WIR HALTEN HAUS - Das Glossar

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WIR HALTEN HAUS



DAS GLOSSAR



WIR HALTEN HAUS

Das entsteht im Zuhören, Verbinden, Teilen, Unterscheiden, Erinnern, Umschreiben, Behaupten und Beziehungen schaffen.

Das bedeutet, Position zu beziehen, verletzbar zu werden, etwas bewirken zu wollen, zu definieren, zu revidieren und erneut zu behaupten.

Das ist die Metapher für das Gestaltbare. Das Haus schafft gemeinsame Voraussetzungen, die unserem Handeln Sichtbarkeit ermöglichen. Die Verortung im Haus gibt Orientierung. Das Beschreiben von Nachbarschaften – innerhalb und ausserhalb des Hauses – befördert Kontextualisierungen. Das Haus bildet ein gemeinsames Fundament und bietet ein Dach. In seinen Räumen werden Begegnung, Austausch, Differenz und Konsens gelebt.



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Abenteuer, das; [garage] Schon Simplicissimus kannte es; schon Jacques-Yves Cousteau wusste es: Dem Abenteuer kann man nur hinterherrennen. Es kann recht egal sein, wofür man arbeitet, worin frau einen Sinn sieht – ruft erst mal das Abenteuer, muss man alle Zügel fahren lassen; Trivialität und Komplexität rücken als Kategorien in den Hintergrund. Wenn das Abenteuer ruft, muss es erlebt werden. Ich frage mich manchmal, ob Kunst, Aktionismus und Intervention nicht bloss Vorwände sind, um ohne Taschentuch in ein Abenteuer zu schliddern, um das grosse Gefühl zu erleben, das dann auflodert. Dieses Gefühl reicht weiter als das vermeintliche Ende des Abenteuers: Genauso wichtig wie das Erlebnis ist nämlich die Erzählung davon, die – wie das Abenteuer – stets lebendig bleibt und somit auch das Abenteuer selbst am Leben erhält und weiterwuchern lässt. blue ballpoint pen Abstellkammer, die; Abstellkammer = Harry Potter. Flur

Alltag, der; [eingang] Alltag ist zu versuchen, am Laptop zu schreiben und sich das Zimmer mit Partnerin und Baby zu teilen. Alltag ist mächtig, denn er ist etabliert, wiederholt sich häufig und entscheidet, ob ich nachhaltig zufrieden bin. Wer in der Lage ist, meinen Alltag zu beeinflussen und Elemente darin einzubringen, hat demnach grossen Einfluss auf mein Glück und Wohlergehen. Den eigenen Alltag zu untersuchen und zu raffinieren ist für mich deshalb ein Werkzeug zur Selbstermächtigung. Ich versuche, mir im Alltag Brücken zu den Aktivitäten zu bauen, die mich bereichern. Zum Beispiel sind einige Töpfe mit Kräutern vor meinem Küchenfenster eine Erinnerung und (minimale) Gelegenheit, täglich Zeit mit Pflanzen und ihrer Pflege zu verbringen. In gewisser Weise ist der kürzeste Weg zur eigenen Erfüllung, den Tag mit wiederkehrenden bereichernden Ereignissen und Begegnungen zu füllen. Es geht nicht um seichte Wogen und Tage in der Sonne, und das ist auch kein Plädoyer für die neoliberale Maxime: «Wenn jede*r an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht.» Hier ist mehr der wertschätzende Blick auf alltägliche Ereignisse gemeint und das Bewusstsein dafür, den eigenen Blick und die Ereignisse beeinflussen zu können. Abgesehen davon wird auch der erfüllteste Alltag nicht vom Wissen 7


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um gesellschaftliches Ungleichgewicht ablenken können. Eigenes Glück allein macht nicht glücklich. Gestaltung

alternative, la; [küche] « C’est en discutant avec les gens, en enfourchant nos vélos, en manifestant contre le nucléaire, en utilisant les panneaux solaires, en fabriquant du fromage de chèvre, en écrivant des livres, que nous avons montré qu’il existe des alternatives là où on pensait qu’il n’y en avait pas. » Pourquoi les écologistes font-ils de la politique ? Entretiens de Jean-Paul Ribes avec Brice Lalonde, Serge Moscovici et René Dumont. Paris : Editions du Seuil 1978 disobedience; Lernen Anonymität, die; [schlafzimmer] Beliebter Zustand, der nicht nur im Schlafzimmer missbraucht werden kann. Gefängnis; Intimität Antiraum, der; [küche] Denke ich an die Küche, so tönt es nach Pfannen und Deckeln, nach Gläsern und Tellern, nach Messern, Gabeln, Pfannenwendern, Kochlöffeln und Schöpfkellen. Und über allem summt der Kühlschrank. Ich weiss auch vom Wind, der draussen heult und Gäste hereinweht, die glücklich sind, ins Warme zu gelangen. Tatsächlich aber sitze ich, wenn ich mir die Küche vorstelle, auf einem verregneten Feld in der Apsis meines Zeltes und versuche, den Benzinkocher in Gang zu halten. Wie zwei Puzzleteile passen Wunsch und Wahrheit ineinander; wie ein Hansdampf denke ich nicht an alles, sondern ans Spezifische, das nicht da ist, aber das, was da ist, irgendwie grau umnebelt; wie erst in der Realität die Fiktion zur Erfindung wird, aber dennoch eines beide impliziert. Dekonstruktion; Realität Aquafaba, das; [küche] (von lat. aqua «Wasser» und lat. faba «Boh­ ne») ist das dickflüssige Kochwasser von Kichererbsen, Bohnen und anderen Hülsenfrüchten. Als im Jahr 2015 Aquafaba als erster zuverlässiger Ei-Ersatz zur Herstellung von veganen Meringues bekannt wurde, entwickelte sich eine internationale Online-Community zum Austausch von Rezepten und Erfahrungen. Dadurch konnte die vegane Küche auf zuvor unerreichbar ge8


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glaubte Bereiche ausgeweitet werden. Aquafaba: Wikipedia. www.de.wikipedia.org/w/index.php?title=Aquafaba&oldid= 175578984 (Aufgerufen 24. Mai 2018) Fermentierung; Schmückung

Archäologin, die; [esszimmer] Sie erforscht die kulturelle Entwicklung der Menschheit. Sie gräbt Hinterlassenschaften der Menschen längst vergangener Zeitalter aus, befreit sie von Staub und Dreck und macht sie sichtbar. Im übertragenen Sinne lassen sich auf diese Weise auch Überbleibsel von Sitten und Gebräuchen früherer Generationen in den Verhaltensmustern heutiger Gesellschaften ausgraben, abstauben und sichtbar machen. Anstandsregeln beim Essen, intrafamiliäre Verhaltensregeln oder hierarchische Strukturen im privaten und öffentlichen Leben sind Beispiele dafür. sasi-Kapsel

Archipel, der; [flur] Der Archipel, ein Inselmeer, aber auch, mit verworrenem Bezug zum griechischen Ursprung, ein Meer der Häupter. Die Souveränität irgendwo dazwischen, ein Raum der Aushandlung und der temporären Passagen. Gehwege der Kommunikation; und unter dem Boden das Meer. Ein Meer unerforschter Tiefen und Flächen, mit Inseln, durch Schwemmen und Waschen im Wachsen und Abbauen begriffen. Es gibt keine Steuerung, und doch steckt hinter der freien Bewegung Disziplin. Warme und kalte Strömungen, von farblos bis tiefblau. Oben die Kräfte von Sonne und Mond, unten die Schwerkraft bis zur Implosion. Droben die Surfenden, drunter die Gleiter. Es sind die Abtauchenden, die der Tiefe klare Stille finden. Inselgruppen, die durch auf Dämmen gebaute Strassen verbunden sind, behaupten sich im Tosen des Meeres. Die Inseln werden zu Häuptern und die Passagen zur Kommunikation. Archipelisierung; Dialog; Kultur Archipelisierung, die; [balkon] «Urlaub auf Balkonien» – das ist die Alternative zum Tourismus mit all seinen leeren Versprechungen von unberührten Hotels und lauschigen Stränden. Man ist zur Hauptsaison allein – alle Nachbarn und Bekannten sind im Pauschalurlaub, weil es zu Hause ja so langweilig ist und man sonst nichts zu erzählen hat. In der sachten Sommerbrise wiegen 9


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sich die Küchenkräuter in ihrem so sinnreich am Balkongeländer angebrachten Küchenkräuterkasten; dahinter die Horizontlinie irgendwelcher blauen Berge; in der Kühle des Appartements eine mächtige Heimkinoanlage für die späteren Abendstunden. So ein Balkon ist wie eine Insel in einer Inselgruppe – ein Balkon hängt selten allein –, aber mit genügend Wasser dazwischen, sodass man sich auf Entfernung lässig an die Strohhutkrempe tippt; doch das war’s dann auch schon an Kommunikation. Basel; Luxus

Aspirin ®, das; [bad] Acetylsalicylsäure macht das Blut dünner. Da­ durch kann das Blut seinen Durchfluss im Bereich angespannter Schultermuskeln verbessern und so das Symptom der Kopfschmerzen lindern. Direkt ins Blut injiziert, zaubert es den Geschmack von Erdnüssen auf die Zunge. Flucht; Wurzeln assignment, the; [garten] “Whether they lay down a strict route or only nudge you in a general direction, assignments point out a way along a line of thought. Because of their instructional nature, they are often loaded with precepts about what a designer could or should do. Initiating an action or a process, an assignment is a statement with a performative function and effect. Rather than simply being prescriptive, an assignment can also be a moment to meddle and mess with established ways and forms.” Paim, Nina: Taking a Line for a Walk – Assignments in design education. Leipzig: Spector Books 2014, S. 29 Gestaltung; Lernen Atelier, das; Das Atelier ist für die Kunstschaffenden oder Designen­ den das, was für die Autoren oder die Autorinnen das Buchprojekt ist. «Jaja, ich schreib an meinem neuen Buchprojekt.» – «Nein, heute leider nicht, ich arbeite in meinem Atelier.» Gut gibt es Orte wie das Atelier, wohin mensch die Muse bestellen kann und sich nicht, wenn sie doch nicht kommt, nicht abgeholt fühlt. Büro Atmosphäre, die; [balkon] Wenn ich abends in den Sonnenuntergang fahre und die milde Luft in meiner Handfläche spüre. lente 10


AT AW Attrappe, die; [atelier] Das Dach unseres neuen Ateliers hat einen Diagonalfirst mit einer Dachneigung von 8°. In der Bauzone W2b in Reinach muss der First jedoch parallel zur Fassade verlaufen. Die Alternative wäre ein Flachdach, was jedoch nur unter 5° Neigung als solches anerkannt wird. Deswegen haben wir jetzt eine extensiv begrünte Attrappe mit 5° Dachneigung. Ein anonymer Nachbar hatte den Behörden den Tipp gegeben. Dominik Dober; Geld; smuggling

Aufnahme, die; [schlafzimmer] Es ist alles so programmiert, dass ich nach dem Urlaub die komplette Staffel nachholen kann. Kamera Ausschaffung, die; [garage] «D’Nase platt a’s Fänschter truckt, fahrt es chlises Meitli furt Truurig luegt es z’rugg ond schluckt zweimal liislig läär […] Wil im Pass kei Chrüzli stönd, ond mir drum kei Schwizer send Törf ich nümme si mit Chind, wo mich guet verstönd.» Ausschnitt aus dem Pfadfinderlied S’Elli Ciao Ciao Svizzera von André Stürzinger, 1980 Kultur

Ausstellung, die; [wohnzimmer] Eine Ausstellung ist keine Formulierung von Theorie. Es reicht völlig aus, wenn eine Ausstellung zum Ausgangspunkt für die Formulierung von Theorien werden kann. Und das ist ein Prozess, der nicht oder nicht allein in meinen Händen liegen soll. Eine interessante Ausstellung enthält die Möglichkeit, sich zu verselbstständigen – durch die Rezeption; durch das, was andere Leute damit machen. Genau wie ein Buch oder ein Kunstwerk. Ziel kuratorischer Praxis sollte sein, Menschen zu Produzent*innen zu machen; zum Beispiel zu Produzent*innen von Denkprozessen, die auf der Fähigkeit aufbauen, die ästhetische Erfahrung zu reflektieren, die sie gemacht haben. Reisinger, Barbara: Die instabile Konvergenz und das altmodische Saalblatt. Ein Gespräch mit Søren Grammel www.allovermagazin.com/?p=2185 (Aufgerufen 17. August 2016) Initiation awareness, the; [estrich] The room that holds all of my memories, all of my books, and all of the materials I collect to be creative. It 11


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is where I have my archive. The attic is at the highest level of all the rooms in my house. It is a reminder that I am human. It overwhelms me, frustrates me and excites me all at the same time. It is the room I go up to when I need inspiration or want to reflect. To remember. To feel accomplished. disobedience

@home; [wohnzimmer] Ein Zustand. «Heute hier, morgen dort» sang bereits Hannes Wader und meinte die Mobilität des inneren und äusseren Ich. Mein Zuhause kann ich jederzeit und ohne Aufwand wechseln. Von einem Tag auf den anderen wohne ich nicht mehr in dem, was ich bis anhin mein Zuhause nannte, und suche mir ein neues: eine andere Stadt, einen anderen Lifestyle, einen anderen Fokus. Die weite Welt des Internet erlaubt mir mit ein paar Klicks das Eintauchen in eine neue Heimat. Instagram-Feed aus Wien, News aus London, Fernsehen aus New York. Zu Hause kann ich sein, wo ich will. Gastland Bad, das; Sprudelbad, Seifenbad, Badeanstalt, Goldbad, Thermalbad, Gefühlsbad, Kinderbad, Badehose. Meines setzt Kalk an. Manche brauchen keines. Manche haben keines. Manche sollten aber. Duschkabine

Balkon, der; Balkone ergeben nur in der Stadt Sinn, von wo man auf die Passanten spucken; die unteren Nachbarn mit intensivem Pflanzengiessen nass beglücken; und die Nachbarn schräg vis-àvis beim nackten Campari-Soda-Sonnenbad ausspionieren kann. In der Einfamilienhausagglomeration hingegen sind sie ein irregeleiteter Versuch vorgetäuschter Weltbürgerlichkeit: Mensch spuckt nur auf den gelb-weiss gestreiften Sonnenschirm; die Pflanzen sind eh unten im Garten; und von den Nachbarn will mensch so gar nichts, also wirklich nichts wissen. Terrasse Basel; [wohnzimmer] Ich sitze auf meinem Sofa im Wohnzimmer und studiere die Unordnung nach der gestrigen Party. Mäandernd spaltet das Steuerungskabel meiner Spielkonsole den Teppich wie der Rhein die Stadt Basel in zwei Teile. Links befindet sich Gross- und rechts Kleinbasel. Eine Tischbombe steht auf der 12


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rechten Seite, wie der Roche-Turm, der von den Architekten Herzog und de Meuron erbaut wurde. Schräg gegenüber flussabwärts liegt eine Schachtel Aspirin des Pharmakonzerns Novartis. Luftschlangen ringeln sich kreuz und quer wie das Strassennetz auf dem Boden. An der Spitze der Kabelbiegung steht auf der linken Seite eine halbvolle Rotweinflasche, die vom geografischen Standort her auch das Münster sein könnte. Auf der anderen Seite des Kniebogens ziert ein Rotweinfleck den Spannteppich. Hier könnte man auf meiner Wohnzimmerkarte das Rotlichtmilieu interpretieren. Ich schalte den Fernseher ein, um das heutige Fussballspiel im Joggeli-Stadion zu sehen. Ich verbinde die beiden Stadtteile noch spasseshalber mit Salzstangenbrücken, über die unser Tram rollt. Zwischen die Salzstangen platziere ich jeweils eine Erdnussschale und stelle so die Rheinfähren dar. Zufrieden mit meinem Werk öffne ich ein Ueli-Bier und ziehe mich auf mein Sofa zurück. Familie; monde

Behaupten, das; [esszimmer] Mittelalterliche Methode der wissenschaftlichen Forschung. Zu jener Zeit führten gewisse Behauptungen noch zu Enthauptungen; mittlerweile ist die Höchststrafe für Falschbehauptungen in weiten Teilen der Welt vom Kopf- zum Gesichtsverlust vermindert worden. Die Methode: Lautstarkes Ausgeben eines Gefühls oder einer Meinung als objektiven Fakt. Im Gegensatz zu anderen Argumentationstechniken bezieht die Behauptung ihre Stärke und Gültigkeit nicht aus sich selber, sondern von der behauptenden Person. Das Behaupten ist generell in kollegialem, von rechter Seite aber auch in politischem Kontext anzutreffen. Je wuchtiger eine Behauptung auf den Stammtisch gedonnert wird, desto gründlicher wischt die entstandene Druckwelle alles Zarte und Unsichere von der Diskussionsfläche. Einzig die Bierhumpen und ebenso feste Überzeugungen bleiben in der Runde stehen. Eine fifty-fifty Chance entscheidet, ob durch dieses Vorgehen der Gesprächsverlauf effizient vorangebracht oder mittels einer ebenso starken Gegenbehauptung ins Endlose hochgeschaukelt wird. Attrappe Benzinkocher, der; [balkon] Ist bei jedem Abenteuer zur Erwärmung von Kaffee oder handfester Kost nötig, um das emotionale 13


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Gleichgewicht zu erhalten. Die Vorteile des Benzinkochers sind, dass er bei Minustemperaturen immer noch einwandfrei funktioniert und an (fast) jeder Tankstelle nachgefüllt werden kann. Der Nachteil ist, dass der Benzinkocher im Gegensatz zum Gaskocher ein unerträglich lautes Fauchen verursacht; was, wenn keine stille Rückzugsmöglichkeit vorhanden ist, dem emotionalen Gleichgewicht schadet. Somit ist die Balance von Ertragen und Ertrag abhängig von der Güte des auf dem Benzinkocher Zubereiteten. Die Funktion des Benzinkochers reicht allerdings über seine pragmatische Fähigkeit hinaus: Als modernes Lagerfeuer symbolisiert sein Einsatz das Ankommen am Ort der Tat und damit das Aneignen desselben zum Zweck der Aktion oder des Projektes. Die Zubereitung von Kaffee auf dem Benzinkocher kann somit als erster Akt der pionierhaften Annexion des neuen Raumes verstanden werden. Instantsuppe; Kaffee; Löffel

Bewegung, die; [balkon] Stumm und wild gestikulierend – was ich von meinen Nachbarn auf dem Balkon sehe. Sie streiten sich wieder. screwdriver Beziehungsweisen, die; [waschküche]«Führt Freiheit ohne Gleichheit zu Ausbeutung und Unterdrückung, so führt Freiheit ohne Solidarität zu Individualisierung. Führt Gleichheit ohne Freiheit zu Zwangskollektivierung bzw. Homogenisierung, so führt Gleichheit ohne Solidarität zu Bindungslosigkeit bzw. Autoritarismus. Das Gleiche lässt sich antizipativ aber auch für Konstellationen sagen, in denen die Solidarität bestimmend ist: Solidarität ohne Gleichheit führt in den Paternalismus, Solidarität ohne Freiheit in die repressive Vergemeinschaftung. In der Perspektive der Beziehungsweise, die diese dreifache normative Orientierung der Französischen Revolution berücksichtigt, lässt sich die ‹freie Assoziation› ausbuchstabieren, die seit dem 19. Jahrhundert als Antwort auf die Frage nach dem Ziel einer emanzipatorischen Transformation fungiert. Dabei ist klar, dass gesellschaftliche Beziehungsweisen nur dann wirklich solidarisch sein können, wenn sie nicht auf einen sozialen Teilbereich beschränkt bleiben. Die revolutionäre Rekonstruktion kann also nicht bei den Beziehungsweisen Ware und Liebe, Markt und 14


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Familie verharren, sondern wird zugleich die Beziehungsweisen Staat, Bürokratie, Partei, Verein, Freund*innenschaft durchkreuzen, mischen, rekombinieren, kurz queren wollen. Die solidarischen Beziehungsweisen, die dabei entstehen sollen, sind solche, in denen Abhängigkeit nicht geleugnet und verdinglicht, sondern affirmiert wird. Nur so wird es möglich, auf Grundlage differenter Positionalitäten das Verhältnis von Abhängigkeit und Freiheit egalitär zu gestalten. Statt Einheit des Zwangs und bindungsloser Differenz kann das Gemeinsame dann als das erscheinen, was die Vielen miteinander teilen. Als Gleiche und Freie in Solidarität.» Adamczak, Bini: Beziehungsweise Revolution – 1917, 1968 und kommende. Berlin: Suhrkamp 2017, S. 289 Social Bot

Biotop, das; [treppenhaus] Biotope siedeln sich oft am Wasser an. Und entlang des Wassers schiesst das Leben nur so aus dem Boden. Überall gehen neue Cafés, Bars und kulturelle Betriebe auf. Vor allem im Sommer, wenn das Biotop summt und brummt, tummeln sich da Tausende von Lebewesen den Rhein entlang, geniessen die Natur und den Duft der Linden. Hühner; Ritotop; Tischkultur blue ballpoint pen, the; [schlafzimmer] “Sometimes it’s worth remembering the obvious: you engage the world with your body – often with your hands.” A tool used by my hand that moves to the rhythm of thoughts, ideas, dreams, inventions, intentions and beliefs. Next to my bed, ready to be used at moments of unexpected inspiration. “Blue it moves like water Flowing across an open page Moving to the rhythm of a voice, heard only in my head. Dancing with my fingers on an empty white surface beneath. A tool chosen by many. Controlled, seldom free. Engaging, liberating, dangerous, even cruel. Creating words to language. A choreographer’s dream come true. Chosen at the point of a beginning. Blue ballpoint pen – a tool.” 15


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Hanson, Rick: Just one thing. Developing a Buddha brain one simple practice at a time. Oakland ca: New Harbinger Publications 2011, S. 138 Held; Micron tm 0

box, the; [keller] 1. useful for structure and storage; especially storage. Memories, thoughts, emotions, feelings, actions – whatever one’s heart desires can be stored into boxes and be picked up anytime you want. It is not advised to leave boxes sealed for a long time; that would result in what we call a loss. 2. set of tools at one’s disposal. hole; screwdriver; Waden

Brecheisen, das; [estrich] Das Brecheisen wird häufig mit Einbrüchen assoziiert und ist deshalb negativ belastet. Ursprünglich wurde es in Steinbrüchen verwendet. Heute wird es von der Feuerwehr in Notfällen in Form von Brechstangen zum Öffnen von Türen oder von Handwerkern in Form des sogenannten Kuhfusses zum Entfernen von Nägeln und Schrauben benutzt. Es eignet sich gut dazu, in enge Spalte einzudringen und sie nach dem Hebelprinzip aufzubrechen. Damit lassen sich beispielsweise verschlossene Truhen auf dem Dachboden problemlos öffnen und Relikte aus längst vergangenen Zeiten zutage fördern. Archäologin; Männer; Versagen Briefkasten, der; Ein Paket aus Vietnam in die Schweiz zu senden kostet etwa dreihundert Dollar. Das passt dann aber auch nicht in meinen Briefkasten. Wenn ich meine Grosseltern besuchen gehe, kostet mich das etwa vierzig Franken; einen Brief zu senden bloss 85 Rappen, B-Post. Da freuen sie sich, wenn sie meinen Brief im Briefkasten entdecken. – Persönlich gehe ich eher selten vorbei, da sie mich im Briefkasten nicht entdecken können. Eingang

Brunnen gehn, das; [bad] Brunnen gehn ist die Kurzform des Slang-­ Ausdrucks «lass ma Brunnen gehn» und bedeutet: «Komm, wir gehen im Brunnen baden.» Gemeint ist das Baden in warmem Wasser, in öffentlichen Dorf- und Stadtbrunnen der Schweiz. Die Brunnenheizerinnen und Brunnenheizer, die sog. Chauffeurs de fontaine, heizen während der kälteren Jahreszeit mittels 16


BR BÜ eines holzbefeuerten mobilen Ofens das Wasser in ausgewählten Brunnen auf eine angenehme Bade­temperatur (37.5°C – 40.5°C). Dabei verwandeln sie die Brunnen, die in der Schweiz fast nur noch einen dekorativen Zweck erfüllen, zurück in Orte für sozialen Austausch. Der Verband pro fontaines chaudes, der Brunnenheizerinnen und Brunnenheizer ausbildet, bezieht sich dabei auf die verlorene soziale Funktion der Stadt­brunnen, die in Basel ab 1866 mit den Erneuerungen der Trinkwasserversorgung der iwb (Industrielle Werke Basel) und ersten Leitungsführungen direkt in die Häuser verloren ging.1 Die Chauffeurs de fontaine beleben tagsüber das Quartier und schaffen damit abends temporär einen warmen und geselligen Ort. Dass in Basel in öffentlichen Stadtbrunnen gebadet wird, ist nicht neu, denn auch im Sommer wird zur Abkühlung schon länger in Brunnen gebadet. Und wenn man an die skandinavische Badekultur denkt, ans Baden in Hot Pots, oder an die japanischen Onsen, dann wird das Baden in öffentlichen Brunnen möglicherweise schon bald zur beliebten Erweiterung der hiesigen Sozialrituale. Dafür wurde im 2017 der Verband pro fontaines chaudes gegründet. In seiner Satzung steht das Folgende: «Wir engagieren uns für die Erhaltung und Verbesserung der Schweizer Sozialhygiene, für die Verbesserung der rechtlichen Lage des öffentlichen Brunnenbadens, und fördern die Erhaltung der historischen Brunnen und sauberen Trinkwassers.» Darüber hinaus wollen sie, dass der neuhergebrachte Beruf des Brunnenheizers – wie es dort heisst – «in der gesamten Schweiz an Aufmerksamkeit und Akzeptanz gewinnt».2 1. iwb: Basels moderne Wasserversorgung wird 150 Jahre alt. www.iwb.ch/Ueber-uns/Newsroom/Medienmitteilungen/ Basels-moderne-Wasserversorgung-wird-150-Jahre-alt.html (Aufgerufen 16. Mai 2018) 2. pro fontaines chaudes; Verbandsgründung i.V. Heinz Brunner, 20. Dezember 2017 Basel; Nacktheit Büro das; In einem Büro lassen sich so tolle Sachen machen: Kaffee­ trinken, Lästern, Büroapéros, Büroeinweihungen, Büroweihnachtsfeiern, Druckerstaus lösen, YouTube-Videos schauen. Die Liste ist beliebig fortzusetzen. Gästezimmer 17


CA CO camp, the; [wohnzimmer] “There are meetings all day. There is at least one meeting per day about construction. We have dedicated teams that work diligently for countless hours to winterize this camp. We look out for each other. We gather around fires at night and share food around tables bustling with conversation, and glowing with connection. […] Many of us are here to stay. Many of us are coming.” Sakowin, Oceti: Camp of the Standing Rock in North Dakota, 2016–17 Sehnsucht; Zusammenleben Chaos, das; [werkstatt] Lichterketten, bunte Töpfe, Plastikboot, verblasste Tags, selbstgebaute Sitzbänke, Spielbagger, Fussball, «Recht auf Stadt»-Plakat, Fahnen, Stuhl, Kartonstapel, Veloreihe, «Zämme gege Repression»-Plakat, Graffiti, «Bürofläche zu vermieten»-Schild, herumliegende Trottinettes unweit von spielenden Kindern, Kanister-Blumentopf, Veloreihe, Pingpongtisch im Hinterhof, Fussball, überfülltes Regal, Wäscheständer, nasse Wäsche, Krimskrams, Hängeblumentöpfe, leere Bierharassen, Veloanhänger zum Teilen, ein «Bringen Sie bitte keine

pet-Flaschen über die Feiertage und am Wochenende. Helfen Sie uns bitte, die Strasse sauber zu halten. Freundliche Grüsse: Coop Team»-Plakat. Glitch Map; Hühner; Manifest

CH36 0839 0033 7351 1000 8, die; [büro] Bemerkung: «Geld». Herzlichen Dank. Code; Geld; iban

Code, der; [küche] «Eine Regel, mit der eine Nachricht aus einer symbolischen Form (dem Quellalphabet) in eine andere (das Zielalphabet) überführt wird.»1 Demzufolge kann Code also als ein Regelsatz beschrieben werden, «der das, was eingegeben wird – den Input – von einem Zustand in einen anderen überführt und dann eine Operation ausführt».2 1. Butterfield, Andrew/Ngondi, Gerard E. (Hg.): A Dictionary of Computer Science. Oxford: Oxford University Press 2016, S. 93 2. Kitchin, Rob; Dodge, Martin (Hg.): Code/Space: Software and Everyday Life. London/Cambridge ma: mit Press 2011, S. 25 Input 18


CO CY commun, le; [werkstatt] « Le commun ne hiérarchise pas les différences et il n’en exclut aucune. Il choisit en revanche d’en mobiliser certaines en fonction du moment et du lieu: c’est un choix stratégique, politique, en permanente redéfinition. La compossibilité des différences est assurée dès lors qu’aucune ne prétend s’arroger le privilège exclusif de dire ce qu’est la nature même du commun, d’en fixer la définition. Construire du commun, c’est le faire avec des outils que l’on choisit, à chaque fois, dans une boîte qui en offre une infinité, et dont chacun possède son utilité propre. Tous concourent, selon des temporalités et des exigences différentes, à cette construction. » Revel, Judith : Produire de la subjectivité, produire du commun, Trois difficultés et un postscriptum un peu long sur ce que le commun n’est pas. Du séminaire « Du public au commun », mercredi 15 décembre 2010 à la Maison des Sciences Économiques, Paris. Lust; Zusammenhalt Cornflakes, die; [wohnzimmer] “I am he as you are he as you are me And we are all together See how they run like pigs from a gun See how they fly I’m crying Sitting on a corn flake Waiting for the van to come Corporation T-shirt, stupid bloody Tuesday Man you’ve been a naughty boy You let your face grow long I am the egg man they are the egg men I am the walrus goo goo g’joob […]” I am the Walrus – The Beatles 1967. Habe ich im Wohnzimmer das erste Mal gehört. Dazu getanzt und gesungen. Im Wohnzimmer stehen Lampen, die einen Kamin oder eine Feuerstelle ersetzen. Lichter, Flackern, Flocken, Flakes. Koordinaten

Cyanotypie, die; [garten] Die Cyanotypie (auch Blaupause/Blueprint/Eisenblaudruck) ist eines der ersten und ältesten Kopierverfahren. Die Cyanotypie wurde zur Vervielfältigung von Plänen oder Fotos und zur Abbildung von Pflanzen genutzt. Vorgehen: 19


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Nachdem die verdünnten Chemikalien (25g Ammoniumeisencitrat und 10g Kaliumhexacyanoferrat in je 100ml Wasser aufgelöst) im abgedunkelten Luftschutzkeller gemischt und so für uvLicht empfindlich gemacht wurden, trägt man sie gleichmässig auf saugfähiges Papier auf. Als Kopiervorlage wird eine bedruckte ohp-Folie verwendet. Sobald die Papierbögen getrocknet und zusammen mit der Vorlage zwischen zwei Plexiglasplatten fixiert sind, geht es – in der Hoffnung, dass die Sonne noch immer scheint – im Sprint die Treppe hoch und hinaus in den Garten. Das Gespann wird zur Belichtung ins direkte Sonnenlicht gelegt, auf die Wiese oder auf den Pingpongtisch, je nach Tageszeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das Verfahren funktioniert, ohne dass meine Katze mehrmals übers Papier spaziert; ich werde es wohl nie herausfinden. Nach der 10- bis 20-minütigen Belichtungszeit werden die nicht entwickelten Chemikalien ausgewaschen und hinterlassen weissgelbe Linien auf dem berlinerblauen Papier. Das endgültige Ergebnis wird erst nach dem Trocknen sichtbar. Erfahrung; Glas-Dia-Rahmen

Dekonstruktion, die; [hobbyraum] 1967 liess Jacques Derrida sein

Schlüsselkonzept vom Stapel. Wenn 50 Jahre später der Donald im Weissen Haus davon redet, den Staat zu dekonstruieren, dann weiss mensch, dass das ursprünglich grandios emanzipatorische Konzept einer ultraradikalen Textlektüre, die dem unheimlichen Geschiebe und Getriebe quasi subsemantischer tektonischer Platten in philosophischen Schlüsselwerken auf die Schliche kommen und uns als theoriehörige Menschheit aus den fundamentalontologischen Phantasien toter weisser Männer heraushelfen wollte, total herabgekommen ist, weil seit fünfzig Jahren Afterphilosoph*innen, Akademiepapagei*innen, Werber*innen usw. usf. es immer öfter benutzt und dabei immer weniger davon verstanden und allzuoft nur noch geschaut haben, wen sie jetzt damit intellektuell diskriminieren und ver*****en können. – Die Verwendungen des Begriffs im vorliegenden Band entgehen erfreulicherweise diesem Verdikt. Derrida, Jacques: Die Stimme und das Phänomen. Berlin: Suhrkamp 2003 Glitch Map; Patriarchat; Realität

Dialog, der; [küche] Benötigt mindestens zwei Personen. Durch gemeinsamen Austausch kann Bewusstsein von eigenen und Ver20


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ständnis von anderen Perspektiven gewonnen werden. Für diesen Austausch können physische und zeitliche Räume gestaltet werden. Am Küchentisch ging es uns meist um eine Diskussion und nicht um einen Dialog. Anstatt zu versuchen zuzuhören und damit zu verstehen, weshalb die andere Person die Meinung hat, die sie vertritt, haben wir gegenseitig versucht, die anderen von unseren Meinungen und Argumenten zu überzeugen. Das hat oft damit geendet, dass wir kopfschüttelnd vom Tisch gingen, keine neuen Einsichten gewonnen hatten, und beim nächsten Mal wieder das gleiche Thema mit den gleichen Argumenten durchgekaut wurde. Manchmal kommt mir Politik ein wenig vor wie unser Küchentisch, und ich frage mich, welche Räume es bräuchte, damit weniger Diskussion und mehr Dialog stattfinden könnte. Grantigkeit; Raum

Diaschau, die; [wohnzimmer] Die Diaschau im Wohnzimmer hat viel Charme in der Zeit der analogen Fotografie liegen gelassen. Dies nicht nur im Hinblick auf die Eigenheiten vieler leidenschaftlicher Diapräsentatoren und Diapräsentatorinnen, sondern auch in philosophischen Fragen zur Herstellung der Diarähmchen und deren Inhalt. Das Dia ist im Grunde ein positiv belichteter Film, der in einen Rahmen eingefügt wird. Das Rähmchen isoliert den einzelnen Frame aus einem Ausschnitt der Realität. Meist haben die Präsentatoren und Präsentatorinnen jedoch bereits eine Wertung dieser Realität vorgenommen, und sowohl die Menschen am Auslöser als auch die Menschen in der Dunkelkammer haben bereits vorsondiert, was denn zeigenswert sei. Je nach Publikum wollen sie uns etwas mitteilen. Mensch will die Nachbarn von den Ferien beeindrucken; das Richtergremium soll von der Anklage überzeugt werden; der Familie werden intime Momente gezeigt. Instagram hat ja durchaus etwas von einer nie enden wollenden Diaschau. Somit könnte davon ausgegangen werden, dass das Prinzip Diaschau sich in die digitale Welt gerettet hat. Und tatsächlich sind die Profile oft sehr einheitlich im Stil und in der Erzählstruktur. Nur sind es eben nicht mehr die Bekannten, die genötigt sind, sich ganze Abende lang Rähmchen um Rähmchen um die Ohren zu schlagen, sondern es ist jetzt die globale Com­munity der jeweiligen Plattform. Anders als Bekannte in der Kohlenstoffwelt, die unterschiedliche Interessen haben, folgen Profile auf sozialen Medien speziellen Interessengebieten oder 21


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Zugehörigkeitsstrukturen. Dies führt indirekt zu höherem sozialem Druck und zur Vermarktbarkeit des Individuums. Denn wenn die Durchmischung der Diaschau nicht gegeben ist, dann bemerken wir nicht mehr, dass alle Menschen verschieden sind. Und nicht einfach speziell in ihrer jeweiligen Messbarkeit, sondern gar nicht messbar. Genauso wenig wie die Zuneigung der Zuhörerinnen und Zuhörer einer überlangen Diaschau messbar ist. Erinnerung; Inszenierung

discipline, the; [esszimmer] I need action to have discipline. Without action, there is no discipline. Like in the dining room without discipline there is nothing to eat. Hence, no need to dine. So action as a ritual is discipline, which is quite the opposite of spontaneous. Discipline is an ability we all need, but might not want. Or do we? assignment

disobedience, the; [garten] “Disobedience is a twelfth-century French word that means refusal to ‘submit to a higher power or authority’. When we disobey we move beyond acquiescence. We assume that authority is an insufficient argument for the abeyance of thinking and action. When we disobey, we look into the heart of a situation we are encountering and we make change because we know we are empowered to. So I don’t think disobedience is a dirty word. It is simply claiming the right to see and respond to the world in a different way. Productive disobedience is an agency that moves things forward.” Ings, Welby: Disobedient Teaching – Surviving and creating change in education. Otago: University Press 2017, S. 14 box; Gestaltung; resistance Dominik Dober, der; [briefkasten] Ist ein Mensch aus Mettmenstetten, der jede Plattform missbraucht, um für seine Person und seine zahlreichen Fähigkeiten wie: Drehen, Fräsen, Sägen, Häm­mern, Schrauben, Kleben, E-Mails beantworten und Organisieren zu werben. Kontaktieren kann man ihn über die HyperWerk-Mail­ adresse, welche wie folgt aufgebaut ist: «vorname.nachname@ hyperwerk.ch». Anwendungsbeispiel: «dominik.dober@hyperwerk.ch». Eidgenoss; Männer 22


DO EI door, the; [eingang] Have one strapped on your back that will: a) take you to your house b) take you to the grocer’s c) take you to another time in history d) take you to the mountains e) take you to hell f) take you to your lover (if you have one) g) take you to the airport when you’re late h) take you to the moon i) take you to work j) bring you home Ritual; Spelunke;

Duschkabine, die; In Basel ist es eine Eigenart, dass in gewissen älteren Häusern, die um die vorletzte Jahrhundertwende erbaut wurden, die Dusche in der Küche steht. Eigentlich logisch und eigentlich auch kein Problem: Wasser zu Wasser. Ist ja auch poetisch, wenn sich zum Shampooduft der Dampf von angebratenen Zwiebeln gesellt. Waschen und Weinen, Freud und Leid: So bleibt der human-olfaktorische Status quo zugunsten authentischer Lebendigkeit bestehen. Schlafzimmer Eidgenoss, der; [garage] Unter Eidgenoss wird unter anderem eine rezente Sorte des Emmentalers verstanden, des banalsten Käses der Schweiz. Die genaue Bezeichnung lautet Emmentaler aop Eidgenoss. Sein wichtigstes Alleinstellungsmerkmal ist die Kirschlochung mit dem Lochdurchmesser von zwei bis vier Zentimetern. Der Eidgenoss sorgte zuletzt im Februar 2018 für Aufsehen, als ein Stück davon durch das Kollektiv Hotel Regina in acht halsbrecherischen Tagen auf dem Wasserweg von Süderen im Emmental nach Basel transportiert wurde. Dies ist ein gefeierter Weltrekord und somit eine Pionierleistung. Der weitere Weg des mit Transportgeschichte behafteten Stücks Käse endete jedoch tragisch. Nach langer Zeit der Unentschlossenheit hinsichtlich eines würdigen Umgangs mit dem Eidgenoss hatte Hotel Regina entschieden, dass der Käse verzehrt werden und zur Stärkung während des Projekts Lago di Lei dienen solle, welches als Weiterführung des Transportprojekts Süderen-Basel verstanden wird. Unglücklicherweise nutzte ein Fuchs die Gunst 23


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der Nachtstunde und frass den Eidgenoss, während das gesamte Kollektiv mit exquisitem Whisky im Magen von weiten schottischen Landschaften träumte. ch36 0839 0033 7351 1000 8; Hotel Regina; Patriarchat

Eingang, der; Es ist erstaunlich, dass sich beim Eingang der Helvetismus durchgesetzt hat, im Gegensatz zum Flur: Ein-Gang. Da kann man sich schon fragen, weshalb der Eingang so viel mehr mit Gehen zu tun hat als der Flur. Wahrscheinlich hängt das irgendwie zusammen mit «That’s one small step for a man, one giant leap for mankind.» (Neil Armstrong) – Aber lieber diese Assoziation als jene mit dem dazugehörigen Verb: eingehen. Da kommen mir nämlich nur Jeans und massiv unterwässerte Sukkulenten in den Sinn. Garderobe Empfinden, das; [keller] Durch ein bestimmtes Gefühl wird sich mein Denken ändern. Ich fühle meine Gedanken und kann spüren, wie sie meinen Körper beeinflussen. Ein Augenblick im Dunkeln kann mich an einen schrecklichen Film erinnern. Doch was ist schlimmer? Nicht zu wissen, wo man steht, oder nicht zu wissen, wer neben einem steht? Morgen Entscheidung, die; [eingang] Zwei- oder mehrzinkige Weggabelung. Mensch erkennt, dass sich je nach Wahl der Abzweigung total verschiedene Verläufe ins Leben bohren. Also schaut sie oder er ins Horoskop, wirft ihre oder seine I-Ging-Stöckli, lauscht dem Bauch oder reflektiert strategisch. Geldspekulation Entwicklung, die; [werkstatt] Alles, was neu war, wird alt, und alles, was einmal das Beste war, wird durch etwas Neues, etwas Besseres ersetzt. So ist es mit Pflanzen, Tieren, Menschen und mit allem, was wir Menschen scheinbar zum Leben (Überleben) benötigen. Genau diesem Zyklus konnte sich kuka, der Exbmw-, Ex-HyperWerk-Roboter nicht entziehen. Als Industrie­ roboter zur Welt gekommen, täglich 24 Stunden zum Schuften gequält, bis ihn eines Tages ein neueres, weiterentwickeltes Modell ersetzte. Doch jedes Mal, wenn der Stecker gezogen wurde, 24


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bedeutete es einen Neuanfang, wenn er in einer neuen Werkstatt wieder eingesteckt wurde. So kann sich ein Roboter im Gegensatz zu uns immer wieder neu erfinden. Portemonnaie

Erfahrung, die; [wohnzimmer] Über einen Zeitraum erworbene Wissensbestände, Emotionen, Intuitionen, Fertigkeiten, gemeisterte Situationen. Erfahrung kann nicht einfach so weitergegeben werden, sondern sie muss gemacht werden. So kann man die Welt erfahren – und im wörtlichen Sinn ist das Erfahren, z.B. mit dem Fahrrad, die Erfahrung, die erfahren wird. Aquafaba; Familie Erinnerung, die; [estrich] 1. Ein Auge von einer Frau mit einer Rasierklinge. Zwei Finger halten das Auge offen. Die Klinge trennt. Die Szene ist schwarz-weiss, ich war zwölf, es war ein Sonntagnachmittag. 2. Manchmal versuche ich, mich an meine erste Erinnerung zu erinnern. Sehr schwierige Übung. 3. Ich meine mich genau an Fridolin zu erinnern. Wie er ausgesehen und wie er gerochen hat. Dunkelgrün mit schwarz aufgedrucktem Muster, eine lang zulaufende Schnauze mit flachen weissen Zähnen und leicht abstehenden Augen, im Nacken ein schwarzer Plastikgriff. Ein flacher, gedrungener Körper, von dem vier kurze Beine ausgingen, am Ende ein spitz zulaufender Schwanz. Seitliche Schweissnähte, die manchmal an den Beinen ziepten, ein durchsichtiges Ventil, das man, nachdem man ihn aufgeblasen hatte, so reindrücken und verschwinden lassen konnte. Mit ihm habe ich viele Abenteuer erlebt. Wenn wir in den Urlaub fuhren, reiste Fridolin mit, luftlos klein zusammengefaltet. Ich bin mit ihm über schäumende Wellen geritten, wir liessen uns immer und immer wieder an den Strand spülen. Sind den Möwen hinterhergejagt, haben nach Muscheln getaucht, oder wir sassen im Sand, ich mit tropfendem Glace in der Hand. Fridolin hat mich vor bösen Quallen beschützt und mich ans trockene Ufer getragen, wenn ich zum Schwimmen zu müde war. Uns verband eine grosse Freundschaft. Ich war fest überzeugt, dass es auch Fotos gibt von mir und Fridolin; doch als ich meine Schwester danach fragte, meinte sie, wir hätten nie ein aufblasbares Krokodil besessen. Abenteuer; Fiktion; Mutprobe 25


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Erzählen, das; [balkon] 1. «Habt ihr euch geküsst?» Ich sitze mit meiner Mitbewohnerin auf dem Balkon. Es dämmert. Die Lichter gehen an in den gegenüberliegenden Wohnungen auf der anderen Seite des Innenhofs. Es ist lau, Frühlingsabend. Sie trinkt einen Schluck Bier. «Ich war noch nicht so weit.» 2. Erzählen heisst, etwas erfahrbar zu machen. Eine Welt für ein Publikum

öffnen, mit einem Publikum kommunizieren – und das muss nicht nur mit Worten sein. Das Publikum nimmt das Erzählte auf, erfasst diese Welt und verknüpft sie mit der eigenen. So entsteht etwas Neues, und die Erzählung wird aus den Händen des oder der Erzählenden genommen. Das Erzählen vom eigenen Tag abends in der Küche; eine Berührung im Schlafzimmer; oder die vielsagende Grimasse im Korridor vor dem Verlassen des Hauses. Kaffee

Esszimmer, das; Zivilisatorischer Irrtum. Der französische Adel und auch der in Resteuropa betrachtete das Rüsten und Kochen als niedrige Arbeiten für Domestiken und wollte damit nichts zu tun haben. Alle Speisen wurden in separaten Räumen aufgetragen – in Speisesälen. Das sich politisch langsam aber stetig berappelnde Grossbürgertum ahmte die Sitten des langsam aber sicher verlotternden Adels nach, hatte aber bei Weitem nicht so viel Platz in der Bude, sodass der Speisesaal schrumpfte. Und als das Kleinbürgertum sich dann in noch kleineren Wohneinheiten berappelte und seinerseits das Grossbürgertum nachahmte, gab es nur noch ein piefiges Esszimmer als Schwundstufe; manchmal immerhin mit Durchreiche aus der Küche. Aber die Frau war nun, nach althergebrachter Rollenverteilung, als sogenannte Hausfrau noch weiter in die Domestikenrolle gerutscht, musste alle niedrigen Arbeiten alleine verrichten und stand in ihrer kleinen, womöglich noch zynisch-ergonomisch eingerichteten hufeisenförmigen Einbauküche, oft ohne dass ihr jemand zur Hand ging, ohne dass sich die Familie um die Feuerstelle scharte und den Prozess des Kochens wenigstens geistig-seelisch mitvollzog. (Das Essen wurde auch immer mieser.) Glücklicherweise ahmt heute kaum noch jemand die Raumaufteilung des Klein- oder Grossbürgertums nach, geschweige denn die des Adels: Unsere Wohneinheiten werden immer kleiner und teurer, sodass wir langsam aber stetig wieder zur bäuerlichen Wohnküche gelangen. Küche 26


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Estrich, der; Nicht zu verwechseln mit dem Esstisch. Der massgebende Faktor ist dabei der Staub: Während beim einen erst durch ihn seine Wahrhaftigkeit erreicht wird, ist er beim anderen bloss in Form des Gugelhupfs zum Familienfest erlaubt – dessen dazugehöriges Foto nach spätestens fünf Jahren in einer Kiste mit Erinnerungen auf dem Estrich verstaubt. Haus Familie, die; [küche] Acht Personen am Esstisch. Alle reden durcheinander, niemand versteht ein Wort. Ich schaue hin und verstehe. Mündigkeit Fermentieren, das; [keller] Ich als Foodsaver bin der Faszination von Mikroben in Form von Bakterien, Schimmelpilzen und Hefe erlegen. Diese kleinen Lebewesen haben es wirklich drauf. Könnten sie sich verständlich machen, hätten sie längst unzählige Klagen eingereicht, um ihre Patentrechte an z.B. Käse, Wein, Bier, Joghurt, Sauerkraut oder Croissants einzufordern. Haltbarkeitsdatum; Nachhaltigkeit Fiktion, die; [keller] Ist die Grundlage einer menschlich dekonstruierten Realität. Ihre Abgrenzung ist nur für ein verstandesgebundenes Wesen notwendig. Geld; Realität Film, der; [wohnzimmer] «[…] cinema is the art of reality, the medium in which reality’s beauty is captured, where you can film marble or a face, or record someone’s voice, a sunset, the innate beauty of what you’re contemplating.» Castillo, José: Interview mit Carlos Reygadas. Bomb Magazine 2010. www.bombmagazine.org/articles/carlos-reygadas/ (Aufgerufen 12. Mai 2018) Aufnahme; Diaschau; Realität Flucht, die; [schlafzimmer] «Nicht zu wissen, was man als Nächstes tun und wie man auf eine Situation reagieren soll, die man nicht herbeigeführt und auch nicht unter Kontrolle hat, ist eine wichtige Ursache von Angst und Furcht.» Bauman, Zygmunt: Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Berlin: Suhrkamp 2016, S. 14 Pläne 27


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Flur, der; Unter einem Flur oder Gang stelle ich mir immer einen langgezogenen, fensterlosen Raum vor. Links und rechts gehen viele Türen weg; braun-beiger Spannteppich oder Linoleumimitat als Boden. Oft sind Gänge dunkel, hie und da steht eine genügsame Pflanze; vielleicht hängt irgendwo an der Wand ein Kalender. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie in einem solchen Gang. Treppenhaus Foldback-Klammern, die; [büro] Mag ich seit dem Kindergarten. Eine Design-Ikone: Mensch kann sie für alles verwenden. Wie sie wirklich heissen, weiss ich erst seit Kurzem. HyperWerk; Schreibtisch Frau*, die; [gewächshaus] «[…] ist keine feststehende Kategorie. Jedenfalls dann, wenn wir uns auf einen Frauen*-Begriff verständigen, wie er in vielfältigen Debatten der letzten Jahrzehnte entwickelt wurde: Differenzfeministische, queer-theoretische und postkoloniale Ansätze haben Frau* als einheitliche Kategorie oder Identität zunehmend infrage gestellt. Es wurde deutlich: Frau*sein bedeutet extrem unterschiedliche Dinge, unterschiedliche Erfahrungen und Kontexte. Es kann nicht festgelegt werden, wer oder was Frauen* sind. Wer das festlegen will, bewegt sich in der vorherrschenden patriarchalen Logik, einer Logik, die Kategorien bildet und dadurch wiederum normiert, ausschliesst und hierarchisiert. Es wurde deshalb vorgeschlagen, Frau* nicht als biologische, nicht als feste Identität, sondern als eine gesellschaftliche und mithin politische Kategorie zu begreifen (genau darauf soll übrigens auch das Stern­chen verweisen). Plädiert wurde für einen utopischen Begriff Frau*, der gerade nicht wie im bishe­rigen Männer­system funk­tio­niert, das heisst keine Kategorie definiert. Frau* sollte vielmehr eine Sehnsucht nach etwas radikal anderem ausdrücken, den Entschluss, die phallozentrische, rassistische, heterosexistische Ordnung zu verlassen, sich den vorherrschenden Massstäben zu entziehen. Entsprechend wurde Frau* nicht mehr als Identität gedacht, sondern als eine Aktivität, ein Prozess, der unterschiedlich ausgefüllt werden kann. Deleuze/Guattari (1972), Luce Irigaray (1974) und andere schlugen bereits in den 1970er Jahren vor, Frau* nicht als einen Zustand, sondern als Werden zu denken, als eine Bewegung hin zu 28


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etwas, das erst erfunden werden muss. Etwas, das kontinuierlich im Begriff des Entstehens ist, und niemals abgeschlossen. Frau* wurde zu einem Marker für die Bestrebung, das System von festen und zwangsläufig herrschaftlichen Kategorien zu verlassen und zu unterwandern.» Schutzbach, Franziska: Werdet Schwarze Frauen*! Plädoyer für ein minoritäres Bewusstsein. www.geschichtedergegenwart.ch/werdet-schwarze-frauenplaedoyer-fuer-ein-minoritaeres-bewusstsein (Aufgerufen 18. Mai 2018) Vokabular

Freiheit, die; [esszimmer] Ist wähl-, form- und änderbare Abhängigkeit. Ein Beispiel: «Ich habe genau diesen Küchentisch in ge-

nau jenem Haus gewählt und genau diejenigen Menschen, die darum sitzen. Ich habe gewählt, einen Teil meines Lebens mit ihnen zu leben, und dies verhandle ich mit ihnen – in leichten wie in schwierigen Zeiten.» Gefängnis; Zusammenleben

Freiheitsprinzip, das; [schlafzimmer] Prüfen, und Gutem folgen. Ein Beispiel: «Ich liege im Bett und denke an einen Raum, der mich in meinem Leben umgibt. Es gibt einen Grund, warum ich hier bin: Mir gefällt hier etwas! Dem folge ich und mache es mir zu eigen – der Rest kann mir gestohlen bleiben.» Intimität; Prosecco Garage, die; Wo es Menschen gibt, hat es Behausungen. Wo es Menschen hat, gibt es Freundschaften. Wo es Menschen gibt, gibt es Faulheit. Wo es Menschen hat, hat es Wege. Wo es Menschen hat, gibt es Egoisten. Wo es Menschen gibt, hat es Autos. Deshalb gibt es auch Garagen. Um die Autos zu versorgen. Sonst dienen die Garagen den Menschen noch als Bandproberäume, Bastelstuben, Crackküchen oder Abstellkammern. – Natürlich ist das totaler Schwachsinn; aber um mein Unverständnis der Blechlawine gegenüber auszudrücken, reichen keine noch so doofe Garage und kein Parkhaus aus. Werkstatt Garderobe, die; Gare des robes – Durchzug herrscht hier selten: Sie ist meist ein Sackbahnhof oder hängt an der Wand. Trotzdem 29


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wird sie stets als Durchgangsstation genutzt; während doch gerade die Ruhe, die einen erfasst, wenn man die Schuhe ausgezogen hat, eine so spezielle ist, dass sie mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Küche

Garten, der; Einst lag ich bei meiner Mutter im Garten hinter Sträu-

chern. Das Gras kitzelte meine Fersen, die Sonne schien zu hell, um die Augen offen zu halten. Es roch latent nach Moor, Kompost und Fäulnis. Grillrauch und Wurstduft. In diese Szenerie gesellte sich ein Dialog, nein eher ein Monolog: Zwei ältere Frauen, keine wirklichen Damen, aber Spaziergängerinnen, linsten über den niedrigen Zaun auf die Blumen, die Sträucher, den schmalen mit Sternschneuzer durchsetzten Kiesweg. «Hm», sagte die eine. «Jaja,», die andere; sie möge ja wilde Gärten, sei durchaus für etwas Natur. Aber ein solches Durcheinander! – Dabei muss man wissen, dass meine Mutter ihre Blumen so auswählt, dass im Frühling, wenn die ersten Blumen knospen, in den noch braunen Beeten weisse und violette Blümchen blinken; dann wird es mit den Tulpen rot und gelb; im Mai violett; Juni und Juli sind vor allem weiss und voll üppiger Grünheit; im August leuchten zartrosa bis kräftig rote Rosen; im frühen Herbst gibt es dann nochmals das gesamte Farbbouquet, bevor wieder die Farbe Braun das Ruder übernimmt. Gewächshaus

Gästezimmer, das; Gäste zu haben ist etwas Schönes. Wenn der Mensch sie mal hat, dann will er sie meist nicht loslassen, denn sie sind so etwas wie der soziale Status. Da ist es nur von Vorteil, ein Gästezimmer zur Hand zu haben, um die Gäste auch über Nacht zu versorgen, sie morgens wieder aus dem Gästezimmer rauszukramen und zu frühstücken. Bad Gastland, das; [garage] Ein Gefühl. August 2016. Wir reisen in den Kosovo. Einige fragende Gesichter und Unverständnis: «Was wollt ihr denn hier?» Die Frage ist nicht abweisend gemeint, sondern neugierig. Acht Jahre ist es her, seit sich das kleine Land mittig des Balkans von Serbien unabhängig erklärt hat. Der Tourismus wird gerade erst entdeckt. Doch die Visa-Bestimmungen 30


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für das jüngste Land Europas, dessen Unabhängigkeit völkerrechtlich umstritten ist, sind streng: Gerade mal in vier Länder können die Kosovar*innen in Europa ohne Visum einreisen. In Pristina treffen wir einen jungen Künstler. Neugierig und leicht traurig fragt er uns über andere Länder aus. Gefangen im eigenen Land und kaum Möglichkeiten zu reisen – dieses Gefühl ist uns fremd. Juni 2017. Wieder werde ich mit offenen Armen empfangen. Das Hostel am Boulevard wird mein Zuhause für die nächsten acht Tage. Mehr und mehr Backpacker entdecken das kleine Land für sich. Offene Arme und Neugier auf die Welt. Bis sie selbst die Welt als Gastland erfahren dürfen, müssen sie wohl noch einige Zeit warten. Gefängnis

Gefängnis , das; [keller] Schummerlicht. Holzverschlag. Kartons. Drei Flaschen Rotwein im Regal. Halbvolle Bierharassen. In der hinteren Ecke ein Staubsaugerkarton. Eine Fotografie mit einem Zebra. Wahrscheinlich ist das Bild aus der ikea. Zum Glück steht es hier unten. Ich lege meinen Rucksack zu den anderen Dingen. Die Holzverschläge sind symmetrisch angeordnet. Abteil für Abteil. Dazwischen ein kleiner Gang. Wenn jetzt jemand den Schlüssel umdreht, bin ich gefangen. ilusión Geisteshaltung, die; [kinderzimmer] Die geistige Haltung ist, womit wir unsere Entscheidungen verteidigen, wonach wir unsere Taten richten und womit wir unsere Reaktionen begründen. Gekoppelt mit Entschlossenheit und Beständigkeit, bringt sie Achtung und Respekt. Eine radikale Haltung wiederum polarisiert stark. Eine geistige Haltung kann mensch niemandem aufzwingen. Mensch kann sich der eigenen Idee/Philosophie sicher sein und diese verkörpern und nach aussen tragen. Nichts birgt mehr Überzeugungskraft als das Leben der eigenen Idee. Sie ist das, was einen Michail Bakunin von Bud Spencer, einen Mahatma Gandhi von Dobby dem Hauself und einen Karl Marx vom Heiligen Nikolaus unterscheidet. disobedience; Körperhaltung Geländer, das; [balkon] Nach din en 1991-1-1 bzw. din en 19911-1/na müssen neben dem Eigengewicht des Geländers noch 31


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Horizontal- und Vertikallasten angenommen werden, die durch Wind, Personen oder Auflehnen entstehen. In der Norm werden für verschiedene Nutzungskategorien drei verschiedene Holmdrücke (Horizontallast in Höhe des Geländerholms) angegeben. Für Wohnungen und Büros gilt eine Belastung von 0,5 kN/m (entspricht rund 50 kg je Meter Geländer). In Versammlungsund Verkaufsräumen sowie in Fabriken und Werkstätten sind es 1,0 kN/m, für Gebäude mit grossen Menschenansammlungen (Konzertsäle oder Tribünen) 2,0 kN/m. Die Lasten sind an der obersten Stelle bzw. dem Handlauf anzusetzen. Ein Statiker ermittelt die massgebenden Beanspruchungen, woraus sich die Pfostenabstände und Profilquerschnitte ergeben. Wikipedia.www. de.m.wikipedia.org/wiki/Gel%C3%A4nder?wprov=sfti1 (Aufgerufen 24. Mai 2018) discipline

Geld, das; [terrasse] 1. Rhein ii ist eine Farbfotografie des deutschen Künstlers Andreas Gursky aus dem Jahr 1999. Die Auf­ nahme entstand für eine zweite und im Format grössere C-PrintEdition mit dem Titel Rhein. Die Exemplare sind von 1/6 bis 6/6 rückseitig nummeriert und handsigniert. Gursky zeigt eine radikal reduzierte Landschaft. Unter bedecktem Himmel fliesst der Rhein horizontal zwischen grasbewachsenen Deichen. Unter dem vorderen Deich ist ein asphaltierter Fahrrad- und Fussweg zu sehen. Er liess das Bild im C-Print-Verfahren in einer Grösse von 185,4 × 363,5 cm ausbelichten und mit der Bildseite auf Acrylglas montieren. Am 8. November 2011 erzielte das Bild in New York auf einer Auktion bei Christie’s einen Preis von 3,1 Millionen Euro und wurde damit zeitweise zur teuersten Fotografie der Welt. 2. Wenn ein Kind auf die Welt kommt, eröffnen die Ver­ wandten ein Sparkonto. Wenn das Kind achtzehn Jahre alt ist, kann es das Geld ausgeben wofür auch immer. 3. «Design muss nicht teuer sein.» – Gesehen auf einem F-12-seat-Plakat in Zürich. Lächeln Geldspekulation, die; [balkon] Tätigkeit, in der über zukünftige Entwicklungen, Formen oder Funktionsweisen von Geld spekuliert wird. Spekulieren, von lateinisch speculari: «umherspähen, auskundschaften, beobachten, ins Auge fassen». In der Wirtschaft auf Gewinn aus zukünftigen Preisveränderungen abzielende Ge32


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schäftstätigkeit. Mitverantwortlich für grosse Preisschwankun­ gen, platzende Spekulationsblasen und andere unnötige Entwicklungen, bei denen einige wenige nicht nur mit Geld, sondern auch mit dem Leben vieler anderer spielen. Meistens der Illusion entspringend, dass konstantes Wachstum möglich ist. (Als Kind habe ich mit meiner Schwester vom Balkon aus gewetteifert, wer die grösseren Seifenblasen in die Welt pusten kann.) Kann auch das Spekulieren über die Zukunft von Geldsystemen und das Debattieren über sie bedeuten. Anhand spekulativer Entwürfe von Szenarien können heutige und zukünftige Geldsysteme und Gesellschaftsformen zur Diskussion gestellt werden. Dialog; iban; Reduktion Gestaltung, die; [eingang] 1. «Gestaltung versteht sich als Umge­ staltung einer in Transformation befindlichen Gesellschaft.» Baht­ setzis, Sotirios/Spielmann, Max: Postindustrial Design – eine Standortbestimmung. In: Wir, wir selbst sind die Methode. Basel: Verlag HyperWerk 2016, S. 91 2. «[…] to identify the sites of concentrated agency, the material and non-material actors that can affect change. It’s here that we find our place of design intervention. This is where a post-disciplinary design practice comes into its own; instead of trying to affect change through the medium of your training (web/product/graphic/interior etc.), you move to place of action/the site that is pregnant with possibility and choose the tools necessary to be most affective. […] As design expands beyond a purely material or functional role within society, we need to come to terms with the boundaries of our reach.» Ward, Matt: Design and the articles of change www.sb129.com/ category/design/(Aufgerufen 3. Juli 2018) 3. «Es geht um Design als Ausdruck kultureller Praktiken und konkreter Lebenswelten; als eine Bündelung expliziter Traditionen, kultureller Bindungen und latent wirksamer Residualformen des tacit knowledge; als Kommunikation spezifischer Bedürfnisse und Gebrauchskontexte und deren Veränderungen in seit jeher hybriden, von globalen Entwicklungen immer weiter transformierten Gesellschaften.» Halter, Regine: Cultural Spaces und Design. 2018 (in Vorbereitung) assignment; To-do-Liste; Zeichnung Gesunder Menschenverstand, der; [wc] «Des Menschenverstandes angewiesenes Gebiet und Erbteil ist der Bezirk des Tuns und 33


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Handelns. Tätig wird er sich selten verirren; das höhere Denken, Schließen und Urteilen jedoch ist nicht seine Sache.» (Goethe) Was nun gesunder Menschenverstand sei und was nicht, basiert auf der Meinung Einzelner und ist sehr kontrovers. Anonymität; Haltbarkeitsdatum; Märchen

Gewächshaus, das; Versetzen wir uns in eine Pflanze. Aufgewachsen irgendwo in der Wildnis. Dann wird die Pflanze in ein Gewächshaus verschleppt. Das Klima ist gut. Die natürlichen Feinde sind weg. Und doch ist die Pflanze nicht frei. Sie ist nicht selbstbestimmt da. Anders verhält es sich mit Menschen, die ins Sonnenstudio gehen. Ich kann zwar nicht verstehen, dass sie sich an einem schönen Tag in einen Sarg legen, denke aber, dass es ihre eigene Entscheidung ist. Ob es bis ins Letzte selbstbestimmt ist, ist eine an anderer Stelle zu behandelnde Frage. Zurück bei den eingesperrten Pflanzen können wir noch weitergehen und uns fragen: Wie ergeht es den zur Zucht und zur Produktion eingesperrten Nutzpflanzen? Haben sie eine Ahnung, was ihnen dort draussen entgeht? Wir wissen es nicht. – Es bleibt anzumerken, dass trotz der fragwürdigen Verwendung dieser Glashäuser die Konstruktionen und die Architekturen manchmal wunderschön sind. Garage Glas-Dia-Rahmen, der; [garten] Ein Diarahmen ist in der Fotografie ein kleiner (Bilder-)Rahmen, der die Einbringung von Materialien, Farben oder einer Lösung in den Diaprojektor ermöglicht. Diese Materialien, Farben oder Lösungen werden zwischen zwei Glasscheiben eingebettet und dann in den Diaprojektor eingelegt. – Ein Abend im Kleinbasler Frühsommer. Bei Bier in die Gartensessel versunken, schauen wir über unsere Tomatenstauden und die im Hochbeet wuchernde Zitronenmelisse auf die hinter unserem Garten aufragende grau-gewellte Fassade der thomyFabrik. Wir richten den Projektor mit dem eingelegten Diarahmen, dessen Glasplättchen mit einer Epsom-Lösung bestrichen sind, auf dieses architektonische Ungetüm. Auf seiner Fassade wächst nun mit der Verdampfung der Lösung diese vermeintlich leere helle Fläche zu einer generativen Kristallstruktur heran. Und auch wenn dieses Spektakel sich nur für ein paar Sekunden bewundern lässt, verleiht es für diesen Moment der Fassade ein neues Gesicht. Diashow; Rahmen 34


GL GR Glitch Map, die; [küche] Die Dekonstruktion einer digitalen Karte vermag den Widerspruch zwischen einem räumlichen Erlebnis und seiner Übertragung auf ein zweidimensionales Medium visuell zu erfassen. Die Glitch Map experimentiert im Feld der dekonstruierenden Kartografie. Ihr Ziel ist die Entlarvung von vermeintlicher Nahtlosigkeit sowie die Erforschung von Bewegung auf statischem Untergrund. Jede Narbe, jede Naht erzählt die Geschichte eines Aufbruchs, eines Wucherns und Überwuchertwerdens. Die Küche ist der Ort, wo dieses Auf und Über seinen Anfang nimmt; sie ist der Archetyp des Labors, in dem experimentiert wird, wo Öl und Zitronensaft sich im Fortlaufenden vereinen und trennen und in ihrer Gegensätzlichkeit zu voller Entfaltung gelangen. Dekonstruktion; Haltbarkeitsdatum; Kompass Glossar, das; [briefkasten] Den Unterschied zwischen Glossar und Glosse würden wohl manche gerne als enorm beschreiben. Fakt ist, dass beide vom ursprünglich altgriechischen Wort für Zunge via Latein den Weg in die deutsche Sprache gefunden haben. Beide haben also den ähnlichen Nebensinn des Kommentierenden, Spielerisch-Nebensächlichen und eigentlich Uneigentlichen. – Insofern ist nicht nur dieser Eintrag, sondern dieses ganze kleine Buch überflüssig oder eben eine Glosse. Aber das, was als überflüssig abgetan wird, sind ja oft die charmant-humorvollen Anmerkungen, die helfen, jemanden oder etwas besser zu verstehen. So haben wir die 35 Diciassette gebeten, manche Begriffe, die in den Diplomprojekten ihre Rollen spielen, zu erklären, zu kommentieren und jeweils einem Raum im Haus zuzuordnen. Zum Glossar gehört die Glossolalie, und so haben wir ein Verweiskarussell installiert, sodass mensch sich gehörig in Trance blättern kann. Und jede sorgfältig errichtete Konvention wird auch mal durchbrochen, sodass es auch formal was zu kichern gibt. Ausstellung Grantigkeit, die; [küche] In Gruppenprozessen kann es zu komplexen und langwierigen Diskussionen kommen, die durch schlechte Laune und destruktives Verhalten noch zusätzlich verlängert werden können. Gründe und Wörter für diese bärbeissige, gereizte, grämliche, griesgrämige, grimmige, knurrige, missgestimmte, misslaunige, missmutige, mürrische, übellaunige, ungnädige, 35


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unleidliche, verärgerte, verdriessliche, verdrossene, (umgangs­ sprachlich:) brummige, gnatzige, grätige, miesepetrige, schlechtdrauf, (schweizerisch umgangssprachlich:) hässige, muffe, (umgangssprachlich abwertend:) sauertöpfische, (umgangssprach­ lich, meist abwertend:) muffelige, muffige, (landschaftlich umgangs­sprachlich:) knötterige, (süddeutsch, österreichisch umgangssprachlich:) grantige Laune gibt es viele. In den meisten Fällen tritt sie jedoch kurz vor 11:35 und 17:11 auf, da sich um diese Zeiten normalerweise die Leere des Magens bemerkbar macht. Aufs Hungrigsein und die damit verbundene grantige Laune muss in Gruppendiplomen erfahrungsgemäss hingewiesen werden. Empfinden; Streiten; Waden

Grenze, die; [garten] Aufgewachsen in Rodersdorf. 88 Prozent der Gemeindegrenze sind Landesgrenze zum Elsass. Richtig Französisch gelernt habe ich nie. @home

guitarra, la; [hobbyraum] Pedazos de madera, los cuales crean una atmósfera mágica. Instrumento de madera con cuerdas proveniente de Arabia, con el cual el hombre ha buscado conectarse con sus dioses a través de la música que produce. Instrumento musical el cual desde hace muchísimos años me ha acompañado en los buenos y malos momentos. Con la guitarra no sólo he aprendido a tocar con las manos sino también con el corazón y el alma. La música representa para mi el arte más bello. Me hace sentir lo indescriptible. El simple hecho de cerrar mis ojos hace que me despege de la realidad y comience a viajar a través de la libertad que se produce en mi alma. Tiene una conexión muy fuerte con el cuarto de descanso porque al tomar mi guitarra y comenzar a tocarla, los problemas del día a día, se desvanecen y se comienza a producir un masaje en el alma que alivia cualquier pena. Luxus Habiter, die; [haus] «Sie ersannen das Wohngebiet [im frz. Original ‹habitat›, wobei der deutsche Begriff Habitat andere Konnotationen hat; in der 1972 erschienenen und kürzlich neu aufgelegten deutschen Übersetzung von ‹Revolution der Städte› wurde er mit ‹Lebensraum› übersetzt, A.d.Ü.]. Bis anhin bedeutete ‹wohnen› (frz. habiter), am gesellschaftlichen Leben, an einer 36


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Gemeinschaft, einem Dorf oder einer Stadt teilzuhaben. Das städtische Leben besass unter anderem diese Qualität, diese Eigenschaft. Es bot Wohnraum, erlaubte den Stadtbürgern zu wohnen.» Lefebvre, Henri: Das Recht auf Stadt. Hamburg: Nautilus 2016, S. 46 Wohnen

Hafenkran, der; [kinderzimmer] Mein Spielzeug findet man normalerweise in Häfen oder temporär auf Baustellen und nicht in einem Kinderzimmer. In der Realität ist es auch viel grösser und aus Gussstahl. Meiner ist aus Kunststoff; ich habe ihn selber als Bausatz zusammengebaut. Das rote Führerhäuschen sitzt auf einem Unterbau, der einem Portal gleicht. Man kann es mit der Hand um dreihundertsechzig Grad drehen. Ein beweglicher Arm auf der Drehachse dient dem Aufnehmen und Ablassen des Seils, an dem ein Greifer hängt. In Häfen dient so ein Kran dem Verladen schwerer Güter auf Schiffe. Ich verlade meistens kleine Gegenstände wie Legosteine oder Süssigkeiten. Mit einer Kurbel kann ich das Hochziehen und Ablassen der Waren steuern. Mit meinem Spielzeuglastwagen, der im Verhältnis viel zu gross ist,

und meinem hölzernen Segelschiff simuliere ich das Auf- und Abladen. Im Sommer darf ich ihn auch raus in meinen Sandkasten nehmen. Dort macht es viel mehr Spass zu spielen, da sich der Sand viel besser dazu eignet, mit der Schaufel transportiert zu werden. Einmal habe ich einen Eimer voll Sand mit in mein Zimmer genommen und ihn auf dem Boden auf einen Haufen gekippt. Meine Mutter fand das nicht so toll, und es gab einen Klaps auf meinen Hintern. Wenn ich gross bin, möchte ich Hafenkranführer werden und richtig schwere Dinge verladen. Inszenierung

Haltbarkeitsdatum, das;[küche] Das Haltbarkeitsdatum bedeutet mir nicht viel. Ich setze mich für eine selbstbestimmte Überwindung der Haltbarkeits- und Hygienegrenzen ein. Auf diesem Feld bin ich radikaler Aktivist. Bis jetzt hatte ich erst einmal eine Lebens­mittelvergiftung. Grenze; Nachhaltigkeit; Radiergummi Haus, das; Das Haus, das Haus. Haus. Also das muss nun wirklich nicht auch noch beschrieben werden! Jede*r weiss, wie so ein 37


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Haus auszusehen hat, das lernt man schliesslich im Kindergarten: ein Strich am Boden, links und rechts je einer senkrecht hoch, und einer als Binder, der die beiden hochragenden zusammenhält (je nach Architekturrichtung kann man den auch weglassen). Darüber dann zwei Striche im 45-Grad-Winkel, sodass sie im Dreieck das Dach bilden. Ein kleines Quadrat unten als Tür, mit Vorteil den untersten Strich berührend; ein bis zwei noch kleinere als Fenster. Fensterläden, Kamin – aber Achtung: nicht rechtwinklig zum Dach! Vielleicht ein Gartenzaun. Gardinen, oder auch nicht; ein Baum neben dem Haus; ein Mensch, perspektivisch weiter vorne stehend, weil für die Tür viel zu gross; eine Katze oder ein Hund oder beide; Dachziegel, wobei das mit denen ja immer so schwierig ist, weil die sieht man ja nicht. Also wegradieren. Rauch aus dem jetzt trotzdem schief sitzenden Kamin; Wolken und Sonne. So geht ein Haus. Briefkasten

Hausarbeit, die; [bad] «Kein Mensch überlebt ohne Fürsorge. Feministische Denkerinnen wie Judith Butler plädieren für eine neue Ethik der Fragilität und Verletzlichkeit. Es sei nötig, die Vulnerabilität der menschlichen Existenz zu begreifen und anzuerkennen. Die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp spricht von ‹Freiheit in Bezogenheit› und meint damit, dass Verwiesenheit und Freiheit sich nicht widersprechen, sondern einander bedingen: Wir können nur frei sein, wenn für uns in vielerlei Hinsicht gesorgt ist und wir ‹in Bezug› zu anderen stehen. Womöglich ist es eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit, Koexistenz und Intersubjektivität zum Ausgang politischen wie ökonomischen Denkens und Handelns zu machen.» Schutzbach, Franziska: Who cares? www.geschichtedergegenwart.ch/who-cares/ (Aufgerufen 06. Juni 2018) Entwicklung; vulnerability

Held, der; [keller] Der Held wagt sich in die Finsternis, um sich der Ursache des Stromausfalls im Haus zu stellen. Alltag Hobbyraum, der; Der Hobbyraum ist so was wie der kleine Bruder des Ateliers, gewissermassen seine Verniedlichung. Wenn das Hobby zum Lebensinhalt oder gar zur Berufung wird, dann 38


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wächst der Hobbyraum aus den Kinderschuhen heraus und verlässt die Räumlichkeit. Dieser Vorgang kann auch in der Natur bei Schlangen und Krebsen beobachtet werden. Doch manche Menschen haben den geschützten Kokon, worin sie ihre kleine Freiheit aufbewahren, nie verlassen. Unterm Strich wohl zum Wohle aller. Atelier

hole, the; [wc] is when I am staring at a hole and waiting for some inspiration, until a flatmate startles me by knocking on the bathroom door, telling me that somebody needs the loo. That’s when the advent of imagination is postponed to an indefinite point in the future. – “And if thou gaze long into an abyss, the abyss will also gaze into thee.” Nietzsche, Friedrich: Beyond Good and Evil, Aphorism 146 Ritual; Stille

Hotel Regina, das; [wohnzimmer] «Aus unseren Zimmern geniessen Sie auf der Südseite den direkten Blick auf das Jungfraumassiv. Das Regina ist ein einfaches Hotel, und wir bieten Zimmer mit Bad und Zimmer mit Etagenduschen. Fast alle Zimmer auf der Südseite verfügen über einen Balkon. Die grosszügigen Gesellschaftsräume wie auch die sehr schöne Sonnenterrasse laden zum Verweilen ein.» Buchungen: www.reginamuerren.ch Hotel Regina Mürren www.reginamuerren.ch (Aufgerufen 16. Mai 2018) Diaschau

Hühner, die; [garten] Hühner haben, wie einige andere Tiere auch, ihren Weg in die menschliche Sprache gefunden. «Du dummes Huhn», der «Hahnenkampf» oder auch das philosophische Problem vom Huhn und dem Ei versinnbildlichen das. Dies und ihr hochsoziales Wesen erklären ihre Anwesenheit in der alten und neuen Fabelwelt. So habe auch ich immer wieder versucht, eine Hühnerfabel als Allegorie der menschlichen Gruppe zu entwickeln, die weiter als die plump «aufgeschreckten Hühner» reicht, und bin dabei immer wieder gescheitert. Dennoch bin ich von der Richtig- und Wichtigkeit dieses Projekts überzeugt und halte es deshalb wie Werner Herzog mit seinem den Berg hochgezogenen Schiff: Die Hühner sind eine wichtige Metapher; nur 39


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weiss ich nicht wofür. Vgl. Herzog, Werner: Mein liebster Feind. Werner Herzog Filmproduktion, 1999 Instantsuppe; Spuren

HyperWerk, das; [küche] Es riecht etwas streng. Anbraten und köcheln lassen. Trial and Error. Die Lötkolben glühen, und auf den Arbeitstischen werden Werkstücke gedreht und gewendet, während sich der arbeitslose Roboter in der Ecke volllaufen lässt. Es schmort und brutzelt im HyperWerk. Es gibt Sägen und Messer, Computer und Kameras, Kabel und Mixer. Die Vorratskammer ist prall gefüllt mit Zutaten aller Art. Manches ist schon etwas über das Datum. Es schmeckt trotzdem. Wegwerfen gilt nicht. Manchmal ist die Suppe am zweiten Tag besser. Salz und Pfeffer; wie in anderen Küchen auch wird mit Geschmacksverstärkern gearbeitet, visuell, akustisch, somatisch. Viele Köche verderben den Brei nicht unbedingt. Und am Ende der Party stehen alle in der Küche. Das Feuer verbindet. Die Kaffeemaschine. Und die Bücher. Food for thought. Wie können wir zusammen leben? Pause; Ritotop; Verlernen IBAN, die; [schlafzimmer] Internationale Bankkontonummer. Sie verweist auf das Bankkonto, unter dem vertraglich festgehalten ist, auf welchen Betrag Bargeld ich bei der entsprechenden Bank Anrecht habe. Das kann auch ein Negativbetrag sein – dann kehrt sich das Anrechtsverhältnis um. Um Geld auf mein Bankkonto zu überweisen, reichen der Landescode und die 21 darauf folgenden Ziffern. Bei Name und Adresse können beliebige Variablen eingesetzt werden. Ich weiss von keiner Person in meinem Umfeld, dass sie noch Geld unter der Matratze hortet. In Zukunft könnte auch das Bankkonto – zum Beispiel aufgrund der Technologie der Blockchain – ein Relikt der Vergangenheit, eine seltsame Geschichte von früher geworden sein. Alltag; Anonymität

ilusión, la; [schlafzimmer] La ilusión es el arte de soñar, el arte de viajar a través de los pensamientos, visualizar los sueños y transportarlos a un futuro incierto donde se cree que «si usas tu fuerza de voluntad lograrás lo que quieras». (“If you put your mind to it you can accomplish anything.”) La cama del dormitorio es el lugar donde los sueños se encuentran con la ilusión. 40


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Juntos se toman de la mano para viajar hasta que uno despierta y regresa del profundo túnel a la realidad para tomar la decisión de seguir soñando o comenzar a vivir el sueño. Fiktion; intramolekular

Initiation, die; [küche] Signalisiert anhand eines gemeingültigen Rituals die Mündigkeit eines Menschen in ihrer oder seiner Gesellschaft. Die Initiation markiert eine Änderung ihrer oder seiner Rechte und Pflichten. Der Mensch hat öffentlich ihre oder seine Fähigkeit bewiesen, in einem neuen Bereich Verantwortung für sein individuelles Wohlergehen im gemeinsamen Wohlergehen zu übernehmen. Im Gegenzug anerkennt und feiert die versammelte Gesellschaft diese Fähigkeit. Wenn dies gelingt, dann hat eine neue Realität Gültigkeit. Ein Beispiel: «Ich kann jetzt Salatsauce machen!» – Die Familie probiert und nickt anerkennend. Bewegung; door; Ritual Input, der; [eingang] Input, Zuführen einer Zutat, meist in der Hoffnung auf ein (besseres) Ergebnis. Auch als möglicher Neuanfang zu verstehen. Bei parametrischem Design entsteht durch einen Input eine Verwandlung der Erscheinung, Struktur, Eigenschaft oder Ästhetik. In einem Haus kann der Input die Menschen verkörpern, die da ein und aus gehen, ihre Geschichten hineintragen und damit ein sinnbildliches Bücherregal füllen. Stau Instantsuppe, die; [esszimmer] Man braucht nicht unbedingt eine Küche, um sich eine schöne Instantsuppe zuzubereiten, aber hinderlich ist sie – die Küche – auch nicht. In der heutigen, immer schneller getakteten globalisierten Digitalzeit braucht man sich bei so was auch nicht schuldig zu fühlen. Also: Die migros-Bon-Chef-Tütensuppe Geschmacksrichtung Chinesisch (Bündner Gerstensuppe oder Flädli gehen zur Not auch) in eine Tasse geben, getrocknetes migros-Budget-Suppengrün grosszügig hinzufügen; ein Premium-Bio-Freilauf-Hühnerei aufschlagen, Eiweiss und Eigelb trennen; Eiweiss auch in die Tasse geben und jetzt die Tasse bis zur Hälfte mit kochend heissem Wasser füllen und alles mit einem Löffeli energisch verschlagen, bis das Eiweiss in feinen weissen Flocken durch die Tasse wirbelt. Jetzt noch einmal das Wasser zum Kochen bringen und den unverletzten 41


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(!) Dotter ebenso geschwind wie behutsam in die Tasse gleiten lassen – sofort mit dem sprudelnd kochenden Wasser ganz aufgiessen. Mit reichlich Tabasco®, Harissa oder Sambal Oelek – was eben gerade zur Hand ist – abschmecken. Nun der Clou: Back­ erbsli dicht an dicht auf die Oberfläche der Suppenflüssigkeit aufbringen. Zehn Minuten stehen lassen, bis sie aufgequollen sind, das Eigelb pochiert und die Trinktemperatur einigermassen erreicht ist –: Bon appétit! Cornflakes; Fermentieren

Inszenierung, die; [schlafzimmer] Ist unter anderem anzutreffen bei: Zirkusnummern, Theaterszenen, Spielfilmen, tv-Shopping, dsds, Kochsendungen, Autosalons, Oscarverleihungen, Banker­öffnungen, 1.-August-Reden, Schaufenstern, sm-Kellern, Innen­ einrichtungen von Restaurants und Läden, Empfangsräumen, Kunstgalerien, Bundesratsgruppenfotos, Firmenwebsites, Vla­dimir Putins Anglerfotos, vr, Kommunionsritualen, Hochzei­ten, Bachelorübergaben, Geburtstagsfesten, Begräbnissen, Promiprivatlebendokus, Flughafensicherheitskontrollen, Polizeiver­ hören, marokkanischen Marktständen, Börsenanalysen, Bauern­hausfassaden, Push-up-bhs, Spielzeugverpackungen, Schrebergärten, Bündnerplättchen und Körperhaarrasuren. Brunnen gehn; iban; Stille Intimität, die, [schlafzimmer] Wenn ich am Morgen vor meiner Freundin aufwache, ihr eine Minute beim Schlafen zusehe und sie zudecke, bevor ich die Wohnung verlasse. Beziehungsweisen; commun; Kopfhörer intramolekular; [flur] von lat. intra, «innerhalb», bezeichnet in Chemie und Physik einen Vorgang, der innerhalb eines einzelnen Moleküls abläuft. Bei den Proteinen und anderen Makromolekülen wie Nukleinsäuren oder Polysacchariden sind die intramolekularen Wechselwirkungen Ursache für die räumliche Gestalt der Moleküle. In unserem Haus werden die Interaktionen zwischen den Räumen erst durch den Gang ermöglicht. Er ist somit die zentrale Verbindung – ja geradezu die Essenz des Hauses, die die einzelnen Räume miteinander in Verbindung treten lässt und dadurch die räumliche Gestalt des Hauses ausbildet. petit-pois 42


IN KA Intransparenz, die; [abstellkammer] Begriffsursprung: Intransparenz oder auch Opazität ist das Gegenteil von Transparenz. Transparenz entstammt dem lat. trans «(hin-)durch» und (ap-) parere «sich zeigen, scheinen». Abgeleitetes Wort: intransparent (nicht lichtdurchlässig). Wortbedeutung: 1) phys. (selten) Lichtundurchlässigkeit. 2) bildungssprachlich: fehlende Transparenz (und daraus folgende Skepsis). Das heisst, dass der geforderte Zustand für frei zugängliche Informationen und stetige Rechenschaft über Abläufe, Sachverhalte, Vorhaben und Entscheidungsprozesse nicht besteht. Behauptung; Freiheitsprinzip journal, the; [wohnzimmer] Pages ready to be used. Pages free to be written on. Pages filled with language in a space limited by shape and size. Pages holding thoughts, fears and desires. Pages filled with ideas, inspirations and encouragement. My living room is my open space, like pages ready for me to write on. Wort

Kaffee, der; [büro] 1. Alle trinken immer Kaffee. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Sie sind auch stets vom Typus des Menschen abhängig. Mal wird der Genuss zur Schau getragen wie ein schicker Hut, mal wird in grossen Mengen konsumiert, um die Unersättlichkeit nach Importwaren auszudrücken, und zuletzt wird der Kaffee im Gehen konsumiert, was davon zeugt, dass dieses Getränk vor allem ein Treibstoff fürs Büro sein muss. Mich selbst treibt der Kaffee nicht an. Ich konsumiere ihn nicht. Ich bin eher der Teetyp – Kaffee ist wie schlechtes Speed. So rein politisch gesehen setze ich mich für Entschleunigung ein. Doch auch dieses Bedürfnis wird von Mechanismen der globalen Kapitalanhäufung bedient. Es werden spezielle Methoden zum Verkauf angeboten, die den Menschen seine subjektive Mitte finden lassen sollen. Es geht ein Cornichon um in Europa. Der Konsum wird zum politischen Ausdruck der Menschen. Es wird von allerlei Revolutionen gesprochen. Alles soll revolutioniert werden, nur nicht die Machtstrukturen. Nur nicht das, worauf die Ungerechtigkeiten und das Elend basieren. Ich wage es nicht, von Gleichheit zu sprechen, denn Gleichheit wäre verheerend. Wer entscheidet, was für die nächste Revolution überhaupt zur Disposition steht? Es ist das Bürgertum – wir sind es, die privile43


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gierten Personen ohne Existenzängste. Wie viele unserer Privilegien wollen wir hergeben, und wie viel wollen wir riskieren? Die untere Schicht wird vieles riskieren, die obere Schicht nichts. Die Mächtigen werden kalkulieren, wie viele Zugeständnisse sie der Mittelschicht machen müssen, um sie zu beruhigen. Den jeweils unterschiedlichen Kern der Revolution, die Gedanken dahinter können sie nicht verstehen. Es gibt hier, wie überall, verschiedene Grundannahmen zur Welt und zum menschlichen Wesen. Das Ermächtigen der unteren Schichten liegt nicht im Interesse der Entscheidungsträger. Es läge im Sinne der Revolutionäre, doch wird meist der Kompromiss angenommen. Selbst im Wissen darum, dass es nur noch wenig bräuchte, um ein Kernumdenken zu bewirken. Doch dann kommt wieder der Kaffeeimporteur und sagt, dass es halt keinen Kaffee mehr gebe, wenn er enteignet werde. Dann ist die Sache meist klar. Es geht ja schliesslich um den Treibstoff. 2. Die Espressokanne der Marke Bialetti macht anständigen Kaffee. Er schmeckt anders. Immer leicht angebrannt. Ich vermute, das liegt daran, dass das Kaffeepulver im mittleren Teil der Konstruktion auch aufgeheizt und so nochmals geröstet wird. Ich mag das aber noch. Benzinkocher; Löffel

Kamera, die; [balkon] Eine alte Frau steht auf dem Balkon und schaut auf die Strasse. Kinder sind am Spielen. Sie fängt an zu träumen und erinnert sich, wie sie selbst früher mit ihrer besten Freundin auf dem Bauernhof gespielt hat. Ein Lächeln zeichnet sich auf ihren Mundwinkeln ab. Hach, dieser Balkon. Er ist herrlich. Er verbindet sie mit der Aussenwelt. Denn sie kann ja nicht mehr so gut laufen. Sie nimmt eine Lupe und schaut, was das da für ein schwarzes Pünktchen auf der Brüstung ist: Ungeziefer?! Dann geht sie in ihre Küche zurück, wirft einen letzten Blick auf ihren üppig bunten Balkon und denkt für sich, dass die Nachbarin von gegenüber sicher neidisch auf ihre grüne Oase ist. Sie geht in die Küche. Es herrscht ein Riesenchaos. Ja, sie weiss, sie sollte mal wieder das Geschirr machen. Aber das kann sie ja dann morgen machen. Es kommt heute sowieso niemand mehr vorbei und schaut nach ihr. – Dieses Szenario ist übertragbar auf den Umgang mit der Kamera. Sie ist ein Werkzeug. Mit ihr kann man neue Erinnerungen schaffen und Momente festhalten. Sie ermöglicht dem Fotografen, neue Perspektiven darzu44


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stellen. Wenn man den Makromodus benutzt, kann man kleinste Details für das Auge sichtbar machen. Dafür muss man jedoch ganz genau hinschauen. Oft wird die Kamera auch dazu benutzt, jemanden anders darzustellen als er oder sie eigentlich ist. Im besten Falle jedoch zeigt sie, wie jemand tief in seinem oder ihrem Inneren ist. box; lente; Unvorhersehbarkeit

Keller, der; Die meisten Leute haben Angst vor Kellern, ich weiss gar nicht mal so genau weshalb, ich finde Keller okay. Vielleicht fürchten sie sich vor den Spinnen da unten, und vor den Kellerasseln. Vielleicht gemahnt sie der Modergeruch an ihr zukünftiges Grab; oder sie sind keine Weintrinker, eher dem Bier zugeneigt, das auch im Kühlschrank gelagert werden kann. – Ich habe eher Angst vor dem Spalt unter dem Bett. Hobbyraum

Kinderzimmer, das; Ist das universellst gebrauchte Zimmer. Hätten alle Menschen noch ein Kinderzimmer, bräuchten wir massiv weniger Platz. Waschküche

Kompass, der; [schlafzimmer] Der Kompass ist ein Instrument, das einer oder einem eine Richtung vorgibt. Wenn ich abends (also nachts) versuche einzuschlafen, wird mein Gehirn zum Kompass. Dieser Kompass versucht, die mehr oder weniger genaue Flugrichtung für den nächsten Tag, die nächste Woche, meinen Abschluss und alles, was danach kommt, anzupeilen und zu berechnen. Irgendwann scheint er den optimalen Weg gefunden zu haben – nur schlafe ich erschöpft genau zu diesem Zeitpunkt ein, und nichts wird abgespeichert. Macht nichts, morgen ist ja auch noch eine Nacht. Behaupten; Koordinaten Koordinaten, die; [küche] Eine Regel. Spätlateinisch coordinatio: «Zuordnung», zum eingedeutschten «Koordination». Die Koordinate ist eine Zahlenangabe zur Festlegung eines Punktes. Jeder Punkt in der Ebene ist durch zwei, jeder Punkt im Raum durch drei Koordinaten eindeutig bestimmt. So ist der Wohnort genau angegeben: 45


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47.556332/7.577841, 47.451656/7.606677, 47.428111/7.474688, 47.054314/8.293903, 47.042483/ 8.307464, 47.044311/8.305656, 47.537575/7.602313 und 47.558272/7.579683. iban; Schreibmaschine

Kopfhörer, die; [bad] Aufgrund der elektrischen Leitfähigkeit von Wasser ist im Bad mit Kopfhörern Vorsicht geboten. Die Kopfhörer sind mein Ritual. Sie begrüssen mich für ein paar Minuten in einem abgetrennten Raum und machen die gesellschaftlichen Regeln ungültig. Mit dem Aufsetzen bist du Teil einer neuen Gemeinschaft mit neuen Regeln. Du akzeptierst sie als die eigenen und lässt dich von ihnen genauso tragen wie es im Alltag die dir gewohnten unsichtbaren Regeln tun – zu denen du mit dem Absetzen des Kopfhörers zurückkehrst; reicher um die Erfahrung, dass sie nicht definitiv sind. pair of scissors; sasi-Kapsel

Körperhaltung, die; [waschküche] Wir wissen, dass Körperhaltung mehr ist als nur eine Art zu sitzen, zu stehen oder zu gehen. Sie ist ein grosser Teil unserer Erscheinung, die beim ersten Treffen einen fast schon zu wichtigen Eindruck hinterlässt. Sie kommuniziert, sie spricht, sie erzählt, sie verrät, sie beeindruckt, sie verbirgt, sie vertuscht, sie leugnet und lügt, sie kommuniziert, sie manipuliert. Sie zeigt Verletzungen und Schmerz; sie zeigt Unsicherheit und Angst; sie zeigt Stolz und Arroganz. Sie ist durchschaubar oder rätselhaft. Sie ist das, was einen Michail Bakunin mit Bud Spencer, einen Mahatma Gandhi mit Dobby dem Haus­ elf und einen Karl Marx mit dem Heiligen Nikolaus verbindet. Geisteshaltung

Küche, die; Die Küche ist das Sonnengeflecht eines jeden Haushalts. Und ewig lockt die Feuerstelle, selbst wenn sie ein schnödes Ceranfeld oder ein noch etwas schnöderer Induktionsherd ist. Archaischer und gleichzeitig heimeliger sind natürlich Gasflammen, die blau und leise unter Pfannen und Töpfen zischen. – Weihnachtliches Idyll: Die Frauen* sitzen auf der Eckbank und trinken direkt aus kleinen Bierflaschen, deren sie alle paar Minuten einige mit ihren Einwegfeuerzeugen entkorken. Die Männer* ihrerseits knien vor dem geöffneten Backrohr und versuchen, 46


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den Garzustand der Gans zu eruieren und sie je nachdem mit etwas mehr oder etwas weniger Prosecco zu übergiessen. Sie sind sehr beschäftigt. Direkt daneben labt sich der Labrador* am festlichen Nassfutter in seinem Futternapf. Und was machen die Kinder*? Sie rennen schreiend durchs Haus, werden jedoch immer wieder vom Bratengeruch in die Küche gezogen, weil sie wissen, dass auf den Braten der Nachtisch und auf den Nachtisch die grosse Bescherung folgt. Die Grosseltern* – ihrer noch drei – lungern am Feuereinschub des Kachelofens und mümmeln an den Rüstabfällen. Esszimmer

Kultur, die; [gewächshaus] 1. Wegwerfkultur, Willkommenskultur, Stadionkultur – die Art, wie Personen sich zwischenmenschlich oder an einem Ort verhalten, entsteht zwischen den beteiligten Menschen. Sie ist nicht zu verwechseln mit einem Missbrauch von Kultur als einem starren, vermeintlich identitätsstiftenden Merkmal (Leitkultur, deutsche Kultur), das Menschen ein- und ausgrenzt. Kultur ist also die Chance, sich bewusst zu machen, dass viele Orte und Personengruppen Regeln zu haben scheinen, jede Person aber ein dezentrales regelgebendes Organ ist. Jede*r trägt eine Kultur mit, und wenn wir uns dafür entscheiden, gestalten wir sie auch (vielleicht beginnend als Ungehorsam). Das ist unsere Chance (schon die zweite), unsere Alltagsräume nicht als Herrscher*innen, sondern als Vermittler*innen zu erobern. Um sie uns und anderen als Orte der wahrhaftigen, inspirierenden Begegnung, der Tiefe und der Neugier zurückzugeben. 2. Zur Begrüssung geben Menschen einander in Deutschland einen Wangenkuss; in Frankreich zwei; und in der Schweiz drei. libro de bolsillo; Ritual; Schreibmaschine Kulturfreibeuter, der; [bad] Mit Kulturbeutel und Quietschente ausgerüstet, steche ich als Pirat in meiner Badewanne in See. Ich singe das Lied von Peter Igelhoff In meiner Badewanne bin ich Kapitän. Ich nutze mein Badezimmer als Bühne. In diesem kleinen Freiraum kann ich noch selbst entscheiden, was Musikkultur ist und was nicht. Hier kann mich nicht einmal mein Nachbar an irgendwas hindern. Ein wild gewordener Seepirat auf dem weiten Ozean. Ach ist das schön, als Kapitän! disobedience; Hafenkran 47


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Lächeln, das; [schlafzimmer] Kann tausend Worten eine andere Bedeutung geben. Werbung Landschaft, die; [terrasse] Von der Terrasse aus erkennt die Gärtnerin ihr Werk als Landschaft: weniger als Tor zur Welt denn als wohlgeordnete Parzelle. Teilhaben am Ganzen, aber doch nicht ohne Grenzen. Oben die Blüte, unten das Chaos: ein Geflecht an Wurzeln, das sich um Grenzen nicht schert. Stadtlandschaftsgärten als Gartenstadtsalat. Chaos; door; monde lente, la; [balkon] Sistema óptico con el cual se ha observado y capturado momentos para su documentación y análisis posterior. Desde hace aproximadamente 200 años se ha usado para capturar el tiempo. Su conexión con el balcón se da, ya que éste sirve como una torre de vigilancia desde la cual se puede observar todo lo que pasa a su alrededor, en especial el desarrollo de la vida que se desarrolla alrededor. El ojo mecánico, con el que cada día busco atrapar el tiempo para inmortalizarlo en un momento único que perdurará para siempre gracias a la magia de las cámaras. Éstas me han permitido viajar en el tiempo desde que tengo memoria, a través de revistas, libros y películas de las cuales he podido aprender, conocer e inspirarme. Film Lernen, das; [estrich] Bildungsprozesse sind ihrer Natur gemäss von stetigen Verunsicherungen begleitet. Im Übersteigen des eigenen Horizonts – im Moment des Nichtverstehens oder des Nicht-Integrieren-­Könnens des Fremden ins Eigene – gibt es eine persönliche Erschütterung. Eine Neuordnung der eigenen Vorstellungen und Überlegungen ist eine mögliche Folge. In dieser Offenheit des Umstrukturierens, im Verdauen der Krise, steckt das Transformationspotential von Bildung. Es bietet die Möglichkeit, im Lesen, Schreiben, Diskutieren und Gestalten ein*e Andere*r zu werden. awareness libro de bolsillo, el; [bad] Hojas de papel que con letras, palabras, imágenes, sentimientos, pensamientos, reflexiones, oraciones y 48


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tinta cuentan una historia con la cual la imaginación es capaz de volar. Especie de árbol que a través de un largo proceso, se ha transformado y cumple la función de contar una o varias historias para niños y adultos el cual sirve de inspiración a las generaciones del presente y del futuro. Un árbol muerto que nunca morirá, ya que a través de las palabras del hombre vivirá para siempre alimentando la imaginación y fascinación de millones de personas a través del tiempo. El libro de bolsillo se conecta con cualquier cuarto, pero yo lo asocio principalmente con el baño, ya que éste se ha vuelto el lugar donde las personas se han inspirado a través de leer los textos. Desgraciadamente, hoy en día el papel ha sido sustituido por el electrónico. Glossar; journal

Liebesbriefe, die; [briefkasten] «Für die Anschaffung und die Installation des Hausbriefkastens müssen gewisse Vorgaben zu Standort und Abmessungen beachtet werden. Dafür gelten die Vorschriften gemäss Postgesetz und Postverordnung vom 29. August 2012. Bitte nehmen Sie mit dem Kundendienst der Post Kontakt auf, damit wir Sie bei der Standortwahl des Briefkastens unterstützen können.» Seit ich denken kann, besitzen wir einen kleinen hölzernen Briefkasten. Mir ist erst im Nachhinein aufgefallen, wie ungewöhnlich er ist. Er hängt an unserem Schuppen oben am Wegrand. Ich weiss weder, woher er kam, noch, wer ihn dort angebracht hat. Es ist zu vermuten, dass mein Vater ihn in einem Brocki gekauft oder aus einer Mulde gefischt hat. Ein längliches Fach, nach oben hin geöffnet. Die Vorderseite besteht aus einem kleinen geschnitzten Türchen, das mit einem kleinen Schlüssel verschliessbar ist, den wir immer stecken lassen. Er hat Jahr um Jahr von Montag bis Samstag geduldig wartend unsere Post in Empfang genommen und zu unser vollen Zufriedenheit trocken und sicher verwahrt. Sonntags hatte er jeweils frei. Als ich meinen Vater besuche, erzählt er mir, dass kürzlich die Postbotin an der Tür geklingelt habe, um ihn zu bitten, einen neuen, normgerechten Briefkasten anzubringen. Nach über zwanzig Jahren. Nun hat mein Vater neben dem kleinen hölzernen Briefkasten einen zweiten angebracht. Die einzige Freiheit, die meinem Vater blieb, war, die Farbe des neuen, normgerechten Briefkastens zu wählen. Mein Vater hat sich für Dunkelrot entschieden. Nun hängt der metallene neue neben dem hölzernen 49


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alten, über dem mein Vater einen Pfeil angebracht hat, auf dem «Liebesbriefe» steht. Beziehungsweisen; Dominik Dober

Löffel, der; [eingang] Wenn mein Teelöffel einen Absatz hätte, dann wäre er ein silberner Schuh ohne Schaft. Luxus; Notwendigkeit

Lust, die; [schlafzimmer] 1. Gesteigerte Freude daran, die Diversität von gender (engl. für Geschlechtsidentität des Menschen als soziale Kategorie1) im alltäglichen Sprachgebrauch zu manifestieren. Lustvoll gendern – den Ausdruck der Geschlechterdiversität auf etwas anwenden – lässt sich am besten mit * (typogr. für Sternchen oder Asterisk), weil damit alle Menschen mitgemeint sind, die sich zwischen und ausserhalb des binären Mann-FrauSchemas einordnen. Anwendungsbeispiele: die Student*innen; die Hacker*innen; ein*e HyperWerker*in. Sprache ist ein Abbild von Machtstrukturen und formt unsere Gesellschaft. «Das Gender-Sternchen sagt aus, dass die geschlechtliche Identität und das sexuelle Begehren sozialem und persönlichem Wandel unterliegen und nichts naturgegeben Festes sind.»2 2. Manchmal habe ich keine. 1. Duden: www.duden.de/rechtschreibung/Gender (Aufgerufen 21. Mai 2018) 2. Queeramnesty: www.queeramnesty.ch/gender-sternchenund-gender-gap/ (Aufgerufen 21. Mai 2018) Empfinden; Gesunder Menschenverstand; vulnerability Luxus, der; [hobbyraum] ist ein individuelles Empfinden für Annehmlichkeiten, die das Leben bereichern. Luxus manifestiert sich nicht alleine durch materielle Dinge. Freiheit ist Luxus, Gesundheit ist Luxus. Luxus ist ein Gefühl, sich etwas Gutes zu tun. Reduktion ist Luxus. Aspirin; guitarra; Roboter

Manifest, das; [estrich] 1. 1. S hooting must be done on location. Props and sets must not be brought in (if a particular prop is necessary for the story, a location must be chosen where this prop is to be found). 50


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2. The sound must never be produced apart from the images or vice versa. (Music must not be used unless it occurs where the scene is being shot.) 3. The camera must be hand-held. Any movement or immobility attainable in the hand is permitted. 4. The film must be in colour. Special lighting is not acceptable. (If there is too little light for exposure the scene must be cut or a single lamp be attached to the camera). 5. Optical work and filters are forbidden. 6. The film must not contain superficial action. 7. Temporal and geographical alienation are forbidden. 8. Genre movies are not acceptable. 9. The film format must be Academy 35mm. 10. The director must not be credited. The Filmmakers’ Manifesto (Dogme 95) 2. – Get up early (five o’clock) – Go to bed early (nine to ten o’clock) – Eat little and avoid sweets – Try to do everything by yourself – Have a goal for your whole life, a goal for one section of your life, a goal for a shorter period and a goal for the year; a goal for every month, a goal for every week, a goal for every day, a goal for every hour and for every minute, and sacrifice the lesser goal to the greater – Keep away from women – Kill desire by work – Be good, but try to let no one know it – Always live less expensively than you might – Change nothing in your style of living even if you become ten times richer Leo Tolstoy, “10 Rules of Life” 3. rule o ne: Find a place you trust, and then try trusting it for a while. rule t wo: General duties of a student — pull everything out of your teacher; pull everything out of your fellow students. rule three: General duties of a teacher — pull everything out of your students. rule four: Consider everything an experiment. 51


MA MA

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rule f ive: Be self-disciplined — this means finding someone wise or smart and choosing to follow them. To be disciplined is to follow in a good way. To be self-disciplined is to follow in a better way. rule s ix: Nothing is a mistake. There’s no win and no fail, there’s only make. rule s even: The only rule is work. If you work it will lead to something. It’s the people who do all of the work all of the time who eventually catch on to things. rule e ight: Don’t try to create and analyze at the same time. They’re different processes. rule nine: Be happy whenever you can manage it. Enjoy yourself. It’s lighter than you think. rule ten: “We’re breaking all the rules. Even our own rules. And how do we do that? By leaving plenty of room for X quantities.” (John Cage) hints: Always be around. Come or go to everything. Always go to classes. Read anything you can get your hands on. Look at movies carefully, often. Save everything – it might come in handy later. 10 Rules for Students, Teachers, and Life by John Cage and Sister Corita Kent 4. 1. Begin with ideas. 2. Embrace chance. 3. Celebrate coincidence. 4. Ad-lib and make things up. 5. Eliminate superfluous elements. 6. Subvert expectation. 7. Make something difficult look easy. 8. Be first or last. 9. Believe complex ideas can produce simple things. 10. Trust the process. 11. Allow concepts to determine form. 12. Reduce material and production to their essence. 13. Sustain the integrity of an idea. 14. Propose honesty as a solution. Daniel Eatock 5. 1. Do one thing at a time


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2. Know the problem 3. Learn to listen 4. Learn to ask questions 5. Distinguish sense from nonsense 6. Accept change as inevitable 7. Admit mistakes 8. Say it simple 9. Be calm 10. Smile Peter Fischli, David Weiss: How to Work Better. 1991 commun; Tischkultur

Männer, die; [garage] Männer, die, deren fünf, sind Mitglieder der noch jungen Frauenpunkband Die Pastinaken. Dieselbe Gruppe von Männern ist Initiant und Hauptakteur des alpinen Schneeschmelzhilfe-Projekts five white privileged guys against the snow – because too much white is too much. Enough is enough. Beide Projekte leben von der kraftstrotzenden Vitalität und Haudraufmentalität der Gruppe, deren Arbeitsweise von aussen oft als typisch männlich konnotiert wird. In den Projekten kehren sich die fünf Männer mit diesen Attributen jedoch genau gegen ebenjene Attribuierung. Quasi: Männer kämpfen mit Männermethoden gegen die Vorstellung, dass es «Männer» und «Männermethoden» gibt. Hafenkran; Pissoir

Märchen, das; [schlafzimmer] Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da sass eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Basel; Erzählen

Micron TM 01, der; [briefkasten] Ein Faserstift der Strichstärke 0.25 Millimeter. Dank der Mikropigmenttinte eignet er sich hervorragend für exakte Zeichnungen oder kleine handschriftliche Notizen in meinem Skizzenbuch. Auch wenn ich den Stift über Nacht offen auf meinem Schreibtisch liegen lasse, trocknet er nicht aus. Er bleibt meinem Etui deshalb meist länger erhalten als andere Faserstifte. Er wird in Japan hergestellt und ist seit Langem der einzige Gegenstand, den ich, jeweils im assortierten 53


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Sechserset, regelmässig über Amazon bestelle – auch wenn ich das nicht für politisch korrekt halte. Zeichnung

monde, le ; [esszimmer] « Chacun de nous a besoin de la mémoire de l’autre, parce qu’il n’y va pas d’une vertu de compassion ou de charité, mais d’une lucidité nouvelle dans un processus de la Relation. Et si nous voulons partager la beauté du monde, si nous voulons être solidaires de ses souffrances, nous devons apprendre à nous souvenir ensemble. » Glissant, Edouard: Philosophie de la Relation. Paris: Gallimard 2009 door; Zusammenleben Morgen, das; [büro] Das Morgen ist das Auffangbecken für die Dinge, die ich heute nicht geschafft habe. Ich verschiebe jeden Tag mindestens eine Sache auf den Tag danach. Die Softwareaktualisierung meines Mac Book Pro ist immer dabei: «Morgen erinnern». Hausarbeit Müll, der; [küche] stinkt. Atmosphäre; Pissoir

Mündigkeit, die; [bad] Etwas wollen und deshalb handeln. Konsequenzen spüren. Konsequenzen zulassen. Wirkungen erkennen und deshalb neu wollen. Und nochmal. Und noch einmal. Und noch viele, viele Male. Und dann ein Bad nehmen. Und dann noch ein Bad. Und noch viele, viele Bäder. Zustand eines Menschen, der daran gemessen werden kann, ob und wie ein Mensch Selbstverantwortung für sein Leben im gesellschaftlichen Verbund trägt. Eine grosse Rolle spielt hierbei das Bewusstsein für Möglichkeitsräume; für eine Kultur der Auseinandersetzung; für einen gesunden selbstkritischen Umgang mit eigenen Perspektiven; und für eine realistische Ein54


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schätzung der eigenen Kräfte, Eigenheiten und Wirkungsweisen. Wenn dieses Bewusstsein wächst, dann wächst auch die Mündigkeit. Behaupten; Frau*

Mutprobe, die; [balkon] Nackt am helllichten Tag die welken Pflanzen auf dem Balkon giessen. Alltag; Dialog; Nacktheit

Nachhaltigkeit, die; [keller] Die Nachhaltigkeit gibt uns einen Rahmen. Man muss sie vor allem für sich selbst definieren. Sie hat oft einen moralischen Beigeschmack. Manchmal muss man sie gegen andere verteidigen. Und manchmal nervt sie einfach. Weil sie immer da ist. Irgendwie, irgendwo. In den Medien. Im Kühlschrank. Im Mistkübel. Auf dem Teller oder im neuen Restaurant nebenan. Aber eigentlich bedeutet sie ja nur, dass etwas lange dauert. Dass das Fundament unseres Hauses auch wirklich hält. Dass wir immer wieder an einen Ort zurückkehren dürfen. Und es ihn vielleicht auch in zwanzig Jahren noch geben wird. Der Ort sieht dann in zwanzig Jahren nicht mehr gleich aus – man muss ja schliesslich mit der Zeit gehen. Aber es gibt ihn tatsächlich noch. Also ein Hoch auf die Nachhaltigkeit und den Boden unter unseren Füssen. Waschmaschine Nacktheit, die; [duschkabine] Nichts ist da. Keine Accessoires, kein Kitsch, kein Spielzeug, kein Krimskrams. Verlernen; vulnerability

Notwendigkeit, die; [wc] Der Mensch braucht Luft zum Leben. Ohne diese würde er sterben. Reduzierung bedeutet, zwischen nützlichen, unnützlichen und notwendigen Dingen zu unterscheiden. Je nach Bedürfnis des einzelnen Individuums sind Notwendigkeiten sehr unterschiedlich. Des einen Notwendigkeit ist des anderen Luxus. Micron tm 01; To-do-Liste

Oh!, das; [schlafzimmer; hobbyraum; büro]Ausruf des Erstaunens, der Begeisterung; der Enttäuschung, ja des Schmerzes; auch der Lust – je nach Artikulation. Mit noch mehr o rekursiv ans erste O angehängt steigern sich der Ausdruck und, je nach 55


ÖK PA

Wahrhaftigkeit und Unwillkürlichkeit, auch die Tiefe des Erlebens. Bei ganz vielen rekursiv ans grosse O angehängten o gaaanz grosser Schmerz oder gaaaaaaaanz lange Lust. Manifest

Ökologie, die; [garten] Die ehernen Gesetze der Beziehungen der Lebewesen zu ihrer jeweiligen Umwelt. «Don’t shit where you eat.» Geisteshaltung

Ökonomie, die; [hobbyraum; büro] Die ehernen Gesetze des Haushaltens: Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre. Der Sektor der Gesellschaft, nach dessen Pfeife alle anderen marschieren. Die Griechen bekommen ihren Begriff seit zehn Jahren um die Ohren gehauen. Mittlerweile gleichbedeutend mit rational-realistischem Weltverhalten. Alles muss sich rechnen oder darf zumindest kein Minuswachstum generieren. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Mit drei Jahren den Schnuller an einen Spielkameraden verkauft. Von den Reichen kann man sparen lernen. Das Kapital geht, wohin es will, und es bekommt, was es will. – «Erst wenn die Kurven zu Hockeyschlägern geworden sind, werdet ihr merken, dass mensch Geld nicht essen kann.» Geld; Hausarbeit pair of scissors, a; [küche] Snip, snip, snip, snip… A rhythm like the hi-hat on a drum set. Each cut clean and precise, intentional and meaningful. A rhythm comprised of notes, with each snip a note. It all begins in the mind of the composer and is then played with the instrument in my hand. Snip, snip, snip, snip… music to my ears. Music playing in my kitchen every evening. Me singing, me dancing. Grenze

Patriarchat, das; [esszimmer] Das Patriarchat existiert als Parasit. Es ernährt sich in seinem natürlichen Umfeld auf Kosten scheinbar und angeblich Untergebener. Das Patriarchat braucht den Wirt als Nahrungsquelle und für die Fortpflanzung der Art. Der Wirt kämpft seit langer Zeit gegen die Ausbeutung seines Körpers. Punktuell konnten Erfolge erzielt werden, doch hält sich der Parasit hartnäckig. Denn auch der Parasit bleibt nicht un56


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tätig und wandelt sich mit der Zeit, passt sich der Umgebung an. So ist festzustellen, dass der Parasit teilweise die Wirtskörper übernommen und sie in sein System einbezogen hat. Die Frage ist, ob in diesen Fällen noch von einem parasitären Patriarchat die Rede sein kann, oder ob eine völlig neue Bezeichnung nötig ist; so könnten wir vielleicht über ein systemisches Patriarchat nachdenken. Hinzu kommt, dass hier verwischte Grenzen zu anderen parasitären Systemen zu finden sind. Es erscheint mir wichtig, dass alle diese Systeme ernst genommen werden und die Parasiten möglichst fachgerecht und nach bestem Wissen und Gewissen entfernt werden. hole; Männer

Pauschalität, die; [haus] Gebäude reihen sich aneinander wie Ziegelsteine in einer Mauer. Jeder Stein ein exaktes Abbild seiner selbst. Längst wurden Ziegelmauern ersetzt durch Stahlkonstruktionen, beplankt mit China-Trapezblech. An der Fassade prangen auf Leuchttafeln die Namen grosser Discounterketten, die alles voneinander kopieren und die Preise der anderen zu unterbieten versuchen, um Schnäppchenjäger*innen anzulocken. Für Kreativität ist kein Platz mehr, denn die kostet Geld und müsste auf die Produktpreise abgewälzt werden. Die Pauschalität siegt! Übersummativität Pause, die; [gästezimmer] 1. «Statt zu sagen: Sitz nicht einfach nur da – tu irgendetwas, sollten wir das Gegenteil fordern: Tu nicht einfach irgendetwas – sitz nur da.» Thich Nhat Hanh, zitiert nach: Hille, Winfried: Slow. Die Entscheidung für ein entschleunigtes Leben. Gütersloh 2016, S. 52 2. Eine echte Pause erfährt man z.B. auf einem Schiff, in einem fremden Zimmer oder auf einer Bank. Vgl. Vilfroy, Philippe: Die Pause. In: Wir, wir selbst sind die Methode. Basel: Verlag HyperWerk 2016, S. 114 – 117 Brunnen gehn; Verlernen petit-pois, le ; [küche] A l’été, après la récolte des petits-pois du potager, mes tantes, ma mère, et ma cousine, nous nous retrouvons dans la fraîcheur de la cuisine autour de la table en formica. Tout en écossant les pois frais nous nous racontons des histoires de 57


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famille, nous commentons les nouvelles du journal télévisé et parlons nourriture. Parfois il y a des silences, l’écossage du petit-pois demande de la concentration et du soin. Autour de ce petit rond vert quatre générations travaillent ensemble. Erfahrung; Zusammenleben

Philosophie, die; [waschküche] Übersetzung der Sinnlosigkeit in die Unverständlichkeit. Rekursion Pissoir, das; [garten] An der Wand hängen nebeneinander drei Urinale. Allesamt frei. Wer beim Urinieren gerne seine Ruhe hat, wählt eins am Rand. Somit kann noch einer dazukommen und sich an das am anderen Rand stellen, ohne dass die Urinierenden Schulter an Schulter stehen müssen und schlimmstenfalls noch in ein Gespräch verwickelt werden. Männer, die sich gleich in die Mitte stellen, auch wenn alle drei Urinale frei sind, werden häufig als Idioten abgestempelt. Es kann sogar passieren, dass jemand auf der Stelle kehrtmacht, wenn er sieht, dass einer in der Mitte steht. Es ist der Drang, unsere Privatsphäre in halböffentlichen Räumen zu schützen, der uns in solchen Situationen zu schaffen macht. Und der uns auch dazu verführt, um unsere Vorgärten und Hinterhöfe Zäune zu errichten und dichte Büsche und Bäume zu pflanzen, um den Nachbarn die neugierigen Blicke zu verwehren. Stau; Übergang Pläne, die; [küche] Jemand lädt zehn Gäste zum Abendessen ein. Es wird gegessen; die Gäste unterhalten sich noch ein wenig am Tisch. Und plötzlich stehen sie alle zehn eingequetscht wie Sardinen in der Küche! In der winzigen und superengen Küche! Da, wo noch das Chaos herrscht und alles schmutzig ist vom Kochen. Ach, wo man sich doch so viel Mühe gegeben hat, eine schöne Atmosphäre im Esszimmer zu schaffen. Tja, die Küche ist eben das Herzstück jeder Wohnung. In der Küche brodeln die Ideen. Kochen vor sich hin. Nehmen Formen an. Und manchmal, da brennt auch etwas an. Und man denkt sich: «So ein Mist. Ich hab’s versaut! Es ist nicht so, wie ich’s mir vorgestellt hab. Ok, dann fang ich halt nochmal von vorne an.» Die Visionen bilden ebenso das Herzstück jeder Idee wie jedes Endprodukts. Genau 58


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wie bei einem Gedicht muss man ein wenig in der Küche werken, bis es dann genau so ist, wie man es sich vorgestellt hat. Mmmh, riecht das gut! Hotel Regina

Portemonnaie, das; [treppenhaus] Accessoire, in dem ich nicht nur Bargeld und verschiedene Bank-, Kredit-, Identitäts- und Visitenkarten mit mir trage, sondern zwischenzeitlich auch alte Quittungen, Post-its mit To-dos, Sicherheitsnadeln und Mehrfahrtenkarten für den öffentlichen Verkehr. Seit Kurzem auch in verschiedenen Ausführungen als Applikationen auf meinem Smartphone zu finden. Der monetäre Wert dessen, was im Portemonnaie ist, verändert sich aufgrund von Spekulation und mir unbekannten Prozessen von Sekunde zu Sekunde. Meistens erinnere ich mich im Treppenhaus daran, dass ich mein physisches Portemonnaie in der Wohnung vergessen habe. Biotop; ch36 0839 0033 7351 1000 8; Geldspekulation

pot, the; [gewächshaus] I had a dream once of an enormous amount of pots; each had a flower planted in it. All the flowers had bloomed gracefully, except for one. I asked the flower why it hadn’t bloomed – it didn’t answer. “It’s shy”, said the pot. “It sees the other flowers and is afraid it won’t be as pretty.” Then, I woke up. Dialog; Instantsuppe Pre-enactment, das; [balkon] «Im Pre-enactment werden zumeist Phänomene der Gegenwart mit Mitteln der Performance und des Theaters kritisch-explorativ in die Zukunft fortgeschrieben. In einem radikaleren Sinn, wie etwa beim israelischen Performance-Kollektiv Public Movement, lässt sich Pre-enactment aber auch definieren als die künstlerische Antizipation eines künftigen politischen Ereignisses. Dies ist aus zweierlei Perspektive von Interesse: aus kunstwissenschaftlicher und aus politischer. Denn das Konzept des Pre-enactment gibt damit den jüngst ins Interesse gerückten performativen Praktiken der Probe, der Übung und des Trainings einen politisch-aktivistischen Spin und erinnert an den aus dem Civil Rights Movement der 1960er Jahre stammenden und mit den Sozialprotesten von 2011 prominent gewordenen Begriff der Präfiguration. Mit diesem soll 59


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gesagt sein, dass die egalitären und demokratischen Verhältnisse, für deren Verwirklichung protestiert wird, bereits in der Form der Proteste selbst vorwegzunehmen seien. Das setzt ein Politikverständnis voraus, das im Unterschied zu instrumentalistischen politischen Strategien zwischen Mittel und Zweck nicht trennt. In diesem Sinne verstehen sich die Protestierenden selbst als pre-enactors einer egalitären Zukunft, was ein gänzlich anderes Verhältnis zu politischer Temporalität erfordert: Auf eine zukünftige egalitäre Gesellschaft wird nicht vertröstet, sondern sie entsteht (und vergeht) im Prozess des Pre-enactment selbst (was etwa an Hannah Arendts performativen Politik- und Freiheitsbegriff erinnert). Ein vergleichbares Konzept wurde von Erik Olin Wright mit dem Konzept der ‹real utopias› vorgestellt.» Marchart, Oliver: Präfiguration und Pre-enactments – Politische und künstlerische Aktionsformen der Zukunft im Jetzt. www.exzellenzcluster.uni-konstanz.de/5521.html (Aufgerufen 8. Juni 2018) Sehnsucht; Spekulation

Projektion, die; [bad] Das Wort «Projektion» kommt von lateinisch proicio, was «hinwerfen» und «vorwerfen» bedeutet. Der Begriff der Projektion kann als ein «Hineinsehen» von etwas in eine Person oder Situation verstanden werden, was dort nicht oder nicht im vorgeworfenen Ausmass vorhanden ist. Das Bad ist eingelassen. Die heisse Wassermasse bildet feine Dampfschwaden, die über den Seifenblasen wabern und sich im Raum verlieren. Die Gedanken schweifen, und der Körper entspannt sich in der sanften Umarmung des Wassers. Die Gedanken schweifen; sie erreichen das Innere der Seifenblase und eröffnen eine neue Ebene der Projektion: ein Atlantis im Polly-Pocket-Format. Nacktheit; Raum Prosecco, der; [küche] Prosecco ist ein italienischer Schaumwein. Dieses prickelnde Trendgetränk findet man in fast jedem guten Haushalt in der Küche, da man Prosecco kaltstellen sollte, aber auch irgendwie zum Kochen nutzen kann. Die ideale Trinktemperatur liegt zwischen sechs und acht Grad. Prosecco sollte man jedoch nicht im Kühlschrank lagern, weil er auf diese Weise sein einzigartiges Aroma verliert: Der Korken trocknet im Kühlschrank aus, und so findet eine Oxidation des Prosecco statt, 60


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der dann auch noch seinen Geschmack verändert und die Kohlensäure verliert. Echte Prosecco-Liebhaber*innen trinken ihn nach dem Öffnen der jeweiligen Flasche zügig leer, um so einen Qualitätsverlust zu vermeiden. In manchen Kunststudent*innenkreisen ist es verpönt, Prosecco zu trinken, da er als elitär empfunden wird. Wir empfehlen, ihn auf Eis mit einem halben Pfefferminzblatt und einer Himbeere fürs Auge zu servieren. Prost! Philosophie; Pissoir; Tischkultur

Qualität, die; [garten] Wenn eine Idee in der Form ihrer Interpretation gut transportiert und deshalb sichtbar wird. Wird von jedem Individuum aufgrund unterschiedlicher Wahrnehmung und Achtsamkeit unterschiedlich beurteilt. Qualität liegt vor, wenn ich merke, dass viel Sorgfalt und Gespür in etwas hineingeflossen sind und es sich richtig anfühlt. Das Gegenteil von deplatziert und so gut, dass es mir fast nicht auffällt; und wenn, dann nur im Kontrast zu weniger Definiertem. Wenn sich rund um eine Idee unterstützende Merkmale und Eigenschaften ansiedeln, sie transportieren, mit dem Ziel ihrer Manifestation. Wenn sich die Umstände in ihrer Gestalt spiegeln; also dann, wenn sie wirklich authentisch ist. Es ist eine Lust, neue Qualitäten zu entdecken und ihren Fährten zu folgen bis hin zu möglichen Geschichten und Ideen, die dahinterstehen. Die Krönung dessen ist Leben, denn es kümmert sich kontinuierlich selbst um Qualität und passt sich neuen Gegebenheiten an. Aus diesem Grund wirken nicht oder nur minim vom Menschen gestaltete Gegenden so anziehend. – Oft bleibt ein grosser Teil der Qualitäten verborgen bzw. ist nur in sehr definierter Form zu erkennen und sonst fast nicht; und wenn doch, dann nur für spezialisierte Blicke. Es gibt also einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil von Qualität. Viele Interessengruppen nutzen globalisierte Produktionsbedingungen und setzen sichtbare Attribute wie z.B. die Form eines Geräts oder den Service aufmerksamkeitserregend in Szene, während verborgene Qualitäten – wie die Einflüsse auf die Qualität der Arbeitszeit, auf die Zufriedenheit der Menschen, auf Gesellschaft und Umwelt – tendenziell vernachlässigt werden. Deshalb gibt es Fairtrade- und Umweltlabels, die zwar rudimentär Auskunft über unsichtbare Qualitäten geben, aber aufwändig, leicht auszuhebeln und aufgrund von Zertifizierungsverfahren und Prüfungen mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden 61


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und somit nicht für alle Menschen zugänglich sind. – Dazu empfehle ich ein äusserst lesenswertes Buch: Robert M. Pirsig: Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten. Ein Versuch über Werte. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuchverlag 2005 Freiheit; Werbung

Radiergummi, der; [garten] Der Radiergummi ist für den Zeichner oder die Zeichnerin dasselbe wie für den Gärtner oder die Gärtnerin die Hacke. Damit jätet er oder sie das Unkraut, das sonst das Wachstum im Keim ersticken würde. Intransparenz; Wurzeln Rahmen, der; [haus] Ich kannte eine Künstlerin, die durchaus ansprechende Bilder malte. Sie war zu geizig, um die Bilder für ihre erste Ausstellung zu rahmen. Kein Bild wurde verkauft. Geländer; Inszenierung Rain Socks, die; [garderobe] Dünne, elastische Gummiüberzüge, die bei Regen oder Schnee über die Schuhe gestülpt werden, um diese vor eindringendem Wasser zu schützen. Vor und nach dem Gebrauch werden sie in einem verschliessbaren, wasserdichten Plastikbeutel verstaut und nehmen nicht mehr Platz ein als ein A4-Couvert. Kickstarter sagt, ich bin der einzige in der Schweiz, der im Besitz solcher Regensocken ist. Meine Mutter sagt, die gibt es seit den 80ern. Landschaft; Waden Raum, der; [kinderzimmer] Nichts Physisches. Abgegrenzt ist er; das kann er durch Gewohnheiten, Verhaltensweisen oder Regeln sein. Im Kinderzimmer kann ein Raum durch aufgehängte Bettlaken, aber auch nur durch Taschenlampenlicht oder ein Flüstern entstehen. Seine Grenzen sind konstruiert, sie existieren nicht wirklich. Wir haben also die Macht, Räume zu bewegen, neue Räume zu schaffen und Grenzen einzureissen. Chaos; Initiation; Kopfhörer

Realität, die; [estrich] ist in postfaktischer Zeit deutlicher Verhandlungssache als auch schon. Dennoch bildet sie nach wie vor den Überbau für ein gesellschaftlich sinnvolles Zusammenleben. Fiktion; Zusammenleben 62


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Reduktion, die; [schlafzimmer] Das Leben meistern, den Haushalt halten. Reduktion als das Prinzip, sich nur mit den notwendigsten Dingen zu umgeben. Denn weniger ist mehr. Reduzieren bedeutet, sich von der Last des Unnötigen zu befreien, damit der Geist frei werde. Habe ich weniger Ballast, kann ich mich Neuem widmen und meine Welt gestalten. sensibilización Rekursion, die; [abstellkammer] 1. Eine sich selber implizit ausführende Entität.* 2. Das eigene Ich ist ein rekursiver Prozess. Durch unsere Sinne können wir die Welt wahrnehmen und den Geist mit externer Information anreichern. Die Verarbeitung findet jedoch immer in sich selber statt, in der eigenen Physis. Der Geist wächst, die Erfahrung wird reicher, der Körper verändert sich, bleibt aber in seinen physischen Regeln gefangen. * Eine Re­kursion ist ohne Abbruchbedingung endlos, darum ist hier Ende. Gesunder Menschenverstand; Stau resistance, the; [keller] “[…] resistance lies in self-conscious engagement with dominant, normative discourses and representations and in the active creation of oppositional analytic and cultural spaces. Resistance that is random and isolated is clearly not as effective as that which is mobilized through systemic politicized practices of teaching and learning. Uncovering and reclaiming subjugated knowledge is one way to lay claims to alternative histories. But these knowledges need to be understood and defined pedagogically, as questions of strategy and practice as well as of scholarship, in order to transform educational institutions radically.” Mohanty, Chandra: On Race and Voice. Challenging for Liberation Education. In: Hooks, Bell: Teaching to Transgress. London: Routledge 1994, S. 23 Eidgenoss Ritotop, das; [garten] Ein Ort (Topos), mit einem Ritual geschaffen. Wie ein Biotop im Garten bildet das Ritotop für den Zeitraum des Rituals einen Lebensraum für eine Gemeinschaft. Erzählen; Ritual; Wohnen Ritual, das; [bad] Ein bewusst gestaltetes Handlungsmuster, das die alltäglichen Regeln der Gesellschaft, in der wir uns bewegen, 63


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für seine Dauer aufhebt. Die ritualeigenen Regeln schaffen einen Raum, in dem wir eine andere Gemeinschaft sind. – Es geht hier nicht um das sich wiederholende Zähneputzen im Bad. Brunnen gehn; Kulturfreibeuter

Roboter, der; [abstellkammer] «Ein Roboter ist eine technische Apparatur, die üblicherweise dazu dient, dem Menschen mechanische Arbeit abzunehmen. Roboter können sowohl ortsfeste als auch mobile Maschinen sein und werden von Computerprogrammen gesteuert.» So eine mobile Maschine habe ich vor einiger Zeit meiner Mutter aufgeschwatzt: einen sogenannten Roboterstaubsauger. Als ich mir so ein Teil angeschafft hatte, war ich hell begeistert. Wieso sollte ich Arbeit verrichten, die eine Maschine für mich erledigen kann? Auch meine kleine Tochter war von unserem neuen mechanischen Haustier angetan. Drückt man den runden Knopf in der Mitte, ertönt ein «beep, beep, beeeep», und es gilt, schnell wegzurennen, denn danach beginnt es mit seiner Arbeit. Meine Mutter hat da schon mehr Berührungsängste; sie traut dem kleinen Helfer nicht. Was, wenn er das ganze Haus verwüstet? Sie hat schon ihr ganzes Leben den Boden von Hand gesaugt, und das hat sich bewährt. Darum fristet der Roboter nun sein Dasein in der Abstellkammer. www. de.m.wikipedia.org/wiki/Roboter (Aufgerufen 14. März 2018) Pre-enactment SASI-Kapsel, die; [garage] Interinstitutionelle Raumkapsel mit Forschungsauftrag. Bisher einziger Einsatz am OpenHouse 2018, Forschung auf dem Gebiet der Vernetzung zwischen Instituten: Ergebnisse niederschmetternd. Danach irrtümlich Rückbau der Kapsel. Dialog; Projektion; Versagen

Schlafzimmer, das; «Mit Farbtönen wie Braun und Weiß sollte im Schlafzimmer besser sparsam umgegangen werden. Es genügt vollkommen, wenn Bettrahmen oder Nachttische in Braun gehalten sind, während die Gardinen in Weiß erstrahlen. Dann wirkt das Braun nicht erdrückend, und der erfrischende Effekt der Farbe Weiß kippt nicht hin zu einer sterilen und unterkühlten Wirkung. Es ist empfehlenswert, die Wandfarbe zuerst auszuwählen und nach dem Streichen mit Bodenbelag und Ein64


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richtung fortzufahren. Wie auch bei der Modernisierung eines Hauses kann ein vorab aufgestellter Plan hilfreich sein, um zwischendurch nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren.» – Selbst die Ratgeber der sonst so oberflächlichen Fernsehprogramme haben erkannt, dass das Schlafzimmer so eingerichtet sein sollte, dass darin geschlafen werden kann. Zumindest hier bin ich einig mit den Normen dieser Gesellschaft. Oder sollte ich diese Meinung revidieren? www.sat1.ch/ratgeber/wohnen-garten/ traeumen-wie-im-hotel-das-schlafzimmer-stilvoll-gestalten (Aufgerufen 13. Juni 18) Kinderzimmer

Schmückung, die; [küche] Der Duft in der Küche erinnert noch immer an das Mahl von gestern. Der Herd ist gezeichnet von Ölspritzern der Holunderblüten, die wir im Bierteig ausfrittiert haben. Auch den Boden zieren noch einzelne Blüten- und Teigfragmente aus dieser Aktion. Nun, am Küchentisch sitzend, mit diesem ölig-blumigen Duft in der Nase, kommen Erinnerungen an das Verspeiste. Die Küche – der Raum, in dem sinnlich Erfahrbares entsteht, Kreationen genüsslich oder stirnrunzelnd verspeist werden, wo schliesslich wohlige Erinnerungen bleiben. Foodkarma. Foldback-Klammern; Prosecco Schreibmaschine, die; [büro] Ich habe mir an einem Hallenflohmarkt eine Reiseschreibmaschine gekauft. Der Hallenflohmarkt war mir nicht sympathisch, doch die ältere Verkäuferin hat mich zu diesem Kauf bewogen. Zuerst hatte ich die Maschine nur beäugt. Ich habe einen gewissen Hang zu solchen alten Dingen. Also nicht zu allen alten Dingen, denn dieses Herumantiquieren nervt mich dann schon. Aber bei so einer Schreibmaschine. Es ist auch nicht so, dass ich die Maschine gekauft hätte, wäre da nicht diese alte Frau gewesen, die mir mit einem Feuer von der Vergangenheit dieser Maschine erzählte. Und dann der unschlagbare Preis von 20 Franken. Ich habe sie gekauft als Ausdruck meiner Ablehnung der ganzen Antiquitätenhändler. In deren Vorstellung gehört das papierdünne Tablet auf den restaurier­ ten 2000-Franken-Couchtisch im Empfangszimmer. Es geht wie immer ums Geld. Etwas Altes, zweifelsohne Schönes, zu einem Lebensgefühl zu stilisieren und den Menschen weiszumachen, 65


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dass etwas besser als etwas anderes sei. So ein Couchtisch aus dem Brockenhaus ist einfach nur etwas anderes. Aber die Schreibmaschine im Wohnzimmer ist dann halt doch nochmal was ganz anderes als das Tablet. Davor schrecken die Herren und Da­ men Retroliebhaber und Retroliebhaberinnen zurück, denn mit der Schreibmaschine surft es sich so schlecht auf dem 70er-­ Jahre-Couchtischlein. Liebesbrief; Waschmaschine

Schreibtisch, der; [gästezimmer] Als Kind machte ich meine Hausaufgaben am Küchentisch, während die Mutter etwas nähte oder das Kochen vorbereitete. Später, beim Wechsel auf die weiterführende Schule, wurde dann das Kinder- auch zum Arbeitszimmer, und ein Schreibtisch wurde angeschafft, an dem zu arbeiten viel weniger schön war als am Küchentisch. Heute ist man angestellt, und der Schreibtisch ist die Schädelstätte des Anthropozän. Heute ist es am schönsten, nomadisierend zu arbeiten und an anderer Leute Küchentischen zu sitzen. Archäologin screwdriver, the; [garage] A sense of purposefulness. Making adjustments in everyday life. They are needed to put a person’s skills or resources to test and customize a situation according to his or her needs. Camp Sehnsucht, die; [balkon] Ein Wunsch. Sie liebt das Meer, das Salz­ wasser in der Luft. Und natürlich das gute Essen. Hier in Thessaloniki, Griechenland, ist sie aufgewachsen und gross geworden. Hier sind alle ihre Freunde zu Hause. Hier hat sie ihren Bachelor erworben. Und hier, im Haus ihrer Eltern, wartet sie auf die Bescheide der Universitäten Europas. Hier wartet sie auf einen Bescheid für einen Job in Griechenland oder anderswo. Die Möglichkeiten hier sind beschränkt, das Land steckt seit Jahren in einer Finanzkrise. Sie träumt vom Meer, auf das sie nicht verzichten möchte. Von der kühlen Luft im Norden Europas. Von einer Arbeit. Flucht; Wohnen sensibilización, la; [küche] Largo y duro proceso con el cual alguien busca concientizar a las personas acerca de un tema, situación 66


SM SO o problema. Con hechos o datos se busca demostrar que lo que uno sustenta es real y así lograr convencer a la gente y motivarla de que ese es el camino correcto. La cocina tiene una conexión muy fuerte con la sensibilización, en este lugar uno aprende a dominar los 5 sentidos a través de la experimentación. Con una cebolla se aprende lo difícil que es contener el llanto, el cuchillo nos enseña lo frágil que es todo y lo fácil que es destruir, lo importante no es destruir sino destruir para construir algo nuevo. La cuchara sirve como transporte de los sabores al paladar y nos lleva de la mano cada una de las sensaciones directo a uno de los sentidos que representa uno de los pecados capitales. La cocina es un laboratorio que nos sirve para experimentar y refinar nuestros sentidos. La manera en como tratamos a la comida refleja mucho como tratamos a la vida y a las personas que nos rodean. Brecheisen; Grantigkeit

smuggling, the; [wc] “In effect, smuggling produces subjects and objects and practices that exist in the realm of the ‘untaxable’. And by this I mean a great deal more than that which escapes the regimes of levied tax. The ‘untaxable’ is a mode of eluding existing categories and being unable to operate with them and as such it is not a resistance but an embodied criticality. In its array of partial splits and internal incoherences, the ‘untaxable’ of smuggling provides the inhabitation of a category of refusal.” Rogoff, Irit: Smuggling – An Embodied Criticality, 2006. www.transform.eipcp.net/transversal/0806/rogoff1/en (Aufgerufen 1. Juli 2018) Mutprobe; Vertrauen

Social Bot, der; [büro] «Social Bots […] sind Bots, also Softwareroboter […], die in sozialen Medien (Social Media) vorkommen. Sie liken und retweeten, und sie texten und kommentieren, können also natürlichsprachliche Fähigkeiten haben. […] Social Bots operieren von Accounts in sozialen Medien aus. Sie geben sich als Menschen aus – in diesem Falle handelt es sich um fake Accounts mit entsprechenden Profilen – oder [sind] als Maschinen zu erkennen. Sie analysieren Posts und Tweets und werden dann, etwa wenn sie bestimmte Hashtags erkennen, automatisch aktiv. Social Bots werden zur Sichtbarmachung und Verstärkung von Aussagen und Meinungen eingesetzt. Dabei können sie 67


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werbenden Charakter besitzen bzw. politische Wirkung entfalten.» Gabler Wirtschaftslexikon, www.wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/social-bots-54247 (Aufgerufen 16. Mai 2018) Dominik Dober; Roboter

Spekulation, die; [estrich] 1. «Es gehört zum Wesen der Spekulation, daß sie über die unmittelbar gegebenen Tatsachen hinausgeht. Ihre Aufgabe ist es, das Denken schöpferisch in die Zukunft wirken zu lassen; und sie erfüllt diese Aufgabe, durch das Erschauen von Ideen, die das Beobachtbare umfassen. [...] Die spekulative Vernunft ist ihrem Wesen nach von methodischen Einschränkungen frei. Ihre Funktion besteht darin, über die eingeschränkten Gründe hinaus zu den allgemeinen Gründen vorzudringen und die Gesamtheit aller Methoden als durch die Natur der Dinge koordiniert zu verstehen – eine Natur der Dinge, die nur durch das Überschreiten aller methodischen Schranken begriffen werden kann. Die beschränkte Intelligenz des Menschen reicht nie aus, um dieses unendliche Ideal jemals wirklich zu erreichen.» Whitehead, Alfred North: Die Funktion der Vernunft. Stuttgart: Reclam 1974, S. 68, 53 2.«Poiesis schafft jene Möglichkeiten, die zu Bedingungen von Erfahrung werden können, und ihr spekulatives Moment entwickelt Möglichkeiten eines Zugangs zu (absolutem) Wissen. Spekulativer Materialismus wählt zur Erklärung dessen, was ist, keinen Begriff der Äquivalenz, keine Philosophie des Werdens und keine Wissenschaft von Kausalerklärungen, sondern einen experimentellen Weg. Fakten sind kontingent (und zwar notwendig). Dies ist der Ort einer Poetik: Etwas zu schaffen, das nicht als notwendig verstanden werden konnte, bevor es geschaffen wurde; das in seiner Entstehung nicht kausal zu begründen ist, sondern den Zufall als sein Modell zu haben scheint; und das schließlich in diesem künstlerischen Akt von Poiesis einen Raum der Wahrheit eröffnet.» www.spekulative-poetik.de (Aufgerufen 9. Juli 2018) Rain Socks Spelunke, die; [keller] Das Substantiv Spelunke stammt vom lateinischen spelunca und bedeutet Grotte oder gar Höhle. Im Deutschen bezeichnet es eine grandios verwahrloste Gaststätte, ein wahrhaftes Tor zur Halb- und gar zur Unterwelt, sodass man da richtig was erleben und womöglich seine bürgerliche Existenz 68


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abstreifen, ja zugrunde richten kann. Leider gibt es heutzutage kaum noch Gaststätten, die dieser düster-verheissungsvollen Bezeichnung würdig wären; schuld an diesem kulturellen Verlust sind die modernen Schweizer Lebensmittelinspektorate, Lärmschutzauflagen (Nachtruhe), kirchliche Gruppen, kleinbürgerliche Moralapostel jeglicher Art und die Bewilligungspolitik der städtischen Behörden. Abenteuer; pot

Spuren, die; [garten] 1. Eine Biografie. Swiss Made ist auf meiner Seite eingeprägt. Das soll wohl ein Verkaufsargument sein. Ein 30-jähriger im Anzug, der ihm etwas zu weit ist, verstaut mich und meine 31 Artgenossen in unserer Quick-’n’-Easy-Reach-Packung in seiner ledernen Umhängetasche. Seine Tage sind hektisch, von einem Termin geht’s gleich zum nächsten, und so bleibt nach dem Mittagessen auch kaum Zeit, um solide Mundhygiene zu betreiben und sich für die nachmittäglichen Meetings frisch zu machen. Aber ohne die moderne Hektik gäb’s uns Zahnseide-Sticks ja gar nicht, sondern immer noch bloss die herkömmliche Zahnseide, die man mit beiden Händen und viel Musse aufwändig, ja hingebungsvoll bedienen muss. Wir dagegen sind die Avantgarde: weit weniger anspruchsvoll im Handling, sogar wenn mensch mit der andern Hand am Ruder die Welt umsegelt. Man kann uns auch virtuos wie einen oldschool-Zahnstocher vom einen Mundwinkel in den andern manövrieren. – Ruckzuck: aus der Packung in den Mund. Eines Tages bin ich dran. Rein in den Zahnzwischenraum; ein bisschen hin- und hergeschoben; und in den nächsten Spalt gesteckt. Fleischfetzen, Suppengrün. Währenddessen trabt der Mann leger auf dem Trottoir zurück ins Büro. Ein schneller Blick zurück: Keiner sieht ihn, und so lande ich aufgebraucht und eingespeichelt zwischen zwei parkierten Autos auf dem Asphalt. 2. Spuren = Jacques Derrida. Dekonstruktion; Kompass; Koordinaten Stau, der; [eingang] Von Stau ist die Rede, wenn sich die Fliessgeschwindigkeit auf ein Minimum reduziert. Dieser Zustand ist häufig auf Autostrassen oder in Verbindung mit Wasser anzutreffen; grundsätzlich kann jedes Medium gestaut werden. Stau als Zustand der Verlangsamung ist ein bemerkenswertes Phänomen in der heutigen beschleunigten Zeit. Immer häufiger 69


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anzutreffen, liegt seine Ursache in immer stärker belasteten Leitern, die den Fluss des jeweiligen Mediums ermöglichen. Somit drängt sich die These auf, dass mehr Beschleunigung auch mehr Stau bedeutet – was dann die Idee des Zeitgewinns durch Beschleunigung fraglich erscheinen lässt. Stau wird als lästige Tatsache gesehen, jedoch selten auf seine Ursachen hin befragt. Als Effekt kann Stau keiner Wertung unterzogen werden. Hotel Reginas Beschäftigung mit Stau äussert sich nicht in Bestrebungen zu seiner Auflösung, sondern im Hervorheben dieses aktuellen Phänomens. In diesem Sinne zeigt Hotel Regina mit der Besegelung des Stausees Lago di Lei einen möglichen Umgang mit Stau, alternativ zum üblichen Ärger. Eidgenoss; Patriarchat

Stille, die; [wc] Tick. Tick. Tick. Tick. Meine Bahnuhr lässt sich nicht abstellen. Die rote Kondukteur*innenkelle ist mein Sekundenzeiger, der mir keine Ruhe lässt. Pause Streiten, das; [esszimmer] “My purpose is to make ‘kin’ mean something other/more than entities tied by ancestry or genealogy. The gently defamiliarizing move might seem for a while to be just a mistake, but then (with luck) appear as correct all along. Kin making is making persons, not necessarily as individuals or as humans. I was moved in college by Shakespeare’s punning between kin and kind—the kindest were not necessarily kin as family; making kin and making kind (as category, care, relatives without ties by birth, lateral relatives, lots of other echoes) stretch the imagination and can change the story. […] I think that the stretch and recomposition of kin are allowed by the fact that all earthlings are kin in the deepest sense, and it is past time to practice better care of kinds-as-assemblages (not species one at a time). Kin is an assembling sort of word. All critters share a common ‘esh’, laterally, semiotically, and genealogically. Ancestors turn out to be very interesting strangers; kin are unfamiliar (outside what we thought was family or gens), uncanny, haunting, active.” Haraway, Donna: Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham, nc:Duke University Press 2016, S. 102f Familie; Grantigkeit; Habiter 70


ST TI

Strickleiter, die; [treppenhaus] Die Strickleiter ist eine Leiter, ein Hilfsmittel zum Hinauf- und Hinabsteigen. Anders als bei der gewöhnlichen Leiter sind die Sprossen der Strickleiter von einem Strick, sprich Seil gehalten. Die Sprossen können aus Holz, Kunststoff oder Metall sein. Es gibt auch ganz leichte Strickleitern, die komplett aus Seil gemacht sind. Die Strickleiter kann nicht wie eine gewöhnliche Leiter angelehnt werden, da sie nicht selbst stehend oder tragend ist, sondern sie schöpft ihre Kraft aus dem oberen Ende, an dem sie befestigt ist. Ohne fremde Hilfe kann die Strickleiter somit nur von Orten hinuntergelassen, sprich zum Hinabsteigen benutzt werden. Will mensch sie zum Hinaufsteigen benutzen, muss der Ort, an dem die Leiter befestigt werden will, zuerst auf andere Weise erreicht werden – zum Beispiel durch einen Wurfanker. Das Erklimmen einer Strickleiter ist meist eine wallende Angelegenheit, im Freien schwankend und zweifelnd, ob die Befestigung gut halten wird. Je nachdem ob mensch selber bei der Befestigung dabei war oder nicht – es erfordert grosses Vertrauen, da die Befestigung erst oben nach vollbrachtem Erklimmen begutachtet werden kann und es nicht möglich ist, sie im Voraus zu überprüfen. Abenteuer; Mutprobe Terrasse, die; Die Terrasse ist was für schweizerische Alpenbeizen und grasscheue Vorstadtbewohnende. Alle anderen sollten die Finger respektive die Landschaftsgärtner und -gärtnerinnen davon lassen respektive abbringen. Wenn frau und man dennoch eine besitzen und dazu auch noch einen Kärcher, wissen sie, dass ihre Aussicht von der Terrasse definitiv bei den Alpen endet. Garten Tischkultur, die; [esszimmer] Die Tischkultur ist meine Inspiration. Ist das Dach, welches mich im Winter schützt und mir Wärme spendet. Sie vereint Freunde und Familie. Sie bietet Raum für alle Emotionen. Und schafft eine wohltuende Atmosphäre. An schnelllebigen Tagen erinnert sie an tief verankerte Werte und an die Entschleunigung. In schweren Zeiten holt sie uns auf den Boden zurück. Sie wird definiert von der Nahrung auf den Tellern, dem Teller selbst, dem Mobiliar. Und wenn es mal ganz heiter wird, tanzt man sogar auf den Tischen. Entscheidung; Instantsuppe 71


TO TR

To-do-Liste, die; [wc] Selbstorganisation Fahrradschlauch kaufen billiger online sich Zeit nehmen zu Grossmama Müllsäcke kaufen nicht zu viel aufs Mal wollen alle aktuellen To-do-Listen zusammenfassen auf Wichtiges konzentrieren Bank wechseln wg-Abendessen flexibel bleiben

Cornflakes;

Pause

Treppenhaus, das; 1. Treppenhäuser sind des Zügelmannes und der Zügelfrau grösster Alptraum. Die seltenen Male, da ich das zweifelhafte Vergnügen hatte, ein Klavier hinauf in den dritten Stock zu tragen, oder die häufigen Male, da ich einen Schrank aus dem zweiten Stock zum Kleintransporter runterschleppen durfte, sind nicht spurlos an meinen Zehen vorübergegangen. Interessanterweise besitzen die verwinkeltesten und engsten einen eigenen wilden Charme, während die neumodisch weit gefassten vor allem hässlich sind. Da muss man sich nicht über den Siegeszug des Lifts wundern. 2. Die neue Siedlung auf dem Hunziker-Areal in Zürich-Oerlikon gilt nicht nur unter Architekten und Architektinnen als zukunftsweisender Städtebau. Man betrachte bloss die kreativen Wohnformen oder Spalten zwischen den Häuserblocks, wo Zwischenmenschliches gedeiht. Den gewöhnlich Spazierenden verwehrt bleiben aber die Treppenhäuser. Hier, nur von Geländernormen beschnitten, konnte man sich architektonisch austoben. Manche Treppenhäuser sind eher klassisch, wenn auch mit dem gewissen Etwas; andere vielmehr skulptural; manche aber derart verworren, dass sich der oder die auf den Zug Hastende nicht sicher sein kann, ob er oder sie nun auf dem Weg nach unten oder doch nach oben ist. Aber so ist das ja mit vielen Dingen, und bei genauer Betrachtung spielen derartige Spitzfindigkeiten auch keine so grosse Rolle, wie schon Maurits Cornelis Escher mit seinen Endlostreppen oder Mani 72


ÜB ÜB

Matter mit seinem Amtstermin vor neun bewiesen haben – am Ende landen wir sowieso bloss irgendwo. Estrich

Übergang, der; [eingang] Wie wir den Kapitalismus überwinden: 1. Ihn gehörig gegen die Wand fahren. [done] 2. Das Leben anders denken und prototypisch (er-)leben. [done] 3. Den Übergang von den Scherben zum Leben in verdauliche Häppchen einteilen und bei Google als ersten Treffer platzieren. [we’re fucked] 4. Übergänge gestalten! [pending] 5. Kleine Erfolge mit allen feiern. [juuhuuu] Ausschaffung Übersummativität, die; [haus] «Das Haus ist mehr als die Summe seiner Zimmer!» Das vielzitierte Sprichwort scheint trivial; was aber ist dieses «mehr»? Es gibt da Zwischenräume, deren Relevanz sich erst eröffnet, wenn man einen Kontext betrachtet, zum Beispiel das Haus. Andere Ebenen entziehen sich aus Gründen der bewusst oder unbewusst eingenommenen Perspektive oder «Brille». Verschiedene Menschen sehen verschiedene Dinge. Wie kann ich aber – erstens – herausfinden, was ich sehe, durch welche Brille ich betrachte? Ich müsste meine Sicht mit denen anderer vergleichen, um herauszufinden, wie sich unterscheidet, was wir sehen. Wie kann ich – zweitens – üben, an etwas Gewöhnlichem wie einem Haus Neues zu sehen, von der Ameisenstrasse bis zum Knebelmietvertrag, um mehr zu verstehen und auf dieser reichhaltigen Grundlage bessere Entscheidungen zu treffen? Und wie kann ich – drittens – soziale Geflechte sehen, sie für andere sichtbar machen und einfach beschreiben? In meinen Augen ist Zusammenleben ein Konvolut von überlagerten Bewegungen, Kontakten, Verständigungen, Biografien, Lebensumständen, divers und teilweise widersprüchlich. Diese Sichtweise ist eine wichtige Grundlage sowohl für meine persönliche Vorstellung von Zusammenleben als auch für die Art und Weise, wie man dieses verhandeln sollte. Nämlich über gemeinsames Verstehen und möglichst vielseitige nächste Schritte. – Zurück zur Übersummativität. Das Zitat von Aristoteles, «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile», überrascht doch eigentlich nur, wenn man sich ein Puzzle vorstellt, bei dem die Kombinations73


UN VE

möglichkeiten der Teile vorgegeben und eindeutig sind. Das «mehr», von dem im Zitat die Rede ist, entsteht aber durch das Zusammenfügen, hängt von den Teilen und von der Kombinationsweise ab. Das «Ganze», das ein Kuchen ist, ist demnach mehr als die Summe der Zutaten. Das «mehr» ist hier das Zusammenstellen und alles, was dabei zum Entstehen des Kuchens beiträgt: Rezept, Raumtemperatur, Knetkraft, etc. Aber das ist nur meine Perspektive. Womöglich sieht zum Beispiel ein*e Ofenvertreter*in das anders. Cyanotypie; Geisteshaltung

Unvorhersehbarkeit, die; [garten] Grünabfall, unessbare Abschnitte. Kraut und Stiel, braune Stellen, Schale, Wurzeln und auch Kerne. Weggeschnitten, abgeschält. Bunter Haufen irgendwas. Das, was bleibt, auch nachdem das Gekochte längst verschlungen ist. Überreste, Rüstabfälle. Farbig, erdig, bald schon riechend, saftend, modernd beginnt eine Transformation. Die Farben verblassen, gleichen sich einander an. Würmer kriechen und helfen fleissig, und auch kleinere, für unser Auge unsichtbare Tierchen sind am Werk. Unter den richtigen Bedingungen wird das alles zum Nährboden für Neues. Qualität Verlernen, das; [wohnzimmer] «Verlernen bedeutet nicht vergessen, ebenso wenig löschen, annullieren oder niederbrennen. Es bedeutet, mutiger zu schreiben, von Neuem zu schreiben. Es bedeutet, neue Fussnoten an alte oder andere Narrative zu heften. Es bedeutet, den Staub wegzuwischen, das Glas zu belüften und den Putz vom Verdeckten abzuklopfen. Verlernen bedeutet, die Medaille umzudrehen und die Geister wiederzuerwecken. Verlernen heisst, in den Spiegel zu schauen und die Welt zu sehen.» Bonaventure Soh Bejeng Ndikung zitiert von Trafo K.: Geflüchtete und kulturelle Bildung. In: Ziese, Maren/Gritschke, Caroline (Hg.): Strategien für Zwischenräume – Ver_Lernen in der Migrationsgesellschaft. Bielefeld: Transcript 2016. S. 169 Glitch Map

Versagen, das; [schlafzimmer] Die Zweideutigkeit dieses Wortes je nach Kontext der Umgangssprache oder der Schriftsprache lässt sich am besten an folgendem Beispiel erläutern: «Das 74


VE VU

Versagen der Kommunikation über den postexhibitionalen Umgang mit der Installation sasi-Kapsel führte zu deren Versagen (Zersägen).» Müll; sasi-Kapsel; screwdriver

Vertrauen, das; [abstellkammer] Für mich bedeutet Vertrauen, meine Begehren nicht in der Vorratskammer einzuschliessen, sondern das, was mir kostbar ist, mit anderen zu teilen – mich damit verletzbar zu machen. Die Unsicherheit, was in diesen Momenten des Lüftens passieren wird, ist Teil des Prozesses. Dafür braucht es geschützte Räume, die von Respekt und Interesse genährt werden. Die eigene Position durch andere zu reflektieren, vermag Privilegien und Leerstellen sichtbar zu machen und Möglichkeiten zu mobilisieren. Im Zuhören und Diskutieren können einzelne Gedanken zu gemeinsamen Vorstellungen und Handlungen werden. Freiheit und Kollektivität ist für mich kein Widerspruch. Erst in der gegenseitigen Bedingung ermöglichen sie Lebendigkeit. Zusammenhalt Vokabular, das; [wohnzimmer] “We form ourselves within the vocabularies that we did not choose, and sometimes we have to reject those vocabularies, or actively develop new ones.” Butler, Judith: Gender Performance: The TransAdvocate interviews www.transadvocate.com/gender-performance-the-transadvocate-interviews-judith-butler_n_13652.htm (Aufgerufen 5. Juni 2018) journal vulnerability, the; [balkon] 1. “We do things with language, produce effects with language, and we do things to language, but language is also the thing that we do. Language is a name for our doing: both ‘what’ we do (the name for the action that we characteristically perform) and that which we effect, the act and its consequences.” Butler, Judith: On Linguistic Vulnerability: A Politics of the Performative. New York/London: Routledge 1997, S. 32 2. An der roten Ampel steige ich von meinem Fahrrad und warte. Ich schaue zu dem üppig mit farbigen Plastikblumen geschmückten Balkon hinauf. Er lässt meinen Blick nicht los. Die Balkontüre ist offen. Ich höre leise Klänge einer Chopin-Nocturne 75


WA WA

und frage mich, ob wohl bald jemand aus dem Schatten treten wird und sich zeigt. Die Ampel schaltet auf Grün, und ich muss weiterfahren. Niemand ist aus der Privatsphäre über die Schwelle in die öffentliche Verletzlichkeit hinausgetreten. Niemand hat sich präsentiert, seiner oder ihrer Person Sichtbarkeit erspielt, den anderen Einblick oder Ausblick gewährt. 3. Hummer sind weiche muschelartige Tiere, die in harten panzerartigen Schalen leben. Diese harte Schale kann sich nicht ausdehnen. So geschieht es, dass der Zeitpunkt kommt, da die Schale des Hummers zu klein wird und er sich eingezwängt und unwohl fühlt. Damit der Hummer weiterwachsen kann, muss er seinen alten Panzer ablegen. Dazu zieht er sich an einen geschützten Ort zurück, wo er aus seinem alten, zu klein gewordenen Panzer herausschlüpft, um anschliessend einen grösseren auszubilden. In der Zwischenzeit, also bevor der neue Panzer ausgehärtet ist, ist ein Hummer mehrere Wochen lang fast schutzlos, eine leichte Beute, und muss im Versteck bleiben. Wenn der Hummer vollständig in seine Schale gewachsen ist, beginnt der Zyklus von Häutung und Wachstum wieder von Neuem. Aspirin; Kamera

Waden, die; [bad] «Und was den Fuss betrifft, den ich nicht missen kann, Der würde mir bei Leuten schaden; Darum bedien ich mich, wie mancher junge Mann, Seit vielen Jahren falscher Waden.»1 Schon zu den Modezeiten von Louis xiv mit hohlen Schalen modelliert, erleben die Waden heute eine Renaissance im gesellschaftlichen Schönheitsverständnis, wie das vom Münchner Lederhosenhändler Herbert Lipah 2003 erfundene 1. Königlich-Bayerische Wadl-Implantat (ein mit Schaumstoff gepolsterter Strumpf) aktuell beweist. «Eine wohlgefasste Wade [als] Zeichen einer frischen gesunden Natur, und zugleich eine Zierde des Schenckels […]»2 landet damit wieder auf dem Sockel der Anerkennung, die sie verdient. Die Hauptanspannung des Körpers vollzieht sich während Stresssituationen in den Waden, welche somit zu Epizentren für Stresshormone, Krampfadern und Übersäuerung werden. Gegenmassnahmen dafür sind dem Volksmund schon lange bekannt, wie sich aus der berndeutschen Redewendung chlei i’d Wadli schnuufe unschwer erkennen lässt, 76


WA WA welche den Patient*innen mehr Bodenhaftung und ebenjene Wadenentspannung verschaffen soll. Derselben Quelle lassen sich diverse weitere Akutentspannungstechniken entnehmen – z.B. berndt. entspann mau dini Ougebroue; friburgerdt. Schultere ai, süsch kiietse d’r us’m Liim. Solche physisch-psychischen Wechselwirkungen bewusst aktivieren zu können, ist ein wichtiges Werkzeug zur erfolgreichen Prozessgestaltung. 1. Johann Wolfgang Goethe, Faust I, vv. 2499 – 2502 2. Johann Heinrich Zedler (Hg.) Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Halle/Leipzig 1732 – 1754. Bd. 52, Sp. 390 Alternative; Geisteshaltung

Waschküche, die; Der leider verstorbene Mike van Audenhove hat mal einen Comic gezeichnet, in dem der klassische Waschküchenkonflikt des städtischen Reihenhauses – nämlich die nicht rausgenommene Wäsche, der ungeputzte Tumblerfilter oder eben der Wasserfleck – wunderbar ausgeschlachtet wird. Da wird frühmorgens der verkaterte Student von der alten Nachbarin von unten aus dem Bett geholt, weil sie ihm was ganz Schlimmes, etwas Schreckliches, ja Scheussliches zeigen muss. Der Student eilt mit flatternder Hose der in den Keller wackelnden Nachbarin nach. Hier, das Übel: ein Wasserfleck auf der Waschmaschine! Abstellkammer Waschmaschine, die; [waschküche] Die Waschmaschine ist ein spannendes Gerät, das voller kleiner Geschichten und politischer Überlegungen steckt. Dennoch ist das Gerät meist in einem Keller oder einem Schrank versteckt und eher laut. Manche Menschen haben Läden speziell für diese Maschine erfunden, in denen sie mit anderen ihrer Art herumsteht und dem Menschen dient, beziehungsweise seinem Bedürfnis nach Sauberkeit. In ihr werden Kleidungsstücke und auch Textilien anderer Art unter Zuhilfenahme von Wasser und Hochleistungsseife von Schmutz befreit. Dieser Prozess macht aus den sonst so luftigen Stoffen eine eher unansehnliche Pampe. Manchmal wundere ich mich beim Entnehmen des Inhalts, dass Abtrocknungstuch und Hemd sich während des Waschgangs nicht zu einem einzigen Stück zusammengeklumpt haben. Doch dem ist nicht so. Die Teile lassen sich wieder einwandfrei trennen und in die Trocknung 77


WC WO

überführen. Mit etwas Know-how behalten die Stoffe gar ihre ursprüngliche Färbung. Doch nach mehrmaligem Waschen nimmt das weisse Hemd selbst bei Gebrauch von speziell entwickelten Weisswaschmitteln eine leichte Grautönung an. Zweifelsohne können Menschen mit einem grossen Zeitaufwand und einem grösseren Bedürfnis nach Ordnung diese Grautöne umgehen. Ich zähle mich selbst aber nicht nur aus Bequemlichkeit zu einer anderen Gattung, sondern verstehe das einheitliche Waschen aller Farben und Stoffe mit 40 Grad als symbolischen politischen Akt. discipline; Pauschalität

WC, das; Auf der Toilette drückt man sich aus: …………………………… ………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………… ………………………………………………………………………………………… ……………………………………………………. Wohnzimmer Werbung, die; [duschkabine] Das Lächeln der Uhr: 10:10. Immer. Müll; Pause; resistance

Werkstatt, die; Früher, als ich noch klein war – so drei, vier Jahre alt – nahm mich mein Vater immer mit in seine Werkstatt: ein kleiner alter Industrieraum in einem Innenhof hinter einem lotterigen Holztor. In der Werkstatt hatte es einen elektrischen Deckenkran, an dem eine Schaukel befestigt war, auf der ich meinen Platz fand und dann hochgezogen wurde. Da die Werkstatt recht hoch war, hing ich dann da so zweieinhalb Meter über dem Boden und war meinem werkelnden Vater aus dem Weg. Die Aussicht war gut, die Lackdünste konzentriert. Keller

Wohnen, das; [esszimmer] Ein Statement. Das Verb bedeutet «seinen ständigen Aufenthalt haben» und kommt aus dem Althochdeutschen, als das Wort auch noch «ausharren» bedeutete. Im Englischen heisst wohnen to live, «leben». Leben und Wohnen. Leben kommt ebenfalls aus dem Althochdeutschen und bedeutete «leben, wohnen, überleben». Die beiden Wörter und ihre 78


WO WU

Bedeutungen kann man nicht trennen. Doch lebt man denn notwendigerweise dort, wo man wohnt? Schreibtisch

Wohnzimmer, das; Im bürgerlichen Wohnzimmer gibt es einen Sessel. Der ist der Thron des Hausherrn. Seine Familie nimmt auf Kissen Platz, denen ein persischer Teppich unterlegt ist. Dort lauschen sie, was der Patriarch zu sagen hat. Es ist seine Welt. Er macht die Politik, er hält die Zügel in der Hand. Bei mir zu Hause ist der Sessel das Reich der Hauskatze. Meist liegt sie faul herum oder geht jagen. Niemand will ihr den Sessel streitig machen, denn die Katze haart in einem unglaublichen Ausmass. Darüber hinaus kann in diesem Wohnzimmer keine hierarchische Stimmung aufkommen, zu gross ist das Chaos der herumliegenden Dinge. Deshalb räume ich auch nie auf – ich möchte keine Vorbereitungen für die Konterrevolution treffen. Nicht dass, wenn ich nach dem Aufräumen nach Hause komme, sich ein Mitbewohner oder eine Mitbewohnerin einen Sessel aufgestellt hat und darin thront. Basta. Balkon Wort, das; [küche] 1. Gesprochene oder geschriebene Buchstabenreihe, der in einer bestimmten Sprache eine bestimmte Bedeutung zugewiesen ist. 2. Menschengegebener Name einer Sache oder eines Dings. Code

Wurzeln, die; [garten] «Die Pflanze lässt sich – sei es physisch oder metaphysisch – von der Welt, die sie beherbergt, nicht trennen. Sie ist die intensivste, die radikalste und paradigmatischste Form des In-der-Welt-Seins. Die Pflanze verkörpert die engste, die elementarste Verbindung, die das Leben zur Welt knüpfen kann. Und auch das Gegenteil trifft zu: Sie ist das klarste Observatorium, um die Welt in ihrer Gesamtheit zu beobachten. Unter Sonne und Wolken, vermengt mit Wasser und Wind, ist ihr Leben eine unendliche kosmische Betrachtung, ohne Trennung von Gegenstand und Substanz; oder anders gesagt, in Akzeptanz aller Nuancen bis hin zur Verschmelzung mit der Welt, bis zum Zusammenfall mit ihrer Substanz. Nie werden wir eine Pflanze verstehen können, solange wir nicht verstanden haben, was die 79


ZE ZU

Welt ist.» Coccia, Emanuele: Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen. München: Carl Hanser Verlag 2018, S. 9 Antiraum

Zeichnung, die; [balkon] 1. «Eine Zeichnung ist nicht die Wiederholung eines visuellen Gedachten; sie ist eine andere, mitunter poetische Realität. […] Visualisierung ist eine grossartige Gemeinsamkeit im interaktiven Handeln aller Menschen. In ihr werden unterschiedliche kulturelle Entwicklungen möglich und wechselseitige Abhängigkeiten unhintergehbar. Zeichnungen sind demnach nie an feste visuelle Regeln oder Codes gebunden. Sie sind Momente des Veränderungsgeschehens.» Fassler, Manfred: Schöne zweite Welt. In: Kulturwissenschaft Nr. 2, 2011 2. “To draw is to be human. Drawing is everywhere. We are surrounded by it—it is sewn into the warp and weft of our lives. […] People draw everywhere in the world; drawing can even be used as a global visual language when verbal communication fails. […] we use it pragmatically to sketch our own maps and plans, but we also use it to dream. […] It is the means by which we can understand and map, decipher, and come to terms with our surroundings as we leave marks, tracks or shadows to mark our passing. Footprints in the snow, breath on the window, vapor trails of a plane across the sky, lines traced by a finger in the sand—we literally draw in and on the material world. Drawing is part of what it means to be human.” Dexter, Emma: Vitamin D – New Perspectives in Drawing. London: Phaidon Press 2005, S. 6 Gestaltung; Strickleiter Zusammenhalt, der; [flur] Herumgewusel. Jeder holt noch was. Jeder erledigt noch schnell was. Die Musik geht an und die Santa Mari la Juaricua erhebt sich. Der Umzug beginnt. Hinaus durch das Tor in Richtung Marktplatz. Alle übernehmen eine Aufgabe. Flyer werden verteilt, auf den mitgebrachten Instrumenten wird die Musik unterstützt, ein Solo hingelegt, gesungen, mit interessierten Personen gesprochen. Voran die Träger der Petition für die Unterschriften und gleich dahinter die Santa Mari la Juaricua. Archipel Zusammenleben, das; [keller] «In der freien Stadt der Zukunft be­ stimmen die Menschen alle Angelegenheiten in Versammlungen 80


ZU ZU

und Räten selbst. Der Parlamentarismus ist Geschichte. In der freien Stadt der Zukunft ist unabhängig von der Herkunft jeder willkommen, der in die Stadt ziehen will, und frei, das gute Leben im Austausch mit allen anderen zu verwirklichen. Aufenthaltsgenehmigungen sind Geschichte. In der freien Stadt der Zukunft ist aller Wohnraum vergesellschaftet und wird in der allgemeinen Selbstverwaltung gepflegt. Privateigentum an Grund und Boden ist Geschichte. In der freien Stadt der Zukunft stellen die Menschen Dinge, die sie brauchen, in kollektiver Produktion selbst her; Überschüsse oder Spezialitäten tauschen sie mit anderen Städten aus. Der nachindustrielle Stadtkapitalismus ist Geschichte. In der freien Stadt der Zukunft haben alle, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht, dieselben Rechte, an der allgemeinen Selbstverwaltung und kollektiven Produktion teilzunehmen. Parteien und Zünfte sind ebenso Geschichte wie die Benachteiligungen des Alltags aufgrund von Herkunft oder Geschlecht. Die freie Stadt der Zukunft ist der Ort, an dem das gute Leben für alle wahr werden kann. Die freie Stadt der Zukunft gehört keiner Nation an.» Boeing, Niels: Von Wegen – Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft. Hamburg: Nautilus 2015, S. 40 Hühner; Ritotop

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Herausgeber*innen: Catherine Walthard, Laura Pregger, Ralf Neubauer Autor*innen: Aaron Hauswirth, Angel Sotelo, Balz Scheidegger, Catherine Walthard, Christian Holliger, Corsin Spinas, Daniela Vollmer, Domenic Emr, Dominik Dober, Fanny Riggenbach, Flavio Duarte, Flurina Brügger, Franziska Schuepbach, Jacques Borel, Jannis Ebinger, Jano Nichele, Jennifer Ruesch, Laura Antonietti, Laura Pregger, Leon von der Eltz, Liam Collins, Linda Buehlmann, Lino Bally, Matthias Böttger, Moritz Praxmarer, Muriel Regenhart, Noemi Scheurer, Noëmi Rahel Siegfried, Oliver Ackermann, Quirin Streuli, Ralf Neubauer, Silvan Rechsteiner, Silvan Waidmann, Sophie Buscetta, Tosca Waeber, Vanessa Gygax, Veronika Kovacs, Willi Moch, Xheni Alushi, Yasmin Emmenegger, Yves Garnier Konzeption: Catherine Walthard, Jacques Borel, Jannis Ebinger, Laura Pregger, Quirin Streuli, Ralf Neubauer, Silvan Rechsteiner Gestaltung: Jacques Borel, Silvan Rechsteiner Redaktion und Lektorat: Ralf Neubauer, Quirin Streuli Dank: Anna Déer, Brigitte Krumhaar, Jessica Huber, Luca Vicente, Pablo Schmid Auflage: 800 Druck: Druckerei Bloch ag, Arlesheim Papier: Munken Lynx Schriften: Georgia Pro, Suisse Int’l, Franklin Gothic © HyperWerk 2018

isbn 978-3-033-06855-1 Institut HyperWerk, Hochschule für Gestaltung und Kunst fhnw Freilager-Platz 1 Postfach ch-4002 Basel mail@hyperwerk.ch www.hyperwerk.ch www.fhnw.ch/hgk/hyperwerk



JAHRESPUBLIKATION 2018


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