ATLAS 07 deutsch

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40  ich poste, also bin ich

Fest auf dem Smartphone installiert und besser als Google Maps: die Peergroup

mit der Realität zu tun hat. Man sieht schöne Frauen mit atem­ beraubenden Körpern, muskulöse Männer, Sonnenunter­ gänge in der Karibik, zerwühlte Seidenbettlaken, absurd teure Autos, lippenstiftverfärbte Zigarettenstummel, palmenge­ säumte Straßen, Landschaften. Dazu Sprüche wie: »Your mind should be cold and your heart should be on fire« und »I just have this happy personality and a sad soul in one body. It feels weird sometimes«. Das bedeutet nicht, dass sich Teenager in unerreichbare Leben hineinträumen und sich daran orientierten, es heißt

»Posten ist Selbst­vergewisserung.« nur, dass die Bilderflut, mit der sie permanent konfrontiert werden und die sie selbst gleichzeitig mitgestalten, nicht an ihnen abperlt. Für diese Dokumentation des Erlebten gibt es etliche Plattformen. Instagram ist eine der populärsten. Die Idee dahinter formulierte einer der Gründer einmal so: »Wir haben einen Weg gefunden, gewöhnliche Alltagsszenen in magische Momente zu verwandeln.« Aus Fotografie als Form der Selbstdarstellung sei Kommunikation geworden. Es geht

darum, Momente mit Freunden zu teilen. Dieses Teilen ist auch deshalb so wichtig, weil es der sogenannten Fear of Mis­ sing Out, kurz FOMO , vorbeugt. Posten ist zu einer Art Selbst­ vergewisserung geworden. Die Angst, etwas zu verpassen, gab es zwar schon immer, doch die digitale Revolution hat ihr eine neue Dimension verliehen. Die Pubertät zu meistern, sich zu orientieren und den rich­ tigen Weg einzuschlagen, ist nie leicht gewesen. Heutzutage ist diese Lebensphase nicht unbedingt härter als früher, sie ist nur anders. Wirft man einen Blick auf die Shell Jugendstudien der vergangenen Jahre, wird deutlich, was Jugendlichen trotz Bilderflut, Konsumterror und Multioptionsgesellschaft beson­ ders wichtig ist: Freunde und Familie. Und das ist keine schlechte Nachricht.

Melanie Mühl studierte Germanistik und Journalismus und ist Redakteurin im Feuilleton der Frank­ furter Allgemeinen Zeitung. Das neue Buch 15 sein über die Lebenswelten Heranwachsender ist ihr ­drittes, zuvor erschienen Menschen am Berg. Ge­ schichten vom Leben ganz oben und Die Patch­ work-Lüge. Eine Streitschrift.


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