Fine Das Weinmagazin 3|2013 – Leseprobe

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Deutschland · Österreich · Schweiz ·

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WEI NMAGA ZIN

Stuart Pigott: United States of Riesling

Jürgen Dollase im Belle Epoque

Wein und Zeit: Weinbau in Sachsen

Frauen im Wein: Cathy Corison

Chateau de Beaucastel und die Familie Perrin

Das Weingut Maximin Grünhaus

Tommaso Cavalli und seine Tenuta degli Dei

Ca’ del Bosco und Bellavista

Zu neuem Leben erwacht: Müller-Thurgau D I E

L E G E N D E

P E T R U S


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3/2013

Seite 32 Zu neuem Leben erwacht: Müller-Thurgau

Seite 68 Champagne Krug und die Idee der Grande Cuvée

Seite 86 Österreich versus Bordeaux

Seite 100 Tommaso Cavalli und seine Tenuta degli Dei

Seite 114 Cathy Corison im kalifornischen Napa Valley

Seite 132 Das historische Weingut Maximin Grünhaus


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I N H A LT Seite 44 Château de ­Beaucastel

Seite 74 Roederer Cristal, Jahrgang 2012

Seite 126 Der Weinkeller der BASF

Seite 16 Die Wein-Legende Petrus

Seite 56 Bellavista und Ca’ del Bosco in der Franciacorta

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FINE Editorial

Thomas Schröder

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FINE Bordeaux

Die Wein-Legende Petrus

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FINE Tasting

Petrus-Vertikale 1928 bis 1990

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FINE Tasting

Zu neuem Leben erwacht: Müller-Thurgau

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FINE Rhône

Château de Beaucastel und die Familie Perrin

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FINE Lombardei

Bellavista und Ca’ del Bosco in der Franciacorta

68

FINE Champagne

Champagne Krug und die Idee der Grande Cuvée

74

FINE Tasting

Roederer Cristal 2012: Die Stillweine

78

FINE Wein & Speisen

Jürgen Dollase im Belle Epoque

86

FINE Tasting

Österreich versus Bordeaux

92

FINE Wein und Zeit

Der Weinbau in Sachsen

98

FINE Reiner Wein

Anne Zielke: Das Gender-Problem

100

FINE Toskana

Tommaso Cavalli und seine Tenuta degli Dei

110

FINE Die Pigott Kolumne

United States of Riesling

114

FINE Frauen im Wein

Cathy Corison im kalifornischen Napa Valley

120

FINE Weinwissen

Über Flaschenformate

124

FINE Die schönen Dinge

Reinstes Wasser

126

FINE Weinkeller

Der Wein aus der Ludwigshafener Anilinstraße

132

FINE Mosel

Das historische Weingut Maximin Grünhaus

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FINE Das Bier danach

Bernd Fritz: »Heute ein König«

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FINE Abgang

Ralf Frenzel

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Verehrte Leserin, lieber Leser, Neugier hält die Liebe wach, belehrt uns der notorische Giacomo Casanova – und ja, wir sind neugierig, wir gestehen es ein. Einmal weil wir bei Fine Journalisten sind und wir dem Klischee, Neugier sei das Motivationsaggregat aller ­Kolleginnen und Kollegen der recherchierenden und schreibenden Zunft, gern entsprechen. Zum andern aber, weil wir von einer unstillbaren Liebe zum Wein bewegt werden, die uns nicht ruhen lässt, bevor wir, gewissermaßen, nicht auch der letzten Flasche großen Weins auf den Grund gegangen sind. Dieser leidenschaftlichen Neugier zu frönen, veranstaltet Fine seine Tastings, intime Verkostungen im kleinen Kennerkreis, ausladende Unter­ suchungen mit nicht selten internationaler Besetzung. Und immer geben wir – wie wir hoffen: zu Erbauung und zu Nutzen – unsere Befunde ausführlich, detailliert und in klaren Worten an unsere Leserinnen und Leser weiter. Wenn es am Ende auch immer um dasselbe geht – Qualität, Charakter und womöglich Potential des Weins zu erkennen und zu benennen –, so gibt es doch die unterschiedlichsten Wege, sich dieser Eigenschaften zu versichern: Man kann etwa eine Einzellage in langen Jahrgangs-­Vertikalen auf ihre historische Entwicklung und Konstanz untersuchen – ein solch groß­angelegtes Tasting veranstaltet Fine demnächst mit Rieslingen vom ­Steinberg, der vielleicht bedeutendsten Einzellage der Welt bei ­Kloster Eberbach im Rheingau, eine Verkostung, die mehrere Jahrhunderte Riesling-­Kultur auf den Prüfstand heben und im Dezember-Heft veröffentlicht werden wird. Man kann aber auch einmal einen einzigen Jahrgang breit auffächern wie in der von Walter Eigensatz organisierten spannenden Luzerner Horizontale von 1996, in der in zwei Tagen einhundertvierundvierzig Rotweine des damals als spektakulär geltenden Jahrgangs 1990 aus allen wichtigen Anbaugebieten der Welt verkostet wurden und sich der sichere Eindruck einer die Kontinente überspannenden bemerkenswerten Grundqualität einstellte. Eine Wiederholung dieser Probe heute würde wohl ein differenzierteres Bild ergeben. Als gigantische Horizontale lässt sich auch die alljährliche Primeur-Verkostung vorstellen, zu der sich Journalisten und Händler aus aller Welt in hellen Scharen im Bordelais einfinden – eben auch eine gigantische Marketing-Veranstaltung! Verkostungen haben gelegentlich schon Weltbilder des Wein-Uni­ versums einstürzen lassen – so Steven Spurriers berühmte Pariser Probe von 1976, die, zumindest für die Amerikaner, das Ende der als unerschütterbar

geltenden Herrschaft der Alten (sprich: französischen) über die Neue (sprich: kalifornische) Weinwelt besiegelte. Nur knapp davon kamen einige Bordelaiser Prestigeweine in dem franko-austriakischen Vergleichstasting, das Dirk Notheis in diesem Heft kommentiert. Eine Reihe ausgesuchter österreichischer Roter lag in den Bewertungen der kennerischen Verkostungsrunde so gut wie gleichauf mit den Franzosen, an denen es sich zu messen galt. Nun zählt ja zu den schönsten Ereignissen, wieder ein Vorurteil revidieren zu können. Auch uns war eben dieses hohe Glück beschieden. Wir wollten einmal eine Rebsorte genauer betrachten – und siehe: große Überraschung! Die nicht sonderlich mehr geschätzte Müller-Thurgau-Rebe nämlich verpasste uns und unserem Verkoster Till Ehrlich einen Erkenntnisschock. Durchaus anders als erwartet zeigte sich, dass sie den Winzer, der sie ernst nimmt, mit prachtvollen Weinen belohnen kann. Auch so etwas bringen Verkostungen an den Tag. Eine andere Erkenntnis, ebenfalls der erfreulichen Art, durfte Ulrich Sautter gewinnen, als er mit dem Chef de Cave der Maison Roederer die fünfzehn Vins clairs, die Stillweine, verkostete, deren Assemblage den Cristal 2012 ergeben wird, einen großen Champagner, der die Geduld seiner Liebhaber noch bis 2022 strapazieren wird. Weinproben – horizontal, vertikal, hoch, runter, kreuz und quer: Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Eines freilich bleibt unangetastet – der Klassiker, die Königsdisziplin: der festliche Abend im Kreis hoch­mögender Freunde mit großem Wein und großer Küche. Gerade konnte FINE einer solchen Einladung folgen: Der bei Luzern lebende Unternehmens­berater Klaus J. Hempel hatte in sein herrschaftliches Haus am See geladen und seinen Weinkeller geöffnet. Seine Wein-Soireen, die einmal im Jahr eine kleine illustre Gesellschaft um seine Tafel versammelt, haben stets ebenso illustre Weine wie erinnerungswürdige Menüs zum Gegenstand. Diesmal galt der Abend ganz besonderen Schätzen seines Kellers, achtzehn Jahrgängen Petrus von 1928 bis 1990 – eine so erlebniswie genussreiche Folge bedeutsamer Eindrücke, die, verbunden mit dem einzig­artigen Menü des wunderbaren André Jaeger, mancher Gast wohl unter dem heimlichen Motto »Einmal im Leben ...« absolviert haben mag. Philipp Schwander, der erste Master of Wine der Schweiz, hat dabei die Nerven behalten und für uns die Raritäten beschrieben. Unvergessliche Erlebnisse ... Aber natürlich schätze ich auch die allabendliche Flasche Wein, die ich mit meiner Frau zuhause genieße. Das kann ein großer Wein sein oder eine bescheidenere Flasche: Die Neugier reizt sie allemal – und so bleibt, gottlob, auch die Liebe wach.

Thomas Schröder Chefredakteur

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Petrus »Wir wollen sehr bescheiden und versteckt bleiben«, sagt Elisabeth Joubert, laut Visitenkarte die Ambassadrice, die Botschafterin von Petrus. Es ist Juni, wir gehen an den fast fertig­gestellten neuen Kellergebäuden des Gutes vorbei durch die sattgrünen Reben­reihen. Auch der Neubau ist klassisch und schlicht, man beteiligt sich nicht am Millionen-­Wettbewerb der großen und kleinen Weingüter und ihrer Stararchitekten um den spektakulärsten Entwurf. In der Nachbarschaft liegt der neue Keller von Château Cheval Blanc mit s­ einem begrünten begehbaren Dach in den Weingärten, wie eine riesige Betonschleife, wie ein Schmetterling, aus dem Rebenhimmel herabgeflogen. Nein, Petrus mit seinen elfeinhalb Hektar Rebfläche und einer Jahresproduktion von nur dreißigtausend Flaschen will klein erscheinen, so großartig die Weine auch sein mögen. 16

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und die Schlüssel zum Himmelreich Petrus ist Mythos, Petrus ist Kult und Statussymbol, aber Petrus versteckt sich. Kein Straßen­ schild weist den Weg zu dem legendären Weingut im Pomerol. Es hat keine Internet-Seite, keinen Besucher-­Service, kein prächtiger Bildband illustriert Geschichte und Gegenwart. Die steinerne Petrus-Statue des alten Gutsgebäudes ist verschwunden. Für diesen Wein, einen der teuersten und begehrtesten der Welt, scheint das alles nicht nötig – man ist einzig­artig und voller Understatement. Von Christian Volbracht Fotos Thilo Weimar, Rui Camilo

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eben den neuen Gebäuden sehe ich im Boden die bläuliche Tonerde schimmern, die das Geheimnis der besonderen Qualität dieser Weine ist. Man hat eine Parzelle von etwa einem halben Hektar an der Baustelle gerodet und die oberste Erdschicht abgetragen, um sie nach dem Ende der Bauarbeiten wieder aufschütten und mit jungen Weinstöcken bepflanzen zu können. Anstelle von Cabernet Franc wird dann auch hier Merlot wachsen, die Petrus-Rebsorte schlechthin. Elisabeth Joubert hat mich vor dem Gespräch mit den Weinmachern Vater und Sohn B ­ errouet empfangen: Jean-Claude, der als Oenologe der

Eigentümerfamilie Moueix mehr als ­vierzig Jahrgänge Petrus gekeltert hat, und O ­ livier, in ­dessen Händen seit fünf Jahren die Doppel-­ Verantwortung für Weinberg und Keller liegt. Madame Joubert trägt ein schlichtes schwarzes Kleid, sie hat leicht blau verfärbte Lippen vom Ver­kosten: »Ja, ich trinke so gut wie jeden Tag ­Petrus.« Niemals sagt sie »Château« – warum auch? Ein Schlossgebäude gab es nie, und in den vierziger ­Jahren hatte die damalige Besitzerin Marie-­Louise ­Loubat beschlossen, dass Petrus anders als die großen Güter des Médoc auftreten sollte: Seitdem steht auf den Flaschen-Etiketten

nur noch ­Petrus – ohne Akzent auf dem »e« und ohne C ­ hâteau, obwohl dieser Begriff im ­Bordelais allgemein ein Weingut bezeichnet – sei es nun groß oder klein, prächtig oder bescheiden. Der Partnerschaft von Madame Loubat mit der Wein-Familie Moueix ist es zu verdanken, dass ­Petrus in den Rang der größten Gewächse des Borde­lais aufstieg und sie im Preis schließlich übertraf. Das begann erst 1943, denn auch die Geschichte dieses Weingutes ist untypisch – sein überragender Ruhm wuchs nicht wie bei Latour, Lafite, ­Margaux, Ausone oder Mouton in Jahr­ hunderten, sondern entstand in kaum siebzig

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Zu neuem Leben erwacht

Müller-Thurgau

Der Geschmack von Heimat Müller-Thurgau ist der Grenzgänger unter den weißen Reben, eine Sorte, die lange Zeit missachtet, missbilligt und missbraucht wurde. Größe und Anmut zeigte sie jetzt in der großen Fine-Probe auf Schloss Salem am Bodensee. Sie verkörpert regionales Lebensgefühl und ist zugleich eine Herausforderung für die deutsche Winzeravantgarde. Das Weingut Markgraf von Baden hat das Potential des Müller-Thurgau von Anfang an erkannt und weiterentwickelt. Von Till Ehrlich Fotos Johannes Grau

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Wie sehr ein Winzer vertraut: Zu denen, die stets vom Potential der Müller-Thurgau-Rebe überzeugt waren, zählt Bernhard Prinz von Baden, Chef des Weinguts Markgraf von Baden. Seine Weine geben bis heute wichtige Impulse für die Stilistik der Rebsorte.

Ein Winzer, der die Herausforderungen der Natur annimmt und eine in Verruf geratene Rebsorte neu zu interpretieren wagt – ein solcher Winzer bringt den Weinbau voran.

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ie Faszination des Weins besteht in seiner Vielfalt. Alle Welt spricht von der Handvoll Premiers Crus aus dem Bordelais, die sie meist nur vom Hörensagen kennt, während weltweit Millio­nen Hektoliter oft mediokerster BordeauxWeinchen an den Mann und die Frau gebracht ­werden. Dabei wird übersehen, dass in Deutschlands Weinregionen häufig viel geschmackvollere Weine entstehen – zu günstigeren Preisen, aber leider unterschätzt, wenn nicht gar ignoriert. Zur Kultur des Weins gehört seine Verankerung in einer Region mit ihrer alltäglichen Lebenskultur. Zu diesen Weinen haben die Menschen im Lauf

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der Zeit eine selbstverständliche Liebe entwickelt. Mit ihnen wird gefeiert und getrauert, werden Kinder getauft und Freundschaften besiegelt, sie werden auf Hochzeiten und Totenfeiern getrunken. Sie begleiten Anfang und Ende eines Lebens, Freude und Schmerz. Weine wie etwa der Gamay aus dem Granit­ gebirge des oberen Beaujolais, der Gutedel aus dem alemannischen Markgräferland oder der MüllerThurgau in Süddeutschland, den man in den kühleren Anbaugebieten Frankens und Badens vorfindet, verkörpern das Lebensgefühl ihrer Region. Hier werden sie getrunken und geschätzt, gehören

zum Schoppen, zur alltäglichen Vesper. Die Wahrheit ist, dass das Einfache nicht simpel, das Komplexe nicht kompliziert und das Gute nicht fern sein muss. Die etwa einhundert Jahre alte Rebsorte Müller-­Thurgau ist noch ein Kind des 19. Jahrhunderts. Die ersten Züchtungsversuche an der Königlich Preußischen Lehranstalt für Obst- und Weinbau in Geisenheim werden auf die 1870er Jahre datiert. Sie gehen auf die Züchtungen des Schweizer Botanikers und Önologen Hermann Müller (1850 bis 1927) zurück, gebürtig in der Ortschaft Tägerwilen im Kanton Thurgau. Das Bedürfnis nach dieser neuartigen Rebe entstand in einer Zeit, in der sich der Weinbau in größter Not befand und es schien, als machten alle irdischen Übel – Reblaus, Rebkrankheiten, ertrags­schwache


Rebpflanzen und kalte Jahrgänge – dem Wein wirtschaftlich, weinbaulich und klimatisch den Garaus. Ein großer Teil der deutschen Winzerschaft lebte in Armut und tauschte oft nur zu gern den Weinberg gegen einen Arbeitsplatz in einer der zahlreichen modernen Fabriken ein. Reb­ züchter wie Hermann Müller und Georg Scheu (1879 bis 1949) verliehen dem Weinbau wieder ein wirtschaftliches Fundament, da sie Reben züchteten, die auch in schwierigen, kalten Jahrgängen reif wurden und stabile Erträge lieferten. Dass ein Teil des deutschen Weinbaus nach dem Zweiten Weltkrieg Maß und Mitte verlor und mit der Massen­produktion auch sein Niveau, kann man den Neuzüchtungen Scheurebe oder Müller-­ Thurgau kaum anlasten. Der Winzer bestimmt, wie er die Rebe erzieht und welche Qualität sie hervorbringt. Dass man auch aus den Trauben stark­wüchsiger und frühreifer Reben besondere Weine erzeugen kann, ist kein Geheimnis. Zwei natürliche Bedingungen sind hierzu erforderlich: karger Boden und kühles Klima – beides dämpft die Wüchsigkeit. Die Rebe soll klein bleiben, nicht ihre ganze Kraft in hemmungsloses Wuchern und unend­liche Verzweigungen stecken, sondern in die Trauben, die umso substanzieller werden, je geringer ihre Anzahl ist. Aber auch hier – und das beweisen etwa die Weine des Markgrafen von Baden – geht es darum, Angemessenheit zu wahren: Nicht die konzentrierteste Müller-Thurgau-Traube liefert den feinsten Wein, sondern die mit einer wohlproportionierten Mischung aus Intensität, F ­ rische und Leichtigkeit, die ihn elegant, vielschichtig und säurefrisch interpretiert.

unteren Beaujolais. So verhält es sich auch mit dem freundlichen Gutedel im südbadischen Markgräflerland, einer der am meisten unterschätzten regionalen Weinspezialitäten Deutschlands – und ganz besonders mit dem Müller-Thurgau. Nachdem der Ruf des Müller-Thurgau in den neunziger Jahren gründlich ruiniert war und ­manche Winzer noch den letzten Tropfen aus ihm herausgepresst hatten, war guter Rat teuer. Von ­vielen Verbrauchern wurde er mit »­schlechtem deutschen Wein« und »Zuckerwasser« aus der Literflasche gleichgesetzt. Die Lage war so ­desolat, dass selbst ein neuer Name auf dem Etikett, »­Rivaner«, kein besseres Image brachte. Lang­ wierige Basisarbeit führte schließlich zur Wende: der Wein erneuerte sich ab Mitte der 1990er Jahre in der Stille, an den klimatischen Grenzen des

Weinbaus. Die Pioniere kamen aus Franken und Baden, aber auch aus Sachsen oder von Saale und Unstrut und entwickelten ein neues Geschmacksbild. Im kühlen Klima, das den Müller-Thurgau langsamer reifen lässt, pflanzten sie ihn in gute Lagen mit kargen komplexen Böden. Denn seine höchste Qualität zeigt er dort, wo Klassiker wie Riesling und Burgunder klimatisch versagen.

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us dem einstigen Massenträger wurde ein vinophiles Icon der deutschen Winzer­ avantgarde – ein Geheimtipp für Insider. ­Winzer und Weingüter, die als Wegbereiter diese Erneuerung vorantrieben, sind in Baden Martin ­Waßmer und Bernhard Huber und das Weingut M ­ arkgraf von Baden. In Franken engagieren sich seit Mitte der neunziger Jahre sechzehn Winzer im

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ine Rebe, die in ihrem Wesen und ­Schicksal dem weißen Müller-Thurgau ähnelt, ist der rote Gamay, der in den sandigen N ­ iede­rungen des Bas-Beaujolais sein Wuchern ungehemmt ent­ faltet, was, wenn es auf die Gier eines ­Winzers trifft, zu einer profanen Konstellation gerinnt. Aber in der Höhenluft des nördlichen Haut-­ Beaujolais wird das Wachstum des Gamay ge­zügelt. Dort oben, im rauen, bis zu sechs­hundert Meter hohen Granit­gebirge, reift er auf kargen Böden zu konzen­trierten Weinen mit Potential und Haltbarkeit heran. Freilich ist sein Ruhm im Vergleich zu s­ einen Qualitäten viel zu gering, das verdirbt ihm das hemmungslose Wuchern im

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Von der Rhône in die Welt: Im Assemblageraum von Château de Beaucastel fühlt sich Matthieu Perrin sichtlich wohl. Als Vertriebsleiter für Deutschland, Benelux, Nord- und Osteuropa sowie China ist der Enkel des großen Weinmachers Jacques Perrin viel unterwegs, um die Nachfrage auch an Schätzen wie den 1989er Jeroboams oder Magnums zu befriedigen.

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Château de Beaucastel und die Familie Perrin »Alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, auch die Komposition der Cuvées«

Im Jahr 1936 wurde die Appellation d’Origine Contrôlée Châteauneuf-du-Pape aus der Taufe gehoben und ist damit die älteste staatliche Herkunftsbezeichnung für die Weine Frankreichs. Viele Details der damaligen Regelung sind bis heute nur Spezialisten v­ ertraut: dass beispielsweise dreizehn Rebsorten – acht rote und fünf weiße – für die Herstellung des berühmten Rotweins eingesetzt werden können. Das bedeutendste Gut der Region ist Château de Beaucastel, dessen Wurzeln bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Von Armin Diel Fotos Marco Grundt

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Das Prinzip: Warum die Aufgabe des Remueurs so wichtig ist, veranschaulicht ­dieses hübsche Modell, das sich im Keller des Weinguts Ca’ del Bosco befindet. Nach der Flaschen­gärung stirbt die Hefe, sinkt durch behutsames Rütteln der kopfgestellten ­Flaschen in deren Hals und bildet ein Hefedepot, das später beim Degorgieren entfernt wird.

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und Handarbeit

In der lombardischen Weinregion Franciacorta gedeihen heute perlende und stille Weine von Rang. FINE besuchte die Flaggschiffe der Region, die Weingüter Bellavista und Ca’ del Bosco. Von Till Ehrlich Fotos Thilo Weimar

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Vielleicht sind die Schaumweine in ihrer Spitze der erhabenste Ausdruck der europä­ ischen Weinbaukultur. Hier bezieht sie sich freilich nur auf die traditionelle handwerk­ liche Herstellungsmethode der Gärung in der Flasche, die seit dem 18. Jahrhundert große Schaumweine hervorbringt. Indus­ triell produzierte Schaumweine gehören zur Industrie- und Massenkultur, haben durch­ aus ihre wirtschaftliche Bedeutung, profi­ tieren jedoch vom Ansehen und der glanz­ vollen Aura großer Sekte und Champagner.

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n Italien, wo es natürlich wie überall auf der Welt auch solch großtechnisch produzierten Schaumweine für den Massenmarkt gibt, ent­ stehen seriöse, echte Qualitäten, die Spumanti Me­todo Classico. Ihre schönsten Exemplare können wie alle großen Weine jahrelang reifen, dabei ihren individuellen Geschmack verfeinern, ihr Potential erfüllen und eine Wertsteigerung erfahren. Die bemerkenswertesten unter ihnen haben ihre Heimat in der sanften Hügellandschaft des kleinen Weinbaugebiets Franciacorta in der Lom­ bardei zwischen Bergamo und Brescia, unweit des Lago d’Iseo. Seit den 1980er Jahren entstehen hier feinste Schaumweine, deren Spitzen, wie auch die Verkostung für Fine gezeigt hat, zu den besten der Weinwelt gezählt werden können.

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Der Pionier: Gerade mal neunzehn Jahre alt war Maurizio Zanella, als er auf Ca’ del Bosco seinen ersten Weißwein produzierte. Das Haus im Wald hatte seine Mutter Annamaria Clementi in den sechziger Jahren erworben. Ihr zu Ehren hat er seine eindrucksvollen Jahrgangs-Cuvées benannt. »Wenn ein Wein gelobt wird, denke ich darüber nach, ob man ihn nicht doch besser machen könnte.« 58

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ie führenden Weingüter der Region, Ca’ del Bosco und Bellavista, waren vor vierzig und dreißig Jahren Gründungen, die von Visionen und Pioniergeist getragen waren. Damals war die Francia­corta ein kleines, überwiegend regional bekanntes Weinbaugebiet. Mit Maurizio Zanella, dem Gründer von Ca’ del Bosco, und Vittorio Moretti, dem von Bellavista, waren zwei Unter­ nehmer aus Mailand mit Gespür für die wirtschaft­ liche Potenz und mit Geduld für die Fragilität des Weinbaus angetreten. Darin unterschieden sie sich von zahllosen anderen. Zur Seite s­ tanden ihnen die Önologen Stefano Capelli (Ca’ del Bosco) und ­Mattia Vezzola (Bellavista). Beide sind M ­ eister ihres Fachs und haben, jeder an s­ einem Platz, die Stilistik und Herstellung der Weine in jahr­zehnte­ langer Arbeit aufgebaut und ein erst­klassiges Niveau erreicht, ohne dass der eine den Erfolg des anderen kopiert hätte. Sie zeigen unterschied­ liche Herangehensweisen an den Wein, was sich auch in der Stilistik der perlenden wie der stil­ len Gewächse widerspiegelt. Bei Bellavista ist es


die filigrane energetische Säure, die den K ­ örper des Schaumweins in Leichtigkeit und Schweben zu versetzen scheint und dabei eine tänzelnde ­Eleganz und beeindruckende Finesse erreicht. Bei Ca’ del Bosco entwickelt sich der Geschmack aus einer Weinigkeit heraus, die sich in schwerelose Intensität steigert. Man hat das Gefühl, einem Wein zu begegnen, dessen Frische und Minerali­ tät sich in vollendeter Reife, Eleganz und Kom­ plexität zeigt. Die Franciacorta darf ein glücklicher Land­ strich genannt werden, umschlossen von einer malerischen Hügelkette, die schmelzende Glet­ scher in der Eiszeit geschaffen haben. Wie ein Amphitheater öffnet sich die rebenreiche Land­ schaft zum Lago d’Iseo. Schemenhaft ragen sanfte Felsrücken in den See, dessen Dunst das Rebland in der Nacht kühlt, was den Trauben ­Frische verleiht und den Weinen Lebendigkeit und Delikatesse.

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aurizio Zanella erzählt gern, dass Rebel­ lion sein Impuls gewesen sei, als er sich mit sechzehn Jahren auf den abgeschiedenen Bauern­hof Ca’ del Bosco, das Haus im Wald, in sein »Exil«, wie er es schmunzelnd nennt, zurück­ zog. Seine Mutter Annamaria Clementi, nach der heute einer der eindrucksvollsten Jahrgangs­ schaumweine benannt ist, hatte das Anwesen in den sechziger Jahren erworben. Wo damals Wald war, stehen heute mehr als hundert Hektar Reben. 1969 waren die ersten Weinstöcke entgegen der ­Tradition sehr eng gepflanzt worden, die niedrige Erträge lieferten und so die Grundlage für ein radi­ kales Qualitäts­management legten. Seinen ersten Weißwein produzierte Maurizio Zanella als Teen­ ager drei Jahre später. Die ersten Schaumweine waren 1976 ein Pinot Dosage Zéro und ein Rosé. Zanella wollte aber nicht nur perlende, sondern auch hochkarätige stille Weine erzeugen. So war 1981 sein im Bar­ rique vergorener und ausgebauter Chardonnay der erste große italienische Wein dieser Art. Auch die Rotwein-Cuvée »Maurizio Zanella« aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot war eine Pionierleistung. 1983 folgte der Pinéro, ein reiner Pinot Nero (Pinot Noir), der zwei Jahre im Bar­ rique gereift war. Maurizio Zanella gehörte mit Angelo Gaja und Alois Lageder zu den Erneue­ rern des Spitzenweinbaus in Italien.

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a’ del Bosco ist heute eine Hightech-­Kellerei mit Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach. Doch unten in den kalten Katakomben herrscht eine eigene Zeit. Hier reifen die Schaumweine oft jahrzehntelang auf der Flasche. Technik wird hier unorthodox und innovativ in den Dienst einer schonenden Vinifikation gestellt. Die ­Trauben w ­ erden von Hand gelesen und in spezi­ ellen ­Räumen gekühlt, um Aromen und ­Frische zu

Der Konstrukteur: Mehr als einhundertsechzig Kellereien hat Vittorio Moretti weltweit errichtet. Auf Bellavista hat der Mailänder Unter­nehmer 1977 sein eigenes Weingut geschaffen und, weil die Aussicht so schön ist, die Villa auf dem gleichnamigen Berg zu einem Spa-Hotel ausgebaut. Die ­Top-Cuvée unter seinen Schaumweinen trägt seinen Namen. »Wir wollten zurück zur Handarbeit, den Charakter der Landschaft im Wein herausarbeiten.« F I N E

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Mit grossem Ernst und Feingefühl verfolgt Tommaso Cavalli in der Abgeschiedenheit seiner Tenuta degli Dei bei Panzano zwei ehrgeizige Ziele: rassige Pferde zu züchten und erlesenen Wein zu machen. Von Rainer Schäfer Fotos Thilo Weimar

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urve für Kurve klettert die Chiantigiana von Greve nach ­Panzano, die

toskanische Weinstraße, die von Florenz nach Siena quer durch das

Chianti führt. An das Dorf Panzano schmiegen sich die F ­ lanken der berühmten Lage Conca d’Oro, des Goldhangs, der den Be­wohnern

Wohlstand und Ansehen beschert. Im Halbkreis öffnet er sich nach Süden hin, an den sanft geschwungenen Hügeln ziehen sich die Rebzeilen hinauf, es ist ein Muster, das die Landschaft präzise frisiert. Zur Tenuta degli Dei in Panzano ­führen keine Wegweiser, sie versteckt sich hinter Bäumen, Weiden und Oliven­ hainen. Am besten, man fragt im Dorf nach dem Weg, wo die Alten morgens am Marktplatz sitzen, Espresso trinken und sich gestenreich Neuigkeiten erzählen. Hör zu, sagt einer von ihnen, einfach hinter dem Dorf links abbiegen und hoch­ fahren, immer dem Turm der Pieve di San Leolino nach. Es ist ein holpriger und staubiger Steinweg, der an der Kirche vorbei zur Tenuta führt, die etwas abseits, in einem Seitental liegt. Nach einigen Serpentinen sind Rebzeilen zu sehen und Pferdekoppeln. Die Fahrt endet an einem gusseisernen Tor, das die Tenuta und seine Bewohner, die Familie Cavalli, von der Außenwelt abschirmt.

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an habe mit Absicht auf Wegweiser verzichtet, sagt Tommaso Cavalli, er schätze die Abgeschiedenheit und Ruhe. Er schaut etwas melancholisch aus seinen grün­ blauen Augen. Das mag auch an der Sommergrippe liegen, die ihn gerade plagt. Es sei wie verhext, endlich sei es warm ge­worden, nachdem der Sommer sich nur zaghaft hatte durch­ setzen ­können, und ausgerechnet jetzt habe er sich Fieber ein­gefangen. Der Hausherr wirkt ohnehin nicht wie einer, der alles an sich abprallen lassen kann. Er ist von eher kleiner ­Statur, die Stimme ist leise: Sein ganzes Auftreten will nicht recht zum Namen passen. Tommaso Cavalli ist der älteste Sohn des Floren­tiner Star-Designers Roberto Cavalli, der Exzen­ trik und Extravaganz verkörpert und als Lebensstil praktiziert. Die Unterschiede zwischen den beiden könnten kaum größer sein: Roberto Cavalli trägt mit zweiundsiebzig Jahren immer noch übergroße Brillen und auffällige Mode­kreationen, er ist unüberhörbar und drängt ins Scheinwerferlicht. »Wenn zwanzig Leute mit ihm am Tisch sitzen, dann zieht er die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er ist wie ein Vulkan«, sagt ­Tommaso Cavalli. Der Modeguru, der fünf Kinder von zwei Frauen hat, besitzt ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, da­gegen wirkt sein stiller, nachdenklicher Sohn scheu und intro­vertiert. Manchmal mag sich Roberto Cavalli gewundert haben, warum Tommaso so anders geraten ist als er. »In der Garage stehen ein Porsche und ein Ferrari, nimm einen davon und amüsier dich mit den Mädchen«, das waren gut gemeinte Angebote, die sein Sohn regelmäßig ausschlug. Die Modewelt mit ihren Laufstegen, roten Teppichen und Blitzlichtern war


ihm zu schrill, zu grell, zu oberflächlich. »Ich bin sehr roman­ tisch«, sagt Tommaso Cavalli. Mit achtzehn traf er seine Frau Doroty, gemeinsam leben sie mit den drei Töchtern Ester, Sara und Anna in dem Gutshaus der Tenuta degli Dei aus dem 18. Jahrhundert. Hier gibt es keine Fotografen und gleißen­ den ­Lichter, nur den Sonnenuntergang hinter dem Bauern­ haus, und der ist Sensation genug in diesem verborgenen Tal.

Dynamik und Stille: Im weiten Schwung der Conca d’ Oro, der berühmten Lage des toskanischen Weindorfs Panzano, findet Tommaso Cavalli auf seiner Tenuta degli Dei Ruhe für sich und seine Familie, für seine Pferde und seinen Wein.

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ommaso Cavalli, Jahrgang 1968, lebt seit vierundzwanzig Jahren auf dem Gut, das sein Vater Anfang der siebziger Jahre als Sommerresidenz gekauft hat. Die Tenuta benannte Roberto Cavalli nach einem Schäferhund, der ihm nicht von der Seite wich: Degli Dei bedeute so viel wie zwischen den Göttern, erklärt Tommaso Cavalli. »Es ist ein ­romantischer Name, er hat den Hund sehr geliebt.« Degli Dei ist zur S ­ ignatur geworden für das ganze Gut, für die Weine und die Pferde, die er hier züchtet. Um das Landhaus breiten sich siebzig H ­ ektar Land aus, auf dem die Stallungen und Gehege der Pferde s­ tehen, Wald, Olivenbäume und fast fünf Hektar Reben. T ­ ommaso Cavalli hat hier als Kind und Jugendlicher die Wochenenden und Ferien verbracht, auf den Hügeln hat er reiten gelernt, auf den Pferden, die sein Vater als Hobby ge­halten hat. Inzwischen sei es der wichtigste Platz in ­seinem Leben, ein idealer Rück­ zugsort: »Hier habe ich meine ­ganzen Leidenschaften entwi­ ckelt, hier habe ich meine F ­ amilie gegründet.« Aber bevor er auf der Tenuta degli Dei sesshaft werden konnte, musste er erst einmal Panzano und Italien verlas­ sen, um aus dem mächtigen Schatten seines Vaters zu treten.

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CHRISTIAN GÖLDENBOOG: WIE WEIN GEDEIHT

Foto: Guido Bittner

Eintel, Magnum, Doppelmagnum und Impériale: Beim Anblick von Groß­ formaten solch edler Weine weiten sich dem Liebhaber die Pupillen.

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FOLGE SIEBEN: ÜBER FLASCHENFORMATE

VON QUART

BIS MELCHISEDEK DER FAVORIT HEISST MAGNUM

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atürlich waren die Franzosen die ­Ersten, die sich über Modelle, Formen und Fassungs­vermögen ihrer Weinflaschen Gedan­ ken machten. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Fillette-­Flasche, die in der Region um Anjou im unteren Loire-Tal sehr populär war: Aus prakti­ schen Gründen, denn die Halbflasche M ­ uscadet mit einem Inhalt von fünfunddreißig Zentilitern stellt eine gute Größe für jemanden dar, der abends noch nüchtern ins Bett möchte. Kodi­ fiziert wurden Flaschengrößen in Frankreich erst­ malig am 8. März 1735: Für die Champagne ver­ fügte Louis XV., dass eine Flasche eine »Pinte de Paris« enthalten müsse. Diese alte französische Maßeinheit, sie wurde erst sechzig Jahre ­später durch die Einführung des metrischen ­Systems ersetzt, betrug 952,146 Milliliter. Gleichzeitig legte der König fest, dass es auch halbe (eine ­Chopine) sowie Viertelflaschen (ein D ­ emiard) geben könne, aber auch Doppel-Pinten (ein Quade) oder ­größer. Die Anregung dazu kam aus England: Die höfische Gesellschaft der Insel war berühmt für ihren Wunsch nach sprudeln­ den Großflaschen. Der Begriff Magnum wurde dann auch nach der Einführung des metrischen Systems in England kreiert.

Im Lauf der Zeit pendelte sich das Format einer Normalflasche bei siebzig bis achtzig Zenti­litern ein. Seit 1977 ist die 0,75-Liter-Flasche EU-Norm. Dies ist die perfekte Größe für einen Wein, der auch irgendwann getrunken ­werden will und muss. In kleineren Flaschen setzt die Reife­entwicklung schneller ein, in größeren geht sie langsamer von­ statten. So verwundert es nicht, dass vor allem in drei Weinregionen Frankreichs zügig ­größere Flaschen­formate zum Einsatz kamen: Während im eher traditions­orientierten Burgund die ­Magnum mit ihren anderthalb Litern Fassungsvermögen schon als Höchstes der Trinkgefühle gilt, stellten in der Champagne und im Bordelais bereits im 19. Jahr­hundert die Drei-­Liter-Flaschen eine feste Größe dar. Neben der Doppelmagnum und der ­Jeroboam (vier­einhalb Liter) hat sich im Bordelais als ­fülligstes Objekt der Begierde die ­Impériale etabliert. Doch w ­ erden diese Groß­formate eher selten abgefüllt, nicht zuletzt deshalb, weil für deren Genuss ein großer Kreis von Kennern ein­ geladen werden muss. Michael ­Broadbent etwa, ehe­ ­ maliger Direktor der Weinabteilung des ­Londoner Auktions­hauses Christie’s, verspot­ tete einmal die acht Normalflaschen ­fassende Impériale als spekulatives Handelsobjekt, als

eine Flasche, die nicht gefüllt wird, »um eines Tages auch w ­ ieder geleert zu werden«. In der Tat stellen die Bordeaux-­ Großflaschen, die Grands ­Formats, in denen der Wein über Jahre langsam reift, ein prestigeträchtiges Handels­ gut bei A ­ uktionen dar. Doch habe ich einen guten Bekannten, der ­darauf schwört, dass ein Schluck aus einer dreißig Jahre alten Château Lafite R ­ othschild I­mpériale das S ­ eidigste war, was jemals seinen Gaumen umspülte. Und JeanBaptiste Lecaillon, der als Roederer-­Kellermeister auch ein w ­ achsames Auge auf die Aktivitäten von Château Pichon Longueville Comtesse de Lalande wirft, schwärmt von der Frische, die eine Impériale Pichon C ­ omtesse von 1972 noch nach vierzig Jahren hatte: »Es war ein Erleb­ nis, vor allem, weil der Wein paradigmatisch für einen P ­ auillac d ­ ieser Zeit war: Heller in der Farbe als heute, auch die Frucht war nicht so reif wie heutzutage, sehr weich, samtige Tannine, und dies trotz des pfeffri­gen Cabernets.« Natürlich stellen für einen festiven Munter­macher wie den Champagner sechs Liter nicht das Ende der gläsernen Gigantomanie dar: Wer die FormelEins-Siegerehrungen aus dem Fernsehen kennt,

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Nüchtern und sachlich: Einhundertfünfzig Kunden gehen täglich durch die große Glastür des Klinkerbaus in die Kellerei. Das Schild weist nicht nur BASF-Mitarbeitern den Weg.

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Der Wein aus der

Anilinstrasse Für Joachim Spies, den Leiter des BASF-Weinkellers in Ludwigshafen, ist der Wein ein Lebensziel »Ich will zeigen, dass wir uns mit diesem Kulturgut identifizieren« Von Uwe Kauss Fotos Alex Habermehl

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er Dornfelder hätte es beinahe ver­masselt. Joachim Spies war im Bewerbungsgespräch um eine Stelle als Weinverkäufer im Herbst 1988 gefragt worden: »Wenn Sie einen gebratenen Fisch servieren, welchen Wein würden Sie dazu emp­ fehlen?« Die Frage hatte Dr. ­Wolfgang Schubert gestellt. Er war damals Leiter der Wirtschafts­ betriebe der BASF, zu denen noch heute ein Hotel, mehrere Restaurants, das Gesellschaftshaus und die Weinkellerei gehören. Schubert war das ­Pairing von Speisen und Wein sehr wichtig. »Ich wollte modern und innovativ wirken«, erinnert sich Spies, »und zu dieser Zeit war der Dornfelder neu und in Mode. Ich hörte aber zum e­ rsten Mal in meinem Leben, dass man zu einem Essen einen passenden Wein aussucht.« Spontan a­ ntwortete er: »Ich würde Dornfelder empfehlen.« Die vier Herren am anderen Ende des Tisches fokussier­ ten ihren Blick auf Schubert, denn davon verstan­ den sie auch nicht viel. S ­ chubert gefiel die Antwort nicht, das sah Spies sofort. »Ich versuchte, da her­ auszukommen und schob hinterher: ›­Riesling zum Fisch empfehlen – das kann doch jeder. Man muss Neues probieren. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht.‹ Allerdings hatte ich das noch nie pro­ biert.« Überzeugen konnte Spies ihn nicht. Er rief seine Frau an und sagte: »Birgit, das war’s. Ich hab voll daneben gelegen.« Zwei Monate lang hörte er nichts. Am 2. Januar 1989 klingelte morgens um sieben Uhr das Telefon: »Wir wollen Sie haben.

Wann können Sie anfangen?« Zuhause flossen die Tränen. Nun war klar, dass der Geisenheim-­ Absolvent Joachim Spies das Weingut seiner Eltern nicht mehr weiterführen würde. Sein Vater war bereits in Rente. Das Ende des Weinguts mit achtzehn Hektar Weinbergen in Maikammer war damit besiegelt. Aus dem Pfälzer Winzer, dessen Vorfahren 1854 erstmals Wein pflanzten, wurde zunächst der Verkaufsleiter des Weinfachgeschäfts der BASF. Es befindet sich am Stammsitz des welt­ größten Chemie­konzerns in Ludwigshafen, in der Anilin­straße. 1996 übernahm er die Geschäfts­ führung des heutigen BASF-Weinkellers. Mit rund s­ ieben Millionen Euro Jahresumsatz gehört die Weinhandlung zu den zehn umsatzstärks­ ten in Deutschland. Spies trägt die Verantwor­ tung für rund eine Million Flaschen aus fünfzig Anbauzonen der Welt, die in zwei Stockwerken unter der Erde lagern. Lieferbar sind derzeit etwa zweitausend verschiedene Weine von rund sechs­ hundert Gütern, etwa hundert davon liegen in

seiner Heimat, der Pfalz. Kaufen kann die Weine jeder – nicht nur die BASF-Mitarbeiter – per Katalogbestellung, in der Anilinstraße oder in der Weingalerie in der Ludwigshafener Innenstadt. Der Weinkeller hat einen hervorragenden Ruf in der Branche. 2009 wählte die Jury der Fach­ zeitschrift Weinwirtschaft ihn zum Weinhändler des Jahres. Der ruhige, freundliche und beschei­ dene Joachim Spies trägt eine randlose Brille, spricht sympathisch pfälzisch, direkt und ohne Marketing­floskeln. Im Herzen ist er der Winzer aus Maikammer geblieben, wo er noch immer im Haus seiner Familie wohnt, das 1745 erbaut wurde. Er gehört längst zu den wichtigsten Persönlich­ keiten der deutschen Weinbranche. Die Auszeich­ nung bedeutet dem Sohn einer traditionsreichen Winzerfamilie sehr viel: »Als ich die Wein­kellerei übernommen habe – bis 2012 hieß sie noch so –, wurden wir in der Branche belächelt. Ich hörte öfter, die Weinkellerei sei halt der Spielball von ein paar Vorständen. Daher war es mir enorm wich­ tig, nicht nur kundenorientiert zu arbeiten – die ­Kunden bezahlen schließlich unsere Gehälter –, sondern zu zeigen, dass wir sehr viel mehr für unsere Branche tun. Deswegen bin ich auf d ­ iesen Preis besonders stolz.« Die BASF-Weinkellerei hatte zuvor schon andere Preise gewonnen – etwa den Förderpreis der Vereinigung Pro Riesling für das beste deutsche Riesling-Sortiment. »Der Preis als Weinhändler

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Maximin Grünhaus Bei Carl von Schubert, dem umsichtigen Wahrer, ist das historische Weingut an der Mosel in den besten Händen

= Schon die Römer haben am Grüneberg unweit der ­Mündung der Ruwer in die Mosel Wein gezogen. Im 7. Jahrhundert gelangen Weinberge und Ländereien durch eine Schenkung in den Besitz des Benediktiner­ klosters Sankt Maximin in Trier. Seit vier Generationen nennt die Familie von Schubert den historischen Besitz ihr Eigen – und hat in dieser Zeit den Riesling mit der Bezeichnung Maximin Grünhaus zu Weltruhm gebracht. Von Ulrich Sautter Fotos Christof Herdt

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Benediktinischer Boden, jahrtausendalt: Carl von Schubert, über Probleme des SteilhangWeinbaus promoviert, verbindet auf M ­ aximin Grünhaus mönchische Tradition mit agro­ nomischer und technischer Innovation.

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Bruderberg, Herrenberg, Abtsberg: In seltener Eindeutigkeit formulieren die Lagennamen des Weinguts Maximin Grünhaus ihre Hierar­chie. Doch der Berg, auf dem diese Lagenweine nebeneinander wachsen, trägt auf den Landkarten eine ganz andere Bezeich­ nung: Grüne­berg. Blickt man den Hang hinauf, dann fragt man sich unweigerlich, wie der Berg wohl zu seinem Namen kam. Gewiss, das Laub der Reben strahlt saftig und grün, und dunkelgrüner Wald säumt seinen Rücken. Doch inmitten des Steilhangs zieht auch eine kleine rechteckige Wüstenei den Blick auf sich. Die gerodete Parzelle lässt den Untergrund zum Vorschein kommen, sozusagen das wahre Antlitz des Berges: schroff und grau, von Schiefer und Steingeröll bedeckt – so trocken und unwirtlich, dass selbst nach zwei Jahren B ­ rache höchstens an den Rändern ein paar Halme Unkraut zu sehen sind. Der Grüneberg wird seinen Namen also wohl kaum ­bekommen haben, weil er in überbordender Fülle die Bedingungen für einen Garten Eden schüfe. Das Grün muss aus anderen ­Gründen für erwähnenswert gehalten worden sein: als ausdrückliche Würdigung der Tatsache, dass selbst ein so karger Boden kultivierbar ist – mit jeder Menge menschlicher Erfindungskraft und auch mit Beistand von oben.

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uf letzteren verstanden sich die Benediktiner­ mönche des Klosters Sankt Maximin, die den Weinberg und das zugehörige landwirtschaft­ liche Gut im 7. Jahrhundert vom Frankenkönig ­Dagobert I. geschenkt bekamen. Die nicht minder förderlichen Wirkungen irdischen Erfindergeists gelangten nach der Säkularisation zur Blüte, als die Protestantenfamilie Stumm-­Halberg im Jahr 1882 Besitzer von Schloss Grünhaus und seiner Ländereien geworden war. Carl Friedrich Stumm-­ Halberg, schon bald darauf zum Freiherrn geadelt, installierte eine Turbine am Wasserlauf der Ruwer und elektrifizierte Weingut und Landwirtschaft. Eine eigens errichtete Seilbahn transportierte Stallmist als Dünger in die hoch oben am Berg neu angelegten Rebstücke. Auch sein Schwieger­ sohn Conrad Schubert, auf den der Besitz eine Generation später überging, wirkte im Sinne des technischen Fortschritts. Als Gründer des ­ersten kaiserlichen Eisenbahner-Pionierregiments über­ trug er seine militärischen Kenntnisse auf den Weinbau – und baute eine Art Grubenbahn in die Weinbergswege. Im Jahr 1904 erhob Kaiser ­Wilhelm II. auch ihn in den Adelsstand. Vier Generationen später ist technische Refle­ xion nach wie vor eines der Kennzeichen für die Bewirtschaftung auf Grünhaus. Carl von ­Schubert steht im oberen Teil des Abtsbergs, wo sich über die Reben hinweg ein malerischer Panorama­ blick auf das im Tal liegende Schloss und dessen Nebengebäude ergibt. Doch seine Aufmerksam­ keit gilt in diesem Moment nicht der Aussicht – sein Auge streift über die Gassen zwischen den Rebzeilen. »Als ich Grünhaus übernommen habe, gab es – anders, als man es hier sieht – gar keine Zwischen­begrünung. In den ersten Jahren habe ich immer wieder Experimente durchgeführt. Doch das einschneidende Ereignis war ein Hagelschlag am 11. Mai 2000. Die Folge waren tiefe Furchen

zwischen den Rebzeilen, das ablaufende Wasser hatte jede Menge Feinerde aus dem Hang gespült. Da habe ich mich entschlossen, im gesamten Weinberg zur Zwischenbegrünung überzugehen«.

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ine Maßnahme, die in jedem Klima und für jede Art von Boden und Hangrelief ein stets anderes, doch immer delikates Abwägen erfor­ dert: Hält man die Erde zwischen den Reb­zeilen frei von Gräsern, sei es durch Mähen, Grubbern oder den Einsatz von Herbiziden, brauchen die Reben in trocknen Jahren keinen Wettkampf um das rare Wasser zu bestehen. Lässt man hin­gegen die natürliche Vegetation gewähren, die sich im wachstumsfreundlichen Umfeld der Reben sehr viel schneller einstellt als auf einer Brache, oder sät man eine der handelsüblichen Begrünungs­ mischungen ein, dann ist dies vor allem in feuch­ ten Jahren von Vorteil: Da die Gräser eine Menge Wasser aus dem Boden ziehen, bekommen die Reben nicht so schnell nasse Füße. Auch halten die Wurzeln der Gräser die Feinerde fest und beugen der Erosion vor – selbst wenn einmal ein Unwetter über den Steilhang hinweggehen sollte. Vieles spricht also für die Begrünung, manches aber auch gegen sie. Doch Carl von Schubert, Angehöriger einer Familie von Offizieren, Botschaftern und Staats­ sekretären, würde es nicht einfallen, eine s­ olche Entscheidung aufs Geratewohl zu treffen. Nicht von ungefähr wurde er für eine Arbeit über die »Wirtschaftlichkeit des Weinbaus am Steilhang« promoviert. Und so scheint es ihm ein Ver­ gnügen zu sein, auch seine Überlegungen zur Begrünung noch differenzierter auszuführen: »Ein sehr leistungs­fähiges Gras verbraucht zwei­ tausend Liter Wasser, um ein Kilogramm Trocken­ masse wachsen zu lassen, das wäre für unsere eher trocknen Steillagen eindeutig zu viel. Dazuhin

wurzeln solche Gräser auch noch im selben Tiefen­ horizont wie die Reben. Ich habe mich daher für eine Be­grünung mit den hier natürlich vorkom­ menden Wildkräutern entschieden. Die ent­ziehen dem Boden höchstens vier- oder fünfhundert Liter Wasser pro Kilogramm Trockenmasse, und das vor allem nahe der Oberfläche, wo die Konkurrenz zu den Reben nicht allzu groß ist.« Aber auch damit sind die Reflexionen noch nicht am Ende, und – wie sich zeigt – handelt es sich keinesfalls um Abstraktionen, fern aller sinnlicher Erfahrung: »Die natürlich vorkom­ mende Flora«, fährt Carl von Schubert fort, »hat überdies vor den kommerziellen Mischungen den Vorzug, dass niemals eine einzige Spezies zu stark dominiert. Auch unerwünschte Pflanzen wie etwa die Ackerwinde verdrängen die Wild­ kräuter sehr e­ ffizient. Ich erinnere mich noch leb­ haft an meine Studientage – und an einen Wein­ berg, in dem ich als Praktikant stundenlang nichts anderes tun musste, als Ackerwinden auszu­reißen. ­Diesen Geruch an den Fingern, den werde ich nie vergessen«.

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arl von Schubert besteigt seinen mit Allrad­ antrieb ausgestatteten VW Tiguan und lenkt das Fahrzeug hoch auf dem Bergrücken den Wein­ bergsweg entlang. Dann wirft er seinem Be­gleiter einen prüfenden Blick zu: »Sind Sie bereit für eine kleine Abfahrt einen Stich hinab?« Auf mein Nicken hin fädelt er den Wagen in die Gasse zwi­ schen zwei Rebzeilen ein, und wir hoppeln steil hangabwärts, dem nächsten quer verlaufenden – und aus dieser Perspektive sehr schmal aussehen­ den – Weinbergsweg entgegen. Mit viel Gefühl bremst er am Ende der Rebzeile und nimmt vor­ sichtig die enge Kurve zurück auf den Weg. ­Weiter geht es, bis zu einem halb geöffneten Gatter, mit gutem Augenmaß auch durch dieses hindurch, und

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Abgang

Abbitte F

ür dieses eine Mal sollte diese Kolumne nicht Abgang, sondern Abbitte heißen, denn Abbitte muss ich leisten – einer Rebsorte gegenüber, die ich lange Zeit ignoriert hatte: Müller-Thurgau. Vor einiger Zeit traf ich anlässlich eines Festes den badischen ­Winzer Bernhard Huber. Der hatte zu meiner Überraschung einen Müller-­ Thurgau dabei, und erstaunt wurde mir bewusst, dass Müller-Thurgau aromatische Fülle mit Leichtigkeit verbinden kann und zu unserem Essen wunderbar schmeckte. An diese Begegnung erinnerte ich mich Anfang des Jahres im Gespräch mit Bernhard Prinz von Baden vom Weingut Markgraf von Baden, und bald nahm die Idee einer Müller-ThurgauVerkostung Form an und entwickelte schnell eine gewisse Eigen­dynamik. Nicht nur wegen der durchweg positiven Resonanz der Winzer, die ohne Zögern ihre Weine zur Verfügung stellten, die in ihre Schatzkammern gingen und alte Jahrgänge zum Vorschein brachten: Müller-Thurgau von 1993, 1976, von 1971, sogar von 1929. Da wurde ich auf einmal ­stutzig. Es schien also doch jede Menge heimlicher Liebhaber des Müller-­Thurgau zu geben, die ihm sogar zutrauten, länger als die oft zitierten zwei Jahre genießbar zu sein. Machen wir es kurz: Die Probe Ende Juli auf Schloss Salem mit mehr als dreißig Müller-Thurgau-Weinen aus ganz Deutschland war einfach grandios und äußerst beeindruckend. Ein Müller-Thurgau von 1929 – unvorstellbar, dass dieser knapp fünfundachtzig Jahre alte Wein nicht nur trinkbar war: Er war ein Genuss. Die ganze Bandbreite von Kabinett über trockne Spätlese bis zu Beerenauslese und Eiswein stand bereit und hat uns alle mehr als überrascht. Und ebenso verblüffend war die Überzeugung der Winzer von den Möglichkeiten des Müller-Thurgau. Jeder der anwesenden Weinmacher hat seine eigene Vorstellung von MüllerThurgau, die von einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Sorte zeugt. Eine Tatsache, die sich meiner Meinung nach auch darin zeigte, dass auf der Verkostungsliste ausschließlich Müller-Thurgau – und nicht etwa Rivaner – stand. Deshalb also meine Abbitte an diese Sorte, auf die ich in so beeindruckender Weise wieder aufmerksam gemacht wurde. In Zukunft werde ich wieder neugierig sein, wenn mir irgendwo ein Müller-Thurgau be­gegnet. Ich hoffe, Sie auch. Ralf Frenzel Herausgeber

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DA S

W E I N M AGA Z I N

*Die Ausgabe 2/2009 ist ausverkauft.

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