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DAS GAS WIRD KNAPP

Gas ist ein wichtiger Energieträger, gerade für private Haushalte. Nach Jahren der Stagnation stieg der Verbrauch in den letzten Jahren an.

Ausblick Die Zeiten werden kühl

Die Energiekrise hat sich durch den Krieg in der Ukraine verschärft und ist nun kurz davor, deutsche Wohnzimmer zu betreten. Wen trifft es hart, gibt es Auswege und wie warm ist das Schwimmbad im Jahr 2022? Ein Überblick.

In diesen Tagen braucht man keinen hysterischen Charakter, um unruhig zu werden. Konzerne und Bundesregierung schütten mit bemerkenswerter Freigiebigkeit Sonderzahlungen aus und die Tagespresse veröffentlicht den Füllstand von Gasspeichern ... So ziemlich jeder Parameter deutet darauf hin, dass diese Krise nicht wie gewohnt in der Tagesschau stattfinden wird, sondern – buchstäblich – im eigenen Wohnzimmer.

Nun fällt auf, wie sehr sich unsere Gesellschaft an den Überfluss (fast) zum Nulltarif gewöhnt hat. Wer zum Beispiel in den klirrend kalten Tagen der Herbstferien 2021 den Flughafen Hamburg betrat, der konnte feststellen: Zimmertemperatur. Alle Terminals waren derart beheizt, dass man sein Gepäck im Hemd aufgeben konnte, mit glänzender Nase. Allein Terminal 1 umfasst 6.300 Quadratmeter. Auf dem Papier also die Fläche von knapp 60 mittelgroßen Stadtwohnungen. Betrachtet man jedoch die Höhe der Bauten, dann wird klar, dass hier die Fläche einer Kleinstadt beheizt wird, damit die Leute im Hemd Koffer aufs Band wuchten. Analoges gilt für große Kaufhäuser, Einkaufspassagen, Museen etc. Auch die Wohlfühloasen unserer Gesellschaft bleiben nicht verschont – die großen Bäder, mit Whirlpool, Therme, Sauna und geheiztem Außenbecken. Quer durch Deutschland senken schon jetzt Bäder die Temperatur in den Becken. Einige versuchen, das bisherige Wärmeangebot durch höhere Eintrittspreise zu sichern. Bei einem Versiegen des russischen Gases sind laut Experten aber selbst Schließungen nicht ausgeschlossen. Bäderland Hamburg verweist auf langfristige Versorgungsverträge und sichert zu: Kurzfristig bleibe das Angebot wie gewohnt.

Dabei ist der Energieverbrauch von Bädern nicht so hoch wie erwartet. Bäderland gibt einen jährlichen Gesamtverbrauch von 82 Megawattstunden an. Das entspricht dem reinen jährlichen Stromverbrauch von ca. 25 Haushalten. Das Einsparpotenzial ist also, mit Blick auf die gesamte Stadt, eher gering.

Ähnliches gilt für andere öffentliche Ge-

Schwimmbäder (hier das „Dino“-Bad) sind auf Gas angewiesen, fallen von der Größenordnung her jedoch nicht sonderlich ins Gewicht

Sieht aus wie ein Museumsstück und genau das könnte es bald sein: Segment der Nordstream 2-Pipeline in Kotka (Finnland)

bäude. Museen, Behörden, aber auch Wa- Überspitzt formuliert: Die Deutschen harenhäuser sind rein objektiv gesehen über- ben ihre Gebäude optimiert und wollen heizt. Auch hier können Besucher im Win- jetzt, quasi als Gegenleistung, im Januar im ter hemdsärmelig umherwandeln – noch T-Shirt im Wintergarten sitzen. Und geheizt vor 50 Jahren undenkbar –, aber der Ge- wurde in den letzten Jahren vor dem Ukraisamtverbrauch spielt im Vergleich zur In- ne-Krieg – ausgerechnet – immer mehr mit dustrie und dem privaten Verbrauch keine Gas. Einsparungen hier würden das Wohgroße Rolle. nen also keineswegs auf den Stand der 50er

Der Durchschnittsdeutsche verbrauchte Jahre zurückfallen lassen, wo nur die „gute im Jahr 2000 durchschnittlich 175 Giga - Stube“ beheizt wurde, sondern eher auf joule. 20 Jahre später lag der Wert unter den Stand der letzten Jahrtausendwende. 143. Wir sehen also einen bedeutenden Zur Industrie: Sie verbraucht mit 28,5 Rückgang, wahrscheinlich verursacht Prozent den Löwenanteil der Energie in durch technischen Fortschritt Deutschland, und insowie z. B. effizientere Motoren. fern werden auch die Be-

Betrachtet man nicht mehr triebe in Hamburg sich die Köpfe, sondern die priva- mit der Forderung auseiten Haushalte in ihrer Gesamt- nandersetzen müssen, zu heit, trübt sich das Bild. „Wäh- sparen. Aber ist das so rend der Verbrauch zwischen 2000 und ohne Weiteres möglich? Glas zum Beispiel 2012 um 14,5 % zurückging, nimmt er seit- schmilzt zwischen 600 und 800 Grad. Das dem tendenziell zu und lag 2019 um ist eine physikalische Größe, die sich nicht 10,0 % höher als 2012“, schrieb das Statis- beeinflussen lässt. Das Umweltbundesamt tische Bundesamt im Sommer 2021. geht jedoch davon aus, dass erhebliche Ein70 Prozent der Haushaltsenergie gehen sparpotenziale bestehen. So können zum in die Heizung. Hier sorgten technische Beispiel nach der Studie „Energieeffizienz: Verbesserungen vor einigen Jahren für ei- Potenziale, volkswirtschaftliche Effekte nen sinkenden Energieverbrauch und innovative Handlungs- und Förderpro Quadratmeter. Dieser Effekt war jedoch nur vorübergehend. Seit 2014 steigt die Energieintensität pro Quadratmeter Wohnfläche wieder an.

„70 Prozent der Haushaltsenergie gehen in die Heizung.“

felder für die Nationale Klimaschutzinitiative“ in den Sektoren Industrie und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen rund 44 Milliarden Kilowattstunden Strom eingespart werden. Die größten Einsparpotenziale könnten danach besonders durch den Einsatz energieeffizienter Pumpen (5 Mrd. kWh), effizienter Beleuchtung (9 Mrd. kWh) und effizienter Lüftungs- (7 Mrd. kWh) und Druckluftsysteme (5 Mrd. kWh) ausgeschöpft werden.

Auch beim Brennstoffverbrauch läge noch ein erhebliches Einsparpotenzial vor. Es beträgt nach der oben genannten Studie für den Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen

Beim Heizen besteht bei den privaten Haushalten erhebliches Energiesparpotenzial

33 Milliarden Kilowattstunden und für den Sektor Industrie 20 Milliarden Kilowattstunden.

Nun bleibt die Frage: Wer soll diese energieeffizienten Pumpen, Lampen, Lüfter und Druckluftsysteme bezahlen? Die Industrie selbst ist die naheliegende Antwort. Schlecht ist nur, wenn sich eben diese Industrie- und Gewerbebetriebe aufgrund von Gasrationierung in einer wirtschaftlichen Schieflage befinden. Die Rufe nach staatlichen Hilfen werden dann nicht mehr zu überhören sein. Dazu unten gleich mehr, aber zunächst der beherzte Schritt ins Minenfeld:

Tempolimit.

Von den Fakten her ist die Sache klar. Die Vorteile eines Tempolimits lassen sich an-

hand von Untersuchungen aus anderen Ländern nachweisen und sind in seriösen Debatten unstrittig. Politiker und Lobbyisten, die ein Tempolimit ablehnen, tun dies in vollem Bewusstsein, sachlich falsch zu „Die finanzielle Belastung steigt aufgrund der Krise liegen. Es geht dann eben ums Gefühl, um die Stimme, ums Geschäft. Folgerichtig wird dann unter anderem rapide an ...“ mit „Fahrspaß“ argumentiert. Nun hat jedes Geschäft seine externen Kosten, also jene Kosten, die nicht von den Verursachern selbst getragen werden, sondern meist von der Allgemeinheit. Je höher diese Kosten, desto eher werden sie bemerkt und dann auch bekämpft. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Deutschland seinen Sonderweg in diese Frage nicht mehr lange durchhalten wird. Nun ließe sich argumentieren, dass die

FOTO: MEDITERANEO_ADOBESTOCK derzeitige Krise vor allem eine Gaskrise ist. Wozu diese Debatten über Benzin und Strom? Sicher, es gab Anstiege bei Benzin und Diesel. Die Entwicklung der Gaspreise könnte diese Steigerungen jedoch bei Weitem übertreffen.

Fakt ist jedoch, dass sämtliche Energieträger teurer werden und es keinerlei Ausweichmöglichkeiten gibt. Hohe Gaspreise treffen also die gesamte Volkswirtschaft und damit auch die Menschen, die zu Hause mit Öl heizen. Steigen die Benzinpreise hingegen, werden darunter auch Menschen leiden, die nie ein Auto besessen haben. Die Hilfen der Bundesregierung kommen aus Steuermitteln, die irgendwann aufgestockt werden müssen. Bereits Mitte April rechnete die Deutsche Steuer-Gewerkschaft mit einer Neuauflage des Solidaritätszuschlags wegen der Kosten durch Corona-Pandemie und Ukraine-Kriegs.

„Die finanzielle Belastung des Bundes steigt aufgrund der ganzen Krisen täglich rapide an“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Thomas Eigenthaler der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. Diese Kosten seien aus seiner Sicht „ohne ein Soli-Update nicht zu stemmen“.

Die Krise rund um die Energie lässt sich also drehen und wenden – nirgends wird ein Schlupfloch sichtbar. Es wäre also sehr wünschenswert, wenn sich die deutsche Wohlstandsgesellschaft eher im Anpacken als im Debattieren üben würde. Sonst ist es morgen eben nur noch die „Gesellschaft“.

Auch Gewerbebetriebe wie hier im Hamburger Hafen zählen mit 16 Prozent Anteil am Gesamtenergieverbrauch zu den großen Abnehmern

Autor: tim.holzhaeuser@kloenschnack.de