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IMPRESSUM

— Seit meiner Kindheit bin ich ein großer Freund der exzentrischen Menschen unserer Stadt. Manche sind bizarr gekleidet, andere bestechen durch extravagante Botschaften, alle vereint kapriziöses Verhalten. In den 1980ern schob ein Herr mit Anzug und mittellangem Haar sein Fahrrad, an dessen Lenker mehrere Tüten und Taschen gehängt waren, durch die Innenstadt, und warnte vor Strahlungen, die, wie er betonte, durch „Wände und Beton“ hindurchkämen und „Herzstolpern, Mattscheibe sowie unklare Köpfe“ hervorrufen würden. „Einzelne Bekloppte auf Ämtern und Polizeistationen“ hätten ihn sogar schon „verleumdet“, so könne er manchmal nur „in Zorn geraten, was für falsche Verhaltensweisen da mitunter vorhanden“ seien. Sein Ratschlag, sollte jemand „klare, eindeutige Bilder“ im Kopf haben: einfach eine Aktentasche vors Herz halten oder, falls keine zur Hand, den linken Unterarm. So könne man sich vor den Wirkungen der Strahlen schützen. Dies sei, so Hartmut S. (ich hatte seinen Namen durch mehrere Gespräche herausgefunden), nur „das A! Zum B und C und D und zum gesamten Alphabet kommen die ja gar nicht, die verdrehten Idioten!“ Auf die Frage nach seinem Beruf antwortete er, er sei Bauleiter, könne aber schon seit Jahren nicht mehr dieser Tätigkeit nachgehen, da die Aufklärung der „unbekannten Techniken“ zu viel Zeit in Anspruch nehme. Allein seine mehrstündigen Telefonate mit Technikern und Forschern würden ein hohes Pensum erfordern, deshalb forderte er die Passanten immer wieder auf, ihm Geld zu spenden. Er könne, so S., sogar „unter Umständen eine Quittung“ ausstellen. Irgendwann ist er verschwunden, vermutlich hat er sich durch die geheimnisvollen Strahlen von selbst aufgelöst.

Dann gibt es da noch eine Frau in den besten Jahren, die sich aufs Schimpfen spezialisiert hat. Sie trägt Turnschuhe und ist im Großen und Ganzen eine gepflegte Erscheinung. Auf ihrem rechten Unterarm hat sie das Wort „Stachus“ tätowiert. Sie ist in der Regel allein unterwegs und zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie ihre Mit- menschen aufs Übelste beleidigt. Neulich hockte ein junger Mann in der UBahn, der mittels eines SmartphoneHeadsets in einer mir unbekannten Sprache telefonierte. Während er einem geliebten Wesen Zärtlichkeiten ins Mi-

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kro säuselte, lachte er unentwegt mit aufgerissenen Augen in sein Smartphone. Offenbar führte er ein Videotelefonat. Auf einmal war die Frau mit dem Stachus-Tattoo im Abteil. Dem Süßholz raspelnden Mann fiel sie nicht auf, zu sehr war er mit flöten beschäftigt. Die Frau lief auf den jungen Schmeichler zu und fragte mit lauter Stimme: „Hams dir ins Hirn gschissn?“ Ein anderes Mal war eine feine Dame um die Siebzig in der S6 Richtung Starnberg. Sie kam gewiss aus sehr gutem Hause, was man ihrer aristokratischen Körperhaltung, aber auch dem khakifarbenen Kleid samt blitzsauberen weißen Handschuhen anmerkte. Vermutlich ist sie noch nicht sehr oft in einem öffentlichen Ver-

Schau ich mächtig aus?

Auf ihrem rechten Unterarm hat sie das Wort „Stachus“ tätowiert.

kehrsmittel gesessen, denn sie fühlte sich sichtlich unwohl und befürchtete, obgleich es erst früher Nachmittag war, dass bald etwas Schlimmes geschehen würde. Sie behielt Recht, denn die Beschimpferin stieg ein, rannte auf die Dame zu und schrie: „Schöne Handschuhe hast du. Du Hure!“

Ein stadtbekanntes Duo sind die paradiesisch schillernden Zwillingsbrüder Ö., die bauchfrei, langhaarig mit nackten, braungebrannten Beinen, Hotpants und bunten Gewändern durch ganz München flanierten, schrille Geräusche von sich gaben oder sich lautstark über Banalitäten stritten. Leider ist einer von ihnen unlängst verstorben, mal sehen, ob sich irgendwann der andere alleine auf die Pirsch begibt.

Ein weiterer wunderbarer Experte war bis vor einigen Jahren der überwiegend im Raum Pasing aktive Clemens. Er hatte das Ziel, sich mit jedem zu unterhalten. Manchmal hüpfte er federnd durch die Straßen und fragte ältere Bürger, die gerade die Gartenarbeit verrichteten: „Haben Sie was zum Futtern?“. Als er ein T-Shirt mit bärtigen Boxern aus der Stummfilmzeit trug, spannte er seine Muskeln an und erkundigte sich: „Schau ich mächtig aus?“. Oder er stellte schwierige Aufgaben wie: „Wenn ein Mensch aus einer Höhe von 1200 Metern aus einem Flugzeug auf die Erde stürzt, wird er dann immer schneller oder hat er irgendwann seine maximale Geschwindigkeit erreicht?“ GOTT schütze jene Experten und Agenten und erhalte ihr Wesen, um die schönste Stadt der Welt weiterhin unterhaltsam und bunt zu bereichern.

Moses Wolff ist Münchner Autor, Schauspieler und Regisseur. Im Herbst erscheint sein zehnter Roman „Gendarm des Königs“ im Hirschkäfer Verlag. www.moses-wolff.de

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