WerkNetz 2008

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Werk Netz

ACAR2: ACADéMIE POUR L‘AVENIR DE L‘ARTISANAT

Umgestaltung von ENTWURF, Produktion, Handwerk, VERTRIEB, KONSUM, GEBRAUCH

INSTITUT HYPERWERK HGK FHNW

Wie alles kam und worauf wir hoffen Wenn man bereits über mehrere Jahre an einem Projekt arbeitet, mag eine Schilderung des bis dahin zurückgelegten Weges helfen zu klären, wo man sich in der Projektlandschaft gerade befindet. Resu­ mée für ein Publikum, aber auch Selbstverständigung zur eigenen Orientierung. Lagebericht und Ausblick. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in vielen europäischen Zentren Schulen für Gestaltung eröffnet, sei dies in Form von Gewer-­ be oder Kunstgewerbeschulen, Zeichenkursen, Modellierwerkstätten oder gar ersten produktorientierten Entwurfsklassen an Kunstakade­ mien. Den Antrieb und oft auch die Finanzierung lieferten sowohl die aufkommende Industrie mit ihrem offensichtlichen Gestaltungsdefizit als auch die nach dem Zusammen­bruch­ der Feu­dal­gesellschaft ökonomisch gefährdete­ Klasse der Handwerder, die Anwendungsfelder ihres Entwurfsvermögens in der Massenproduktion suchte. Diese Bewegung weg von der Formensprache der Repräsentation hin zu derjenigen der Imitation kann man beispiels­weise in der Entwicklung der Pressglasindustrie ausgezeichnet verfolgen. Aus unbeholfenen ersten Ausdrucksversuchen mit dem Medium Massenproduktion ergab sich dann bald das Bedürfnis nach einer eigenen Formensprache industrieller Verfahren. Angesichts der Verbilligung und Beschleunigung der Warenproduktion, die im Zuge der Industrialisierung möglich wurde, schien die nun entwertete Rolle des Handwerks nicht ins Gewicht zu fallen. Parallel dazu wurden die bisher isolierten Regionen durch das Bahnnetz erschlossen; im Zuge der Industrialisierung entstand beispielsweise in der Schweiz das weltweit dichteste Bahnnetz, das mit seinen über 1800 Bahnhöfen auch noch dem kleinsten Weiler den raschen Zugang zur Welt eröffnete. Weitere Dimensionen des industriellen Aufbruchs bestanden in beschleunigten Formen des Informationstransfers sowie im etwas kurzsichtigen Abbau nicht erneuerbarer Ressourcen. Etwas mehr als 150 Jahre später befasst sich unser Vorhaben WerkNetz, das hier dargestellt werden soll, mit all diesen geschichtlichen Ebenen. Diese werden heute wieder relevant, weil die Form der Industrialisierung, welche sowohl die Gestaltungsarbeit diszipliniert, die Informationsflüsse beschleunigt, die Ressourcen ausgereizt als auch die Regionen erschlossen hat, heute in Europa an ihr vorläufiges Ende gekommen wirkt. Die Verschiebungsgeschwindigkeit von Materie und Information haben eine drastische Globalisierung ermöglicht, während die Verbreitung der Industriegesellschaft und die Verfeinerung ihrer Abbautechniken zu Ressourcenverknappung und Treibhausproblematik geführt haben. Unter solchen Umständen wächst der Druck auf das industrielle System, dessen europäische Vertreter mit der deutlich einsetzenden Internationalisierung des ­Design ein bisheriges Alleinstellungsmerkmal zu verlieren drohen. Heute scheint diese Form der Industriegesellschaft zwar am Ende ihrer Glaubwürdigkeit angekommen zu sein, doch leider sind ihre Folgen weiter wirksam. Neue Ansätze sind gefragt, die alternative Umgangsformen, nämlich ein neues Prozessdesign für den Umgang mit Ressourcen, Mobilität und Regionalität zu entwickeln wagen – und hier setzt das WerkNetz an. Die Massenproduktion von Konsumgütern ist nach Asien abgewandert, wo unterdessen auch entsprechend leistungsfähige Designschulen aufgebaut werden. Die Unterstützung durch europäische Designschulen beim Aufbau der eigenen globalen Konkurrenz wirkt so befremdlich wie kurzsichtig, denn diese Verlagerung gefährdet direkt die Arbeitsaussichten ihrer Designstudierenden als auch die Position von Unternehmen, die trotz allem noch an eine

europäische Produktionsmöglichkeit im Konsumgüterbereich glauben. Ebenfalls ändern sich die Nutzungsformen und Funktionen unserer Bahnen drastisch. Ein neues Reiseverhalten sowie die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung haben eine Entwertung der Bahnhofsgebäude bewirkt, die ihre ursprünglichen Funktionen verloren haben. Das regionale Stellwerk wird heute von der Zentrale aus gesteuert, das Bahnhofsbuffet ist zu einem Kaffeeautomaten auf dem Perron verkommen, der Ticketschalter zum Ticketautomaten, und das früher oft umfassende Bahnhofs-Warenlager wurde zumeist gänzlich abgeschafft. Da die Bahnstationen, um die sich rasch das dörfliche Leben sammelte, während Jahrzehnten identitätsbildend wirkten, hat sich der Abbau ihrer Funktionen in den letzten Jahren drastisch auf die Dorf- und Stadtbildentwicklung ausgewirkt. Aus dieser zeichenhaften Rolle der Bahn heraus sollte sich eine eventuelle Neunutzung von Bahnhofsgebäuden im Kontext der Regionalentwicklung verstehen – denn hier geht es um bedeutend mehr als um eine Renditenoptimierung schlecht genutzter Immobilien: Hier geht es um eine einmalige historische Chance, die es zu ergreifen gilt. Gerade in unseren Zeiten der Globalisierung wird eine Rollen- und Richtungsumkehrung des Bahnhofs denkbar; denn vielleicht geht es neuerdings beim Bahnhof gar nicht mehr so sehr um seine Funktion als Tor zur Welt, sondern in umgekehrter Sichtweise um das Tor für die Welt zur Region. Nämlich um den Zugang zu all der regionalen Einzigartigkeit, welche die Globalisierung einzuebnen droht, was natürlich im Gegenzug dazu führt, dass sich viele Menschen, grad die Städter, nach ihr sehnen. Dieses Bedürfnis kennt zwei Standorte, nämlich den von aussen hinein in die Region blickend und den aus dem regionalen Zentrum nach aussen, als Selbstdarstellung. Lassen sich Bahnhöfe also als verdichtete Schaufenster konzipieren, mit welchen regionale Kompetenzen und Anliegen dargestellt werden können? Wir erkennen darin einen spannenden Ansatz, dessen Umsetzung wir mit unserem Vorhaben versuchen wollen. Solche vielschichtigen Veränderungen zu reflektieren, sie als Eröffnung von Möglichkeitsräumen zu verstehen und entsprechende Strategien zu erarbeiten – diese Aufgabe kann mit Hilfe von ProzessgestalterInnen angegangen werden. Die AbsolventInnen von HyperWerk studieren das entsprechende Arbeitsfeld des Postindustrial Design, obwohl unser Institut offiziell immer noch Industriedesigner ausbildet; unser modifiziertes Jobprofil der Gestaltungsarbeit verlässt die Gestaltung von Produkten und besetzt die Prozessgestaltung als Anspruch, den der Kontext unserer Dienstleistungsgesellschaft einfordert. Wir meinen, dass sich die gesellschaftliche Umwälzung auch an der aktuellen Entfunktionalisierung der Bahnhöfe ablesen lässt und dass hier eines der bedeutendsten gesellschaftlichen Recycling-Projekte ansteht. Die Investition des neunzehnten Jahrhunderts in das regionale Bahnnetz war erheblich und hat sich nachhaltig ausgewirkt; es durch die Entwicklung innovativer Nutzungsformen aus seinem langen Siechtum zu neuem Leben unter den besagten neuen Vorzeichen zu erwecken, ist angesichts rapide steigender Ölpreise nicht nur aus kultureller und ökologischer Sicht geboten.

Die Umnutzung industrieller Hallen zur Kreativzone hat sich in vielen Städten als Strategie bewährt. Ausgelöst wird solch ein städtisches Revival zumeist durch eine kulturelle Randszene, die auf günstigen Raum angewiesen ist, dessen assoziationsreiche postindustrielle Anmutung sich als idealer Nährboden für Unerwartetes erwiesen hat. Dass sich diese vordergründig unattraktiven Zonen zumeist an den vergessenen Rändern bilden, verdeutlicht die regionalpolitische Relevanz einer Wertschätzung und Pflege dieser Ressourcen, die nur allzu oft kurz vor ihrer absehbaren Umnutzung endgültig abgerissen werden. In dieser Hinsicht sind Krisenregionen kranken Kindern vergleichbar, die leider zumeist genau dann aus dem Bett springen wollen, wenn es wieder etwas aufwärts geht, wenn sie vermessen meinen, ausreichend Kraft zu diesem Schritt zu haben, statt sich zu schonen. Wie im Leben des Einzelnen gilt es auch im Leben von Gemeinschaften, in der Krise durchzuhalten und nicht in hilflosen Aktionismus zu verfallen. Der Ansturm der Globalisierung bewirkt eine Krise vieler Regionen, die bis zur gelähmt hingenommenen Entwertung gehen kann – doch angesichts all der gleichmacherischen Tendenzen wird auch schon absehbar, dass sich das Einzigartige, das im besten Sinne Merkwürdige von Regionen als ihr herausragendes Verkaufsmoment verstehen und darstellen lässt. Das Techno-Park-Prinzip kann als Versuch zur künstlichen Herbeiführung solch einer “Soho-Situation” verstanden werden, und nicht zuletzt deshalb setzen immer mehr Hochschulen und Regionalförderstellen auf dieses Modell. Oft dient solch ein Park auch als Nachweis der wirtschaftlichen Relevanz von Hochschulen, die wegen wachsender Konkurrenz vermehrt auf entsprechende Leistungsschaufenster angewiesen sind. Und trotz der Erfahrung der unterdessen überstandenen dot.com-Krise ziehen Venture-Kapitalisten eigene Parks hoch, um ein unternehmerisches Mikroklima zu schaffen, das sich neuen Potenzialen gegenüber offen verhalten kann. Unser Ansatz zielt in zwei einander ergänzende Richtungen: Einerseits möchten wir die Randständigkeit der Regionalbahnhöfe als vielfältiges, vernetztes und dezentrales Gesamtsystem in der Form eines dezentral geführten Techno-Parks verstehen. Dieses System, das einer Reihe von Design-Start-ups als Ausgangsbasis dienen soll, wirkt als unternehmerischer Jungbrunnen, der eine in der Provinz willkommene Atmosphäre grossstädtischer Aufbruchsstimmung einbringen dürfte. Gerade das interdisziplinäre Arbeitsfeld der Gestaltung vermag anregende Kreativität auszustrahlen und als verbindende Qualität in den unterschiedlichsten Situationen zu wirken. Gleichzeitig wirkt das Umfeld zur Unternehmensgründung ideal – es verbindet hohe Sichtbarkeit mit einer leistungsfähigen Logistik, die Ausgangsmaterialien,

Kunden, Maschinen und Endprodukte im Stundentakt der Bahn dynamisch verschieben kann. Unter diesen Umständen wird beispielsweise auch eine Intensivnutzung von mobilen Hightech-Maschinen denkbar, die als geteilte Ressource von einem Verbund von Jungunternehmen im Netzwerk genutzt werden können. Wenn der Lasercutter am Dienstag anrollt und der Waterjet jeweils zum Monatsbeginn, dann verfügen auch Kleinstunternehmen über leistungsfähige Produktionsmittel. Selbstverständlich sind solche Geräte oft empfindlich und sollten weder Vibrationen noch Transporten ausgesetzt werden. Und auch das halbautomatische Beladen/Entladen schwerer Spezialmaschinen dürfte ohne das entsprechende Personal einiges Kopfzerbrechen bereiten. Gleichzeitig wirken solche Probleme prinzipiell lösbar, falls die Vorteile einer regionalen Produktion nachgewiesen werden können – um solche Fragen zu klären, braucht das WerkNetz seine Pilotphase. Die Kombination solch eines Gründernetzes mit der Bandbreite an regionalen Institutionen, die als Partner, Lieferanten und Kunden zu wirken vermögen, verwandelt die Mühsal der grossen Distanzen unseres virtuellen Industriequartiers in einen stabilen Vorteil. Und auch den Regionen bringt solch ein Nutzungsvorschlag viel, denn der Unterschied ist erheblich, ob man bloss ein einzelnes Kleinunternehmen in einem Bahnhof ansiedelt oder den Bahnhof unter neuen Vorzeichen als Tor zur Welt versteht und ihn dabei als Zugang zu einem Verbund von Start-ups und als Ort der öffentlichen Selbstdarstellung nutzt. Das Kunstwort “glocal” steht für ein neues Regionalverständnis unter den Vorzeichen der Globalisierung, mit welchem sich lokale und globale Qualitäten ergänzen; als Verkörperung dieser Verbindung bildet der Bahnhof die ideale Schnittstelle zwischen regionalen, nationalen und internationalen Gegebenheiten. Solch offenes Denken findet sich vor allem in Hochschulen und bei Unternehmen, die sich in der Gründungsphase befinden; da stehen die Chancen also ganz gut, dass sich unser dezentraler Bahnhofs-Technopark in eine Pilotplattform für auf Nachhaltigkeit bedachte Firmen entwickeln kann. Junge Firmen könnten sich geschickt und im Rahmen ihrer begrenzten Mittel an einer aufgeladenen gesellschaftlichen Schnittstelle positionieren. - Durch ihre Beteiligung am grösseren Geschehen des Schienennetzes, das den ganzen nationalen Raum umfasst und durchquert, und durch das Engagement im Kontext von Recycling und ÖV entsteht hier eine breit abgestützte Plattform mit einem hohen Sympathiebonus in der Öffentlichkeit.


Das WerkNetz stellt sich vor Das WerkNetz sucht Strategien zur Entwicklung nachhaltiger Produktionsformen für postindustriel­ le und globalisierte Zeiten. Erste Thesen werden im Rahmen eines konkreten Pilotprojekts umge­ setzt. Unter welchen Bedingungen lassen sich Massenprodukte durch kundenspezifische Einzelstücke ersetzen sowie Konsum, Vertrieb, Entwurf, Produktion und Handwerk entsprechend umgestalten?

Zu diesen Fragen haben Experimente, Tagungen und Ausstellungen in einer ehemaligen Abtei in den Vogesen stattgefunden. Dieser beschauliche Rahmen wird in der ersten Hälfte des Jahres 2009 um eine Reihe abgeschriebener Regionalbahnhöfe aus der Schweiz erweitert werden, wo innovative Produktionsformen als Schnittmenge von Regionalpolitik, Bildung, Tourismus, Logistik, Produktion, Handwerk, Vermarktung und Entrepreneurship umgesetzt werden sollen. Wer steht hinter dem WerkNetz? Seit 2003 betreibt HyperWerk, das Basler Institut für Postindustrial Design der FHNW, eine langfristig angelegte Initiative zur Gründung einer Akademie zur Zukunft des Handwerks namens acar2 (= académie pour l’avenir de l’artisanat). Unterdessen wird dieses Vorhaben von Firmen, Gewerbeschulen und Hochschulen getragen. Mit dem Erscheinen dieses Blattes wird die Absicht zum Aufbau einer experimentellen Produktionsrealität von acar2 erklärt, und dieses Vorhaben heisst WerkNetz. Bewegliches Ziel Das WerkNetz will sich im Dialog mit seinem ökonomischen, technologischen und kulturellen Umfeld entwickeln. In enger Zusammenarbeit mit Hochschulen, Wirtschaft und Politik entsteht das WerkNetz als experimentelle Plattform zur Vermittlung, Vermarktung und Umsetzung der Entwürfe der kommenden Designergeneration, die in den Hochschulen nachwächst. Denn bereits während ihres Studiums sollen junge Designer konkrete Erfahrungen im Umgang mit postindustrieller Produktionsrealität mach­en können. Postindustrielle Bühne 2001 fand HyperWerk in der leerstehenden Abtei des ehemaligen Textilstädtchens Senones in den Vogesen einen geeigneten Standort, um dort ein Seminarhotel und Werkstätten aufzubauen. Seither werden dort Workshops für Designhochschulen, Gewerbeverbände und Handwerksinnungen zur Zukunft des Handwerks, zu CNC-Techniken und zu postindustriellen Produktionsformen organisiert. An der Ars Electronica 07 durfte acar2 mit diesen Partnern den campus2.0 ausrichten, was unter der thematischen Klammer „neoanalog“ stattgefunden hat. Mit einer grosszügigen Ausstellung gingen wir den anfassbaren Gestaltungsmomenten der Interaktion sowie der Sinnlichkeit von digital erweiterten Materialien nach. An der als Begleitprogramm veranstalteten acar2-Tagung zeigte sich der grosse Bedarf an einer gemeinsamen Produktions- und Vermarktungsmöglichkeit für Designentwürfe aus Hochschulen, und dieses Anliegen wollen wir mit dem WerkNetz nun angehen. Gefundenes Fressen Im Frühjahr 2008 wandte sich ein Architekt der Schweizerischen Bundesbahn an HyperWerk mit der Frage, wie wir denn in diesem Fall die vorliegenden postindustriellen Verhältnisse gestalten würden. Mit einer Bahngesellschaft assoziiert man gemeinhin Schienennetze und Rollmaterial; als eindrückliche Immobilienbesitzerin wird sie erst bei näherer Betrachtung erkennbar. So stehen mehrere hundert Bahnhöfe leer, für die tragfähige Umnutzungen gesucht werden, da die ursprünglichen vielseitigen Funktionen dieser Gebäude (Stellwerk, Lager, Ticketverkauf, Wartehalle) heute entfallen oder durch Automaten ersetzt wurden. Zwar sollen alle Stationen auch in Zukunft zumeist im Stundentakt bedient werden, doch die Zukunft der oft denkmalgeschützten Stationsgebäude ist ungewiss.

Einfahrt: WerkNetz Mit dem WerkNetz wollen wir nun einige dieser leerstehenden Bahnhöfe umnutzen. Mit dieser Namensgebung weisen wir auf die wichtigste Qualität eines Bahnhofs hin, dass er nämlich als Knotenpunkt in einem realräumlichen Netzwerk wirkt. Diese eigentlich banale Erkenntnis wurde bis heute von keinem uns bekannten Bahnhof-Umnutzungskonzept ausgespielt, und deshalb sind diese Versuche auch zumeist gescheitert. Bereits vor zehn Jahren haben wir mit dem Institutsnamen „HyperWerk“ unserem Interesse an der Verbindung von digitalen Konstrukten mit anfassbarer Werkstattrealität Ausdruck verliehen. Auch das WerkNetz positioniert sich in der Berührungszone von realer und virtueller Welt. Durch die Globalisierung wächst das Bedürfnis nach dem Regionalen, und durch die Virtualisierung dasjenige nach Anfassbarkeit. Aus dieser emotionalen Logik heraus entstehen neue Bedürfnisse, Vermarktungsformen und Märkte, beispielsweise auch für ein neues Handwerk, das Digitaltechnologie mit dem Anspruch des Einzelstücks zu verbinden weiss. Angesichts zumeist importierter Konsumgüter, die wir ohne Kenntnis ihrer Werdensgeschichte von anonymen Produzenten im Web oder Super­markt erwerben, kann die Produktionserfahrung zur konsumtouristischen Attraktion aufgewertet werden – das beweisen die Glasmanufakturen von Murano oder auch die neuen Autostadt-Verkaufsformen, wo der Kunde seinen Neuwagen noch in der Endmontage beobachten und dann direkt ab Fliessband damit wegfahren kann. Beim WerkNetz handelt es sich um ein Recycling-Projekt in einem bisher kaum gekannten Massstab. Die untergehende Bahnhofswelt mit ihren Gaststätten, Lagerhäusern, Kiosken und Wartesälen, die vor hundertfünfzig Jahren unsere Regionen erst eigentlich erschlossen hat, soll nicht in Vergessenheit versinken. Allein schon die Schweiz verfügt über 1800 Stationen – doch bloss etwa dreihundert Bahnhofsgebäude werden in Zukunft noch für Pendlershops gebraucht. Was soll mit dem Rest geschehen? Jede europäische Bahngesellschaft steht vor derselben Frage, und damit gewinnt das WerkNetz auch eine internationale Dimension. Periphere Innovation Das WerkNetz besitzt eine historische Logik: Vor 150 Jahren hat das Bahnnetz den Zugang zur Welt in die Regionen gebracht. Nachdem heute ein Grossteil der Produktionsrealität ausgelagert wurde, drohen viele europäische Regionen wieder in einem tiefen Dornröschenschlaf zu versinken. Doch genau das ist gefährlich, denn gerade in den verfrüht abgeschriebenen Grenzzonen von Systemen entstehen oft die spannendsten Möglichkeitsräume; wirklich Neues kann da ungestört heranwachsen. Dieses Potenzial der provinziellen Kreativität will das WerkNetz mit seinem in den beteiligten Bahnhöfen angesiedelten, dezentralen Techno-Park freisetzen. Der Plan fürs kommende Jahr Erst kürzlich hat acar2 das verlassene Bahnhofsbuffet von Göschenen im Kanton Uri als seine Initialstation gewählt. Göschenen befindet sich im Mittelpunkt der vier schweizerischen Sprachräume und verkörperte im zweiten Weltkrieg auch das Zentrum des sogenannten Réduit. Als im Jahr 1980 der GotthardAutotunnel eröffnet wurde, velor die ehemalige Eisenbahn-Autoverladestation Göschenen ihre angestammte Funktion: Millionen von Italientouristen waren für ihre Reise durch den Gotthardtunnel dort abgefertigt worden. Viele unter

ihnen nutzten den Unterbruch ihrer Reise in den Süden für einen Aufenthalt im noch heute prächtigen Bahnhofsbuffet. Nach dem Schock der plötzlichen Verlassenheit steht Göschenen heute dank diverser Projekte wieder besser da. Während des ganzen Juli 2009 hat das Werk­ Netz das heute überdimensioniert wirkende und seit Jahren geschlossene Bahnhofsbuffet von der Gemeinde gemietet, die es wiederum von der SBB als Veranstaltungsort gepachtet hat. Ausgehend von diesem hochalpinen Bahnhof, wird ein Netzwerk mit mehreren Aussenstellen in leerstehenden Stationsgebäuden aufgebaut, die im Sommersemester 2009 durch Projekte unserer Partnerschulen prototypisch bespielt werden. Dazu wollen wir uns der regionalen Umgestaltung im Hinblick auf Bildung, Forschung, Produktion und Tourismus annähern, was im realen Bahnhofskontext versucht werden soll. Im Juli 2009 ist dann in Göschenen vorgesehen, eine gemeinsame Zwischenbilanz der dezentral entwickelten Semesterarbeiten zu ziehen und den WerkNetz-Auftritt an der Ars Electronica 2009 zu koordinieren. Der Aufruf Wir hoffen, dass unser Auftritt an der diesjährigen Ars Electronica zu weiteren Partnern aus innovativen Hochschulen führen wird; verlassene Bahnhofsgebäude gibt es genug für uns alle. Es wäre durchaus denkbar und höchst willkommen, dass bereits im kommenden Jahr Hochschulen aus dem europäischen Umfeld ihren eigenen Provinzbahnhof als WerkNetzStation bespielen – eine hervorragende Möglichkeit für eine probeweise Zwischennutzung während eines Semesters bieten beispielsweise Bahnhofsbuffets oder ehemalige Schalterhallen, in welchen sich vielerorts bloss noch Staub ansammelt. Als Ansprechpartner wirkt Mischa Schaub, Leiter von HyperWerk und Autor dieser Zeilen; gerne kommt er auch vorbei, um in einem Vortrag über den aktuellen Projektstand zu berichten. Als willkommenen Nebeneffekt unserer Vernetzung möchten wir im Laufe der kommenden Monate gemeinsam mit unseren bisherigen und den neu zum Projekt stossenden Partnern ein europäisches Forschungsnetz zur nachhaltigen Einzelstückproduktion lancieren. Das Ergebnis Als Ziel unserer Aufbauarbeit streben wir einen über mehrere Standorte verteilten Techno-Park an, der etwa zwanzig Regionalbahnhöfe als Infrastruktur für Erlebnistourismus und experimentelle Güterproduktion umnutzen soll. Dort sollen unternehmerisch gesinnte HandwerkerInnen ihre Hightech-Geräte wie Lasercutter und CNC-Maschinen zur Einzelstückherstellung nach Kundenwunsch einsetzen. Ihre Produkte werden über einen gemeinsamen Webauftritt vertrieben, können aber auch vor Ort bestellt und mit beabsichtigtem Show-Effekt vor dem Kunden als personalisiertes Einzelstück produziert und direkt erworben werden. Diese an der Produktion orientierte Handlungsebene wird durch thematische Ausstellungen, Aktionen und Angebote zur Nachhaltigkeit von Verkehr, Energie, Produktion, Nahrung, Recycling und Sport erweitert. Für jeden beteiligten Bahnhof ist eine klar erkennbare inhaltliche Ausrichtung und eine regionale Trägerschaft aus Wirtschaft und Hochschulen vorgesehen. Die Gesamtheit der umfunktionierten Werk­ Netz-Bahnhöfe soll als erlebnistouristisches Innovationsnetz wirken, das Design, Produktion und regionale Potenziale verbindet. Wir versuchen, dies durch die Erkundung und auch den Einsatz regionaler Qualitäten als orchestrierbares Geschehen zu ermöglichen. Wir wirken als Thesengenerator und Forschungsplattform, während die handwerklichen Seiten unseres Tuns in unserem Werkstattlabor und Medienkloster im französischen Senones-dans-les-Vosges stattfinden. In unserer dortigen, fürwahr postindustriellen CNCWerkstatt haben in den letzten Monaten auch zahlreiche Workshops stattgefunden; hier ein Foto vom acar2-Arbeitstreffen der UdK Berlin mit HyperWerk.

troffen werden. Ebenfalls hatten wir das Glück, mit der Grazer Designagentur Fluid Forms, die sich bereits einige Jahre im Arbeitsfeld der designorientierten Mass-Customization bewegt, eine Kooperation einzugehen. Die amerikanische Bildhauerin Bathsheba Grossman hat uns ihr weites Beziehungsnetz in die seltsame Produktionsrealität des Rapid-Prototyping eröffnet. Ebenfalls wurde eine Kooperation mit dem Gestaltungsverbund GeneratorX 2.0 an der Transmediale 2008 erprobt. Mit dem Besuch von Ivo Lenherr, einem Architekten der Schweizerischen Bundesbahn, setzte die dynamische Projektentwicklung der letzten Monate ein. Er fragte uns nach Konzepten zur Verwendung leerstehender Regionalbahnhöfe. Diese Anfrage kam quasi zeitgleich mit dem Plan zur Neuen Regionalpolitik (NRP) der schweizerischen Regierung, in den nächsten acht Jahren 230 Mio. CHF in Projekte und Initiativen zur nachhaltigen Steigerung regionaler Vitalität zu investieren. Unter solchen Umständen hat sich unser Vorhaben erweitert und konkretisiert - es hat seinen einstigen, zuweilen etwas eindimensionalen Bereich des digital erweiterten Handwerks verlassen, um zukünftige Produktionsformen im Kontext von Postindustrialität, Technologie und Nachhaltigkeit zu gestalten. Wie dringend die Erarbeitung von Handlungsdimensionen in diesem gesellschaftlichen Kontext wird, stellt Peter Senge, Direktor des Center for Organizational Learning an der MIT Sloan School of Management in seinem jüngsten Buch „The Necessary Revolution“ dar. Darin entwickelt er die These von der „Industrial Age Bubble“, mit der das Industriezeitalter als ein nicht länger verantwortbarer Irrweg beschrieben wird. - Lesen Sie dieses Buch! Die Betroffenheit auslösende Realität zahlloser verlassener Bahnhöfe, deren Bau vor hundertfünfzig Jahren den Wind des Austauschs in die Regionen brachte, was die Voraussetzung zur Industrialisierung bildete, eignet sich als Bühne zur provokanten Innovation und anregenden Umnutzung. Die symbolische Wirkung einer Revitalisierung der Ressource Bahn im Kontext von Entrepreneurship und marktbezogener Hochschularbeit wird zu Goodwill und Medienöffentlichkeit führen und unserem Vorhaben zum gewünschten Erfolg verhelfen. Die Begeisterung der Kreativszene für verlassenen Industriebauten ist hinlänglich bekannt; der Immobilienmarkt hat mit dem New Yorker Soho und dem Londoner East End gezeigt, wie die heutzutage zuweilen Sehnsucht oder sogar Wehmut erzeugende Atmosphäre ehemaliger Fabriken und Lagerhäuser bei der Revitalisierung vermeintlich abgeschriebener Zonen wirken kann. Metcalfe‘s Law Touristisch und/oder architektonisch besonders attraktive Areale der leerstehenden Regionalbahnhöfe sollten als vernetzte Ganzheit erschlossen und betrieben werden. Die Tatsache ihrer Vernetzung bildet die Basis für den Erfolg des vorliegenden Konzepts und unterscheidet sich drastisch von bekannten Umnutzungskon-

Der aktuelle Projektstand Seit seinem Start im Jahr 2003 hat sich acar2 zum internationalen Forschungsnetzwerk von De­ signhochschulen, Handwerkskammern, Unter­ nehmen, Gewerbeschulen und neu auch Bahn­ gesellschaften gemausert, das die Zukunft des Handwerks mitzugestalten versucht. Ausbau des Partnernetzes In den letzen Monaten haben wir neue Partner gewonnen; so konnte eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Gestaltung, Fertigung und Kommunikation der Handwerkskammer Koblenz ge-

zepten für Bahngebäude, welche die ausschlaggebende Qualität ihrer Zugehörigkeit zu einem vernetzten System zu missachten pflegen. Das WerkNetz hingegen nimmt bewusst Bezug auf ein bekanntes Gesetz der Informatik, Metcalfe’s Law, dass nämlich der Wert eines Netzwerks proportional zum Quadrat seiner AnwenderInnen wachse. Ein dynamischer Einstieg mit mindestens zehn und idealerweise etwa zwanzig Partnerbahnhöfen drängt sich also nach dem Pilotversuch auf. Auf der Basis des schweizerischen WerkNetz-Pilotversuchs erhoffen wir uns langfristig, auch in abgeschriebenen europäischen Randre-


gionen eine ganzheitlich konzipierte Entwurfskultur zum Tragen zu bringen, die als ein im Erlebnistourismus angesiedeltes Bildungs- und Forschungsmodell zur Gestaltung nachhaltig tragfähiger postindustrieller Verhältnisse wirken kann. In den nächsten Jahren wollen wir dazu in konkreten Projekten Ebenen der Annäherung und Umsetzung erproben und auch für den Konsumenten experimentell erfahrbar machen. Es geht also nicht um die Aufwertung und Umnutzung eines einzelnen Bahnhofs, sondern um eine Gesamtheit einander ergänzender Bahnhöfe. Erst solch ein integratives Verständnis vermag bisher als unattraktiv eingeschätzte und deshalb aufgegebene Standorte aufzuwerten. Um dies zu erreichen, sollten sich die einzelnen Bahnhofsinszenierungen in einer erkennbaren Weise inhaltlich ergänzen und dadurch den einzelnen Standort besuchenswert machen. Jeder soll seine eigenen Fragen, Thesen und Fallbeispiele zum Umgang mit postindustriellen Verhältnissen liefern. Geplant ist der Aufbau einer Trägerschaftsorganisation pro Bahnhof, die jeweils eine abgrenzbare thematische Ausrichtung hat. Wir fragen also weniger nach der vorhandenen Frequenz von Passagieren als danach, ob ein Bahnhof als Element solch eines touristischen Angebots bereichernd zu wirken vermag. Dabei wird auch jeweils das nähere bebaute Bahnhofsumfeld in Betracht gezogen werden, da sich hier oft umnutzbare Industriebrachen befinden. Richtungswechsel Die bekannte, bisherige Funktion des Regionalbahnhofs als Tor zur Welt soll bei unserem Angebot umgekehrt werden; er soll also als Tor für die Welt zur Region verstanden werden. Ein solchermassen genutzter Bahnhof bildet eine Schnittstelle zur Darstellung regionaler Anliegen, Kompetenzen und Qualitäten. Unterscheiden soll sich unser Angebot vom herköm­m lichen Tourismusbüro durch die Eingebundenheit in einen Konzeptrahmen, zu dem jeder Bahnhof mit seiner jeweiligen Standortgemeinde und ihren Gruppierungen (Verbände und Vereine, Gewerbe, Wirtschaft und Hochschulen der Region) sein eigenes Kapitel beiträgt. Diese eigene Profilierung soll sowohl nach aussen wie nach innen wirken. Die Eingebundenheit ins grosse Ganze wird durch eine übergreifende Programmierung und durch einen gemeinsamen (Web-)Auftritt verstärkt und auch in den Bahnhofsinszenierungen spürbar. Dabei wird nicht von einer sturen Identität ausgegangen, sondern von einer Vielfalt mit System. Kennzeichnend für unser übergreifendes Konzept ist auch, dass an jedem Bahnhof ein einzigartiges, regional verankertes und idealerweise direkt im Bahnhof zumindest teilhergestelltes Produkt vertrieben wird. Die Reise des Touristen durch solch ein Bahnhofsnetz soll also auch zur Sammelreise eines Konsumenten von Erfahrungen und Souvenirs werden, die idealerweise an seine individuellen Wünsche angepasst werden. Die in der Schweiz erwartbare Besucherfrequenz konsumbereiter Touristen kann zur ökonomischen Grundlage eines dezentral geführten Techno-Parks für handwerklich orientierte Hightech-Start-ups beitragen; diese Aussicht ist nicht zuletzt im Hinblick auf die Mobilisierung von Förder- und Forschungsmitteln der Regionalplanung und Wirtschaftsförderung hilfreich. Neben der touristischen Zielgruppe möchte das WerkNetz unbedingt auch regionale und nationale Gruppierungen wie Unternehmen, Vereine, Parteien, Hochschulen ansprechen. Idealerweise soll aus dem WerkNetz ein nationales Netzwerk mit europäischen Partnern entstehen, das als Innovationsplattform für eine nachhaltig erneuerte europäische Produktionskultur wirken kann. Auftritt acar2 Ars 2008 Bereits für die Realisation des campus2.0 der letztjährigen Ars Electronica hatten wir mehrere Tonnen Stahlrohre zersägt und ganze Bahnpaletten an Wellpappe durch unseren Laser geschickt; diese etwas mühsame Erfahrung wollten wir jetzt nicht wiederholen. Doch nicht nur aus Trägheit, sondern auch aus ökologischen Gründen wollten wir weniger materiellen Aufwand als letztes Jahr betreiben. Das Prinzip unserer Installation erinnert an die Kameraführung während der zurückliegenden Fussball-Europameisterschaft, als an Drahtseilen aufgehängte Kameras mobil über dem Spielfeld schwebten: Vier Schrittmotoren bewegen ein Robotiksystem, das durch vier in den Raumecken positionierte Angelruten gebildet wird. Mit diesem System kann nun jeder Raumpunkt angefahren werden. Die Motoren erlauben ein Aufwickeln von diagonal verlaufenden Schnurzügen, die durch eine Foldback-Klammer verbunden sind. Selbstverständlich war diese Konstruktion heikler als wir erwartet hatten; umso dankbarer sind wir Andreas Krach und Adrian Keller, die sie so engagiert umgesetzt haben.

Die fliegende Blechklammer wird sich jeweils eine unserer Zeitungen vom Stapel nehmen, um sie in algorithmisch gesteuertem, leisem Schwebeflug zu ihren Lesern zu bringen und vor ihnen abzulegen. Wir erhoffen uns von dieser liebevollen Form der Informationsübergabe, dass unser Blatt vielleicht eher zur Kenntnis genommen wird als die überall ausliegenden Gratiszeitungen. - Und das hat offensichtlich geklappt, denn sonst würden Sie diese Zeilen ja nicht lesen. Bildungsmodell WerkNetz Eine Perspektive liegt uns besonders am Herzen: Das WerkNetz kann als ein radikales, demokratisches und projektorientiertes Bildungsmodell verstanden werden. Die partizipative Produktentwicklung über Webschnittstellen bietet die optimale Basis, um eine Online-Lernkultur zu ermöglichen, deren Dynamik viele Formen des heutigen Unterrichts ersetzen kann, wie dies Wikipedia im enzyklopädischen Wissensbereich bereits geleistet hat. Absehbar ist, dass die enorme Bandbreite an Produktvariationen, die durch das neue Design­verständnis ermöglicht wird, zu einer ganz anderen Evolutionsgeschwindigkeit bei der Produktoptimierung führen wird. In einem auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Designverständnis geht es um ein erweitertes Verständnis von Recycling, das nicht nur Materialrecycling, sondern eben auch Erfahrungen einbezieht, die während der Lebensdauer des Produkts gesammelt werden konnten. Diese können sowohl als Konsumentenberichte wie auch als Gebrauchsspuren am Produkt erfasst werden. In dieser Möglichkeit zur beschleunigten Produktevolution findet sich vielleicht das beste Argument für die Customization, die bis heute meines Wissens kaum je ausgenutzt werden konnte, da die Produktrücknahme sich noch zu wenig durchgesetzt hat. Angesichts der bevorstehenden Ressourcenverknappung müsste dieses Manko jedoch bald verschwinden. HyperWerk wird sich emerge! über zwei grössere Produktionen annähern, deren eine der Versuch darstellt, das WerkNetz als Pilotversuch zu realisieren. Dieses Vorhaben wird in Diplomarbeiten zur regionalen Umgestaltung und zu nachhaltigen Produktionsformen, in der angewandten Szenografie für Bahnhöfe und im Festivalauftritt an der Ars Electronica 2009 seinen Ausdruck finden.

HyperWerk und emerge! Der Studiengang HyperWerk untersucht jedes Jahr ein übergreifendes Thema. Im Studienjahr 2008/2009 spüren wir mit emerge! den Um­ schlagsmomenten von Systemen nach, in wel­ chen Dynamik einsetzt. Wir möchten Strategien und Thesen entwickeln, wie mit wenig Aufwand grosse Wirkung erzielt werden kann. Dieses erste WerkNetz soll seine TeilnehmerInnen mit Stolz erfüllen, ihnen berufliche Chancen sowie Vernetzungen mit Industrie, Bahngesellschaften, Regionalpolitik und Forschung eröffnen. Dazu organisieren wir Anfang Juli 2009 im Bahnhofsbuffet von Göschenen eine Sommerakademie. Dort werden Projektarbeiten und Experimente von Studierenden der Partnerschulen vorgestellt, die bis dahin in mehreren prototypisch bespielten Bahnstationen erprobt wurden. Ebenfalls soll der unternehmerische Rahmen für das WerkNetz dargestellt und verfeinert werden. Dies bietet das WerkNetz Eine Synthese von Handwerk und Hightech, die dank ihrer jungunternehmerischen Herkunft zur Zukunftsgestaltung einer nachhaltigen Produktionsrealität einen Beitrag leisten kann; eine Heimat für Jungunternehmer aus dem Produktdesignbereich durch gemeinsame Vermarktung und Webpräsenz als „Swiss Design“; Einbindung in regionalpolitische Kreise aus Industrie, Hochschule und Politik; dank Bahnanschluss und Bahnlogistik ökologisch verantwortbaren Transport von Rohmaterial, Fertigprodukten, MitarbeiterInnen sowie gemeinsame Nutzung von Spezialmaschinen; das Bahnareal wird als Industriezone für experimentelle Produktionsformen genutzt; die kostengünstigen Bahngebäude besitzen regionalpolitische Ausstrahlung und hohen Sympathiewert; die hohe Sichtbarkeit der Labs bietet Öffent­ lichkeit, auch für Wirtschaftsförderstellen, Forschungspolitik und Hochschulen; ein Fallbeispiel kreativer Umnutzung, das seinen Anspruch auf engagierte Nachhaltigkeit praktisch vorlebt. Positionen zur Nachhaltigkeit als Ergänzung Ein solchermassen genutzter Bahnhof bildet eine Schnittstelle zur Darstellung regionaler Anliegen, Kompetenzen und Qualitäten. Unter­ scheiden soll sie sich vom herkömmlichen Tourismusangebot durch folgende Qualitäten:

Die Eingebundenheit in ein thematisches Gesamtkonzept zur Selbstdarstellung, in welchem jeder Bahnhof mit seiner jeweiligen Standortgemeinde und deren Gruppierungen (Verbände und Vereine, Gewerbe, Hochschulen, Wirtschaft) sein eigenes Kapitel beiträgt. Diese Profilierung nach innen und aussen macht einen WerkNetz-Bahnhof interessant und besuchenswert. Das Bahnsystem lässt sich als grosszügig dimensionierte, mit ÖV erschlossene Metaregion mit Erlebnispark-Qualitäten nutzen. So kann eine Touristengruppe bereits auf ihrem Weg vom Flughafen auf selbstverständliche Weise im Zug angesprochen werden. Gewünschte Produkte lassen sich im Web vor der Anreise entsprechend Kundenwunsch bestellen und auf der Reise einsammeln. Selbstverständlich kann man sie auch im Terminal vor dem Rückflug erhalten oder sich mit Kurierdienst schicken lassen. Das weltweit dichteste Bahnnetz und die vielfältige Landschaft bieten dazu einen idealen Rahmen. Durch die Verbindung von Webvermarktung und Produktionserlebnis im besuchten Bahnhof lassen sich globale Distributionstechnolo­gien mit einem konkreten Gegenüber verbinden. Diese Vermarktungsform soll die kommerzielle Basis des dezentralen Techno-Parks erweitern, der mit handwerklich und nachhaltig orientierten Hightech-Start-ups aufgebaut werden soll. Als Zielgruppen sollen nicht nur ausländische Touristen, sondern auch regionale und nationale Gruppierungen wie Schulen und Vereine angesprochen werden. Idealerweise wird aus dem Pilotversuch WerkNetz eine eigenständige Produktionskultur hervorgehen, die zur Selbstdarstellung und als vorbildliche und ermutigende Innovationsplattform einer neuen Designkultur dienen kann. Angestrebte Wirkung Neue Produktionstechnologien, Interaktionsmedien und Vermittlungsformen lassen sich mit der historischen Substanz des weltweit dichtesten Bahnnetzes und einer Kultur der Gastlichkeit zu einer neuen „Grand Tour“ verbinden. Tourismus gewinnt dadurch wieder eine Dimension der Entdeckung und der Bildung. Die flexible Nutzung standortspezifischer Qualitäten sowie ein Mix von Produktion, Verkauf, Demonstration, Erholung, Erlebnis, Bildung und Gastlichkeit kennzeichnen das Werk­ Netz. Als realistische Erwartung an das WerkNetz möchten wir nach dem ersten Projektjahr mit relevanten Erfahrungen dastehen. Wir erhoffen uns, in Kooperation mit mehreren Designhochschulen und Technologiefirmen die Arbeit in einem experimentellen Produktionsnetzwerk von Einzelstücken nach Kundenwunsch erproben zu können. Mit solch einem ersten Mockup eines Betriebs soll auch die anspruchsvolle Logistik unseres Vorhabens getestet werden.

Die nächsten Schritte Direkt nach dem Auftritt an der Ars Electronica wird HyperWerk den Aufbau des WerkNetzes an­ gehen. Dies soll durch die Erarbeitung von Busi­ nessplänen, durch begleitende Diplomprojekte und durch Vorträge in den beteiligten Partnerin­ stitutionen betrieben werden, was alles durch ein entsprechendes Rahmenprojekt von HyperWerk angestossen werden soll. Im Wintersemester 08/09 möchten wir möglichst viele Hochschu­ len davon überzeugen, sich aktiv im WerkNetz zu engagieren und ihren eigenen Bahnhof pro­ totypisch zu bespielen. Doch selbstverständlich können willkommene Aktionen auch bloss sol­ che im Bahnhofsumfeld sein oder sonstwie auf den Kontext des WerkNetz bezogene Projektar­ beiten darstellen. Das Wintersemester dient also vor ­allem der Planung, Koordination und dem Aufbau der Finanzierung, während das Sommer­ semester 2009 der Produktion und Kommunika­ tion gewidmet sein soll. Für den Juli 2009 ist der Austausch zwischen den Projekten vorgesehen, der im Bahnhofsbuffet von Göschenen stattfin­ den wird. Ebenfalls soll in dieser Zeit der Auftritt an der Ars Electronica seinen Feinschliff erhalten, der im September 2009 vorgesehen ist. Der kommende Versuchsbetrieb dient also zur Absicherung und Entscheidungsfindung. Gleichzeitig möchten wir zur Improvisation ermutigen sowie den flexiblen Umbau von Komponenten und die Prüfung von Lösungs­ varianten unterstützen. Das Management zur Umsetzung Unter der Leitung des Katalysators Hyper­ Werk werden heute nationale und internationale Kompetenzen in eine projektartige und problem­spezifische Forschungsstruktur eingebunden. Europäische Designhochschulen, Wirtschaftshochschulen, Handwerks- und Gewerbeverbände sowie Jungunternehmer bringen ihre Ressourcen ein. Mit minimalem Aufwand wird bis Juni 2009 ein prototypisches

Produktionsnetz in Regionalbahnhöfen eingerichtet, das zum Abschluss in Form einer internationalen Sommerakademie testweise bespielt wird. Ein wesentlicher Teil der Management-Leistung von HyperWerk wird in der Formulierung und im Aufbau der partnerschaftlichen Struktur eines europäischen Forschungsprojekts bestehen, das die internationale Zusammenarbeit und auch die Finanzierung unserer experimentelleren Projektaspekte erleichtern soll. Für dieses Projekt suchen wir Institutionen, die an längerfristigen Formen der Zusammenarbeit ineressiert sind. Erwünscht wäre bereits an der Ars Electronica 2008 eine erste Kontaktaufnahme mit Mischa Schaub, da die Partner solcher Vorhaben sich erfahrungsgemäss über längere Zeit finden sollten, um sich zum optimalen Team zu entwickeln. Die Resultate des prototypischen Produktionslaufs sollen mit einem erneuten Auftritt an der Ars Electronica im September 09 vorgestellt werden - der Festivalstandort Linz wird 2009 als EU-Kulturhauptstadt wirken, was dem WerkNetz ein grosses Publikum eröffnen kann, und diese Chance möchten wir nutzen.


Offen angelegte Recherche Nachdem die SBB im Februar 2008 unser Institut HyperWerk angefragt hatte, ob wir Konzepte für eine Umnutzung leerstehender Bahnhofgebäude entwickeln könnten, haben wir eine offen angelegte Recherche, von einer Prozessdramaturgie bis hin zur Ideenfindung vorgeschlagen und daraufhin einen entsprechenden Auftrag erhalten. Um ihn einzulösen, haben wir zwei studentische Beobachtungsgruppen von je drei Personen ausgeschickt, die für die Dokumentationsbereiche Foto, Video und Text zuständig waren. Sie sollten während einer Woche durch die schweizerische Bahnhofswelt fahren, möglichst immer im Bahnhofhotel übernachten und im Buffet essen, um eine aktuelle Zustandsbeschreibung der Bahnwelt zu liefern. Es folgt der stark gekürzte Reisebericht von Luke J. Wilkins, der als Student des Studiengangs für Literarisches Schreiben in Biel das zweite unserer Expeditionsteams begleitet hat. Sie kamen bis Rheineck Bahnhof Münchenstein, Ende April, Dienstag, Ankunft 9.25 Uhr; heiter, etwas wolkig. Der Bahnhof Münchenstein wurde komplett umgebaut, atomkriegsresistentes Waschbetonhäuschen, Unterführung, serielle Architektur, die drei Automaten Billet, Selecta, Passfotos haben das Personal komplett ersetzt. Jeden dritten Tag kommt einer von Railclean, sammelt den Müll auf, fegt bisschen über den Bahnsteig („Ich mache pro Tag um die zehn Bahnhöfe“), einer von Selecta, der die Süssigkeiten nachfüllt, einer, der die Billetrollen und Geldkassetten auswechselt („bin SBB-Angesteller, Berufsbezeichung: Automaten-Service Nordwestschweiz“). Im weiteren Umfeld: Viel Industrie, Stromwerk, die Beierdsorf AG (Glashalden, Gletscheratmosphäre, Kaliglas, Trilon) und die ehemalige Walzwerk AG, wo vorgemacht wird, wie man ein riesiges Fabrik­ areal umnutzt: Partylokalitäten, Krippenwerkstatt, Spielgruppe, Fitness-Center, Yogaraum, Off-Theater, zum Restaurant und zur Espressobar umgenutzter Zugwaggon, Clubs: Walzwerk und Erster Stock; Montagehalle, in der junge, bunt gekleidete Menschen im Auftrag von namhaften Künstlern Skulptur-Rohlinge für die Art Basel herstellen. Nordöstlich hügelan liegt der alte Kern des Städtchens, Burgruine, ganz östlich auf der bewaldeten Hügelkuppe blinkt zwischen den Bäumen eine rot-weiss gestrichene Kapelle im Sonnenlicht.

Bahnhof Grenchen Nord, Dienstag, Ankunft 14.34 Uhr. „Wegen Vandalismus bleibt der Wartesaal ausserhalb unserer Öffnungszeiten geschlossen.“ - Gegenüber: Stadtpolizei, Zivilschutz, Feuerwehr. Bahnhofspersonal: Peter Schärer und sein Lehrling. Schärer, etwa im gleichen Alter wie die Studenten, zeigt sich kooperativ, die Lage des Bahnhofs sei halt sehr schwierig, kaum Laufkundschaft, Grenchen Süd sei belebter, aller­ dings teils von den Randständigen, Drögelern, Alkies, Obdachlosen, aber auch von den Pendlern aus der Uhrenindustrie. Beide Bahnhöfe leiden unter regelmässigem Vandalismus, unter den kleinstädtischen Jugendlichen so etwas wie eine allgemeine Abendunterhaltung. Übrigens gehört der Bahnhof der BLS. Schärer schliesst ihnen den Diensteingang zu den ungenutzten Nebenräumen auf, vier Räume, insgesamt 150 qm, Putzzeug steht rum, Fahrräder, Kaffeemaschine, früher gab es hier noch einen Erst-, Zweit- und Drittklass-Warteraum. Sorgsame Holzvertäfelung, hohe Decken, Baubeginn 1911. Im Keller riecht es nach Maschinenöl, der ehemalige Relais-Raum ist voller Spinnweben, Heizungskeller mit Öltank, Kellerparzellen und Waschküche für die Privatanlieger. Oben drüber liegen drei Privatwohnungen mit identischem Grundriss. Bahnhof Kerzers, Dienstag, Ankunft 17.10 Uhr. Auch hier: Der alte Bahnhof ist ausrangiert, und der Kundenservice findet im seriell entwickelten Beton- und Glashäuschen statt. Die gute Seele des Bahnhofs heisst Rudolf Lengacher, ehemaliger Bahnhofsvorsteher, „aber das war mal,

jetzt steht unter meiner Lohnabrechnung: Mitarbeiter, Verkauf“. Bis vor drei Jahren ging es darum, sich um den Bahnhof zu kümmern, und man musste die Stellwerke bedienen, also in jeder Sekunde bei der Sache sein, Signale setzen, alles. Jetzt geht’s darum, den Leuten Sprachreisen nach Australien zu verkaufen oder einen Besuch an der Moskauer Staatsoper. Der Zugverkehr wird zentral von Olten aus geregelt. „Wissen Sie, mir altem Eisenbahner tun diese Entwicklungen im Herzen weh. Man müsste das ganze Gesellschaftssystem umbauen: Derjenige, der am wenigsten Energie verbraucht, am bescheidensten ist und keine riesigen Aufrüstungen braucht, sollte belohnt werden, und nicht andersrum. Aber Ihr seid richtig gewickelt: Rührt mal ordentlich durch den Brei, das braucht es!“ Hinterm Stellwerk liegt ein Elektrizitätswerk, davor auf dem Abstellgleis ein Wagen mit einer Vorrichtung, um die Oberleitungen zu reparieren. Noch weiter südlich: die Glasfassade des SBB-Museums. Schwarze Katze überquert die Gleise. Gegenüber das ehemalige Bahnhofshotel, steht jetzt leer, links ist eine Beiz drin, jetzt am frühen Abend kann man dort die Luft in Blöcke schneiden, Zigarren-, Zigarettenqualm, Pizzaduft, scharfer, aufdringlicher Salatsaucengeruch, neben den Studenten feiern siebzehnjährige Landpomeranzen einen Mädchengeburtstag, teilen sich eine Calzone Funghi, trinken Bier mit Grenadine. Die Studenten wagen es, ein Fenster zur Strasse hin zu öffnen, ernten misstrauische Blicke. Draussen hält ein Traktor vor der Valliant-Bank, ein junger Stiernacken springt vom Sitz, geht sich Geld ziehen. Bahnhof St. Maurice, Mittwoch, Ankunft 15.30 Uhr; etwas wolkiger und kühler. Südlich erheben sich die nebligen Felswände, östlich zieht sich die Gleislinie entlang der Talsohle tiefer ins Wallis, und nördlich hinter dem Städtchen erstreckt sich das Schneebergmassiv Dents du Forcles. Die Luft ist dünn. Auf Gleis 1: Adriano Café, Atmosphäre: Pariser Vorort, Arbeiter- und Rotlichtquartier, viele junge Soldaten, die nach Hause fahren oder Zwischenstation haben, Boxer-Bier, Panton-Sessel, türkisene Chiffon-Gardinen, sehr verraucht; am nächsten Tag legt auf der Caféterrasse um 11.24 Uhr eine

Walliser Blaskappelle los. Auf der Terrasse steht die bronzene Gondola „St. Tropez“. Nach einer Lücke für den Treppenabstieg ins Städtchen beginnt das Bahnhofsgebäude: hinterer Teil bereits umgenutzt als Coiffeur-Salon, vorderer Teil: abgeschlossene Wartehalle, 30 qm, sehr hell, hohe Scheiben, impressionistisches Bild, auf dem so etwas wie die Geschichte der Dampflokomotive abgebildet ist, Stuckatur an der Decke. Nächster Raum steht leer, 70 qm, Lager für Kartons mit Reise-Broschüren, Gepäck, viele Schränke, Kaffeeautomat, Waage. Bahnhof Steffisburg, Tag der Arbeit, Ankunft, 16.45 Uhr; sonnig. Der Bahnhof steht frei, mitten im Emmentaler Land, rechts und links Wiesen, der blühende Löwenzahn, während der Zugfahrt schmelzen die einzelnen Köpfe zu einem homogenen Gelb. Kuhglocken. Das Stationshäuschen wirkt, als hätte das Bahnhofspersonal das Gebäude fluchtartig verlassen. Ein vergilbter Abreisskalender liegt auf dem Schreibtisch, letzter Tag: 26. August – welchen Jahres? Eine neongelbe Schienenarbeiterjacke sieht hingegen aus wie grad erst dort abgelegt. Büroraumgrundfläche etwa 50 qm, geräumige Schreibtischplatten, bäuerliche Holzstühle, massives Hartholz, Telefonapparate, Notiz­ blöcke, Kugelschreiber, alles liegt noch griffbereit. Dahinter beginnt die Lagerhalle. Davor: Ein Waggon, auf dessen Dach ein VW-Käfer vor sich hinrostet, umkränzt von einem matt blinkenden Lichterkettenschlauch. Über den Schienen: ein Betonplatz, drauf parkt ein weisser, verwitterter Zirkuswagen. Kies- und Salzdepot. Der Warteraum ist geschlossen seit dem 2.08.2005. Die Wartebank draussen ist mit Sitzheizungsplatten ausgestattet. Bahnhof Rheineck, 2.Mai, Ankunft 13.50 Uhr; sonnig. Serielles Glas- und Betonhäuschen, der alte Bahnhof ist unbewohnt, Baujahr: 1906. Die Bahnhofsfenster sind verrammelt mit Metallrahmen und Stacheldraht. Die Türen lassen sich leicht aufdrücken. An die Scheibe geklebt, weisses DINA3-Papier: „Herzlichen Dank für die gigantische Spende für unseren Club. Gebrüder Kopfschuss,

Dada und Ada.“ Der Boden wurde rausgerissen und teils mit Gartenterrassenplatten ausgelegt. Tapeten wurden heruntergerissen, und die offenen Betonwände sind behängt mit dicken schwarzen und orangefarbenen Plastikfolien. Im nächsten Raum: herrschaftliche Spiegel, geschnitzte Holzrahmen, zwei Meter hoch. Deckenhöhe: fünf Meter. An die Mieter der Liegenschaft: „Bitte die bestehenden Stromanschlüsse nicht benützen, Kurzschluss und Brandgefahr. Immobilien-Lechner.“ Entlang dem nächsten Raum führt ein kleiner Kreuzgang, die Räume sind durch Rundbögen verbunden. Säulen, Stuckatur an der Decke, ein Ofen aus geschliffenem Marmor. Überall Bohrungen in die alte Bausubstanz, jemand hat hier gewütet.

Brainstorming im Medienkloster Diese Reisedokumentation diente als Basis eines Brainstormings, der während drei Tagen in unserem Medienkloster in den Vogesen stattfand. In dieser kurzen Zeit vermochte ein aus Beteiligten von mehreren Hochschulen und Disziplinen zusammengewürfeltes Team eine eindrückliche Bandbreite von Szenarien zu entwickeln. Erst in diesem Workshop wurde uns die Möglichkeit einer zweischichtigen Bespielung des WerkNetzes bewusst: Einer digital erweiterten, handwerklichen Einzelstückproduktion und deren Vermarktung, verbunden mit der Darstellung regionaler Qualitäten, Anliegen und Kompetenzen aus dem Bereich der Nachhaltigkeit. Fünf der spannendsten Ansätze folgen hier.

Clusterkonzept SlowBio Dieser Cluster handelt von Biofood und Botanik, von nachhaltiger Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung. Zur Darstellung sollten diese Inhalte mit der gebotenen Sinnlichkeit vermittelt werden, beispielsweise durch eine Gourmet-Expo mit regionalen Produkten vom Absinth bis zum Alpkäse, während im Bahnhofsbuffet Spezialitäten aus allen Kantonen der Schweiz angeboten würden.

Eine Finanzierung könnte durch die Restauration und Kochkurse, durch den Verkauf von Spezialitäten sowie durch PR-Budgets der Trägerschaft geschehen. Wir rechnen mit einer Beteiligung von Landwirtschaftsverbänden und der Lebensmittelindustrie, vom Bundesamt für Gesundheit BAG und dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW, von Hotelfachschulen und dem Wellness-Tourismus. Als Standort würde sich der Kanton Tessin mit seiner hohen Lebensqualität und seiner vitalen Natur anbieten. Clusterkonzept Energetix Dieser Cluster hat sich die nachhaltige Energienutzung auf die Fahne geschrieben; dazu gehören Minergiekonzepte und ihre Produkte, erneuerbare Energieformen, Beleuchtung und Heizung. Eine Finanzierung dieses Clusters kann über den Verkauf von Recycling-, Holz- und Energiesparprodukten sowie durch diverse Kommunikationsbudgets erfolgen. Als Trägerschaft könnten der Verein öffentlicher Verkehr VöV, die Bundesämter für Energie BFE, Umwelt BAFU, Verkehr BAV und Hochschulinstitute aus dem Minergiebereich wirken. Eine hochalpine Lage ist wünschenswert, ideal wäre Göschenen, wo brisante Umweltaspekte live als Bühne wirken: Wasserkraft, Verkehr, Erosion. Ebenfalls könnte das Bildungsvorhaben „Wasserwelten“ als attraktiver Partner wirken. Clusterkonzept UpCycle Gezeigt werden könnten das Recycling als Upgrading und die entsprechenden Künste des AdHoc-Design; der nachhaltige Materialeinsatz, insbesondere von Holz, aber durchaus auch der gekonnte Umgang mit Sondermüll. Eine Sammlung historischer und aussereuropäischer Umnutzungsbeispiele sowie attraktiver Recyclingmaterialien könnte das reichhaltige Clusterangebot abrunden. Als Standort wäre eine stadtnahe Lage erwünscht, wo die Wegwerfmentalität besonders verheerend wirkt. Die Finanzierung könnte durch den Verkauf exemplarischer Recyclingprodukte und durch Dienstleistungen im Bereich innovativer Um-

nutzungsfragen gesichert werden. Dazu gehören auch die Durchführung von Kreativseminaren und der Aufbau eines Oxfam-Tauschmodells. Die Relevanz der gezeigten Anliegen verspricht erhebliche Kommunikationsmittel der Trägerschaft. Dazu gehören die Recyclingindustrie, Holzwirtschaft, das Bundesamt für Umwelt BAFU, SfGs und HGKs sowie Institute aus dem Umweltbereich. Clusterkonzept SportStationLab Geboten würde eine populäre Sondershow technischer FH-Studiengänge mit Exponaten wie Betonkanus, Solar-Racer, Flugdrachen etc., die so indirekt über Smart Materials und minimalen Materialeinsatz berichten könnten. Ferner liesse sich dieser Cluster für Marketingstudien zur Akzeptanz experimenteller Sportartikel sowie als Kommunikationsplattform für Sport und Fitness und den Sporttourismus nutzen. Einnahmen aus dem Verleih und Verkauf innovativer Sportausrüstungen mit hohem Experimentalcharakter und einem auf die regionale und saisonale Situation abgestimmten Angebotsmix liessen sich durch die erheblichen Werbemittel von Sportausrüstern, Fitnessclubs und Kurorten noch erweitern. Ebenfalls zur Unterstützung liessen sich wohl Sportverbände, die regionale Tourismusförderung, das Bundesamt für Sport BASPO, die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt EMPA sowie Studiengänge aus den Materialwissenschaften einbinden. Die Vielfalt des sportlichen Angebots der Schweiz lässt sich kaum in einem einzigen Bahnhof verdichten – bei diesem Cluster wirkt eine dezentrale Strategie von vielen Standorten mit regional angepassten Warenangeboten geeigneter. In Ergänzung dazu könnte sich der Aufbau eines Cluster-Kernstandorts in Magglingen als sinnvoll erweisen. Clusterkonzept SouvenirFabbing Mit diesem Cluster würde der weltbekannte Claim des “Swiss Design” neu erfunden. Solch ein Cluster könnte als Hochschul-Schaufenster für studentische Produktentwürfe und Start-ups von Jungdesignern wirken, sowie als eine For-

schungsplattform zur Einzelstückproduktion. Nutzen liesse er sich für Live-Vorführungen zum Einsatz von Hightech-Geräten bei der Anpassung von Schweizer Klassikern (Taschenmesser, Uhren) an Kundenwünsche; doch liessen sich auch Teppiche und Foulards algorithmisch weben sowie generative Entwurfsmethoden bei der Gestaltung von Schreibgeräten, Lampen und Vasen nutzen. Neben dem Verkauf solcher Artikel besteht die eigentliche Absicht in der Nachwuchswerbung für produktionsorientierte KMU – Schulausflüge mit der Anfassbarkeit als Erlebnisqualität sollen ermöglicht werden, im Sinne eines Exploratoriums. Insgesamt würde dieser dezentrale Gründerpark des Clusters den Produktionsstandort Schweiz in ein neues Licht setzen. Designhochschulen könnten sich im Sinne einer ausgelagerten, gemeinsam getragenen Produktion an der Finanzierung dieses Clusters beteiligen; Venture-Capital, die Stiftung Science & Cité, Instanzen der Tourismusförderung sowie Firmen der Maschinenindustrie liessen sich ebenfalls als Trägerschaft gewinnen. Als Hauptstandort wäre ein touristisch gut erschlossener Bahnhof am Vierwaldstättersee geeignet; ergänzend dazu würden die Aussenstellen in jedem WerkNetz-Bahnhof wirken, wo die wichtigsten Designangebote vertrieben würden. Fazit Die geneigte Leserin erkennt, dass das WerkNetz dank seiner Clusterkonzepte gesellschaftlich relevante Inhalte mit einer tragfähigen ökonomischen Basis auszustatten weiss. Auf diese Weise kann unsere Absicht erreicht werden, mit dem WerkNetz Erfahrungen und Anregungen zum gesellschaftlichen Aufbau einer nachhaltigen Zivilisation unter postindustriellen Rahmenbedingungen zu liefern.


Offen angelegte Recherche Nachdem die SBB im Februar 2008 unser Institut HyperWerk angefragt hatte, ob wir Konzepte für eine Umnutzung leerstehender Bahnhofgebäude entwickeln könnten, haben wir eine offen angelegte Recherche, von einer Prozessdramaturgie bis hin zur Ideenfindung vorgeschlagen und daraufhin einen entsprechenden Auftrag erhalten. Um ihn einzulösen, haben wir zwei studentische Beobachtungsgruppen von je drei Personen ausgeschickt, die für die Dokumentationsbereiche Foto, Video und Text zuständig waren. Sie sollten während einer Woche durch die schweizerische Bahnhofswelt fahren, möglichst immer im Bahnhofhotel übernachten und im Buffet essen, um eine aktuelle Zustandsbeschreibung der Bahnwelt zu liefern. Es folgt der stark gekürzte Reisebericht von Luke J. Wilkins, der als Student des Studiengangs für Literarisches Schreiben in Biel das zweite unserer Expeditionsteams begleitet hat. Sie kamen bis Rheineck Bahnhof Münchenstein, Ende April, Dienstag, Ankunft 9.25 Uhr; heiter, etwas wolkig. Der Bahnhof Münchenstein wurde komplett umgebaut, atomkriegsresistentes Waschbetonhäuschen, Unterführung, serielle Architektur, die drei Automaten Billet, Selecta, Passfotos haben das Personal komplett ersetzt. Jeden dritten Tag kommt einer von Railclean, sammelt den Müll auf, fegt bisschen über den Bahnsteig („Ich mache pro Tag um die zehn Bahnhöfe“), einer von Selecta, der die Süssigkeiten nachfüllt, einer, der die Billetrollen und Geldkassetten auswechselt („bin SBB-Angesteller, Berufsbezeichung: Automaten-Service Nordwestschweiz“). Im weiteren Umfeld: Viel Industrie, Stromwerk, die Beierdsorf AG (Glashalden, Gletscheratmosphäre, Kaliglas, Trilon) und die ehemalige Walzwerk AG, wo vorgemacht wird, wie man ein riesiges Fabrik­ areal umnutzt: Partylokalitäten, Krippenwerkstatt, Spielgruppe, Fitness-Center, Yogaraum, Off-Theater, zum Restaurant und zur Espressobar umgenutzter Zugwaggon, Clubs: Walzwerk und Erster Stock; Montagehalle, in der junge, bunt gekleidete Menschen im Auftrag von namhaften Künstlern Skulptur-Rohlinge für die Art Basel herstellen. Nordöstlich hügelan liegt der alte Kern des Städtchens, Burgruine, ganz östlich auf der bewaldeten Hügelkuppe blinkt zwischen den Bäumen eine rot-weiss gestrichene Kapelle im Sonnenlicht.

Bahnhof Grenchen Nord, Dienstag, Ankunft 14.34 Uhr. „Wegen Vandalismus bleibt der Wartesaal ausserhalb unserer Öffnungszeiten geschlossen.“ - Gegenüber: Stadtpolizei, Zivilschutz, Feuerwehr. Bahnhofspersonal: Peter Schärer und sein Lehrling. Schärer, etwa im gleichen Alter wie die Studenten, zeigt sich kooperativ, die Lage des Bahnhofs sei halt sehr schwierig, kaum Laufkundschaft, Grenchen Süd sei belebter, aller­ dings teils von den Randständigen, Drögelern, Alkies, Obdachlosen, aber auch von den Pendlern aus der Uhrenindustrie. Beide Bahnhöfe leiden unter regelmässigem Vandalismus, unter den kleinstädtischen Jugendlichen so etwas wie eine allgemeine Abendunterhaltung. Übrigens gehört der Bahnhof der BLS. Schärer schliesst ihnen den Diensteingang zu den ungenutzten Nebenräumen auf, vier Räume, insgesamt 150 qm, Putzzeug steht rum, Fahrräder, Kaffeemaschine, früher gab es hier noch einen Erst-, Zweit- und Drittklass-Warteraum. Sorgsame Holzvertäfelung, hohe Decken, Baubeginn 1911. Im Keller riecht es nach Maschinenöl, der ehemalige Relais-Raum ist voller Spinnweben, Heizungskeller mit Öltank, Kellerparzellen und Waschküche für die Privatanlieger. Oben drüber liegen drei Privatwohnungen mit identischem Grundriss. Bahnhof Kerzers, Dienstag, Ankunft 17.10 Uhr. Auch hier: Der alte Bahnhof ist ausrangiert, und der Kundenservice findet im seriell entwickelten Beton- und Glashäuschen statt. Die gute Seele des Bahnhofs heisst Rudolf Lengacher, ehemaliger Bahnhofsvorsteher, „aber das war mal,

jetzt steht unter meiner Lohnabrechnung: Mitarbeiter, Verkauf“. Bis vor drei Jahren ging es darum, sich um den Bahnhof zu kümmern, und man musste die Stellwerke bedienen, also in jeder Sekunde bei der Sache sein, Signale setzen, alles. Jetzt geht’s darum, den Leuten Sprachreisen nach Australien zu verkaufen oder einen Besuch an der Moskauer Staatsoper. Der Zugverkehr wird zentral von Olten aus geregelt. „Wissen Sie, mir altem Eisenbahner tun diese Entwicklungen im Herzen weh. Man müsste das ganze Gesellschaftssystem umbauen: Derjenige, der am wenigsten Energie verbraucht, am bescheidensten ist und keine riesigen Aufrüstungen braucht, sollte belohnt werden, und nicht andersrum. Aber Ihr seid richtig gewickelt: Rührt mal ordentlich durch den Brei, das braucht es!“ Hinterm Stellwerk liegt ein Elektrizitätswerk, davor auf dem Abstellgleis ein Wagen mit einer Vorrichtung, um die Oberleitungen zu reparieren. Noch weiter südlich: die Glasfassade des SBB-Museums. Schwarze Katze überquert die Gleise. Gegenüber das ehemalige Bahnhofshotel, steht jetzt leer, links ist eine Beiz drin, jetzt am frühen Abend kann man dort die Luft in Blöcke schneiden, Zigarren-, Zigarettenqualm, Pizzaduft, scharfer, aufdringlicher Salatsaucengeruch, neben den Studenten feiern siebzehnjährige Landpomeranzen einen Mädchengeburtstag, teilen sich eine Calzone Funghi, trinken Bier mit Grenadine. Die Studenten wagen es, ein Fenster zur Strasse hin zu öffnen, ernten misstrauische Blicke. Draussen hält ein Traktor vor der Valliant-Bank, ein junger Stiernacken springt vom Sitz, geht sich Geld ziehen. Bahnhof St. Maurice, Mittwoch, Ankunft 15.30 Uhr; etwas wolkiger und kühler. Südlich erheben sich die nebligen Felswände, östlich zieht sich die Gleislinie entlang der Talsohle tiefer ins Wallis, und nördlich hinter dem Städtchen erstreckt sich das Schneebergmassiv Dents du Forcles. Die Luft ist dünn. Auf Gleis 1: Adriano Café, Atmosphäre: Pariser Vorort, Arbeiter- und Rotlichtquartier, viele junge Soldaten, die nach Hause fahren oder Zwischenstation haben, Boxer-Bier, Panton-Sessel, türkisene Chiffon-Gardinen, sehr verraucht; am nächsten Tag legt auf der Caféterrasse um 11.24 Uhr eine

Walliser Blaskappelle los. Auf der Terrasse steht die bronzene Gondola „St. Tropez“. Nach einer Lücke für den Treppenabstieg ins Städtchen beginnt das Bahnhofsgebäude: hinterer Teil bereits umgenutzt als Coiffeur-Salon, vorderer Teil: abgeschlossene Wartehalle, 30 qm, sehr hell, hohe Scheiben, impressionistisches Bild, auf dem so etwas wie die Geschichte der Dampflokomotive abgebildet ist, Stuckatur an der Decke. Nächster Raum steht leer, 70 qm, Lager für Kartons mit Reise-Broschüren, Gepäck, viele Schränke, Kaffeeautomat, Waage. Bahnhof Steffisburg, Tag der Arbeit, Ankunft, 16.45 Uhr; sonnig. Der Bahnhof steht frei, mitten im Emmentaler Land, rechts und links Wiesen, der blühende Löwenzahn, während der Zugfahrt schmelzen die einzelnen Köpfe zu einem homogenen Gelb. Kuhglocken. Das Stationshäuschen wirkt, als hätte das Bahnhofspersonal das Gebäude fluchtartig verlassen. Ein vergilbter Abreisskalender liegt auf dem Schreibtisch, letzter Tag: 26. August – welchen Jahres? Eine neongelbe Schienenarbeiterjacke sieht hingegen aus wie grad erst dort abgelegt. Büroraumgrundfläche etwa 50 qm, geräumige Schreibtischplatten, bäuerliche Holzstühle, massives Hartholz, Telefonapparate, Notiz­ blöcke, Kugelschreiber, alles liegt noch griffbereit. Dahinter beginnt die Lagerhalle. Davor: Ein Waggon, auf dessen Dach ein VW-Käfer vor sich hinrostet, umkränzt von einem matt blinkenden Lichterkettenschlauch. Über den Schienen: ein Betonplatz, drauf parkt ein weisser, verwitterter Zirkuswagen. Kies- und Salzdepot. Der Warteraum ist geschlossen seit dem 2.08.2005. Die Wartebank draussen ist mit Sitzheizungsplatten ausgestattet. Bahnhof Rheineck, 2.Mai, Ankunft 13.50 Uhr; sonnig. Serielles Glas- und Betonhäuschen, der alte Bahnhof ist unbewohnt, Baujahr: 1906. Die Bahnhofsfenster sind verrammelt mit Metallrahmen und Stacheldraht. Die Türen lassen sich leicht aufdrücken. An die Scheibe geklebt, weisses DINA3-Papier: „Herzlichen Dank für die gigantische Spende für unseren Club. Gebrüder Kopfschuss,

Dada und Ada.“ Der Boden wurde rausgerissen und teils mit Gartenterrassenplatten ausgelegt. Tapeten wurden heruntergerissen, und die offenen Betonwände sind behängt mit dicken schwarzen und orangefarbenen Plastikfolien. Im nächsten Raum: herrschaftliche Spiegel, geschnitzte Holzrahmen, zwei Meter hoch. Deckenhöhe: fünf Meter. An die Mieter der Liegenschaft: „Bitte die bestehenden Stromanschlüsse nicht benützen, Kurzschluss und Brandgefahr. Immobilien-Lechner.“ Entlang dem nächsten Raum führt ein kleiner Kreuzgang, die Räume sind durch Rundbögen verbunden. Säulen, Stuckatur an der Decke, ein Ofen aus geschliffenem Marmor. Überall Bohrungen in die alte Bausubstanz, jemand hat hier gewütet.

Brainstorming im Medienkloster Diese Reisedokumentation diente als Basis eines Brainstormings, der während drei Tagen in unserem Medienkloster in den Vogesen stattfand. In dieser kurzen Zeit vermochte ein aus Beteiligten von mehreren Hochschulen und Disziplinen zusammengewürfeltes Team eine eindrückliche Bandbreite von Szenarien zu entwickeln. Erst in diesem Workshop wurde uns die Möglichkeit einer zweischichtigen Bespielung des WerkNetzes bewusst: Einer digital erweiterten, handwerklichen Einzelstückproduktion und deren Vermarktung, verbunden mit der Darstellung regionaler Qualitäten, Anliegen und Kompetenzen aus dem Bereich der Nachhaltigkeit. Fünf der spannendsten Ansätze folgen hier.

Clusterkonzept SlowBio Dieser Cluster handelt von Biofood und Botanik, von nachhaltiger Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung. Zur Darstellung sollten diese Inhalte mit der gebotenen Sinnlichkeit vermittelt werden, beispielsweise durch eine Gourmet-Expo mit regionalen Produkten vom Absinth bis zum Alpkäse, während im Bahnhofsbuffet Spezialitäten aus allen Kantonen der Schweiz angeboten würden.

Eine Finanzierung könnte durch die Restauration und Kochkurse, durch den Verkauf von Spezialitäten sowie durch PR-Budgets der Trägerschaft geschehen. Wir rechnen mit einer Beteiligung von Landwirtschaftsverbänden und der Lebensmittelindustrie, vom Bundesamt für Gesundheit BAG und dem Bundesamt für Landwirtschaft BLW, von Hotelfachschulen und dem Wellness-Tourismus. Als Standort würde sich der Kanton Tessin mit seiner hohen Lebensqualität und seiner vitalen Natur anbieten. Clusterkonzept Energetix Dieser Cluster hat sich die nachhaltige Energienutzung auf die Fahne geschrieben; dazu gehören Minergiekonzepte und ihre Produkte, erneuerbare Energieformen, Beleuchtung und Heizung. Eine Finanzierung dieses Clusters kann über den Verkauf von Recycling-, Holz- und Energiesparprodukten sowie durch diverse Kommunikationsbudgets erfolgen. Als Trägerschaft könnten der Verein öffentlicher Verkehr VöV, die Bundesämter für Energie BFE, Umwelt BAFU, Verkehr BAV und Hochschulinstitute aus dem Minergiebereich wirken. Eine hochalpine Lage ist wünschenswert, ideal wäre Göschenen, wo brisante Umweltaspekte live als Bühne wirken: Wasserkraft, Verkehr, Erosion. Ebenfalls könnte das Bildungsvorhaben „Wasserwelten“ als attraktiver Partner wirken. Clusterkonzept UpCycle Gezeigt werden könnten das Recycling als Upgrading und die entsprechenden Künste des AdHoc-Design; der nachhaltige Materialeinsatz, insbesondere von Holz, aber durchaus auch der gekonnte Umgang mit Sondermüll. Eine Sammlung historischer und aussereuropäischer Umnutzungsbeispiele sowie attraktiver Recyclingmaterialien könnte das reichhaltige Clusterangebot abrunden. Als Standort wäre eine stadtnahe Lage erwünscht, wo die Wegwerfmentalität besonders verheerend wirkt. Die Finanzierung könnte durch den Verkauf exemplarischer Recyclingprodukte und durch Dienstleistungen im Bereich innovativer Um-

nutzungsfragen gesichert werden. Dazu gehören auch die Durchführung von Kreativseminaren und der Aufbau eines Oxfam-Tauschmodells. Die Relevanz der gezeigten Anliegen verspricht erhebliche Kommunikationsmittel der Trägerschaft. Dazu gehören die Recyclingindustrie, Holzwirtschaft, das Bundesamt für Umwelt BAFU, SfGs und HGKs sowie Institute aus dem Umweltbereich. Clusterkonzept SportStationLab Geboten würde eine populäre Sondershow technischer FH-Studiengänge mit Exponaten wie Betonkanus, Solar-Racer, Flugdrachen etc., die so indirekt über Smart Materials und minimalen Materialeinsatz berichten könnten. Ferner liesse sich dieser Cluster für Marketingstudien zur Akzeptanz experimenteller Sportartikel sowie als Kommunikationsplattform für Sport und Fitness und den Sporttourismus nutzen. Einnahmen aus dem Verleih und Verkauf innovativer Sportausrüstungen mit hohem Experimentalcharakter und einem auf die regionale und saisonale Situation abgestimmten Angebotsmix liessen sich durch die erheblichen Werbemittel von Sportausrüstern, Fitnessclubs und Kurorten noch erweitern. Ebenfalls zur Unterstützung liessen sich wohl Sportverbände, die regionale Tourismusförderung, das Bundesamt für Sport BASPO, die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt EMPA sowie Studiengänge aus den Materialwissenschaften einbinden. Die Vielfalt des sportlichen Angebots der Schweiz lässt sich kaum in einem einzigen Bahnhof verdichten – bei diesem Cluster wirkt eine dezentrale Strategie von vielen Standorten mit regional angepassten Warenangeboten geeigneter. In Ergänzung dazu könnte sich der Aufbau eines Cluster-Kernstandorts in Magglingen als sinnvoll erweisen. Clusterkonzept SouvenirFabbing Mit diesem Cluster würde der weltbekannte Claim des “Swiss Design” neu erfunden. Solch ein Cluster könnte als Hochschul-Schaufenster für studentische Produktentwürfe und Start-ups von Jungdesignern wirken, sowie als eine For-

schungsplattform zur Einzelstückproduktion. Nutzen liesse er sich für Live-Vorführungen zum Einsatz von Hightech-Geräten bei der Anpassung von Schweizer Klassikern (Taschenmesser, Uhren) an Kundenwünsche; doch liessen sich auch Teppiche und Foulards algorithmisch weben sowie generative Entwurfsmethoden bei der Gestaltung von Schreibgeräten, Lampen und Vasen nutzen. Neben dem Verkauf solcher Artikel besteht die eigentliche Absicht in der Nachwuchswerbung für produktionsorientierte KMU – Schulausflüge mit der Anfassbarkeit als Erlebnisqualität sollen ermöglicht werden, im Sinne eines Exploratoriums. Insgesamt würde dieser dezentrale Gründerpark des Clusters den Produktionsstandort Schweiz in ein neues Licht setzen. Designhochschulen könnten sich im Sinne einer ausgelagerten, gemeinsam getragenen Produktion an der Finanzierung dieses Clusters beteiligen; Venture-Capital, die Stiftung Science & Cité, Instanzen der Tourismusförderung sowie Firmen der Maschinenindustrie liessen sich ebenfalls als Trägerschaft gewinnen. Als Hauptstandort wäre ein touristisch gut erschlossener Bahnhof am Vierwaldstättersee geeignet; ergänzend dazu würden die Aussenstellen in jedem WerkNetz-Bahnhof wirken, wo die wichtigsten Designangebote vertrieben würden. Fazit Die geneigte Leserin erkennt, dass das WerkNetz dank seiner Clusterkonzepte gesellschaftlich relevante Inhalte mit einer tragfähigen ökonomischen Basis auszustatten weiss. Auf diese Weise kann unsere Absicht erreicht werden, mit dem WerkNetz Erfahrungen und Anregungen zum gesellschaftlichen Aufbau einer nachhaltigen Zivilisation unter postindustriellen Rahmenbedingungen zu liefern.


Schneegrad Cécile Karlen / Institut HyperWerk HGK FHNW «Wie können durch Umnutzung/Umgestaltung von ausgedienten Werkstoffen/Objekten mittels Handwerk/Technologie, und unter Berücksichtigung von ökologischen Kriterien, neue Designprodukte kreiert werden?» Diese Fragestellung bildet die Ausgangslage für Schneegrad, mein Bachelorprojekt im Institut HyperWerk HGK FHNW in Basel. Statt ein Produkt von Grund auf aus neuen Rohstoffen industriell zu produzieren, nutzt Schneegrad vorhandenes Material: Snowboards, die ausgedient haben und ihr Dasein nun in dunklen Kellern oder auf staubigen Dachböden fristen, um ihr Ende irgendwann auf dem Sperrmüll zu finden. Schneegrad verwertet diese Altware, die bunt, vielfältig und robust ist und deren Kratzer und Schrammen nicht als unschön oder störend anzusehen sind. Vielmehr sind sie eine Bereicherung, denn sie zeugen von vergangenen Erlebnissen und geben jedem Brett neben seinem Design einen unverwechselbaren Charakter, wie auch das Leben in unseren Gesichtern Spuren hinterlässt. Diese Individualität bringt Schneegrad in Brettspielen und Design-Puzzles zur Geltung. Die Vielfalt der sich durch Farbe, Design und Haptik unterscheidenden Bretter macht aus jedem dieser Objekte ein originelles und unverwechselbares Einzelstück. Als gelernte Grafikerin galten meine Interessen vor und während HyperWerk vor allem der Gestaltung. Mir war von Beginn an klar, dass mein Diplomprojekt im Bereich Design angesiedelt sein und eher auf ein haptisches Produkt hinauslaufen soll. Zudem sind mir die Themen Umwelt und Recycling sehr wichtig. Inspiration zu meinem Projekt war in dieser Hinsicht unter anderem auch die Firma Freitag mit ihren Taschen aus alten LKW-Planen und die Sattlerei Karlen in Törbel, welche von meinem Cousin geführt wird. Aus alten Armeewolldecken werden in diesem kleinen Walliser Bergdorf Taschen und viele weitere Produkte hergestellt, natürlich alles in Handarbeit. Mein Bezug zum Wintersport und das Aufwachsen mit Ski- und Snowboard-Fahren in den Walliser Alpen brachten mich bald einmal auf die Idee, diese “Bretter“ für mein Vorhaben zu nutzen. Dadurch, dass die Region an der französischitalienischen Grenze der Schweiz vom Tourismus und vom Wintersport lebt, kann bei der Materialbeschaffung auf etliche Sportgeschäfte zurückgegriffen werden. Auch hat praktisch ein jeder, ob jung oder alt, ein paar Ski oder ein Snowboard im Keller stehen, was natürlich ideale Voraussetzungen für mein Projekt und mein unternehmerisches Vorhaben sind. Mein Ziel und das meines Teams von Hyper­ Werk-Studenten war es, bis zum Ende des ­Diplomjahres eine Sammlung von Prototypen zu präsentieren. Bei der Ausführung der ­Diplommodelle beschränkten wir uns auf drei

Sparten: Klassische Brettspiele wie Halma, Mühle oder Eile mit Weile, einfache Puzzles (Tierkörper und Schneeflocken), sowie “Knobelpuzzles“ mit abstrakten Formen. Die Puzzles bestehen aus Einzelteilen, die zu plastischen Objekten zusammensteckbar sind. Die Modelle, die in diesen Segmenten nun entstanden sind, sind ergänz- und erweiterbare Beispiele, welche die Möglichkeiten der Wiederverwertung von ausgedienten Snowboards aufzeigen. Die Schneegrad-Spiele sind mehr als nur Designobjekte. Sie sind die Verwandlung ausrangierter Dinge in neue, individuelle und einzigartige Produkte mit einer ganz eigenen ­Ä sthetik und einem emotionalen Wert, denn wir möchten dem Konsumenten die Möglichkeit bieten, die gleichen Produkte aus einem eigenen alten Board herstellen zu lassen. Der Bezug zu dem Board, das seiner eigentlichen Funktion enthoben wurde und aus dem der Kunde nun ein ästhetisches Objekt zurückerhält, macht diesen Gegenstand für den Besitzer zu etwas Besonderem. Dieser Bezug bildet auch den Kern der Geschäftsidee, die aus diesem Projekt resultiert. Neben einem soliden Businessplan soll nach Abschluss des Diplomjahres eine Produktwebsite aufgesetzt werden. Diese enthält eine Applikation, mit welcher Kunden sich SchneegradSpiele oder Tierpuzzles mit ein paar Klicks aus den farbigen Boards zusammenstellen können. Bei den Schneeflockenpuzzles soll der Besucher der Website spielerisch eigene Formen generieren können, welche in die Produktion einfliessen und das Objekt neben Farbe und Muster noch zusätzlich durch seine Form als Unikat auszeichnen. Zusätzlich Die Möglichkeit des Recyclings des eigenen Snowboards oder der eigenen Ski und auch der aktive Eingriff des Konsumenten in die Gestaltung der Produkte geben dem Objekt einen individuelleren Touch und werten es emotional auf, was einen sorgfältigeren und dadurch nachhaltigeren Umgang mit dem Produkt zur Folge hat.

Daktylogrammieren Monika Schedler / HBK Hamburg Der praktische Gebrauchswert eines Produkts scheint für den Konsumenten von heute weniger wichtig zu sein als die damit verbundenen Botschaften. Ein Produkt soll für den Besitzer sprechen – es sagt, dass man jemand ist und wer man ist oder wer man sein möchte – und festigt so das Selbstbild. Diesem Bedürfnis kommen immer mehr Firmen entgegen, indem sie individualisierte Massenprodukte anbieten. Das äquivalente Produktionsprinzip dazu nennt sich „Mass Costumization“. Massenhaft hergestellte Konsumartikel durch leichte parametrisierte Anpassungen zu personalisierten Unikaten zu erheben ist das Ziel dieser Herstellungsmethode. Mittlerweile kann sich fast jeder einen „individuellen“ Turnschuh leisten, sich seine „persönliche“ Uhr kreieren lassen, das „auf den eigenen Körper abgestimmte“ Kosmetikprodukt bestellen oder sich die Tagesnachrichten individuell filtern lassen. Es stellt sich die Frage, ob diese Konsumartikel tatsächlich in irgendeinem relevanten Sinn individuell sind. Welcher Bezug besteht denn eigentlich zwischen dem vermeintlich einzigartigen Objekt und seinem Besitzer? Die konzeptionelle Arbeit Der daktylogrammierte Gegenstand greift diese Fragen auf und stellt das Phänomen des individualisierten Produkts in den Mittelpunkt. Das Kunstwort „daktylogrammiert“ impliziert, was es mit den Objekten dieser Arbeit auf sich hat: Ihre Gestalt wird durch die computergesteuerte Umwandlung eines „Kunden-Fingerabdrucks“ festgelegt. Dies geschieht mit einem herkömmlichen Fingerabdruck-Scanner, der die Struktur des hochkomplexen Körperteils aufnimmt. Das Gerät tastet die Oberfläche der Fingerkuppe ab und errechnet aus den markanten Punkten eine Zahlenreihe. Daraufhin durchlaufen die Zahlen verschiedene Systematiken. Für jeden Produkttyp – die drei hier vorgestellten sind: Keramikgefässe, Teppiche und Taschen – existiert eine eigene Regel zur Verarbeitung der Daktylozahlen. Die vorgestellten daktylogrammierten Produkte wurden aus den Fingerabdrücken von drei experimentierfreudigen Personen erstellt. Jedes Modell wurde also für drei Auftraggeber gefertigt. Erst durch den Vergleich mehrerer unterschiedlich ausgefallener Gegenstände kann ja die Individualisierung vom Betrachter überhaupt wahrgenommen werden. Zudem kann dieser nach vermeintlichen Parallelen zwischen den verschiedenen Produkttypen und dem jeweiligen Personen suchen. Die Vorstellung eines persönlichen Produkts wird durch das Daktylogrammieren ad absurdum geführt, denn das Resultat ist eine Überraschung, und der praktische Nutzen der daktylogrammierten Gegenstände leidet geradezu

unter der Individualisierung. Wer beispielsweise ein daktylogrammiertes Keramikgefäss bestellt, dem ist zum Zeitpunkt des Auftrags unbekannt, wozu er dieses benutzen kann. Die Daktylozahlen erscheinen nicht nur als Rillen an der Oberfläche der Objekte, sondern bestimmen gleichzeitig den Füllpegel der Gussform. Ein hoher Pegel erzeugt eine Vase – ein niedriger einen Trinkbecher. Der Impuls für den Auftrag eines solchen Produkts wird durch den Wunsch nach dem Besonderen gegeben. Der Konsument gibt durch das Scannen seines ihn eindeutig identifizierenden Körpermerkmals den Startschuss zur Herstellung eines Produkts. Bevor er das Resultat in den Händen hält, wird er vermutlich mehr darüber nachdenken, ob es seinem Image zuträglich sein wird, als dass es die anwendungsbezogenen Kriterien erfüllt. So würde es sich wohl mit den daktylogrammierten Taschen verhalten. Ihr Gebrauchswert kann extrem gering sein, denn unter Umständen entsteht beim Daktylogrammieren ein Behälter mit einer winzigen, unzugänglichen Öffnung – ohne Platz für genormte Formate. Da die Form einer solchen Tasche nicht kalkulierbar ist, wird ein „wohlgeratenes“ Resultat für den Auftraggeber umso bedeutsamer sein. Eine daktylogrammierte Tasche ist vielleicht nicht brauchbar – für den Besitzer ist sie jedoch immer der greifbare Beweis seiner Individualität. Logofix macht den Daktylogrammierungsprozess erlebbar. Es handelt sich um einen Dienstleistungsautomaten, der vorgibt, ein Objekt des öffentlichen Raumes zu sein. Indem er für neugierige Passanten individuelle „InstantGrafiken“ produziert, befriedigt er das Verlangen nach individualisierten Produkten. Im Inneren der Box befindet sich eine Bedien­konsole mit einem FingerabdruckScanner. Nachdem der Benutzer dort Platz genommen hat, wird ihm eine Entscheidung abverlangt. Hat er Hemmungen, seinen Finger auf den Scanner zu legen, oder überwiegt das Begehren nach dem persönlichen Logo? Entscheidet er sich für den „Service“, so werden nun die Erwartungen gegenüber dem einzigartigen Resultat in Frage gestellt. Denn Logofix bietet nun drei Chancen, ein individualisiertes Logo zu erzeugen. Da niemand seinen Finger dreimal genau gleich auf dem Scanner positionieren kann, wird ein und derselbe Finger unterschiedliche Bilder generieren. Jedes Logo basiert zwar auf dem individuellen Fingerabdruck – doch das Resultat ist immer wieder anders.


MO’TIME Annalena Kluge, HfG Offenbach MO’TIME, abgeleitet von MOVING TIMES, bewegt sich im Spannungsfeld von Prozessund Produktdesign. „MO‘TIME markiert eine Konzept- und Produktlinie, die die Zeit als ein ­variantenreiches Raum-Zeit-Objekt greifbar, erfahrbar und messbar macht.“ Das Möbiusband, auf dem jede gerade Linie, so auch der Zeitpfeil, nach zweimaligem Umgang in sich selbst zurückläuft, wird zu einer Projektionsfläche für verschiedene Produktformulierungen, bei denen die Zeit in Anlehnung an die antiken Zeitkonzepte Kairos, Chronos und Aion als Ereignis (dots), Ablauf (lines) und Dauer (faces) ablesbar wird. MO’TIME wurde als ein Metaprodukt konzipiert, das noch viele andere Ausprägungen und Varianten erlaubt, welche als MO’CLOCKS in verschiedener Weise realisiert werden können. Ziel dabei ist es, Produktindividualisierungen nicht erst in der Endphase der Produktrealisation als kombinatorisches Oberflächendesign, sondern als grundlegende Kontextverschiebungen, als ­variable Bedeutungs- und Nutzungszuweisungen schon in der Konzept- und Entwurfsphase dieser Prozesskette zuzulassen. Als Produktentwicklung möchte MO’TIME darum nicht nur als ein gegenständlicher Kommentar für ein weiter gefasstes Zeitverständnis gelten. Dieses Projekt repräsentiert zugleich beispielhaft einen Ausschnitt aus einem umfassender angelegten Gestaltungsprozess. Zurückgehend auf den von Gene Youngblood geprägten Begriff des Metadesign wurde zunächst ein allgemeines Entwurfsmuster konzipiert. Innerhalb dieses Musters können Entwurfsprozesse von verschiedenen Ausgangspunkten aus in einer geordneten Weise verschiedene Richtungen nehmen. Am Anfang steht hier – das Möbiusband ist nur ein Beispiel – die reine Form. Dieser werden als Metaform in einem generischen Prozess, Schritt für Schritt, Bedeutungen, Funktionen, Nutzungen zugeordnet. Die Regel heisst nicht „form follows function“, sondern „function follows form“. „Metadesigner entwickeln [...] Kontexte, keine Inhalte“. Sie entwickeln „Metamedien [...], welche die Funktion generativer Rahmenbedingungen erfüllen. [...] ein System von Rahmenbedingungen, innerhalb dessen die Kreation kultureller Werte möglich ist.“ (Gene Youngblood: Metadesign – Die neue Allianz und die Avant-Garde. Kunstforum Bd. 98, 1989, S.76ff) Der Designprozess befreit sich so (einmal mehr) aus den engen Grenzen des Funktionalismus. Er entfaltet sich stattdessen in den zunächst noch ganz offenen Spielraum möglicher Assoziationen, Konnotationen und Denotationen. Auf diesem Weg von der am Anfang noch bedeutungs- und nutzungsneutralen Meta­form zum Metaprodukt werden zugleich die wichtigsten Stationen einer produktsprachlichen Entwicklung mitvollzogen. So werden

bei MO’TIME Produktpragmatik (Ziele), Produktsemantik (Inhalt), Produktsyntax (Ausgestaltung) zu einer komplexen Produktaussage, Schicht für Schicht, überlagert und verdichtet. Die Gestaltung eines Entwurfsmusters ist diesem Prozess unterlegt und steht am Anfang dieser Projektentwicklung. Dieses Entwurfsmuster ist als eine Grammatik, als ein „Metadesign“ von Prozessabläufen zu verstehen, die über einen gemeinsamen Nenner bei gleichem Verfahrensweg doch zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen können. Hier hat dieser Weg schliesslich zu einer Kreation von Zeit-Raum-Objekten geführt, die eine unkonventionelle Sicht auf unsere Zeiterfahrung und Zeitmessung eröffnen. Ein beliebig erweiterbares Spektrum von plastischen „Metaformen“ (hier: Oloid, Möbiusfläche, SineSurface, etc.) steht am Anfang des Prozesses noch ganz „für sich.“ Aus diesem elementaren „Eigensinn der Formen“ erwächst sodann eine kreative Abfolge intuitiver und ästhetischer Entscheidungen, aus denen schliesslich erste Ideen für mögliche Gegenstandsbedeutungen und Gebrauchsformen entstehen. Damit sich in die am Anfang noch nutzungsneutralen Metaformen Ideen für ihren Gebrauch einlagern können, müssen sie zuerst auf ein menschliches Mass gebracht werden. In den Skalierungen „klein“, „mittel“, „gross“ ergeben sich körpernahe, Körper-Raum-bezogene und raumbildende Verwendungsmöglichkeiten. So kann die Metaform „Möbiusfläche“ Ausgangsform sein für den Entwurf eines Ausstellungspavillons (raumbildend), für die Gestaltung eines experimentellen Sitz-Liege-Spiel-Mobiliars (Körper-Raum-bezogen) oder für die Kreation eines Zeit-Raum-Objekts (körpernah). Diese letztere Qualifizierung einer frei ausdeutbaren Metaform wurde mit MO’TIME vollzogen. Digitale Technologien durchdringen heute die gesamte Prozesskette (digital chain) vom Entwurf über Gestaltung, Fertigung und Kommunikation bis hin zum Vertrieb eines Produkts. Damit ist zugleich eine vielfältige Schnittstellenproblematik verbunden. Produktdesign wird in dem Masse mehr und mehr Interface- und Interaktionsdesign wie – ganz im Sinne von Youngblood – weitere Akteure als Mitspieler und Mitwirkende in den Kreationsund Gestaltungsprozess miteinbezogen werden. Damit wird ein Aktionsfeld für Innovation eröffnet, welches weit über Produktindividualisierung und Mass-Customizing hinausgeht. Es ist zu erwarten, dass die damit angesprochenen Konzepte und Beteiligungsformen als OpenInnovation auf der Grundlage inspirierender Entwurfsgrammatiken unausgeschöpfte kreative Potenziale freisetzen werden. So wie auch das dem MO’TIME-Konzept zugrunde liegende Entwurfsmuster noch zu ganz anderen Umsetzungen des Zeit-Raum-Themas führen könnte.

Vielfalt und Variabilität

Bildhauer des 21. Jahrhunderts

Martin Schroth / SAK Stuttgart

Hannes Walter / Fluid Forms

Computergestützte Produktionsprozesse und CNC-Technologien haben die Beziehung zwischen Entwurf und Herstellung stark verändert. Die Forderung nach einer flexibleren Entwurfsmethode und deren digitaler Integration in den Formfindungsprozess ergeben neue Möglichkeiten einer materialspezifischen Anwendung. Diese Veränderungen bringen neue formgebende Prozesse hervor, die Materialien und ihre Leistungsfähigkeit hinterfragen und neue Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen. Fragen des Materialeinsatzes und der Effizienz durch die Nutzung von CNC-Maschinen verändern somit die Prozesskette bis hin zum Entwurfsansatz. Aufbau der Gestalt Ein Kennzeichen komplexer Systeme in der Natur ist die Fähigkeit multipler Intelligenz zur Entfaltung und Entwicklung innerer Gesetzmässigkeiten. In einer wechselseitigen Wirkung von inneren und äusseren Kräften wird auf Basis formstrukturierender Regeln ein effizientes Materialsystem artikuliert, das neue Potenziale in der Stabilität und Tragfähigkeit hervorbringt. Das Erzeugen von Differenz und Variabilität innerhalb eines grossen Ganzen manifestiert somit den Prozess der Integration, gegeben durch das Potenzial neuer Technologien. Parametrisches Entwerfen Die Grundlage einer regelbasierten Formgenerierung ist das Prinzip variabler Attribute, die durch spezifische Beziehungen und Relationen entwickelt, editiert und beeinflusst werden können. Attribute wie Materialverhalten, Geometrielogiken und Verhaltensregeln können permanente Veränderungen annehmen und ermöglichen eine hohe Anpassungsfähigkeit an individuelle, lokale Anforderungen.

Der schöpferischen Kraft des Menschen, mit blossen Händen Kunstwerke zu erschaffen und diese zu reproduzieren, sind seit Anbeginn der Zeit Grenzen gesetzt. Mit technischen Hilfsmitteln haben wir seit jeher unsere künstlerischen Fähigkeiten und unseren Schaffensfreiraum erweitert und immer wieder die scheinbar unverrückbaren Barrieren des Möglichen gesprengt. Kaum jedoch, ohne anfänglich auf massiven Widerstand zu stossen: Neuem nähern wir uns gerne mit kritischem Blick, Vorbehalt oder sogar mit Angst. Wir von Fluid Forms sehen Künstler und Gestalter auf dem Sprung zu einer neuen Ebene kreativer Chancen. So wie einst handwerkliches Geschick gepaart mit kreativer menschlicher Energie die industrielle Revolution überdauerten und später Computer den Ideenreichtum unseres Geistes weiter nährten, öffnen uns RPT-Techniken wie der 3-D-Print (3DP) oder das Selective-Laser-Sintering (SLS) Türen zu neuen Welten voll individualisierter Objekte. Das Projekt Cassius etwa macht unsere Kunden gewissermassen zu Bildhauern des 21. Jahrhunderts: Ein mit Sensoren gespickter Boxsack wird dabei mit den eigenen Fäusten bearbeitet. Die Schläge und deren unterschiedliche Wucht werden auf das dreidimensionale Computermodell eines Zylinders übertragen, der die Grundform eines individuell gestaltbaren Lampenschirms darstellt. Aus einer Idee, der durch physische Kraft Ausdruck verliehen wird, entsteht ein unverwechselbares virtuelles Designobjekt. Rapid-Prototyping-Anlagen setzen das virtuelle Unikat schliesslich in ein reales, funktionierendes und nicht zuletzt mit den Emotionen des Kunden behaftetes Objekt um. So entsteht eine Leuchte für zu Hause, deren Herstellung der Kunde in einem bislang unerreichten Ausmass mitgestaltet hat. Der Fingerprint Ring verbindet die digitale mit der analogen Welt und lässt die Individualität seines Trägers entscheidend einfliessen. An der Oberfläche des Ringes wird das Fingerabdrucksrelief des Trägers eingearbeitet. In ganz klassischem Sinne kann der Ring somit als Siegelring zur Authentifizierung genutzt werden. Zusätzlich ist der Ring mit einem RFIDTag ausgestattet, das das unverwechselbare Schmuckstück in einen modernen Schlüssel verwandelt. Die Vorstellungskraft des Gestalters wird zur Grundidee eines Kunstobjekts, das der Kunde mithilfe seiner eigenen Phantasie individualisiert und schliesslich vollendet. Ein Universum voller Möglichkeiten entsteht, das Menschen, angetrieben durch ihre eigene Schaffenskraft, durchreisen können. Die Leuchte Cassius und der Ring Fingerprint sind dabei nur als erste Andeutung neuer kreativer Werkzeuge und als Einladung zu sehen, diese gemeinsam zu ­nutzen.


Private Factory

PrivatePrint

Quick Response Codes

Forschungsprojekt Fachgruppe ID5 | UdK Berlin. Die Ent-Industrialisierung der Städte schafft Raum für andere Nutzungsmöglichkeiten. Das Forschungsprojekt Private Factory untersucht, welche urbanen Rohstoffe und lokalen Gegebenheiten eine postindustrielle Entwicklung im städtischen Kontext initiieren können.

Daniel Schulze / UdK Berlin

Nils Kreter / UdK Berlin

Wird den Bildinformationen digitaler Fotos materielle Gestalt gegeben, finden sie diese normalerweise als zweidimensionale Abzüge auf Papier. Dabei steckt viel mehr in ihnen. Ausgelesen und interpretiert können sie gar zu Berg- und Talfahrten werden. Das Projekt PrivatePrint beschäftigt sich mit alternativen Auswertungsmethoden digitaler Bildinformationen. Nicht Projektor und Fixierbad, Tinten- oder Laserdrucker, sondern Fräse und Lasercutter dienen zur Entwicklung, wenn zum Beispiel die Farbtiefe in Materialtiefe umgesetzt wird. So finden digitale Bilder ihren Weg weg von der grafischen Information hin zu haptischen Erlebnissen und neuen, überraschenden Blickwinkeln.

QR-Codes entstammen der japanischen Auto­mobilindustrie und tauchen immer öfter in unserem urbanen Umfeld auf. Um auf ihre Inhalte zugreifen zu können, reicht mittlerweile­ ein Mobiltelefon mit integrierter Fotokamera. Hinter dem Muster jedes Codes verbirgt sich nicht nur ein Link, eine Telefonnummer oder eine Textinformation, sondern auch ein grosses grafisches Potenzial. Seine Orthogonalität deutet zwar schon das Digitale an, nimmt ihm aber nichts von seinem ornamentalen Charakter. Hat man das Muster erst einmal erkannt, ist die Neugier geweckt. Für den Verbraucher wird diese Informationsjagd zu einem spielerischen Erlebnis, für den Gestalter bietet es die Möglichkeit, mit digitalem Inhalt auf charmante Weise analog umzugehen.
Anders als bei herkömmlichen Informationsträgern, wo man Text und Grafik erbarmungslos ausgesetzt ist, bieten QR-Codes die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, ob man den letzten Schritt zur Information gehen will. Zurzeit werden sie noch additiv eingesetzt, was einem den Überraschungseffekt nimmt, da man im Voraus schon ahnt, welche Informationen einen erwarten. Spannender ist es, wenn man sie erst suchen und entdecken muss, wenn sie sich tarnen können oder gar ein autonomes Leben führen.

Eine Gruppe von sechs Studenten der Universität der Künste Berlin aus den Bereichen Produktdesign und Experimentelle Mediengestaltung geht seit dem Sommersemester 2008 der Frage nach, wie die Grenzen für lokales Produzieren neu zu definieren sind. Ihre Projekte erkunden die Weiterentwicklung des Gestaltungsbegriffes im Bezug auf den Wandel gesellschaftlicher und technologischer Strukturen. Mit zunehmender Digitalisierung des Produktionsprozesses weitet sich das Berufsbild des Designers zu dem eines Prozessgestalters. Industrielle Produktionsprozesse kann man sich in Zukunft im Wohnzimmer vorstellen: Der Wandel, den Desktop-Publishing mit sich gebracht hat, setzt sich in Form von Desktop -Manufacturing fort. Diese Digitalisierung ermöglicht es dem Designer – nun eben dem der

Kontakt Bei Fragen zum WerkNetz sowie zum Studium im Institut HyperWerk für Postindustrial Design (Bewerbungsschluss 10.3.09): Mischa Schaub mischa.schaub@fhnw.ch, Andreas Krach andreas.krach@fhnw.ch, Catherine Walthard catherine.walthard@fhnw.ch tel ++41 61 269 92 27 | Totentanz 17 | CH-4051 Basel

Dank AFO Ars Electronica, Linz: Gerfried Stocker, Verena Wahl, Martin Honzik, Cornelia Mayrhofer, Ingrid Fischer HyperWerk HGK FHNW, Basel: Catherine Walthard, Jan Dusek, Annina Witschi, Susanne Lindau, Konrad Sigl, Martin Fuchs, Sebastian Mundwiler, Bathsheba Grossman BfH Bern: Ivo Lenherr HfW FHNW, Olten: Felix Strebel, Jürg Schneider, Sascha Peyer, Stefan Meier Salm2, Senones: Philippe Meyer, François Toussaint Schweizerisches Literaturinstitut BFH, Biel: Luke J. Wilkins FH Trier: Tanja Emmert, Franz Kluge Gemeinde Göschenen: Walter Baumann, Bruno Zwyssig AdBK Stuttgart: Tobias Wallisser, Stephan Engelsmann, Valerie Spalding RENER & REIFER Metallbau GmbH / Brixen HWK Kompetenzentrum Koblenz: Christoph Krause

Prozesse –, individualisierte Produkte lokal herzustellen. Die momentane Entwicklung in der Prozessgestaltung konzentriert sich auf die Produktion von individualisierten und lokalisierten Produkten. Die Materialien, auf die der urbane Rohstoffkreislauf zurückgreift, unterscheiden sich von denen im ländlichen Raum. Verpackungen und Pfandsysteme sind typisch für das städtische Umfeld und werden durch Umwidmung oder Zwischennutzung erweitert. In Forschungsprojekt Private Factory wird ein Produktionsort für Dinge entstehen, die wir so noch nie gesehen haben: Produkte, bei denen der Käufer immer auch Autor ist. Ein leerstehendes Ladengeschäft wird wiederbelebt und dient als Arbeitsraum und Kommunikationsplattform; es entsteht ein neuer Anziehungspunkt in einem Gründerzeit-Quartier von Berlin.

Die Kiste Lucas Bahle / UdK Berlin Wie praktisch wäre es, einen Schrank zu haben, den ich einfach zerlegen könnte, wenn ich umziehe. Jeder kennt diese Situation. Wie benutzerfreundlich wäre es dabei, wenn man für den Auf- und Abbau kein Werkzeug benötigte; wenn man keine Kleinteile verlieren könnte oder extra aufbewahren müsste – denn es gäbe keine. Wie schön wäre es, wenn es nun noch ein Systemmöbel wäre, bei dem man Para­meter wie Höhe, Breite, Tiefe und auch das Material selbst bestimmen könnte. Wenn alle Teile sich auf dieselbe Art verbinden lassen, ist eine Kombination der Elemente nach meinem Belieben leicht möglich. Die Art der Verbindung ist ins Material eingeschrieben. Ein Konfigurator gibt mir die Freiheit in der Anpassung. Das Material bestimme ich selbst. Die Kiste, mit der ich angefangen habe, steht exemplarisch für das gesteigerte Bedürfnis unserer Zeit nach Mobilität und für die Rekonfiguration je nach Geschmack, Trend, Laune oder geänderten Lebensumständen.

Granulat Markus Dilger / UdK Berlin Jeder hat zu Hause alte Pappkartons von Umzügen oder Versandmaterial von erhaltenen Paketen. Normalerweise wirft man sie irgendwann weg, oder? Dieses Material dient dem Entwurf Granulat als Rohstoff. Durch eine Ausstanzform entsteht aus alter Pappe von verschiedener Grösse ein neues System aus modularen Stücken, mit einheitlichem Erscheinungsbild als kleinstem gemeinsamem Nenner aller flächigen Abfallprodukte. Dieses System ist in der Fläche wie auch im Raum unendlich erweiterbar. Der daraus gewonnene gestaltete Raum – das Produkt aus dem Abfall –, steht für den Prozess im Recyclingkreislauf. Wir greifen in den Papierkreislauf ein, bevor die Pappe zum Altpapier wird, versehen sie mit einer neuen Identität und verlängern so ihre Lebenszeit. Es entsteht eine Win/Win-Situation für Papphersteller, deren Pappprodukte durch die Weiterverarbeitung attraktiv bleiben, und Verbraucher, die einen Zusatznutzen aus der alten Pappe ziehen können. So entsteht mit einfachen Mitteln ein Granulat.

Leni

Impressum Auflage: 3000 Exemplare Herausgeber: Mischa Schaub Gestaltung / Programmierung: Alessandro Tellini, HyperWerk http://nonsense.rgbcmyklab.net Redaktion: Mischa Schaub, Ralf Neubauer, Gabriel Roth Fotografien: Mathias Stich Druck: NZZ-Press Schrift: KofiPure, www.fontfarm.de Programmierumgebung: http://processing.org Website: http://acar2.org

Markus Dilger / UdK Berlin Als Ausgangsmaterial für Leni dienen Leergut-Pfandkästen, ein hoch entwickeltes Kunststoffteil, das extrem spezialisiert ist. Was macht einen Pfandkasten aus? Er ist eine Kiste, die im urbanen Umfeld überall erhältlich ist, die stapelbar, extrem leicht, stabil und billig ist. Daraus ergibt sich eine ganze Reihe von neuen Nutzungsmöglichkeiten. Die Kiste wird aus ihrem gewohnten Pfandkreislauf nicht entfernt, sondern erhält neue Zusatzfunktionen und somit einen Mehrwert. Leni wird im Pfandkasten mitgeliefert und über die Flaschen in den Kastenrahmen gelegt. Der Kasten kann somit zusätzlich als Sitzgelegenheit oder Ablagemöglichkeit genutzt werden. Dreht man den Kasten um, kann man Leni einfach am Rand einstecken und erhält somit eine Lehne, die den Sitzkomfort auf dem Flaschenkasten deutlich erhöht. Mit zwei Lehnen als Beine erhält man eine Art Tisch, der beim Grillen als Ablagefläche dienen kann. Massen­ produkte werden heute global in grossen Stückzahlen angefertigt. Leni kann auch heutzutage noch lokal gefertigt werden und wendet sich folgerichtig an lokale Brauereien.

Lokal Regal Philipp Frank / UdK Berlin Der Entwurf Lokal Regal steht für die Demo­ kratisierung individualisierter und lokaler Produktion. Mittelpunkt neuer Entwicklungen wird der CNC-Copy-Shop in Verbindung mit netzbasierten Konfiguratoren. Konzeptionell ist der CNCCopy-Shop zwischen dem Holzzuschnitt eines Baumarkts und der Materialkompetenz eines Gestalters angesiedelt. Dort werden auf CNCMaschinen Entwürfe vor Ort produziert. Diese Maschinen sind preiswert in der Anschaffung, einfach zu bedienen, und sie können automatisiert Teile fertigen. Das Lokal Regal kann in Grösse sowie Materialstärke nach persönlichen Wünschen verändert werden. Dafür steht dem Kunden auf einer Website ein Produktkonfigurator zur Verfügung, der die Daten per Mail an die Fräse verschickt. Der hohe Grad an Produktionsfreiheit bei CNC-Maschinen in Verbindung mit der indi­ viduellen Konfiguration der Produkte löst auf einfache Art und Weise die formalen Einschränkungen der Massenproduktion auf. Entwürfe wie das Lokal Regal sind materialgerecht gestaltet. In der Fläche befinden sich bereits die Steckverbindung, der Schnapper, die Feder oder die Zinken. Sie müssen nur noch herausgefräst werden. Das Lokal Regal ist ein modulares Steckregal. Die Konstruktionsweise bietet ein hohes Mass an Stabilität und ermöglicht durch die geringe Wandstärke eine filigrane Erscheinung. Die Steckverbindungen verschwinden im Material, und bündige Flächen schaffen einen geschlossenen Eindruck. Das dünne Plattenmaterial wird in hohem Grad ausgenutzt, indem ihm eine sonst unübliche, tragende Fähigkeit zugesprochen wird. Je weiter die Verbreitung der neuen digitalen Werkzeuge zunimmt – und mit ihnen die der CNC-Copy-Shops –, desto mehr werden Produkte individualisierbar sein. Der Austausch von Daten wird den Transport von Gegenständen immer weiter ablösen. Das Lokal Regal steht stellvertretend für die Prozesse dahinter. Die formale Entwicklung der Einzelteile ist nicht abgeschlossen, sondern bezieht die individuellen Wünsche der Kunden mit ein. Die gestaltete Prozesskette ist ein Keim für lokale Produktionsstrukturen.


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