft wollte. Es war eben doch ein ehemaliges Fabrikgebäude. Andrea wollte irgendwann raus aus dem Schmuddel­-Image und hat sich in der Arndtstraße einen Laden gesucht. Ich war dann der letzte Mohikaner und bin hinterhergezogen. Wolltest Du die Räumlichkeiten nicht allein weiterbetreiben? Ich wollte da bleiben, hatte schon Pläne, wie ich das ganze Haus finanzieren könnte, aber dann sind meine zwei besten Mitarbeiter nach Berlin gegangen. Mit ihnen wollte ich im Untergeschoss Konzerte veranstalten. Wir hätten eine Bühne gebaut und eine Bar eingerichtet, aber dazu braucht man natürlich Leute, die auch am Wochenende arbeiten und auf die man sich verlassen kann. Und solche Leute hatte ich plötzlich nicht mehr. Ich zögerte ein halbes Jahr lang, dort auszuziehen, und zerbrach mir den Kopf, ob ich das Haus doch irgendwie finanzieren kann. Aber als MP3s immer beliebter wurden und die Leute anfingen, Musik zu downloaden, kam der finanzielle Einbruch. Ich habe dann gar nicht versucht, die Situation schönzureden. Den Laden konnte ich dort einfach nicht halten, also bin ich in zweckmäßigere Räumlichkeiten umgezogen. Cool finde ich es hier eigentlich nicht. Manche sagen zwar, es sei schön eingerichtet, aber der alte Laden war einfach viel cooler. Inzwischen bin ich seit fast zehn Jahren hier in der Arndtstraße. Die Zeit vergeht so schnell. Du wohnst seit 1980 in Magdeburg. Wie hat sich die Stadt seitdem verändert? Als ich damals aus Halle-Neustadt, wo alles neu war, hierher in diese graue, zerbröckelte Einöde zog, war ich schon etwas schockiert. Aber das war es mir wert! Allein wegen

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Roland ›Franz‹ Jeske

der Musik und der alternativen Szene hat sich der Umzug gelohnt. Dass jetzt einige der hässlichen Neubauten aus der City verschwunden sind, ist eine schöne Sache. Und auch, dass die Stadtmauer unten restauriert wurde und alles um den Dom herum, das Hundertwasserhaus. Das ist wirklich schön. Auch sonst hat sich Magdeburg verändert. Die Leute sind offener geworden. Damals war alles streng getrennt. Als ich den Laden eröffnete, da haben die Punks noch Pun-

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krock und die Gruftis noch Grufti-­Musik gehört. Das ist jetzt anders. Gibt es auch Aspekte, die Dir heute fehlen oder die Dir damals besser gefielen? Es gab nicht so viele Baustellen. (lacht) Diese Konzerte und die Blues-Szene, die vermisse ich schon. Die Leute sind älter geworden, viele sind nicht mehr da, manche sind blind, manche taub, manche tot. Dass hier nichts mehr ist, das ist schade.


Roland ›Franz‹ Jeske Hast du schon einmal überlegt, wegzuziehen? Irgendwohin, wo es eine aktivere Szene gibt? Ich habe mal überlegt, nach Leipzig zu gehen, einfach, weil die Stadt so schön ist. Und ich kenne da viele Leute. Aber ich will nicht weggehen. Selbst, wenn ich meinen Laden nicht mehr hätte, gäbe es immer noch gut hundert Leute, die mir sehr ans Herz gewachsen sind, mit denen ich auch privat Zeit verbringe. Ich weiß gar nicht, zu welcher Party ich zuerst gehen soll. Das ist wirklich toll und ich will das nicht aufgeben. Wie sieht Dein perfekter Feierabend aus? Wenn ich den Laden verlasse, brauche ich erst einmal eine halbe Stunde Ruhe. Sobald ich zuhause bin, mache ich eine Flasche Wein auf und bereite das Abendessen vor. Ich verbringe auch gern mal ein oder zwei Stunden in der Küche. Dabei läuft dann meistens schon wieder Musik. Wenn dann alles passt, Essen und Wein schmecken, dann ist das für mich schon perfekt. Mehr brauche ich gar nicht – außer vielleicht die richtige Gesellschaft. Wenn meine Liebste mit am Tisch sitzt, ist alles perfekt. Ich bin kein Filmfreak. Ich sitze nicht um 20.15 Uhr vor dem Fernseher. Mein Satellitenreceiver stand drei Jahre lang neu verpackt im Schuhschrank, bevor ich das Ding endlich anschloss. Ich glaube, es war wegen einer Musiksendung auf ARTE. Aber ich gucke nicht jeden Sonntag Tatort. Was kochst Du am liebsten? Keine großen, verrückten Sachen. Ich habe schon alles an Pasta gemacht, was Jamie Oliver gemacht hat. (lacht) Ich lasse mir gern Zeit bei dem, was ich mache: eine schöne Scheibe Serrano-Schinken, dazu ein Rotwein und ein paar Oliven oder ein bisschen Käse vorneweg. Letzte Woche

hatte ich zwei ­meiner Kunden und Freunde zum Abendessen eingeladen. Ich mischte Sardellenfilets mit Knoblauch, Peperoni und Petersilie, dazu gab es Pasta und einen schönen, ­ kräftigen Weißwein. Und dann war die Welt in O ­ rdnung. Musikfan, Plattenladen-Betreiber. Weißt Du auch Momente absoluter Stille zu schätzen? Wenn ich morgens am Frühstückstisch sitze, läuft keine Musik. Da brauche ich ein bisschen Ruhe und überlege, was ich an dem Tag so alles machen muss. Aber auf die Dauer wird es schon komisch, so ohne Musik. November 2016

Vista.Schon? Roland ›Franz‹ Jeske, Jahrgang 1961, sagt von sich selbst, dass er eigentlich erst »mit dem Laden« geboren worden sei. Er ist ein erklärter Fan des avantgardistischen Musikers Frank Zappa, nach dessen zweitem Album Hot Rats er seinen Plattenladen benannte. In Halle-Neustadt geboren und aufgewachsen, betrachtet er Magdeburg bereits seit über 37 Jahren als seine Heimat. Neben seinem Plattenladen betreibt Franz Jeske außerdem das Independent-Label Hot Rats Records, das bereits sechs Tonträger veröffentlichte.

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Conrad Engelhardt »Ich war verrückt genug, um es zu machen.« Wo viele auf dem Absatz kehrt gemacht hätten, ist Conrad Engelhardt geblieben. Aus einem Studenten-Nebenjob, bei dem er sogar selbst investieren musste, wurde eine Berufung. 26 Jahre sind seitdem vergangen. Mit Inter.Vista spricht der Chefredakteur des Magdeburger Stadtmagazins DATEs über die Anfänge im Mediengeschäft, seinen Buchverlag ­OstNordost und darüber, was ihn an Magdeburg fasziniert. Interview und Fotos: Philipp Schöner


Conrad Engelhardt Erinnerst Du Dich noch an dein erstes Date? Mein erstes Date war mit meiner allerersten Freundin. Aber ich kann mich nicht konkret erinnern, das ist 33 Jahre her.

Und Du warst bereit? Naja, ich war verrückt genug, um zu sagen dass ich mir das vorstellen könne. Ohne zu ahnen, wie das mein gesamtes Leben beeinflussen würde.

Aber wie Dein erstes Date mit DATEs verlief, das weißt Du noch? Ja. Ich hatte gerade angefangen, Maschinenbau zu studieren. Damals kam eine Anfrage über Freunde, ob ich mir vorstellen könnte, für ein Magazin zu arbeiten, das in Magdeburg aufgebaut werden soll. Irgendwelche Investoren aus Westdeutschland seien da im Spiel. Warum nicht, dachte ich. Geld kann man immer gebrauchen. Im September 1990 trafen wir uns zum ­ersten Mal.

Wann wurde DATEs letztendlich gegründet? Den Beschluss fassten wir noch Ende 1990, kurz vor Weihnachten. Die eigentliche Firmen­ gründung war im Februar 1991. Unser erstes Heft haben wir im April herausgebracht.

Man agiert in einem engen wirtschaft­ lichen Raum, in dem es nicht unendlich neue Kunden gibt [...]. Die Stadt endet für uns an ihren Rändern. Die vermeintlichen Investoren waren vier Jungs aus Hannover-Burgdorf. Sie hatten schon in Niedersachsen ein Magazin, das so klitzeklein war, dass man es fast nicht so nennen konnte. Ihre Wahl fiel auf Magdeburg, weil der Raum Hannover und Braunschweig schon besetzt war. Wir merkten relativ schnell, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Es waren aber keine Jobs zu vergeben. Nein, sie suchten Investoren. Somit stand ich vor der Entscheidung, ob ich bereit bin, dieses Projekt finanziell mit anzuschieben.

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Wie kam es zu dem Namen? Das ist eigentlich ein verballhorntes Konstrukt. Wir hatten mehrere Ideen auf dem Tableau. Englische Begriffe waren damals ziemlich en vogue. Der ursprüngliche Name war ein anderer – Up to Date. Nach zwei, drei Ausgaben hatten wir dann allerdings ein anwaltliches Schreiben auf dem Tisch. Es gab zur gleichen Zeit ein Münchner Mode­ magazin mit diesem Namen. Wir wurden der Markenrechtsverletzung bezichtigt. Aus heutiger Sicht wäre das nicht zum Tragen gekommen, weil wir nicht die gleiche Branche und das gleiche Verbreitungsgebiet hatten. Aber wir waren damals viel zu jung und unerfahren, um einen Rechtsstreit anzufangen. Der Name hatte sich noch nicht eingeprägt, und wir wollten da einfach möglichst glimpflich herauskommen, also haben wir das wieder gestrichen. Wir versuchten aber, das Logo zu erhalten. Den Kasten, in dem ›Up to‹ stand, haben wir einfach überradiert. An das ›DATE‹ haben wir ein ›s‹ angehängt und so entstand DATEs. Wie siehst Du, mit etwas Abstand, heute den Namen? Wir haben Jahre später gedacht, dass es eigentlich ein unpassender Begriff für ein


Conrad Engelhardt Stadtmagazin ist. Man orientiere sich da an originellen Titeln in Hannover oder Nürnberg mit dem Schädelspalter oder dem Plärrer. Begriffe, die nicht das Genre ›Lifestyle‹ implizieren. Wir waren aber dann schon drei, vier Jahre dabei. Das anfangs vom Kentern bedrohte Schiffchen schwamm und nahm so langsam Fahrt auf. Heute, nach mehr als 25 Jahren, ist der Name zu etabliert in Magdeburg, um das nochmal umzuschmeißen. Welche Schwierig­keiten musstet Ihr meistern? Zu Beginn war es im besten Sinne ein studentisches ›Start-Up‹ mit vollem Risiko. Wir bekamen keinerlei Förderung. Leute aus dem Medienbereich meinten, wir sollten die Finger davon lassen, da wir unser ganzes Geld verlieren würden. Wir haben es trotzdem gemacht. Jetzt erst recht. Jeder von uns hat 2.000 D-Mark eingebracht. Damit hatten wir genug Geld, um die Startauflage zu drucken. Außerdem war das Magazinmachen damals viel schwieriger als heute. Seiten mussten von Hand gesetzt werden, Bilder mussten litografiert werden. Das war sehr teuer und ungeheuer zeitauf­wendig. Was hälst Du von den neuen, webbasierten ­Möglich­keiten im Journalismus? Der Zugang zum Medienmachen ist auf jeden Fall einfacher geworden. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Blogger mit großer Reichweite. Wenn es allerdings eine Krisensituation gibt – nehmen wir als Beispiel mal das Elbhochwasser – dann sind valide Informationen plötzlich Gold wert. Da haben die Medien eine besondere Funktion. Bei solchen Situationen greift man dann auf vertrauenswürdige Quellen ­zurück, die man schon lange kennt.

Also siehst Du Blogs und Internetportale nichts als Gefahr für DATEs? So ein Stadtmagazin ist nichts, was man einfach so nachbilden kann. Allein in unserem Veranstaltungskalender steckt ein riesiger Aufwand. Deswegen sehe ich für uns eher die Vorteile der neuen Medien, als dass es hinderlich wäre.

Die DDR war ein sehr enger Mantel, aber er war warm. Was macht für Dich guten Journalismus aus? Wenn man es regional sieht, dann der gute Mittelweg zwischen journalistischer Arbeit und dem Anzeigenbereich. Auf der einen Seite gibt es den freien redaktionellen Raum, in dem man journalistisch aktiv sein kann, auf der anderen Seite versucht man, den Interessen von Kunden und Werbung zu entsprechen. Diese Grenzen verschwimmen vor allem im regionalen Bereich stark. Das produziert einen gewissen Erwartungsraum, dem du dich als Medienmacher stellen musst. Man agiert in einem engen wirtschaftlichen Raum, in dem es nicht unendlich neue Kunden gibt, in dem man nicht so einfach ausweichen kann. Die Stadt endet für uns an ihren Rändern. Das ist für überregionale Medien einfacher, aber auch nur begrenzt, denn die Mechanismen funktionieren ähnlich. Guter Journalismus ist, wenn man sich immer zuerst als Freund des Lesers sieht und das Wirtschaftliche trotzdem im Hinterkopf hat. Wann bist Du nach Magdeburg gekommen? Ich bin in Thüringen geboren. Mein Vater war Geologieingenieur und hat eine Stelle

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Conrad Engelhardt

in Magdeburg angenommen. So sind wir in diese Stadt gekommen. Das war Anfang 1970, als ich zwei Jahre alt war. Du hast in Magdeburg Maschinenbau studiert. Ja, ich habe es bis zum Vordiplom geschafft. Das richtige Diplom habe ich bedauer­ licherweise nicht mehr abgegeben. Das haben mir meine Eltern auch Jahre lang vorgehalten. Sicherlich ein Schwachpunkt in meiner Biographie. (lacht)

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Ab wann warst Du Vollzeitjournalist? Das war nach vier, fünf Jahren. Dann war klar, dass nicht alle Gründungsmitglieder im operativen Geschäft arbeiten würden, sondern nur ein, zwei. Die Frage stand im Raum, ob ich mir das vorstellen kann. Es war ja nicht so, dass mich Medien vorher nicht interessiert hätten. Schon in der Schule habe ich zum Beispiel über die olympischen Spiele berichtet. Insofern hat das Thema auch mich gefunden und irgendwann reifte der Entschluss. 1996 schied unser damaliger


Conrad Engelhardt Redaktionsleiter Peter Stumpf, von dem ich viel lernen durfte, aus, und ich habe übernommen. Warum hast Du etwas Technisches stu­ diert? Weil es nahe lag. Der Medienberuf stand damals noch nicht so im Vordergrund. Technische Berufe waren und sind einfach welche, die tragen. Ich hätte genauso gut ein Leben als Konstrukteur führen können. Das interessiert mich bis heute. Was magst Du an Deinem Job als Redak­ tionsleiter besonders? Mich fasziniert, dass die komplette Palette einer Stadt offen vor dir liegt. Du triffst so viele unterschiedliche Leute wie in keinem anderen Job. Es ist aber nicht so, dass man dadurch automatisch jeden kennt. Kontakte muss man pflegen, damit man sie Kontakte nennen darf. Es gibt Leute, die sind kommunikativer, andere weniger. Ich liege da irgendwo in der Mitte, ich bin nicht der Oberkommunikator.

Guter Journalismus ist, wenn man sich immer zuerst als Freund des Lesers sieht. Und was ist nicht so schön? Manchmal wünschte ich mir mehr finanzielle Sicherheiten, um auch mal über den eigenen Horizont hinausgucken zu können. Es gehört letztendlich zu einem Gewerbebetrieb, dass man sich finanzieren muss. Aber es würde sicher manches leichter machen, wenn man nicht diesen permanenten Druck hätte, ausreichend Anzeigenerlös zu erzielen. Andere Leute sind ab und zu über-

rascht, dass wir komplett privat finanziert sind, ohne Zuschüsse oder Förderungen durch die Stadt. Diesen Druck nimmt man als Redaktionsleiter und Anteilseigner manchmal mit. Druck- und Stressresistenz sind also essen­ziell für diesen Beruf? Es gibt immer mal intensivere Phasen. Das ist ein zyklisches Verhalten über den Monat. Früher hatte man nach dem Druck manchmal ein paar Tage, wo ich mich besinnen konnte. Das ist heute weniger geworden. Ich mache neben dem Job als Redak­tionsleiter noch andere Sachen. Zum Beispiel betreibe ich noch einen Buchverlag. Das ist mein Ausgleich. Das Konzeptionieren von Medienprodukten und Büchern macht mir Spaß.

In Magdeburg gibt es immer noch Ecken, die darauf warten, wachgeküsst zu werden. Irgendwann wird es passieren. Der Ost-Nordost Verlag. Wie kam es dazu? Im Grunde hätte man das auch über unseren DATEs Medien Verlag laufen lassen können. Wir bringen auch nicht nur das DATEs-Heft heraus. Das Berufsbildungsheft Mission Zukunft oder Studieren in Magdeburg sind weitere Produkte. Im Jahr sind es etwa 40 bis 50 Publikationen. Der Buchverlag hat ein ähnliches Raster, ist regional geprägt. Der Kostenaufwand ist hier aber noch höher, und ich bin nicht alleine bei DATEs. Deshalb hätte ich auch die anderen überzeugen müssen, dass das eine gute Investition ist.

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Conrad Engelhardt Ich war mir aber selbst nicht sicher, ob es funktioniert. Außerdem ärgerte mich, dass es keinen großen Buchverlag in Magdeburg gab. Wichtige Titel über die Stadt wurden in Halle herausgegeben. Das habe ich immer als kleinen ›Stich‹ empfunden, weil ich denke, dass ein Verlagswesen zum Kulturbereich einer Stadt dazu gehören sollte. Deswegen habe ich es einfach selbst probiert. Mittlerweile gibt es den Verlag seit zehn Jahren. Welches ist Dein Lieblingsbuch aus Dei­ nem Verlag? Ein wichtiges Buch ist der Bild-Band von Hermann Brösel. Ein Archiv von Farbfotos aus dem Magdeburg der Sechziger. Ich denke, das ist ein Meilenstein für die Stadtgeschichte. Mein Lieblingsbuch ist aber Magdeburg mit Kindern, das ich allerdings nicht mehr herausgebe. Das war das erste Buch, das ich verlegt habe. Mein Gedanke dazu war damals folgender: Du als ›jappeliger‹ Partygänger, als Pistenschleicher, der nachts in den Bars und auf den Dancefloors unterwegs ist, bekommst auf einmal ein Kind. Das geht schneller als man denkt. Ich wollte diesen Menschen zeigen, was man in Magdeburg mit Kindern machen kann. Logischerweise rührte das auch aus der Erfahrung mit meinen eigenen Kindern. Das Buch stammt aus Deiner eigenen Feder. Was ist der größte Unterschied zwischen dem Schreiben von Artikeln und dem Verfassen von Büchern? Der Zeithorizont. Die Zeitung von heute beispielsweise ist morgen schon nur noch Papier zum Einwickeln für Heringe. Die hat morgen schon ›einen Bart‹, der ist so lang, dass er ›zum Mond‹ reicht. Ein Magazin lebt etwas länger, ein bis vier Monate. Ein Buch sollte einen Horizont haben, der deutlich über einem Jahr liegt. Es gibt heute

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auch ­Bücher – Taschenbücher – die dem ursprünglichen Charakter dieses Mediums gar nicht mehr entsprechen. Es gibt Bücher, die aufwendig gebunden werden, aber bald schon ›kalter Kaffee‹ sind. Bei mir ist es so, dass von 25 ­Büchern über 20 Stück Hardcover­versionen waren. Das ist ein Indiz dafür, mit welchem Anspruch ich Bücher verlege.

Kontakte muss man pflegen, damit man sie Kontakte ­n ennen darf. Die meisten der von Dir verlegten Aus­ gaben handeln von Magdeburg. Was faszi­ niert Dich an dieser Stadt als Thema? In diesem Jahr ist ein Begriff aufgetaucht, der das ganz gut beschreibt: Hidden Champions. Magdeburg ist so einer. In der Darstellung nach außen ist Magdeburg unterrepräsentiert. Die Leute, die hier leben, haben eine positive Einstellung zur Stadt. Viele Leute, die hierher kommen, haben einen positivem Eindruck. Wir sind in der nationalen Wahrnehmung deutlich unter Wert. Wir müssen nicht tun, als wären wir der Nabel der Welt. Aber Magdeburg hat sich von seinem ehemaligen Image – eine graue Stadt mit Schwermaschinenbau zu sein, ohne bürgerliche Mitte, ohne geistige Elite – gelöst. Wir haben vieles davon zurück­gewonnen. Über Magdeburg habe ich im Lauf der Jahre außerdem so viel gelernt, dass allein durch dieses Wissen eine besondere Beziehung entstanden ist. Magdeburg ist mir ans Herz gewachsen.


Conrad Engelhardt In welchem Stadtteil lebst Du und was gefällt Dir daran? Ich wohne mit meiner Familie in der Alten Neustadt, haarscharf an der Grenze zur Altstadt. So, dass man das Opernhaus fußläufig erreicht. Da sind wir auch sehr gerne. Die Alte Neustadt galt lange Zeit als Stadtteil für alte Leute. Wir wohnen in Riechweite des Grillplatzes vom Nordpark. Da sind wir im Sommer auch sehr oft. Das ist meiner Meinung nach eine Form von Kultur, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Sich auf eine Wiese zu setzen, galt lange Zeit als ›doof und oll‹. Das hat sich mit der Zeit verändert. Heute sitzen dort im Sommer viele Gruppen. Außerdem ist die Nähe zur Elbe schön, der Wissenschaftshafen. In Magdeburg gibt es immer noch Ecken, die darauf warten, wachgeküsst zu werden. Irgendwann wird es passieren. Gibt es aus Deiner Sicht etwas, das vor der Wende in Magdeburg besser war? Die Spaltung der Stadt in diejenigen, die teilhaben, und die, die nicht teilhaben können, war geringer. Erst neulich ist mir wieder aufgefallen, wie schnell sich die Plakate nach der Wende geändert haben. Vor der Wende standen da Sachen wie »Visafrei bis nach Hawaii« oder »OB, Adé!«. Als die Wiedervereinigung kam, las man da plötzlich soziale Themen, wie »Vergesst uns die Rentner nicht« und ähnliches. Das war die deutlich erkennbare Angst, vergessen zu werden. Die DDR war ein sehr enger Mantel, aber er war warm. Nach der Wende gab es 20 verschiedene Mäntel, aber es war auch klar, dass es Leute gab, die keinen haben würden. Wo zieht es Dich in Magdeburg hin, wenn Du entspannen möchtest? An die Elbe. Kaum einer weiß, dass es am Elbufer richtig weiße Standstrände gibt. Die

sieht man in Magdeburg selbst eigentlich nicht. Das beginnt nördlich der Stadt, so richtig erst im Stadtteil Rothensee. Hinter Tangermünde gibt es die allerschönsten. Am Herrenkrug gibt es auch ein paar schöne. Da hat die Elbe eine Aufenthaltsqualität, die sehr entspannend wirkt. Dezember 2016

Vista.Schon? Conrad Engelhardt ist 1968 in Thüringen geboren. Der Gegenstand, ohne den er sich seine Arbeit nicht vorstellen kann, ist seine handgearbeitete Porzellantasse mit Schmetterlingsmuster, aus der er türkischen Kaffee trinkt. Als größte Schwäche beschreibt er selbst als einen gewissen Hang zur Unpünktlichkeit (zum Interview erscheint er 25 Minuten zu spät). Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Katze und schwört, dass er seinen eigenen Namen noch nie gegoogelt hat. Magdeburg beschreibt er als unterbewertet, schön und liebenswert.

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Martin Müller »Man arbeitet immer und nie.« Als er 1992 zum ersten Mal ein Akkordeon in die Hände nimmt, ist die berufliche Zukunft für Martin Müller klar. Heute ist er ein gefragter freiberuflicher Musiker in Magdeburg. Mit seinem Akkordeon ist er auf zahlreichen Veranstaltungen zu Gast und freut sich stets über ein Feedback des Publikums. Bei einer Tasse Earl Grey Tee und einer musikalischen Untermalung durch ein Festival vor seiner Tür, erzählt er Inter.Vista, welche Hürden man bewältigen muss, um als freiberuflicher Musiker Fuß zu fassen, woher er seine Inspiration bezieht und warum es berechtigt ist, dass das Kulturangebot in Magdeburg auch mal etwas kostet. Interview und Fotos: Friederike Franke


Martin MĂźller

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Martin Müller Martin, hast Du Dir vor dem Interview ein bisschen Entspannungsmusik angehört? Ich habe noch nicht lange ein funktionierendes Radio, mein altes hat immer komische Geräusche von sich gegeben. Die Musik lief aber nicht, weil ich so nervös wegen des Interviews war. Es plätschert immer nebenher und meistens läuft Adore Jazz Radio. Dabei kann man sich ganz gut entspannen. Da läuft nicht der ganze Mainstream-Kram. Mit Deinem Akkordeon bist Du auf zahlreichen Veranstaltungen zu Gast. Wie schwer ist es für einen freiberuflichen Musiker, hier in Magdeburg Fuß zu fassen? Ich kann das nicht beurteilen, weil mir der Vergleich zu anderen Freiberuflern fehlt. Viele Leute kommen zu mir und fragen mich, wie ich das schaffe, da ich manchmal auch sehr knapp bei Kasse bin, aber es funktioniert immer irgendwie. Hier in Magdeburg habe ich nun mal ein Alleinstellungsmerkmal. Hier kennen mich die Leute mittlerweile schon als ›Mann mit dem Hut‹. Es klappt bei mir schon seit elf Jahren. Damals habe ich Industriedesign studiert und nebenbei habe ich begonnen, mir alles langsam aufzubauen. Die Frage ist immer, was man vom Leben erwartet. Ich muss nicht ständig in den Urlaub fahren, aber ich bin gerne mit dem Fahrrad in Prester, im Stadtpark oder im Herrenkrug unterwegs. So verbringe ich eben meine freie Zeit. Damit bin ich zufrieden. Was reizt Dich so am freiberuflichen ­Arbeiten? Kann man davon leben? Ich kann mir meine Zeit selbst einteilen und bin mein eigener Chef. Das einzig Bindende sind meine Auftrittstermine. Die Vorbereitung und Kreation obliegt aber meiner eigenen zeitlichen Planung. Wenn ich um zwei Uhr nachts das Bedürfnis verspüre, mit

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dem Fahrrad durch den Stadtpark zu fahren, kann ich das einfach tun. Man arbeitet immer und nie. Es ist ja gleichzeitig auch mein Privatleben, das in meine Arbeit einfließt. Wenn ich merke, dass ich kreativ bin, dann kann ich anfangen zu arbeiten und bin an keine zeitlichen Grenzen gebunden. Unter Zeitdruck entsteht nur bedingt wahre Inspiration. Ich kann davon überleben, auch wenn es dieses Jahr noch nicht so gut läuft. Ich kann keine Luftsprünge machen, aber ich bin zufrieden, so wie es ist. Ich bin dahingehend relativ bescheiden. Wenn meine Kakteen im Fenster blühen, bin ich schon zufrieden.

Ich kann keine Luftsprünge machen, aber ich bin zufrieden, so wie es ist. Das Akkordeon ist ein wenig verbreitetes Instrument. Was fasziniert Dich daran und wie bist Du dazu gekommen? 1992 bin ich das erste Mal zur Musikschule gestiefelt, weil der kleine Junge von damals das Interesse hegte, Akkordeon zu spielen. Eine Sache, auf die wahrscheinlich wenige Kinder kamen. Mich hat dieses Instrument fasziniert. Man kann drücken und ziehen und viele unterschiedliche Töne erzeugen. Mein Vater hatte eine Schallplatte von ­Herbert Roth, und der spielte auch Akkordeon. Als Kind sieht man einfach manchmal irgendwas, das einen fasziniert. Ich hab damals zwar mit dem normalen Piano­ akkordeon angefangen und bin 1997 auf das Knopfakkordeon umgestiegen. Soweit mir bekannt ist, bin ich damit in der Umgebung von Magdeburg der Einzige.


Martin Müller

Hat dieses individuelle Instrument zu Deinem Erfolg beigetragen? Der Begriff ›Erfolg‹ ist ja reine Definitions­ sache. Auf der einen Seite spiele ich ein Instru­ment, das man hier nicht oft sieht, auf der anderen Seite genießt das Akkordeon auch nicht viel Beliebtheit. Es wird nicht ständig nach einem Akkordeonisten gefragt, aber wenn doch, bin ich meistens die erste Adresse. Auch im Kulturbüro bekommt man hin und wieder einen Hinweis auf mich. Von solchen Empfehlungen leben freiberufliche Musiker ja. Manchmal kann ich aus zeit­ lichen Gründen einen Auftrag nicht annehmen und vermittle dann Kollegen, denen ich so einen Auftritt verschaffen kann. Nebenbei arbeitest Du auch noch an dem Kunstprojekt Fornamentik. Worum geht es dabei? Unsere Kunstwerke entspringen aus Aktfotografien, die im Nachhinein von Hand überzeichnet werden. Zum einen beinhaltet

das Projekt die unverfälschte Reinheit des weiblichen Körpers, zum anderen geht es um die künstlerischen Möglichkeiten, die man bei seiner Bearbeitung hat. 2007 habe ich zusammen mit Paul Ghandi begonnen. Zu Beginn mussten wir viel experimentieren, um den richtigen Arbeitsweg zu finden. Ich halte beim Aktfotografieren gerne die reine Ästhetik des Augenblicks fest. Rein und unverfälscht ist das abgebildete Fotomodell ein optimaler Ausgangspunkt für Fornamentik-Überarbeitungen. Nach den Bearbeitungsprozessen bleibt ein abstraktes Gebilde, das aber noch die Form der Realität enthält. Im November beginnt in der Flurgalerie Eisenbart im Hopfengarten eine Gemeinschaftsausstellung. Was bekommt man dort zu sehen? Bilder und Plastiken von Paul Ghandi und mir. Wir wissen noch nicht so genau, was wir am Ende wirklich ausstellen. Es ist sehr

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Martin Müller viel Platz dort, aber wir sind noch unschlüssig. Da werden Fornamentik-Bilder hängen, auch einige, die noch nicht veröffentlicht wurden. Ich persönlich möchte auch ein paar unbearbeitete Fotografien von mir ausstellen. Lassen sich Fotografie und Musik gut kombinieren? Kombinierbar ist es in jeder Hinsicht. Es steht das gleiche Gefühl im Hintergrund. Ich bin kein Fan von dieser glattgebügelten Fotografie. Die Situationen müssen nicht technisch einwandfrei eingefangen sein, sondern sie müssen mich berühren und mir eine Geschichte erzählen. Das mache ich auch mit meinem Akkordeon. Aber wenn ich einer Sache den Vorrang geben müsste, wäre das in jedem Fall die Musik. Wenn ich einen Shooting-Termin und einen Auftritt zur gleichen Zeit habe, dann muss das Shooting warten. Mit den Auftritten verdiene ich schließlich meinen Lebensunterhalt.

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Du hast ein Diplom in Industriedesign von der Hochschule Magdeburg. Wieso bist Du nicht in Richtung Design gegangen? Ich fühlte mich mit der Musik sicherer, obwohl es finanziell schwierig ist. Ich hatte das Gefühl, in meinem Studienfach einfach nicht gut genug zu sein. Musik zu machen fühlt sich richtig an. Ich glaube, den Leuten etwas geben zu können, was sie auch haben wollen. Bei der Musik bekomme ich sofort ein Feedback, wie ich und mein Akkordeon beim Publikum ankommen.

Ich glaube, den Leuten etwas geben zu ­k önnen, was sie auch haben wollen. Wie abwechslungsreich findest Du die Kulturszene hier in Magdeburg? Dass in Magdeburg nichts los sei und es hier keine Freizeitangebote gäbe, ist absoluter


Martin Müller Schwachsinn. Aber ich weiß, wie dieses Vorurteil zu Stande kommt. Viele suchen nur kostenlose Angebote. Wenn man mal in die lokalen Stadtmagazine schaut, merkt man, dass hier eine ganz Menge los ist. Kunst und Kultur kostet nun mal etwas. Nicht nur den Besucher, sondern auch den Künstler und Musiker. Viele von ihnen versuchen, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hier in Magdeburg gibt es ein großes Angebot an Kunst und Kultur, das allerdings oftmals nicht gesehen wird. Du bist hier aufgewachsen, hast in Magdeburg studiert, arbeitest und lebst hier. Was hält Dich in der Landeshauptstadt? Ich bin ein verwurzelter Mensch. Wenn mir einmal etwas gefällt, bleibe ich gerne dabei. Und hier gefällt es mir sehr gut. Ich höre viel Kritik über Magdeburg. Vieles davon kann ich auch nicht widerlegen, aber trotzdem fühle ich mich hier einfach wohl. Ich bin hauptsächlich im Grünen, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Bis zum nächsten grünen Fleck ist es nie wirklich weit. Hast Du einen Lieblingsort, an dem Du besonders gerne fotografierst oder musizierst? Ich arbeite gerne, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Vor Kurzem war ich früh morgens im Stadtpark am Arthur-Becker-Teich und entschied mich spontan, ein paar Klänge aufzunehmen. Musik mache ich selten privat. Ich mache sie da, wo man mich hinstellt. Fotografieren tue ich aber oftmals in der Natur, zum Beispiel im Stadtpark oder in der Elbaue. Hast Du ein bestimmtes Lieblingslokal in Magdeburg? Im Strudelhof fühle ich mich sehr wohl. Den kann ich nur empfehlen. Dort bin ich, wenn ich etwas organisiere oder in Ruhe Texte

schreiben will. Die Ergebnisse kann ich dann auf meinen Konzertlesungen präsentieren. Auf welchen Veranstaltungen in Magdeburg spielst Du besonders gerne? Das kommt auf die Situation an. Es muss nicht immer ein bestimmter Ort oder ein bestimmtes Publikum sein. Wichtig ist die Mentalität der Leute, mit denen und für die man arbeitet. Ich mache nicht nur öffentlich zugängliche Sachen, sondern auch geschlossene Veranstaltungen. Es sind die Vielfalt meines Musikerdaseins und die Abwechslung durch die verschiedenen Veranstaltungsbedingungen, die meinen Beruf so angenehm machen.

Ansonsten sähe ich mich in fünf Jahren in einem Grab mit der Aufschrift: ›Hier ruht der Mann mit dem Hut‹. Bist Du manchmal noch nervös, wenn Du vor vielen Leuten musizierst? Eigentlich hat es mich nie gejuckt, vor vielen Leuten zu spielen. Manchmal ist man natürlich ein wenig besorgt, ob das Programm so läuft, wie man es sich vorgestellt hat, aber besonders aufgeregt war ich nie. Allerdings gab es mal eine Situation, in der ich ganz schön beunruhigt war. Ich sollte beim Klassenvorspiel meines ehemaligen Musiklehrers etwas zum Besten geben. Da habe ich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder Aufregung verspürt. Mir saß der Mensch gegenüber, der mir alles beigebracht hatte. Ich wusste nicht, was er von mir und meinen

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Martin Müller Interpretationen hält. Schließlich hat er den Grundstein für mein Können gelegt.

bleibe ich hartnäckig und werde versuchen, etwas zu erreichen.

Als Musiker arbeite ich mit viel Herzblut, und das möchte ich mir bewahren.

Wann findet Dein nächster Auftritt statt? Ich bin in den letzten drei Tagen oft aufgetreten. Heute ist Ruhe und Entspannung angesagt. Außerdem muss ich noch die Wäsche machen. Morgen soll ich auf einem Floß in Parey spielen, aber es soll schlechtes Wetter werden. Ich hoffe, das Floß hat ein Dach und es schlägt kein Blitz ein. Ansonsten sähe ich mich in fünf Jahren in einem Grab mit der Aufschrift: ›Hier ruht der Mann mit dem Hut‹. (lacht)

Was wünschst Du Dir für die Zukunft der Kultur-Szene in Magdeburg? Man sollte den Künstler achten und seine Leistung auch honorieren. Man darf nicht immer davon ausgehen, dass die Künstler nur da sind, weil es ihnen so viel Freude bereitet, aufzutreten. Natürlich stimmt das, aber sie deshalb nicht bezahlen zu wollen, finde ich schlimm. Damit verdienen wir schließlich unseren Lebensunterhalt. Zu einem Auftritt gehört viel Vorbereitung und in vielen Fällen auch eine Menge Ausrüstung. Wo siehst Du Dich in fünf Jahren? In fünf Jahren sitze ich mit einem weißen Bart und einem Tee im Strudelhof und gebe meine Texte der letzten fünf Jahre zum ­Besten. (lacht) Ich weiß es nicht. Aber ich würde gerne so weitermachen wie bisher. Ich bin mir nicht sicher, ob das klappt. Man weiß ja nie, was kommt. Ich versuche, immer wieder neue Sachen auszuprobieren und anzugehen. Als Musiker arbeite ich mit viel Herzblut, und das möchte ich mir bewahren. Aber nur, wenn die Stadt und die Umgebung mitmachen. (lacht) Also kannst Du Dir vorstellen, hier in Magdeburg alt zu werden? Das kann ich mir nicht nur vorstellen, das wird auch so sein, weil es mir hier gefällt. Selbst wenn die Zeiten mal schwierig sind, und Magdeburg nach anderer Musik sucht,

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Juli 2016

Vista.Schon? Martin Müller wurde 1984 in Magdeburg geboren und begeistert sich seit seinem achten Lebensjahr für das ­ Akkordeon. Nach seinem Studium an der Hochschule Magdeburg legte er den Grundstein für sein heutiges Künstlerdasein. Neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Musiker fotografiert er im Rahmen seines Kunstprojektes Fornamentik und ist regelmäßig im Strudelhof und im Jakelwood zu Gast. Magde­ ­ burg beschreibt er mit den Worten Heimat, Quelle und Inspira­tion.


Martin Müller

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Reiner Haseloff »Physik bedeutet etwas für das gesamte Weltbild.« Als Politiker ist er viel unterwegs, aber Magdeburg ist für ihn ein Stück Heimat geworden. Nicht erst seitdem Dr. Reiner Haseloff 2011 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, pendelt der promovierte Physiker täglich zwischen seiner Heimatstadt Wittenberg und der Landeshauptstadt. Doch was macht ein Ministerpräsident eigentlich noch im Haushalt? Wie oft geht er als praktizierender Katholik beichten? Welches waren seine schwierigsten Entscheidungen? Welche Bücher sollte man gelesen haben? Und warum folgt er seinem Namensvetter David Haselhoff auf Twitter? Inter.Vista ist diesen Fragen auf den Grund gegangen und traf einen gut gelaunten und gesprächsfreudigen Ministerpräsidenten. Interview und Fotos: Franziska Seibert und Marlene Wiedner


Reiner Haseloff Herr Ministerpräsident, wir haben herausgefunden, dass Sie ein Ritter vom Heiligen Grab sind. Müssen wir Sie jetzt mit ›Sir‹ ansprechen? Ich bin letztens sogar zum Komtur befördert worden. Der Ritterorden hängt mit den Kreuzzügen zusammen. Durch die ganzen Kämpfe sind die heiligen Stätten des Christentums in Zuständigkeit des Sultans gefallen. Franziskus von Assisi ist damals zum Sultan gepilgert und hat vergeblich versucht, Frieden zu schließen. Er hat aber erreicht, dass die Franziskaner die heiligen Stätten bis heute betreuen dürfen. Diese Pilger wurden formal zum Ritter geschlagen. Ihre Spenden dienten zur Aufrechterhaltung des dortigen christlichen Lebens. Der Papst sichert über diesen Orden Sozialeinrichtungen und Hochschulen ab, damit dort Muslime, Christen und Juden – Männer und Frauen – gemeinsam studieren können. Wir spenden also für karitative Zwecke im Heiligen Land. Und nein, Sie müssen mich natürlich nicht ›Sir‹ nennen. Sie kommen aus der Lutherstadt Wittenberg, sind aber Katholik. Gehört gelebte Ökumene zum Alltag oder bleiben Sie in der katholischen Gemeinde eher unter sich? In Wittenberg ist es gar nicht möglich, nicht ökumenisch zu leben. Der Lebens­ mittelpunkt meiner Familie ist seit Jahrhunderten hier. Seit 1423 stehen wir im Steuerbuch: Mattis Haseloff, Stadtrat und Bauherr am Elsterende am Elstertor in Wittenberg. Ich komme aus einer ökumenischen Familie, mein Vater ist evangelisch, meine Mutter katholisch. Meine oberschlesische Mutter kam nach dem Zweiten Weltkrieg mit vielen anderen Flüchtlingen nach Mitteldeutschland. Die Entscheidung fiel damals, uns Kinder katholisch zu erziehen,

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aber ich besuchte beide Gottesdienste regelmäßig. Ökumene war zu DDR-Zeiten schon deswegen notwendig, weil wir auch damals schon in der absoluten Minderheit waren. Als ich in der achten Klasse war, gingen alle zur Jugendweihe – außer ein evangelischer Mitschüler und ich. Die anderen fuhren zur Klassenfahrt, und wir machten in der Zeit die Latrine sauber und fegten den Schulhof.

Wir sind in einem ­festen Glauben ­e rzogen worden und konnten nicht ­verstehen, was daran falsch sein soll. So wurden Christen in der Diktatur behandelt. Das hatte auch etwas Verbindendes. So gestaltete sich dann auch die friedliche Revolution aus den katholischen und evangelischen Gemeinden heraus. Friedrich Schorlemmer ist ein Nachbar. Man muss wissen, dass wir politisch anders sozialisiert sind. Deswegen ist diese ›Runde-Tisch-Mentalität‹ immer noch eine Sache, die oftmals nicht ins klassische Wettbewerbsraster westdeutscher Parteien passt und uns manchmal etwas eigenartig erscheinen lässt. Viele Menschen in der DDR sind aus der Kirche ausgetreten, weil sie Nachteile befürchteten. Hatte Kirche zu der Zeit für Sie etwas mit Widerstand zu tun? Wir sind in einem festen Glauben erzogen worden und konnten nicht verstehen, was daran falsch sein soll. Viele konnten damals nicht studieren, weil sie nicht an der Jugendweihe teilnahmen. Ich hatte ja ein Zeugnis von 1,0. Über den normalen Weg wäre ich dennoch nicht zur Erweiterten Oberschule


Reiner Haseloff gekommen. Meine Mutter musste inter­ venieren, und das hat sie, Gott sei Dank, mit oberschlesischer Härte durchgefochten, so dass ich ihr heute noch dankbar bin, dass ich überhaupt zum Studium kam. Der katholische Glaube ist offensichtlich ein großer Bestandteil Ihres Lebens. ­Gehen Sie regelmäßig zur Beichte? Ich würde das eher als christlichen Glauben bezeichnen. Ich gehe jeden Sonntag zur Kirche. Schon immer. Seit meiner Taufe schleppte mich meine Mutter mit, später wurde es mir ein Bedürfnis. Aus zeitlichen Gründen beichte ich nur einmal im Jahr. Die Osterbeichte ist ein Kirchengebot. Mit meinem geistlichen Vater bespreche ich so auch mal Dinge, die ich mit meinem Regierungssprecher nicht erörtere. Er ist jetzt 92 geworden und war unser alter Pfarrer in Wittenberg.

Sie haben Physik studiert, als Physiker gearbeitet. Wie wurden Sie Politiker? Physik wählte ich, weil es ein ideologiefreies Fach war. Einsteins Relativitätstheorie kann man nicht ideologisch instrumentalisieren. Das war für uns ein Punkt. Meine Frau ist Medizinerin, die hat sozusagen das andere gewählt, was sich im Angebot befand. In der Wende bin ich dann durch die erste freie Kommunalwahl stellvertretender Landrat geworden und 1992 praktisch ins Nachbargebäude gewechselt – zum Arbeitsamt. Ich hätte auch als Physiker weiterarbeiten können, da hätte ich aber zur Laserphysik nach Offenbach umziehen müssen, weil unser Institut zum Umweltbundesamt kam. Und dann war klar, dass ich einen beruflichen Neustart mache. Von 1992 bis 2002 leiteten Sie ein ­Arbeitsamt. In der Aufbruchstimmung der ›Wilden Neunziger‹ war das sicher nicht

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Reiner Haseloff einfach. Welche Ereignisse sind Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben? In Sachsen-Anhalt gab es die größten Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt. Wir hatten ja die großen Kombinate hier. SKET, die Großbetriebe des Chemiedreiecks im Süden und viele andere. Die Hälfte aller Menschen waren nicht in regulärer Arbeit, fast 50 ­Prozent Unterbeschäftigung. Unser großes Stickstoffwerk hier wurde damals von 8.500 auf 600 Mitarbeiter runtergeschrumpft. Verständlicherweise gab es ­Demos. Mehrere tausend Menschen sperrten damals die Bundesstraße 187, von Coswig kommend, mit einem Sattelschlepper. Ich war vor Ort und musste als Bundesbeamter sozusagen für das System geradestehen. Sie zogen mich

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auf den Sattelschlepper und erwarteten eine Antwort, wie es denn weitergehe. Das sind Eindrücke, die man nicht vergisst. Das war eine Situation, in der man den Glauben aufrechterhalten musste, dass wir uns wieder fangen. Man durfte nicht verzweifeln. Deswegen bemühten wir uns, Hilfestellungen zu geben, ABM, diese ganzen Abrissmaßnahmen mit Beschäftigungsverbänden, dass wenigstens ein Übergang in die Renten erfolgen kann, Kurzarbeit, Vorruhestand.

Die Magdeburger sind ein offenherziger Menschenschlag. Sie standen in Ihrem Leben schon oft vor wichtigen Entscheidungen, als Politiker und bestimmt auch privat. Was war die schwierigste Entscheidung in Ihrer bisherigen Karriere? Warum? Die einfachste Entscheidung in meinem Leben war, dass ich meiner Frau aus tiefster Überzeugung den Heiratsantrag machte. Das ist jetzt 42 Jahre her. Die schwierigste Entscheidung war 1990 der Ausstieg, also die Frage, ob ich in die Kommunalpolitik gehe oder mein angewandtes Physikfach weitermache. Ich habe meinen Beruf als Physiker nämlich sehr gern gemacht. Meine Promotion war ja auch erst nach dem Ausstieg. Zu DDR-Zeiten war meine Aspirantur abgelehnt worden, sodass ich erst nach der Wende promovieren konnte. Das ist also auch ein Glücksfall, dass das noch klappte und ich nicht umsonst wissenschaftlich gearbeitet habe. Aber das dann zu lassen und in die Kommunalpolitik zu gehen, das war nicht einfach. Wichtig war auch nochmal der Sprung, sich auf die erste Position im Lande einzulassen, zumindest in der Exekutive. Das ist ja auch eine Entscheidung


Reiner Haseloff für die ganze Familie, weil alle davon bis hin zu Sicherheitskonzepten und so weiter, betroffen sind. Auch die verbalen Attacken des politischen Alltags belasten zuweilen die Angehörigen. 1976 traten Sie in die CDU ein. Wie kam es dazu? 1976 stellte ich den Antrag, 1977 hatte ich dann die volle Mitgliedschaft. Das ist damals auch ein Prozess gewesen. Nachdem Biermann ausgebürgert wurde, forderten P ­ arteiund FDJ-Sekretäre auch beim Studium an der Universität politische Bekenntnisse. Und da habe ich gesagt, dass ich noch in der politischen Entscheidungsfindung sei. Ich bin dann in meinem Heimatort in die CDU eingetreten und meine Mutter hat bis zum Ende des Studiums die 2,20 Mark Beitrag bezahlt. Ohne diese Welle, die Biermanns Ausbürgerung damals erzeugte, hätte es diesen politischen Druck in den Seminargruppen nicht gegeben. Als das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls gefeiert wurde, hatte Wolf Biermann beim Festakt im Bundestag ja seinen Auftritt. Ich war als Ministerpräsident auch dabei. Nach dem Auftritt habe ich ihm bloß gesagt: »Wissen Sie eigentlich, dass Sie verantwortlich dafür sind, dass ich hier sitze?« Sie haben sich mit dem Eintritt in die CDU klar positioniert. Brachte das auch Nachteile mit sich? Der Witz ist ja, dass ich auch aufgrund dieser Parteimitgliedschaft meine Aspiranturen nicht genehmigt bekam. Ich hatte zwei Mal einen Antrag gestellt und bin abgelehnt worden. Ende der achtziger Jahre bekam ich erst die Freigabe für die Nutzung meiner Daten. Ich konnte also im Prinzip als Privatmann eine Dissertation schreiben. Ab Sommer 1990 war ich aber bereits stellvertretender

Landrat, also arbeitete ich ein Jahr lang nachts und am Wochenende an dem Ding. Sie sind kürzlich nochmal ein Stück in die Vergangenheit gereist und haben zwei Stunden Physik in einer Oberstufe gelehrt. Wir waren damals in der kleinen DDR allein in Dresden 120 Physikstudenten. Und dann gab es noch die anderen Unis. Heute gibt es viel zu wenige. Für mich völlig unverständlich, weil eine Volkswirtschaft oder Gesellschaft ohne Physiker nicht klar kommt.

Die Sechziger, da sind wir noch mit Blumen im Haar durch die ­G egend gelaufen und haben gedacht, die Welt wird schön. Mein Ansporn bei dieser Physikstunde war, dass Physik den Kindern und Jugendlichen Spaß machen soll. Ich sehe ja bei meinen vier Enkeln, dass denen Physik keinen Spaß macht. Da ist irgendwas schief gelaufen. Physik bedeutet etwas für das gesamte Weltbild. Ich bin zur Physik gekommen, weil ich mich gerade in einem atheistischen System auch mit Grenzfragen der Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft auseinandergesetzt habe und mich demzufolge in diesem Studienfach auch weltanschaulich orientieren wollte. In der Unterrichtsstunde habe ich solche Fragen mit eingestreut. Ich wollte neugierig machen und zeigen, dass das Ergebnis am Ende mehr ist als nur eine errechnete Zahl.

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Reiner Haseloff Einem Zeitungsartikel konnte man entnehmen, dass einige Schüler Ihnen nicht ganz folgen konnten. Fühlen Sie sich auch manchmal im Landtag unverstanden? Das haben vielleicht die Journalisten nicht begriffen, weil die alle Physik abgewählt hatten, aber die Schülerinnen und Schüler haben schon Interesse gezeigt. Es kam sehr wohl rüber, dass so eine Einordnung in die Zusammenhänge der Physik auch eine breitere Weltanschauung mit sich bringt. Im Übrigen dürfen sie ihr Wissen nie nur aus Zeitungen nehmen. Sie müssen immer die fragen, die dabei waren, am besten die Schüler. Im Landtag ist es natürlich auch nicht immer einfach. Unsere Politikergeneration ist eine Quereinsteigergeneration, die nicht politisch sozialisiert wurde, daher haben wir eine völlig andere Rhetorik. Ein Soziologe hat andere Herangehensweisen und Denkstrukturen, als ein Mathematiker oder Physiker. Ich arbeite viel mit Zahlen und Grafiken, weil die eingängig und präzise sind. Bisher konnte ich mich immer verständlich machen. Die Differenzen sind die unterschiedlichen Grundwerte, die man vertritt. Da unterscheide ich mich in der Rhetorik und auch in dem tiefen Glauben, etwas Gutes für unsere Gesellschaft zu tun, von anderen, zum Beispiel von Redebeiträgen der AfD. Inter.Vista ist ja ein Magdeburger Magazin. Was ist eigentlich Ihre erste Erinnerung an die Stadt? Das erste Mal war ich 1968 in Magdeburg zu einem Gottesdienst anlässlich der Feiern zum Jubiläum ›1.000 Jahre Bistum Magdeburg‹. Da beeindruckten mich natürlich der Dom und St. Sebastian und andere domi­ nante Kirchengebäude, die die tausend­ jährige Geschichte Magdeburgs spiegeln.

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Wo verbringen Sie hier gerne Zeit? Einzigartig finde ich die besondere Elb­ auenkonstellation. Da gehe ich auch mit meiner Frau gern spazieren. Die Elbe ist ein einzigartiger Fluss, der hier noch zu großen Teilen in seiner Ursprünglichkeit erhalten ist. Die Landschaftsblicke, wenn man die Silhouette von Magdeburg sieht, das findet man in keiner anderen Stadt in Deutschland oder Mitteleuropa. Das ist für mich Magdeburg.

Ich arbeite viel mit Zahlen und Grafiken, weil die eingängig und präzise sind. Ist Magdeburg ein Stück Heimat für Sie, auch wenn Sie nicht von hier kommen? Ja, es ist Heimat, denn Sachsen-Anhalt ist mein Lebensraum. Schon seit über 60 ­Jahren, denn ich bin hier geboren. Weil der Bistumssitz hier war, war ich regelmäßig in Magdeburg, es war das geistige Zentrum. Hier ist alles, was prägend für mich war. Mal eine ganz andere Frage: Was macht man als Ministerpräsident eigentlich noch im Haushalt? Meine Frau hat gerade eine neue Küche eingerichtet, die ist so kompliziert, dass ich da nicht mehr reingelassen werde. Die Aufteilung im Haushalt entstand aus den physischen Voraussetzungen, die sich in einer ergänzenden Partnerschaft ergeben. Ich habe die Kinder nicht gestillt, aber ich habe sie gewindelt. Ich habe die Bäume beschnitten und Zement für unsere Datsche geschleppt. Für meine Frau blieben die etwas anspruchsvolleren, nicht so robusten Tätigkeiten, das kulturell Höherwertige, die


Reiner Haseloff Ausgestaltung der Familienfeiern und all das, was an Feinheiten und geistiger Hochkultur in einer Familie auch zu gestalten ist. Wir haben gelesen, dass Sie eine Büchersammlung von mehreren tausend Büchern zuhause haben. Welche Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen? Eine Bibel sollte jeder zu Hause haben. Das hat jetzt nichts mit religiösen Dingen zu tun. Dass wir uns überhaupt verstehen, haben wir der Bibelübersetzung Martin Luthers zu verdanken. Ansonsten wären unsere Dialekte so auseinander gegangen, wie es zwischen den Niederlanden und Deutschland ist. Natürlich Goethe. Faust ist ja in seiner Art auch eine Revision der biblischen Grundmythen und Grundgeschichten. In meiner Bibliothek finden Sie natürlich auch viele Physik- und Theologiewerke. Das erste Buch, das ich mir selbst kaufte, war Wolfsblut von Jack London. Das habe ich heute noch. Die 1,65 Mark habe ich mir damals beim Rübenverziehen verdient.

Über diese Anschaffung hat sich Ihre Frau doch bestimmt gefreut. Ja, das spart Platz, es liegt nicht so viel herum. Ich habe mir gerade Die ­Geschwister Oppermann von Lion Feuchtwanger heruntergeladen. Wissen Sie warum? Das ist die Analyse vom Ende der Weimarer Republik, die freiwillige Abwicklung einer Demokratie und die Transformation in eine Diktatur. Feuchtwanger schrieb es im Exil. Das Thema ist politisch sowas von aktuell. Man wird höchst sensibilisiert für das, was jetzt von uns gefordert ist. Außerdem habe ich die Kosmische Dämmerung. Die Welt vor dem Urknall gerade reingeladen. Das sollte man parallel zu Vom Urknall zum Durchknall: Die absurde Jagd nach der Weltformel lesen. Das empfehle ich, weil es die Physikgläubigkeit wieder relativiert. Und noch Die Romanows, die wollte ich auch mal lesen.

Diese Stadt hat wirklich ihren eigenen Charme. Sie ist aber auch robust, weil die Geschichte so viele Wunden gerissen hat. Wenn man viel unterwegs ist, ist es natürlich praktisch, einen E-Book Reader zu benutzen. Haben Sie auch einen? Ich habe keinen Reader, sondern alles auf dem Telefon und Tablet. (Holt sein Smartphone aus der Tasche). Sie können ja mal zählen, wie viele Bücher hier drauf sind. Es dürften so 1.000 sein.

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Reiner Haseloff Sie haben bestimmt auch Musik in Ihrer Mediathek. Was hören Sie gerne? »Bad Moon Rising« von CCR. Und »Learning to Fly« von Tom Petty. Donnerstags höre ich immer die Oldie-Sendung auf MDR. (Musik auf seinem Smartphone beginnt) Die Sechziger, da sind wir noch mit Blumen im Haar durch die Gegend gelaufen und haben gedacht, die Welt wird schön. Eine Sache müssen wir noch klären, nämlich die Schlagzeile »Hasselhoff trifft Haseloff«. 2011 versprach Ihnen David Hasselhoff, wenn Sie Ministerpräsident werden, dann werde er ein Konzert in Magdeburg spielen. Wann soll das denn stattfinden? Gute Frage! Ich hatte damals meinen ersten Ministerpräsidenten-Wahlkampf, und mein Wahlkreisleiter rief an und sagte, mein Wahlplakat sei geschändet worden. Die hätten den Hasselhoff-Kopf reingeklebt. Zufällig war David Hasselhoff vier Wochen später in Berlin. Da wollte ich gerne hin. Ich kannte jemanden, der das Konzert mitorganisierte. Wir waren dann eine halbe Stunde vor dem Konzert bei ihm drin. Es war sehr gut. Ich stehe allerdings auch in der Pflicht, denn wenn er komme, sagte Hasselhoff, dann möchte er Angela Merkel treffen. Wenn das klappt, dann kriege ich auch das hin, antwortete ich. Es war übrigens ein tolles Konzert, wir haben wirklich zweieinhalb Stunden richtig gerockt. Meine Frau träumt heute manchmal noch von dem Wangenkuss, den sie von ihm bekam. Letztlich konnte sein Versprechen bisher nicht eingelöst werden, weil er einen Absturz hatte. Er kam nicht wieder und hat seitdem kein Konzertformat aufgelegt. Ich folge ihm noch auf Twitter. Wenn er sich erholt, würde ich ihn ansprechen.

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Was macht Magdeburg für Sie aus? Diese Stadt hat wirklich ihren eigenen Charme. Sie ist aber auch robust, weil die Geschichte so viele Wunden gerissen hat. Jedes Mal raffte sie sich wieder auf und schöpfte Hoffnung. Die Magdeburger sind ein offenherziger Menschenschlag. Da wird nicht viel ›rumgefummelt‹, es wird gleich die Kernbotschaft gesagt. Diese Direktheit, das können sie. Deswegen komme ich immer wieder gerne her, jeden Tag. Januar 2017

Vista.Schon? Dr. Reiner Haseloff, 1954 in ­Bülzig im Landkreis Wittenberg geboren, praktizierender Katholik und leidenschaftlicher Bücherfreund. Sein Studium der Physik absolvierte er an der Technischen Universität Dresden sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er arbeitete bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umweltschutz in Wittenberg. 1976 trat er in die CDU ein, wechselte beruflich aber erst nach 1990 in die Politik. Seit 2011 ist er Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Mit seiner Frau Gabriele hat er zwei Söhne, und er ist bereits mehrfacher Großvater.


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Varg Königsmark »Ich muss jetzt die Arschbacken zusammenkneifen und am Schreibtisch sitzen.« Er war erfolgreicher Hürdenläufer bis seine Achillessehne den 24-Jährigen zwang, die Laufschuhe an den Nagel zu hängen. Wie der erfolgreiche Zehnkämpfer Ashton Eaton seine Entscheidung beeinflusste, was er an Magdeburg am meisten schätzt und welche Rolle Dunkin’ Donuts für ihn spielt, erzählt Varg Königsmark im Gespräch mit Inter.Vista. Interview und Fotos: Vera Bungarten


Varg Königsmark Du hast 2011 die Goldmedaille bei den Junioren-Europameisterschaften im Hürdenlauf über 400 Meter gewonnen. Welche Bilder kommen Dir in den Kopf, wenn Du dich zurückerinnerst? Jetzt musste ich kurz stutzen, sechs Jahre ist das schon her? Das ist echt verrückt, weil ich die Bilder noch ziemlich klar vor Augen habe. Das war eine meiner ersten internationalen Meisterschaften. Ich war total begeistert vom Austragungsort Tallinn, weil ich ohne dieses Event nie ins Baltikum gekommen wäre. Wir wurden nahezu pompös am Flughafen empfangen. Die Stadt ist eine Mischung aus ›sehr modern‹ und ›alt‹. Dort herrschte ein totales Gewusel, das war schon ganz schön. An den Wettkampf selbst kann ich mich nur schwer erinnern. Es war ein kleines Stadion. Es war kein riesiges Sportevent, wie Olympia, aber dadurch zusammenhängend und überschaubar.

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Würdest Du wieder nach Tallinn reisen? Ja, definitiv. Ich dachte damals schon, dass ich irgendwann zurückkommen werde. Ich habe auch noch ein paar Freunde dort, bei denen ich sicher mal wieder vorbeischauen werde.

Teilweise habe ich es verflucht. Allerdings war es das, was ich am besten konnte. Wenn man Kinder nach Berufswünschen fragt, wollen diese Prinzessin oder Fußballer werden. Wie bist Du zum Hürdenlauf gekommen? Das war ein langer Prozess. Alles, was nicht funktionierte, haben wir sukzessive gestrichen. Angefangen habe ich mit Hockey. Als


Varg Königsmark Kind ist es üblich, Leichtathletik zu machen. Damals wurde alles ausprobiert: Erst sind wir über Bananenkisten gesprungen. Wahr­ scheinlich war ich auf der flachen Strecke zu langsam, weswegen mein Trainer mich etwas anderes ausprobieren ließ. So bin ich zu den Hürden gekommen. ›Leider‹, habe ich manchmal gesagt, weil das Training dafür sehr heftig ist. Teilweise habe ich es verflucht. Allerdings war es das, was ich am besten konnte.

scheiden sich die meisten, welchen Weg sie gehen: Leistungssport oder Studium. Mein Trainer in Berlin war von der alten Schule und durch die ehemalige DDR geprägt. In Magdeburg hatte ich die Aussicht auf einen relativ jungen Trainer, den ich kannte und der mich haben wollte. Durch den Wechsel habe ich mir erhofft, noch einen Schritt weitergehen zu können, was meine Leistung betrifft. All das überzeugte mich letzten Endes davon, diesen Weg zu gehen.

Was würdest Du als Deine größte sportliche Schwäche bezeichnen? Eine meiner Schwächen war der Start. Es fing schon mit der Reaktionszeit an. Bei den internationalen Wettkämpfen wird diese gemessen und in meiner Trainings­ gruppe war ich als der langsamste Starter bekannt. Ich hatte immer Reaktionszeiten von 0,3 ­Sekunden, was echt langsam ist. Die Besten werden mit etwa 0,1 gestoppt.

Was war Dein erster Eindruck von Magdeburg? Es gibt keinen Dunkin‘ Donuts. (lacht) In Berlin habe ich mich nie darum geschert, dorthin zu gehen, aber irgendwie hatte ich mich daran gewöhnt. Magdeburg wirkte auf mich immer etwas kleinstädtisch. In den ersten Wochen wollte ich wieder nach Berlin zurück, jedes Wochenende bin ich nach Hause gefahren. Ich glaube aber, dass es die Berliner Großmütigkeit ist: »Hey, wir kom­ men aus der großen Stadt und verstehen, wie die Welt funktioniert.« Magdeburg holte mich schnell auf den Boden zurück.

Anders als in Berlin kann man sich in ­Magdeburg nur ­s elber stressen. 2009 bist Du vom SSC Koblenz-Karthause zum SC Magdeburg gewechselt. Wieso hast Du Dich für den Wechsel entschieden? Eigentlich bin ich erstmal von Koblenz nach Berlin gewechselt, wo ich mein Abi machte. Für den Wechsel nach Magdeburg gab es mehrere Gründe. Ich war in Berlin mit der Schule fertig. Anschließend studierte ich zwei Semester Mathematik. Das hat nur die ersten zwei Tage Spaß gemacht. Ausschlag­ gebend war, dass sich meine Berliner Trai­ ningsgruppe auflöste. Nach der Schule ent­

Hast Du einen Lieblingsort in Magdeburg? Ich bin sehr gerne im Stadtpark. Ich wohne dort in der Nähe. Der Stadtpark war auch das Erste, das ich in Magdeburg kennen­ lernte. Ich dachte damals, dass es überall in der Stadt so aussieht. Ich verbinde viele Erlebnisse mit dem Stadtpark: Picknicks, Dauerläufe oder abends an der Elbe sitzen. Wie kam es zu der Entscheidung, Psychologie zu studieren? Ich hatte mich in Magdeburg eigentlich für ein Wirtschaftsfach eingeschrieben. Einen Tag vor Bewerbungsschluss habe ich noch meine Bewerbung für Psychologie abgeschickt. Das war eine absolute Bauch­

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Varg Königsmark entscheidung. Es herrschte in meiner Familie lange ein negatives Bild von diesem Fach, weil es eine Art brotlose Kunst sei. Davon habe ich mich sehr lange leiten lassen, bis ich mir gesagt habe, dass ich das jetzt einfach mache, egal was meine Eltern sagen. Es war für mich einfach interessant. Ich merkte es beispielsweise auch im Sport, dass Psychologie ein großer Einflussfaktor ist. Mich faszinierte, dass zwei Menschen mit demselben Trainingsniveau durch unterschiedlichste psychologische Einflussfaktoren komplett andere Leistungen bringen können. Deinen Rücktritt vom Leistungssport hast Du zu Beginn des Jahres verkündet, Deine Pläne für 2017 haben sich dadurch sicher-

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lich auch geändert. Welche Prioritäten hast Du Dir gesetzt? Die Entscheidung, nach langjähriger Verletzung aufzuhören, traf ich erst kurz vor Weihnachten. Bisher wusste ich jeden Morgen, was ich zu tun habe. Ich ging zum Training und hatte damit mein Tagesziel erreicht. ­Alles andere lief so nebenbei. Das Studium war in Teilzeit und eine gute Ablenkung. Jetzt ist es mein Hauptaugenmerk. Ich muss erstmal lernen, mir darüber Gedanken zu machen, wohin ich will und was ich dafür tun muss. Ich habe keinen Trainer mehr, der die Richtung vorgibt. Ich muss jetzt die Arschbacken zusammenkneifen und am Schreibtisch sitzen, was mir noch schwerfällt.


Varg Königsmark In einem anderen Interview hast Du ge­ sagt, dass der Rücktritt von Zehnkämpfer und Weltrekordler Ashton Eaton bei der Entscheidungsfindung geholfen hat. Inwiefern würdest Du ihn als Vorbild bezeichnen? Er ist ein Vorbild, aber nicht wegen seiner Erfolge. Er hat eine ruhige und freundliche Ausstrahlung ohne Star-Allüren. Ich habe immer bewundert, dass er am Boden geblieben ist. Der Rücktritt von ihm und seiner Frau, beide Mehrkämpfer, obwohl sie noch im besten Alter (A. d. R. 29 und 28 Jahre alt) sind, hat mich zum Nachdenken gebracht. Seine Beweggründe konnte ich total nachvollziehen: Leichtathletik ist ein Spiel und du drückst alles andere irgendwie auf Pause. Ashton Eaton hatte alles erreicht. Ich hätte mich zwar noch verbessern können, aber über die letzten Jahre war mein Einsatz immer höher als der Lohn. Nach fast zwei Jahrzehnten im Reitsport kann ich mir, trotz mehrerer Unfälle, nicht vorstellen aufzuhören. Wie fühlt es sich an, wenn man sich mit 24 Jahren bewusst dazu entscheidet den Sport an den Nagel zu hängen? Ich glaube, ich bin immer noch in diesem Prozess, auch wenn ich schon länger darüber nachgedacht habe. Viele Leute schrieben mir oder riefen an, die sagten, es sei sehr schade. Das kann ich auch nicht leugnen. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich so früh davon loslassen muss. Ich versuche mich davon abzulenken. Ich sage mir, dass die Option da gewesen wäre, weiterzumachen. Aber ich kann dem Anspruch, den ich an mich stelle, nicht mehr gerecht werden. Das ist viel unbefriedigender. Für mich ist auf­ hören die bessere Option.

Im August 2016 war Dein letzter Wett­ kampf, bereits zuvor musstest Du mehr­ fach wegen der Achillessehne pausieren. Ist ein Achillessehnenriss in der Leicht­ athletik eine genauso verbreitete Verlet­ zung wie beispielsweise ein Kreuzbandriss im Fußball? Ich würde schon sagen, dass es vor allem bei Sprintern, die Verletzung Nummer eins ist. Der Fußballer hat mit einem Kreuzbandriss vielleicht ein bisschen Ärger, kann sich aber davon gut erholen. Das Problem eines Achillessehnenrisses beim Sprinter ist, dass du natürlich versuchst, auf maximale Belastung zu gehen. Man vertraut seinem Körper nicht mehr und der Kopf spielt einem einen Streich, weswegen viele dann auch Schluss mit der Leichtathletik machen. Bei mir kam es gar nicht so weit, gerissen habe ich sie mir nicht, aber das ist vielleicht auch Teil des Problems. Mein Körper sagte einfach nicht: ›So, jetzt haben wir ein Problem, es geht nicht weiter.‹ Ich machte immer weiter, habe relativ lange mit einer chronischen Stress­ reaktion trainiert. Damit tat ich mir natürlich keinen Gefallen. Gerade bei Hürden­ läufern ist eine Verletzung der Achillessehne der Super-GAU.

Magdeburg holte mich schnell auf den Boden zurück. Wie würdest Du Magdeburg in drei Wor­ ten beschreiben? In nur drei Worten. (schmunzelt) Über­ raschungseffekt: ›Don’t judge a book by it’s cover‹. Der erste Eindruck ist vielleicht grau, aber Magdeburg hat auf jeden Fall etwas Unvorhersehbares. Entspannt: Anders als in Berlin kann man sich in Magdeburg nur selber stressen. Maritim: Ehrlich gesagt, kann

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Varg Königsmark ich mir gar keine Stadt ohne Fluss vorstellen. Vor allem im Sommer kann man so viel am Gewässer unternehmen. Was vermisst Du in Magdeburg und worauf möchtest Du nicht mehr verzichten? Also ich wünsche mir keinen Dunkin’ Donuts mehr. Ich finde, man könnte das kulturelle Angebot noch mehr in den Vordergrund rücken. Ich habe immer das Gefühl, dass es gerade in der Innenstadt nach 20 Uhr noch mehr Kultur geben könnte. Im Sommer vielleicht Live-Musik an den Abenden. Man hört in der Stadt nur wenige Töne. Es gibt zwar Wohnzimmerkonzerte und Ähnliches, aber es findet immer im kleinen Kämmerchen statt. Im Gegenzug möchte ich diesen Entspannungsfaktor nicht mehr missen. Man weiß, wo was los ist. Wenn ich Ruhe suche, gehe ich in den Herrenkrug oder den Stadtpark. Will ich ein bisschen Action, bin ich am Hasselbachplatz. Man wird hier nicht lange damit aufgehalten, darüber nachzudenken, wo man hingeht. Man kennt seine Ecken. Januar 2017

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Vista.Schon? Varg Königsmark wurde 1992 in Bergen (Rügen) geboren. Nach seinem Abitur studierte er zunächst zwei Semester Mathematik. In Magdeburg wollte er eigentlich Wirtschaft studieren, entschied sich aber für ein Psychologie-Studium. Sein Studium bezeichnete er bisher nur als »gute Ablenkung vom Sport«, denn bis 2017 war er erfolgreicher Hürdenläufer mit internationalen Medaillenerfolgen. Den Stadtpark beschreibt er als seinen Lieblingsort, wobei er die mari­time Atmosphäre Magdeburgs besonders schätzt.


Hochschule MagdeburgͲStendal Breitscheidstraße 2 Haus 11 39114 Magdeburg Tel: 0391 886Ͳ4431 Fax: 0391 886Ͳ4531 EͲMail: stura@hsͲmagdeburg.de

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Nils Butzen »Wenn ich die Videos sehe, bekomme ich heute noch Gänsehaut.« »Wir wollen Blau-Weiß siegen sehen« hallt es von den Rängen des Stadions. Und einer, der weiß wie es ist, zu gewinnen, steht unten auf dem Platz. Nils Butzen ist seit sieben Jahren beim 1. FC Magdeburg. In dieser Zeit hat er mit dem Verein viel erlebt – vom letzten Tabellenplatz bis zum größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte. Inter.Vista verrät er, warum er keine Vorbilder hat, erzählt von seinen schönsten Momenten im blau-weißen Trikot und seinem besonderen Ritual vor jedem Spiel. Interview und Fotos: Tobias Barthel



Nils Butzen Nils, Du bist mit einem Marktwert von 325.000 Euro der drittwertvollste Spieler im Team. Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du hörst, dass Paul Pogba für über 100 Millionen Euro Ablöse den Verein wechselt? Letztens habe ich gerade erst mit einem Kollegen über das Thema gesprochen. Wir haben uns gefragt, ob das überhaupt noch Relationen sind, die für einen Verein Sinn ergeben. Er ist ein sehr beliebter Spieler und auch eine Werbefigur. Da könnte sich das durch die Trikotverkäufe für Manchester United sogar rechnen. Durch die steigenden Einnahmen der Vereine ist das wahrscheinlich eine legitime Entwicklung. Ich finde ihn fußballerisch gut, aber weiß nicht, ob die Höhe der Ablöse wirklich angemessen ist.

Als ich zum ersten Mal die Elbbrücken überquerte, fragte ich mich, ob das zwei verschiedene Flüsse sind. Wann kam bei Dir das Interesse für Fußball auf? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Da meine Familie schon immer fußballbegeistert war, wurde mir das sozusagen in die Wiege gelegt. Ich habe aber erst mit neun Jahren angefangen, im Verein zu spielen. Aus heutiger Sicht ist das relativ spät. Warst Du damals Fan eines bestimmten Vereins? Familienbedingt war ich Fan von Borussia Dortmund, aber das hat sich mittlerweile gelegt. Ich glaube, je höher man selbst spielt, desto mehr verliert man die Faszination für

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einen anderen Verein. Ich schaue mir die Spiele ab und zu an, aber die Zeiten, in denen ich mit Dortmund-Trikot rumgelaufen bin, sind vorbei. In einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung sagtest Du, dass Du keine Vorbilder hast, es aber Menschen gibt, die Dich inspirieren. Wen genau meinst Du damit? Aus fußballerischer Sicht ist das beispielsweise Philipp Lahm. Gerade bei seinem Umgang mit den Medien ist er ein positives Beispiel. Er ist ein Spieler, den man auch nach einer 0:6-Niederlage zum Interview schicken kann und er analysiert trotzdem alles sachlich. Den Begriff ›Vorbild‹ finde ich immer schwierig, weil man sich dann darauf einschießt, genau wie diese Person zu werden. Das funktioniert einfach nicht. Cristiano Ronaldo inspiriert mich mit seiner Professionalität. Ich finde gut, dass es Spieler gibt, bei denen man merkt, dass sie sich alles selbst erarbeitet haben. Dafür, dass sie immer ihre Leistung bringen, verzichten solche Spieler auf sehr viel. Oftmals sind die Offensivspieler einer Mannschaft diejenigen, die die meiste Aufmerksamkeit der Fans erhalten. W ­ arum hast Du Dich entschieden, Verteidiger zu werden? Es ist schon so, dass man als Verteidiger nicht die Aufmerksamkeit wie ein Angreifer bekommt. Früher wollten alle Stürmer werden. Aber es hat sich dann so entwickelt, dass ich einfach ein besserer Verteidiger war. Für meine Begriffe habe ich auf meiner Position auch eine größere Chance, irgendwann höherklassig zu spielen. Es werden eben Außenverteidiger gesucht. Das sieht man auch aktuell bei der deutschen National­ mannschaft. Ich habe mir die Position nicht ausgesucht, spiele sie aber im Männer­ bereich schon jahrelang.


Nils Butzen Du kamst 2009 aus Mühlhausen nach Magdeburg. Warum hast Du Dich dazu entschieden, zum 1. FCM zu wechseln? Das ist eine lustige Geschichte. Mein Kumpel und damaliger Mannschaftskollege rief mich abends an und sagte, dass er sich zum Probetraining beim FCM angemeldet hat, und ich solle das doch auch machen. Also meldete ich mich über ein Online-Formular an und wir wurden zum Probetraining eingeladen. Relativ schnell stand fest, dass wir es beide in den Kader geschafft haben. Für mich war es ein Traum, bei einem Verein zu spielen, der eine gewisse Ausstrahlung hat. Erfurt und Jena wären naheliegender gewesen, aber bei denen bin ich immer durch das Raster gefallen. Heute bin ich froh, dass ich das Glück hatte, nach Magdeburg zu wechseln. Was wärst Du geworden, wenn es mit dem Profifußball nicht geklappt hätte? Wahrscheinlich hätte ich ein Studium angefangen. Ich wäre dann vielleicht in die Richtung BWL gegangen. Aber zum Glück hatte ich vor meinem Abitur schon einen Vertrag für die 1. Mannschaft unterschrie-

ben. Dadurch war für mich klar, dass ich nach meinen bestandenen Prüfungen Fußball spielen kann.

Heute bin ich froh, dass ich das Glück hatte, nach Magdeburg zu wechseln. Wie war Dein erster Eindruck von Magde­ burg? Bei der Fahrt zum Probetraining kam mir die Stadt riesig vor. Als ich zum ersten Mal die zwei Elbbrücken überquerte, fragte ich mich noch, ob das vielleicht zwei verschiedene Flüsse sind. Damals hatte ich noch gar keine Orientierung. Mittlerweile ist alles vertraut. Hast Du noch oft Zeit, Deine Familie zu besuchen? Kommt deine Familie oft zu Besuch und unterstützt Dich bei den Spielen im Stadion? Da es bei uns in der Mannschaft immer die gleichen Abläufe gibt, sind meine Besuche

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Nils Butzen in der Heimat selten. Den zweiten Tag nach jedem Spiel haben wir frei. Weil wir aber schon wieder am nächsten Morgen trainieren und ich für Hin-und Rückweg vier Stunden brauche, wäre es für mich kein Tag, den ich in Ruhe verbringen und zur Regeneration nutzen kann. Daher bin ich vielleicht alle zwei Monate in der Heimat. Meine Familie kommt aber zu jedem Heimspiel und teilweise auch zu Auswärtsspielen. Ich sehe sie also relativ oft.

Beim Abpfiff in ­Offenbach hatte ich ein Gefühl von Zufrieden­heit, das ich bis heute nicht wieder gespürt habe. Was unternimmst Du in Deiner Freizeit abseits des Trainingsplatzes? Ich gehe oft mit den Jungs essen. Ab und zu unternehmen wir auch etwas zusammen wie zum Beispiel Kino oder Go-Kart-Fahren. Ich war auch schon mal im Moritzhof und im Theater. Man muss auch mal was anderes machen, damit es nicht so eintönig wird. Du warst auch bei der Junimond-Convention als DJ aktiv. Hast Du sowas schon öfter gemacht? Ich interessiere mich für Musik, aber als DJ war das das erste Mal für mich. Ich fand es spannend, zu sehen, was ein DJ eigentlich macht. Das ist richtig kompliziert. Das war eine coole Aktion und ich hatte viel Spaß. Trotzdem bleibe ich lieber beim Fußball. Mittlerweile bist Du ein Publikums­ liebling. Wie oft wirst Du auf der Straße angesprochen?

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Wenn ich durch die Stadt laufe, werde ich mindestens ein- oder zweimal angesprochen und nach Fotos gefragt. Ich bekomme auch oft mit, dass Leute mich erkennen, mich aber nicht ansprechen. Wenn ich einfach nur in Ruhe essen möchte, finde ich es schön, dass Leute darauf Rücksicht nehmen. Aber natürlich freue ich mich, dass die Leute sich für mich interessieren. Du hast in den sozialen Netzwerken Deine eigenen Fanseiten. Schaust Du Dir die Beiträge der Fans an? Ja, regelmäßig. Bei den vielen Nachrichten ist das nicht ganz so einfach. Ich versuche es zu schaffen, auf alle Nachrichten zu antworten, aber manchmal fällt auch etwas hinten runter. Ich bin auch eine Privatperson und kann nicht mit jedem ein persönliches Gespräch aufbauen. Wie würdest Du Dich selbst beschreiben? Ich bin ein ruhiger und bodenständiger Typ. Mit den richtigen Leuten, mit denen ich mich wohlfühle, kann ich auch mal lauter werden. Dann kann ich auch ein Spaßvogel sein. In den letzten Jahren habe ich gelernt, mich auch außerhalb des Fußballs professionell zu verhalten. Ich weiß nicht, ob das mit dem Alter zu tun hat, oder einfach nur damit, dass ich kapiert habe, worum es geht. Weil ich so ruhig bin, schätzen mich andere Menschen manchmal als arrogant ein. Das wird aber vollkommen falsch gedeutet. Arro­gant bin ich überhaupt nicht. Man kann als Fußballer nicht jedes Spiel gewinnen. Wie lange hast Du an einer Niederlage zu knabbern und was hilft Dir dabei, diese zu verarbeiten? Niederlagen sind nie schön. Am schlimm­sten ist immer die erste Nacht nach einem verlorenen Spiel. Da schläft man sehr schlecht.


Nils Butzen Wenn ich selbst eine schlechte Leistung gebracht habe, denke ich darüber zusätzlich nach. Dann dauert das schon zwei bis drei Tage. So richtig abgeschlossen ist das erst, wenn wir die Videoauswertung zum Spiel gemacht haben. Ich bin sowieso jemand, der viel über seine eigene Leistung nachdenkt. Das hat aber auch etwas Gutes, weil ich so lerne, meine eigene Leistung zu reflektieren.

Es gibt als FuSSballer nichts schlimmeres, als sich jede Woche das Spiel von der Tribüne aus anzusehen. Hast Du ein Ritual vor jedem Spiel? Als Mannschaft haben wir vor jedem Spiel den gleichen Ablauf. Ich persönlich habe die Angewohnheit, beim Anziehen von Strümpfen, Schienbeinschonern und Schuhen immer mit der linken Seite anzufangen und betrete auch den Platz immer zuerst mit dem linken Fuß. Das hat sich in meinem Kopf irgendwie so festgesetzt. Du hast hier beim FCM erfolgreiche Zeiten erlebt, aber auch Saisons, in denen es nicht gut lief. Wie hast Du Dich während dieser Zeit persönlich weiterentwickelt? Für mich ging es denkbar schlecht los. Während meiner ersten Saison in der 1. Mannschaft hatte ich vier verschiedene Trainer, und am Ende der Saison sind wir Letzter geworden. Danach ist man einfach durch. Das hat mich dazu gebracht, dass ich jetzt jeden Sieg noch mehr genieße und Erfolg zu schätzen weiß, weil ich ja auch erfahren habe, wie es ist, wenn man von den Zuschauern ausgepfiffen wird und die Fans nicht mehr hinter der Mannschaft stehen. Es gab

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Nils Butzen auch eine Saison, in der ich nur einen Einsatz über 31 Minuten hatte. Da habe ich kapiert, dass ich um meinen Platz in der Mannschaft kämpfen muss. Es gibt als Fußballer nichts Schlimmeres, als sich jede Woche das Spiel von der Tribüne aus anzusehen.

Ich versuche natürlich, von Verletzungen verschont zu bleiben und den Trainer davon zu überzeugen, mich so oft wie möglich aufzustellen. Das große Ziel der Mannschaft ist es, in keiner Phase der Saison etwas mit dem Abstieg zu tun zu haben.

Was waren die schönsten Momente, die Du bis jetzt im blau-weißen Trikot erlebt hast? Das Aufstiegsjahr. Als wir zwischenzeitlich mit 11 Punkten Rückstand fast weg vom Fenster waren. Dann kam die Aufholjagd und das Spiel gegen Hertha BSC II, in dem wir die Meisterschaft klar gemacht haben. Anschließend folgten noch die Relegations­ spiele gegen Offenbach mit den ganzen Emotionen. Wenn ich die Videos von diesen Spielen sehe, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Mein Körper versetzt sich dann nochmal in diese Situation. Ich habe dann immer im Hinterkopf, wie ich mich damals gefühlt habe. Ich war noch nie so nervös, wie vor diesen Spielen. Drei Stunden vorher saßen wir alle angespannt beim Essen und keiner hat irgendwas gesagt, weil es für den Verein und die Fans einfach um so viel ging. Beim Abpfiff in Offenbach hatte ich ein Gefühl von Zufriedenheit, das ich bis heute nicht wieder gespürt habe. Mit der anschließenden Aufstiegsfeier waren das die schönsten Momente, die ich mit der Mannschaft erlebt habe.

Wo siehst Du den Verein in der Zukunft? Ich denke schon, dass es das Ziel sein kann, in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Um das ernsthaft anzugehen, fehlt es aber noch an Strukturen. Von daher wäre ein erneuter Aufstieg in der letzten Saison wahrscheinlich zu früh gekommen. Aber mittelfristig ist das sicherlich das Ziel.

Der FCM befindet sich in der zweiten Drittliga-Saison. Welche Ziele hast Du für die aktuelle Saison? Mein persönliches Ziel ist es immer, mich zu verbessern. Das hört sich zwar an wie eine Phrase, aber wenn jeder so denkt, wird auch die ganze Mannschaft besser. Außerdem habe ich mir vorgenommen, noch mehr Spiele, als in der letzten Saison zu bestreiten (2015/16: 32 Spiele; Anm.  d.  Red.).

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August 2016

Vista.Schon? Nils Butzen, Jahrgang 1993, wurde in Mühlhausen in Thüringen geboren. Der Rechtsverteidiger trägt die Rückennummer 16 und kam 2009 von Union Mühlhausen zum 1. FC Magdeburg. Dort ist er seit 2011 im Profikader und damit aktuell der dienstälteste FCM-Akteur. 2015 stieg er mit dem FCM von der Regionalliga Nordost in die 3. Liga auf. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist die Strandbar. Die Stadt in drei Wörtern beschreibt er als sympathisch, grün und sportbegeistert.


Inter. Vista MAGDEBURGER IM GESPRÄCH.

NAH. PERSÖNLICH. ECHT.

Interview, das Substantiv, Neutrum

»[…] Gezielte Befragung (von ausgewählten Personen) für den Rundfunk, Fernsehen oder die Presse […]« * * Duden

www.inter-vista.de intervista.md@gmail.com


Gabriele Brakebusch »Ich bin eine Pflanze aus der Börde.« Als erste Frau wird Gabriele Brakebusch im Sommer 2016 zu Sachsen-Anhalts Landtagspräsidentin gewählt. Getreu ihrem Motto »Aus der Börde – Für die Börde« meistert sie nun den Spagat zwischen dem höchsten politischen Amt im Land, der Familie und ihrem Wahlkreis. Mit Inter.Vista spricht Gabriele Brakebusch über Frauen in der CDU, die AfD im Landtag, ihr erstes Treffen mit Angela Merkel und ihren Weg von der Schäferstochter zur Vollblutpolitikerin.

Interview und Fotos: Diana Elschner und Stefanie Schreckenbach



Gabriele Brakebusch Frau Brakebusch, auf Ihrem Titelbild bei Facebook ist Ihr Vater abgebildet. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit ihm? Die Samstage und Sonntage, an denen ich mit meinem Vater in die Wiesen gehen durfte. Rund um Kloster Gröningen kannte ich fast jeden Stroh- und Grashalm. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Schäfer. Als ich acht Jahre alt war, durfte ich das erste Mal die beiden Hütehunde mit auf die Tour schicken. Stellen Sie sich eine Herde von 1.800 Schafen und einen Haupthund vor, der die Herde zusammentreiben soll. Ich habe das natürlich genauso gemacht wie mein Vater und unserem Hund Senta das Zeichen zum Zusammentreiben gegeben. Ich war stolz wie Oskar und habe nicht gesehen, dass mein Vater von hinten dem Hund die entsprechenden Zeichen gab.

Debatten müssen ­l ebhaft, aber immer auf Augenhöhe sein. Wollten Sie dann auch Schäferin werden? Schon in frühester Kindheit habe ich mir gewünscht, etwas mit Kindern zu machen. Ich wollte gerne Erzieherin werden. Das war zu DDR-Zeiten nicht ganz einfach. Damals gehörten die Kinderkrippen zum Gesundheitswesen, und ohne Verbindungen dorthin, war es schwer. Ich habe dann erst Verkäuferin gelernt und auch als Leiterin einer Verkaufseinrichtung gearbeitet. Als ich meinen Mann heiratete und nach Harbke zog, ergab sich durch Zufall die Möglichkeit, dort in eine Kindereinrichtung wechseln zu können. Ich machte eine Ausbildung zum Kinderpfleger, anschließend ein Fernstudium zur Krippenerzieherin. Dann qualifizierte ich mich noch weiter zur Leiterin einer Kinderkrippe.

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Kommen Sie eigentlich aus einer politisch geprägten Familie? Nein, gar nicht. Allerdings wollte ich mich schon immer einmischen und etwas bewegen. Ich hatte immer diesen Gerechtig­ keitssinn. Ich wollte anderen Menschen helfen. Das hat sich wie ein roter Faden durch mein Leben gezogen. Hat sich denn nach der Wende an der Kindererziehung etwas geändert? Das hat sich auch während der DDR-Zeit immer gewandelt. Die Betreuung der Kinder musste sein, damit man Beruf und Familie unter einen Hut bekam. Für mich stand schon immer fest, arbeiten zu gehen. Daher waren Kindertagesstätten auch für mich hilfreich und notwendig. Wichtig dabei ist, dass sie familienbegleitend sind und niemals familienersetzend. Das hat sich bis heute nicht grundlegend geändert. Wann waren Sie das erste Mal bewusst in Magdeburg? Ich glaube in meinem fünften Lebensjahr. Ich hatte einen Onkel hier, der Musiker im Polizeiorchester war. Seine Riesentuba hat mich immer fasziniert. In den Ferien war ich immer bei ihm und er ist mit mir oft im Pionierpark gewesen. Sind Sie als Jugendliche hier in Magdeburg ausgegangen? Ach nein, um Gottes Willen. Wir sind früher zu Fuß nach Halberstadt und zurückgegangen. Es gab keinen Bus und keine Eltern, die uns abgeholt haben. Wenn man in einer großen Truppe Jugendlicher unterwegs war und Spaß hatte, merkte man nicht einmal, dass man zehn oder elf Kilometer gelaufen war. Zu meiner Zeit begann der Jugendtanz schon um 20 Uhr und endete um 22 Uhr. Meine Kinder dagegen fuhren meistens erst


Gabriele Brakebusch

um 24 Uhr zur Disko und kamen in den frühen Morgenstunden zurück. Wie kamen Sie zu Ihrem ersten Kontakt mit der Politik? Politik findet immer dann statt, wenn man versucht, etwas zu bewegen. Das war bei mir schon recht früh der Fall. An unserer POS (Polytechnische Oberschule) in Gröningen betrug die Klassenstärke in einer Jahrgangsstufe jeweils etwa 40 Schüler. Da waren nicht nur der Lehrer gefordert, sondern auch wir Schüler. Leistungsstarke Schüler kümmerten sich um die leistungsschwächeren und trugen so selbst einen Teil zum Unterricht bei. Im Schul- und Klassenrat habe ich mich bereits zu diesem Zeitpunkt aktiv eingebracht. In der Schule haben Sie dann also schon Ihr politisches Interesse entwickelt? Ich habe Schultreffen organisiert. Aber richtig angefangen hat es kurz vor der Wende. Harbke war ein Dorf und lag in

der 500-Meter-Zone im Sperrgebiet. Ich bin mit meinem Mann im Jahr 1989 zu jeder Montags­demo gegangen, obwohl wir schon zwei Kinder hatten. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie vermutet, dass die DDR tatsächlich zerschlagen wird. Die Öffnung der Grenze in Harbke haben wir selber organisiert. Es gab noch keine Telefone, also bin ich mit meinem Mann losgegangen und habe selbstgeschriebene Handzettel verteilt, damit wir uns an einem Sonntag 1989 am Grenzzaun versammeln und gemeinsam die Öffnung des Grenzübergangs fordern konnten. Obwohl Harbke ein Grenzort war und nur Menschen aus dem Nachbarort Zugang hatten, waren zum verabredeten Zeitpunkt etwa 300 Leute da. Das war sehr viel, denn unser Dorf hatte nur 1.800 Einwohner, von denen über zwei Drittel bei ›Horch und Guck‹, also der Staatssicherheit, beim Zoll und in der Armee gearbeitet haben. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass zwei LKW mit Soldaten, die einen Schießbefehl in der Tasche hatten, hinter dem Sicherheitszaun ganz in der Nähe standen. Wenn wir den Zaun zu diesem Zeitpunkt gestürmt hätten, dann hätten sie geschossen. Gar nicht auszudenken.

Ich hatte immer diesen Gerechtigkeitssinn. ich wollte anderen Menschen helfen. Wann haben Sie dann beschlossen, voll­ beruflich in die Politik zu gehen? Die Wende 1989/90 war eine ganz spannende Zeit. Ich war stellvertretende Bürgermeisterin in Harbke. Mit einem Mal kam der Hammer, denn es hieß, die Kinderkrippen müssen weg. Mir war klar, dass ich nie im

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Gabriele Brakebusch

Leben zulassen würde, dass meine Krippe geschlossen wird. Kommen Sie heute nach Harbke. Wir haben eine der schönsten Einrichtungen, die es gibt. Wenn man nicht einfach klein beigibt und erfolgreich kämpft, dann stärkt das natürlich. Ab 1990 war ich im Gemeinderat. 1997 musste ich diesen verlassen, weil dann die Leitung der kommunalen Kinderkrippe nicht mit dem Ratsmandat vereinbar war. 2000 bin ich in den Kreistag gewählt worden. Ich merkte schnell, dass wichtige Entscheidungen für unsere Kommune im Landtag entschieden werden. Mit dem Gedanken, mich auch dort besonders zu engagieren, freundete ich mich recht schnell an. Ich wurde dann 2002 in den Landtag gewählt. Stolz bin ich, dass ich inzwischen das vierte Mal über ein Direktmandat in das Parlament einziehen konnte.

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Sie sind 1998 in die CDU eingetreten. ­Warum CDU? Ich bin christlich geprägt und in der CDU ist das ›C‹ drin. Zu DDR-Zeiten war das nicht ganz ohne, in der Kirche zu sein. Dennoch ging ich mit meiner Familie regelmäßig zum Gottesdienst und brachte mich in die Arbeit der Kirchengemeinde ein, zum Beispiel mit der teilweisen Übernahme der Christenlehre und der Organisation sowie Durchführung der Krippenspiele. 1990 bin ich in den Gemeinderat und 1992 zur stellvertretenden Bürgermeisterin von Harbke gewählt worden. Da ich in keine Partei eintreten wollte, kandidierte ich auf dem Ticket, also der Liste der CDU. Im Jahr 1998, zur Zeit der großen Spendenaffäre – damals war Helmut Kohl Parteivorsitzender der ­Bundes-CDU und Kanzler – habe ich mich entschieden, CDU-Mitglied zu werden. Meine Auffassung ist es, nicht nur in guten


Ostsee. Dort haben unsere Lehrer immer ein Volleyballturnier organisiert und die Kinder aus den umliegenden Dörfern eingeladen. Vor 13 Jahren kam mein ehemaliger Physiklehrer auf mich zu. Er meinte, dass er sich meine Bilder vom Zeltlager angesehen und Frau Merkel darauf entdeckt hätte. Ich glaubte das erst gar nicht. Bei einem Treffen der Frauen der CDU in Berlin habe ich dann vor einigen Jahren Angela Merkel das Foto vorgelegt und sie meinte: »Oh das bin ja ich.«. Auf dem Bild stand sie direkt neben mir. So sind wir uns das erste Mal begegnet, ohne zu ahnen, dass wir uns später in der Politik einmal wiedersehen würden.

Ich als Präsidentin wahre das Hausrecht.

Zeiten, sondern auch in weniger guten Zeiten zueinander zu stehen. Und so habe ich mich für die CDU entschieden. Das war der richtige Schritt, davon bin ich überzeugt. Haben Sie politische Vorbilder? Vorbilder sind für mich immer noch Helmut Kohl und Prof. Wolfgang Böhmer. Helmut Kohl verkörpert für mich, gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher, die Person, die maßgeblich für die Wiedervereinigung gekämpft und diese auch umgesetzt hat. Auch Angela Merkel ist eine bemerkenswerte Politikerin, der ich hohe Anerkennung und Respekt zolle. Wir haben uns übrigens schon in frühester Jugend kennengelernt, ohne dass wir davon wussten. Wann begegneten Sie Frau Merkel zum ersten Mal? Die Gröninger Schule hatte ein Zeltlager in Wohlenberger Wiek bei Boltenhagen an der

2002 wurden Sie in den Landtag ­Sachsen-Anhalt gewählt. Sie sind jetzt seit 14 Jahren dabei und seit Sommer 2016 Landtagspräsidentin. Wie hat sich Ihr politischer Alltag verändert? Es ist zeitlich schwieriger geworden, alles unter einen Hut zu bekommen. Ein Viel­faches an Terminen und die Arbeit mit meiner Verwaltung sind dazu gekommen. Dennoch darf und werde ich meine Familie und meinen Wahlkreis nicht vernachlässigen. Es ist einfach eine ordentliche Planung notwendig. Dann bekomme ich das auch hin. Ich bin eine leidenschaftliche Politikerin. Was ich mache, tue ich richtig und mit ganzem Herzen. Als Landtagspräsidentin leiten Sie die Sitzungen im Landtag. Worauf legen Sie besonderen Wert? Landtagssitzungen dürfen ruhig lebhaft sein. Aber jeder Abgeordnete hat dabei die Geschäftsordnung zu beachten. Dort ist geregelt, was erlaubt ist und was nicht. Mir ist es

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Gabriele Brakebusch wichtig, und da lege ich großen Wert drauf, dass selbst in hitzigen und emotionalen Debatten auf die Wortwahl geachtet wird. Es sollte immer respektvoll und niemals verletzend argumentiert werden. Das ist in unserem Hohen Hause verpflichtend. Nur durch einen fairen Austausch von – auch streitbaren – Argumenten gelingt der demokratische Prozess der Meinungs­bildung in einem Parlament. Wie hat sich die Stimmung im Plenum mit dem Einzug der AFD verändert? Eine neue, große Fraktion ist in unserem Parlament hinzugekommen. Ich muss sagen, der Ton in den Debatten ist rauer geworden. Das Privileg der Oppositionsfraktionen ist es, die Regierungsfraktionen herauszufordern. Doch wie bereits gesagt, aus Respekt vor dem Parlament hat dies gerade auch bei Meinungsverschiedenheiten immer achtungsvoll und nicht beleidigend zu erfolgen. Ich musste bereits mehrmals Abgeordnete ermahnen, den Ton zu wahren. Künftig werde ich noch konsequenter die Geschäftsordnung anwenden. Hierzu habe ich mich bereits mit meinen beiden Vizepräsidenten abgestimmt.

Sachsen-Anhalt ist ein lebenswertes Land. Was sind die Gründe, dass bei den letzten Landtagswahlen gerade die CDU so viele Direktmandate an die AFD verlor? Die Gründe sind vielschichtig. Einerseits konnten viele Menschen unseres Landes nicht mehr erkennen, dass ihre Themen, Fragen und Sorgen von den etablierten Parteien – somit auch der CDU – aufgegriffen, gar entschieden wurden. Andererseits kam im Jahr 2015 der drastische Anstieg

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der Flüchtlinge und Asylsuchenden, die regelrecht grenzenlos in unser Land kamen, hinzu. Es entstand zeitweise eine Ausnahmesituation, die es zu beherrschen galt. Kritische Themen wurden von politischen Akteuren, sei es landes- oder bundesweit, nicht offen an- oder ausgesprochen. Oft mit dem Ziel, vorhandene und beängstigende Bedenken nicht zu nähren. Viele Menschen fühlten sich dadurch jedoch nicht mehr gehört, abgekoppelt von ihren politischen Vertretern und somit vom politischen Handeln. Sie wurden misstrauisch. Da war es leicht, in dieses Vakuum zu stoßen. Viele Wähler haben sich in ihren Ängsten nicht verstanden gefühlt. Was kann man gegen Populismus und Stimmungsmache tun? Das ist eine schwierige Situation. Meine Oma hat früher schon zu mir gesagt, dass man Neid, Angst und Missgunst innerhalb von Sekunden verbreiten könne, aber es sei schwer, diese Dinge wieder zurückzuholen, selbst dann, wenn sie nicht wahr sind. Populismus und eine sogenannte Stimmungsmache können nicht nur politische Parteien oder Organisationen aus dem vorpolitischen Raum beeinflussen. Auch die Medien spielen dabei eine nicht außer Acht zu lassende Rolle und tragen damit ebenfalls Verantwortung. Alle sind dazu aufgerufen, für einen demokratischen Meinungsbildungsprozess einzustehen. Medien besitzen dafür die Aufgabe, sachlich zu berichten. Das konnte ich in der jüngsten Vergangenheit leider nicht immer feststellen. Haben Sie in ihrem Wahlkreis Kontakt mit geflüchteten Personen? Ja, sicher. Die Angstwelle, die durch Deutschland zog und die Sorge, was da auf den deutschen Bürger zukommt, hatte ich


Gabriele Brakebusch in meiner Region überhaupt nicht. Diese Bedenken gab es 1991 als 800 Geflüchtete in eine Gemeinschaftsunterkunft nach Harbke kamen. In einen Grenzort, wo Jeder Jeden kannte, weil alles durch die Staatssicherheit abgeriegelt war. Da war die Sorge groß, dass die Straftaten steigen und uns die Fremden alles stehlen würden. Anfangs war die Verständigung etwas schwierig, aber letztendlich haben sich die Befürchtungen nicht bestätigt. Hat die AfD eigentlich auch positive Veränderungen in den Landtag gebracht? Ich kann sagen, dass die anderen Fraktionen über das ein oder andere Thema nun gründlicher nachdenken. Auch sind die Debatten lebhafter geworden. (schmunzelt)

In Ihrer Fraktion gibt es unter 30 Abgeordneten lediglich drei Frauen. Wieso sind das so wenig? Ja, ich würde mir auch mehr Frauen in unserer Fraktion wünschen. Wobei ich das nicht nur als ein Problem der CDU sehe. Ich rede viel mit Familien, insbesondere mit jungen Müttern. Sie möchten Zeit für ihre Kinder haben. Sie engagieren sich daher lieber im Wohnort im Gemeinderat, in einer Kindertagesstätte oder im Elternrat. Der Ablauf in der Familie bedeutet selbst dabei schon eine Herausforderung, da Elternteile oftmals nicht in Wohnnähe arbeiten. Ich persönlich halte aber auch von einer Quotenregelung nichts. Ich würde keine Quotenfrau sein wollen. Frauen sollen ein Amt übernehmen, weil sie es sich und andere Menschen es ihnen zutrauen.

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Gabriele Brakebusch Was kann man tun, damit sich mehr Frauen für ein politisches Amt interessieren? Wir müssen viel mehr auf die Frauen und Mütter eingehen. Die Sitzungen sind oft sehr spät abends angesetzt. Viele Frauen müssen dann erst einmal eine Möglichkeit finden, ihre Kinder unterzubringen. Innerhalb der Familie klappt es leider auch nicht immer, die Kinderbetreuung abzusichern. Hier sehe ich einen wichtigen Ansatz, den interessierten Frauen einen Weg aufzuzeigen beziehungsweise ihnen entgegenzukommen.

ein, sondern höre auch oft auf mein Herz und meinen Bauch.

Hatten Sie es im Laufe ihrer politischen Karriere manchmal als Frau schwerer als ihre männlichen Kollegen? Ja. Wenn es darum geht, Arbeitsgruppen oder Ausschüsse zu übernehmen und Stellen neu zu besetzen, wird gefragt, wer sich dieses Amt zutraut. Bei den Männern gehen da sofort mindestens zehn Arme nach oben. Bei den Frauen geschieht das nicht so schnell. Sie wägen oft ab und fragen sich: ›Ist das wirklich mein Gebiet? Kriege ich das hin? Klappt das auch mit der Familie?‹ Bis dahin ist die Stelle meist schon mit einem Mann besetzt.

Sie sind bei Facebook sehr aktiv. Betreiben Sie ihre Kanäle selbst? Ja. Ich habe vor einigen Jahren angefangen, unter »Gabriele Brakebusch MdL« einen Account zu eröffnen. Dafür habe ich ein wenig Starthilfe bekommen, besonders für den Aufbau. Füttern tue ich das Ganze aber selbst. Jetzt ist es weniger geworden. Ich bemühe mich aber, meinen Rückblick der ­Woche stets selbst zu posten und heraus­ ragende Erlebnisse zu teilen. Vor lauter Arbeit mache ich das meistens nachts. (lacht)

Ich bin keine Politikerin der lauten Töne, dafür bin ich sehr konsequent. Sie haben das höchste politische Amt in Sachsen-Anhalt inne. Unterscheidet sich Ihr Führungsstil von dem Ihrer Vor­gänger? Jeder Präsident oder jede Präsidentin bringt sicherlich eine eigene Note mit ein. Ich bin keine Politikerin der lauten Töne, dafür bin ich sehr konsequent. Wenn ich etwas sage, dann achte ich auch darauf, dass es umgesetzt wird. Ich schalte nicht nur den Kopf

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Können Sie als Frau in Führungsposition anderen Frauen einen Rat geben, wie sie es schaffen können? Jede Frau sollte an sich und ihre Fähig­keiten glauben und daran, dass man erlernen kann, was man bisher noch nicht gemacht hat. Man sollte sich nicht ins Boxhorn jagen lassen und für die Sache kämpfen, die man sich wünscht und für richtig hält.

Weshalb präsentieren Sie sich auf beiden Kanälen unterschiedlich? Das eine ist der dienstliche Kanal direkt als Landtagspräsidentin. Da möchte ich Schwerpunkte setzen und zeigen, was für meine Arbeit wichtig ist. Auf meinem anderen Kanal teile ich Dinge, die in meinem Umfeld passieren oder meine Tätigkeiten, zum Beispiel in Vereinen. Wichtig ist mir nur, nichts Privates zu posten. Ich überlasse es meinen Kindern, zu entscheiden, ob sie in die Öffentlichkeit möchten oder nicht. Was macht Ihre Heimat für Sie so besonders? Es ist einfach mein Zuhause. Ich fühle mich hier wohl. Sachsen-Anhalt ist ein lebens­


Gabriele Brakebusch wertes Land. Es gibt so viel schöne Natur. Junge Menschen kann ich nur dazu ermuntern, hier zu bleiben. Die Börde in unserem Land Sachsen-Anhalt ist neben vielen anderen Regionen wunderschön. In Harbke, meinem Wohnort seit 43 Jahren, gibt es viel Wald, einen renaturierten Tagebau, der in einigen Jahren eines der größten Gewässer im Umkreis von 200 Kilometern sein wird. Es entsteht ein Naherholungsgebiet mit einem breiten Wassermotorsportangebot. Dort wird es bestimmt auch einmal begehrte Grundstücke mit einer hohen Wohnqualität geben. Ich hoffe auch, dass sich das Kleingewerbe und damit umfangreiche berufliche Perspektiven für junge Leute entwickeln. Sehen Sie Magdeburg auch als ihre Heimat an? Ich bin eine Pflanze aus der Börde. (schmunzelt) In Magdeburg bin ich sehr gern. Aber zum Wohnen und Leben bevorzuge ich dann doch den ländlichen Raum. Wie viel Zeit verbringen Sie in Magdeburg, wenn Sie nicht arbeiten? Oh, das ist schon weniger. (lacht) Ich fahre öfter mit meinen Enkeln in den Tierpark. Zwischen Weihnachten und Neujahr hole ich auch alle Enkelkinder zusammen, um gemeinsam auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt zu gehen. Eine Magdeburger Besonderheit ist ja, dass der Weihnachtsmarkt auch noch nach den Festtagen geöffnet hat. Haben Sie in Magdeburg einen Lieblingsort? Ich bin sehr gern unten an der Elbe und im Stadtpark. Es ist immer das Grün, das mich anzieht. So kann ich, wenn ich ein wenig Luft zwischen den Sitzungen oder Terminen habe, ein bisschen Ruhe in der Natur tanken.

Was gibt es bei Ihnen Weihnachten zu essen? Bei uns gibt es grundsätzlich Wild aus unseren Wäldern und direkt vom Jäger. Schön mit selbstgemachten Klößen und Rotkraut. Das ist unser Essen. Meine Enkelkinder mögen das nicht so. Für sie mache ich Hähnchensahneschnitzel. Klingt gut. Schmeckt auch gut! (lacht) Dezember 2016

Vista.Schon? Gabriele Brakebusch, geboren 1954, arbeitete nach ihrer schulischen Ausbildung zunächst als Fachverkäuferin, Erzieherin, Kinderkrippen­leiterin, Verwaltungsfach­a ngestellte und stellvertretende Bürger­ meisterin. 2002 zog sie für die CDU in den Landtag ­Sachsen-Anhalt ein. Im September 2016 wurde sie als erste Frau zur Landtagspräsidentin gewählt. Sie ist Direkt­ kandidatin für den Landkreis 09 |Oschersleben. Mit Magde­ burg verbindet sie i­hren Arbeitsplatz, die Landeshauptstadt, den Landtag und den herrlichen Dom.

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Lothar Schirmer »Ich habe alles hautnah mitbekommen.« Kriminalrat a. D. Lothar Schirmer kennt sich aus. Wo er kann, hilft und rät er den Bürgern. Nicht nur durch die MDR-Sendung Tatort Sachsen-Anhalt ist er ein prominentes Gesicht des Bundeslandes. Zudem veröffentlicht der leidenschaftliche Kriminalist regelmäßig Beiträge und Kolumnen in verschiedenen Medien. Nach 20 Jahren im operativen Dienst in der DDR, baute er in der Nachwendezeit das Präventionsdezernat in Magdeburg mit auf. Inter.Vista erzählt er von den Anfängen der Präventionsarbeit in den neuen Bundesländern, von einer spektakulären Schießerei in Magdeburg und warum Kriminalisten im Westen auch nur mit Wasser kochen. Interview und Fotos: Julian Gefeke


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Lothar Schirmer Im Vergleich zu anderen Großstädten: Wie gefährlich ist Magdeburg? Magdeburg bewegt sich im Bundesvergleich im Mittelfeld. Von der gesamten Kriminalitätsbelastung her sind wir hier nicht besonders schlimm dran. Es gibt aber einzelne Delikte, die in Magdeburg häufiger vorkommen als in anderen Städten. Zu diesen Delikten gehört der Fahrraddiebstahl. Viele Jahre waren wir an der Spitze der Bundes­ republik, jetzt befinden wir uns zumindest nur noch im Spitzenfeld.

AuSSerdem galt die Auffassung, dass Kriminalität dem ­S ozialismus ›wesensfremd‹ sei. Die ­G auner haben sich daran ­natürlich nicht ­gehalten. Kriminalprävention ist ein Kernaspekt Ihrer späteren beruflichen Laufbahn. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Zu DDR-Zeiten gab es keine kriminalpolizeilichen Beratungsstellen. Es war tatsächlich so, dass die Kriminalitäts­ belastung bedeutend geringer war als jetzt. Also benötigte man wahrscheinlich keine Beratungsstellen. Außerdem galt die Auffassung, dass Kriminalität dem Sozialismus ›wesensfremd‹ sei. So haben wir das zumindest gelernt. Die Gauner haben sich daran natürlich nicht gehalten. Und so haben wir damals aus freien Stücken Dia-Ton-Vorträge gehalten, Präsentationen mit Tonband und Diaprojektor, in denen wir die Arbeit der Kriminalpolizei vorstellten und gleichzeitig Tipps gaben. Zeitungsartikel habe ich auch

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geschrieben, obwohl wir ja nicht viel über Kriminalität schreiben konnten, weil es ja ›gesetzmäßig‹ keine gab. Nach dem Mauer­ fall kamen wir mit Kollegen aus den alten Bundesländern zusammen, die uns sagten, dass sie Kripoberatungsstellen haben. Unser damaliger Leiter der Kriminalpolizei fragte mich, ob ich nicht auch Interesse hätte, einen Kriminalpräventionsbereich aufzubauen. Ich reiste dann 1990 und 1991 herum, schaute mir solche Beratungsstellen an und baute gemeinsam mit Kollegen hier aus Magdeburg eine Beratungsstelle auf, die Maßstäbe setzte. Wir waren ein Dezernat für Kriminal- und Verkehrsprävention und gleichzeitig auch noch Öffentlichkeitsarbeit. Maßstäbe inwieweit? So etwas gab es in den neuen Bundesländern noch nicht. Wir waren die Beratungsstelle, die am besten funktionierte. Selbst Kollegen aus den alten Bundesländern waren erstaunt. Durch eine offensive, kriminalpräventive Arbeit schafften wir es, feste Sendeplätze im MDR-Radio, Radio Brocken und Radio SAW zu bekommen. Aber auch im Fernsehen: Im MDR-Mittagsmagazin, in der Rubrik »Tipps gegen Tricks« bei Hier ab Vier mit meiner Kollegin Ilona Wessner. Dann waren wir in sämtlichen Zeitungen vertreten. Das hat sich eingeprägt. Eine offene, medienfreundliche Polizeiarbeit rentiert sich. Bedauerlicherweise gab es dann mehrere Polizei-Strukturreformen. Die letzte führte dazu, dass 2012 das Dezernat, zwei Jahre nach meiner Pensionierung, praktisch aufgelöst wurde. Es gibt nur noch eine Verantwortliche im Dezernat Prävention, Kriminalrätin Ilona Wessner. Sie ist hauptsächlich mit der Administration beschäftigt, der andere Teil des Dezernats wurde auf die Regionalbereichsbeamten, früher Kontaktbeamte und Ansprechpartner für die Bürger, ausgelagert. Die haben zwölf


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Lothar Schirmer Hauptbereiche, die sie bedienen müssen: Streifentätigkeit, Anzeigenaufnahme, Personenauffindung, Ermittlungstätigkeiten und vieles mehr. Nur einer dieser Punkte ist die Kriminalprävention. Sehr bedauerlich. Wo gehe ich dann hin, wenn ich mich ­informieren möchte? Wer Auskunft haben möchte, meldet sich bei der Polizei und landet in der Regel bei dem zuständigen Regionalbereichsbeamten. Aber der Weg dorthin geht über so viele Ecken, dass manche Bürger schon in der Mitte aufgeben. Keine ideale Lösung.

Wir hatten Verfolgungsjagden über den Hasselbachplatz und sind mit gezogener Pistole in ­Sudenburg über die Dächer flüchtigen Tätern ­h interhergejagt. Gibt es denn noch andere Organisation en oder Vereine, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen? Ja, es gibt beispielsweise die Magdeburger Senioren-Sicherheitsberater. Das sind zehn ehemalige Polizeibeamte und an der Sicher­ heit interessierte Bürger, die sich seit 2001 treffen, um ältere Bürger zu beraten. Sie halten Vorträge vor der Volks­solidarität, der Arbeiterwohlfahrt, den Samaritern und weiteren Vereinen und Organisationen. Ich trat ihnen bei, nachdem ich in den Ruhestand ging und das Dezernat aufgelöst wurde. Da damit der Kontakt zur Polizei abbrach, wären wir dort verhungert und auf unserem alten Kenntnisstand geblieben. Da ich aber

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nach meiner Pensionierung als freier Journalist beim MDR anfing, gewann ich die Möglichkeit, mir die Informationen zu holen, die wir brauchten, nämlich Polizeimeldungen. Diese Informationen bekommen die Senioren-Sicherheitsberater und das führt dazu, dass sie über die Kriminalität im Land Sachsen-Anhalt streckenweise besser informiert sind, als Regional­bereichsbeamte aus Magdeburg. Diese wissen häufig nur, was in ihrem Bereich und in der Stadt vor sich geht, aber nicht im gesamten Land. Außerdem bringen pensionierte Beamte ihren letzten Kenntnisstand bei uns ein. Wir bleiben so auf dem Laufenden. Sie schauen auf 40 Jahre aktiven Polizeidienst zurück. Aus polizeilicher Perspektive betrachtet: Welche Unterschiede können Sie zwischen der Vor- und Nachwendezeit festmachen? Zuerst mal, Kriminalisten im Osten und im Westen kochen auch nur mit Wasser. Die grundlegenden Prinzipien der kriminalpolizeilichen Arbeit waren auf beiden Seiten gleich, ähnlich die technische Ausrüstung. Nach der Wende waren wir wie ein Schwamm. Wir haben alles an Erkenntnissen aufgesogen. Die Nachwendezeit war eine sehr wechselhafte und unbeständige Zeit. Kollegen sind woanders untergekommen oder wurden entlassen. Man wusste nicht, wie die Zukunft aussieht, ob man nicht selbst der Nächste ist. Gleichzeitig war es aber auch aufregend. Es war ein Vorwärtsdrängen. Wir konnten Dinge machen, die vorher nicht möglich waren. Ich habe es als sehr positive Zeit empfunden. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren operativen Dienst in der DDR? Vor dem Mauerfall war ich Oberleutnant der Kriminalpolizei im Kriminaldauer-


Lothar Schirmer dienst. Es gab ja keine Beamten in der DDR. Der ­Kriminaldauerdienst war sozusagen die Feuerwehr der Kriminalpolizei. Ob Einbruch, Überfall, Vergewaltigung, Tötungs­ delikt oder Verkehrsunfall mit Toten, wir waren als Erste draußen. Ich habe alles hautnah mitbekommen. Wir hatten Verfolgungsjagden über den Hasselbachplatz in einem Polizeibus, der gekippt auf zwei Rädern fuhr und sind mit gezogener Pistole in Sudenburg über die Dächer flüchtigen Tätern hinterhergejagt. Wir haben da schon tolle Dinger miterlebt. Gibt es einen speziellen Fall, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist? 1982 gab es die größte Schießerei, die wir jemals in Magdeburg hatten. Kleiner Exkurs in Sachen Medienberichterstattung der DDR: Es gab sechs Tote und alles, was in einem kleinen Artikel in der Zeitung am nächsten Tag stand, war, dass es im Jugendklub in Friedensweiler zu einem Zwischenfall gekommen sei, bei dem die Bekleidung von 32 Personen in der Garderobe

durch eine Handgranate beschädigt wurde. In Wirklichkeit hatte ein junger Soldat der sowjetischen Streitkräfte einen Zusammenbruch erlitten, weil seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hatte. Er war in der Waffenkammer beschäftigt und munitionierte sich mit Handgranaten und einer Kalschnikow auf. Er flüchtete von der Hindenburg-Kaserne die Berliner Chaussee stadtauswärts, bis hinter das Stadion Neue Welt zum Friedensweiler. Unterwegs lieferte er sich schon mehrere Schusswechsel mit anderen Soldaten. Dabei wurden sechs getötet und mehrere schwer verletzt. Selbst getroffen, versuchte er sich dann in einen Jugendklub zu retten, in dem eine Veranstaltung mit über 50 Personen stattfand. Wir haben ihn dann dort ausfindig gemacht. Er saß in der Garderobe und verarztete sich selbst, als er von uns überrascht wurde. Als er versuchte, eine Handgranate zu werfen, wurde er von mehreren Kugeln getroffen. Er ließ sie fallen und sie zerfetzte ihm die Beine. Nach einem Vierteljahr Genesung wurde er dann hingerichtet. Das ist schon eine Story, die es nicht

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Lothar Schirmer noch einmal gibt. Wenn man so etwas als Polizeibeamter erlebt, ist es ein Glücksfall, da heil herauszukommen. 1989 brachte tiefgreifende Veränderungen mit sich. Nach der Wende nahm die Fremdenfeindlichkeit im Osten Deutschlands deutlich zu. Inwieweit war diese schon davor zu spüren? Ausländerfeindlichkeit war nicht so stark präsent, weil Ausländer in der Öffentlichkeit keine große Rolle spielten. Es gab nur wenige Migranten und Gastarbeiter, und diese kamen meistens aus sozialistischen Ländern wie Kuba, Angola oder Nordvietnam. Es war sehr übersichtlich. In der Wendezeit hat sich das dann geändert. Mehr Menschen kamen hierher. Mit dem Öffnen der Grenze entwickelten sich oft auch familiäre Problem­ situationen. Angst vor sozialem Abstieg kam hinzu, viele gerieten in die Arbeitslosigkeit. Das, gepaart mit der grundlegenden Angst vor dem Unbekannten und Fremden, schuf Frust, und so etwas sucht sich immer ein Ventil. Betroffen sind dann leider immer die Schwachen und Minderheiten. Der Höhepunkt waren hier in Magdeburg die Himmelfahrtskrawalle 1994. Die Polizei war nicht auf die Ereignisse vorbereitet. Himmelfahrt bedeutete für die Kollegen damals vor allem Verkehrsüberwachung. Vor Karstadt gab es eine verbale Auseinandersetzung. Auf der einen Seite eine Gruppe größtenteils rechtsorientierter Hooligans und auf der anderen Seite die Migranten. Letztere konnten durch einen von Türken geführten Laden fliehen. Ihre Verfolger demolierten die Frontscheibe des Ladens und die Besitzer fühlten sich bedroht. Die sind dann mit Messern bewaffnet raus und haben sich und ihren Laden verteidigt. Die Polizeikollegen, die dort eintrafen, sahen als Erstes bewaffnete Ausländer, die Deutsche

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bedrohen. Letzten Endes wurden dann Beteiligte beider Seiten verhaftet. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis man im Nachhinein Gut von Böse trennen konnte. Ein Fernsehteam nahm dann auch noch Szenen auf, in denen Hooligans den Hitlergruß zeigten. Diese Bilder gingen dann um die Welt: Magdeburg, die ausländerfeindliche Stadt. Die Defizite im Handeln der Polizei wurden danach ausgewertet, und so etwas ist in den Jahren danach nie wieder passiert. Um ein Zeichen zu setzen, wurde das Fest der Begegnung ins Leben gerufen. Da bin ich seit dem ersten Tag mit dabei. Polizei und Migranten treten gemeinsam mit Magdeburgern in Kontakt. Das erste Mal wurde das Fest am Himmelfahrtstag 1996 gefeiert, auf dem Friedensplatz. Von da an jährlich und von Mal zu Mal größer. Wir waren im Stadtpark mit mehreren Bühnen und hatten Gäste aus ganz Sachsen-Anhalt zu Besuch. Nach der Polizei-Strukturreform änderte sich das. Die Kapazitäten waren nicht mehr vorhanden. Also fand man die Lösung, die Veranstaltung im kleineren Format in den Nordpark zu verlegen.

Die Nachwendezeit war eine sehr wechselhafte und ­u nbeständige Zeit. Sie wurden häufig als Experte engagiert für verschiedene Radio- und Fernseh­formate, unter anderem Kripo Live und Tatort Sachsen-Anhalt beim MDR, aber auch Akte auf SAT.1 und weitere Sendungen. Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht? Am meisten Spaß machte mir das Format, das ich ab 2010 drei Jahre lang gemeinsam mit Anja Walczak beim MDR als Teil von


Lothar Schirmer Sachsen-Anhalt heute produzierte. Da sind wir zweimal im Monat mit einem Fernsehteam vor Ort gewesen und haben anhand von aktuellen Kriminalfällen Prävention betrieben. Wir simulierten kriminelle Vorgehensweisen mit versteckter Kamera und klärten das dann mit offener Kamera auf.

1982 gab es die grÖSSte ­SchieSSerei, die wir jemals in ­Magdeburg hatten. Sie sind seit sieben Jahren pensioniert und kommen ursprünglich aus Klietz, bei Havel­ berg, im Norden Sachsen-Anhalts. Was hält Sie nun in Magdeburg? Magdeburg ist entgegen vielen Unkenrufen eine tolle Stadt. Es ist nicht nur das viele Grün, auch der Fluss macht eine ganze ­Menge aus. Ich wohne seit 1970 hier und habe hier viele soziale Kontakte. Besonders viel wert ist mir mein bunter Bekanntenund Freundeskreis. Noch dazu bin ich hier in vieles involviert. Ich bin bei den Senioren-Sicherheitsberatern, habe eine Kolumne auf der Ratgeberseite der Volksstimme und leite meine eigene Talkshow in der Magdeburger Zwickmühle. Da hole ich in unregelmäßigen Abständen bundesweite Prominenz aus Kunst, Sport und Politik zum Gespräch ins Haus. Was haben Sie für die Zukunft vorgesehen? Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit zwischen den Senioren-Sicherheitsberatern und der Polizei reaktiviert wird. Außerdem hoffe ich, dass wir mit dem neugegründeten Verein Toleranz Leben und Lernen (TOLL e. V.) von Juliana Gombe, für den ich als Pressesprecher tätig bin, vielen Men-

schen, Migranten wie Deutschen, helfen und zwischen den Kulturen vermitteln können. Juni 2016

Vista.Schon? Lothar Schirmer wuchs in Klietz (Altmark) auf und fing 1970 bei der Kriminalpolizei in Magdeburg an. Nach der Wende baute er mit Kollegen den Bereich der Kriminal­ polizeilichen Beratung auf, aus dem später das Dezernat Kriminalpolizeiliche Präven­tion wurde. Seit 1991 ist er regel­ mäßig ein gefragter ­Experte in verschiedensten ­ lokalen und überregionalen Medien, unter anderem bei der Volksstimme und beim MDR. Seit seiner Pensionierung 2010 betätigt er sich weiterhin in der Krimi­ nalprävention als Mitglied der Magdeburger Senioren-Sicher­heitsberater. Abseits da­ von lädt er jeden zweiten bis dritten Monat prominente Gäste in seine Talkshow Mit Schirmer, Charme und Melone in die Magdeburger Zwickmühle ein. Magdeburg beschreibt er als grün, erlebenswert und reich an Potenzial. Und ganz nebenbei hat er für seinen Heimatort Klietz eine Internetseite www.klietz-am-see. de aufgebaut.

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Kai Perret »Man ist immer überzeugt, dass man das Richtige tut.« Er war der jüngste Zoodirektor Deutschlands. Nach Magdeburg kam er vor dreizehn Jahren mit dem Ziel, den Zoo komplett neu zu entwickeln. Im Interview mit Inter.vista spricht Dr. Kai Perret über Geburten von weißen Löwen, Morddrohungen und die Sogwirkung von Zoos. Interview: Julia-Janine Schwark Fotos: Viktoria Kühne und Zoo Magdeburg



Kai Perret Was ist Ihr Lieblingstier im Zoo? Ich habe viele Jahre mit Menschenaffen gearbeitet. Mit Schimpansen und später auch mit Gorillas. Die sind mir sehr ans Herz gewachsen. Außerdem habe ich einen unglaublich großes Faible für Elefanten entwickelt. Wir haben aber auch besondere Tiere, wie zum Beispiel unser kleiner Tapir. Da bekommt man einen ganz anderen Zugang zu so einer Tierart. Ich will nicht sagen, dass das Lieblingstier bei mir wechselt, es kommen eher immer mehr dazu. Sie arbeiten den ganzen Tag mit Tieren. Haben Sie privat auch Haustiere? Ja, früher hatte ich sogar Schlittenhunde. Von diesen sportlichen Tieren bin ich dann auf eine etwas gemächlichere Hunderasse umgestiegen: Einen Rhodesian Ridgeback. Damit bin ich auch sehr zufrieden.

Man ist immer überzeugt, dass man das Richtige tut. Haben Sie sich denn ein ruhigeres Tier angeschafft, weil Sie nicht mehr so viel Zeit haben neben dem Beruf? Ja, der Beruf hat da sicher auch mit reingespielt. Schlittenhunde bedeuten schon eine extreme Art der Haustierhaltung. Sie brauchen sehr viel Auslauf und ein Außengehege. Da sie sehr viel Arbeit machen, bin ich auf die häuslichere Form umgestiegen. Aber wenn es die Zeit wieder erlaubt, kann es schon sein, dass ich mir wieder Schlittenhunde zulege. Was machen Sie in Ihrer Freizeit zum Ausgleich? Ich schaue mir gerne Fußball- oder Handballspiele an. Ich treibe aber auch gerne selber

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Sport: ein bisschen laufen, ein bisschen Fitness und ein bisschen Rad fahren. Außerdem gehe ich gerne in das Theater in Magdeburg. Durch meinen Hund verbringe ich natürlich auch viel Zeit an der frischen Luft. Sie selbst sagen, dass Sie aus einer Architektenfamilie kommen. Da liegt der Beruf des Zoodirektors nicht unbedingt nahe. Wie hat sich dieser Wunsch bei Ihnen ergeben? Meine Großvater und mein Urgroßvater waren in diesem Bereich tätig. Durch meine Eltern bin ich aber an die Natur herangeführt worden. Wir waren sehr viel draußen. Ich bin in Duisburg groß geworden und hatte eine Jahreskarte vom Zoo. Wir haben fast jedes Wochenende dort verbracht. Aber man merkt, dass mir auch die Architektenveranlagung im Blut liegt. Ich kann mir schon im Kopf sehr genaue Vorstellungen davon machen, wie eine Anlage oder ein Gebäude später aussehen soll. So kann ich meine Ideen gut den Architekten vermitteln. Wie wird man Zoodirektor? Das kann man nicht planen. Das ist nicht so zielstrebig wie beispielsweise ein Medizinstudium. Das ist bei uns Biologen etwas anders. Ich hatte als Schwerpunkt Zoologie studiert und ich wäre gerne an der Universität geblieben. Aber wie das manchmal so ist, ist damals die Abteilung, in der ich arbeitete, geschlossen worden. Deshalb musste eine Alternative her. Ich hatte schon immer Richtung Zoo geliebäugelt und habe alle meine wissenschaftlichen Arbeiten über Zoos verfasst. Deshalb wollte ich mir dort ein zweites Standbein aufbauen. Durch meine Studien mit Menschenaffen hatte ich dort schon den Fuß in der Tür. So bin ich in die Zoowelt gerutscht.


Kai Perret Die meisten Menschen haben bei dem Wort Zoodirektor erst mal ein sehr idyllisches Bild im Kopf. Ein Dr. Tierlieb, der einen kleinen Zoo in Neustadt führt und nie ein Problem hat, das ein sprechender Elefant nicht lösen könnte. Wie sehen Ihre Auf­ gaben und Verantwortungen wirklich aus? Es ist sehr vielschichtig. Die fachliche Kompetenz in der Zoologie und der Tierhaltung entwickelt sich im Laufe der Berufsjahre. Das muss man aus meiner Sicht als Grundlage haben. Außerdem braucht man ein gutes Gespür für die Entwicklungen der Zooführung und der Tierhaltung. Das ist schon fast eine politische Ausrichtung. Ein weiteres Feld ist im weitesten Sinne alles, was mit Betriebsführung zu tun hat. So ein Zoo ist ein mittelständisches Unternehmen, das auch so geführt werden muss. Auch wenn wir vom Staat gefördert werden. Ich selbst mache vielleicht noch 20 Prozent zoologische Dinge. Warum ist es wichtig, dass eine Stadt wie Magdeburg einen Zoo hat? Zoos sind ein ganz wesentlicher Punkt eines Angebots einer Stadt. Ich würde sogar sagen,

er zählt zu den harten Standortfaktoren. Denn nach diesen Kriterien entscheidet man, ob man in dieser Stadt leben möchte. Außerdem sind wir als Zoo ein überregionaler Anziehungspunkt. Unsere Institution hat eine Sogwirkung für die Region und die Stadt. Die Zoobesucher bringen auch Geld in die Stadt. Außerdem hat der Zoo ideelle Ziele. Bei uns sind wir ganz klar auf die Kinder- und Jugendförderung spezialisiert. Nur an exemplarischen Beispielen kann man Emotionen für die Natur wecken und je früher man damit anfängt, desto besser. So können wir die neue Generation für die Umweltprobleme unserer Welt sensibilisieren. Sie sind 2003 nach Magdeburg gekommen. Was hat sich in den letzten Jahren alles verändert? Was den Zoo betrifft, haben wir in den letzten Jahren die Hälfte davon umgekrempelt. In der Stadt selbst hat sich auch viel getan. Die ganze Infrastruktur hat sich verbessert. Auch was die Angebote im Freizeit- und Bildungs­bereich betrifft, haben wir unglaub-

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Kai Perret liche Sprünge gemacht. Davon ein Teil zu sein, ist toll.

Ein Zoo ist immer eine riesige Baustelle. 2016 gab es im Zoo ja auch ein freudiges Ereignis. Die weißen Löwenbabys Shaira und Jasiri wurden geboren. Warum war diese Tiergeburt etwas so besonderes? Die Geschichte der weißen Löwen kann man nicht kurz erzählen. Es ist ein Paradebeispiel, wie wir mit unserer Natur umgehen. Denn Mitte der siebziger Jahre gab es keine weißen Löwen mehr in Südafrika. Die meisten Leute meinen, weiße Löwen seien eine Zuchtform, aber es ist eine natürlich vorkommende Farb­ variante des afrikanischen Löwen, speziell aus einem Teil in Südafrika in der Nähe vom Krüger National Park im Bereich Timbawati. Nur durch sehr engagierte Farmer und einige Zoos konnten Tiere gerettet werden und diese natürlich vorkommende Farbvariante so bis heute erhalten werden. In den letzten Jahren konnten einige Tiere wieder in ihrem natürlichen Lebensraum ausgewildert werden. Derzeit gibt es 13 weiße Löwen in Südafrika in ihrem natürlich angestammten Lebensbereich und etwa 100 Tiere in europäischen Zoos.

Können Shaira und Jasiri denn in Magdeburg bleiben? Leider nein, wir mussten sie rechtzeitig von der Mutter trennen, da sie sie nicht mehr ernähren konnte. Der Vater wird seine Töchter nicht als Töchter erkennen. Da wäre die Gefahr der Inzucht sehr groß. Aber es gab schon viele Anfragen von anderen Zoos. Zoos stehen öfter in der Kritik, gesunde Tiere einzuschläfern. Auch der Zoo Magdeburg war 2008 damit in die Kritik geraten. Warum? Das Ziel koordinierter Zucht ist es, eine Tierart genetisch zu sichern. Der Sinn ist es, Tiere in der Reserve zu haben für eine eventuelle Auswilderung. In einigen Fällen hat es schon stattgefunden, bestimmte Rassen in ihrem angestammten Lebensraum anzusiedeln. Dafür benötigt man eine sehr reine Form der Tierart. Bei uns wurde allerdings nachgewiesen, dass unsere sibirischen Tiger nicht reinrassig waren. Wir mussten uns deshalb fragen, welche Opfer wir für eine reine Zucht bringen wollen. Wir haben beschlossen, die Tiere direkt nach ihrer Geburt einschläfern zu lassen. Uns wurde vor Gericht gesagt, dass dieser Zeitpunkt falsch war und wir vorschnell gehandelt haben. Es gibt eine Kontroverse zwischen unserem Fernziel der Auswilderung und den ethischen und moralischen Vorstellungen der Gesellschaft. Das ist ein großes Problem, für das wir eine Lösung finden müssen. Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Treffen Sie solche Entscheidungen auch persönlich? In diesem konkreten Fall hat es mich persönlich sehr getroffen. Denn ich bin nicht als Zoodirektor, sondern als die Person Kai Perret angeklagt worden. Von persönlichen Attacken bis hin zu Morddrohungen war

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Kai Perret alles dabei. Das konnte man nicht auf die ›leichte Schulter‹ nehmen. Wir waren davon überzeugt, das Richtige zu tun. Auch Fachleute bestätigten uns, dass es fachlich richtig war. Trotzdem nimmt es einen mit. Schließlich bin ich nicht Zoo­ direktor geworden, weil ich Manager werden wollte, sondern aus Tierliebe. Sie selbst sind in Duisburg aufgewachsen und haben, bevor Sie nach Magdeburg gekommen sind, auch in Münster gearbeitet. Sind Sie in Magdeburg angekommen oder würde Sie noch eine andere Stadt reizen? Ich bin in Magdeburg auf jeden Fall angekommen. Ich fühle mich sehr wohl und auch sehr heimisch. Das, was ich mache, ist aber kein Dauerjob. Ich kann nicht entscheiden, ob ich bis zum Ruhestand in Magdeburg bleiben kann. Das sind immer Zeitverträge von fünf Jahren. Letztendlich entscheidet der Stadtrat, ob ich dann für die nächsten fünf Jahre wieder dieses Unternehmen leiten soll.

Ich habe auch ein unglaublich groSSes Faible für Elefanten. Sind nach der Fertigstellung der Africambo noch weiter Projekte hier im Zoo geplant? Es geht natürlich weiter. Der Zoo ist jetzt etwa zur Hälfte gemacht, bis 2024 soll die andere Hälfte fertig werden. Die ersten Projekte stehen schon auf der Agenda und sind in der Vorplanung bereits skizziert. Wenn der Umbau stattgefunden hat, geht es mit der ersten Hälfte wieder von vorne los, in Form von Sanierungs- und Verbesserungsarbeiten. Ein Zoo ist immer eine riesige Baustelle.

Wenn Sie mal nicht aufs Budget achten müssten und die freie Wahl hätten, was würden Sie am Zoo verändern? Gar nichts. Ich bin davon überzeugt, dass es gar nicht so sehr um die Höhe des Budgets geht. Denn ich muss ganz ehrlich sagen: Wir haben immer das Geld bekommen, das wir brauchten. Das war sicherlich im Vergleich zu anderen Zoos knapp bemessen, aber aus meiner Sicht vollkommen ausreichend. Damit werden wir die nächsten Schritte auch machen. Wenn man ein bisschen sparsamer ist, sind die wirtschaftlichen Risiken für den Zoo und die Stadt auch überschaubar. Dezember 2016

Vista.Schon? Dr. Kai Perret wurde 1965 in Duis­burg geboren. Von 1989 bis 1997 studierte er Biologie an der Ruhr Universität in ­Bochum. Nach seiner Zeit an der Universität arbeitete er zunächst im Allwetterzoo in Münster. 2003 kam er schließlich nach Magdeburg, um den Zoologischen Garten zu leiten, zu entwickeln und durch seinen eigenen Stil zu prägen. Besonders wichtig ist ihm, Kinder und Jugendliche an Tiere und Natur heranzuführen. Der Zoo in Magdeburg beherbergt daher auch den ersten Zoo-Kindergarten weltweit.

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Gerhard Feige »Ich hätte mich ja auch anpassen können.« Eine Bibel hält er das erste Mal in der Grundschule in der Hand. Seither ist sie zu seinem stetigen Begleiter geworden. Was er nach Feierabend macht, was für ihn Familie bedeutet und warum er viele Hundebesitzer in seiner Umgebung kennt, verrät der Magdeburger Bischof Dr. Gerhard Feige im Gespräch mit Inter.Vista. Interview und Fotos: Marlene Wiedner


Gerhard Feige Herr Dr. Feige, ich komme aus Klötze in der Nähe von Salzwedel. Was verbinden Sie mit der Hansestadt? Salzwedel war meine erste Stelle als Seelsorger, von 1978 bis 1981. Ich bin in Halle geboren und groß geworden. Mein Horizont reichte in etwa bis Magdeburg. Darum habe ich damals verkündet: »Ich komme nach Salzwedel, erst nach Norden und dann immer geradeaus.« (lacht) Das war die Reklame für Bommerlunder. Aber das machte deutlich, dass dort Weiten herrschten, die ich noch nicht kannte. Es war eine wunderschöne Zeit, obwohl Salzwedel damals ja im Abseits lag. Im Norden und Westen verlief die Grenze. Da verirrte sich kaum jemand mal von auswärts hin. Waren Sie seitdem wieder in Salzwedel? Ja, ich merke dann immer so ein Kribbeln in der Magengegend. Inzwischen hat sich Salzwedel gewaltig verändert, auch was den Verkehr betrifft. Ich bin damals mit einem Trabant schneller von Magdeburg in Salzwedel gewesen, als heute mit jedem anderen Auto. Zur Grenzsicherung waren die Straßen sehr gut ausgebaut, und jetzt fließt der LKW-Verkehr auf dieser Route. Das dauert länger.

Ich lebte gewisser­ maSSen auf einer Insel der Seligen. Was blieb Ihnen aus der Zeit als Seelsorger in Erinnerung? Motivierte Christen verstreut in einem großen Gebiet. Unsere Pfarrei erstreckte sich über unzählige Kilometer. Die Hälfte der Gemeinde lebte auf den Dörfern, die Hälfte in der Stadt. Wir waren viel mit einem Kleinbus und PKW unterwegs, um die Leute zu Gottesdiensten, zum Religionsunterricht

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oder den Jugendtreffs zusammenzubringen. Das war eine sehr aufwendige Arbeit. Wie kamen Sie dazu, Theologie zu studieren? Der Wunsch Theologie zu studieren, ist bei mir relativ zeitig aufgebrochen. Ich spielte schon im Übergang von der 8. zur 9. Klasse mit dem Gedanken. Zum einen erlebte ich eine sehr rege katholische Gemeinde, zum anderen hervorragende Seelsorger, die uns gefordert und sich mit uns intensiv beschäftigt haben. Vor allem gehörten philosophische und theologische Fragen dazu. Es war sehr niveauvoll. Sich zu DDR-Zeiten auf diese Weise mit der Welt und dem Leben auseinanderzusetzen, als Priester Menschen beizustehen, ihnen die Augen zu öffnen und ihren Horizont zu erweitern, hat mich beeindruckt. Sind Sie christlich erzogen worden? Ja, aber unverkrampft. Ich erinnere mich, dass meine Eltern sehr natürlich aus dem Glauben lebten und wir, meine zehn Jahre ältere Schwester und ich, auf diese Weise das Christentum eingeatmet haben. Was meinen Sie mit »eingeatmet«? Christentum ist ja keine Weltanschauung, sondern mehr eine Lebenspraxis. Die Kirche ist eine große Erfahrungsgemeinschaft. Wie sind Sie in dieser Gemeinschaft gewachsen? Der Glaube ist nichts Festes, nichts Abgepacktes, nichts Endgültiges, sondern Wegbegleiter. Glaube kann verkümmern, sich aber auch entfalten. Man macht die unterschiedlichsten Erfahrungen, positive wie negative. Mit dem Tod in Berührung zu kommen, hat mich besonders herausgefordert. Als Ministrant in der 5. Klasse habe


Gerhard Feige ich zum Beispiel erstmals an einem offenen Sarg gestanden. Da war es mir eine Hilfe, das Erlebte mit dem christlichen Glauben in Beziehung zu bringen. Durch das staatliche System und die Schule wurden Glaube und Kirche lächerlich gemacht, und ich musste mich immer intensiv damit auseinandersetzen: ›Warum schwimme ich gegen den Strom?‹ Ich hätte mich ja auch anpassen können. Allmählich lernte ich auch noch andere Lebensbereiche kennen, von der Geburt bis zum Tod. In einer späteren Phase bin ich intensiver in die Wissenschaft eingestiegen, forschte und lehrte.

Ich lebte gewissermaßen auf einer Insel der Seligen, und wir konnten uns dort hinter geschlossenen Türen intensiv mit dem System auseinandersetzen. Verstehen Sie Ihre Arbeit als Beruf? Sogar als Berufung. Ich lebe darin. Wie hat sich die katholische Gemeinde in Magdeburg verändert? Ich bin für das Bistum, also Sachsen-Anhalt und Teile Sachsens und Brandenburgs,

Sollten wir den Tod positiver sehen? Auf jeden Fall hilft es nicht, ihn zu verdrängen. Er gehört zum Leben, und egal, ob man nun Christ ist und glaubt, dass das Leben auch nach dem Tod weiter geht oder selber damit gar nichts anfangen kann, sollte man sich mit ihm auseinandersetzen.

Für einen Bischof ist auch die Gemeinde so etwas wie Familie. Hatten Sie Nachteile zu DDR-­Zeiten? Bis auf die allgemeinen Einschränkungen ging es mir noch verhältnismäßig gut. Es war mir zum Beispiel möglich, mein staatliches Abitur zu machen, obwohl ich weder der Pionierorganisation noch der FDJ angehört habe. Ich bin nicht zur Jugendweihe gegangen und lehnte den Dienst mit der Waffe ab. Und dann war ich ja in kirchlicher Ausbildung, also gewissermaßen rausgenommen aus dem staatlichen System. Wir hatten eine katholische Hochschule in Erfurt, an der alle Priester in der DDR ausgebildet wurden. Diese Schule war nicht staatlich anerkannt, wurde aber geduldet.

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Gerhard Feige zuständig. Vor 1989 lebten wir unter Druck sehr zurückgezogen; darum war das Verhältnis in unseren Gemeinden auch familiärer. Nach der friedlichen Revolution ist eine offene Gesellschaft entstanden und wir mussten uns als katholische Kirche völlig neuen Herausforderungen stellen. Inzwischen verstehen wir uns als ›schöpferische Minderheit, die ökumenisch gesinnt mit anderen Partnern in der Gesellschaft kooperiert‹. Wir sagen ›ja‹ zu der Situation in der wir leben, und bringen uns mit unseren Idealen und Möglichkeiten ein. Freilich geht auch an uns die demografische Entwicklung dieser Region nicht spurlos vorüber.

Dann müssten wir neu klären, was ­u nsere deutsche Gesellschaft eigentlich noch zusammenhält. Was bedeutet für Sie Familie? Ich stamme aus einer Familie, habe aber keine so große Verwandtschaft. Über meine Schwester bin ich jedoch schon seit acht Jah-

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ren Urgroßonkel. Leider habe ich nur selten Kontakt zu meinen Angehörigen, höchstens ein bis zwei Mal im Jahr. Ich selber habe, wie bei katholischen Priestern üblich, keine Familie. Dafür habe ich mich entschieden. Ich lebe aber nicht völlig isoliert. Für einen Bischof ist auch die Gemeinde so etwas wie Familie. Hoffen Sie, dass durch die wachsende Anzahl Muslime die Deutschen wieder ­ mehr zum christlichen Glauben finden? Tatsächlich können Menschen, die mit einer anderen Lebensweise kommen, dazu anregen, selbst wieder nachzudenken und existenzielle Fragen zu stellen. Schließlich ist die Situation im Osten Deutschlands sehr ungewöhnlich. Weltweit gehört Religion zum menschlichen Leben dazu, nur bei uns scheinen die meisten keine mehr zu brauchen. Von daher finde ich es schon ganz gut, dass unsere Gesellschaft durch solche Entwicklungen neu herausgefordert wird. Was erhoffen Sie sich aus diesen Entwicklungen? Vor allem hoffe ich, dass Integration gelingt. Wir sollten nicht alte Traditionen und Gewohnheiten als Leitkultur festschreiben,


Gerhard Feige sondern Leitlinien suchen, wie wir zusam­ menleben wollen. Wesentliches gibt dazu das Grundgesetz vor. Dann aber müssten wir wohl auch neu klären, was unsere deutsche Gesellschaft eigentlich noch zusammenhält, welche Werte das sind. In manchem schei­ nen wir ziemlich auseinanderzudriften. Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie zum ersten Mal eine Bibel in der Hand gehalten haben? Wahrscheinlich im Rahmen des Religions­ unterrichts, in der zweiten oder dritten Klasse. Zu meinem 18. Geburtstag bekam ich von meinem Vikar eine geschenkt mit der Widmung: »In der Hoffnung, dass aus Dir ein guter Exeget wird« (Exeget = Erklärer, Anm. d. Red.). Das ist so nicht eingetreten. Vielmehr wurde dann die Alte Kirchen­geschichte und Ostkirchenkunde zu meinem Spezialgebiet. Und diese Bibel haben Sie immer noch im Bücherregal stehen? Ja, zu Hause. Begleitet Sie ein persönlicher Vers? Als Bischof habe ich den Wahlspruch »Wachet und betet«. Damit verbinde ich einerseits, sich leidenschaftlich für die ganze Wirklichkeit zu interessieren, andererseits aber auch sehr per­ sönlich den Kontakt zu Gott zu suchen und dadurch Kraft zu schöpfen. Im Gebet kann man sich aussprechen, ohne zumeist freilich direkte Antworten zu bekommen. Ist das Beten Ihre Methode mit Gott in Kontakt zu treten? Nicht nur. Gott kann uns vielfältig begeg­ nen. Er drängt sich aber nicht auf. Ihn zu erspüren, geht nicht ohne eine gewisse Sensibilität. Dabei spielt auch das Herz eine Rolle. Ein möglicher Erfahrungsort kann die

Natur sein. Das ist mir einmal besonders aufgegangen, als ich mit einer kirchlichen Jugendgruppe in der Hohen Tatra unter­ wegs war, einem reizvollen Gebirge in der Tschechoslowakei. Vieles hat mich fasziniert und eigenartig berührt. Ist das – so fragt man sich dann – alles nur rein zufällig oder doch von jemandem geistvoll geschaffen? Als Christen glauben wir, dass Gott uns aber auch in der Gemeinschaft der Kirche nahe ist, in jedem Menschen uns begegnen kann und uns vor allem in den Bedürftigen zum Nächsten wird.

Ich kenne mittler­ weile viele ­H unde­b esitzer in ­m einer Umgebung. Wie sieht für Sie ein typischer Arbeitstag aus? Den gibt es bei mir nicht. (lacht) Zu einem Drittel halte ich mich im Büro auf, bearbeite Post und E-Mails, führe Gespräche. Das zweite Drittel ist meine Tätigkeit im Bistum. Ich bin viel unterwegs, zu Firmungen oder Jubiläen, aber auch zu intensiven Visita­ tionen in den Pfarreien, meistens über drei Tage. Dabei sehe ich mir viel an, treffe auf Christen und Nichtchristen und führe mit Einzelnen oder Gruppen sehr unterschied­ liche Gespräche. Und zum letzten Drittel: Jeder katholische Bischof ist nicht nur für sein Bistum verantwortlich, sondern hat auch Aufgaben für die katholische Kirche in Deutschland und darüber hinaus. Mein Verantwortungsbereich ist vor allem die Ökumene. Das erfordert die Teilnahme an Konferenzen und Tagungen und ist mit vielen Kilometern verbunden. Kürzlich erst hatte ich

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Gerhard Feige in Paderborn an der Fakultät einen Vortrag zum 500. Reformationsgedenken. Reisen Sie gern? Nicht mehr unbedingt häufig. Es sind weitge­ hend Dienstreisen. Dabei habe ich kaum Zeit, mir privat noch etwas anderes anzuschauen. Das ist sehr schade. Inzwischen bin ich dank­ bar, wenn ich längere Zeit mal zu Hause sein kann.

›Machteburjer‹ sind Menschen, mit denen man gut ins Gespräch kommen kann. Welches Verkehrsmittel nutzen Sie, wenn Sie reisen? Für offizielle Anlässe habe ich einen Dienst­ wagen und einen Fahrer. Am Anfang war das für mich völlig ungewohnt; ich empfinde das auch heute noch als nicht selbstverständlich. Aber ich bin dankbar dafür, weil ich so die Fahrten fürs Arbeiten nutzen kann. Für Reisen ins Ausland nehme ich meistens das Flugzeug. Die längste Reise war aber bisher mit dem Auto nach Lund in Schweden. Neun Stunden waren wir da unterwegs. Haben Sie auch mal Feierabend? Ja, das braucht jeder. Niemand kann 24 Stunden im Beruf aufgehen. Einmal im Jahr nehme ich Urlaub. Außerdem versu­ che ich, möglichst einen freien Tag in der ­Woche zu haben. Aber wenn wichtige Dinge anstehen, gebe ich dann schon einmal nach und verzichte darauf. Manchmal bleibe ich jedoch hart, weil es ohne Entspannung nicht geht und auch ich zum Beispiel einige Be­ wegung brauche. In letzter Zeit ist das leider

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zu kurz gekommen, aber sonst sehe ich zu, dass ich wenigstens einmal in der Woche schwimmen gehe. Wie lassen Sie denn die Seele baumeln? Naja, beim Schwimmen lasse ich sie nicht baumeln, weil ich in einer halben Stunde einen Kilometer runterschrubben möchte. (lacht) Ich höre aber gern Musik, habe gewis­ sermaßen eine barocke Seele. Es kann aber auch moderne Musik sein, wenn sie mich anspricht. Was mir sonst noch nahe geht, ist orthodoxe Kirchenmusik. Ansonsten gehe ich gern spazieren, oftmals dann mit einem kleinen Jagdhund, der sehr quirlig ist. Er gehört meiner Haushälterin. Selber könnte ich mich sonst gar nicht um ihn kümmern. Wenn ich mit ihm aber eine Runde drehe, ist das für mich Entspannung. Wo gehen Sie dann gern hin? Ich mache gern die große Fachhochschul­ runde. (lacht) Darüber hinaus bietet der Herrenkrug weitere günstige Möglichkei­ ten; man ist sofort in der Natur. Ich kenne mittlerweile viele Hundebesitzer in meiner Umgebung. Wenn wir jetzt gemeinsam in eine Bar gehen würden, was würden Sie bestellen? Ich überlege, ob ich jemals in einer Bar war. (lacht) Aber ich denke, ich würde einen trockenen Weißwein bestellen. Außer dem Buch der Bücher: Haben Sie einen Lektüretipp für ein langes Wochenende? Ich lese sehr gern Russen, vor allem Dostojewski und Lew Tolstoi. Das sind ­ natürlich gewichtige Bücher und für ein Wochenende ziemlich viel. (lacht)


Gerhard Feige Was fasziniert Sie an diesen Autoren? Die Tiefe des Denkens und die Gefühle, die darin zum Klingen kommen.

Wie würden Sie Magdeburg in drei W ­ orten beschreiben? Altehrwürdig, lebenstauglich, entwickelnswert.

Gibt es eine übermenschliche Fähigkeit, die Sie gern besitzen würden? Noch mehr Probleme lösen zu können.

Welche Botschaft haben Sie für unsere Leser? Ich wünsche sehr, dass Magdeburg auch weiterhin eine Stadt ist, in der man friedlich miteinander leben kann, in gegenseitiger Achtung, Solidarität und Weltoffenheit.

Glaube kann verkümmern, sich aber auch entfalten. Was ist Ihre erste Erinnerung an Magde­ burg? 1978 bin ich in Magdeburg zum Priester geweiht worden. Aber auch schon vorher war ich einige Male hier. Besonders erinnere ich mich noch an die Tausendjahrfeier des Erzbistums Magdeburg im Jahre 1968. Was schätzen Sie an Magdeburg beson­ ders? Da muss ich mir als Hallenser genau überlegen, was ich sage. (lacht) Eine Stadt, die einen größeren Fluss hat, ist immer gleich lebendiger. Das schätze ich sehr, auch wenn dieser Fluss schwerwiegende Probleme bereiten kann. An ihm gibt es auch manche idyllische Stellen. Besonders gern blicke ich von der anderen Seite der Elbe, von den Brücken, auf die Silhouette der Stadt. Und was schätzen Sie an den Magde­ burgern? Machteburjer. (lacht) Ja, ich glaube, das sind Menschen, mit denen man gut ins Gespräch kommen kann, ob Urmagde­ burger oder Zugezogene.

Januar 2017

Vista.Schon? Dr.  Gerhard Feige, Jahrgang 1951, ist seit 2005 Bischof in Magdeburg. 1988 promovierte er im Fach Theologie und lehrte ab 1994 als Professor für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Ostkirchenkunde an der Universität Erfurt. Dem gebürtigen Hallenser ist besonders die Ökumene ein bedeutendes Anliegen. Von stressigen Dienstreisen und langen Arbeitswochen erholt sich Feige gern in der Natur. Sein Begleiter ist dabei ein kleiner quirliger Jagdhund. Obwohl ihm die Zeit dafür oft fehlt, liest der Bischof gern die Werke von Lew Tolstoi und Dostojewski oder genießt den Blick auf Magdeburgs Altstadt.

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Dirk Klocke »Rockabilly ist das, was ich machen will.« Die Monokultur Magdeburgs ist Techno. Doch es gibt natürlich auch Leute, die nach mehr Vielfalt streben. Einer von ihnen ist Dirk Klocke. Er ist nicht nur Geschäftsführer des Szeneladens Sub-Kultur, sondern auch noch Veranstalter der Rockhouse-Partys und des Summer Shelter Festivals. Inter.Vista sprach mit ihm über Rockabillys und die kulturellen Möglichkeiten die Magdeburg hat. Interview und Fotos: Paul Schulz



Dirk Klocke Für wen ist Ihr Geschäft Sub-Kultur gedacht? Für jeden, der sich ein bisschen mit Mode befasst und einen eigenen Stil kreieren will. Wir haben als richtiger Szeneladen für ­Gothic, Punk und Rockabilly angefangen. Davon sind wir ein bisschen abgekommen und haben noch Vintage-Mode dazugenommen, weil wir glauben, dass es viele Stile gibt, die man bedienen kann und die auch mit den modernen Sachen kombinierbar sind. Mittlerweile gibt uns da auch der Erfolg und die große Kundschaft Recht. Die Leute ­wollen immer mehr ausprobieren und einen Stil kreieren, der abseits von ›­Einkaufs-Malls‹ ist.

Eine Tunika aus dem 13. Jahrhundert neben diesem Petti­coat-Kleid – das ging nicht. Da der Laden auch so enorm voll war, haben wir uns etwas Neues gesucht. Da kam uns gerade recht, dass hier der Fahrradladen ausgezogen ist. Bei der großen Fläche war das natürlich ein großes Wagnis. Die Szeneläden, die wir aus Berlin, Leipzig oder Hamburg kennen, sind relativ überschaubar. Also haben wir uns zum Ziel gesetzt, jede Szene anzusprechen. Wir sind offener geworden, aber wir würden keinen Mainstream bedienen. Es soll tragbar, aber gleichzeitig auch etwas Eigenes sein.

Welche Startschwierigkeiten gab es? Ich sage es mal so: Magdeburg war zunächst etwas stur. Wir hatten am Anfang wirklich Wie kam es zur Gründung des Ladens? Das ist eine abgefahrene Geschichte. Wir ha- nur Leute aus Braunschweig, Stendal, Werni­ gerode, Genthin – ein Zirkelschlag ben zuvor einen Laden in Sudenburg betrie- ­ ben. Als wir 2010 in die Innenstadt gezogen von 60 oder 70 Kilometern. Die haben das sind, haben wir daraus einen Mittelalter-­ Ding am Leben gehalten. Magdeburger Laden kreiert. Mit dem Konzept Schwarze waren so gut wie gar nicht im Laden. Wir Hexe haben wir Gothic-­ Klamotten ins haben versucht, die Szenen zu unterstütSortiment genommen und das war relativ zen. Bei den einen hat es geklappt, bei den erfolgreich. Später haben wir das Sortiment anderen weniger. Am Ende haben wir es immer mehr ausgebaut und auf einmal aber geschafft, dass wir unseren Stil hier hing ein gepunktetes Petticoat-Kleid mit unterbringen und auch viele Leute gefunden drin. (lacht) Das war ein starker Stilbruch. haben, die das cool finden.

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Dirk Klocke Subkulturen zeichnen sich ja dadurch aus, dass es kleinere Gruppen sind. War ein breiteres Spektrum im Sortiment notwendig, damit sich der Laden über ­ Wasser hält? Das ist schwer zu sagen. Es war uns wichtiger, mehr Leute zu erreichen und bestimmte Stile zu kombinieren. Das macht es interessanter. Sonst bekommt man einen Museums-Charakter. Als Rockabilly-Laden dürften wir nur Sachen aus den Fünfzigern haben. Bei Gothic müsste alles in schwarz sein. Das war uns zu engstirnig. Gerade beim Rock ’n’ Roll gibt es so viele Tendenzen und Entwicklungen. Vom klassischen Rock ’n’  Roll, Rockabilly, über Punkrock, über Neo-Rockabilly – das sind alles neue Stile. Das ist aber auch gut so. Nur wenn neuer Input kommt, hält sich eine Szene. Welche Altersgruppe sprecht Ihr an? Wir decken von 18 bis Mitte 60 alle Leute ab. Ich würde mich nicht festlegen, was die größte Zielgruppe bei uns ist. Komplett querbeet. Die einen denken beim Petticoat vielleicht an die eigene Jugend. Bei anderen steht die Jugend erst noch bevor. Zum Beispiel haben wir letztes Jahr viel für Jugendweihen gemacht und die Leute in Petticoats gezwängt. (lacht) Sie sind ja Geschäftsführer, aber ich habe Sie auch schon an der Kasse gesehen. Also sind Sie im Tagesgeschäft noch voll ­involviert? Nee, nee. Ich scheiße früh morgens alle Mitarbeiter zusammen, fahr dann nach Hause und kassiere abends wieder ab. (lacht) Wir haben eine relativ flache Hierarchie und das hat Vor- und Nachteile. Ich denke jedoch, dass die Vorteile überwiegen. Wir machen auch dienstagabends bei einem Bierchen unsere Teamsitzung. Man kann alles auf

persönlicher Ebene klären. Am Ende muss eigentlich jeder alles können. Das ist ganz wichtig für uns, da wir uns vom Internet abheben wollen. Um das tun zu können, muss jeder die Kunden beraten können. In jeder Situation und über jedes Produkt. Das ist überlebenswichtig.

Die einen denken beim Petticoat vielleicht an die eigene Jugend. Bei anderen steht die Jugend erst noch ­b evor. Bleibt dabei noch Zeit für die Familie? Das ist immer schwierig. Im letzten Jahr ist urplötzlich mein Vater verstorben und dadurch habe ich noch eine Firma an den Hacken. Ich habe eine Frau und zwei Kinder und es ist nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bringen. Mittlerweile können wir damit aber ganz gut umgehen und nehmen uns Auszeiten außerhalb des Standard-­Wochenendes. Dann verschiebt man das Wochenende einfach mal auf Montag und Dienstag. Durch den Todesfall wurde mir auch erst richtig bewusst, wie begrenzt die Lebenszeit ist. Man weiß nie, wann es zu Ende ist. Deswegen sollte man im Hier und Jetzt leben. Wo haben Sie ihre Frau kennengelernt? Ganz bieder über ein Internetportal. Wir haben festgestellt, dass wir ähnlich ticken, aber zum Glück andere Charaktere haben. Sie ist ruhiger und besonnener und ich bin eher impulsiv aber auch kreativ. Wir können uns für viele Sachen begeistern. Zum Beispiel für das Mittelalter. Einerseits auf Burg Falkenstein fahren, uns komplett einkleiden

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Dirk Klocke und mit Rüstung hochklappern. Anderer- Selbst den Bedarf zu schaffen ist auch ganz seits auch mal Tanzen auf einer Rockabilly-­ praktisch. Vor so einem Festival kaufen die Leute wahrscheinlich auch lieber etwas. Veranstaltung. Natürlich. Es gibt ja auch viele Leute, die das interessiert und die gerne in der passenden Magdeburg war Kleidung dorthin kommen möchten. Aber ­z unächst etwas stur. im Alltag möchten sie eben nicht so herumlaufen. Das ist ja auch legitim. Wir freuen uns Apropos Rockabilly: Sie veranstalten das immer, wenn jemand unseren Stil adaptiert. Summer Shelter Festival in Heyrothsberge. Aber wir wollen keinen bekehren. Wenn die Wie kamen Sie dazu, so etwas ins Leben zu Leute sich vielleicht nur am Wochenende so kleiden, ist das doch okay. Ich kann auch die rufen? Die Idee kam daher, dass wir versuchten, Szene nicht ganz verstehen, die das dann als die verschiedenen Szenen zu unterstützen. ›Wochenend-Rock ’n’ Roller‹ betitelt. So etEs gibt ja auch die Rockhouse-Partys, zum was muss es auch geben und das muss auch Beispiel im AMO oder im Gesellschaftshaus. akzeptiert werden. Wir wollten dann auch ein Festival in Magde­ burg machen und haben auch erst hier vor Seit wann gibt es denn die Rockhouse-­ Ort nach Möglichkeiten geschaut. Das war Partys und das Summer Shelter Festival? nicht sehr erfolgreich. Die Strukturen mit Die Rockhouse-Party fand das erste Mal dem Ordnungsamt sind so verkrustet, dass 2013, direkt nach dem Hochwasser, in der ich sehr stark bezweifle, dass Magdeburg Württemberg statt. Das Ding stand leider ­jemals Kulturhauptstadt wird. Deswegen fin- auch komplett unter Wasser und es musste det die Veranstaltung in Heyrothsberge statt. alles herausgerissen werden. Wir haben Da ist ein anderes Ordnungsamt zuständig dann eine Bar und eine Tanzfläche eingebaut und selbst der Bürger­meister dort war froh, und die Magdeburger Rockkapelle Sweet dass in seinem Ort etwas stattfindet. Die Idee Kings eingeladen. Das kleine Ding war ganz ist auch, die Szenen selber aufzubauen. Den gut gefüllt. Das Summer Shelter Festival gibt Bedarf an diesen Klamotten selbst zu schaf- es seit 2014. Beim ersten Mal hatten wir fen. In Magdeburg gibt es mit Techno nur super Wetter, und die anderen beiden Male eine Monokultur. Das ist schon sehr erstaun- richtig Pech. Das ist immer sehr ärgerlich. lich. Ich war neulich in Glasgow. Wahnsinn, Deswegen wollten wir es jetzt auch in Rainy was dort für eine Vielfalt herrscht. Was für Shelter umbenennen. (lacht) Aber Spaß stilvolle, coole, nette, freundliche Menschen. beiseite. Wir bauen es weiter aus und an der Im Vergleich dazu ist es hier schon ein hartes Resonanz merken wir, wie viele Leute das Brot. Aber es wird besser. Andere Leute füh- mittlerweile interessiert. Die kommen aus len sich auch berufen, etwas zu ändern. Ein- Gera, Rostock, Hannover – fantastisch! Man mal im Monat gibt es eine Tanzveranstaltung sieht, dass es einen riesigen Bedarf und eine namens Record Hop. Außerdem findet jeden Szene gibt, die das annimmt. Die Zahlen Montag etwas beim Swingkollektiv statt. Es haben bisher noch nicht richtig gestimmt, wird immer mehr. Das ist eine schöne Berei- da wir durch die Unwetter natürlich viele Tagesgäste verloren haben. Aber es wird cherung. jedes Jahr größer und bekannter.

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Dirk Klocke

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Dirk Klocke Wie weit ist die Planung für nächstes Jahr? Die Planung ist eigentlich schon abgeschlossen. Bands und Showacts haben wir schon. Eine Burlesque-Show wird es ebenfalls geben. Im Großen und Ganzen sind nur noch Details zu klären.

vom Ordnungsamt behindert wird. Zum Beispiel mit Auflagen, wenn es irgendwo mal ein bisschen lauter ist. Und wenn die Stadt jedem Bürgereinwand recht gibt, weil jemand bei offenem Fenster nicht mehr schlafen kann, wird das hier sehr schwer.

Man hört schon, dass die Organisation eines solchen Festivals viel Aufwand erfordert. Gibt es etwas, was besonders anstrengend ist? Ganz ehrlich: Ein Festival zu organisieren ist ein Hammer! Das erste Mal nach dem Summer Shelter bin ich allein für eine Woche an die Ostsee gefahren und habe mich an den Strand gepackt. Ich wollte nichts mehr sehen und hören. Vor allem meinen Klingelton hatte ich satt. Jeder Künstler muss einzeln untergebracht und verpflegt werden. Jeder von ihnen hat eigene Befindlichkeiten, wie die Musik zu funktionieren hat. Es muss ein Kinderprogramm her und es müssen Sponsoren angesprochen werden – dabei gibt es so viel zu planen und zu beachten. Das habe ich am Anfang alles allein gemacht, aber mittlerweile hat jeder Kollege einen kleinen Bereich und ich werde unterstützt. Am Ende kommt noch unfairerweise die GEMA und kassiert den letzten Rest an Geld ab. Das ist unfassbar, wie so eine Krake in Deutschland funktionieren und existieren darf.

Sie haben schon erwähnt, dass Sie in ­Glasgow oder an der Ostsee waren. Reisen Sie viel in Ihrer Freizeit? Ja, mittlerweile wieder. Ich war mal ein ganz großer Reisemuffel. Ich habe Anfang der Neunziger beim Jugendverband ganz viele Jugendreisen organisiert und war immer unterwegs. Ich war in Ländern wie Frankreich, Spanien oder Ungarn. Meine damalige Freundin wollte auch immer ­ noch reisen und fliegen und ich war einfach froh, wenn ich mal zuhause war. (lacht) Die nächsten Jahre hatte ich dann einfach gar keinen Bock mehr, zu verreisen. Höchstens mal zur Ostsee. Aber inzwischen kann es auch mal wieder weiter weg gehen. Wenn es ganz besonders gut läuft, würde ich auch gerne mal vier oder fünf Wochen ausspannen und um die Welt reisen. So in 80 Tagen. (lacht) Das wäre cool. Man muss das auch machen. Das Leben ist einfach begrenzt. Es nützt nichts, immer nur zu malochen. Man muss das Geld auch ausgeben und genießen.

Welchen Nutzen hat das Summer Shelter Festival für Magdeburg? Wir hören recht häufig das Lob, dass wir hier die Szenen zusammengeführt haben. Und ich denke, dass es die Stadt nur beleben kann. Es gibt noch tausend andere Sachen und viele andere Musikrichtungen, für die man was machen kann und ich hoffe, dass sich dafür auch Leute finden, sodass man aus dieser Monokultur rauskommt. Das schafft man aber nur, wenn man nicht andauernd

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Sind Sie gebürtiger Magdeburger? Ja. Ich wohne auch in der Nähe von meinem Geburtsort. Wir haben uns jetzt ein Mehrfamilienhaus gekauft und wohnen mit mehreren Leuten zusammen. Die sind auch schon sehr gute Freunde von uns geworden. Ich würde jetzt nicht sagen, dass es eine Kommune ist. Das klingt so hippiemäßig. Wir haben ein bisschen Land drumherum und eine Art Pavillon, wo wir zusammen grillen. Das ist sehr witzig.


Dirk Klocke Eine Kombination aus Rocker und Familienidylle. Genau. Würden Sie sich selbst auch als Rockabilly bezeichnen? Rockabilly ist das, was ich machen will. Der Kleidungsstil und natürlich auch die Musik und die tollen Autos. Ich liebe diese fünfziger Jahre. Ich bin da auch ein bisschen museal angehaucht. Ansonsten versuche ich einfach, das zu machen, wonach mir der Sinn steht.

Es nützt nichts, immer nur zu malochen. Man muss das Geld auch ausgeben und ­genieSSen. Fahren Sie denn ein außergewöhnliches Auto? Einen Oldtimer oder einen amerikanischen Wagen? Nein, aber ich fahre ein tolles Fahrrad! Ich habe mir selbst ein Chopper-Fahrrad gebaut. Samt Tank von einer alten Herkules. Batterie und Antrieb sind eingebaut, also im Grunde ein E-Bike, aber eben selbst gebaut. Das ist sehr cool und macht echt Spaß. Aber für Motoren und so hatte ich noch kein Interesse. Wenn man einen gut erhaltenen und funktionierenden Wagen will, braucht man entweder ganz viel Geld oder muss schrauben können. Und was ist musikalisch nach ihrem ­Geschmack? Eine richtige Lieblingsband habe ich nicht. Ich mag die Fifty-Songs und war früher auch Elvis-Fan. Mittlerweile habe ich gute Neo-Rockabilly-Kapellen entdeckt, die eine gute Mischung aus Punk und Rockabilly sind.

Meine letzte Frage bezieht sich noch einmal auf Magdeburg. Was fehlt der Stadt? Ich glaube, es fehlen so 100.000 Einwohner. Mit mehr Einwohnern und Zuzug von kulturellen Kräften kommen neue Ideen in die Stadt. Wir brauchen Menschen, die sich nicht gleich unterkriegen lassen und diese festgefahrenen Strukturen etwas aufbrechen. Das würde die Stadt unheimlich bereichern. Und Menschen, die andere animieren, mal ein bisschen offener zu sein. Alles andere kommt dann von selbst. November 2016

Vista.Schon? Dirk Klocke, Jahrgang 1970, ist seit April 2013 Geschäftsführer des Szeneladens Sub-Kultur in Magdeburg und Veranstalter der Rockhouse-Partys und des Summer Shelter Festivals. Eigentlich ist er gelernter Koch, hat aber auch schon als Monteur und Bildungsreferent gearbeitet. Anschließend schlug er den Weg in die Selbstständigkeit ein. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist der ruhige und leicht erreichbare Stadtpark und als Ausgleich zur Arbeit geht er gerne mit seiner Frau tanzen. Die Domstadt in drei Worten beschreibt er als grün, ein bisschen engstirnig und lebenswert.

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Sigrid Jaspers »Ich bin ein Troubleshooter. Ein Problemlöser.« Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet Sigrid Jaspers in Magdeburg. Heute ist sie die Präsidentin des Landgerichts Magdeburg. Im Interview mit Inter.Vista erzählt sie über ihren Arbeitsalltag, was sie in ihrer Freizeit macht und warum Magdeburg für sie ihre neue Heimat ist. Außerdem erklärt Sigrid Jaspers, warum sie eine Fernsehrolle als Richterin immer ablehnen würde. Interview und Fotos: Jennifer Fiola und Paul Schulz



Sigrid Jaspers Frau Jaspers, wenn Sie das Angebot bekämen, in einer Gerichts­fernsehsendung mitzuwirken, würden Sie es annehmen? Ganz bestimmt nicht! Das war nie meine Zukunft. Diese Sendungen sind völlig irreal und treffen überhaupt nicht die Wirklichkeit des deutschen Justizsystems. Ich habe mal eine Sendung gesehen und das hat gereicht. Wie wird man denn überhaupt Richter? Zunächst habe ich Jura in Münster studiert und anschließend das erste Staatsexamen gemacht. Das Studium ist rein wissenschaftlich und ohne Praxisbezug. Danach kommt die Referendarzeit. Dabei durchläuft man verschiedene Stationen; am Gericht, bei der Staatsanwaltschaft und bei einer Verwaltungsbehörde. Es schließt sich das zweite Staatsexamen an. Um Richter zu werden, muss man dabei eine bestimmte Punktzahl erreichen.

Mein Ziel ist die ­h eitere Gelassenheit, aber die habe ich ­l eider noch nicht wirklich erreicht. Und wie lange hat das bei Ihnen gedauert? Ich habe recht lange studiert. Ich glaube elf Semester. Die Referendarzeit dauerte seinerzeit noch drei Jahre. Musste man sich da schon für eine Art Themenschwerpunkt entscheiden? Ja, das sollte man auch. Ich wollte immer Richterin werden, das stand schon relativ früh in meiner Studienzeit fest.

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Wie haben Sie sich die Arbeit vorgestellt, bevor Sie Richterin waren? Als Studentin habe ich geglaubt, man könnte als Richterin in einem Raum arbeiten, in dem man die absolute Gerechtigkeit finden kann. Kann man natürlich nicht. Wenn man älter wird und über die Berufsanfängerzeit hinaus ist, merkt man das sehr schnell. Es ist ja auch die Frage: Was ist gerecht? Wer beurteilt Gerechtigkeit? Es gibt keine objektive Situation, in der man sagen kann: Das ist jetzt eine gerechte Entscheidung. Jeder verfolgt seine Interessen. Wir Richter versuchen immer gerecht zu sein, ob uns das in jedem Fall gelingt, weiß ich nicht. Als Richterin müssen Sie immer unvoreingenommen und unparteiisch bleiben, fällt Ihnen das manchmal schwer? Na klar. Aber jeder bemüht sich, unparteiisch zu sein, denn unbewusst wird immer die persönliche Vorstellung und Überzeugung in ein Urteil mit hineinspielen. Der Kern liegt darin, sich dessen bewusst zu sein. Aber wir alle sind an das Gesetz gebunden und können uns nicht über das Gesetz hinwegsetzen. Das Gesetz gibt den Rahmen und die Grenze unseres Handelns vor. Wirkt sich Politik in irgendeiner Art auf Ihre Arbeit aus? Nein, wir sind unabhängig. Artikel 97 des Grundgesetzes besagt, dass Richter frei in ihren Entscheidungen, in ihrer Rechts­findung und nur den Gesetzen unterworfen sind. Sie wussten ja schon recht früh, dass Sie Richterin werden wollten. Kann man ­sagen, Sie leben Ihren Traumberuf? Ich fand meinen Beruf nach den Anfangsjahren nicht mehr ganz so spannend. Aber seitdem ich 1991 nach Magdeburg kam, wollte ich nie wieder etwas anderes machen, als Richterin zu sein.


Sigrid Jaspers Welche Charaktereigenschaften muss man Ihrer Meinung nach als Richter mit­ bringen? Unter meinen Kollegen finden Sie jeden Charakter. Es gibt zurückhaltende, extrovertierte, introvertierte, temperamentvolle, ruhige, ausgeglichene und weniger ausgeglichene, also alles, was man sich vorstellen kann. In unserem Kammersystem gibt es einen Vorsitzenden Richter mit mindestens zwei Beisitzern. Da ist es ganz gut, unterschiedliche Charaktere mit ihren jeweiligen Sichtweisen zu haben. Dadurch kann man sich besser austauschen und beraten.

dentin habe ich verwaltende Aufgaben wie Personalsachen, Haushalt und so weiter. Wie sieht ein ganz normaler Tagesablauf bei Ihnen aus? Oh Gott. Je nachdem ob als Richterin oder Präsidentin.

Und wie würden Sie Ihren Charakter beschreiben? Mein Ziel ist die heitere Gelassenheit, aber die habe ich leider noch nicht wirklich erreicht. Ich bin wohl eher temperamentvoll.

Als Richterin? Wir befassen uns mit Berufungen gegen ­Urteile der Amtsgerichte in Zivilsachen im Geschäftsbereich des Landgerichts Magdeburg. Dazu sehen meine Beisitzerinnen und ich uns die Fälle an und bilden uns eine Meinung. Danach geht es in die Verhandlung. Je nachdem wie viele Fälle es sind, dauert sie bis zu einem ganzen Vormittag. Anschließend beraten wir uns über die Aussagen von Zeugen und die Ausführungen der Anwälte und kommen dann zu unserem Ergebnis.

Was fällt in Ihren Aufgabenbereich? Mein Beruf ist zweigeteilt. Mit 20 Prozent meiner Arbeitskraft arbeite ich als Vorsitzende einer Zivilkammer. Mit den übrigen 80 Prozent bin ich Präsidentin. Als Präsi-

Und als Präsidentin? Viele verwaltende Aufgaben. Ich bin ein Troubleshooter. Ein Problemlöser. Ich muss strategisch vorgehen. Was machen wir in der Zukunft? Wie viel Personal brauchen

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Sigrid Jaspers wir? Wie kann ich für Personal sorgen? Wie schaffe ich mir die finanziellen Mittel? Was kann ich mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, realisieren und lauter solche Sachen. Ich führe zahlreiche Personal­ gespräche über alles, was sich so ergibt.

Richter haben keine Arbeitszeit. Richter haben ein bestimmtes Pensum. Der Fall Oury Jalloh war groß in den ­Medien. Wie hatten Sie damit zu tun? Als Präsidentin hatte ich eine ganze Menge damit zu tun. Vor allem weil vor unserem Gebäude ständig Demonstrationen und Übergriffe stattfanden. Dadurch gab es sehr viel Unruhe bei uns, die Polizei musste immer vor Ort sein. Gingen Sie mit dem Fall anders um, weil das Interesse der Öffentlichkeit so groß war? Nein, das ist vollkommen gleichgültig. Egal, ob der Ministerpräsident oder Herr Mustermann vor Gericht steht. Wie kommen Sie mit der momentanen ›Baustellensituation‹ in Magdeburg zurecht? Ich wohne in Cracau und fahre mit dem Auto. Daher brauche ich nur etwa fünf ­Minuten länger zur Arbeit. Wie lange ist so ein normaler Arbeitstag bei Ihnen? Acht Stunden, wie bei jedem Durchschnittsarbeiter? Ach, das kommt ganz drauf an. Richter haben keine Arbeitszeit. Richter haben ein bestimmtes Pensum. Dabei ist es eigentlich vollkommen gleichgültig, wann und wo der

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Richter diese Arbeit erledigt. Hauptsache er erledigt sein Pensum. Als Präsidentin hängt die Länge des Arbeitstages davon ab, ob alles seinen Gang geht, oder sich wieder einmal die eine oder andere Baustelle auftut. Wenn Ihr Arbeitstag vorbei ist, wie geht es dann für Sie privat weiter? Das ist ganz unterschiedlich. Im Sommer spiele ich Golf, aber natürlich nicht jeden Abend. Ich habe Freunde, mit denen ich mich treffe, ich gehe ins Theater, ins Konzert, ich fahre am Wochenende irgendwo hin und treffe mich mit Freunden oder gucke mir Ausstellungen an. Ich gehe in die Oper oder ins Ballett in Hamburg und Berlin. ­Außerdem lese ich viel. Trotzdem nimmt man manchmal Arbeit mit nach Hause. Was war ihr letztes Buch und wie hat es Ihnen gefallen? Mein letztes Buch war Homer & Langley von Doctorow. Ich fand es sehr schön.


Sigrid Jaspers Wie kam es denn dazu, dass Sie von ­Bielefeld nach Magdeburg gezogen sind? Mein Mann war Staatsanwalt in Oldenburg und hat in Magdeburg das Angebot bekommen, die Staatsanwaltschaft zu leiten. Ich bin ihm aus Niedersachsen gefolgt. Ich wollte keine Wochenend-Ehe führen. Wie haben Sie denn Ihren Mann kennengelernt? Bei der Arbeit. Ganz klassisch. War es denn schwer für Sie, sich hier einzuleben? Nein. Ich hatte mir vorgestellt, dass es schwer ist. Tatsächlich war es ganz einfach.

Ich wollte immer Richterin werden, das stand schon relativ früh in meiner Studienzeit fest. Lassen sich Familie und Beruf gut ver­ einbaren? Das geht ziemlich unproblematisch, wenn man kinderlos ist. Was verbindet Sie mit Magdeburg? Das ist jetzt meine Heimat. Ich lebe hier seit 25 Jahren. Ich habe noch nie länger an einem anderen Ort gewohnt. Und ich habe mich mit Magdeburg weiterentwickelt. Was ist Ihr Lieblingsort in Magdeburg und warum? Der Herrenkrug ist für mich der schönste Ort. Grün, Natur, zwar domestizierte Natur, aber trotzdem schön. Und der Stadtpark – da jogge ich gelegentlich – gefällt mir auch sehr.

Gibt es trotzdem etwas in Magdeburg was Sie vermissen? Etwas wo Sie sagen, dass könnte noch geändert werden? Der zerbombte Stadtkern. Ich glaube, der wurde mehr nach praktischen Gesichtspunkten als nach Schönheit wieder aufgebaut. Außerdem ist die Baustellensituation unschön. Vermissen Sie Bielefeld? Ich vermisse es nur, weil da noch Freunde und Verwandte von mir leben, aber an­ sonsten nicht. November 2016

Vista.Schon? Sigrid Jaspers, geboren 1954 in Bielefeld, hat in Münster Jura studiert. Sie arbeitete in Niedersachsen und ist seit 2007 Präsidentin des Landgerichts Magdeburg. Seit 25 Jahren lebt sie mit ihrem Mann in Magdeburg und sieht die Stadt als ihre neue Heimat. Drei Begriffe, die ihr spontan zu Magdeburg einfallen, sind aufstrebend, geschichtsträchtig und lebenswert. Der Herrenkrug ist ihr liebster Ort in der Stadt. Präsidentin sein heißt, viele Verwaltungsauf­ gaben erledigen. Als Ausgleich liest sie viel, besucht Freunde oder geht ins Theater.

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Wolfgang Heckmann »Ich habe meine Entscheidung an keinem Tag bereut.« »Der alte Mann und das Kino« titelte die Volksstimme einmal über ihn. Wolfgang Heckmann ist kein normaler Kinobesitzer. 2003 kaufte er aus Leidenschaft zum Film das OLi-Kino in Stadtfeld und restaurierte es. Mit einem gewissen Charme vergangener Tage erfreut sich das ehemalige Carl-Krayl-Kino wieder großer Beliebtheit. Mit Inter.Vista spricht Wolfgang Heckmann über die Faszination Kino, berichtet von der kuriosesten Veranstaltung im OLi und verrät, was ein Fleurop-Bote und ein Kinobesitzer gemeinsam haben. Interview und Fotos: Tobias Barthel



Wolfgang Heckmann Haben Sie einen Lieblingsfilm? Mein Lieblingsfilm heißt Der Mann der Friseuse. Ein etwas älterer Film mit Jean Rochefort in der Hauptrolle und Patrice Leconte als Regisseur. Mir wurde von mehreren Leuten gesagt, dass ich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hauptdarsteller habe. Außerdem wäre ich gern wie der Protagonist des Films. Seit meinem 19. Lebensjahr habe ich eine 60-Stunden-Woche und arbeite gern viel. Der Protagonist hingegen hat so gar keine Lebensleistung vorzuweisen. Seine einzige Aktivität ist es, eben der Mann der Friseuse zu sein. Was fasziniert Sie am Kino? Es ist einfach etwas anderes als Fernsehen oder sich Videos auf dem Laptop anzusehen. Kino ist Gesellschaft. Man kann während oder nach einem Film mit Leuten sprechen und sich darüber austauschen. Als ich vor vielen Jahren in Berlin lebte, gingen wir einmal im Monat ins Kino. Dabei bestimmte jedes Mal ein anderer, welchen Film wir sehen. Danach gingen wir oft in ein Restaurant oder eine Kneipe und werteten den Film aus. Es ist toll, festzustellen, dass andere eine ganz andere Meinung zu bestimmten Filmen haben und Szenen völlig anders wahrnehmen. Allein deshalb liebe ich Kino einfach. Sie haben 2003 das OLi-Kino gekauft. Den Betrag haben Sie komplett aus eigener Tasche bezahlt und dafür ihre Wohnung verkauft. Das war sicher ein riskanter Schritt. Als Professor verdient man ja nicht so schlecht. Somit hatte ich schon ein bisschen Geld zusammen. Der Preis des Kinos war erstaunlicherweise verhältnismäßig günstig. Ich war völlig naiv und wusste noch nicht, was da für ein ›Rattenschwanz‹ dranhängt. Ich hatte zwar schon Wohnungseigentum,

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hatte aber noch nie eine öffentliche Institution besessen. Dann erfuhr ich, was es mit Begriffen wie Brandschutz oder Bauordnung auf sich hat. Um das Kino letztendlich für den öffentlichen Publikumsverkehr zu ­öffnen, musste ich sehr viele Auflagen erfüllen. Das führte dazu, dass ich viel von meinem Besitz verkaufen musste.

Man schaut als Kinobetreiber fast nur in freudige ­G esichter. Wie kamen Sie zu dem Entschluss, das Kino zu kaufen? Seit ich in Magdeburg wohne, bin ich Stadtfelder. Aufgrund der Stadtentwicklung in Westeuropa wusste ich, dass Stadtfeld als so genanntes ›West End‹ einmal das schönste Viertel der Stadt wird. Damals meinten viele Leute zu mir, dass dort alles grau und düster sei und man da nicht wohnen könne. Da ich aber wusste, dass es sich noch entwickelt, zog ich trotzdem dorthin. Ab 2002 lebte ich allein und ging abends nach den Tagesthemen oft in die Kneipe. Fast jeden Abend kam dort das OLi zur Sprache. Alle haben darüber geredet, dass das Gebäude verfällt, dem Vandalismus ausgesetzt ist und es doch gerettet werden müsste. Aber keiner hat es gemacht. Da ich Single war und meine Tochter mich nicht mehr brauchte, dachte ich mir: Jetzt kaufst du das Kino. 2003 konnte man praktisch nirgendwo ins Kino gehen. Im Studiokino war es sehr kalt und von den 14 Filmen, die im Cinemaxx liefen, war fast alles Mist. Da habe ich mir eben ein eigenes Kino gekauft.


Wolfgang Heckmann

Die Sanierung lief parallel zu ihrer Professur an der Fachhochschule. Haben Sie das eher als Stress empfunden oder war die Leidenschaft für das Projekt größer? Ich muss zugeben, dass ich an den Auflagen mit den dazugehörigen Kosten etwas verzweifelt bin. Damals hatte ich sogar einen kleinen Verarmungswahn. Statt an die Frischetheke im Öko-Laden zu gehen, habe ich abgepackte Wurst im Discounter gekauft, weil ich mir Sorgen um die Finanzierung machte. Aber das Kino ist mittlerweile ein wunderbares Hobby. Früher, als ich noch zur Schule ging, lieferte ich nebenbei für die Post Pakete aus. Da schaute ich oft in mürrische Gesichter, wenn die Leute Porto nachbezahlen mussten oder etwas per Nachnahme erhielten. Ich habe mir damals immer gewünscht, Fleurop-Bote zu sein, weil man sich immer freut, wenn man Blumen bekommt. Mittlerweile habe ich einen Job, bei dem ich Leuten Freude bereite. Man schaut als Kinobetreiber fast immer in freudige Gesichter.

Das OLi-Kino existiert bereits seit 1936 und feierte 2016 sein 80-jähriges Jubiläum. Wie und wo wurde gefeiert? Obwohl die Eröffnung damals im September war, haben wir im März gefeiert, weil da auch mein Geburtstag ist. Wir haben unter dem Motto »80 Jahre OLi – 70 Jahre Hecki« eine gemeinsame Feier veranstaltet.

Es wäre sehr bitter, wenn das Gebäude nach mir doch zu ­e inem Supermarkt werden würde. Sie haben regelmäßigen Kinobetrieb. ­Welche Filmgenre sind am beliebtesten? Es gibt Klassiker, die wir jedes Jahr zeigen. Beispielsweise Casablanca oder Blutige Erdbeeren. Die werden immer gut besucht. Außerdem zeigen wir seit sieben Jahren am letzten Adventssonntag Die Feuerzangen-

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Wolfgang Heckmann bowle. Ich stehe dann neben der Leinwand und koche Feuerzangenbowle. Ansonsten planen wir immer ein Halbjahresprogramm unter einem bestimmten Motto. Beispielsweise liefen im vorletzten Halbjahr Filme, die es sowohl als Original, als auch im Remake gibt. Im letzten Halbjahr haben wir Biografien von Wunderkindern gezeigt. Von Kurt Cobain über Édith Piaf bis hin zu Wolfgang Amadeus Mozart war alles dabei. Im ersten Halbjahr 2017 gibt es Filme über Filme und Kinos – zum Beispiel Cinema Paradiso – zu sehen. Außerdem haben wir viel Spielraum im Plan, sodass wir kurzfristig bei bestimmten Jubiläen oder Ausstellungen passende Filme zeigen können.

Anstatt an die ­F rischetheke im Öko-Laden zu gehen, habe ich abgepackte Wurst im Discounter gekauft. Neben den regulären Filmvorführungen besteht auch die Möglichkeit, das OLi für private Anlässe zu mieten. Stößt dieses Angebot auf große Resonanz? Ja, das tut es. Wir richten die unterschiedlichsten Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern oder private Filmvorführungen aus. Außerdem ist das Angebot, das Kino nur für zwei Personen zu mieten, sehr beliebt. Das ist immer ein besonders schönes Event. Wir richten dann den Saal dementsprechend her, stellen Getränke bereit und legen den Film ein, den die beiden sehen wollen. Letztens sagte mir eine zu Tränen gerührte Frau, dass es der schönste Tag in ihrem Leben gewe-

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sen sei. Wir hatten insgesamt schon über 20 Heiratsanträge bei uns im OLi. Da fühlt man sich in gewisser Weise wieder wie ein Blumenlieferant. (lächelt) Was war die kurioseste Veranstaltung in ihrem Kino? Wir haben einige ungewöhnliche Buchungen. So findet seit sechs Jahren immer im Sommer ein Bikertreffen mit Fahrern aus ganz Deutschland vor und im OLi statt. Denn nur bei uns können sie mit ihren Bikes in den Kinosaal fahren. Dazu haben wir extra die Tür erweitert. Beim letzten Treffen haben 42 Motorräder in den Saal gepasst. Außerdem haben wir mal einen von ARTE produzierten Film über die Hells Angels gezeigt. Zu der Vorführung kamen viele Befürworter und auch ein paar Kritiker. Dazu kamen drei Polizeifahrzeuge, die in meinem Hof und auf der Straße standen. Das war schon sehr aufregend. Ich wurde im Vorfeld von der Kripo angerufen, habe aber gesagt, dass ich nicht mit Schwierigkeiten rechne. Letztendlich kam es dann zu einem Buttersäureangriff. Das war wenig spaßig.

Ich habe mir damals immer gewünscht, ­F leurop-Bote zu sein. Sie haben 2011 bei der Wahl zum Magdeburger des Jahres den vierten Platz belegt. Inwiefern ist das für Sie eine Anerkennung für Ihre kulturelle Arbeit? Das war schon sehr schön. Bei der Eröffnung erwähnte mich der Oberbürgermeister bereits in der Begrüßungsrede. Er schätze es sehr, wenn Leute aus privater Initiative etwas für die Stadt tun. Eine Redakteurin der Volksstimme hielt eine lange Laudatio auf mich. Das war schon erhebend. Da


Wolfgang Heckmann merkt man, dass das, was man als verrückter Kino-Professor so anstellt, auch anerkannt wird. Als Besitzer des OLi-Kinos tragen Sie maßgeblich zum kulturellen Leben Magde­burgs bei. Sehen Sie eine Chance, dass Magdeburg Kulturhauptstadt 2025 wird? An sich gibt es schon Chancen. Etwas misslich ist die hinzugekommene Konkurrenz von Halle. Aber wenn sich alle darauf konzentrieren, eine Magdeburger Bewerbung zu unterstützen, sehe ich Potenzial. Ich als langjähriger Berliner empfinde Magdeburg als besonders schön. Als ich hierher kam, meinten alle meine versnobten Freunde aus Berlin, dass man in der Provinz und kulturellen Einöde nicht überleben könne. Das stimmt nicht. Allein mit dem Opernhaus und den vielen Theatern haben wir schon ein breit gefächertes Angebot. Ich schaffe es in keiner Spielzeit, mir alles anzusehen, was ich mir vornehme. Man findet immer etwas, das sich lohnt, angeschaut zu werden. Sie sind in der Nähe von Stendal geboren. Ihre Eltern sind mit Ihnen schon sehr früh nach West-Deutschland gegangen. Wissen Sie, warum sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben? Ich bin im Forsthaus geboren und mein ­Vater hat als Förster sehr ungern seine W ­ affen abgegeben. Nach 1945 musste das aber jeder Mann in Deutschland tun. Infolgedessen hatte er Stress mit den Besatzern. Dem ist er dann aus dem Weg gegangen, indem er noch vor meiner Geburt in den Westen getürmt ist. Meine Mutter ist ihm mit mir und meiner älteren Schwester gefolgt.

Sehen Sie sich eher als Wessi oder als Ossi ? Ich sehe mich selbst als ›Wossi‹. Als West-Berliner durfte man mit einem Tagesschein in die DDR einreisen. Ich war mit meiner Mutter ein paar Mal in Stendal und habe mir mein Geburtshaus angesehen. Ich habe sofort ein spezielles Gefühl der Heimat entwickelt. Das ist bis heute so. Allein schon, wenn ich Birken sehe, bekomme ich Heimatgefühle. Als ich 1992 im Rahmen der Bewerbung für die vakante Professur an der Hochschule gefragt wurde, warum ich ausgerechnet nach Magdeburg will, antwortete ich, dass es für mich wie Nachhause­kommen wäre. Im gleichen Moment erschrak ich, weil sich das so kitschig anhörte.

Als ich hierher kam, meinten alle meine versnobten Freunde aus Berlin, dass man in der Provinz und kulturellen Einöde nicht überleben könne. Sie verbrachten 25 Jahre Ihres Lebens in Berlin. Welche Erfahrungen haben Sie während dieser Zeit gesammelt? Ich kam 1967 nach Berlin. Also gerade noch rechtzeitig, um 68er zu werden. In Kreuzberg habe ich arme, ungebildete und auch junge Leute gesehen, die Drogen konsumierten und denen es infolgedessen ganz schlecht ging. Für mich als Psychologen war das eine der ersten wichtigen Erfahrungen. Eigentlich wollte ich nach meinem Studium in der Theaterpädagogik arbeiten. Da ich aber vorher ehrenamtlich als Drogenberater arbeitete, ist daraus mein erster Job gewor-

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Wolfgang Heckmann den. Als Drogenbeauftragter des Landes Berlin koordinierte ich später das gesamte Drogenhilfe-System. Irgendwann machte es aber keinen Spaß mehr, in der Verwaltung zu arbeiten und ich stürzte mich in die ­Forschung. In West-Berlin habe ich drei wichtige Erfahrungen gemacht. Es gab dort damals enorme Drogenprobleme, aber auch die Möglichkeit, kreativ und planvoll dagegen anzugehen. Es gab dort größere Probleme mit HIV als in anderen Regionen, aber auch starke Selbsthilfekräfte aus der betroffenen Subkultur, die programmatisch für die Republik Präventions-Modelle erdacht und umgesetzt haben. Und letztendlich lohnt es sich, in Kultur zu investieren: Die Kultur­ landschaft Berlins ist einmalig. Wegen der vielen dorthin strebenden Kreativen, aber zweifellos auch aufgrund der massiven Förderung der Berliner Regierungen jeder politischen Couleur.

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Was war Ihr Eindruck, als Sie 1992 nach Magdeburg kamen? Als ich damals aus dem Bahnhofsgebäude kam, sah ich erstmal einen großen, betonierten Platz. An ein paar kleinen Buden konnte man Billigsonnenbrillen kaufen, die vermutlich nicht länger als einen Tag hielten. Wenn man dann zum Krökentor ging, begegnete man einem Schlagloch nach dem anderen. Es war schon alles sehr unansehnlich. Wenn man sich aber Zeit nahm, um die Stadt zu erkunden, konnte man sehen, dass Magdeburg schön wird. Inzwischen kommen Leute her und sind sofort begeistert. Mittlerweile wurde auch die Elbe in das städtische Leben einbezogen. Wie ermutigen Sie junge Menschen, in Sachsen-Anhalt zu bleiben? In den Neunzigern sprach ich immer vom ›wilden Osten‹. Wenn man selbst etwas macht und die Ärmel hochkrempelt, gibt es


Wolfgang Heckmann hier heute noch gute Chancen. Wenn jemand jetzt den Mut hätte, das gerade geschlossene alte Kinogebäude in der Braunschweiger Straße zu kaufen und wiederherzustellen, wäre das eine Chance. Auch Sudenburg könnte noch ein schönes Programmkino gebrauchen. Angenommen, Sie hätten das OLi 2003 nicht gekauft. Und Ihnen würde sich jetzt die Chance dazu bieten. Würden Sie es noch einmal machen? Ich würde es nochmal tun. Ich habe meine Entscheidung an keinem Tag bereut. Und das obwohl ich anfangs doch viel mit den Auflagen zu kämpfen hatte. Ich sehe es ein, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Jedoch habe ich gemerkt, dass die UFA als Vorbetreiber des Kinos unter diesen Vorschriften nicht zu leiden hatte.

Da merkt man, dass das, was man als ­verrückter ­Kino-­Professor so anstellt, auch ­a nerkannt wird. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des OLi-Kinos? Ich bin ja jetzt 70. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das OLi einmal von einer jungen Truppe übernommen wird. Falls jemand das wirtschaftliche Risiko nicht eingehen möchte, könnte er oder sie zumindest die Programmgestaltung übernehmen. Wenn ich das in den nächsten fünf bis zehn Jahren hinbekäme, würde mich das sehr freuen. Irgendwann kann ich das ja nicht mehr machen. Es wäre sehr bitter, wenn das Gebäude

nach mir dann doch zu einem Supermarkt werden würde. Dezember 2016

Vista.Schon? Prof. Dr. Wolfgang Heckmann, wurde 1946 in Schernebeck in der Nähe von Stendal geboren. Kurz nach seiner Geburt zogen seine Eltern mit ihm nach West-Deutschland. 25 Jahre seines Lebens verbrachte er in Berlin. Dort war er Drogenbeauftragter des Landes Berlin und stellvertretender Direktor des AIDS-Zentrums. Nach einer Anstellung bei der WHO in Kopenhagen zog es ihn wieder nach Sachsen-Anhalt. 1992 wurde er Professor für Sozialpsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. 2003 kaufte er das leerstehende OLi-Kino in Stadtfeld, was er seitdem mit Ines Möhring betreibt. Als Hobbykoch bereitet er in seiner Freizeit gern italienische oder französische Gerichte zu. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist der Hochschulcampus. Die Stadt beschreibt er als »eine spröde Geliebte, die einem bei genauerem Kennenlernen viel Freude bereitet«.

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Knut Brandstädter »Die Klischees stammen hauptsächlich aus dem Vorabendprogramm.« In TV-Krimis können Rechtsmediziner durch genaue Untersuchungen unglaubliche Dinge herausfinden. Schon am Tatort lassen sie Spuren sichern und begutachten genau die aufgefundene Leiche. Aber wie sieht die Rechtsmedizin in Wirklichkeit aus? Stimmt das Bild, das wir aus Film und Fernsehen kennen? Inter.Vista sprach mit dem Rechtsmediziner Knut Brandstädter über seine Arbeit und das Leben in seiner Heimatstadt Magdeburg. Interview und Fotos: Philipp Schöner und Franziska Seibert

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Wie wäre es für den Anfang mit einem Witz? Worin unterscheiden sich Internisten, Chirurgen, Psychiater und Pathologen? Der Internist weiß alles, kann aber nichts. Der Chirurg kann alles, weiß aber nichts. Der Psychiater kann nichts, weiß nichts, hat aber für alles Verständnis. Und der Pathologe, der kann alles und weiß alles, kommt aber immer zu spät. Den habe ich schon mal gehört (schmunzelt). Der fasst Klischees ganz gut zusammen. Ein ganz wichtiger Punkt hierzu: Pathologen sind nicht das Gleiche wie Rechtsmediziner. Pathologen befassen sich auch mit post­ mortalen Symptomen und Todesursachen. Allerdings hauptsächlich aus Sicht der Krankheitslehre. Ich aber bin Rechtsmediziner. In der Sparte gibt es in Deutschland insgesamt nur 280 bis 300 Kollegen. Aber um nochmal auf den Witz zurückzukommen, ich kenne da eine nette Karikatur. Drei Ärzte stehen nebeneinander. Ein Urologe, der hat Urinflecken auf dem Kittel. Ein Chirurg, der hat Blutflecken auf dem Kittel. Und ein Anästhesist, der hat Kaffeeflecken auf dem Kittel (lacht). Können Sie also über den Tod noch ­lachen? Nein, über den Tod lacht man nicht. Das ist so, als würde man mich fragen, ob mir meine Arbeit Spaß macht. Man kann nicht sagen, dass es mir Spaß macht, Leichen zu öffnen. Oder dass ich mich mit Überlebenden von Straftaten befassen muss, die schwerste Verletzungen davongetragen haben. Es ist eine interessante Tätigkeit, die mich ausfüllt. Aber Spaß? Nein. Vielleicht müsste man noch ein Wort dafür erfinden. Aber Sie machen Ihre Arbeit gerne? Ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit, in der Erwartung, dass immer neue, interessante und vielfältige Sachverhalte auf mich warten und mich herausfordern.

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Knut Brandstädter Wie sind Sie Rechtsmediziner geworden? Zunächst habe ich in Magdeburg Medizin studiert. Dann habe ich die Richtung Anästhesie- und Intensivtherapie eingeschlagen und dort einige Jahre gearbeitet. Durch Zufall habe ich erfahren, dass am Institut für Rechtsmedizin eine Stelle frei ist. Da ich zwei Praktika in der Rechtsmedizin absolviert hatte, kannte ich die Arbeit und habe mich beworben. Es war keine leichte Entscheidung, aber ich habe es bisher keinen Tag bereut.

Pathologen und Rechtsmediziner sind nicht das gleiche Gibt es etwas, dass Ihnen an Ihrem jetzigen Beruf nicht gefällt? Schwierigkeiten gibt es, wenn man Probleme mit nach Hause nimmt. Das kommt selten vor, aber es gibt knifflige Fälle, die einen noch nach Feierabend bewegen. Berührend sind ganz harte menschliche Schicksale. Wenn Menschen, wie auch immer, durch Fremdverschulden zu Tode kommen. Das fällt nicht so schnell von einem ab und wirkt noch eine Weile nach. Wenn Sie einen ganz normalen Arbeitstag beschreiben müssten, wie sähe der aus? Ein Arbeitstag beginnt oft mit Leichen­ öffnungen. Dafür gibt es feste Zeiten. 8.30 Uhr, 11 Uhr, 13 Uhr. Man weiß ungefähr wie lange das dauert, im Schnitt etwa eineinhalb bis zwei Stunden. Hinterher verbringt man viel Zeit am Schreibtisch. Alle Ergebnisse müssen dokumentiert und interpretiert werden. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Ein fester Feierabend ist deswegen, wie in vielen anderen Berufszweigen, eine Illusion.

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Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt mit einer Leiche. Im Studium? Nein, das war früher. In meinem ersten Leben habe ich eine Ausbildung zum Kranken­ pfleger gemacht und auch einige Jahre in dem Beruf gearbeitet. Der Tod wird häufig auch mit dem Gedanken an ein Leben danach verbunden. Wie stehen Sie zum Glauben? Religiosität und Spiritualität spielen in meinen Gedankengängen und im Bezug zu meiner Arbeit keine Rolle. Ich kann mein Verständnis von Medizin und Naturwissen-


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schaft nicht in Einklang bringen mit dem, was Religion oder Spiritualität dazu sagen können. Ich gehöre keiner Konfession an. Haben Sie schon mal über Ihren eigenen Tod nachgedacht? Ja, wie jeder andere Mensch wahrscheinlich auch. Ganz rational gesehen bringt es aber nichts. Wie wird der Tag X aussehen? Keiner weiß es! Und das ist auch gut so. Sie erwähnten bereits, dass Sie in Magdeburg studiert haben. Sind Sie auch gebürtiger Magdeburger? Ja, ich bin hier im Jahre 1970 auf die Welt gekommen und in Sichtweite des Uni­ klinikums zur Schule gegangen. Ich habe hier Abitur gemacht, studiert, gearbeitet und bin dem Sektor Magdeburg immer treu geblieben. Welche Klischees kennen Sie über Magdeburg? Ich muss Klischees in den Medien wahr­ nehmen. Neulich gab es diese Werbeanzeige

für einen Bitterlikör. Da wurde mit dem Spruch geworben: »Du wirst befördert. Und versetzt nach Magdeburg. Life is bitter.« Man ist ja immer zu einem Späßchen aufgelegt, aber das war an der Grenze zur Herabwürdigung einer ganzen Region und deren Menschen.

Die Wende war wie ein freier Fall. Keiner wusste, ob geschossen wird, ob es Tote oder Krieg gibt. Und wie ist Magdeburg Ihrer Meinung nach wirklich? Magdeburg hat eine schöne Umgebung, hat einen großen Flusslauf in sich. In den Jahren nach der Wende gab es eine wahnsinnige Entwicklung. Ich erinnere mich da an Straßenzüge, vor allem in der Gegend um den Hasselbachplatz. Völlig verkommene

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Knut Brandstädter Gegenden sind zu Top-Wohnadressen geworden. Wie haben Sie die Wendezeit erlebt? Ich habe zu dieser Zeit im Krankenhaus Altstadt als Pfleger gearbeitet. Ich war Neuling in dem Beruf und geplättet von dem anstrengenden und neuen Alltag. Das hört sich jetzt komisch an, weil man erwarten würde: ›die Wende, ein Wahnsinnsereignis.‹ Aber ich musste jeden Tag dort stehen und meinen Dienst verrichten – ob Wende oder nicht. Viele sind zu der Zeit in den Westen übergesiedelt und waren von heute auf morgen nicht mehr da. Die Arbeit musste aber trotzdem gemacht werden. Meine Chefin war nicht zu beneiden. In der Presse habe ich gesehen, dass viele Menschen auf den Straßen waren. Es war wie im freien Fall und keiner wusste, wie es ausgeht. Ob geschossen wird, Leute zu Tode kommen, es Krieg gibt. Dass es sich in so eine positive Richtung entwickeln würde, konnte da noch keiner ahnen. In welchem Stadtteil leben Sie heute und was gefällt Ihnen da besonders gut? Im Hopfengarten. Da habe ich schon immer gewohnt. Das ist ein vertrautes Areal. Ich habe dort meine Kindheit und Jugend verbracht. Meine Eltern wohnen dort. Das ist für mich eine gewisse Wohlfühlgegend, etwas Konstantes. Klischees über Magdeburg kamen bereits zur Sprache. Auch über Ihren Beruf gibt es einige Ressentiments. Wurden Sie schon mal mit so etwas konfrontiert? Sinngemäß kann man gelegentlich hören: Ist ja eklig, nur mit Toten, schrecklich, du musst ja ein ganz trauriger Mensch sein. Oder so ähnlich. Das sind Klischees, die man relativ schnell ausräumen kann. Es gilt

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aufzuklären, dass es eben nicht nur Tote sind, mit denen Rechtsmediziner zu tun haben. Es reicht von Lebenduntersuchungen über Beratungstätigkeiten zu Auswirkungen von Drogenkonsum bis hin zu Expertisen zu unfallanalytischen Fragestellungen. Die Klischees stammen hauptsächlich aus dem Vorabendprogramm. Sind Rechtsmediziner eigentlich schweigsam? Das wäre nicht sehr förderlich. Wir kommunizieren tatsächlich viel während der Arbeit in unserem kleinen Kollegenkreis. Das muss so sein, damit man auch auf einer Wellenlänge miteinander redet und dann letzten Endes gemeinsam Befunde und Schlussfolgerungen formuliert. Apropos Vorabendprogramm. Gucken Sie selbst Krimis? Ich gucke gerne Krimis. Aber ich habe keine Lieblingsserie. Wie viel hat die Realität mit der zumeist dramatisch dargestellten Tätigkeit des Rechtsmediziners in Filmen und Serien zu tun? Ziemlich authentisch finde ich die Polizeiruf-Folgen der siebziger und achtziger Jahre. Zumindest im Bezug auf die Darstellung des Rechtsmediziners, seinerzeit noch Gerichtsmediziner. Es tritt jemand fachkompetent und trotzdem zurückhaltend in Erscheinung, ohne große Show-Effekte, und fungiert als ein Rädchen im Getriebe. Man verabredet sich mit den Kriminalisten beispielsweise für die Leichenöffnung und dann wird etwas gesagt, was konkret mit dem Sachverhalt zu tun hat und zur Lösung des Falles beiträgt. Das ist überschaubar und trifft die Realität, weil es genau das ist, was der Rechtsmediziner im Ermittlungs­


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Knut Brandstädter verfahren mitzuteilen hat. Das Medizinische. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Rechtsmediziner selbst ermitteln. Das hat Unterhaltungswert und hübscht Filme auf, hat aber ziemlich wenig mit dem wahren Leben zu tun. Sie haben eben schon angedeutet, dass Sie nicht nur mit Todesfällen zu tun haben. Was haben Sie sonst noch für Aufgaben? Nehmen wir beispielsweise an, die Polizei findet eine Person mit schweren Verletzungen. Es ist nicht bekannt, was passiert ist. Ich muss dann versuchen, das abzuklären. War das ein Sturzgeschehen? Kommt hier Fremdverschulden in Betracht? Ein weiteres Feld sind Kindesmisshandlungen. Kinder kommen aus Gründen von Durchfall, Husten zum Kinderarzt. Der macht eine ­ Untersuchung am entkleideten Kind und stellt viele unterschiedlich alte blaue Flecken fest. Da bin ich als Rechtsmediziner dann gefordert. Auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehören dazu. Das betrifft beide Geschlechter und ist relativ häufig. Ferner spielen auch Delikte im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogen­ einfluss zunehmend eine größere Rolle.

Religiosität und ­Spiritualität spielen in meinen Gedanken keine Rolle. Welche Dinge fordern Sie bei Ihrer Arbeit besonders heraus? Besondere Herausforderungen sind Fälle, bei denen man mit einer an Leib oder Leben geschädigten Person zu tun hat und wenig oder nichts zum Geschehensablauf weiß, der für die Verletzungen ursächlich war. Oder zum

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Beispiel eine besonders komplizierte Befunderhebung, wie bei fauligen oder verwesten Leichen. Noch mal ein Schlenker zum Vorabendkrimi: Da geht es immer um verweste Leichen. Verwesung ist ein ganz spätes Leichenstadium. Das erst nach ­Monaten oder Jahren eintreten kann. Mit Leichenfäulnis hat man besonders im Sommer zu tun. Dann sind Befunde oftmals verdeckt und fordern ein besonders waches Auge.

Man sollte sich also nicht zu ­Phantasie­gebilden hinreiSSen lassen. Wie lange können eigentlich DNA-Spuren nachgewiesen werden? Das kommt darauf an, was es für ein M ­ aterial ist. Ob es freiliegt, wie die Umweltbedingungen sind. Unter geeigneten Bedingungen ist DNA-fähiges Material über Jahrhunderte hinweg haltbar. Zum Beispiel die Pulpa, ein Gewebe im Inneren der Zähne. Ebenso in der Markhöhle von langen Röhrenknochen. Fallen Ihnen besonders bizarre oder markante Fälle ein? Markante Fälle sind aus meiner Sicht die­ jenigen, die mit sehr viel Untersuchungsaufwand verbunden sind und nach langer und geduldiger analytischer Arbeit zu einem Ergebnis führen, das wesentlich zur Auf­ klärung eines Falles beiträgt. Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus? Sind Sie eher ein rational denkender Mensch oder haben Sie auch eine weiche Seite? Die Rechtsmedizin ist eine rationale Disziplin, die sich nur auf Fakten und Tatsachen


Knut Brandstädter stützt. Aber ich wäre kein Mensch, wenn ich nicht auch eine emotionale Seite hätte. Natürlich tritt das auch im Zusammenhang mit gewissen Fällen zutage. Wenn beispiels­ weise Leute am Ende des sozialen Abstieges, irgendwo alleine sterben und das nicht ein­ mal jemand merkt. Das ist traurig und möge jedem erspart bleiben. Der Fall der kleinen Emily aus Stendal war in der Presse sehr stark vertreten. Ein elf Monate altes Baby wurde von der Stiefmutter so lange geschüttelt, bis es starb. Ihre Arbeit führte zu einer Verurteilung. Was muss man in so einem Fall tun, dass es auch wasserdicht ist? Man weist ganz klare medizinischen Tat­ sachen nach, die keine andere Deutung zulassen. Darauf basiert dann auch die Urteilsfindung vor Gericht. Das ist gut so, denn es sollte nicht der kleinste Hauch an Spekulation bei so etwas vorhanden sein. In diesem genannten Fall war die Befund­ erhebung sehr eindeutig. Ist es Ihnen schon passiert, dass Sie einen Schluss gezogen haben, und später stellte sich heraus, dass er falsch war? Zum Glück nicht. Es sind viele Sicherungs­ mechanismen eingebaut, damit so etwas nicht passiert. Leichenöffnungen werden immer von zwei Ärzten durchgeführt, die gemeinsam eine Position formulieren. Die nächste Instanz ist der Institutsleiter, mit dem jeder einzelne Fall besprochen wird. Vor einer falschen Schlussfolgerung ist nie­ mand gefeit. Wenn man sich die Tragweite der Arbeit vor Augen hält, wird man auch darin geübt, sich vorsichtig auszudrücken. Wenn man nicht genau weiß, in welche

Richtung die Reise geht, dann sollte man das auch einräumen. Man sollte sich also nicht zu Phantasiegebilden hinreißen lassen. Damit wäre keinem gedient. Im Wort Rechtsmedizin steckt ja auch das Wort Recht oder Gerechtigkeit. Hoffen Sie, mit Ihrer Arbeit einen Teil zur Gerechtigkeit in unserer Welt beitragen zu können? Wie schön wäre das! Aber ich glaube, das kann man in den Bereich der Illusionen ver­ buchen. Ich stelle mir gerne vor, dass man Leute vor möglichem zukünftigen Schaden bewahrt, indem man etwas dazu beiträgt, Täter dingfest zu machen. Das wäre etwas, worauf man berechtigtermaßen hoffen kann. November 2016

Vista.Schon? Knut Brandstädter ist Rechtsmediziner am Institut für Rechtsmedizin Halle und arbeitet in der Außenstelle Magdeburg am Uniklinikum. Er ist im Jahr 1970 in Magdeburg geboren und absolvierte auch sein Medizinstudium hier. Zuerst war er einige Jahre als Anästhesist tätig, bis er sich 2010 für die Stelle als Rechtsmediziner bewarb. Seine Freizeit verbringt Knut Brandstädter gerne in der Natur, sein Lieblingsort in Magdeburg ist der Rotehornpark.

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Die Inter.Vista-Redaktion.


Impressum Projekt- und Produktionsleitung Dr. Uwe Breitenborn Arlette Krickau Redaktion und Autoren der Ausgabe Tobias Barthel, Vera Bungarten, Diana Elschner, Jennifer Fiola, Friederike Franke, Julian Gefeke, Luisa Hensel, Nadine Janetzky, Laura Rittler, Stefanie Schrecken­ bach, Paul Schulz, Philipp Schöner, Julia-Janine Schwark, Franziska Seibert, Marlene Wiedner Chefredaktion Franziska Seibert Marlene Wiedner

Satz und Layout Nadine Janetzky Laura Rittler Stefanie Schreckenbach Bildbearbeitung Luisa Hensel Redaktionsfotos Thomas Schäfer Covergestaltung Nadine Janetzky Arlette Krickau Laura Rittler

Lektorat und Korrektorat Franziska Seibert, Philipp Schöner, Arlette Krickau, Dr. Uwe Breitenborn

Online publiziert auf www.issuu.com www.inter-vista.de Inter.Vista Nr. 3 | Mai 2017 Redaktionsschluss Februar 2017

Ein Projekt von Studierenden des BA Journalismus FB Soziale Arbeit, Gesundheit und Medien Hochschule Magdeburg-Stendal Breitscheidstraße 2, 39114 Magdeburg www.hs-magdeburg.de


www.swm-app.de


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