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Zulaufen beim Prägen zu verhindern. Auch die amerikanische Schrift FHWA (Standard Alphabets for Traffic Control Devices, Federal Highway Administration) dient als Vorbild: Sie wird von Spanien und von angelsächsisch geprägten Ländern wie Kanada 3 und Australien – hier in einer veränderten Form – verwendet. Daraus ergibt sich – kurz betrachtet und ohne An­ spruch auf wissenschaftliche Ernsthaftigkeit – eine typografi­ sche Vormachtstellung der Amerikaner. Typografische Zusammenhänge mit politischen Aspekten zu verbinden, ist ein gewagtes, aber reizvolles Gedankenspiel. Schilder spiegeln den Zeitgeist ihrer Entstehung, politische und gesellschaftliche Umwälzungen spiegeln sich auch auf scheinbar unbedeutenden Alltagsgegenständen wie Autokenn­ zeichen wider. Die italienischen Nummernschilder aus den 20er Jahren – fa una bella figura! – verwenden eine zeitgemäße Schrift, deren Konstruktion auf einem Rechteck liegt. Diese wird 1932 durch eine altertümliche Serifenschrift ausge­ tauscht. Dass Antiqua-Schriften grundsätzlich ein antiquiertes Weltbild beschreiben, ist natürlich Unsinn, aber hier eine mög­ liche Interpretation. So ist es dann auch folgerichtig, dass nach dem Ende der Regierung des törichten Duce wieder dolce tipografia herrscht: Ab 1952 ziert eine serifenlose, sachlich-auf­ geklärte Schrift die belle machine von Pininfarina, Bertone und Zagato. Italiener sind charmante und schnelle Verkehrsteil­ nehmer, da stoßen die schönen und schnell dahinsurrenden Skulpturen bedauerlicherweise manchmal ineinander, so dass

die eleganten Fahrer mit einem wunderschön illustrierten Schild vor ebenjenem Unfall gewarnt werden müssen. Das Schild mit den zwei ineinander verkeilten Wagen und den Comic-artig lautmalerischen Strichen in Weiß auf grellem Rot ist ein bel canto der Verkehrstechnik. 4 Bereits diese kleine Auswahl an Beispielen zeigt, dass das Bedürfnis nach Unterscheidung, Identität und regionaler ­Eigenständigkeit so groß ist, dass es sich sogar in scheinbar unbedeutenden Straßenschildern niederschlägt. Der große Mantel der Einheitlichkeit schützt vor Verwirrung und hilft, sich schnell in unterschiedlichen Ländern zu orientieren. Die eigentümlichen Details aus Sonderzeichen, Dialekten, illus­trierender Sprache und sprechender Illustration beant­ worten dabei die Frage »Wo bin ich?« in einem kleinteiligen, aber deutlichen Sinn, der Identität und Stimmung erzeugt.

Andreas Uebele ist Kommunikationsdesigner und ­Professor für visuelle Kommunikation an der Hochschule Düsseldorf. Die Arbeiten des büro uebele ­visuelle kommunikation wurden in den letzten Jahren mit über 300 internationalen und nationalen Auszeichnungen gewürdigt, eine der wichtigsten davon ist das Corporate Design für den Deutschen Bundestag. Alle Abbildungen sind dem Buch Schrift und Identität. Die Gestaltung von Beschilderungen im öffentlichen Verkehr entnommen. Wir stellen es auf Seite 31 vor.

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