Fine Das Weinmagazin 4|2011-Leseprobe

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Frau e n im Wein: There sa Bre u e r

Jürgen Dollase im »Spielweg«

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Seite 44 100 Riesling Auslesen aus 100 Jahren

Seite 82 Das Weingut Emrich-Schönleber

Seite 106 Frauen im Wein: Theresa Breuer

Seite 120 Pieve Santa Restituta

Seite 112 Malbec

Seite 126 Champagne Krug


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I N H A LT Seite 100 Schloss Vollrads

Seite 138 Numanthia

Seite 146 Prestige-­ Champagner

Seite 14 Champagne Jacquesson

Seite 24 Sizilien

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FINE Editorial

Thomas Schröder

14

FINE Champagne

Champagne Jacquesson

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FINE Sizilien

Renaissance einer Region

44

FINE Tasting

100 Riesling Auslesen aus 100 Jahren

58

FINE Schweden

Das Beste fürs Volk: Systembolaget

64

FINE Wein & Speisen

Jürgen Dollase bei Karl-Josef Fuchs

74

FINE Österreich

Blaufränkisch: Ein Ungar in Österreich

82

FINE Nahe

Das Weingut Emrich-Schönleber

92

FINE Reiner Wein

Anne Zielke: Neil Armstrongs Schatten

94

FINE Das Große Dutzend

Opus One

100

FINE Wein und Zeit

Schloss Vollrads

106

FINE Frauen im Wein

Theresa Breuer vom Weingut Georg Breuer

112

FINE Reise

Die Weltkarriere des Malbec

120

FINE Toskana

Die Brunellos von Pieve Santa Restituta

126

FINE Tasting

Champagne Krug

132

FINE Die Pigott Kolumne

Drei mal Elf: Magie oder Zufall?

138

FINE Spanien

Die Bodega Numanthia

146

FINE Champagne Prestige-Champagner

156

FINE Das Bier danach

Bernd Fritz: Trinklieder

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FINE Weihnachtsgeschichte

Der Duft von Lagoa

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FINE Abgang

Ralf Frenzel

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RENAISSANCE EINER REGION Sizilien findet den Anschluss an die großen Weine der Welt »Jeder Ausbruch hat am Ätna seine Spuren hinterlassen, und jede Spur hinterlässt eine andere Charakteristik im Wein.« Text: CARO MAURER MW Fotos: MARC VOLK

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Ganz harmlos liegt er da, trägt oben auf dreitausenddrei­

auf Frank Cornelissens Balkon in Solicchiata als eine feine

hundertfünfzig Metern eine kleine weiße Haube, und

Sandschicht angekommen. Der gebürtige Belgier sieht es

die ­einzigen Lebenszeichen, die er gerade von sich gibt,

gelassen. Er nimmt den Berg, wie er ist: als eine Art Urmasse,

­treiben als graue Schlieren vor dem Blau des Himmels sanft

die seinen Weinen Leben einhaucht, die ihnen eine unver­

davon. Doch der Schein trügt. Der Ätna brodelt. Immer. An

gleichliche Persönlichkeit verleiht, ungezähmt, wild und

­diesem Oktobertag haben die Seismologen in seiner Umge­

spannungsgeladen. »Ultimative Umgebungsidentität« nennt

bung einen Ausschlag von 2,2 auf der Richterskala wahr­

Cornelissen das und hat seinen Spitzenwein aus der dort

genommen, nicht viel, aber dennoch eine Botschaft. Sie ist

heimischen Rebsorte Nerello Mascalese »Magma« getauft.

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Die Schülerin des erfolgreichen Onkels: Unter Anleitung von ­Giusto Occhipinti, dem Mit­besitzer von COS, hat sich ­dessen Nichte Arianna ­Occhipinti mit ihrem malerischen Weingut nördlich von Vittoria in ihren jungen Jahren zu einer viel­versprechenden Figur der sizilianischen Wein­szene entwickelt.

Der Ätna ist eine der reizvollsten Weinregionen Siziliens. Der Vulkan an der Ostküste ist ein Ter­ rain, das herausragende Weinmacher eben erst für sich entdeckt haben. Kaum zehn Jahre ist es her, dass sich Pioniere wie Cornelissen und ­Andrea Franchetti an den Hängen des Berges eingerichtet und dem etwas verstaubten, altmo­ dischen Etna Rosso neues Leben eingehaucht haben. »Der Ätna«, sagt Franchetti heute r­ igoros, »ist das einzig interessante Terroir in Sizilien, der Rest ist zu heiß«. Arianna Occhipinti widerspricht ihm da vehe­ ment: »In Sizilien kann man als Winzer über­ all anfangen. Es ist immer ein Neustart. Wir haben keinen Ruf zu verlieren, wir können nur gewinnen.« Mit praktischer Überzeugungsar­ beit beweist die neunundzwanzigjährige Wein­ macherin, dass auch die Weinregion Vittoria im Süden Siziliens Weine von verführerischer

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Leichtigkeit hervorbringen kann. Mit der Sorte Frappato geht sie so feinfühlig um, dass damit fast schon burgundische Eleganz heraufbe­ schworen wird. Sie hat sich diese Stilistik quasi bei ihrem Onkel Giusto abgeschaut, der, nur wenige Kilometer entfernt, mit seinem Weingut COS den Cerasuolo di Vittoria überhaupt erst auf der Weinlandkarte Siziliens etabliert hat. Im Osten der Ätna, im Süden Vittoria, im Wes­ ten Menfi, von wo aus sich die Familie Planeta mit internationalen Rebsorten als sizilianischer Weinbotschafter in die große Weinwelt aufge­ macht hat. Und mitten im Herzen der Insel Con­ tea di Sclafani, wo die Familie Tasca d’Almerita mit Regaleali ein einzigartiges Vorzeigeweingut erschaffen hat. Hier ist es die Rebsorte Nerello Mascalese, dort der Frappato – und überall auf Sizilien ist es der Nero d’Avola, mit dem Weingü­ ter wie Morgante bei Agrigento jetzt den Beweis

antreten, dass die typischsten aller sizilianischen Rebsorten nicht nur als Fruchtbomben kurzwei­ liges Vergnügen bieten, sondern durchaus auch das Potential zu altern in sich bergen. Selbst Traditionalisten wie Barone Pietro Beneventano aus Siracusa, dessen Familie seit 1734 Wein auf Sizilien macht, lassen sich von der Euphorie anstecken: »Nemoris« heißt sein bezaubernder Spumante, den er neuerdings mit traditioneller Flaschengärung herstellen lässt. Der Aufbruch ist auf ganz Sizilien zu spüren und zu schmecken. Die Voraussetzung für diese Renaissance war der radikale Bruch mit der Vergangenheit. Denn zuletzt war die Insel heruntergekommen zu einer schier unerschöpflichen Quelle von Massenwei­ nen. Mit seinen zweiundzwanzig DOCs (Deno­ minazione di origine controllata) und der einen DOCG Cerasuolo di Vittoria (Denominazione di Origine Controllata e Garantita) auf insgesamt


Der Charme des alten sizilianischen Adels: ­Barone Pietro Beneventano mit einer Flasche seines feinen Spumante Nemoris, auf dem ­Balkon seines historischen Palastes am großen Platz von Siracusa.

einhundertfünfzehntausend Hektar hat Sizilien etwas mehr Rebfläche als ganz Deutschland zusammen und ist mit mehr als einer Milliarde Litern Wein das ergiebigste Anbaugebiet Italiens. Tankerweise wurde lange Zeit der billige sizilia­ nische Überfluss verschifft, um mit Frucht, Kör­ per, Farbe und Alkohol die dünnen Weinchen aus dem kühlen italienischen Norden aufzuputschen. Der überwiegende Rest wurde zu Mostkonzen­ trat verarbeitet oder zu Industriealkohol einge­ dampft. Noch 1997 wurde nur etwa ein Zehntel der Gesamtproduktion in Flaschen gefüllt. Heute sind es immerhin schon zwanzig Prozent. Dies war das traurige Zwischenspiel in der glor­ reichen Geschichte, die mit den Phöniziern im 7. Jahrhundert vor Christus begonnen hatte. Heute noch kann man deren Produktionsstätten und Weinlager auf der kleinen Insel Mozia vor Tra­ pani besuchen – eine Kultstätte, an der Tasca

d’Almerita inzwischen wieder einen pikanten Weißen aus knorrigen alten Grillo-Reben pro­ duziert. Die Römer, die Araber, die Normannen und die Staufer sowie die spanischen Bourbo­ nen – jeder wollte diese fruchtbare Insel erobern und auf ihr Getreide, Gemüse oder Zitrusfrüchte ernten. Und natürlich auch Wein. Stolz zeigt Barone Pietro Beneventano di Mon­ teclimiti in der ehemaligen Schreibstube seiner Ahnen, die heute sein Archiv beherbergt, FrachtQuittungen aus dem Jahr 1804, als der Wein der Familie noch auf einem Dreimaster nach London verschifft wurde. Heute sind der Nero d’Avola, der Syrah oder der feine Spumante aus Chardon­ nay für den ebenso bodenständigen wie weltge­ wandten sizilianischen Adelsmann vor allem eine genussreiche Nebenbeschäftigung – »aus rei­ nem Hedonismus«, sagt er. Den teilt er am liebs­ ten mit Gästen in den Empfangsräumen seines

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Hundert Riesling Auslesen

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aus hundert Jahren Die Riesling-Zeitmaschine Text: Stuart Pigott Fotos: Alex Habermehl

Golden erstrahlt der Inhalt des Weinglases und sieht sehr einladend aus, ja unwiderstehlich. Ich nehme das Glas in die rechte Hand, führe es zur Nase und bin schon beim ersten ­Riechen berauscht. Wie kann mehrere Jahrzehnte alter, vergorener Traubensaft so duften: nach den unterschiedlichsten reifen und getrockneten Früchten, nach vielerlei frisch gepflückten ­Kräutern und nach Blütenhonig? Im Geschmack herrscht ein nerviges Spiel zwischen Süße und Säure, im Hintergrund die zarte Bitterkeit feinster Schokolade – ebenso faszinierend wie der Duft. Und damit ist das Erlebnis noch lange nicht vorbei, weil die Aromen lange am Gaumen haften und dann im Gedächtnis widerhallen. Es handelt sich um eine Riesling Aus­ lese aus dem Rheingau, die durch die Flaschenreife jetzt eine ganz eigene geschmackliche Balance besitzt, jenseits s­ impler Kategorien wie süß und trocken.

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Schöner Anblick für den Weinliebhaber: In Reih und Glied präsentieren sich Flaschen und Gläser bei diesem Jahrhundert-Tasting den Verkostern. Einer der Stars dieser Probe war der 1959-er Steinberg, dem Stuart Pigott noch viele Jahrzehnte prophezeit.

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s wird oft behauptet, Kritik sei viel einfacher zu formulieren als Lob, aber im Weinjourna­ lismus sieht es eher umgekehrt aus. Wir Wein­ journalisten neigen dazu, uns in Lobes­hymnen zu verlieren, weil wir unsere Sehnsucht nach über­ irdischen Weinen auf die Winzer über­tragen, deren Erzeugnisse ihrerseits jedoch den allgemei­ nen physikalische Gewalten sowie den Steuer­ gesetzen unterliegen. Trotzdem bleibe ich dabei, die obenstehenden Zeilen für eine ziemlich rea­ listische Beschreibung einer erstklassigen gereif­ ten Riesling Auslese von einem der besten Erzeu­ ger im Rheingau zu halten. Ich hatte das Glück, solche Weine schon mehrmals zu erleben; doch auch für mich ist ein ­solches Ereignis keinesfalls alltäglich. Die Verkos­ tung »100 Riesling Auslesen aus 100 Jahren«, zu der Fine Das Weinmagazin und die Hessischen Staatsweingüter auf Kloster Eberbach am 9. und 10. September 2011 geladen hatten, war nicht nur eine aufregende Ausnahme, mir war auch sofort klar, dass dies eine besondere Chance wäre, die Entwicklung des deutschen Weins über ein ­ganzes Jahrhundert auf höchster Ebene geschmacklich zu verfolgen. Die Riesling Auslese ist eine besondere Kate­ gorie deutscher edelsüßer Weine, weil solche Gewächse in diesem Land seit mehr als zwei­ hundert Jahren erzeugt werden. Trotz aller Fort- und Rückschritte der Kellerwirtschaft, des Weinbaus, der Wirtschaft, der Politik und des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland reicht dieser rote Faden zurück bis mindestens zu den Weinen des Jahrgangs 1811, als sich die Erzeugung von Weinen dieses Geschmackstypus’ im Rhein­ gau ausbreitete. Das lässt sich in ähnlichem Maß von keiner anderen deutschen Wein-Kategorie

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sagen. Der kraftvolle trockene deutsche Rotwein etwa existierte kaum zwischen 1960 und 1985! Mir war bewusst: Diese Verkostung würde einer Reise in der Riesling-Zeitmaschine gleichen.

Riesling Auslese: eine Einleitung Bevor wir die Art und Weise der Erzeugung von Riesling Auslesen unter die Lupe nehmen, ist es sinnvoll, diese Wein-Kategorie aus der KonsumPerspektive anzuschauen. Sicherlich ­genießen Riesling BAs/TBAs – nach dem Weingesetz die höherwertigen edelsüßen deutschen Weine – nach wie vor ein größeres Ansehen als einfache Riesling Auslesen. Das liegt vor allem an den wesentlich knapperen Erzeugungsmengen der Beeren- und Trockenbeerenauslesen, meist nur wenige hundert halbe Flaschen eines einzelnen Weins. Darüber­ hinaus sind sie wesentlich ­teurer als die Riesling Auslesen, weil der Aufwand beim Selektionieren der Trauben während der Lese meist viel größer

ist (die Sortierung einzelner Beeren statt ganzer und halber Trauben). So ist eine halbe ­Flasche Riesling Auslese der Hessischen Staats­wein­güter aus dem aktuellen Jahrgang für etwa 30 Euro zu haben, während für eine halbe Flasche Riesling TBA aus dem gleichen Haus fast die zehnfache Summe fällig ist. Fazit: Man kommt leichter und günstiger an eine Riesling Auslese als an eine Ries­ ling BA/TBA . Zweifelsohne ist eine gute Riesling BA/TBA geschmacklich viel konzentrierter als eine Riesling Auslese, aber sie ist auch sehr viel süßer und mäch­ tiger im Körper. So spannend es sein kann, eine junge Riesling BA/TBA zu verkosten, so anstren­ gend kann es sein, sie glasweise zu konsumieren, während eine junge Riesling Auslese ziemlich mühelos die Kehle hinunterfließt und dazu auch bekömmlicher ist. Eine edelsüße Riesling Aus­ lese ist übrigens kein Dessertwein im herkömm­ lichen Sinn, weil die meisten Desserts viel zu süß


sind, um mit diesen Weinen gut zu harmonie­ ren. Die Kombination mit Blauschimmelkäse oder Geflügel­leber­gerichten ist deutlich ­stimmiger. Man kann solche Weine einfach anstelle des ­Desserts t­ rinken, wenn nicht ein begabter, wein­ interessierter Koch dazu eigens ein Dessert mit sehr verhaltener Süße kreiert. In mehrerer Hinsicht stellen Riesling Aus­ lesen dabei die relativ leicht zugängliche Abtei­ lung in der Welt des edelsüßen Rieslings dar. Wer einmal das in unserer Gesellschaft immer noch weit verbreitete Vorurteil gegen süße Weine über­ wunden hat, wird an diesen Gewächsen eine große Freude haben. Die Abneigung vieler Wein­trinker gegenüber süßen Weinen hat eindeutig mit der ­deutsche Angst zu tun, diese Süße könne nur künstlich sein, solche Weine müssten zwangsläufig gepanscht sein, möglicherweise auch gesundheits­ schädlich oder gar giftig. Hier begegnen wir den langen, ­düsteren Weinskandal-Schatten vergange­ ner Jahrzehnte, als die deutsche Weinkultur ihren jüngsten Tiefpunkt erreicht hatte. Dabei wird oft vergessen, dass es zu dieser Zeit in Frankreich und in Italien ähnlich heftige Weinskandale gab. Die Süße einer guten Riesling Auslese, so wie aller guten deutschen edelsüßen Weine, ist ganz natürlich, das heißt sie stammt ausschließlich aus der Traube. Sie ist im Wein verblieben, weil die Hefe es nicht schaffte, die komplette Traubensüße in Alkohol (und Kohlendioxid) umzuwandeln, oder weil der Winzer die Gärung mit diesem Ziel unterbrochen hat. Nichts wird hinzugefügt außer wie bei quasi jedem Wein die schwefelige Säure als Konservierungsstoff. Ohne S ­ chwefel könn­ ten diese Weine nicht auf der Flasche r­ eifen. Wie die Verkostung zeigt, können sie sich dabei über viele Jahrzehnte hinweg nicht nur halten, sondern positiv entwickeln. Dabei findet eine wunder­ same geschmackliche Verwandlung statt, und Weine, die am Anfang ihres Lebens vordergrün­ dig süß geschmeckt haben, werden mit der Zeit allmählich herber. Eine gereifte Riesling Auslese ist ein geniale, weil überraschende Begleitung zu Wildgerichten! Die Erzeugung solcher Weine ist für den Win­ zer aufwendig, und es gibt keine Patentlösungen,

die Geld und Arbeit sparen würden. In den meisten Jahren sind nur in den Spitzenlagen die grundlegenden Voraussetzungen für vollreife und gesunde Trauben gegeben, die dann von der Edelfäule (Botrytis cineria) befallen werden. Das setzt allerdings eine sehr gewissenhafte Arbeit im Weinberg während der Monate vor der Wein­ lese voraus. Erst danach kann die Perforierung der Beerenhäute durch den Pilz zu positiven Ergeb­ nissen führen. Dann verdunstet Wasser aus den ­Beeren, sie schrumpfen zu Rosinen, und der ver­ bliebene Saft konzentriert sich entsprechend. Hinzu kommt die enzymatische Oxidation zahl­ reicher Inhaltsstoffe der Beeren, und ihre Farbe wechselt von Goldgelb bis Lila und Braun. Edel­ faule Trauben haben in Geschmack und Aussehen wenig mit reifen, gesunden zu tun. Bei der Lese ist dieser optische Unterschied die wichtigste Grundlage beim ­Selektionieren der Trauben für eine Riesling Auslese (und für BA/TBA). Typischerweise besteht das Ziel ­dieser Arbeit in einem bestimmten Prozentsatz geschrumpfter edelfauler Trauben, was aber keine exakte Wissenschaft ist. Von anderen P ­ ilzen befal­ lene Trauben müssen entfernt werden, weil sie zu geschmacklichen Beeinträchtigungen führen ­können. Durch den Klimawandel ist es in den letzten Jahren wichtig geworden, alle ­Trauben für Riesling Auslesen (und für BA/TBA ) auf

Essigfäule zu prüfen, ein immer häufiger anzu­ treffendes Problem. Der gesetzliche Höchst­gehalt an Essigsäure im Wein liegt ziemlich niedrig, und tatsächlich kann zuviel davon edelsüßen ­Weinen (aber auch schweren Rotweinen) das Genick brechen. Nur in großen Jahrgängen geht die Erzeu­ gung von Riesling Auslesen bei besten klein­ klimatischen Voraussetzungen etwas leichter von der Hand. Genug Feuchtigkeit im Herbst ist auch dafür notwendig, weil sich sonst der Botrytis-­Pilz nicht ausbreiten kann. Selten gibt es AusnahmeJahrgänge wie 1959 oder 2003, in denen die Trauben ohne viel Edelfäule schrumpfen. S ­ olche Weine wirken meist üppiger und geschmeidiger (auch wegen ihres recht niedrigen Säuregehalts) im Vergleich zu »typischen« Auslesen aus stark edelfaulem Lesegut. Keinesfalls nur süß schmeckt eine gelungene Riesling Auslese, trotz des hohen Gehalts an unvergorener Traubensüße, sondern auch erfrischend und belebend. Bei erstklassigen Trauben und sehr sorgfältiger Arbeit im Keller verleiht die Säure dem jungen Wein eine wunder­ bare Brillanz, und die Süße wirkt herrlich aroma­ tisch. Dann sind die analytischen Werte des Weins ziemlich nebensächlich, weil das tänzerische Spiel des Weins einfach begeistert und die Leichtigkeit verblüfft, mit der ein derart konzentrierter Wein daherkommt. Seit dem Inkrafttreten des 1971-er Weinge­ setzes wird die Bezeichnung Riesling Auslese ana­ lytisch definiert. Der Gesetzgeber verlangt einen Mindestzuckergehalt der Trauben bei der Lese, der von Gebiet zu Gebiet etwas unterschiedlich ist. Vor dem Jahrgang 1971 lagen die gesetzlichen Bestimmungen für diese Bezeichnung bei der Art der Trauben, aus denen der Wein entstand, und der Weise, wie sie gelesen wurden. Die führen­ den Erzeuger halten sich nach wie vor an die alte Definition, auch die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach. Analytisch liegen ihre Weine auch immer weit über dem gesetzlichen Mini­ mum. Darüber hinaus wird jeder Jungwein geprüft, ob er tatsächlich dem Geschmackstypus und dem Qualitäts­niveau des Hauses entspricht, bevor er als Riesling Auslese auf den Markt kommt.

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Das Geschenk

Warum ist Champagne Krug etwas Besonderes? Ein guter, ein echter Wein ist etwas in jeder Hinsicht Gewachsenes: ein Gewächs im Wortsinn, ein kulturelles Gut, das Wert­schätzung und Wertsteigerung erfährt. Einzig – im Unterschied zu Industrieweinen, die geschmacklich austauschbar und nach ihren technologischen M ­ ustern reproduzierbar sind. Text: Till Ehrlich Fotos: Johannes Grau

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ie Champagner aus dem Hause Krug in Reims sind so etwas Gewachsenes, eine eigene ­Kultur, die sich in der Champagne in einhundert­achtundsechzig Jahren entwickelt hat und die vollkommen unpragmatisch ist. Diese Gewächse f­ allen aus dem auf Effizienz und Rationalisierung beruhenden wirtschaftlichen H ­ andeln unserer Zeit heraus. Das kam mir bei der denkwürdigen Verkostung von zwölf Jahrgangschampagnern in den Sinn, die Fine Anfang November in Wiesbaden veranstaltet hat. Im Laufe dieses Tastings habe ich vergessen, dass ich Champagner gekostet habe, es war mir egal, weil sich hier eine Dimension zeigte, die darüber hinausging. Kurz, es ging um das Wesen des Weins, das in diesen Champagnern spürbar wurde. Und plötzlich zeigte er sich, der Gott des Weins, geheimnisvoll, rätselhaft, ­erhaben, unfassbar. Neben jeweils zwei Champagnern aus den Krug-Einzellagen Clos du Mesnil und Clos d’Ambonnay wurden fünf Jahrgänge Krug


der Zeit

Vom Edlen das Edelste: Eric Lebel, Chef-Önologe der M ­ aison ­Champagne Krug in Reims, präsentierte Fine die ­Kollektion ­seines Hauses, von der Grande Cuvée über die Lagen-­ Champagner Clos du Mesnil und Clos d’Ambonnay bis zu den kostbarsten F ­ laschen der Krug Collection.

­ intage sowie drei Jahrgänge Krug C V ­ ollection ver­ kostet. Vintage und Collection sind ­beides Jahrgangschampagner, die so komponiert w ­ erden, dass sie den Charakter eines Jahrgangs aus­ drücken. Nicht jeder Jahrgang schafft es, ein Krug ­Vintage zu werden – im 20. Jahrhundert hat Krug nur fünfundzwanzig Jahrgangs­champagner herausgegeben. Den Unterschied von Vintage und C ­ ollection markiert allein die Reife. Für Eric Lebel, den Keller­meister von Champagne Krug, ist die Krug Collection ein Stadium der zweiten Reife, die nur die besten Vintage-Jahrgänge erreichen. Dieser Moment tritt nach etwa zwanzig Jahren ein – die Präsenz eines Krug-Collection-Champagners beginnt also zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Schaumweine längst Vergangenheit sind. Das bedeutet, dass es die Zeit ist, die einen außergewöhnlichen Champagner macht, aber eben nicht allein die in Jahren bemessene chronologische Zeit; vielmehr hat jeder Jahrgang, vegetations- und herstellungsbedingt, seine eigene Zeit. Dies zeigte

sich eindrucksvoll bei der Wiesbadener Verkostung, bei der man den Krug Vintage 1988 mit dem Krug Collection 1989 vergleichen konnte. Dass der ältere Jahrgang 1988 der eigentlich jüngere ist, was sich sensorisch deutlich zeigte, und der tatsächlich jüngere von 1989 in eine andere Dimension der sekundären Reife eingetreten ist, ließ sich sinnlich nachvollziehbar in der geschmacklichen Komplexität wahrnehmen.

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eder Krug Vintage wird aus etwa dreißig verschiedenen Weinen eines Jahrgangs komponiert. Besonderheit ist, dass im Hause Krug diese Grundweine in kleinen gebrauchten Eichen­ fässchen, die jeweils zweihundertfünf Liter ­fassen, ausgebaut werden. Dies wirkt heute, wo auch in der Champagne längst das Zeitalter computergesteuerter Edelstahltanks begonnen hat, zunächst anachronistisch und umständlich. Doch das ist es nicht, denn die Herstellung der Krugschen Jahrgangschampager folgt einer sehr genauen Idee von Reife: Der Champagner soll sich allein durch

handwerkliche Prozesse im Lauf der Zeit veredeln. Zeit bedeutet immer auch Kosten, doch nur so lässt sich das Krugsche Ideal von geschmacklicher Sublimierung erreichen. Der Gründer des Hauses, Johann-Joseph Krug, hat dieses Ideal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt und ganz genau in einem Kellerbuch notiert. Dieses schriftliche Vermächtnis ist bis heute der Kern der Krugschen Philosophie, die von jeder Generation, die in diesem Champagnerhaus die Verantwortung trägt, mit Leben erfüllt werden muss. Die Krug-Champagner fordern dazu heraus, über den Aspekt der ästhetischen Ordnung im Wein nachzudenken. Die Grundweine, die miteinander verschnitten werden, sind nicht bloß Elemente, die als Material verwendet werden in Bezug auf das Ganze, sondern sie sind Weinidentitäten in sich, die mit anderen Weinidentitäten in Auseinandersetzung gelangen und dadurch in Bewegung geraten. Dabei geht es nicht um Verschmelzung, sondern um gegenseitige Belebung. Im beständigen Flirren der feinen Perlen leuchten

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die verschiedenen Aromen eines Krug-Champagners auf und befruchten sich gegenseitig.

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ie Grundlage eines Krug-Champagners ist der Wein. Für den Önologen Eric Lebel beginnt die Kreation des Champagners und das Nachdenken über die stimmigen Proportionen daher beim Kosten der Trauben im Weinberg. Hier entsteht in ihm das Bild des Zusammen­ klingens der verschiedenen Grundweine zu einem Ganzen. So wie die Klangkörper großer Musik­ orchester unverwechselbar und wiedererkennbar sind, so bleibt ein Krug-Champagner bei allem Nuancenreichtum und allen Jahrgangs­ unterschieden ein Krug. Wie lässt sich diese Einheit beschreiben? Man könnte von einer fast intimen Intensität sprechen. Nicht Überwältigung, effektvolle Steigerungsformen, Auf- und Abwallen und Lautstärke kennzeichnen das geschmackliche Erlebnis. Es ist vielmehr eine leise, aber sehr präsente Bewegtheit, eine enorme Komplexität, die mehr

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spürbar als analysierbar ist – ähnlich einer Instrumentationspraxis in der zeitgenössischen Musik, bei der Klangereignisse komponiert werden, die im Zusammenspiel, im Gewebe der Musik nicht heraushörbar, aber fühlbar sind. Auch bei den Krugschen Champagnern fühlt man viel mehr als man einzeln identifizieren, also herausschmecken kann. Man genießt ein Pianissimo und hat doch den Eindruck voller Klangentfaltung, wodurch Fülle und Dauer entsteht – nicht Anton Bruckner, sondern Morton Feldman. Eine subtile Erhabenheit entsteht hier. Sie bedeutet Körperlichkeit und Schwerelosigkeit zugleich. Innerer Spannungsreichtum und die Ruhe seiner Entfaltung.

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an ist perplex und fragt, wie machen die das? Eine Rezeptur gibt es nicht, es wird nicht exakt gerechnet und gemessen im Hause Krug – obwohl es natürlich Maßstäbe, Erfahrungswerte und vor allem akribisch gesammelte Verkostungsnotizen gibt. Ein ganzes Team verkostet und analysiert die Grundweine mehrmals

im Jahr und dokumentiert ihre Entwicklung. Das Ergebnis dieser intensiven Auseinandersetzung ist ein Champagner, der eben nichts einfach nur Zusammengemischtes ist. Pinot Noir trägt zum Körper des Champagners bei, Chardonnay zur Eleganz und Pinot Meunier wirkt sich auf den Charme und die Würze eines Krug aus. Eine Variation dieses Konzepts stellen die beiden großen Einzellagen-Jahrgangschampagner dar: Clos du Mesnil und Clos d’Ambonnay. Hier wird der Zusammenhang einer einzigen Sorte mit ihrem spezifischen Terroir herausgearbeitet. Bei der gerade 1,84 Hektar Reben umfassenden Weinbergsparzelle Clos du Mesnil ist es der Chardonnay, beim 0,68 Hektar kleinen Clos d’Ambonnay der Pinot Noir. Während der Verkostung wurde sehr deutlich, dass diese beiden raren Champagner zu einer Größe heranreifen können, die eine ­weitere Seite des Krugschen ­Ideals von Geschmack und Sublimierung zeigt. Der Genuss großer Weine ist immer auch eine Begegnung mit dem unbekannten Geschmack. Im


Vom Feinen das Feinste: Michael Kammermeier, Chefkoch der Ente in Wiesbaden, komponierte der so hochkarätigen wie geselligen Verkosterrunde ein auf den Champagner abgestimmtes Menü.

glücklichen Fall kann man sich dem Erlebnis mit allen Sinnen öffnen und reflektiert zugleich, um zu einem angemessenen Urteil zu kommen. Man hofft zu verstehen, worum es hier im Besonderen geht, und freut sich, wenn man Neues erfährt über

das Wesen von Wein im Allgemeinen. So erging es mir bei dieser Verkostung. Noch nie gab es so viele gute Weine wie heute, heißt es. Dieser Satz stimmt nur, wenn man ihn auf einfache Weine bezieht, die dank Technologie biochemisch sicherer und standardisierter hergestellt werden. Für Weine von Wert, die Unikate sind und deren Geschmack sich nicht technisch reproduzieren lässt, weil er anderen Gesetzmäßig­keiten unterliegt, gilt das nicht. Zu dieser Liga gehören die Champagner von Krug. Das Besondere ist, dass sie freilich mit Technik hergestellt werden, aber ihr Wesen eben nicht technisch bestimmt ist. Auch das Handwerkliche ihrer Herstellung ist kein Selbstzweck, es dient der Einstellung der inneren Balance dieser Champagner, deren Ausdruck der Geschmack ist, eine stetige Verwandlung bei andauernder Intensität. Bei einem Schluck Krug wird der Alltag transzendiert und Festlichkeit entsteht. Es wird einem jene Zeit geschenkt, die der Champagner in sich bewahrt. Dieses Geschenk gehört zum Wesen des Weins.  >

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Prestige- Cuvées und JahrgangsChristian Göldenboog verkostet dreissig edle Weine aus der Champagne

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Champagner: Man trinkt ihn gut gekühlt, ­zwischen s­ ieben und zwölf Grad. Alles andere würde die Frische, die Schaum­entwicklung, das ­Prickeln der Kohlensäure ­abtöten.

Strahlender Schauplatz der exklusiven Verkostung: Die »Villa im Tal« bei Wiesbaden.

Damen trinken ihn mit Zurückhaltung, in kleinen Schlucken, Gaumen und Geschmacksnerven angespannt. »Champagner: Der Rausch muss die Gäste in dem Augenblick ergreifen, wo die ­Korken springen; man gerät ausser sich«, notierte Gustave Flaubert irgendwo zwischen Blutwurst und Nasenloch in seinem Wörterbuch der Gemeinplätze. Tatsächlich sollte man nicht schon beim Öffnen der Flasche ausser sich geraten, vor allem dann, wenn es sich um Prestige-Cuvées oder Jahrgangschampagner ­handelt, also jene Weine, die die meisten Keller­meister nur in den wirklich ­besten Jahren wie etwa 1996, 1998 oder 2002 herstellen.

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Champagner Fotos: ARNE LANDWEHR und GUIDO BITTNER

ekanntlich stellen Jahrgangschampagner eine große Ausnahme dar: Sie machen nur knapp acht Prozent der Gesamtproduktion aus, denn die grundlegende Konzeption des C ­ hampagners ist der jahrgangslose Brut. Und so ­warten die Keller­meister gespannt auf jedes Jahr, um die aktuellen Grundweine auch auf ihr P ­ otential für einen ­Millésime zu unter­suchen. Freilich geben die meisten unumwunden zu, dass die Arbeit an einer Prestige-­Cuvée im Vergleich zu der am Brut ohne Jahrgang ein entspannendes Highlight darstellt; denn während beim letzteren manchmal bis zu zweihundert Grundweine verschnitten werden müssen, sind es bei den PrestigeCuvées zumeist nur drei bis fünfzehn. Hier geht es nur um die Crème de la Crème; in der Tat komponieren die Keller­meister diese Prestige-Cuvées im Allge­meinen nur aus Grand-Cru-Lagen wie ­Ambonnay, Aÿ, Bouzy, ­Verzenay und Verzy für Pinot Noir und Avize, Chouilly, C ­ ramant, Le Mesnil-­ sur-Oger für Chardonnay. Jeder dieser Crus bringt sehr spezielle, einzig­artige Aromen in die Cuvée: Chouilly etwa zeichnet sich durch ­markante Brioche-­Aromen aus, Mesnil-­sur-Oger durch eine s­ tahlige Mineralität, und die Grundweine aus Aÿ im Marne­tal sind an ihren elegant-­opulenten Noten roter Früchte zu erkennen. Und noch etwas zeichnet diese Grundweine aus und prädestiniert sie für Prestige-Cuvées: ihre Lang­lebig­keit, ihr Potential, sich erst nach zehn, fünfzehn oder mehr J­ ahren von ihrer b ­ esten Seite zu z­ eigen. Daher verlangen diese Cuvées unsere geballte Aufmerksamkeit, nicht nur wegen des Preises – bekanntlich sind Prestige-­Cuvées jene Weine, die man sowohl an ihrer besonderen

Flaschenform als auch am teuren Preisschild erkennt –, sondern weil sie häufig nach der zweiten Gärung in der Flasche acht bis zehn Jahre oder noch länger in den Kreide­kellern der Champagne ruhen – um sich dann im Glas besonders fein, raffiniert und elegant zu präsentieren. Auch dies ist einer der Gründe, warum Jahrgangschampagner und Prestige-Cuvées so ­speziell und einzigartig sind: Im Allgemeinen ist die zweite Gärung in der ­Flasche, die so genannte Prise de Mousse, nach sechs bis acht Wochen abgeschlossen; dabei ­sterben die Hefen ab. Dann setzt ein Vorgang ein, der als Autolyse bezeichnet wird: Dabei gelangen Partikel der sich zersetzenden Hefezellen in den Wein – Partikel, die seine Proteinstruktur stabilisieren. Gleichzeitig entsteht eine Kollektion seltener Aromen, die es tatsächlich nur dann gibt, wenn ein Champagner sehr, sehr lange nach der zweiten Gärung in der F ­ lasche auf seinem Hefedepot verbleibt – um dann exakt und auf den Punkt hin zu einem würdigen Ereignis geöffnet zu werden. Apropos würdiges Ereignis: Die »Villa im Tal« war die Degustations-Location für dieses exklusive Fine Tasting, nur wenige Minuten vor Wiesbaden, eingebettet in die unendliche Taunus-­Ruhe. Bis zu drei­ hundert Gäste können hier ungestört feiern, Hochzeit, Geschäftserfolg oder – Cham­ pagner. Die ambitionierten Geschäfts­führer Bernhard Weber und Erich Jäger taten alles, um die Gäste zu verwöhnen; Küchenchef Markus S ­ eeger überzeugte die Teilnehmer mit einem weltoffenen, österreichisch angehauchten Menü davon, dass diese großen Champagner ein exzellentes Menü vorzüglich begleiten können.

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Champagne Deutz Blanc de Blancs Ein Champagner ganz aus der Chardonnaytraube; im Glas vermisst man allerdings die positiven Eigenschaften dieser Rebsorte. Der Geschmack ist blumig, mit einer – darüber war man sich in der Verkostungsrunde rasch einig – zu hohen Dosage. Ein eher leicht zugänglich gemachter jahrgangsloser Blanc de Blancs also, der den so genannten internationalen Geschmack treffen soll. Oder zumindest das, was einige für den internationalen Geschmack halten.

Champagne Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blancs 2000 Nach den guten Jahrgängen 1996, 1998 und 1999 war 2000 ein schwieriges Jahr: Vorzeitiger Pilzbefall führte dazu, dass eher selten und wenn, dann nur in geringen Quantitäten Jahrgangsweine hergestellt wurden. Dieser Blanc de Blancs ist ein typischer Vertreter. Er ist sehr weinig, seine reifen Noten von weißem Steinobst machten ihn zu einem schönen Begleiter der ­geräucherten Entenbrust auf karamellisierten Cranberrys. Einer der Verkoster wies auf eine leichte Firne hin: ein Zeichen, dass dieser Wein jetzt getrunken werden sollte.

Champagne Ruinart Blanc de Blancs Ein dezenter hellgelber Farbton lässt auf die absolute Vorherrschaft der Chardonnay-Traube schließen, ebenso die floralen Aromen mit einem Zitruston im Abgang. Am Gaumen erfreute vor allem die herzhafte Frische der Säure. Keine Frage, dieser Champagner bereitet Spaß, und so gewann er beim wiederholten Nachverkosten dank seiner kräftigen Struktur die Herzen der Verkoster.

Champagne Veuve Clicquot Cave Privée Vintage 1990 Schon die Farbe ruft Erstaunen hervor, ein dunkles Ockergelb. Ein ausgefallener Wein, mehr als zwanzig Jahre alt, für die Liebhaber reifer Aromen, die an diesem Nachmittag in der Villa im Tal gut vertreten waren. Ungewöhnlich warm war der Sommer des Jahres 1990 in der Champagne, und dies, verbunden mit einer guten Säure, findet sich hier im Glas wieder: getrocknete Früchte, Nüsse, etwas Aprikose.

Champagne Veuve Clicquot Vintage 2002 Blasses Gold mit silbernen Akzenten. In der Nase der zarte Duft von gelbfleischigen F ­ rüchten und Gebäck, im Gaumen gibt sich dieser Wein cremig und fruchtig. Obwohl zu fast siebzig ­Prozent aus Pinot, hält der Chardonnay gut dagegen. Als Aperitif möglich, denn dieser ­2002-er präsentiert sich trotz seiner elf Jahre als eher diskret. Einerseits wird er als zu gefällig ­charakterisiert, eine andere Meinung spricht von seinem enormen Potential. Über Geschmack lässt sich streiten, am schönsten, wenn sich die Gläser dabei zügig leeren.

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Champagne Bollinger Grand Année 2002 »Die Idee der Cuvée Grande Année ist sehr einfach«, so Bollinger-Kellermeister Mathieu Kauffmann: »Ich nehme die besten Trauben, Grands und Premiers Crus, von Bollinger, aber auch hinzugekaufte. Die Grundweine kommen in Fässer. Wir haben dreitausend Zweihundertachtundzwanzig-Liter-Fässer aus dem Burgund, viele über zwanzig Jahre alt. Die endgültige Cuvée besteht aus ungefähr siebzig Prozent Pinot Noir, der Rest ist Chardonnay.« So entsteht also der berühmte Bolly-Goût, der sich freilich bei diesem 2002-er eher zurückhaltend präsentiert: Dezente rote Früchte, die eigentliche Kraft der Pinot-Traube versteckte sich. »Noch«, kommentierte ein Verkoster. Diskretion scheint ein Kennzeichen dieses Jahrgangs zu sein.

Champagne Pommery Cuvée Louise 1998 Thierry Gasco, Kellermeister dieses Hauses und ehemaliger Präsident des französischen Önologenverbandes, ist ein Meister seines Fachs: In den besten Jahren vermählt er die Trauben aus Cramant und Avize (Chardonnay) mit denen aus Aÿ (Pinot) zu dieser Spitzencuvée, die eine sinnliche Hommage an Louise Pommery darstellt. Schließlich war sie es, die im 19. Jahrhundert das Haus zu Weltruhm führte. Die Aromen sind zu Beginn sehr diskret: Hefebrot, Trockenfrüchte, Mandeln. Im Finale verbindet sich die Anmut der Kammermusik mit der Kraft einer Symphonie. Der Genießer trinkt in kleinen Schlucken.

Champagne Billecart Salmon Cuvée Nicolas François Billecart 1998 Auch ein Jahrgang, der sich in guter Verfassung präsentierte. »Ein weiniger Champagner, herzhafte Frucht, Unterholz, gekochte Frucht, harmonisch, rund, elegante Ausgewogenheit, ein sehr guter Essensbegleiter«, so lauteten die lobenden Urteile am Tisch. Sechzig Prozent Pinot Noir, vierzig Prozent Chardonnay – der Pinot macht diesen Wein zu einem Champagner, den man gern zum Essen trinkt.

Dom Pérignon Vintage 2002 Diese Luxus-Cuvée zeigte sich vom ersten Schluck an in Hochform. »Oh, diese Säure!«: Tatsächlich fährt dieser Mönch eine herzhafte Attacke auf den Gaumen. Auch wegen seiner ungewöhnlichen Komposition: Besteht ein Dom Pérignon zumeist je zur Häfte aus Chardonnay und Pinot, überwiegen hier die weißen Trauben. Kandierte Zitrone, intensive Frucht, Mandeln, Säure und eine massive Struktur im Abgang. Ein großer Wein, der viele begeisterte.

Champagne Moët & Chandon Grand Vintage 2002 Moët & Chandon entschloss sich, den Jahrgang 2002 erst nach dem 2003-er in den Handel zu bringen – ein Zugeständnis an die Natur. 2003 war ein sonnenreiches, eher untypisches Champagnerjahr, 2002 brachte dank des unerwartet guten Wetters vor der Ernte extrem gesundes und reifes Traubengut mit viel Säure hervor. Kam also der 2003-er eher barock daher, so präsentiert sich Vintage 2002 dank fast fünfzig Prozent Chardonnay sehr trinkfreudig. Zitrus, weiße Früchte, Struktur – darüber freute sich selbst der gegrillte Atlantiksteinbutt auf dem Teller.

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Abgang

Fine im Fernsehen:

Ohne Nachfrage kein Angebot! s ist, gottlob, kein Geheimnis mehr: Der deutsche Wein in seinen Spitzenqualitäten ist, wie man so sagt, in aller Munde. Nicht nur bei uns wissen Genießer die heimischen Weißen und Roten bester Provenienz zu schätzen. In Top-Restaurants der ganzen Welt zwischen Tokio und New York, Kopenhagen und Kapstadt stehen die besten Rieslinge und Spätburgunder auf den Wein­karten. Und dass in unseren Gourmettempeln vorzugsweise die g­ roßen Deutschen gereicht werden, ist längst keine Ehrensache mehr, sondern folgt den veränderten Vorlieben der erfahrenen Gäste. Aber nicht nur gastro­nomische Nobeladressen huldigen diesem Trend; auch in Szeneläden und Ecklokalen laden unkomplizierte Weine unserer Winzer junge Leute zu Genuss und Trinkspaß ein. Ist denn eine neue Ära angebrochen? Ganz offenbar, denn noch bis in die neunziger Jahre galt deutscher Wein als regelrecht unsexy. Wein überhaupt war eine ernste Angelegenheit, und nur zu hohen Feiertagen und Familienfesten wurde eine Flasche entkorkt – unter großem betulichen Zeremoniell. Erst Ende der dunklen Achtziger wehte, wenn auch noch gelinde, ein frischer Wind durch die Weinberge an Rhein, Mosel, Ahr und Kaiserstuhl und ermutigte Winzer, sich auf die Ausdrucksstärke trockener Weißweine zu besinnen und auf neue Qualität im Keller zu setzen. Aber auch dann noch blieben die F ­ laschen vom badischen Grauburgunder in den Restaurant-Regalen liegen, während die Gäste nach billigem Pinot Grigio aus Italien riefen. Dass derlei kaum noch zu beobachten ist, hat seine guten Gründe: Einmal haben sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten die wachsenden Qualitäts­ ansprüche der Weinfreunde mit Einsicht und Ehrgeiz der Winzer akkordiert, sind, sozusagen, Nachfrage und Angebot aneinander ins Außerordentliche gewachsen. Dann aber fand der aufblühende deutsche Wein auch mediale Beachtung; in gedruckten Publikationen wie im Fernsehen nahm die Öffentlichkeit Notiz von der Renaissance des deutschen Weins. So kann nicht hoch genug der Beitrag von Alfred Biolek eingeschätzt werden, der damals in s­ einen charmanten Koch-Shows bündelweise Lanzen für Riesling, Weißburgunder und heimischen Rotwein brach. Auch der deutsch-französische Kulturkanal »arte« warf sich mit einer oftmals wiederholten Reihe von dreißig Halb­stündern über wichtige Weinregionen und große Weine Deutschlands und Europas in die B ­ resche. Und schließlich brilliert Fine-Kolumnist Stuart Pigott mit s­ einer Wein-Filmfolge »Weinwunder Deutschland« im Bayerischen Rundfunk. Und nun ist auch Fine selber mit eigenen Filmen im Fernsehen. Wie auch nicht: Keine Publikation hat sich in den vergangenen Jahren vehementer und mit mehr Sachverstand in Porträts, Reportagen und großen Verkostungen auf höchstem Vergleichsniveau für das Renommee des deutschen Weins eingesetzt. Mit ebensolcher Kompetenz, gleicher Erzählweise und der für Fine charakteristischen Bildkraft entführen die Filme unter unserem Marken-Label »Fine Das Weinmagazin« alle Weinenthusiasten und Neugierigen in die wunderbare Welt der großen Weine – aus Deutschland, aus der Alten wie der Neuen Welt. Zu sehen sind die ebenso anspruchsvollen wie unterhaltsamen Sendungen auf n-tv: vom 10. Dezember an, jeden Samstag um 18.25 Uhr. Auch dies ist ein Angebot. Von der Nachfrage sind wir überzeugt!

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Foto: Johannes Grau

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www.weinwolf.com

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Wir bedanken uns bei Weinliebhabern, Kunden und Freunden des Hauses.


VON FÜRSTLICHEM RIESLING. VON PRICKELNDER ELEGANZ. VON GESCHMACKLICHER PERFEKTION.

VON METTERNICH. Nur ausgesuchte deutsche Riesling-Trauben sind gut genug für Fürst von Metternich. Vollreif geerntet und mit dem Wissen des Kellermeisters der Domäne Johannisberg versektet, bewahrt sich dieser AusnahmeSekt seinen klarfruchtigen Riesling-Charakter und seine perlende Eleganz. So lässt sich jeder Anlass fürstlich genießen.


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