Die Zukunft ist, was uns zu zweit verwirrt.

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Die Zukunft ist, was uns zu zweit verwirrt.

DA Festival Hamburg

Knowledge on Tour 23.8. – 25.8.17 dafestival.com



Hg. Jan Knopp Olivier Rossel Sedici Verlag HyperWerk HGK FHNW Freilager-Platz 1 Postfach CH-4002 Basel Basel, 2017



Die Zukunft ist, was uns zu zweit verwirrt. DA Arbeitsbuch, Stand August 2017 DA Festival Hamburg


for mein self


Von Sedici zu Verlag. Und ein Festival als Publikation. Was will ich warum gestalten? Gemeinsam mit anderen? Into the Why – Autorschaft und Haltung als Handlungsgrundlage in Design und Designausbildung.



Basel, 10.8.2017 Bereits im Sommer 2015 machten sich die Sedici, der 16. Jahrgang des Institutes HyperWerk HGK FHNW Basel, auf, gemeinsam ihr Jahresthema aufzudecken und zu entwickeln. Das Thema, in dem sie 2016/2017 diplomieren werden. Also jetzt, im September 2017. Jeder Jahrgang entwickelt sein eigenes Thema, dem sich das ganze Institut und die Studierenden widmen. Wir fragen: Was bewegt eure Welt? Euch? Uns? Was nicht? Was sollte uns bewegen? Wo wollen wir den Hebel ansetzen? Wie sieht die Gesellschaft aus, die wir gestalten wollen? Wo werden wir als GestalterIn aktiv? Wie kommen wir ins Handeln? Kurz, was will ich gestalten? Gemeinsam mit anderen. Getreu dem HyperWerk-Motto Gesellschaft gestalten. Freiheit studieren. Begleitet, konzipiert und organisiert wird dieser Prozess von jeweils einem Dozierenden und Mitglied des Leitungsteams von HyperWerk. Gemeinsam mit externen ExpertInnen, auf Reisen, in Workshops und Lectures findet über ein Studienjahr eine rege Auseinandersetzung statt. Und über die Monate entwickelt sich ein Substrat, das zum Thema gerinnt. Und damit ein Team, das gemeinsam mit den Diplomierenden das Jahresthema in Umsetzung begleitet. Gemeinsam mit den Sedici sind Dozent und Mitglied des Leitungsteams Jan Knopp sowie Olivier Rossel und Michael Tatschl begleitend, entwickelnd, coachend, organisierend und reflektierend involviert. Das Thema 2016/2017: Autorschaft und Haltung als Handlungsgrundlage in Design und Designausbildung. Die Grundannahme: Gestaltung ist per se Wirkung und kann nur in seiner Auswirkung beurteilt werden. Und diese Auswirkung ist, worauf wir den Fokus legen wollen. Verantwortung und Autorschaft, Haltung und Handlung; diese Wirkungsfelder mündeten in der Gründung des Sedici Verlages – Verlag der Dinge und Möglichkeiten. Um in das Publizieren und die Auseinandersetzung mit dem Thema zu kommen, entwickelten Jan Knopp, Olivier Rossel und Michael Tatschl das Konzept des Handlungs- und Wirkungsfeldes DA sowie diverse Formate und Methoden, die auch als Publikation fungieren. Publizieren als gestalterische Praxis in Design und Designausbildung ist 2016/2017 das Untersuchungsfeld des Sedici Verlags. So entwickelte das Team statt der üblichen Jahrespublikation die Idee des DA Festivals, das als Publikation agiert. Die Diplomierenden sind die Experten und generieren im Sinne des DA Feedback-Loops und Wissenstransfer-Action. Denn wir verstehen Expertise nicht als Distinktionsmerkmal, sondern als Aufruf zum Teilen. Viel Vergnügen Jan Knopp


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INTO THE WHY

14 – Die Zukunft ist, was uns zu zweit verwirrt. DA Festival Hamburg. Jan Knopp, Olivier Rossel, Michael Tatschl 16 – Publizieren als gestalterische Praxis. Eine Publikation als Festival. Ein Festival als Publikation. Rebekka Kiesewetter 28 – Festival Programm 34 – Sedici Expertise

40 – Mission Statement «Into the Why» Team Sedici 42 – Das DA Jan Knopp, Olivier Rossel, Michael Tatschl 44 – The Official Google Fanclub 46 – Look DA! Hannes Mussbach, Behruz Tschaitschian 48 – Jetzt, hier, DA. Mit lieben Grüssen von der Seitenlinie Max Spielmann 52 – Chronology 54 – Mehr oder weniger DA. Ein Essay zur Buchmesse I Never Read, Art Book Fair Basel 2017 Andrea Iten 58 – DA Kongress, Wien Jan Knopp, Olivier Rossel, Michael Tatschl 60 – Send me a postcard darling Jan Knopp, Olivier Rossel 63 – documenta14 Jan Knopp, Olivier Rossel 66 – Formate 68 – Maxiversity Jan Knopp, Olivier Rossel, Michael Tatschl 70 – Tape Battle Jan Knopp, Olivier Rossel 74 – Destille Jan Knopp, Michael Tatschl 76 – Idea-Beer-Bar Jan Knopp, Olivier Rossel, Alexandra Stöckli 78 – A Tribute to Peanuts Willi Moch, Olivier Rossel, Jan Knopp 80 – Gedanken zu einer DArchitektur Rebekka Kiesewetter


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SEDICI VERLAG

HYPERWERK

86 – Manifest Team Sedici 88 – Best of Sedici Publikationen 88 – A Newspaper about Postindustrial Melancholia Benjamin Kniel, Jan Knopp, Diana Pfammatter 90 – Idea, Beer Sedici, Alexandra Stöckli 92 – FAQ yourself! Olivier Rossel 94 – It’s simply beauty – Die Welt ist der Durchschnitt. Diana Pfammatter 96 – Graue Palmen Carlo Janizeck 98 – Taste Traffic Tosca Waeber 100 – Post Industrial Design Max Spielmann / Sotirios Bahtsetzis 102 – Random shots of light Jan Knopp 104 – Idea, Beer II Sedici, Alexandra Stöckli 106 – What you see, when you don‘t Jan Knopp, Carlo Misselwitz 108 – A Tribute to Peanuts Willi Moch

112 – Cultural Spaces and Design Prospects of Design Education Regine Halter 116 – Wieso Mixed Realities wichtig sind für das Postindustrial Design. Mischa Schaub 122 – youtrition: Abfall ist Rohstoff am falschen Ort Moritz Keller 126 – 82 Thesen zu «Idee» Prof. Dr. Sabine Fischer 132 – LABattoir Thessaloniki Arbeit als Erfindung Max Spielmann 136 – #Youniverse Josephine Weber 138 – Basler Bastler heizen Stadtbrunnen ein Naomi Gregoris 142 – Impressum


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Knowledge on Tour


Die Zukunft ist, was uns zu zweit verwirrt.

DA FESTIVAL

DA FESTIVAL – Knowledge on Tour 23.8. – 25.8.2017, Hamburg Das Postindustrial Design Institut HyperWerk an der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW und seine 17 Diplomierenden wagen das Experiment, eine Diplompublikation als Festival zu verstehen, beziehungsweise ein Festival als Publikation zu betrachten. Das «DA Festival – Knowledge on Tour», ist der Versuch die Studierenden durch direkte Verhandlung mit dem Publikum reflexiv zu stärken. Expertise soll nicht als Distinktionsmerkmal verstanden, sondern geteilt werden, um durch die Evolution im Diskurs wachsen zu können. Vom 23.8. - 25.8.2017 bietet das DA Festival Besucherinnen und Besuchern die Chance, Feldforschung zwischen virtueller Realität, neuen Wegen der Designausbildung und Gestaltung sowie Urbanistik, experimenteller Publizistik und Coding mitzuerleben – und mitzugestalten. Das DA Festival möchte die Distanz zwischen Betrachtenden und Design- sowie Kunstbetrieb aufbrechen, Publizieren in Form des lauten Denkens betreiben sowie Kommunikation entfachen. Dabei zugleich dem Fachpublikum, TouristInnen wie Anrainern die Anliegen der neuen Generation angehender Gestalterinnen und Gestaltern in erfrischend unmittelbarer Weise nahebringen. Das Konzept des Festivals als Publikations- und Vermittlungsformat ist Resultat eines intensiven Entwicklungsprozesses. In gemeinsamer Arbeit mit uns, den Studierenden, entwickelt HyperWerk Jahr für Jahr ein neues, genuines Jahresthema. Die Sedici, der sechzehnte HyperWerk-Jahrgang, widmen uns im Studienjahr 2016/2017 mit dem Thema der Autorschaft und Haltung als Handlungsgrundlage in Design und Designausbildung – kurz Into the Why. Aus und in dieser institutsübergreifenden Auseinandersetzung entstand der Wille zum Experiment in Form des DA Festivals. Für ein vertieftes Verständnis der Versuchsanordnung bedarf es eines kurzen Einblicks in die Chronologie unseres Diskurses:

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Spätestens seit der Quizshow «Wer wird Millionär» und dem stets erfolgreich angewandten «Publikumsjoker» weiss jeder Laie wie erfolgreich ein Kollektiv funktionieren kann. Ebenso verhält es sich im Internet. Probleme verschiedener Natur, Komplexität oder Trivialität werden in Online-Foren diskutiert und Lösungsansätze im Verlauf einer virtuellen Evolution perfektioniert. Es entstehen neue Konzepte wie Open Source Projekte, Crowdcrafting, Crowd Sourcing und -Funding, frei verfügbare Wissensvermittlungsformate oder Sharing Economy. Es beginnt der Postkonsumismus in seinen neuen Gesten des Kollektiven gemeinsame Verständnis- und Lösungswege zu generieren. Unter dem Dach der Commons agieren die Communities. Sie schöpfen aus Leidenschaft, statt aus monetärem Anreiz. Demnach horten sie ihre Erkenntnisse nicht, sondern teilen sie. Ihr Lohn ist Anerkennung und Selbstbestimmtheit. Diese Veränderung führt zu einer effizienteren Leistungskurve im Vergleich zu parallel agierenden «Global Playern». Sie ebnen so den Weg in eine demokratischere Zukunft – so die Hoffnung.

Das DA Festival vereint alle bisher entwickelten Formen und Formate unserer Auseinandersetzung und ist somit unser Forum für die Zukunft. Es wird unsere individuellen Diplomprojekte ebenso wie externe Beiträge veranschaulichen und einem gemeinsamen Diskurs eröffnen, da kein einzelnes Werk je abgeschlossen sein soll, sondern in all seinen Silben der Community als Anhaltspunkt für ständige Weiterentwicklung dient. Gestaltung ist per se Wirkung und kann nur in seiner Auswirkung beurteilt werden. Und diese Auswirkung ist, worauf wir den Fokus legen wollen. Das Festival ist darauf angelegt, eine möglichst breite Öffentlichkeit in dieses Experiment miteinbeziehen. Wir erforschen einen Vermittlungsraum abseits kuratierter Galerie- und Ausstellungs-Didaktik. Das DA Festival ist eine lebendige Bibliothek, die in steter Ideen-Evolution schwelgt und durch bzw. mit seinem Publikum wächst. Alles, was zwischen den Zeilen oder abseits des Beschreibbaren liegt, kann im August in Hamburg erlebt werden. Das DA Festival mit unseren Diplomierenden und ihren Themen eröffnet den Diskurs vom 23.8 – 25.8.2017. Genaue Orte und Programm folgen und werden laufend aktualisiert: dafestival.com Danke fürs Teilen. Jan Knopp, Olivier Rossel und Michael Tatschl

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Von unserer Warte als experimentelle Gestalter sehen wir das Internet als Multiplikator, als Kommunikationsbeschleuniger. Wir betrachten jede Datei, jedes irrwitzige Bildchen als Silbe einer globalen, neuen, transkulturellen Sprache. Ein einzelner Laut ergibt keinen Sinn, aber in der richtigen Aneinanderreihung bilden sich revolutionäre, nie dagewesene Formulierungen im Gespräch über unsere Zukunft als Spezies. Hier liegt nun der Ursprung des Festival Namens «DA». DA als einsilbiger, aber determinierender Laut ist für uns Platzhalter für die unzählbaren trivialen Bausteine dieser Sprache. Gleichzeitig erinnert uns die Bedeutung des Wortes «da» aber auch die unweigerliche, unendliche Präsenz dieser «virtuellen Materie».


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Publizieren als gestalterische Praxis. Eine Publikation als Festival. Ein Festival als Publikation. Text: Rebekka Kiesewetter Bild: Josephine Weber

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liegen? Wo können die eigenen Denkgewohnheiten und Deutungsmuster (und diejenigen der Hochschule oder des Auftraggebenden) hinterfragt, erweitert und transformiert werden? Wo sind die Räume, in denen die Produktion und Kumulierung von Wissen sich mit dem Interesse am eigenen Leben, dem eigenen Erleben und der eigenen Lebenswelt überlagert? Alles in allem: wo ist kritisches Denken und Agieren heute überhaupt möglich? Kritisches Denken und Agieren kann nur da stattfinden und sich entfalten, wo es über ein hegemoniales und hegemonisierendes Regime herausreichen kann. Mit Letzterem sind nicht nur die Hochschule oder das berufliche Umfeld gemeint, sondern alle grösseren und kleineren Systeme, die die Lebenswelt bestimmen. Alles, was die Fähigkeit hat, die Gesten, Verhaltensweisen, Meinungen und Diskurse von Lebewesen zu bestimmen, zu modellieren, zu kontrollieren oder zu beherrschen: Giorgio Agambens Dispositive eigentlich. Wie sind sie zu erkennen? Zumal es scheint, als ob – auch wenn die Kritik der eigenen Strukturen gerade en vogue ist – sowohl Ausbildungsorte als auch der kontemporäre Kunst- und Designbetrieb und die darin Tätigen sich der eigenen Verstrickungen in ihrem finanziellen, historischen und ideologischen Kontext nicht immer bewusst sind; ja, nicht bewusst werden wollen. Trotz anderslautenden (Lippen-)Bekenntnissen herrschen noch immer traditionelle Rollenwahrnehmungen, Hierarchien und Kriterien für (Miss-)Erfolg vor. So reproduzieren und festigen viele AkteurInnen – der Fähigkeit beraubt, sich etwas vorzustellen, das über die vorherrschenden Konventionen und Terminologien hinausgeht – in ihren 1

Wo bleibt in der Ausbildung das, was im vorwiegend objektorientierten Regime der Hochschule und der Kulturindustrie unkalkulierbar und unartikulierbar bleibt? Das Dazwischen, das Weder-Hier-noch-Dort? Das scheinbar Nebensächliche; jene Erkenntnis- und Wissensformen, die jenseits der empirischen Erhebbarkeit 17

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Sei es in der Ausbildung oder im Beruf: wer eine gestalterische Disziplin ausübt, wird dazu angehalten, etwas zu produzieren, das kalkulierbar ist, sich einordnen, bewerten und verkaufen lässt. Und hier sprechen wir nicht nur von physischen Objekten, sondern auch von einem zunehmenden Bedürfnis nach der Objektivierung von Wissen und Prozessen, nach empirischer Unterlegung von Argumentationen mittels Beweismaterialien, Feldforschung und forensischen Rekonstruktionen. Normative und iterative Lösungswege, das Erlernen der entsprechenden Tools und Methoden werden favorisiert. Natürlich: wie immer man auch «gestalterische Praxis» versteht, gegen das Bestreben von Hochschulen, Studierende auf eine berufliche Realität als AkteurInnen in der «Kulturindustrie» vorzubereiten, ist nichts zu sagen – solange dieser Fokus nicht zur Maxime, zum einzig möglichen vorstellbaren Weg wird. Denn es gibt andere. Wer sich zu sehr von den Produkten, die in gestalterischen Berufen und Ausbildungen gefordert werden, bestimmen lässt, riskiert, jenes so wichtige transformatorische Potenzial, das gestalterischen Ansätzen innewohnt, in Objekten zu externalisieren und damit zu unterbinden: Wissen wird statt zum sozialen Gut zur handelbaren Ware; «Wahrheit» wird passiv empfangen, statt gemeinsam und performativ kreiert.


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«kritischen» Arbeiten die von ihnen am meisten kritisierten Mechanismen. Und was als Kritik gedacht war, wird bestenfalls zu einer illusorischen Distanziertheit innerhalb der Zugehörigkeit zum System. Klar, jedes gestalterische Handeln ist, wie jedes andere Handeln auch, immer in institutionelle, soziale, ökonomische, kulturelle und technologische Kontexte eingebettet, die die Tendenz haben, die Autonomie unseres Agierens zu begrenzen. Sie lassen sich nicht ignorieren, nicht wegreden. Umso mehr müssen Strukturen und Gelegenheiten geschaffen werden, in denen die Möglichkeit besteht, die Grenzen der Hochschule, die Erfordernisse des Lehrplans, die Restriktionen eines Auftrags zu überwinden – und letztlich auch die Dispositive. Die Studierenden des Hyperwerks haben sich, gemeinsam mit Dozierenden, im Sedici Verlag einen Hintergrund geschaffen, vor dem dies möglich ist. Sie bedienen sich dabei des Publizierens, eines zur Zeit viel diskutierten und durch zahlreiche künstlerische und Forschungsinitiativen im tiefgreifenden Wandel begriffenen Feldes.

Publizieren bedeuten und bewirken kann. In der Definitionskrise liegt die Möglichkeit, sich etwas vorzustellen, das über das «Reale» hinausgeht, über das, was derzeit verkörpert und materialisiert ist und vorstellbar scheint, und auch danach zu handeln. Im Publizieren eröffnen sich Perspektiven – sofern die Bereitschaft besteht, unter der Voraussetzung zu handeln und zu denken, dass wir nicht wissen, was passieren wird, und anzuerkennen, dass in der der Ungewissheit Raum ist, eine Zukunft zu entwickeln. Publizieren kann, wenn wir so wollen, als eine Praxis angesehen werden, die Giorgio Agamben «destituierend»2 nennt. Sie beinhaltet das Denken und die Aktivität jenseits der konstitutierenden Kraft des dominanten Narratives. Im destituierenden Publizieren ist die Definitionskrise Zustand: es reflektiert sich stetig, definiert sich situativ immer wieder neu. In destituierenden Publikationsprozessen verlieren Ontologien und scheinbar unverrückbare Erkenntnisse ihre Verbindlichkeit, Versteinerung, Etikettierung oder Kodifizierung jeglicher Art werden abgelehnt. Destiuierendes Publizieren wird von einem immanenten Dissens angetrieben, einem generischen Ungehorsam gegen etablierte Wahrnehmungsweisen und Wertesysteme: Sei es, in Hinblick auf die Hochschullandschaft, herkömmliche Formen des Publizieres oder andere Bereiche.

Publizieren als gestalterische Praxis. In einer Zeit, in der in vielen herkömmlichen Publikationsunternehmungen die maximale Monetarisierung von Inhalten wichtiger ist als deren sorgfältige, kritische Aufbereitung, in einer Zeit, in der unreflektierte Verbreitung von Informationen die Medienlandschaft und politische Diskurse verzerren, bedarf es einer neuen und kritischen Einschätzung dessen, was

Der Sedici Verlag dient den Studierenden als Rahmen, sich an ein Denken und Handeln jenseits der in ihrer Studiums- und Alltagswelt vorherrschenden Narrative anzunähern: es ist ein Experimentierfeld, um sich der Recherche, 18


Archivierung, Entwicklung, Übersetzung und Kommunikation von Inhalten anzunähern, und ein Tool, um zeitgenössische und zukünftige Lebenswelten zu ergründen. Der Verlag (und die mit ihm verbundenen Fragen des Veröffentlichens) wird zum Hintergrund, vor dem sich Denk- und Handlungs-Räume eröffnen, in denen sich die Studierenden dem Kontext ihres Agierens und ihrer eigenen Position bewusst werden, in denen sie die vorherrschenden Vorstellungen, Narrative, die damit verbundenen Rollen, Ziele, Zeitlichkeiten und Bewertungskriterien in Frage stellen und sich von ihnen lösen können; in denen ungewöhnliche Begegnungen und Diskurse möglich werden und das Unplanbare wichtiger ist als präzise Ergebnisse.

Ein Festival als Publikation. Eine Publikation als Festival. Ein Publikationsbegriff, wie er vorhergehend dargelegt wurde, bleibt per Definition vage, ein unsicheres Terrain, das von jenen, die darin agieren, die Fähigkeit verlangt, Ungewisses und Mehrdeutigkeit auszuhalten. Obwohl dieses Dazwischen-Sein, das «Nicht-mehr-da aber Noch-nicht-dort», ein konstituierendes und treibendes Moment der Publikations-Sphäre darstellt, benötigt sie, wird sie als Handlungsbasis verstanden, doch einen minimalen strukturellen und inhaltlichen Rahmen: Dem Publikationsbegriff des Sedici Verlages liegt eine Auffassung zugrunde, der sich anhand der Modelle und Konzeptionen von Paul Soullelis und Michael Bhaskar erklären und umgrenzen lässt.

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Bhaskar illustriert in The Content Machine, dass ein einfacher Akt des «Veröffentlichens» kein ausreichender konzeptioneller Rahmen für den Vorgang des Publizierens ist. Tatsächlich wird Publizieren oft simplifiziert als «öffentlich machen» wahrgenommen. In dieser Auffassung jedoch wird der Tatsache, dass öffentliche und privat zunehmend vage, umstrittene Sphären sind, nicht stattgegeben; sie setzt die Existenz einer unbestreitbaren Öffentlichkeit voraus, die als soziale Totalität angesprochen werden kann. Ein auf diese Weise verstandenes Publizieren ist anfällig für eine möglichst breite, unreflektierte und monodirektionale Verbreitung von Informationen. Bhaskar schlägt in seinem Bestreben nach einer Konzeptionaliserung des Publikationsvorgangs stattdessen vor, dass «in Verbindung mit dem Inhalt, der die Voraussetzung für die Veröffentlichung ist, die Praktiken des Filterns und der Verstärkung der Kern des Publizierens sind.» Das Filtern von Inhalten geht immer mit einem kollaborativen Prozess einher, bei dem auch darüber nachgedacht wird, wie, warum und wann Informationen gesammelt, offen gelegt, verbreitet, manipuliert oder unterdrückt werden. Die Verstärkung (resp. Verbreitung) von Inhalten wird im Kontext der Überlegungen von Bhaskar nicht durch maximale Reichweite, oft oberste Priorität bei herkömmlichen Publikationen, validiert.3 Filterung und Verstärkung, ‘verlaufen in Rahmen nach Modellen. Während die Rahmen den Präsentations- oder performativen Aspekt‘ erfassen (sie liefern nicht nur die Arbeit, sondern liefern sie in einem bestimmten Rahmen [und mit einer gewissen Absicht]), umfassen die


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kation die Rolle eines sozialen oder institutionalisierenden Objekts ein, das eine rhetorisch aktive Sphäre initiiert, die in einen Diskurs eingebettet ist und von ihm bestimmt wird. Sowohl Bhaskar als auch Soullelis anerkennen, dass ein Publikum nicht per se existiert, sondern immer ein «kulturelles Artefakt» ist, das in einer bewussten und letztlich performativen Handlung immer wieder von Neuem geschaffen werden muss. Eine Öffentlichkeit entsteht in den Konzepten der beiden Forscher nur «durch die Wirksamkeit direkter Ansprache».6 Infolgedessen existieren Publikationen als diskursive Sphären nur mit und für ein bestimmtes Publikum und haben einen ephemeren Charakter. Aus einem Essay und Workshoptitel von Eva Weinmayr lernen wir, dass «one publishes to find comrades.»7 Stimmt. Aber die Fähigkeit, Gemeinschaften zu schaffen, die Publikationsprozessen innewohnt, erschöpft sich weder in einem Netzwerk-Effekt, noch sollte sie als ein simples Initiieren von Interessensgemeinschaften missverstanden werden. Viel eher bildet sich um ein Publikationsvorhaben ein Teil der Infrastruktur eines diskursiven, topischen Raums, eines räumlichen Proxys, eines Surrogats, das einen möglichen, alternativen Raum vorwegnimmt: Einen Raum, in dem (Gegen-) Diskurs stattfinden kann, in dem kollaborative, agonistische Prozesse der Verhandlung, des Erwerbens eines kritischen Bewusstseins und des verantwortungsvollen Umgangs mit Informationen ablaufen.

Modelle das «Zusammenspiel von Kausalfaktoren, Zielen, Motivationen und subjektiven ideologischen Untertönen, die die raison d’être für den Inhalt geben und ihn formen.»4 Indem Bhaskar den Publikationsvorgang von «ideologischem Beiwerk» befreit und ihn auf seine strukturellen Fundamente zurückführt, distanziert er sich von einem Publikationsbegriff, der sich auf die Herstellung von Objekt-Waren, die unbedingte Vermarktbarkeit, beschränkt, sowie von den vorherrschenden Mechanismen, Rollen, Zielen und Zeitlichkeiten, die herkömmliche Publikationsprozesse bestimmen. Er lehnt die glatte Form, das endgültige Ergebnis ab. Stattdessen nutzt er das Potenzial der un- oder noch nicht definierten Elemente, die jedem Publikationsprozess innewohnen und lässt ihnen Raum, sich innerhalb der Parameter seines Modells situativ und immer wieder neu zu entwickeln. In Anbetracht des Hintergrunds dieses Textes ist es nicht zu weit hergeholt, die Ideen von Paul Soullelis, quasi als Klammer für die Konzeption von Bhaskar, beizuziehen. Soullelis schlägt – aus ähnlichen Gründen wie Bhaskar – eine Differenzierung zwischen «Öffentlichmachen» und «eine Öffentlichkeit schaffen» vor: «Posting ist in der Regel ein blosses ‚öffentlich machen‘; indem eine Publikation eine ‚Öffentlichkeit schafft‘, generiert sie einen Raum für die Zirkulation eines Diskurses.»5 Ob eine Öffentlichkeit für die Zirkulation eines Diskurses mit dem Ziel geschaffen wird, eine Publikation zu machen oder sie zu verbreiten, ist letztlich irrelevant. In beiden Fällen nimmt die Publi20


Topische Räume – im Unterschied zum dimensionalen Raum nicht flächenhaltig, nicht teilbar (daher prädimensional) und mit absoluter Örtlichkeit – enthalten nicht notwendigerweise physische Elemente. Sie oszillieren zwischen realem Raum und abstrakter Sphäre. Trotzdem empfiehlt die gemeinschaftsfördernde Eigenschaft von Publikationsprozessen Orte, an denen sich AkteurInnen treffen und austauschen können. Um es mit Paul Soullelis zu sagen: «All die Arten, in denen ich mit Leuten online verbunden bin, treiben nun diese (…) Gemeinschaft im (…) physischen Raum voran. (…) Es ist wie eine Rollwende: wir haben immer gemeint, dass Gemeinschaften von einem Ort gegen aussen wachsen, aber nun fühlt es sich an, als ob dies vom Netzwerk in den Raum geschieht.»8 In physisch verankerten Publikationsprozessen und im Moment der Publikation können Räume entstehen, die sich «lokal innerhalb und kon21

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zeptionell ausserhalb» ihrer physischen oder ideologischen Situiertheit positionieren. Es sind Räume, die sich den widersprüchlichen Mechanismen ihrer ortsspezifischen, historischen9 und ideologischen Verankerung bewusst sind, die eine kritische Distanz zu den dominanten Narrativen und Kulturen pflegen, in denen sie verwurzelt sind, und die in der Lage sind, über die Zeitlichkeiten, Anforderungen und Beschränkungen ihres Umfeldes hinauszuwachsen. Die Widersprüche, die solchen physisch-konzeptionellen Orten innewohnen, könnten die Verhandlung von Regeln und Rollen, Narrativen und Wissen vorantreiben. Versteht man Publikationen als soziale oder institutionalisierende Objekte, die diskursive Sphären initiieren und Publizieren als ein prozessspezifisches «Schaffen einer Öffentlichkeit», das Handlungsperspektiven und -fähigkeiten eröffnet, dient das Veröffentlichungs-Medium als Hilfsmittel: es entsteht im und mit dem Produktionsprozess, statt seine


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Art und Richtung schon von vornherein zu bestimmen. Das Medium kann alles sein – vom Buch bis zum Sprechakt. Auch ein Festival. Das DA Festival ist eine mehrtägige Veranstaltung und die Diplom-Publikation des graduierenden Jahrgangs. Als HauptakteurInnen sind die Studierenden im Rahmen von Performances dazu aufgefordert, sich von den Einschränkungen zu distanzieren, die ihnen bei den Diplomarbeiten durch institutionelle und akademische Forderungen auferlegt worden waren. Sie haben die Aufgabe, ihr Thema für die Festivalbesucher zu übersetzen, während und durch ihre Performances diskursive Gemeinschaften, agonistische und ortsspezifische Stätten der Wissensproduktion, zu initiieren, die über die üblichen Adressaten von Diplomarbeiten whinausreichen. Eine temporäre Austauschbasis mit einem Publikum, wie sie die Studierenden mit ihren Performances schaffen, entsteht allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine minimale gemeinsame Verstehens- und Ansprache-Ebene zwischen allen Beteiligten besteht. Während sie bei performativen Publikationen durchaus auch auf einer non-verbalen Ebene entstehen kann, entwickelt sie sich vor der Veröffentlichung der Sedici-Publikationen entlang der Fragen, die jedem Publikationsprozess inhärent sind – etwa «wer spricht? Mit wem? Worüber? Wie? Wer hat die Macht zu definieren?». Die Fragen bestimmen die Perspektive, unter der sich die Teilnehmenden an Publikationsprozessen einem bestimmten Thema unter

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der Prämisse der vier Elemente nähern, die nach Bhakshar Publikationsprozesse ausmachen. Durch die Verhandlung der beeinflussbaren Elemente der Modelle und der geeigneten Rahmen für die Filterung und Verstärkung entwickeln die Teilnehmenden ein gemeinsames Set von Veröffentlichungsbedingungen. In diesem Vorgang entwickeln sie ein kritisches Bewusstsein nicht nur für das jeweilige Thema, sondern auch dafür, wie verantwortungsvolle Recherche betrieben wird, wie Informationen gesammelt, aufgearbeitet und verbreitet werden, und dafür, wie die ihrem Vorhaben zugrundeliegenden ökonomischen Systeme, die technologischen, politischen, sozialen und kulturellen Mechanismen funktionieren. Des Weiteren schärfen sie ihren Blick für die eigene Position vor dem Hintergrund einer umfassenden Perspektive, behandeln Fragen der Subjektivität, politischen Wirkungsvermögens, der Kommunikation und Übersetzung. Inhalte zu publizieren, heisst auch, Verantwortung für sie zu übernehmen, sie zu reflektieren, in ihrer «Daseinsberechtigung» zu argumentieren. Der Austausch mit Anderen – vor oder während der Veröffentlichung – ist immer auch eine Begegnung mit dem potenziell Unbekannten, Unverständlichen. Das Fremde, das Befremden, der potenzielle Konflikt, die Verschiedenheit, das Undurchschaubare werden im Diskurs weder aufgehoben noch negiert, sondern zum integralen Bestandteil jener intimen Verbundenheit, die in Prozessen des Teilens und Diskutierens, Bezeugens, Übersetzens und Aushandelns der eigenen Position vor dem


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selber und gegenüber einem potenziellen erweiterten Publikum charakterisiert, können die in einen Publikationsprozess involvierten AkteurInnen eine spezifische Denk- und Handlungsweise annehmen. Beim Publizieren muss durchaus Stellung bezogen werden. Aber – wie Nora Sternfeld sagt: «ohne absehen zu können, was dieser Standpunkt sein soll und was er bewirken kann.» Am Beispiel des kuratorischen Vermittelns unterstreicht sie, wie wichtig es in der Lehre ist, die Reproduktion von Wissen zu überkommen und offen zu sein für «die Möglichkeit einer Wissensproduktion, die – fordernd oder subtil – daraufhin wirkt, den Apparat der Werte-Kodierung herauszufordern». Lernende sollen einen politischen Standpunkt einnehmen, doch: «Die Notwendigkeit einen Standpunkt einzunehmen [ihn zu verhandeln und zu vertreten] und die damit einhergehende Unmöglichkeit, zu wissen, ob wir auf der ‚richtigen Seite‘ stehen, stellt die damit einhergehenden Prozesse mit einem ’einschränkenden Vielleicht‘ auf die Probe. Dies entspricht einer Art Aussetzens der Zeit, das wir als konstitutive Komponente des Entscheidungsaktes annehmen müssen».13 Oder wie Simone de Beauvoir es in ihrem Roman Die Mandarins von Paris ausdrückt: «In einem gekrümmten Raum kann man keine gerade Linie ziehen.» 14 Publikationen sind im Moment ihrer Veröffentlichung nicht fertig, sie erheben nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder absolute Wahrheit, sondern sind ein temporärer «Zwischenstand» eines Diskurses. Ihre Absicht ist es, eine Verbindung zwischen

Hintergrund des Anderen entsteht. In Prozess und Publikation existieren verschiedene Stimmen mit- und nebeneinander; die Begegnung mit dem Anderen, dem Undurchschaubaren, mit Paradoxen, Verunsicherndem und Betroffen-Machendem wird nicht als Behinderung, sondern als treibendes Moment verstanden. Das in solchen Prozessen nötige kritische Involviert-Sein erfordert von den Studierenden die Bereitschaft, über sich selbst hinauszudenken und zu agieren, dem zuzuhören und das zu empfinden, was sonst zum Schweigen gebracht oder marginalisiert wird: Mit den Anderen «Partners in difference»10 zu werden, wie es Griselda Pollock fordert. Publizieren in diesem Sinn sei, schreibt der Sprachwissenschaftler Michael Warner in Publics and Counterpublics, ein «poetisches [vielleicht besser: sym-poietisches, bestimmt nicht auto-poietisches] Worldmaking,»11 das aktive und bewusste Schaffen von Welten also – keine Utopien, sondern produktive Terrains. Doch auch wenn für diese die soziopolitische Alternative, die innerhalb eines Publikationsvorhabens entwickelt wird, konstitutiv ist, müssen sich die Teilnehmenden an solchen Prozessen darüber bewusst werden, welche Art von Gemeinschaften – oder Kin, Wahlverwandtschaften, wie Donna Haraway vorschlägt12 – aus den Bedingungen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, hervorgehen können. Das setzt voraus, dass jede diskursive Aktivität sich zuallererst rhetorisch gegenüber anderen und vorherigen Projekten des Worldmakings erkennen und situieren muss. Nur, wenn man sich gewahr ist, wie die eigene Sphäre sich 24


den Diskursräumen vor und nach der Veröffentlichung zu schaffen. Publizieren ist ein symbolisches und diskursives Weitergeben von Inhalten, es enthält immer einen Akt des Loslassens, denn Publikationen sind keine Gated Communities für Peers, in denen Wissen in geschlossenen Sphären zirkuliert, bei denen kontrollierte Übergaben als sinnentleerte Pro-Forma-Handlungen geschehen. Das Englische to release, das neben veröffentlichen auch frei- oder loslassen bedeutet, charakterisiert diese performative und symbolische Geste der Übergabe eines Diskurses gut, die auch das Ziel der Performances im Rahmen des DA Festivals ist. Seien es Rauminterventionen, Soundinstallationen, Lesungen oder Flugblätter: Alles sind Formate des Publizierens, die sich in der Absicht, einen Diskurs zu erweitern oder weiterzugeben, während des DA Festivals nicht nur mittels der direkten Ansprache eines Publikums, sondern auch physisch – etwa mit Leitergerüsten oder Handwagen – in das, was heute landläufig öffentlicher Raum genannt wird, einschalten. Sie reklamieren Platz für (Gegen-)Öffentlichkeiten, initiieren diskursive Gemeinschaften, in denen Wissen und Handlungsmacht gemeinschaftlich als soziales Gut erarbeitet wird, und sie generieren so eine Basis, auf der Gestaltung ihr transformatorisches Potenzial entfalten kann.

1

Boano, Camillo, e-book The Ethics of a Potential Urbanism: Critical encounters

between Giorgio Agamben and architecture (London: Routledge, 2017). Ibid.

3

Im konzeptionellen Extremfall wäre, laut Bhaskar, das Ziel der Verbreitung sogar

bereits dann erreicht, wenn eine Publikation im Augenblick ihrer Veröffentlichung eine Akteurin oder einen Akteur mehr erreichen würde als jene, die in die vorhergehenden Gestehungsprozesse involviert waren. Siehe: Bhakshar, Michael, The Content Machine. Towards a Theory of Publishing from the Printing Press to the Digital Network (London, New York, Delhi: Anthem Press, 2013) 4

Ibid., S. 18ff.

5

Soullelis, Paul (2015) «Making Public», www.docs.google.com/document/d/1-yr-

TRf2HjV8WNoQttAeJ9ObIjWjv0w2LITDXzGPFtw/edit?usp=sharing (zuletzt besucht 20. Juli 2017) 6

Warner, Michael (2002). «Publics and Counterpublics ( abbreviated version)», in:

Quarterly Journal of Speech Vol. 88, No. 4, November 2002, 7

www.evaweinmayr.com/work/one-publishes-to-find-comrades/

8

Paul Soullelis in einem Interview, Miss Read, 2016, www.vimeo.com/180719257

(zuletzt aufgerufen am 7. August 2017) 9

Eine solche Perspektive kann nicht darauf verzichten, historisch gewachsene

hegemoniale und hegemonisierende Einheiten zu untersuchen, um das Fortschreiben präsenter Narrative, ihre Verstrickung und Verbreitung zu verfolgen und die Kräfte zu erklären, die unsere Gegenwart bestimmen: wie McKenzie Wark sagt: «Manchmal muss man zwei Schritte zurückgehen, um drei Schritte vorwärts zu machen. Zurück ins Archiv, um Materialien zu finden, um weitergehen zu können – aber auf eine neue Art. Ich denke einfach nicht, dass die kanonischen theoretischen Ressourcen noch adäquat sind, um die Gegenwart zu verstehen. Wir brauchen neue Vorfahren, um unsere ZeitgenossInnen zu lesen.» Aus: McKenzie Wark. Molecular Red: Theory for the Anthropocene (London, New York: Verso, 2016), S. 4 10

Pollock, Griselda, «From the Virtual Feminist Museum to the Analysis of Biennial Cul-

ture,» in: Mende, Doreen (Hrsg.), Thinking under Turbulence (Genf: HEAD, 2017), S. 140 11

Warner (2002), S. 413ff.

12

«So, make kin, not babies! It matters how kin generate kin.» In: Haraway, Donna,

Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene (Durham und London: Duke University Press, 2016), S. 103 13

Sternfeld, Nora (2010), «Unglamorous Tasks: What Can Education Learn

from its Political Traditions», www.e-flux.com/journal/14/61302/unglamorous-tasks-what-can-education-learn-from-itspolitical-traditions/ (zuletzt besucht am 20. Juli 2017) 14

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de Beauvoir, Simone, Die Mandarins von Paris (Berlin: Rowohlt, 1965), S. 875

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Abends bin ich Profi, Erdloch Science in der Provinz. Erleben Sie alles andere als Banane!


Die Akademie unter Palmen ist die Fussgängerzone der neuen Wilden. Myself Sendebetrieb, denn Da ist Upgrade.


DA Festival Daily

Day 2 Donnerstag 24.08.17 Making a Public

DA FESTIVAL

Hamburger Botschaft Sternstr. 67, 20357 Hamburg

Day 1 Mittwoch 23.08.17 Abends bin ich Profi

17 Uhr Knowledge Lotto* (01 – 17)

Hamburger Botschaft, Sternstr. 67, 20357 Hamburg

21 Uhr Making a Public Knowledge-Hang out mit Rebekka Kiesewetter (rebekkakiesewetter.com), Torben Körschkes (Heft Hamburg), Team Sedici Verlag (HyperWerk HGK FHNW )

17.30 – 21 Uhr Knowledge Time

17 Uhr Vernissage 18.30 Uhr Knowledge-Lotto* (01 – 17)

22 – 24 Uhr Heavy Loitering Dazu: Idea Beer Bar – I sold my knowledge for some beer, Virtual Reality-Ausstellungen und Performance, Sedici Bookshop, Workshops, Vorträge, Musik, Knowledge Transfer und Diskussion, DA Mobil, Flânerie, Input und 20 Gäste aus der Schweiz.

19 – 22 Uhr Abends bin ich Profi – Knowledge Time 22 – 24 Uhr Heavy Loitering

Das DA Festival dankt herzlich

Dazu: Idea Beer Bar – I sold my knowledge for some beer, Virtual Reality-Ausstellungen und Performance, Sedici Bookshop, Performances, Vorträge, Musik, Knowledge Transfer und Diskussion, DA Mobil, Flânerie, Input und 20 Gäste aus der Schweiz.

Aqua Monaco Ratsherrn Brauerei Hamburger Botschaft Kitchen Guerilla 2erpack studios Hamburg Kreativ Gesellschaft Mediadruckwerk

Mehr Infos unter dafestival.com

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Day 3 Freitag 25.08.17 DA on the road Oberhafenquartier Ab 16 Uhr Wo, was und wann wird noch bekanntgegeben via Instagram und Facebook, Telefonlawine, SMS und dafestival.com

*Knowledge-Lotto (01 – 17) 01 Alexandra Stöckli, Projekt Rosa 02 Anna Cordasco, Über das Institut für Textiles Forschen 03 Claudio Bernath, Das Tauchtiefen-Restlicht-Problem 04 Claus Pfisterer, RealVRip, eine VR-Expedition 05 Jannik Roth, Clubwelt in der Sackgasse 06 Josephine Weber, Let’s shredder 07 Kevin Spahija, The taste of an unknown city 08 Larissa Lang, Unter Rosaschein 09 Louis Moser, greetings Basel - ein Kulturverein fördert sich selbst 10 Lük Popp, Das postvirtuelle Internet 11 Lukas Walker, Let it grow 12 Meret Burckhalter, Findet mich Kultur? 13 Nora Fankhauser, Circumpolar – Nachbarschaft verbinden 14 Olivia Schneider, Mit Geranien gegen die Entwurzelung 15 Romain Tièche, We are all Romain Tièche 16 Simon Gall, Prophet Google 17 Stefano Pibiri, Das Flanierbüro

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DA FESTIVAL

Mit dabei: Idea Beer Bar, Sedici Bookshop, VR, Inputs, Vorträge, Transfer Disko. Mehr Infos und das ausführliche Programm unter dafestival.com


DA Festival Programm Hamburg 01 – 08 01

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Alexandra Stöckli

Claudio Bernath

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Projekt Rosa Input-Vortrag und Denkschule Über Programmierung und wie wichtig es ist, die Grundlagen der Informatik zu verstehen.

Das Tauchtiefen-Restlicht-Problem Performance auf der Bühne Erläuterung des Tauchtiefen-Restlicht-Problems, eine Metapher zur Reflexion von Denken und Wissen mit Einbezug von endogenen Strömungen und exogenen Wellen und Winden. Was liegt in den Untiefen des Meeres? Können Metaphern eine Möglichkeit der Verarbeitung unvergleichbarer Inhalte bieten und zur Homogenisierung von Gedankengut beitragen?

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Anna Cordasco Über das Institut für Textiles Forschen Lecture und Live-Tufting Textiles Handwerk heute? Im vergangenen Jahr haben wir mit diversen Projekten aufgezeigt, wie sich das Institut für Textiles Forschen bewegt und was innerhalb des Instituts möglich ist. Die Gemeinsamkeit der Projekte ist das textile Handwerk, welches meist durch unerwartete Kombinationen thematisiert und neu positioniert wird. Wir stellen Erinnerungen und Ergebnisse unserer Enteckungsreise vor. Live-Tufting inklusive.

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Claus Pfisterer RealVRip, eine VR-Expedition Live VR-Demo durch Publikum Sind Sie reif für das Abenteuer? Haben Sie es satt, Ihre Zeit mit Kreuzschifffahrten, Dschungelsafaris und Tempelbesichtigungen zu verbringen? Buchen Sie heute noch RealVRip und werden Sie Teil einer unvergesslichen Expedition. Ausgerüstet mit einem Datenhelm führen wir Sie an den Rand der Wirklichkeit. Begegnen Sie im Dickicht künstlich photogrammmetrierter Welten Ihrer eigenen Vergangenheit. Claus Pfisterer, VRinnerungs-Experte, nimmt Sie mit in die Welt von VRinnerungsreisen.

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Jannik Roth Promoting aint‘t dead! – Wege aus der Clubbing-Sackgasse, Jahrgang 2017 Podiumsgespräch Clubbing war – zumindest im Schweizerischen Kontext – in den letzten Jahren in die Sackgasse geraten. Vom grossen Clubsterben war kürzlich die Rede; doch es scheint eine Wende zu geben wo und wie sich Clubkultur zu manifestieren scheint. Jannik Roth, Promoter aus Basel, geht mit seinen Talk-Gästen neuzeitlichen Konzepten der Clubbing-Promotion auf den Grund. Ein Gespräch über die alternativen Formate der Lagerfeuer unserer Zeit.

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Kevin Spahija

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Josephine Weber Let’s shredder Shredder-Action und Vortrag Hilf mit bei der Schredderaktion. Wähle aus ausgedruckten Porträtfotografien Deinen Favoriten aus und lass ihn am Ende gekürt werden. Die Loser-Bilder darfst Du gleich selbst im Schredder versenken. Das Winner-Bild wird eingerahmt und darf mit nach Hause genommen werden. Eingeleitet durch einen Vortrag über fotografische Entscheidungsprozesse und das «how to making-of.»

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Larissa Lang Unter Rosaschein Lecture Performance Larissa Lang lädt uns in ihr Zelt ein, das eigentlich ein Fallschirm ist. Dieser Ausflug, respektive Einflug, ist eine Verbindung von einem sinnlichen Erlebnis zu einem Vortrag. Larissa erzählt über ihre Erfahrungen und Erlebnisse, welche sie mit ihrem Zelt gemacht hat. Es geht um den Raum des Zeltes und wie wir diesen als sinnliche Dimension erfahren. Gleichzeitig verbindet sie das geteilte Wissen und das unmittelbare Erleben. Eine kleine Reise, Momente des Staunens und eine erweiterte Raumwahrnehmung erwarten uns.

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DA FESTIVAL

The taste of an unknown city A five-ingredient story A gastronomic experience is the product of this Interactive performance-experiment. During a five-day span process, the participants will exchange their perceptions of Hamburg through their personal emotional triggers and story telling in order to create a grid of interactive stimuli between the senses and the participants perception of the city. Kevin will aim to translate this grid into a gastronomic performance that represents his own perception of Hamburg through the story of others.


DA Festival Programm Hamburg 09 – 17 09

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greetings Basel – ein Kulturverein fördert sich selbst. Vortrag greetings Basel zeigt Einblicke. Kulturförderung durch Kommunikation im virtuellen Raum. Bring Dein Smartphone!

Let it grow Vortrag mit zwei Wasserpistolen Was ist Pilz und welche Energie birgt er? Der Vortrag behandelt die Wichtigkeit des Pilzes im Ökosystem des Waldes. Systematisch wird gezeigt, welche Positionen der Pilz einnimmt und welche Arbeiten er verrichtet.

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Louis Moser

Lukas Walker

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Lük Popp

Meret Burkhalter

Das postvirtuelle Internet Input-Referat Laut Lük Popp manifestiert sich das postvirtuelle Internet im physischen Raum und verlässt damit seine rein virtuelle Form. Was das bedeutet, erklärt und demonstriert er anhand seines aktuellsten Experiments «Thanks China». Er spricht über den paradoxen «Great Firewall of China», das Potentzial von experimentellem Webdesign und wieso er das Internet in die Wohnzimmer und auf öde Plätze bringen will.

Findet mich Kultur? Input-Vortrag und Kultur-Speed-Dating Wie können wir unser individuelles Verständnis von Kultur zum Ausdruck bringen? Als Einstieg für die öffentliche Gesprächsrunde findet ein Kultur-Speed-Dating statt: Alle Teilnehmer drücken sich selbst einen kulturellen Stempel auf, danach wird in Zweiergruppen eine gemeinsame Kultur ersonnen. Auf spielerische Art tasten wir uns an den persönlichen Kulturbegriff heran und versuchen zusammen eine Antwort zu finden.

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Nora Fankhauser Circumpolar – Nachbarschaft verbinden MitmachVortrag über die Aneignung öffentlicher Räume Wieso sollten partizipative Methoden öfters in den Planungsprozess einbezogen werden? Wie und von wem können Stadtquartiere als Möglichkeitsräume gestaltet werden? Wie kann urbane Alltagspraxis zum richtungsweisenden Faktor von Stadtentwicklung werden? Als Input präsentiere ich die Ergebnisse aus einem Workshop mit Planbude Hamburg und suche mit dem Publikum nach weiteren partizipativen Methoden.

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Romain Tièche

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Olivia Schneider Mit Geranien gegen die Entwurzelung Streifzug durch die Stadt, Performance In Hamburg sucht Olivia Talina Fosca Menschen, die der Schweizer Nationalblume und Königin der Migration einen Platz in ihrem Garten oder auf ihrem Balkon bieten. Jeden Tag wird einer Pflanze ein neues Zuhause geschenkt. Insgesamt werden mit fünf Geranien in Hamburg ein Zeichen für eine weltoffene Stadt gesetzt. Wo die Geranien ihren Platz gefunden haben, wird Olivia am letzten Tag bekanntgeben. Danach können die Orte in einem Rundgang besichtigt werden. Weitere Informationen auf geranienwelt.ch

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Simon Gall Prophet Google Predigt Prophet Google predigt zu seiner Gemeinde über das Aufgeben ihrer Privatsphäre und das digitale Segnen.

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Stefano Pibiri Das Flanierbüro Input-Vortrag mit anschliessender individueller Flânerie Über Gefäße, Sehnsüchte und wie sich der Aspekt der Ziellosigkeit im Flanieren mit einer gestalterischen Praxis vereinbaren lässt.

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DA FESTIVAL

We are all Romain Tièche Podium presentation with banana and watergun. Presentation of the Romain-Tièche metaphor, which explains the problem of paradigms and their unconscious influence on our ways to act.


Sedici Expertise

05 Jannik Roth Clubwelt in der Sackgasse

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Alexandra Stöckli Projekt Rosa

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Anna Cordasco Institut für Textiles Forschen

Josephine Weber #youniverse

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Claudio Bernath Das TauchtiefenRestlicht-Problem

Kevin Spahija ephemera

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Larissa Lang UntenDrunter

Claus Pfisterer Erinnerungen

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13 Nora Fankhauser Circumpolar

09 Louis Moser greetings Basel

14 10 Lük Popp Post Virtual Net

15 Romain Tièche Dies ist ein Kubus

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Lukas Walker nature moods

Simon Gall Does It Matter

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Meret Burkhalter Findet mich Kultur

Stefano Pibiri Flanierbüro

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Olivia Schneider Grenzpräsenz


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Frei nach Gilles Deleuze und Félix Guattari aus Rhizom, Merve Verlag Berlin

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INTO THE WHY Jahresthema der Sedici, HyperWerk, Jahrgang 16


INTO THE WHY

MISSION STATEMENT des Jahresthemas der Sedici, Jahrgang 16, HyperWerk HGK FHNW, Basel. Jeder Mensch wirkt durch Gestaltung und kreiert so eine Fülle an Informationen, die verhandelt werden wollen. Gestaltung ist per se Wirkung und kann nur in ihrer Auswirkung beurteilt werden. Das ist Teil unserer Selbstbewirkung. Das kulturelle Handeln ist der Ursprung unseres Selbstverständnisses und definiert uns als Akteure inmitten unserer selbst. Mit der Sesshaftwerdung des Menschen begann der Kampf um Territorien. Mit der Erfindung der Schrift und der Geschichtsschreibung das Ringen um Deutungshoheit, Wissen und Wahrheit. Mit dem Internet – der grössten vom Menschen geschaffenen Ansammlung von Informationen – begann das Ringen um Einordnung, Verortung, Vernetzung und Autorschaft. Wir hangeln uns pausenlos von Gedanke zu Idee zu Manifest und zurück. Hashtags sind unsere Leuchttürme, unsere Screens sind die Seekarten der noch neueren Welt und ebnen damit den Weg zu neuen Ressourcen. Es entsteht dabei ein unübersehbares Universum an Informationen, bewohnt von den verschiedensten Kreaturen und Akteuren. Wir verschlingen, was uns unter die Augen kommt. Wir ernten Inhalte, von denen wir nicht wussten, dass wir, unser Geist und unser Körper, nach ihnen suchen. 40


Wir handeln unmittelbar und multidimensional. Wir werten nicht, wir verwerten. Wir betreiben Digital Information Mining.

Wenn wir die physische Realität als kollektiv praktizierte Fiktion begreifen, dann ist das DA als die freie, anarchische, radikale Version davon zu verstehen. Sie benötigt weder Konsens noch Einwilligung. Einzig das Übertragen, also das Publizieren in den Raum, erzeugt den DA-Moment. Und geht im DA auf. Unsere Beziehung zum DA ist vergleichbar mit der einer Mykorrhiza. Das DA umfasst die gesamte Spanne der Auseinandersetzungsmöglichkeiten des Menschen mit sich und seiner Umwelt und berührt dabei sämtliche Wissensgebiete, Kulturkreise und Volksgruppen. Wir schliessen nichts und niemanden aus. Wir wissen und zweifeln zugleich.

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INTO THE WHY

Es geht uns dabei nicht um die Ergründung und Erschaffung von institutionell tradiertem Wissen. Amateurhaftes beziehen wir ebenso mit in unser Handeln ein wie hochkomplexe Profi-Materie. Die Daten, mit denen wir wechselwirken, sind weder wahr noch falsch. Die übermittelten Zeichen unterstehen einer permanenten Verhandelbarkeit durch uns selbst und lassen uns zu Autoren werden.


INTO THE WHY

Jan Knopp, Olivier Rossel und Michael Tatschl Team Sedici Jahresthema HyperWerk HGK FHNW

Mit der Veröffentlichung der ersten Website durch Tim Berners-Lee im Dezember 1990 begann sich die Welt gravierend zu verändern. Durch die nahezu exponentiell wachsende, globale Nutzung des Internets als neues Medium etablierte sich eine neue Weise, wie Information geschaffen, gelesen und verbreitet wird.

Bereits 2014 wurde die 1-Milliarden-Marke an Websites erstmals erreicht; im Jahr 2015 wurden an die 4 Millionen Stunden Videomaterial pro Tag auf YouTube hochgeladen; circa 4,3 Milliarden Facebook-Nachrichten verschickt; an die 40 Millionen Tweets geteilt; über 3,5 Milliarden Suchanfragen täglich von Google verarbeitet; und nahezu 205 Milliarden E-Mails pro Tag verschickt. Jeder User und jede Userin trägt zur Datenmenge bei, indem man Inhalte publiziert, kopiert, interpretiert, teilt, kreiert, transformiert, kommentiert und mittels Hyperlinks verknüpft. Die dabei entstehenden Daten und deren Zusammenhänge häufen sich auf diesem jederzeit zugänglichen Informationshaufen an.

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Die digitale Parallelwelt scheint trotz ihrer immerwährenden Jugendlichkeit das Grundgerüst unserer Zivilisation darzustellen. Unsere Wirtschaft, die Forschung und vor allen Dingen unser gesellschaftliches Miteinander gäbe es in der heutigen Form ohne diese Instanz nicht. Sie ist eine Errungenschaft in der Erkenntnisschöpfung des Menschen. Sie ist Rohstoff und Material, unabhängig und wertfrei, und dient der Schaffung von Neuem.

Digitale Monaden als ephemere, blitzende Schätze des DA Digitale Monaden entstehen in der Perzeption, dem Orbiting im digitalen Informationsraum. Erst dann folgt die Apperzeption, und aus diesem Moment das Entstehen einer Idee, also eines Gedankens, nach dem man handeln kann. Digitale Monaden sind erste, flüchtige Aggregatzustände, «Bodenschätze» als Ergebnis des Digital Harvesting. Danke fürs Teilen!

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INTO THE WHY

Seit mehr als 25 Jahren wächst eine nie dagewesene, transnationale, transkulturelle und jederzeit gegenwärtige Informations- und Interaktionssphäre heran, die wir als das DA anerkennen. Sie ist weder hier noch dort – sie ist da.


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The Official 1 Google Fanclub recommends:

goo.gl/ K3cLzW 1

DA-Fandom-Gruppe mit Hauptsitz in Basel

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Look DA! 2erpack studios Workshop

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Text und Bild: Hannes Mussbach und Behruz Tschaitschian

Zusammen mit einer Horde ambitionierter Studenten konnten die 2erpack studios, Hannes Mussbach und Behruz Tschaitschian, in drei Tagen das Corporate-Design für das DA Festival in Basel und Hamburg an den Start bringen. Die Aufgabe war ebenso einfach wie schwer – wenn es DA heisst, sollte es auch DA sein. Daher zogen wir einen einfachen Trick aus dem Hut und spiegelten das Logo in die Wirklichkeit. Der multifunktionale DA-Festivalwagen wird zum fahrenden Logo, plakativ und schnörkellos, sodass Alle das DA erkennen und DARAN teilnehmen. Signifikant beim DA-Corporate Design sind die starken, roten Konturlinien. Markierungen, die sich durch das gesamte Gestaltungsbild ziehen und hier und DA mehrdimensional den roten Faden erkennen lassen. Die 2erpack studios bedanken sich für die erfolgreichen WorkshopTage. Es war schön, DA zu sein. Lasst den Wagen rollen!

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Jetzt, hier, DA. Mit lieben Grüssen von der Seitenlinie «Die Zukunft ist, was uns zu zweit verwirrt.»

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Text: Max Spielmann Und alleine? Erkenne ich dann den Horizont? Wieso zu zweit und nicht zu dritt? Entspricht die Zwei einer absoluten Pluralität als Gegensatz zur Singularität? Oder ist es die Zweiheit, dieser spezifische Zustand eines Paares, welche die Zukunft verwirrend erscheinen lässt? Ist es die Zwei als eine Formel des Gegenübers – zwei Akteure im Diskurs, ob als Personen, als Gruppen oder als nicht-menschliche Akteure, die sich im Dickicht der Komplexitäten verlieren? Nun sitzen sie da - verwirrt nach all den Gesprächen und leicht verloren im Fluss der Zeit. Willkommen im «Into the Why»!

beim Aufwachen. Sie sind absolut und erschreckend gegenwärtig. Also vergessen wir die Moderne, diesen drei-, vierhundertjährigen Aufbruch in das Neue, diese Vorstellung von einer nicht abbrechenden Aufwärtsbewegung in eine bessere Zukunft. Es ist nicht so, dass Träume bei jeder Wiederholung gleichbleiben. Leichte Verschiebungen, Permutationen fügen sich ein, und irgendwann ergibt sich ein anderer Sinn. Nur ist die Bewegung nicht linear; sie ist nicht vorhersehbar, und das scheinbar plötzlich Auftauchende ist primär anders und damit auch wieder gleich – nicht besser und nicht schlechter.

Ich erwache aus einem Traum. Ich träume ihn immer wieder, in unterschiedlichen Abständen. Hier geht es eigentlich nicht um seinen Inhalt. Kurz zusammengefasst: Ich habe eine Prüfung versäumt, welche ich im wirklichen Leben längst bestanden habe, und muss sie nochmals ablegen. Wenn nicht um den Inhalt, worum geht es dann? Um das Zeitgefühl, mit welchem ich und wir alle oft träumen. Etwas findet statt, fand statt und wird immer wieder stattfinden. Und den Traum werde ich immer wieder träumen, in der gleichen Form, gleich klar oder gleich verschwommen, so wie er schon immer war. Die Zeit ist und bleibt dabei gänzlich unbestimmt. Ganz im Gegensatz zu den mit dem Traum verbundenen Gefühlen

GestalterInnen haben es in diesen Zeiten nicht einfach. Als DesignerInnen sind wir Kinder der Moderne, eines Berufsfeldes entstanden mit der Industrialisierung, durch die Abtrennung des Entwurfs von der Produktion. Der Abschied von der Moderne führt zu einer grundsätzlichen Veränderung unseres Selbstverständnisses. Und gerade jetzt sind wir aufgerufen, die Welt oder zumindest die Welt des Wachstums zu retten. Wir sind die SpezialistInnen der Zeichen, und in unserer Zeit des Semiokapitalismus sind Zeichen das Material, mit dem Kapital und Wachstum erzeugt werden. Geld ist ein Zeichen und wird zunehmend mit Zeichen verdient. 48


halb und semio für eine mit Schrift- und Bildzeichen operierende Oralität. Sie ist assoziativ, situativ, aggregativ, nachahmend, vernetzt, bestätigend, multidimensional, unmittelbar und emotional. In Verbindung mit den visuellen und auditiven Zeichen entstehen komplexe, vernetzte und assoziative Botschaften. Sie simulieren Nähe und Emotionalität. Und damit sind sie ein Simulacrum – die Ähnlichkeit zur primären Oralität täuscht. Es fehlen die Körper, die Präsenz, die nonverbalen Verständigungskomponenten, die sozialen Situationen und der Sprechakt als einmalige performative Handlung des gemeinsamen JETZT, HIER, DA. Das Jetzt des Netzes ist ein Dauerzustand der Gleichzeitigkeit – die absolute Beschleunigung des immer Mehr führt in einen Stillstand. Ich kann das Jetzt jederzeit abrufen, in Zukunft, gegenwärtig oder in der Vergangenheit. Nur der Index der Meldung verweist auf den realen Zeitpunkt der Produktion. Wir verpassen eigentlich dauernd alles, und es bleibt gleichzeitig jederzeit verfügbar. Darauf reagieren wir mit Begeisterung und Manie, mit Panik oder mit Apathie. Dabei könnten wir uns beruhigt zurücklehnen. Doch zurück zur Rettung der Welt. Die Klimaveränderungen und die Ressourcenverknappung, die totale Kommodifizierung und die Sinnentleerung, die akzentuierte Globalisierung mit 49

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Zeichen werden gesammelt, strukturiert, analysiert, verwendet und verkauft. Maschinen bearbeiten Zeichen, verwenden und rekonfigurieren sie. Die klassische Industrie ist nicht tot – doch die maximalen Renditen werden mit Zeichen realisiert. Und diese Zeichen haben eine Gestalt; sie werden zu Narrativen geformt, sie begleiten und normieren Prozesse und Vorstellungen. Sie müssen dauernd gelesen und verarbeitet werden. Wir sind Teile einer Verwirrung, die wir als Kognitariat bezeichnen. Kognitariat meint die prekäre Situation in der Wahrnehmung und im Umgang mit Informationen. Es geht dabei um deutlich mehr als um die Informationsflut oder die Filterblasen. Es geht um die Verselbstständigung der Maschinenlogik mit ihren Bearbeitungsmechanismen im Umgang mit Informationen. Wenn wir soziale Medien benutzen, wenden wir eine Form sekundärer Oralität an. Ein zentraler Teil der Kommunikation erfolgt in schriftlicher Form, doch lehnt sich diese direkt an die mündliche Verständigung an und wird ergänzt durch Bilder, Kollagen, Mimes, Sounds und Filme. Alle Elemente werden automatisiert in Vernetzungen mit anderen Personen eingebettet sowie mit ähnlichen Informationen, von Hand generierten Likes und algorithmisch hergestellten Verbindungen vernetzt. Nennen wir diese Kommunikationsform Semioralität, semi für


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Prekarisierung von Demokratie und Menschenrechten – es brennt an allen Ecken und Enden. Design bleibt innovativ und neu. Die Kreativwirtschaft ist Motor der Wirtschaft und Indikator für Städte mit Wachstumspotential. Für jedes Problem gibt es einen durch design thinking inspirierten Lösungsweg. Damit produzieren wir Zeichen und neue Erzählungen für das nach wie vor geltende Grundnarrativ der Moderne.

tigen Probleme wirksam angehen zu können? Mit Wachstumserzählungen lassen sich nun mal keine Antworten auf Wachstumsprobleme finden. Der erste Teil eines bekannten Zitats von Charles Eames lautet: «Innovate as a last resort.» Alleine gelesen könnte der Satz als Affirmation zu Innovation, Wachstum und Fortschritt verstanden werden. So ungefähr: «Wir GestalterInnen haben in der Innovation einen letzten Rückzugsort gefunden. Hier lässt es sich gut leben, hier entsteht wirklich Neues.» Doch der zweite Teil des Zitats dreht die Aussage um: «More horrors are done in the name of innovation than in any other.» Wo und wie kann Gestaltung stattfinden? Ein weiteres Zitat von Charles Eames gibt Hinweise auf eine mögliche Antwort «Eventually, everything connects – people, ideas, objects. The quality of the connections is the key to quality per se.»

Oder wie in der TAZ vom 1.8.17 zu der Modeschöpferin Rei Kawakubo (Comme des Garcons) vermerkt wird: «Ihr selbstbekundeter Wille, mit jeder Kollektion etwas völlig Neues zu schaffen, das noch nie gemacht oder gedacht worden ist, erinnert an den Pioniergeist der Moderne.» Was hat dies mit einer Kleidertauschbörse zu tun, die mit Tauschen den Mechanismen der Modeindustrie etwas entgegensetzen will? Und im schlimmsten Erfolgsfall wird daraus eine Fashion-Sharing-Economy, die Platz schafft in vielen überfüllten Kleiderschränken, damit noch mehr Kleider gekauft werden können. Die Grundfrage stellt sich für die Kleidertauschbörse ebenso wie für Vivienne Westwood oder Rei Kawakubo: Wie mit Marktmechanismen umgehen und dabei konsequent einen eigenen Weg gehen? Diese Modeikonen sind Sinnbilder für individuelle Möglichkeiten des Umgangs mit den jeweiligen Regeln, und sie sind damit Teil eines umfassenden Narrativs: Du kannst es schaffen, wenn du mit radikal Neuem konsequent deinen Weg gehst. Wo finden sich Brüche im Narrativ; Überschiebungen, die notwendig sind, um viele der heu-

Vernetzung beginnt im Plural – zu zweit. Vernetzung benötigt den physischen Raum mit den sozialen Auseinandersetzungen und der Oralität als performativer, eigener Handlung. Verständigung ist eine ästhetische Arbeit – eine Ermöglichung der sinnlichen Wahrnehmung durch das Gegenüber. Gestaltung ist im DA als Gestaltung von Prozessen, von Lebensräumen und Lebenszusammenhängen, von Produkten als Aktanten in diesen Relationen und von Erzählungen dieser Gestaltungsprozesse als eigenständige Gestaltungstätigkeiten zu verstehen.

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eben erst begonnen. Verwirrung ist da wohl eine sehr angebrachte Reaktion, die in keiner Weise Handeln verunmöglichen muss. Wir sind angekommen. Reisen Zitate und Begriffe wie diejenigen von Charles Eames durch Zeit und Raum, dann holen wir sie hervor und feiern sie als Teil unseres DA-seins – wir arbeiten mit ihnen.

Entstehen können dabei die unterschiedlichsten Dinge wie Urban-Gardening-Projekte, Makershops und Siebdruckwerkstätten, OpenSource-Projekte, analog-digitale Schnittstellen, von Robotern geknüpfte Teppiche, Interventionen in urbanen Räumen und Publikationen, gedruckte, performative, digitale und quer zu allem stehende Produkte. Die Resultate können als potentielle Ereignisse verstanden werden. Als Momente, in denen sich neue Möglichkeiten eröffnen – im Moment des Ereignisses eher unscheinbar und nicht erkennbar. Hier hat etwas seinen Anfang genommen, was mich verändert, was die Welt verändert hat. Da wären wir wieder beim Neuen – jedoch nicht als Teil einer Geschichte der permanenten grossen Vorwärtsbewegung, sondern als Teil einer sich ständig permutierenden DA-heit. Dieses Neue wird weder postmodern, posthuman noch postindustriell sein; dies sind alles nur Hilfsbegriffe für einen Zustand, den wir alle noch nicht kennen. Als Begriffe können sie wohl einen zukünftigen Zustand normativ besetzen, ihn aber unmöglich vorwegnehmend beschreiben. Die Zukunft wird ganz sicher eines sein: nicht so, wie wir sie uns vorstellen oder versuchen zu gestalten. Deshalb ist auch die Zukunftsverwirrung zu zweit ein ganz normaler Zustand. Im Gespräch tauchen all die offenen Fragen auf. Alleine kann man eher noch autistisch sein Ding durchziehen. Platon sah mit der Einführung der Schrift wesentliche Teile der Zivilisation bedroht – der Schritt vom Buchdruck in die Semioralität und in die cyberphysischen Systeme wird nicht kleiner sein und hat

Auf direkte Bezüge zu Quellen habe ich absichtlich verzichtet. Hier einige Quellen, die diesen Text speziell inspiriert und ermöglicht haben: - Alain Badiou, Die Philosophie und das Ereignis, Wien 2012 - Franco Berardi, Der Aufstand. Über Poesie und Finanzwirtschaft, Berlin 2015 - Luc Boltanski / Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Köln 2006 - Bruno Latour, Cogitamus, Berlin 2016 - Jean-Luc Nancy, Demokratie und Gemeinschaft: Im Gespräch mit Peter Engelmann, Wien 2015 - Walter J. Ong, Oralität und Literalität, Opladen 1987 - Tim Seitz, Design Thinking und der neue Geist des Kapitalismus: Soziologische Betrachtungen einer Innovationskultur, Bielefeld 2017

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«Im DA gibt es nichts zu verstehen, aber viel, mit dem man etwas anfangen kann.»


INTO THE WHY Gründung Sedici Verlag, Basel, November 2015 Sedici Verlag auf der I Never Read, Art Book Fair Basel 2016, 15. – 18.6.16 DA Kongress zur Vienna Designweek, Wien, 30.9. – 9.10.16 Destille Filmfestival und A Tribute to Peanuts, OpenHouse HGK FHNW, 13.1.17 Maxiversity an der School of Everything, documenta14, Kassel, 11.6. – 13.6.17 DA Festival, I Never Read, Art Book Fair Basel 2017, 14. – 17.6.17 DA Post Office, Ahoi Ahoi, Basel, 16.7.2017 DA Festival Hamburg, 23. – 25.8.17

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COMING UP DA Festival Basel, Der Tank, Dreispitz, 15. – 23.9.17 Oslo Night, DA Finissage, Der Tank, Dreispitz, 23.9.2017 Making DA, Bookrelease, OpenHouse HGK FHNW, Januar 2018

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Mehr oder weniger DA. Ein Essay zur I Never Read, Art Book Fair Basel 2017 Text und Bild: Andrea Iten

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Ich war erst einmal an der «I Never Read». Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich die Art Basel eher mit Bildern, Performances und dem Kunsthandel verbinde. Weniger mit Lesen und schon gar nicht mit Büchern. Auf dem Gelände der Kasernenwiese tummeln sich Kinder und Erwachsene, Discobeats wummern über die Menschenmenge, in Liegestühlen recken Gäste ihr Gesicht der Sonne entgegen. Es ist heiss, gesellig und laut. Drinnen im angenehm kühlen Gebäude dann die Bücher. Ordentlich an Ständen aufgereiht oder ausgebreitet. Zeichnungen und Illustrationen an Wänden. Einzelne Serien können erworben werden. Ich erhalte eine Geschenkkarte zu einer Sonderedition von Franz Kafka, kann nicht wiederstehen, das Buch in die Finger zu nehmen. Vom fantastisch illustrierten Kosmos hineingesogen werde ich schwach. Ich will nicht mehr davon lassen und bin vollends im Wurmloch verschwunden, diesem einzig kafkaesken Kosmos. Nein! Deswegen bin ich nicht hier. Draussen rockt es. Die Diplomstudierenden des HyperWerks, da, just vor dem Eingang postiert, haben etwas zu sagen. Das tun sie auf allen Kanälen und unübersehbar. Ein junger Mann, Cilio Minella, hebt sich unter einem rosaroten Regenschirm malerisch vom Konzertplakat der Kaserne ab. Auf dem Bild feiert eine tobende Menge vor Trockeneisschwaden. Rosa Stofffäden regnet es von Cilios Schirm: Purple Rain! Mir ist aber gar nicht nach Prince, sondern eher nach Pink Floyd zumute. 1979. The Wall. «Well, only got an hour of daylight left. Better get started». Auf ihrem YouTube-Video ist ein einsamer junger Mann inmitten von abgelegten Gitarren, Colabüchsen und Zigarettenpackungen zu sehen. Jetzt rasiert er sich vor dem Spiegel. Wieder zurück an die Buchmesse 2017. Olivier Rossel am Mikrofon spricht zu einem Gast und einem Kind unter dem Regenschirm von Laris-

Pink Floyd, The Wall www.youtu.be/aHN6AViJAvI Les Reines Prochaines, Liliput www.youtu.be/aXz36GF0zLw Kleenex, Nice www.youtu.be/zY2nXUUvwg4

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sa Lang, die irgendwo da draussen mit ihnen verbunden ist und per Handy Anweisungen gibt. «Are you out there?» Ein junger Mann, der auf den Sirenengesang eingeht und mit ihr verhandelt und dafür Schokolade erhält, ist ins Netz gegangen. Das kleine Mädchen, das sich nicht traut, ans Handy zu gehen, aber gerne Schokolade hätte, wird fest zum Bestandteil der performativen Installation. Sie hat begriffen, dass es nichts einfach so gibt. Sie harrt aus und beobachtet fasziniert diesen Vorgang. Larissa Lang, die am anderen Ende in Luzern Wünsche auf ein Stück Stoff schreibt, materialisiert Träume und lässt sie von Wind bewegt in Bäume entschweben. Pink Floyd: «Is anybody out there»? Jannik Roth, der mit Verve seine Clubarbeit in die Gefilde des Machbaren navigiert, und Anna Cordasco mit Verstärkung am Webrahmen verbinden alles mit allem, halten es fest: eine geballte Ladung von Dringlichkeit, die den Takt angibt. Dicht, direkt und unüberhörbar. Nicht etwa, um etwas zu verkaufen, sondern andere Kanäle nutzend, solche, die einladen, mitzureden oder mitzutun oder mitzudenken. «Allein denken ist kriminell», sagt die Band «Les Reines Prochaines». Und DA-sein hat definitiv etwas mit Musik zu tun, das weiss ich spätestens seit diesem denkwürdigen Donnerstag. Ich trinke mein Bier aus und höre weiter zu, was in den Äther aufsteigt. Ich kann mich diesem Kosmos genauso wenig entziehen wie alle anderen. Recht so.


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Bild: Michael Tatschl, Jan Knopp

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DA Kongress, Wien 2016 10. Vienna Design Week

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Jan Knopp, Olivier Rossel, Michael Tatschl

Zur Vienna Design Week im Oktober 2016 gastierten die Autoren des Sedici Verlages in Wien. Und arbeiteten im DA. Unter dem Titel «Into the Why» agierte der Verlag als Programmpartner und veranstaltete eine Woche des Wilden Denkens im DA. Vom 30.9 – 9.10.2016, Into the Why Tour by Sedici Verlag Bandgasse 14, 1070 Wien Eine Exkursion durch das DA, Rapid Publishing und Digital Mining. Der Sedici Verlag eröffnet einen Lese- und Ideensalon, veranstaltet den Kongress zur Erforschung der proklamierten Daheit – des ungebändigten Mediums einer neuartigen, sich in Entwicklung befindlichen Designmethode, und feiert die Idea Beer Bar. Der Sedici Verlag ist ein Kollektiv Studierender und Dozierender von HyperWerk, Institute for Postindustrial Design HGK FHNW Basel. Durch die Veranstaltungen führen Jan Knopp (D/CH), Michael Tatschl (AUT) und Olivier Rossel (CH). (Beschrieb aus dem offiziellen Programmbuch)

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Send me a postcard darling DA-Post-Office Jan Knopp, Olivier Rossel

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In Zusammenarbeit mit der Edition Nice 1, Ahoi Ahoi Store Basel, am 15. Juli 2017 Im Hinblick auf die Zusammenarbeit für die nächste Ausgabe des Nice Magazines betrieb der Sedici Verlag am Nachmittag des 15.Juli 2017 in Basel das DA-Post-Office.

www.editionnice.com Edition Nice, Josina Schiff & Flurina Rothenberger, Pemba, Mosambik, 2016

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Um mit allen am Magazin beteiligten Autoren aus dem 8000 Kilometer entfernten Pemba in Kontakt zu treten, wurden die Gäste des allerersten DA-Post-Office eingeladen, ihre persönlichen und lokalen Geschichten sowie die allerbesten Grüsse – gegen die Gegenleistung eines Dosenbiers – per Postkarte zu versenden. Die Antworten der Autoren und Autorinnen aus Mosambik werden derzeit mit größter Freude erwartet. Die Zusammenarbeit mit dem Nice Magazine ist für die erste Hälfte 2018 in Pemba, Mosambik geplant.


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documenta14

The School of Everything Jan Knopp, Olivier Rossel, Max Spielmann, Andrea Iten, Martin Schaffner, Elias Buess und Elie Kioutsoukis

Maxiversity an der documenta14 als Teil der School of Everything

Die Veranstaltung möchte ein Bildungssystem erschaffen, das die Teilnehmenden dazu anregt, ihr Wissen zu teilen und zu erkennen, dass Bildung massgeblich zu gesellschaftlichem Wandel beiträgt. Texte, Dokumentationen, Manifeste und Sketches von Bildungsmodellen werden im Symposium zusammengeführt. Das Ziel ist, das Teilen zu entkriminalisieren und das Geben an andere zu geniessen.

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Im Rahmen des documenta-Bildungsprogramms beteiligt sich das Institut HyperWerk mit dem Symposium «The School of Everything»:


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INTO THE WHY Maxiversity, die kleinste Hochschule der Welt Tape Battle, Kreativmethode zur DA-basierten analogen Textentwicklung Destille, Mediencollagen und Tutorials online erstellen Idea Beer Bar, Ăźber den Wert einer Idee A Tribute to Peanuts, I sold my knowledge for a beer

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Maxiversity

world’s smallest university Jan Knopp, Olivier Rossel, Michael Tatschl Bild: Diana Pfammatter

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We investigate the empowering synergetics of dialogue: two persons, one method, and the vast resources of online knowledge are all it takes to start this revolution. Basierend auf kuratierten Online-Tutorials beschäftigt sich die Maxiversity im weitesten Sinne mit der Bildung einer transkulturellen Gesellschaft durch Wissensbemächtigung, Empowerment-Strategien und Demokratisierung von Wissen sowie mit Produktions- und Kulturtechniken. Ziel ist die Erforschung neuer dialogbasierter Wissenstransfermethoden und -formate, auch in Verbindung mit Hochschule. Grundlage der Idee Maxiversity ist die Definition der kleinstmöglichen sinnführenden Bildungseinheit: das Gegenüber zweier Menschen. Bildung und Wissenstransfer beginnen in dem Moment, in dem zwei Menschen einander gegenüberstehen und in Kommunikation treten: um sich auszutauschen, zu verhandeln, einander zu verstehen, zu überzeugen oder zu verführen. Um dann jeder für sich oder beide gemeinsam im Handeln aktiv Erkenntnis zu generieren und gestaltend in Wirkung zu treten. Das Internet ermöglicht den Zugang zu einem stetig wachsenden, umfassenden, spekulativen Zeugnis menschlichen Wirkens, Wissens, Erkennens und Handelns. Historisch und in Echtzeit. Eine lebendige Sammlung, ohne primär epistemologischen oder scholastischen Zwängen zu unterliegen. Es ist Abbild des Willens zu wirken, zu formen – zu gestalten. In jedweder Hinsicht. Ein gigantischer Haufen an Daten, Informationen und Wissen. Und je nach AutorIn ein Vorschlag zur Lesart der Welt pars pro toto. Wir beziehen uns aufeinander, untersuchen und erleben Menschen anderer Kulturkreise in ihrer Andersartigkeit und erkennen diese als gleichwertig an. Und plötzlich kann aus jedem Sack Reis, der in China umfällt, eine Nachricht werden – vor allem, wem der Sack wo und wie, unter welchen Umständen, mit welchem Hashtag ausgestattet, umgefallen ist. In der Behauptung, jeder Mensch – sofern er sich seiner Rolle bewusst würde und sie annähme – sei eine Gestalterin oder ein Gestalter, liegt die Hoffnung von Maxiversity. Uns von tradierten Designbegriffen lösen zu können, um als Micro-Craft-Entity gestaltend aktiv werden zu können, ist erklärtes Ziel. Vor diesem Hintergrund bewegen wir uns in der postindustriellen Gestaltung im Bereich einer sich allmählich formierenden gestalterischen Aufklärung. 68


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Tape Battle Kreativmethode zur DA-basierten analogen Textentwicklung Jan Knopp, Olivier Rossel 70


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Fail Follows Function Mit Freiheit muss gerechnet werden Nimm dir doch einfach mal drei Jahre Zeit Die Zukunft ist, was uns zu 72


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zweit verwirrt Die Wahrheit über junge Menschen Abends bin ich Profi Freiheit und sein Peng! DA ist Upgrade Alles Pio! ...


Destille

Mediencollagen und Tutorials einfach online erstellen Jan Knopp, Michael Tatschl

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Wir haben dieses Online-Tool entwickelt, um schnell und unmittelbar eine mediale Online-Recherche in Form eines Clips zu produzieren. Mit Linkliste und Zeit. Im Moment noch YouTube-, Vimeo- und DailyMotion-basiert. Der Destille-Recorder ist noch Beta. Wir arbeiten mit Hochdruck am finalen Produkt.

Into the Why Destille Filmfestival Zum OpenHouse im Januar 2017 fand ein erster Proof of Concept in Form der Destille-Film-Bar respektive desDestille-Filmfestivals statt. 17 Diplomierende zeigten ihre Destille-Collagen, um danach mit dem Bar-Publikum in direkten Dialog zu treten, das eigene Thema zu verhandeln und mit dem Publikum auf eine nächste Stufe der Klarheit zu gelangen. Begleitheft des Filmfestivals war eine Broschüre, deren Inhalt das jeweilige Thema inklusive Linkliste beinhaltet. Das Festival wird zum DA Festival in Hamburg ein Revival erleben. Um dann in aller Tiefe als erklärender Film des jeweils eigenen Themas zu agieren. Es ist der Versuch, komplexe Themen und Sachverhalte eingängig erzählbar zu gestalten. Wer es versuchen möchte: www.maxiversity.com/editor

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Idea Beer Bar

Was ist uns eine Idee wert? Was ein Bier? Jan Knopp, Olivier Rossel, Alexandra Stöckli Bild: Diana Pfammatter

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Was ist uns eine Idee wert? Was ein Bier? Zwei, vier, oder sechs Franken? Die Münzen, die sich in den Taschen unserer Hosen und Jacken über die Zeit ansammeln? Was ist, wenn ein Bier eine Idee kostet? Wie viel von unserem Eigenkapital, also wie viele unserer Ideen und Gedanken, sind wir bereit, für ein kühles Bier auszugeben? Die Idea-Beer-Bar ist ein Versuchsaufbau, der sich der Wert-Frage einer Idee stellt und durch das Konzept des Rapid Publishing die Flüchtigkeit unmittelbarer Ideenproduktion auf Papier bannt und (mit-)teilbar macht. Eine Idee ist immer auch ein sehr persönliches Statement. Unter Gestalterinnen und Gestaltern ist sie zudem eine Art Leistungs- und Coolnessausweis. In der Idea Beer Bar vom 25. 11. 2015 am HyperWerk wurde mit Ideen gehandelt – einem nicht versiegenden Rohstoff, der allerdings erst dann wertvoll wird, wenn er durch Preisgabe an die Oberfläche gelangt. Die Idea Beer Bar hatte nur wenige Vorgaben. Es ging nicht ums Beurteilen, nicht um Gut oder Schlecht, umsetzbar oder nutzlos. Verhandelt wurde lediglich, was man für ein Bier von sich preiszugeben bereit ist. Leidvolle Hoffnungsäusserungen wie «Weltfrieden» oder «Armut abschaffen» wurden nicht belohnt. Wir haben diese Wünsche und Gedanken gerne entgegengenommen und ihnen ein freundliches Lächeln geschenkt. Gegraben haben wir jedoch nach den kleinen, feinen, impulsentsprungenen Ideen mit Lösungskern. So entstand, was nun in diesem Buch festgehalten ist: eine Sammlung von Ideen, die unsere Gäste bereit waren, für ein Bier zu geben.

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A Tribute to Peanuts

Die spekulative Enzyklopädie der Erdnuss

Willi Moch, Olivier Rossel, Jan Knopp Bild: Diana Pfammatter 78


Was geschieht, wenn in der «Know Bar» zahlreiche Gäste zusammentreffen, um fernab von Wikipedia und sonst gängigen Online-Lexika Wissen und Geschichten zur Erdnuss zu verhandeln? Am 13.06.17, während der ersten Edition der «Know Bar» am Institut HyperWerk, entstand diese Ihnen vorliegende wundersame Enzyklopädie zur Erdnuss. Sie besteht aus höchst spekulativen More-Than-Fun-Facts, fantastischen und fabelhaften Illustrationen, Berichten zu persönlichen Erfahrungen und fundiertem Wissen über die Erdnuss, welche jeweils gegen eine Büchse Billigstbier getauscht wurden.

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Gedanken zu einer DArchitektur

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Text: Rebekka Kiesewetter

tekturen werden also im Diskurs definiert und ausgebaut. Sie sind ephemere Raumgebilde von variabler Dauerhaftigkeit, die nur in spezifischen Momenten wirklich DA sind und wahrgenommen werden. Sie enthalten realräumliche Elemente und sind einem historischen, sozialen, kulturellen, rechtlichen, technologischen und ökonomischen Kontext genauso verhaftet wie in individuellen Überzeugungen. Doch DArchitekturen existieren zwar, aber auch über den gewohnten Raum hinaus, sie oszillieren zwischen konkreter und abstrakter Sphäre, manifestieren sich physisch und virtuell. Aus und in Räumen werden Räume geboren, die einander umschliessen, überlappen, bisweilen sequenziell folgen. Kaum ist ein Raum weg, geht irgendwo ein anderer auf. Es entsteht eine Art Eschersche Raumfolge, potenziell unendlich. Wer sich in der Schweiz an den Vers «es isch emal en Maa gsi» oder in Deutschland an «Ein Hund kam in die Küche» erinnert fühlt, hat recht, liegt aber falsch. Denn wo DArchitekturen entstehen, passiert kein Mise en Abyme, keine unendliche Wiederholung, keine Addition oder Rekursion von immer Gleichem. DArchitekturen wachsen rhizomatisch. Jede DArchitektur ist anders als die vorhergehenden.

Ein Buch besteht aus Raumsequenzen, wie der Künstler, Schriftsteller und Herausgeber Ulises Carrión in seinem Text «The Art of Making Books» 1975 schreibt; das Wort Buchraum, das die räumliche Qualität des gedruckten, gebunden Objekts bezeichnet, ist bekannt: Man weiss um die räumliche Ausdehnung auch des allerdünnsten Blatts und um den Einfluss des längst nicht nur metaphorischen Cyberspace auf realräumliche (im Sinne von: gewohnte) (Lebens-) Welten. Man kann sich ausserdem vorstellen, dass die Daseinsgrundlage von Bücherregalen Bücher sind und dass Gedrucktes in Druckereien und Publikationen oft in Verlagshäusern gemacht wird, die nur existieren, weil es Publikationen gibt. Dies sind die nächstliegenden, doch längst nicht alle Elemente dessen, was wir im Zusammenhang mit Publizieren oder Publikationen als DArchitekturen bezeichnen. Publikationen sind nicht nur Räume und werden in Räumen gemacht, nein, sie sind in ihrem Entstehungsprozess und im Moment ihrer Veröffentlichung veritable Raumproduktionsmaschinen. Eine Art situationistische Fluxus-Seifenblasenautomaten, die – plop, plop – keine Seifenblasen, sondern DArchitekturen hervorbringen. Die Fähigkeit, Räume zu schaffen, haben Publikationen durch ihre Eigenschaft als soziale, institutionalisierende Objekte, die temporäre diskursive Gemeinschaften rund um die publizistische Beschäftigung mit einem bestimmten Thema und dessen Veröffentlichung generieren und Anlass und Rahmen für einen gemeinschaftlichen Reflexions-, Verhandlungs- und Austauschprozess geben. DArchi-

DArchitekuren wuchern trotz ihrer Escherschen Qualität nicht unkontrolliert. Sie enthalten immer ein Element des Innehaltens, der Beschränkung des potenziell Unendlichen; sei dies nun in Bezug auf das Zeitliche, den Cyberspace, das Netzwerk, die Aufarbeitung eines Themas oder dessen Reflexion. Denn Räume – ob sie nun physisch sind, virtuell oder hybrid – haben

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nicht nur die Fähigkeit, sich zu öffnen, sondern auch die, sich einzugrenzen. DArchitekturen beschränken sich, weil mit ihnen immer die Absicht einhergeht, ein Publikum für ein bestimmtes Thema zu generieren, über direkte Ansprache eine Diskurssphäre zu erweitern. Denn wo kein Publikum, da keine Publikation. Und wo keine Publikation, da keine DArchitektur. Ein Publikum setzt das Vorhandensein einer Öffentlichkeit voraus. DArchitekturen sind also öffentliche Räume. Sie anerkennen, dass das Publikum nicht per se besteht, sondern immer ein «kulturelles Artefakt» ist, das geschaffen werden muss. DArchitekturen distanzieren sich damit von einem Verständnis der Öffentlichkeit als soziale Totalität und von jener mehrdeutigen, umstrittenen und widersprüchlichen Sphäre, die heute landläufig als öffentlicher Raum gilt. Statt nach maximaler Ausdehnung ihrer Präsenz zu streben, existieren DArchitekturen nur mit und für ein bestimmtes Publikum, und zwar sowohl in der Phase des Produktionsprozesses als auch im Moment der «Veröffentlichung» der eigentlichen Publikation. DArchitekturen schaffen eine temporäre Austauschbasis unter der Voraussetzung, dass eine minimale gemeinsame Verstehens- und Ansprache-Ebene besteht. Doch trotzdem ist der Austausch mit einem Publikum immer auch

Publikationen sind im Moment ihrer Veröffentlichung nicht fertig. Sie werden von ihren MacherInnen symbolisch und diskursiv weitergegeben. Das Schaffen einer Verbindung zwischen den Diskursräumen vor und nach der Veröffentlichung garantiert das rhizomatische Weiterwachsen der DArchitektur. Zum Zeitpunkt einer Veröffentlichung wächst das Publikum um mindestens +1. DArchitekturen enthalten einen Akt des Loslassens, sie sind keine Überwachungsapparate, in der kontrollierte Übergaben als sinnentleerte Pro-Forma-Handlungen geschehen, sie sind auch keine Gated Communities für Peers, in denen Wissen in geschlossenen Sphären zirkuliert. Das englische to release, das neben veröffentlichen auch frei- oder loslassen bedeutet, charakterisiert diese performative und symbolische Geste der Übergabe gut.

«DArchitekturen werden also im Diskurs definiert und ausgebaut.»

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eine Begegnung mit dem potenziell Unbekannten, Unverständlichen. Das Fremde, das Befremden, der potenzielle Konflikt, die Verschiedenheit, das Andere, das Undurchschaubare werden im Diskurs weder aufgehoben noch negiert, sondern zum integralen Bestandteil jener intimen Verbundenheit, die in Prozessen des Teilens und Diskutierens, Bezeugens, Übersetzens und Aushandelns der eigenen Position vor dem Hintergrund des Anderen entsteht. In Prozess und Publikation existieren verschiedene Stimmen mit- und nebeneinander, publizierte Inhalte erheben nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder absolute Wahrheit, sondern sind ein temporärer «Zwischenstand» eines Diskurses.


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in den bestehenden Raum ein, reklamieren mit Publikationsmomenten symbolischen Platz. Seien es nun Performances, Lesungen oder Flugblätter: Alles sind Formate des Publizierens und Gesten der Übergabe in der Absicht, einen Diskurs zu erweitern oder weiterzugeben.

Publizieren sei, schreibt der Sprachwissenschaftler Michael Warner in Publics and Counterpublics, ein poetisches Worldmaking. DArchitekturen sind also eine Art aktiv und teilnehmend geschaffene temporäre Welten, Öffentlichkeits-Sphären. Sie folgen anderen Regeln, es gelten andere Konventionen und Prioritäten als im gewohnten Raum. Welten zu erschaffen heisst auch, Verantwortung für sie zu übernehmen, sie zu reflektieren, in ihrer «Daseinsberechtigung» zu argumentieren. Die im Prozess der Entstehung involvierten AkteurInnen beschäftigen sich mit Fragen zur Position, von der aus sie als Individuen und als Gruppe agieren, diskutieren diese vor dem Hintergrund eines grösseren Kontexts, ihrer Veranwortung als ProduzentInnen und VerlegerInnen und der beabsichtigten Erweiterung der Diskurssphäre. Sie entwickeln ein gemeinsames Set an Publikationsbedingungen, die die Art und Weise, in der ein Publikum geschaffen, einbezogen und ein Diskurs weitergegeben wird, bestimmen. Die Publikation als solche ist also das Resultat eines Aushandlungsprozesses und ein symbolischer Akt der Übergabe eines Diskurses.

Die Konzeption des Publikationsvorgangs als relationales Raumgefüge ist während eines Workshops mit Studierenden am HyperWerk entstanden, der Begriff der DArchitektur in dessen Reflexion. Das Modell erlaubt es, Publizieren ganz im Sinne von Eva Weinmayers Ausspruch «One publishes to make comrades» als performativen und sozialen Akt zu verstehen, als eine ortsspezifische, agonistische Methode der Wissensproduktion. Das Modell befreit vom kommerziellen Imperativ und der Maxime maximaler Verbreitung, die mit herkömmlichen Publikationsvorgängen oft einhergehen. Es erlaubt, gewohnte Hierarchien und Abläufe, Produktionsweisen und Vertriebswege zu hinterfragen und regt die Beschäftigung mit Themen wie Recherche, Sprache, Autorschaft, Zirkulation, Meinungsbildung und -verbreitung sowie mit den Qualitäten und Spezifika virtueller und physischer Produktions- und Veröffentlichungsmethoden an. Ferner hilft das Konzept den Studierenden, die eigenen Arbeitsweisen und Motivationen in einem grösseren Kontext zu hinterfragen und zu verorten.

DArchitekturen sind agonistische und ortsspezifische Stätten der Wissensproduktion. Sie können wandern. Sie öffnen sich im virtuellen, hybriden oder physischen Raum. Etwa in Basel oder Hamburg. Zum Zeitpunkt einer Veröffentlichung also etwa auf einem Ort mitten in der Stadt; sie schalten sich mit physischen Elementen wie Leitergerüsten oder Handwagen 82


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SEDICI VERLAG Verlag der Dinge und Mรถglichkeiten


Im Akt des Mining sind wir selbst die Forschenden, die Grabenden, die Methode. Wir machen uns zu dem Werkzeug, das wir benötigen, um die intermediären und flüchtigen Stoffe zutage

Der Sedici Verlag ist eine kollektive Unternehmung von Studierenden und Dozierenden des Instituts HyperWerk HGK FHNW. Sedici ist in unserem Selbstverständnis Verlag der Dinge, Verlag der Möglichkeiten. Als Kollektiv betreiben die Sedici Social Mining und graben im DA und in unserer sozialen Umwelt nach dem Zeitgenössischen, dem Flüchtigen, dem Wetterleuchten der Erkenntnis. In der Rolle von Prozessgestalterinnen und -gestaltern denken wir in die Zukunft, um diese durch unser Handeln in der Gegenwart zu konkretisieren.


Unser Konzept zur Kommunikation und Veröffentlichung heisst Raw Media, seine Methode Rapid Publishing. Prozesse sind immer auch Storys. Und je nach Story wählen wir das Format der Publikation: von der Performance über das Objekt bis hin zum gedruckten und digitalen Erzeugnis. Unser Ziel ist die Initialisierung von Feedback-Loops und Beam of Fails, um diese wiederum gekonnt als Rohstoffgeneratoren zu nutzen.

zu fördern, die wir in den vom Menschen ausgelösten Prozessen entdecken und festhalten. Sedici ist das Experiment, dieses abstrakte Dazwischen als Handlungsposition zu erobern und erzähl- sowie lesbar zu machen.


A Newspaper about Postindustrial Melancholia

SEDICI VERLAG

Benjamin Kniel, Jan Knopp, Diana Pfammatter 38 Seiten ISBN: 978-3-906912-02-8

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Idea, Beer

SEDICI VERLAG

Sedici, Alexandra Stรถckli 92 Seiten

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FAQ yourself! A speculative tutorial on how to enter the knowledge market

SEDICI VERLAG

Olivier Rossel 155 Seiten ISBN: 978-3-906912-04-2

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It’s simply beauty – Die Welt ist der Durchschnitt

SEDICI VERLAG

Diana Pfammatter 128 Seiten ISBN: 978-3-906912-00-4

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SEDICI VERLAG

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Graue Palmen

SEDICI VERLAG

Carlo Janiczek 227 Seiten ISBN: 978-1-36-764386-4

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Taste Traffic

SEDICI VERLAG

Tosca Waeber 64 Seiten ISBN: 978-1-36-764404-5

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Post Industrial Design

SEDICI VERLAG

Max Spielmann, Sotirios Bahtsetzis 92 Seiten ISBN: 9 783906 912035

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Random shots of light

SEDICI VERLAG

Jan Knopp 52 Seiten ISBN: 978-1-36-459511-1

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Idea, Beer II

SEDICI VERLAG

Sedici, Alexandra Stรถckli 150 Seiten ISBN: 978-1-36-763669-9

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SEDICI VERLAG

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What you see when you don’t – A reaction on «Random shots of light»

SEDICI VERLAG

Jan Knopp, Carlo Misselwitz 76 Seiten ISBN: 978-1-36-459502-9

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SEDICI VERLAG

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A Tribute to Peanuts – Die Enzyklopädie der Erdnuss

SEDICI VERLAG

Kuratiert von Willi Moch, herausgegeben von Jan Knopp & Olivier Rossel 105 Seiten ISBN: 978-3-906912-06-6

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HYPERWERKFreiheit studieren. Gesellschaft gestalten.


Forschungsprojekt

Cultural Spaces and Design Prospects of Design Education

HYPERWERK

Text: Regine Halter Bild: Giovanna Leon & Team Cultural Spaces

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Die globalen Bewegungen unserer Zeit – bewegen sie auch die Designausbildung? Diese Frage stellt sich das Forschungsprojekt Cultural Spaces and Design, das von HyperWerk und dem Masterstudio Design HGK FHNW durchgeführt wird. Es befasst sich mit den Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf Design und den Konsequenzen für die Designausbildung. In der internationalen Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen und VertreterInnen der Designpraxis werden Ausbildungsinhalte entwickelt und in die Designausbildung integriert.

ihren Kontexten herausgelöst verstanden werden. Wenn wir von Design sprechen, dann geht es also immer auch um kulturelle Praxis.

Wer einem global arbeitenden Designteam angehört, sieht sich beispielsweise nicht selten mit rätselhaften Entwicklungen konfrontiert – obwohl doch alle dem Briefing zugestimmt haben. Erst nach und nach stellt sich vielleicht heraus, dass alle Beteiligten die formulierten Absichten, Ziele, Methoden eines Designprojekts im Rahmen ihrer jeweils vertrauten, doch sehr unterschiedlichen kulturellen Bindungen interpretiert haben.

Solchen Herausforderungen haben sich auch Studierende der HGK FHNW Basel gestellt, als sie 2016 mit dem Forschungsprojekt auf die Reise gingen. Sie haben sich mit fremden materiellen Kulturen, neuen Sichtweisen, anderen Lebenswelten in Indien, Australien und Botswana konfrontiert und dabei ihr eigenes Verständnis von Design kritisch befragt.

Die Thematisierung kultureller Differenz wird noch dringlicher, wenn es um Designprodukte geht, die in einem bestimmten Land für ein anderes hergestellt werden, was in globalen Verwertungsstrategien üblich ist. Ohne dass die NutzerInnen vor Ort in die Arbeit des Entwerfens und Produzierens eingebunden wurden, folgen diese Designprodukte dem klassischen Anspruch von Design, universell sinnvoll zu sein.

Um diese Erfahrungen und andere Themen ging es in den Veranstaltungen, die zum Abschluss des Forschungsprojekts Cultural Spaces and Design vom 18. bis zum 22. Juni 2017 stattfanden.

Die Arbeit von DesignerInnen ist jedoch stets sehr konkret mit den jeweiligen Kulturen und Lebenswelten verbunden und kann nicht aus

Neben drei Workshops mit Studierenden aus Basel und aus anderen Ländern, die von unseren Partnern aus Indien, Australien und Botswana geleitet wurden, fand unter dem Titel Design is a Globalisation Issue auch ein international besetztes Colloquium statt. 113

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Diese Überlegungen sowie die Feststellung, dass die Designdisziplin bisher keine Kriterien entwickelt hat, die der globalen Ausdehnung ihres Aktionsrahmens kritisch Rechnung tragen, sind Ausgangspunkt von Cultural Spaces and Design – Prospects of Design Education. Anstelle der gängigen Nivellierung kultureller Eigenheiten und Praktiken soll ein Konzept von Designausbildung in bestehende Unterrichtsformen integriert werden, das die interaktive Kommunikation aller Beteiligten – DesignerInnen und NutzerInnen – sowie die differenzierte Wahrnehmung unterschiedlicher Milieus, Kulturen, Orte als eine genuin gestalterische Herausforderung unserer Zeit versteht.


Dort berichteten Studierende und Dozierende aus Botswana, Indien, Australien, Neuseeland, Kanada, Frankreich, den USA und der Schweiz von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen, stellten ihre eigenen Positionen vor und diskutierten die Zukunft der Designausbildung.

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Detaillierte Informationen zu Workshops und Colloquium unter: www.culturalspacesanddesign.net Cultural Spaces and Design wird gefördert von der Gebert Rüf Stiftung. «The Cultural Spaces and Design project was an enlightening journey into understanding the importance of culture in design. Through workshops, a colloquium, and various discussions this understanding was deepened as I began to see culture as a language unto its own. Within the context of design education, I heard many voices concur that institutes can and must adapt in order to disrupt existing Eurocentric practices. By removing cultural boundaries in a way that celebrates otherness and non-western ways of thinking, we can respectfully immerse ourselves in a shared humanity that will lend itself to richer design practices. This can be achieved by encouraging intercultural engagement, not only through study-abroad opportunities but within our own local communities. This project helped me see that, together, design education and culture offer a transformative experience that results in a greater understanding of other cultures as well as your own culture and self-identity.» 114


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Institutionelle Initiative

Wieso Mixed Realities wichtig sind fĂźr das Postindustrial Design

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Manchmal muss man 18 Jahre warten

Text und Rendering: Mischa Schaub Bild: Diana Pfammatter

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Da arbeiten wir nun doch schon seit Jahren an der Nutzung digitaler Medien im Kontext von Arbeit, Bildung und Kultur. Mit diesem Anspruch hat HyperWerk angefangen, vor nunmehr 18 Jahren. In dieser Zeit gab es viele Krisen, beispielsweise den famosen Absturz von dot.com zu Anfang des Jahrtausends. Unter diesen Umständen haben nicht einmal wir immer voll an die digitale Zukunft geglaubt, sondern uns auf vielen Nebenschauplätzen ausgetobt, von der Stadtplanung zur Zusammenarbeit im Entwicklungskontext und vom Handwerk zur Robotik. Nun, zu Beginn eines Führungswechsels in unserem Institut, schliesst sich dieser Kreis, und wir sind nahezu wieder am Anfang angelangt: bei unserem ersten Kernanspruch, dass es nämlich das Digitale gesamthaft und fundamental zu gestalten gilt.

Der Screen als Desaster Der Verfasser dieser Zeilen ging bereits an eine Kunstakademie, als es noch keine Computer für Konsumenten gab. Immer mehr, immer dringender wird ihm bewusst, wie mit dem Laptop der allgemeine Körperverlust in den Kreativberufen doch eingesetzt hat. Unterdessen kommen ihm viele Studierende wie Legehennen vor, die gleichgeschaltet vor ihren Bildschirmen auf ihre Kreationen warten und sich dabei ziemlich passiv verhalten. Der digitale Desktop ist desaströs für das Glück und das Resultat der Gestaltenden – die Kunst ist ein höchst sensibles Wesen, das empfindlich wie ein Kind auf seine vom Handy-Screen abgelenkte Mutter reagiert.

Damals, vor 18 Jahren, da ist gerade der erste Virtualitäts-Hype auf Eis gelegt worden. Die Virtualität war damals einfach zu teuer, zu langsam, sie wurde auch mit zu lauten Tönen angepriesen, und das hat ihr irgendwie niemand verziehen. Doch die Zeit heilt viele Wunden, und die Technologie macht alle zwei Jahre einen weiteren Generationssprung durch. So kam es, dass im Sommer 2016 erstmals wirklich brauchbare und bezahlbare VR-Technologie auf den Markt gekommen ist. Unterdessen ist sie bereits zum halben Preis zu haben: Für 400 US- Dollar bekommt man eine VR-Brille von Oculus Rift und die entsprechenden Touch Controller inklusive.

Postindustrial Design nutzt das Ende der industriellen Verhältnisse und sucht die produktive Verbindung von disruptiven Technologien mit gesellschaftlichen Anwendungen. Die digitale Front der Technologie bedroht nicht nur unsere Arbeitsplätze, sondern sie schafft sie zu einem grossen Teil ab – künstliche Intelligenz, erweiterte Realitäten und Robotik bilden ein unheimliches Triumvirat. Die langwierigen Erwägungen, ob das gut oder schlecht enden werde, seien hier einmal dahingestellt – klar ist die Notwendigkeit, diese neuen Verhältnisse zu gestalten. Vor der eigenen Türe kehren Als Hochschulinstitut im Gestaltungsbereich sieht sich HyperWerk in der Verantwortung, auf die neuen Entwurfsmittel zu reagieren. 118


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Doch nicht nur die Werkzeuge und Methoden ändern sich, sondern auch unsere Arbeitsräume. Mit der virtuellen Präsenz kommen gänzlich neue Formen des Umgangs mit dem Raum auf uns zu. Die Gleichzeitigkeit einer internationalen Zusammenarbeit im geteilten Raum wirkt sich klar auf die Systemgrenze einer Hochschule aus. Ebenfalls werden die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Alumni, Studierenden und Dozierenden einer Hochschule neu definiert, denn man muss nicht mehr den Raum teilen, sondern man kann ihn teilen und erweitern, man kann ihn nach Hause mitnehmen und auf die Reise.

neuen Verhältnisse zu entwerfen, in denen man dezentral und trotzdem gemeinsam wirken kann. Da sollten wir uns als Hochschule schon fragen, ob und wie wir mit aller Kreativität und Kraft auf die neue Herausforderung reagieren wollen, die die Medientechnologien über unsere Gesellschaft gebracht haben. Wir meinen, dass wir Testverhältnisse, Probesituationen der Dezentralität brauchen. Wir benötigen Abstand, um das Zusammensein neu zu gestalten, und frische Arbeitsmittel und Methoden. Eine virtuelle HGK muss her Mit dem Projekt VISTOM ist eine entsprechende internationale Initiative aus dem HyperWerk angelaufen, an der sich unterdessen bereits Designhochschulen aus Österreich, Deutschland, Schweden und den USA beteiligen. Sie alle entwickeln jeweils eine von etwa fünfundzwanzig Komponenten einer idealen virtuellen Hochschule für Entwurfsgestaltung. VISTOM heisst «virtuality-based studios, tools, and methods», und genau diese virtuellen Studios, Werkzeuge und Arbeitsmethoden werden alle aktiv Beteiligten einander gegenseitig zur Verfügung stellen.

Neue Verhältnisse verschwindender Arbeit Diese neue, omnipräsente Ortlosigkeit des Entwurfs ändert auch die entsprechenden Arbeitsverhältnisse in der Kreativindustrie – welcher Gestalter wird denn noch in die Agentur gehen wollen, wenn er sich dort auch von zuhause aus einfinden kann? Absehbar wird bereits, dass dieser digitale Ort der inhaltlichen und kreativen Arbeit auch eine angenehmere gesellschaftliche Plattform bieten wird als das lästige räumliche Nebeneinander im Büroalltag. Der vielbesungene Begriff der Co-Creation wird im geteilten Digitalraum konkret umsetzbar. Diese neue Ebene der Zusammenarbeit lässt herkömmlichen Fortschritt wie die geteilten Dokumente in der Cloud oder die Annehmlichkeiten einer Videokonferenz eher schon gestrig erscheinen.

Die Agentur als Anstoss Akzeptiert man, dass die Gestaltung der Ortlosigkeit ein Anliegen relevanter Designforschung sein sollte, sollte man ebenfalls versuchen, die Arbeitsverhältnisse der Kreativindustrie entsprechend neu zu gestalten. Gehören denn der Tisch und Arbeitsstuhl nicht ebenso der industriellen Vergangenheit an wie die Chef- etage und die Vorzimmerdame? Ausgehend von dieser Überlegung haben wir uns also darangemacht, eine neue Agentur zu erdenken, und in den kommenden Monaten wollen wir sie bauen und erproben. Sie wird bewusst keinen eigenen Ort mehr haben, sondern sie will sich in Foyers und an Festivals aufhalten, ausgestattet mit einer nomadischen Ausrüstung, mit einem

Who wants yesterday’s papers? HyperWerk wirkt in einer erst vor drei Jahren fertiggestellten und ziemlich luxuriösen Arbeitsumgebung. Unterdessen stellen wir fest, dass diese Umgebung kaum noch den umschriebenen Forschungsaufgaben entspricht, sondern vielmehr gestrige Verhältnisse zementiert. Besteht doch die wichtigste Gestaltungsaufgabe der Gegenwart darin, die

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leicht pathetischen, zeichenhaften Auftritt. In unseren Zeiten des Kampfs um Sichtbarkeit suchen wir den öffentlichen Akt, die theatralische Performance, denn unsere Welt fliegt uns gegenwärtig derart heftig um die Ohren, dass nur noch die lautesten Stimmen gehört werden. Provokante Sichtbarkeit Mit dieser Strategie einer aktiven Suche nach öffentlicher Sichtbarkeit haben wir in den letzten Monaten im Foyer der HGK Erfahrungen gesammelt, und nun wollen wir sie ausbauen und verstetigen. Dies soll in Form einer Teppichagentur geschehen – was bedeutet, dass wir mit einer handlichen Teppichknüpfmaschine, die für 150 US-Dollar in China zu haben ist, während unseren Auftritten eine Art Spielfeld für einen temporären Kreativraum herstellen und optimieren wollen. Der Teppich als Urclaim von Identität und als komplexer Zeichenträger eignet sich hervorragend als benutz- und besitzbare Interaktionsbühne, auf der neue Rituale mit digitalen und haptischen Mitteln in aller Öffentlichkeit verbunden werden können. Im September 2017 werden wir an der Gemeindeversammlung unserer alten Forschungsplattform Senones unser Projekt zur partizipativen Produktion eines 500 m² großen Teppichs vorstellen. Das Material dafür haben wir aus Restbeständen der Textilfirma DMC erhalten. Mit den ehemaligen TextilarbeiterInnen von Senones wollen wir dieses große Projekt angehen, das auf zeichenhafte Weise alte und neue Technologien zu verbinden sucht. Wirtschafts- und Kulturinitiativen Eine mit der Teppich-Agentur zusammenhängende Initiative ist mit der regionalen Wirtschaftsförderung BaselArea angelaufen, und ein verwandter Förderantrag geht Ende Monat an das Bundesamt für Kultur, das Diskussionsveranstaltungen zum digitalen Wandel in der Kultur fördern will. Diese wollen wir im Kontext

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einer geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung führen; haben wir doch das Glück, gemeinsam mit dem geschichtswissenschaflichen Departement der Universität Basel eine VR-Installation zum 200sten Geburtstag des Basler Renaissance-Spezialisten Jacob Burckhardt entwickeln zu können, die im Sommer 2018 in mindestens drei Schweizer Museen gezeigt werden wird. Diese Installation wird sich stark mit dem Arbeitstisch von Jacob Burckhardt befassen, den er zur Bearbeitung seiner 10’000 Fotos italienischer Kunstschätze nach seinen Plänen bauen liess. Jacob Burckhardt hat als einer der ersten Geisteswissenschaftler Fotos für seine Erkenntnis- und Vermittlungsarbeit genutzt, und ihm zu Ehren wollen wir unsere Installation rund um diesen Arbeitstisch entwickeln, und darauf aufbauend auch gleich noch ein Forschungsprojekt zur Geistesarbeit unter den unbekannten Verhältnissen der mixed realities antreten. Der alte HyperWerk-Freund und Architekturprofessor Gary Rohrbacher aus Kentucky hat dazu eine Anleitung für den Sperrholz-Nachbau dieses famosen Arbeitstischs entworfen, der deshalb in vielen Labors leicht nachgebaut werden kann, um so eine international breit abgestützte Grundlage für weitere Burckhardt-VR-Installationen und auch für die damit einhergehenden Forschungsfragen zum geisteswissenschaftlichen Einsatz erweiterter Medientechnologien aufzubauen.


Start Up

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#youtrition

Abfall ist Rohstoff am falschen Ort Text: Moritz Keller Bild: Cilio Minella

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lichen Schmutzwassers gar ganz überflüssig; der Gesamtaufwand zur Klärung des Abwassers wird massiv reduziert. Die synthetische Herstellung von Düngemitteln wird weitgehend überflüssig, und eine direkte Schliessung der Kreisläufe wird erreicht. Die lokale Nahrungsmittelproduktion wiederum ermöglicht eine Reduktion des Transportaufwandes. Darüber hinaus verbessert sich die Qualität, da sich die Zeitspanne zwischen Ernte und Konsum reduziert; und auch auf ein unreifes Ernten zugunsten der Transportfähigkeit – der Hauptnachteil der aktuellen Nahrungsmittellogistik – kann verzichtet werden. Durch diese Schaffung eines direkten Bezugs zur konsumierten Nahrung kann auch einfacher sichergestellt werden, dass die Produktionsbedingungen den Standards für Nachhaltigkeit genügen, so dass das Vorkommen von gentechnisch veränderten Organismen oder der Einsatz von für den menschlichen Verzehr bedenklichen Pestiziden, wie Glyphosat, das in der industriellen Landwirtschaft grossflächig eingesetzt wird, ausgeschlossen werden kann. Denn in der heutigen Zeit der globalisierten Wirtschaft und offener Märkte lässt sich die Herkunft oftmals nur schwer nachvollziehen – auch die Bezeichnung mit Labels ist ja eine Konsequenz aus einem schwindenden Vertrauen.

«Abfall ist Rohstoff am falschen Ort» – dieser Grundsatz der Permakultur findet auch auf das Projekt youtrition Anwendung, dessen Fokus auf der Rezyklierung von menschlichen Ausscheidungen liegt. So wird Nachhaltigkeit im Bezug auf Nahrungsmittelproduktion neu definiert. Die direkte Verwertung von Urin vor Ort reduziert den Druck auf die Kanalisationsinfrastruktur und macht diese in Kombination mit simplen Lösungen für die Behandlung des rest-

youtrition forscht an Ansätzen zur direkten Verwertung von Urin zur Nahrungsmittelproduktion. Die Herausforderungen sind gesellschaftlicher sowie technischer Natur. So muss das Verfahren, aus Urin pflanzliche Nahrung

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Das Kanalisationsnetz der Schweiz würde mit seinen über 130’000 km Länge die Erdkugel am Äquator mehr als dreimal umfassen. Es wird vom Tages-Anzeiger auf etwa 100 Milliarden Franken Wert geschätzt. Die Infrastruktur ist mangelhaft, doch bereits die Analyse ist sehr kostenintensiv, geschweige denn die Sanierung. Die Kläranlagen, die am Ende dieses Netzes stehen, werden hauptsächlich durch Urin belastet, so dass 85 Prozent der Energie, die für die Klärung aufgewendet wird, auf die Entfernung des Stickstoffs aus dem Urin entfällt. Gleichzeitig wird ein Prozent des globalen Gesamtenergieaufwands zur künstlichen Herstellung von Stickstoff für die Kunstdüngerproduktion verwendet. Ein weiterer wichtiger Bestandteil von Kunstdünger ist das Phosphat, wobei der Peak-Phosphor – das Erreichen des Fördermaximums für den Rohstoff – auf das Jahr 2030 geschätzt wird. Durch Anhäufung von Phosphat und Stickstoff in der Natur infolge intensiver Landwirtschaft – hauptsächlich durch Nutztierhaltung – sind weltweit sogenannte dead zones entstanden: Gewässer, in denen kein Sauerstoff mehr vorhanden ist.


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zu produzieren, hygienisch einwandfrei funktionieren. Es muss sichergestellt werden, dass keine Krankheitserreger auf die Konsumenten der Nahrung übertragen werden können. Eine Filterung des Urins ist notwendig, um sogenannte Mikroverunreinigungen – beispielsweise Abbauprodukte von Medikamenten oder Koffein – zu entfernen, so dass eine allfällige Aufnahme durch die Pflanze verhindert werden kann. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Emissionsfreiheit des Verfahrens. Die charakteristischen Geruchsemissionen durch die Ausgasung von Ammoniak und die mikrobielle Verarbeitung des Urins müssen durch entsprechende Vorkehrungen neutralisiert werden. Dabei ist es wünschenswert, die Ausgasung von Ammoniak auf ein Minimum zu reduzieren, damit dieser als Nährstoff erhalten bleibt. Bei der gesellschaftlichen Natur der Herausforderung geht es hauptsächlich um den Umgang mit dem Ekel vor den eigenen Ausscheidungen. Der Ansatz zur Steigerung der Akzeptanz von Nahrungsmittelproduktion aus menschlichen Ausscheidungen ist die Beweisführung, die youtrtition liefert. In Versuchsanlagen wird derzeit auf Basis von stabilisiertem, sterilisiertem und konzentriertem Urin Gemüse produziert, das dann im Rahmen von gastronomischen Inszenierungen für den Verzehr präpariert wird. So wird das Potential des Urins als Dünger eindrücklich präsentiert. Mehr Infos zum laufenden Projekt unter www.youtrition.org

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Ideenökonomie

82 THESEN ZU «IDEE» Prof. Dr. Sabine Fischer

1. Ideen kommen plötzlich und ohne Vorwarnung.

2.

11.

Ideen stimmen heiter und machen stolz.

Eine Idee ist dann eine Idee, wenn man sie versteht.

3.

12.

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Alle Menschen können Ideen haben, nicht nur Genies.

4.

Zwischen ‚Ich suche eine Idee’ und ‚Ich habe eine Idee’ liegen Universen und Zehntelsekunden.

Ideen sind die bedeutendsten Güter unserer Zeit.

13.

5.

Mit ihrem Erscheinen ist die Idee als solche erkennbar.

Ideen gedeihen am besten in heterogenen, betriebsamen Umgebungen.

14.

6.

Ideen wachsen langsam heran und bedürfen einer konzentrierten Arbeit.

Ideen reifen am besten in Ruhe und Abgeschiedenheit.

15.

7.

Es gibt kein Gegenteil von Idee.

16.

Wer keine Veranlassung hat, hat keine Ideen.

Ideen sind kein Zufall.

8.

17.

Nicht jede Idee ist eine Innovation, aber jede Innovation ist eine Idee.

Kreativtechniken und -prozesse versprechen als Ziel Ideen, aber produzieren meist Maßnahmen.

9. Ideen sind durch und durch logisch.

18.

10.

Eine große Idee wird sofort von allen verstanden.

Ideen nicht zu teilen ist der sicherste Weg, ihrem Diebstahl vorzubeugen.

19. Es gibt Ideen, die nicht von allen verstanden werden. 126


20. Ideen entstehen gleichermaßen aus dem Chaos und aus der Logik.

21. In manchen Fällen sind Ideen so lebendig, dass sie alles überdauern.

22. Ideen unterscheiden den Menschen von allen anderen Lebewesen.

23. 24. Eine nächtliche Idee zu notieren heißt nicht, am nächsten Tag noch zu wissen, worum es geht.

25. Ideen haben keine Besitzer.

26. Eine Idee gehört immer den Personen, die sie am Leben erhalten.

27. Manchmal braucht die Menschheit Jahre, um eine gute Idee zu verstehen.

28. Ideen wandeln sich gerne in Visionen, wenn es ihnen an Realisierbarkeit mangelt.

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Die Paradoxie des Neuen: Wir suchen nach disruptiven Ideen, damit wir das Gewohnte erhalten können.


39. Ideen sind durch die Digitalisierung zur Währung der Ökonomie und ihrer notwendigen Transformation geworden.

40. Eine Idee kann nicht aus dem Nichts heraus entstehen.

29.

41.

Idee muss als Begriff fast alles können und mitmachen.

Ideen sind der Nährboden für Innovationen.

Der Begriff Idee hat extrem vielfältige Bedeutungen. Idee ist gleichzeitig: ein bedeutendes Versprechen; ein noch gedankenloses Vorhaben; ein Geistesblitz; ein alberner Einfall; das Ergebnis einer monatelangen Arbeit; etc.

31.

42.

Ideen wohnt ein erregender Zauber inne.

Wir leben im Ideenzeitalter.

Wenn wir uns der vielfältigen Bedeutungen des Begriffd der Idee bewusst wären, könnten wir in der Innovationsökonomie viel sinnlose Arbeit vermeiden.

33.

43.

Es gibt eine Unzahl vernachlässigter oder vergessener Ideen, die man finden kann.

Platon hat etwas anderes unter dem Begriff Idee verstanden als der Homo Oeconomicus es heute tut.

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30.

32.

34.

44.

Es gibt eine Unzahl vernachlässigter oder vergessener Ideen, die man nicht finden kann – aber deren Zeit kommen wird.

Platons Idee der Idee erfüllt sich in unserem zeitgenössischen Ideenbegriff dann, wenn mit der Idee auch ihr zugrundeliegendes Bedeutendes erkennbar wird.

35. Unverstandene Ideen sind verlorenes Potenzial.

36. Ideen sind Werte.

37. Ideen zu verwerfen, die schlecht sind, ist gut.

38. Ideen zu verwerfen, weil man sie nicht versteht, ist schlecht. 128


53. Ideen sind trügerisch: Was heute für mich eine unglaubliche gute Idee ist, habe ich morgen schon wieder vergessen.

54. Ideen sind immer Kinder ihrer Zeit.

45.

55.

Ideen wollen sofort und mit Leichtigkeit verstanden werden.

Veränderung braucht Ideen.

56.

46.

Ideen bringen Veränderung.

57.

47.

Kreativität und Erkenntnisfähigkeit bedingen sich in der Fähigkeit, Ideen zu entwickeln.

Nichts ist schwieriger als die Bedeutung der eigenen Idee zu erfassen und sichtbar zu machen.

58. Gewohnheiten sind der größte Nährboden für Ideen.

48. Unwissenheit bringt keine Ideen hervor.

59.

49.

Ideen, die nicht verstanden werden, haben keine Relevanz.

Evolution und Transformation fressen Ideen.

60.

50.

Viele Ideen zu entwickeln erhöht nur dann die Chancen, eine bahnbrechende Idee dabei zu haben, wenn man intensiv an ihnen arbeitet.

Heute hilft es sehr, unterscheiden zu können, ob man eine Idee für ein Start-up hat, eine Idee für potentielle Kunden, oder eine Idee vom Erfolg.

61. Die Ideen anderer sind meist nur so lange Ideen, bis man sie durchdacht hat.

51. Ideen zu entwickeln ist Denken wider die Gewohnheit.

52. Ideen sind Schöpfungen, die über das Bestehende hinausgehen.

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Ideen sind unvorhersehbare Neukombinationen von vorhandenen Wissensbausteinen.


62. Große Ideen überdauern alle Zeit.

63.

71.

Die Idee der digitalen Transformation ist nicht die Summe aller ‚digitalen Ideen’, sondern die Seinsfrage ihrer gemeinsamen Bedeutung.

Ideen können nur bewertet werden, wenn allen Beteiligten klar ist, was bewertet werden soll.

72.

64.

Eine Idee kann einfach so entstehen.

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Ideen sind die Hacks des Gewohnten.

73.

65.

Eine Idee verändert sich mit ihrer Realisierung.

Es gibt keine schlechten Ideen, weil schlechte Ideen keine Ideen sind.

74.

66.

Das Wesen einer Idee ist es, Idee [sic!] zu sein. Das schafft sie nur, wenn sie verstanden wird.

Eine Idee ist eine Antwort.

75.

67.

Eine Idee ist ein Fraktal, da jede Idee Teil einer größeren Idee ist, Teil einer größeren Idee, Teil einer größeren Idee ...

Wer Ideen entwickeln will, um die Welt zu verändern, muss sich zwangsläufig für die Welt interessieren.

76.

68.

Wenn die Idee ein Fraktal ist, ist es die desruptive Idee auch: Also Vorsicht, es wird sich mehr verändern, als man ahnt.

Ideen entstehen aus Entwicklungsprozessen.

69.

77.

Ideen sind echte Ideen immer nur für jene, die sie betreffen.

Ideen haben oftmals eine kurze Halbwertszeit: Wenn ihnen ihre Veranlassung abhanden kommt, weil sich die Welt verändert, sind sie keine Ideen mehr.

70. Eine Idee wird dann verstanden, wenn nicht nur die Lösung, sondern auch ihre Bedeutung klar wird.

78. Groß ist es nicht nur, Ideen zu haben. Besonders groß ist es, Ideen als Idee [sic!] am Leben zu erhalten.

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79. Ideen sollten nicht klassifiziert werden: Sie könnten branchen- und kompetenzübergreifend von ungeheurer Bedeutung sein.

80. Das Rätsel um die Herkunft großartiger Ideen und ihre Entstehung ist noch immer nicht gelöst.

81.

Cause

Solution

is not is

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Ach ja: Das Rätsel um das Wesen von Ideen ist gelöst: Das d’Artagnan-Prinzip beschreibt die drei Entitäten von Idee, die jede Idee ausmachen, bildet ihre Logik ab, und mit seiner Hilfe kann die Qualität von Ideen in ihrem vollständigen Lebensprozess gesichert werden.

is

t

no

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IDEA

Value

82. Wenn ich eine Idee habe, weiß ich, welche Bedeutung die Lösung hat, die ich veranlasst war zu finden. Ich werde diese Liste fortsetzen. Gerne mit euren Anregungen: fischer@its-immaterial.com

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Institutionelles Forschungsprojekt

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LABattoir Thessaloniki

Arbeit als Erfindung Text: Max Spielmann Bild: Sakis Gioumpasis, Max Spielmann

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higkeit und die Kreativität, situativ Lösungen zu entwickeln. Es geht um ganz konkrete Hilfe (z.B. in Gesundheitsambulatorien) und fast immer um die grundsätzlichen Fragen: Wie bewirtschaften wir unsere Städte? Wie leben wir zusammen? Eigentlich Themen, die in die Wirtschafts- und Gesellschaftsberichterstattung gehören. Was fehlt, ist immer das Geld, dieses fiktive Zeichen für die Kreditwürdigkeit. Und wo kein Kapital ist, da ist keine Arbeit im Sinne von Lohnarbeit und BIP-erfassbaren Daten – und damit gehört das Thema allenfalls in die Kulturberichterstattung.

Meist geht ein drittes Narrativ vergessen: Griechenland ist ein Land mit gut ausgebildeten Menschen, mit offenen und differenzierten gesellschaftlichen Diskursen, mit vorhandenen Ressourcen, mit in vielen Bereichen gut funktionierenden Infrastrukturen und mit einem vorhandenen Agrarsektor. Definitiv nur im Kultur- und Feuilletonteil der Medien wird über den rasch wachsenden und hart erkämpften zivilgesellschaftlichen Sektor berichtet. Dieser überrascht durch die hohe Improvisationsfä-

Das ehemalige Schlachthaus von Thessaloniki steht weit ausserhalb des Zentrums auf dem Hafengelände. Die physische Distanz zum Zentrum ist eigentlich irrelevant. Doch die psychologische Distanz ist immens, nicht erst seit der Hafen an chinesische Investoren zwangsveräussert wurde. Hier entsteht das LABattoir – eine «socially engaged machine for the production of culture, a laboratory of applied creativity [...]». Der Text des Mission Statements gleicht dem vieler ähnlicher Projekte in Krisensituationen: Es wird versucht, mit Kreativwirtschaft Sinn und Wachstum zu erzeugen – ein meist eher hoffnungsloses und widersprüchliches Unterfangen.

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Die Diskussion zur griechischen Situation wird von zwei Narrativen geprägt – dem des Opfers und dem des Täters. In der ersten Version ist Griechenland Opfer der globalen Finanzkrise. Weder wurden die kreditgebenden, verschuldeten Banken in den Konkurs gedrängt, noch wurde Griechenland ein radikaler Finanzschnitt gewährt. Das Land wurde in eine Austeritätspolitik gezwungen. Weitere Elemente der Erzählung sind die schwierige Konstruktion des Euro und die Handelsexportüberschüsse der nördlichen EU-Länder. In der Version des Täters wird Griechenland gern als ein Land mit einem völlig aufgeblasenen, ineffizienten Staatsapparat voller Klientelwirtschaft dargestellt, ohne nennenswerte Industrie und mit veralteten Infrastrukturen. Soweit die stark verkürzten Beschreibungen.


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Ein Gründer eines lokalen FabLab meinte in einem Gespräch: Das wirkliche Problem Griechenlands ist nicht die ökonomische Krise – es ist eine Krise der Identität. Selbstverantwortung übernehmen, Hand anlegen und das «Haus» mit bewirtschaften. Es geht wirklich um Kultur. Deshalb sind Berichterstattungen zu zivilgesellschaftlichen Bewegungen und die Positionierung des LABattoir bei der Kultur richtig angesiedelt.

Doch in Griechenland muss Arbeit von Grund auf neu erfunden werden. Das Selbstverständnis des/r LohnarbeiterIn ist ebenso hinfällig wie das des/r risikofreudigen UnternehmerIn. Es geht um ein kulturelles Selbstverständnis dessen, was wir den ganzen Tag lang arbeitend vollbringen. Insofern ist die Verbindung von Kultur und Ökonomie mehr als berechtigt. Wie halten wir unser Haus im Schuss – oikonomia (gr. die Haushaltsführung)?

Das Institut HyperWerk arbeitet bei diesem Projekt mit. Wir verantworten die Bereiche des Aufbaus eines Media und eines Factory Lab, sowie die begleitende Erforschung der durch das Projekt ausgelösten Veränderungen – kulturelle, sozio-ökonomische und individuelle. Dies tun wir nicht, weil wir irgendetwas besser wissen oder können, sondern weil solche Fragestellungen auch zu unserem schweizerischen Alltag gehören und wir uns darin spiegeln. Was wir dabei sehen, lässt keine Seite unbeteiligt und öffnet unerwartete Wege zu Lösungen.

In den zivilgesellschaftlichen Projekten werden Formen der Zusammenarbeit, der Gemeingüter oder des Sinns der Subsistenzwirtschaft diskutiert und erprobt – ob Makershop-Projekt, kleines Quartierzentrum, Urban Agriculture, Theater / Performance, Gesundheitsversorgung, Medien oder urbane Interventionen. Die Komfortzone musste schon lange verlassen werden – Ressourcen, Elemente des kulturellen Selbstverständnisses und Wissen sind jedoch vorhanden.

www.labattoir.org Informationen zur mitorganisierten Konferenz zum Thema: Work as Invention. Art for Social Change / Thessaloniki / 31.3.-1.4.: www.artecitya.gr

Hinter all den Projekten steht für die TeilnehmerInnen die Frage: Wie kann ich etwas Sinnvolles tun und ein bisschen Geld verdienen; oder bleibt mir nur die Auswanderung? Arbeit als Erfindung zu verstehen, verlangt, sich selbst neu zu erfinden.

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Das Media-Team wartet auf das Publikum / Konferenz: Work as Invention. Art for Social Change / Thessaloniki / 31.3.-1.4.

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Diplomarbeit

#YOUNIVERSE

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Text und Bild: Josephine Weber Fotografie vom individuellen Arbeiten und persönlichen Blickwinkel. Wenn ich mir Portfolios von mir geschätzten Fotografen anschaue, frage ich mich oft, wie das Bild wohl entstanden ist. Welche Herangehensweise hat dieser Fotograf gewählt, um solche Bilder zu kreieren? Und genau an dieser persönlichen Frage soll mein Prozessbuch anknüpfen.

Mit #Youniverse1 begebe ich mich auf die Suche nach Authentizität in der visuellen Welt von Instagram, Facebook, Tinder2 und ähnlichen Plattformen. Es ist der Ort, wo die tägliche Präsentation unserer eigenen Person stattfindet: Der Wunsch nach Anerkennung, die Möglichkeit sich der Welt zu präsentieren, das selfie3 als Massenbewegung und das Streben nach Einzigartigkeit. Das alles kommt hier zusammen. Ich suche nach Gründen für unseren Drang nach Selbstinszenierung4 und stosse dabei auf eine abgeänderte und überholte Form des selfies: das Selbstporträt.

Es manifestiert meine persönlichen Erfahrungswerte anhand von sieben Erkenntnisporträts und zielt auf die subjektive Sichtweise. Von daher darf es nicht als fotografisches Nachschlagewerk verstanden werden. Die geführten Interviews mit Schweizer Fotografen wie Maurice Haas, Dan Cermak und Christian Knörr ergänzen das Prozessbuch mit Einblicken in professionelle Arbeitsweisen. Sie erlauben einen Blick nach aussen zu werfen und sich an der Berufswelt des Fotografen zu orientieren.

Ausgehend von meiner Faszination für die Entstehung von Bild durch Inszenierungsweisen anderer Menschen vor der Kamera wurde mein Untersuchungsobjekt die Kommunikation zwischen Fotograf und Porträtiertem. Also das Dazwischen. Das Format eines Shootings bot die ideale Bühne für meine mise-en-scène.5 Daraus entstand ein Versuchsaufbau, der aus 20 unterschiedlichen Shootings besteht. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ein Prozessbuch, das darlegen will, wie es überhaupt zur Inszenierung6 kommt und einen Blick hinter die Kulissen gewähren lässt. Es unternimmt den Versuch, Prozesse offenzulegen.

Das Prozessbuch how to making-of wird im Sedici Verlag in einer Auflage von 25 Stück publiziert.

1 #Youniverse ist eine Wortkomposition aus dem Englischen, das aus den Wörtern you (de; Du) und universe (de; Universum) besteht. Das nach dem # (engl; hashtag) geschriebene Begriff ist ein Schlagwort, welches ein Post oder ein Bild einem Thema zuordnet. Genau so kann es aber auch als Suchbegriff verwendet werden. 2 instagram, facebook, tinder sind Plattformen in den sozialen Medien mit unterschiedlichen Konzepten. Bei allen hat der User einen persönlichen Account bei dem er Kommentare, Bilder oder Videos mit allen andern Usern teilen kann. 3 selfie, es handelt sich um ein Selbstporträt, das jemand mit seinem smartphone von sich schiesst. Dieses hält er mit ausgestrecktem Arm oder einem technischen Hilfsmittel vor sich hält, um beispielsweise das Gesicht, seinen Körper, eventuell weitere Personen und die Landschaft im Hintergrund mit aufs Foto zu bekommen. Entscheidend ist aber das weniger Offensichtliche: Das selfie wird gemacht, um es über soziale Medien mit anderen zu teilen – es soll gesehen werden. 4 Mit den Begriffen Selbstdarstellung, Selbstinszenierung und Selbstpräsentation ist die Gestaltung einer Rolle nach aussen gemeint. Das schliesst die Kommunikation, die Gestik, das Verhalten einer Person mit ein. 5 Mise-en-scène wird im Theater als die Inszenierung einer Theaterszene verstanden. Es bedeutet «In Szene setzen». Dabei liegt der Fokus auf den äusserlich sichtbaren Dingen wie Bühnenbild, Setting oder den Schauspielern. 6 Inszenierung: In meinem Fall, ist das Arrangieren einer künstlichen Shootingsituation gemeint. Im Theater wird damit auch eine Aufführung oder Vorführung

Ich sehe die Fotografie als ein Handwerk, dessen technisches Verständnis die Vorausetzung für das Arbeiten mit einer Kamera ist. Von da her war ich oder bin ich immer noch mit der Frage konfrontiert: Wie positioniere ich mich als Fotografin? Denn die technischen Möglichkeiten sind kein Geheimnis mehr. Deshalb lebt für mich die

bezeichnet.

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#Erkenntnisporträts

KLARES KONZEPT HINTER DEM BILD ERLEICHTERT DIE ARBEIT Mir war von Anfang an klar, das ein ausgearbeitetes Konzept für ein Shooting sehr wertvoll sein kann. Bei diesem habe ich ein solches Konzept entworfen mit einem zusätzlichen Moodboard und einem Posenplan.. Das Ergebnis war ein schnelles und gut strukturiertes Shooting, auch weil die Teilnehmer und die Mithelfenden genau wussten was verlangt wurde. Mein persönliches Fazits ist, dass ich mir in Zukunft für aufwendige Shootings immer ein kleines Konzept aufschriebe und ein Moodboard mache.

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#Erkenntnisporträts

Nach dem ich viele Shootings mit Gleichaltrigen durchgeführt hatte, wollte ich ausprobieren wie es ist mit älteren Mensch zu arbeiten. Dafür habe ich meine Grosseltern eingeladen im Studio fotografiert zu werden. Schnell merkte ich, das ich viel mehr Zeit einberechnen musste als ich eigentlich eingeplant hatte. Was mich nicht gross störte, aber dennoch einen Aha-Moment auslöste. Ich musste mich altersbedingt an das Tempo meiner Grosseltern anpassen. Damit sie sich überhaupt wohlfühlen konnten vor der Kamera, musste ich ihnen den Raum und die Zeit, geben der für sie angepasst war. Ich habe so erkannt das ich in gewissen Shootingssituationen nicht nur verlangen kann sondern manchmal auch etwas geben muss damit etwas zurück kommt.

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PLAN A,B UND C


Studierendenprojekt

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BASLER BASTLER HEIZEN STADTBRUNNEN EIN

Text: Naomi Gregoris, tageswoche online 13.04.2017, 07:01 Uhr Bild: Alexander Preobrajenski, Team Hotel Regina

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Impressum Herausgeber Jan Knopp, Olivier Rossel Gestaltung Benjamin Kniel, Carlo Kohal Lektorat Dieter Feigenwinter, Ralf Neubauer Papier SoporSet matt, 135 gr Typografie Tenso 3. veränderte Auflage 400 Stück August 2017 Druck Media Druckwerk Hamburg ISBN 978-3-906912-26-4 Sedici Verlag HyperWerk, HGK FHNW Freilager-Platz 1 Postfach CH-4002 Basel www.sedici-verlag.ch www.hyperwerk.ch © Sedici Verlag 2017 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Sedici Verlages, Jan Knopp. Übernahme von Texten oder Bildern: Sedici Verlag gestattet die Übernahme von Texten und Bildern in Datenbestände, die ausschließlich für den privaten Gebrauch eines Nutzers bestimmt sind. Die Übernahme und Nutzung der Daten zu anderen Zwecken bedarf der schriftlichen Zustimmung des Sedici Verlags, Jan Knopp (Nachdruckanfrage stellen).



Orange Monument Westen im Westen Larissa Lang, Olivia Schneider

ISBN 978-3-906912-26-4


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