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Vorwort Geschätzte Leserinnen und Leser, mit so einem Vorwort ist es wie mit allem, was vor dem eigentlichen Ereignis ge­ schehen möchte oder gesagt werden will. Es möchte anregen, neugierig machen, Interesse und Lust auf das Folgende wecken, es möchte inspirieren. So haben wir in den vergangenen Heften immer wieder gerne einen Einblick in die gemein­ same Arbeit am Fachbereich Architektur gegeben. Die Arbeitsatmosphäre im Atelier, die intensive Zusammenarbeit mit den Studierenden und die Freude am Lehren und Lernen sind für uns Basis einer guten Lehre. Umso erfreulicher ist es, wenn nicht nur die Studierenden, sondern auch ihre Familien und Freunde den Wert dieser Arbeit erkennen und schätzen. Und so möchten wir das Vorwort dieser Ausgabe gerne den Eltern eines unserer Absolventen überlassen – indem wir den nachfolgenden Brief wieder­ gegeben, der uns nach dem letzten Semester erreichte:

Lieber Herr Professor Stahl, vielen Dank für den tollen Hinweis, dass meine Frau und ich bei der Bachelor-Präsentation unseres Sohnes Jakob unbedingt dabei sein müssten. Wie Recht Sie hatten! Wir haben seit 4 Jahren das Studium an der Alanus-Hochschule aus dem Norden beobachtet und einen immer mehr motivierten, inspirierten und begeisterten Jakob erleben dürfen. Über die Jahre steigerte sich die Leidenschaft unseres Sohnes. Heute, am Abschlusstag, haben wir fünf Prüfungen erleben dürfen und davon vier Prüfungen und Arbeiten als exzellent empfunden (und eine gute). Die klärenden Fragen und Anmerkungen nach den Prüfungen zeigten das Interesse, die Anerkennung für die Leistung und auch den Stolz der Dozenten. Ganz toller Tag und Abschluss! Die Entwicklung der Studierenden ist absolut bemerkenswert. Ihre Hochschule bzw. Ihr Fachbereich bringt Menschen hervor, die im Rahmen des Studiums zu Persönlichkeiten heranreifen mit einem profunden Fachwissen und einer großen Selbstständigkeit und Souveränität. Auch haben wir das Gefühl, dass der Fachbereich mit unterschiedlichen Dozenten besetzt ist, die sich thematisch ergänzen und ein äußerst harmonisches Team sind. Gerade dieses ist für den Studienerfolg elementar wichtig. Zuletzt möchten wir anmerken, dass alles dieses durch eine echte Nähe zu den Dozenten ermöglicht wird (und dieses respektvoll und auf Augenhöhe), was vermutlich an einer staatlichen Hochschule, mit 300 Studenten und mehr in einem Semester, in dieser Form kaum möglich wäre. Wir waren gerne dabei. Ganz liebe Grüße und alles Gute für Sie, den Fachbereich und die Hochschule ... Johannes & Claudia Krauss

Die Bachelor-Arbeit von Jakob und seinen Freunden wird aus redaktionel­ len Gründen erst im Heft 13 vorgestellt. In dieser Ausgabe finden Sie allerdings wieder eine Zusammenfassung der Studienarbeiten des vergangenen Jahres (2018-19), die für die Vielzahl, die Verschiedenartigkeit der Ergebnisse und unser Anliegen stehen, junge Menschen auf ihrem Weg in das selbst gewünschte Berufsleben zu begleiten und auszubilden. Viel Spaß dabei! Benedikt Stahl, Florian Kluge und Annett Hillebrand (Dekanat)


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Alanusmantel

Die zweite Haut im mag-Atelier 08

Baulücke

Wohnen und Arbeiten in der Bonner Nordstadt

Inhalt

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Messestand

Entwürfe von Messeständen für die Alanus Hochschule 14

Vom Leerraum zum Lebensraum Umnutzungskonzepte von Leerständen 16

Über den Kalker Hallen Urbanes Wohnen 20

1976 revised Eine Schule weiterdenken

Gartenhäuschen Vom Erlebnis des Konstruierens 24

London

Gebäudetypologien der britischen Moderne 28

32

Suddo Neuve

Bauen mit Lehm in Mako, Senegal 38

Rhein Raum Bonn Ideen und Konzepte zur Neugestaltung des Bonner Rheinufers 40

Coherent Existence Six Typologies for Communal Urbanism 42

WerkStadt

Ein städtebauliches Entwicklungskonzept für das Girlitz-Areal in Köln-Vogelsang 46


Alter Schlachthof Von der Brache zum Quartier 50

Mamma

Umnutzung und Sanierung eines alten Tanzsaals in Cronenberg in der Pfalz 54

Das Projekt-Triple Leerstand, Intervention und Smart Recycling Factory im magLAB 58

downsizing zwischen Bäumen

Experimentelle Waldrandbesiedlung der Werkgemeinschaft Hamborn

Kunst im Dialog

Das Gespräch der Künste und Wissenschaften 74

62

Kultur-Pool

Eine nutzergetragene Entwicklung für das ehemalige Schwimmbad in Alt-Hürth 66

Miscanthus

Forschung zu neuen ökologischen Baustoffen 70

Architektur und

Ortswechsel

Zeichenwoche mit vier Künstlerinnen 86

Grüß Gott Wien

Architekturstudierende erkunden Wien 90

Mein und Dein

Die Korrektur der Werte in Architektur und Design 94

Bürger machen Baukultur

Vielfalt, Perspektiven und Rezepte für Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftliches Engagement 96

Schule neu denken Qualifizierungsprozess zur Erweiterung der Freien Waldorfschule Hof 98


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Coherent Existence (Bild) Ausstellung der Bachelor-Thesis von Maximilian Bentler, Johannes Hoffmann und Daryan Raphael Knoblauch im Rahmen von „Cityleaks - Cologne Urban Art Festival“ in der Hüttenstrasse, Köln-Ehrenfeld, September 2019. Willem-Jan Beeren



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Mäntel mit Farbwelten im Inneren Leon Biedermann Florian Mauer


Alanusmantel Die zweite Haut im mag-Atelier I, BA 1. Semester, HS 2018/19, Prof. Benedikt Stahl TEXT Prof. Benedikt Stahl

Die Präsentation der „zweiten Haut“ zum Ende des „mag-Ateliers“ überrascht mit phantasievollen Variationen eines „Alanusmantels“. Da ist zum Beispiel die herrenlose WG-Jacke, die mit ein paar Reparaturen, einer gründlichen Reinigung und kleinen ergänzenden Funktionen zu neuem Leben erweckt wird. Oder die schönen Damenmäntel, die mit kunstvoll aufge­ nähten und gestickten Applikationen einen frischen Anstrich bekommen. Ein bisschen verrückt und dennoch sehr symbolträchtig ist der geteilte Mantel, von innen mit kleinen Geschenkpaketen vollgehängt, trägt er sehr zur Belustigung unseres Winterfestes bei. Spannend ist auch die umfunktionierte BundeswehrWollfilzdecke aus der mit großer handwerklicher Kunstfertigkeit und sehr gekonnt ausgeführten Details ein preisverdächtiger Neubau entsteht. Oder die beiden langen Mäntel, von außen eher unscheinbar und ein bisschen aus der Zeit gefallen, eröffnen sie in ihrem Inneren ganz neue sehr farbige und sinnliche Welten. Wie auch immer: zu jedem Exemplar entstehen kleine Gespräche, die der Frage nachgehen, was dieses Projekt mit Architektur zu tun haben könnte. Die benutzten Begriffe sprechen für sich: Umnutzung, Neunutzung, Neubau, Innen, Aussen, Gestaltungsvielfalt, Farbe, Material, Kosten, Funktion, Entstehungspro­ zess, Ressourcenoptimierung, Individualität, Gemeinschaft, Symbolfunktion, technische Umsetzung, Brauchbarkeit, Haltbarkeit. Lauter Themen, die unsere Architekturarbeit bestimmen. Damit gestaltet sich der Einstieg in das Architek­ turstudium spielerisch und leicht. Wesentlich ist und bleibt immer wieder die Lust darauf, etwas neues, sinnvolles und schönes herstellen zu wollen und am eigenen Tun und dem der Anderen stetig dazu zu lernen. •

Mäntel mit Farbwelten im Inneren (Bild) Leon Biedermann, Florian Mauer


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Der geteilte Mantel (Bild o.l) Etienne Marcello, Timm Bursch Bundes-Eigentum (Bild o.r.) Martin Barmsen Herrenlose WG-Jacke (Bild u.l.) Luis Klocke Damenmantel mit kunstvollen Applikationen (Bild u.r.) Hannah Klein


Bundes Eigentum Martin Barmsen

Herrenlose WG-Jacke Luis Klocke

Damenmantel mit kunstvollen Applikationen Hannah Klein


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Lückenschluss Wohnen und Arbeiten in der Bonner Nordstadt im Technik-Atelier II: Baukonstruktion, BA 2. Semester, FS 2018, Prof. Marek Nowak, Annett Hillebrand TEXT Prof. Marek Nowak

Baulücken sind in den meisten Städten augen­ fällige Beispiele städtebaulicher Defizite. Sie stellen aber auch ein immenses Potenzial der innerstädtischen Entwicklung dar – sei es durch Schließung der Lücke, durch eine aktive architektonische Gestaltung oder durch künst­ lerische Nutzung. Ziel der Entwurfsaufgabe ist die Entwick­ lung eines Gebäudekonzeptes für ein Studen­ tenwohnheim in Aachen-West (Wohnmodule für Studenten), welches inhaltlich, stadträum­ lich und architektonisch menschlichen Bedürf­ nissen junger Studenten gerecht wird.

Nach eingehender Analyse der konkreten­ Wohnsituation von Studenten sowie der spezifischen funktionalen Bedürfnisse eines „Studenten-Cafés“ (Community Space) im Erd­ geschoss sollen die Anforderungen selbständig formuliert und anschließend in Architektur umgesetzt werden. Neben der Darstellung der Nutzung, Funktionalität, Konstruktion und Materialität, soll eine Architektursprache gefunden werden, die natürlich auf die städtebauliche Situation und angrenzende Bebauung reagiert und dem Standort gerecht wird. • Lückenschluss e.V. (Abbilungen l.) Christian Reinecke, Leonie Schwettmann Living Upstairs (Abbildungen r. + Bild r.) Hannah Sylla, Helen von Vöhren



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Alanus Rad (Bild) Florian Plum


Wie könnte ein Messestand aussehen, welcher die Alanus repräsentiert, erleb- und fühlbar macht? Dies war unser Thema zum Start in das zweite Semester. Doch was macht die Alanus aus? Wie lässt sich diese Atmosphäre greifen? Dafür erkundeten wir unsere eigene Umge­ bung, hospitierten bei der Bildhauerei und Eurythmie und interviewten Menschen der Hochschule. Aus diesen Eindrücken heraus ent­ warfen wir ein Stück Alanus, zum Mitnehmen auf die Messen. Ein Objekt, welches Gefühle, Atmosphären und Eindrücke transportiert und ohne Worte von unserer Hochschule erzählt. •

Messestand Entwürfe für Messestände für die Alanus Hochschule im Entwurfs-Atelier II: Grundlagen, BA 2. Semester, FS 2018, Prof. Benedikt Stahl, Ramona Metje TEXT Christian Reinecke


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Leerstandsbörse Vom Leerraum zum Lebensraum – Umnutzungskonzepte von Leerständen im Entwurfsatelier II: Grundlagen, BA 3. Semester, HS 2018/19, Prof. Benedikt Stahl, Annett Hillebrand TEXT Prof. Benedikt Stahl

Morgens mit dem Zug oder der Straßenbahn unterwegs zur Hochschule passiert es: der Blick bleibt einen kleinen Moment lang an einem leerstehenden alten Fabrikgebäude, einem nicht mehr genutzten Bahnhof oder einem kunstvoll errichteten Wasserturm hängen, den eigentlich auch niemand mehr braucht. Vielleicht beflügelt dann die obligatorische Musik in den Ohren die Träume davon, wie man diese vergessenen Gestalten wieder zu neuem Leben erwecken und sogar bewohnbar machen könnte. Das ist der gelungene Einstieg in unser Semesterprojekt, mit dem wir uns genau diesen Themenzusammenhang vor­ genommen haben.


Am Anfang steht die sogenannte Leerstand­ börse. Hier werden die zusammengetragenen Fundstücke gesichtet, sortiert und ausgewählt. Die einzelnen Planerteams kümmern sich um Bestandsaufnahmen, Pläne, Fotos, nehmen Maße und versuchen natürlich auch etwas über die Geschichte des Bauwerks heraus zu bekommen. Wie schon mit anderen Projekten eingeübt, geht es in die Entwurfswerkstatt, in der vor allem die Arbeitsmodelle und Hand-skizzen relativ schnell erste Ideenansätze erkennen lassen. Viele Gespräche und mehrere Zwischenkolloquien führen zu spannenden Ergebnissen, über die so mancher Gast der Abschlusspräsentation staunt. Offensichtlich haben sich die angehenden Architektinnen und Architekten nicht nur mit dem Bauwerk an sich beschäftigt, sondern auch sinnvolle und angebrachte Neunutzungen erfunden, die den Bestand respektieren ohne auf mutige Gestaltungsvorschläge zu verzichten, die mit der Verjüngungskur nötig sind. Für die Bandbreite der Projektpalette seien hier einige Beispiele genannt. Leonard Sen­ holdt etwa, schlägt mit zwei Varianten für ei­ nen Dachgeschossumbau in Berlin ein eher un­ spektakuläres, dafür aber fein durchge­arbeitetes Konzept vor, dass von verschiedenen Arten von Lebensgemeinschaften genutzt werden könnte. Hannah Sylla und Viviane Heidemann nehmen sich die Ergänzung eines stillgelegten Fachwerkhofs am Bodensee vor und machen daraus ein attraktives räumliches Ensemble für ein Kinderhospiz. Schneller erreichbar, vor allem um vor Ort zu recherchieren, sind phantasievolle Szenarien für das Viktoriabad, mit dem sich Birte Schäfer und Elena Hanke befassen oder das eigentlich schon dem Abriss geweihte Gebäude im Kölner Süden von Chris­ tian Reinecke und Jan Tietz, das zumindest mal noch eine Weile lang mit einer kleinen Schauspielschule und weiteren kulturellen oder alternativen Wohnnutzungen ein sehr lebendi­ ger Treffpunkt werden könnte. Insgesamt sind die ausgearbeiteten Projekte vor allem für Studierende des dritten Semesters nicht nur erstaunlich gut durchdacht, sondern auch mit viel Liebe und Begeisterung darge­ stellt und präsentiert. Glückwunsch an dieser Stelle an alle von den beiden betreuenden Dozenten Annett Hillebrand und Benedikt Stahl! •

Lebensentwurf Dachgeschoss (Abbilung l.) Leonard Senholdt Waldseehen – Generationsübergreifendes Hospiz (Abbilung + Bild r.o.) Hannah Sylla, Viviane Heidemann Das Viktoriabad (Abbilung + Bild r.u.) Birte Schäfer, Elena Hanke


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Nutzen, was da ist (Abbilungen) Christian Reinecke, Jan Tietz



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Kalker Hallen Urbanes Wohnen über den Kalker Hallen – Wohnungsbauentwürfe im Kontext eines ehemaligen Industrieareals im Entwurfsatelier IV: Gebäudelehre, BA 4. Semester, Prof. Swen Geiss, Miriam Hamel TEXT Prof. Swen Geiss, Miriam Hamel


Nach einer Dekade der Diskussion um Stadtschrumpfung und demografischen Wandel, wachsen deutsche Städte wieder. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Menschen – ob alt oder jung, hier geboren oder zugezogen, arm oder reich – ziehen wieder in die Städte, zumindest in die, die attraktiv sind und in denen es Arbeit gibt. Vor diesem Hintergrund steigt der Druck auf frei werdende Flächen und deren Potential für Revitalisierung und Umnutzung wird zunehmend geschätzt. Längst gibt es zahl­ reiche gelungene Beispiele, die belegen, dass aus alten Indust­ riearealen lebendige durchmischte Quartiere zum Leben und Arbeiten werden können. Dabei ist Wohnen ein räumliches und soziales Phänomen. Wohnen soll heute preiswert und flächen­ sparend, großzügig und dauerhaft, flexibel und vielfältig, barri­ erefrei und energiesparend, gruppenorientiert und individuell, nutzungsgemischt und architektonisch ansprechend sein. Die Erarbeitung eines, diese komplexen, zum Teil widersprüchlichen Anforderungen reflektierenden, urbanen Wohnprojekts im Kontext eines zu revitalisierenden Industriestand­ orts in Köln Kalk, war das Thema in der Gebäudelehre im Frühjahrssemester 2018. Lernziel war es, die innere Struktur des Entwurfs entlang grundsätzlicher Fragestellungen und Betrachtungsebenen der Gebäudelehre zu entwickeln und im Entwurf zu erarbeiten. Betrachtet wurden dabei Aspekte von Wohnnutzung und Nutzungsmischung, Erschließung, Orientierung, Zonierung, Schichtung des Baukörpers, Wohnungsmix, Typologie der wohnungsintegrierten und wohnungsnahen Freiräume, sowie die innere und äußere Organisation und Position der instal­ lierten Räume. Kontext der Entwurfsaufgabe war das Entwicklungs­areal „Kalker Hallen“. Der ehemalige Produktionsstandort der ­Klöckner-Humboldt-Deutz AG (KHD) in Köln-Kalk bildet heute durch teils ungenutzte Werkshallen und brachliegende Freiflächen ein hohes Potential für eine Revitalisierung des Standortes. Ein für das Areal im Rahmen eines Wekstatt­ verfahrens erarbeitetes Konzept bildet das städtebauliche Rahmenkonzept für die Entwurfsaufgabe. Das Konzept sieht die intensive Bestandsaktivierung und punktuelle Ergänzung durch mehrere Neubauten vor und verfolgt somit die Strategie der Durchmischung unterschied­ licher Nutzungen auf dem Areal. Neben einer neuen weiter­ führenden Schule sind gewerbliche Nutzungen, Wohnen und Kultureinrichtungen vorgesehen, die mit entsprechenden Freiräumen und neuen Aufenthaltsorten die Einbindung in den städtebaulichen Kontext des Stadtteils schaffen. Dabei sollen die unterschiedlichen Nutzungen inhaltlich und räumlich stark verschränkt werden, wodurch Gemeinschaftlichkeit und Urbanität entsteht. Die entstandenen studentischen Entwurfsprojekte reflektie­ ren diese Anforderungen auf sehr unterschiedliche Weise. Das Projekt „Gezeitenkönig“ von Livia Machler, Svea Voelkel und Yunus Saedi schlägt ein großmaßstäbliches Wohnbauprojekt mit vielfältigen Wohnformen, gemeinschaftlichen Flächen und öffentlichen Nutzungen vor. Das Projekt „Trio“ von Hannah Rudolph, Sina Krahe und Ana-Zoe Nebelung reflektiert die städtebauliche Konfiguration von drei in Beziehung stehen­ den Gebäuden und entwickelt dabei drei sehr eigenständige Wohnhäuser. Das Projekt „Sardinenbüchse“ von Veronica Volz und Frederic Hormesch lotet aus, wie schlank und zugleich räumlich reich Wohnungsgrundrisse sein können. •

Gezeitenkönig (Abbilung l.) Livia Machler, Svea Voelkel, Yunus Saedi Sardinenbüchse (Abbilung o.) Veronica Volz, Frederic Hormesch Trio (Abbilung u.) Hannah Rudolph, Sina Krahe, Ana-Zoe Nebelung


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west-perspektive


Gezeitenkรถnig (Abbilungen l.+r.) Livia Machler, Svea Voelkel, Yunus Saedi


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Gartenhäuschen Vom Erlebnis des Konstruierens im Technik-Atelier IV: Bautechnologie BA 4. Semester, FS 2018, Prof. Dr.-Ing. Mathias Wirths, Jano Knopp TEXT Prof. Dr.-Ing. Mathias Wirths

Vom lateinischen Wortstamm ausgehend bedeutet „konstruieren“ nichts anderes als „zusammenbauen“. Die einzelnen Komponenten eines Werkes sollten frei nach dem römischen Baumeister Vitruv in haltbarer, funktionaler und schöner Weise zusammengefügt werden. Um das „Zusammenbauen“ zu erlernen, ist in der Ausbildung von Architektinnen und Architekten eine große Bandbreite an Fähigkeiten zu vermitteln. Letztendlich möchte die oder der Bauherr/in nicht nur ein haltbares, schönes und funktionales Haus, es soll auch bitte zu einem möglichst früh vorhergesagten Preis in einer vorhergesagten Zeit realisiert sein. Diese Anforderungen lassen sich im Studium schwerlich alle gleichzeitig simulieren. Oft ist das „Zusammenbauen“ auch nur ein virtueller Prozess mit Zeichnungen, Computersimulationen und Modellen. In dem hier beschriebenen Projekt „Gartenhäuser“ konnten viele der erwähnten Anforderungen geübt und real erlebt werden. Mit Mitteln des Lehrgebietes Bautechnologie und aus Materialspenden der Firma Knauber standen den studentischen Teams 1.800,- € für Materialien zur Verfügung. Aufgabe war die Planung und Realisierung eines Gartenhauses im Sommersemester 2018. Der Kosten- und Zeitrahmen war damit definiert. Es galt zunächst einen Entwurf anzufertigen, das Einbeziehen von Fachplanern wurde durch die Anforderung eine Solaranlage für die Beleuchtung des Gartenhauses einzubauen simuliert. Im Austausch mit Prof. Dieter Franke (Lehrgebiet für Regenerative Energien an der Hochschule Bonn Rhein Sieg) wurden die Grund­ lagen der Photovoltaik erarbeitet. Der Einsatz neuer ökologischer Baumaterialien wurde durch das Einbringen einer Dämmung aus gehäckseltem Miscanthus (Riesenchinaschilf) berück­ sichtigt. Das Ergebnis dieses Projektes waren auf der einen Seite fünf kreative Garten­ häuser, mit unterschiedlichen bautechnischen und gestalterischen Qualitäten. Darüber hinaus aber bewirkt das eigenhändige Umsetzen der geplanten Idee eine Rückkopplung von Kreativität und Machbarkeit. Auf dem Weg zur Reali­ sierung der Idee wurden vielfach Lösungsansätze in Modellen überprüft und experimentell erprobt. Das Verbinden und Fügen muss nicht an Bildern und Zeichnungen erläutert werden, sondern man ist praktisch gezwungen, schwierige Anschlüsse vor Ort zu „begreifen“. Das Erlebnis „Konstruieren“ zeigt sich damit als ein wichtiger Baustein in der Ausbildung von Architektinnen und Architekten und ergänzt die hohe päda­ gogische Lehrqualität am Fachbereich Architektur der Alanus Hochschule. •

kittó (Bild) Svea Voelkel, Livia Machler, Alexander Duerr, Hannah Rudolph


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303 (Bild) Alexander Feid, Ana-Zoe Nebelung, Leonie Westermann



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London Gebäudetypologien der britischen Moderne im Entwurfsatelier IV: Gebäudetypologie, BA 5. Semester, HS 2018/19, Prof. Swen Geiss TEXT Prof. Swen Geiss

London (Bild) Barbican Centre


London hat viele Namen und noch mehr Gesichter. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Hauptstadt Großbritanniens, Hort der Tradition, Transient City, Metropolis of Towns and Villages, Home of High-Tech and Innovation, Europe’s only Global City, Destination internationaler Migration, Amtssitz von Queen Elisabeth.

Gegründet in römischer Zeit, seit 1066 Hauptstadt des Kö­ nigreichs England, zeitweise des Britischen Weltreichs, hatte die Stadt zu Beginn der Industrialisierung um 1800 bereits 1.000.000 Einwohner. Unter Queen Victoria (1837 – 1901) erlebte die Stadt einen beispielhaften Wachstums- und Konzentrationsprozesses, der sich auch im 20. Jh. bis zum Beginn des 2. Weltkriegs fast un­ eingeschränkt fortsetze. Nach den Einschnitten des (Blitz-)Kriegs und dem nachfolgenden Bauboom der Wiederaufbaujahre, erlebte die Stadt seit Mitte der 1970er Jahre durch De-Industrialisierung eine Stagnationsphase mit deutlich sinkenden Einwohnerzahlen. Hervorgerufen durch die neoliberale Wirtschaftspolitik der kon­ servativen Premierminister Thatcher und Major und des LabourNachfolgers Blair als auch die fortschreitende Globalisierung, erfuhr die Stadt seit den 1990er Jahren neue wirtschaftliche Stärke und kontinuierliches Wachstum bis in die Gegenwart. London hat einerseits deutlich erkennbare Wurzeln in der europäischen Stadtgeschichte, andererseits hat ihre Planungskultur offensichtlich angelsächsische „Eigenarten“. Aus kontinentaler Sicht erscheint die Stadt als eine zuweilen irritierend ungeordnete Stadtcollage. Andererseits war und ist die Stadt an vielen Stellen Experimentierfeld der manchmal etwas eigenwilligen britischen Moderne, die in London einen ersten Höhepunkt im Wiederauf­ bau von 1945 – 1975 erlebte und differenziert durch Postmoder­ ne und Hightech bis in die Gegenwart von Bedeutung ist. Das bauliche Erbe der vorgenannten Zeit erfuhr in den letzten Jahren mannigfaltige Reflektion und eine wahrnehmbare Neubewertung. Dazu gesellte sich eine spezifische Kultur der Adaption und Trans­ formation des baulichen Erbes. Diese zeigt sich in Vielzahl von Anbauten, Umbauten und Umnutzungen von Bestands­gebäuden, seien diese viktorianisch, vormodern oder modern. Die spezifischen und hervorstechenden Bau- und Nutzungs­ typologien, die insbesondere in London durch die britische Moderne bis in die Gegenwart entwickelt wurden und werden, waren Thema und Gegenstand des Moduls Gebäudetypologie im Herbstsemester 2018. Ziel des Seminars war es, sich gemeinsam dem großen Feld der modernen Architektur Londons und den darin erkennbaren Themen- und Entwicklungslinien zu nähern, um ein breiteres Wissen und typologisches Verständnis, der dort vorhandenen ur­ banen und suburbanen Bau- und Nutzungstypologien zu erlangen. Aufgrund der Fülle der Beispiele kann dieses Unterfangen aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Auch deshalb wird im Rahmen des Lehrmoduls Gebäude­ typologie bewusst auf eine entwerferische Aufgabe zu Gunsten des Studierens, Recherchierens, Analysierens und Dokumentierens von gebauten Beispielen verzichtet. Insofern gilt es, die zahlreichen Beispiele und das mannigfaltige jüngere Architekturerbe von Lon­ don seit 1945 engagiert zu erforschen. Dabei interessieren Klas­ siker und weniger Bekanntes der Britischen Moderne ebenso wie aktuelle Beispiele der Adaption und Transformation von jüngerem und älterem baulichem Erbe dieser eigenartigen Stadt. Anhand einer prägnanten Sammlung typischer Architekturen der britischen Moderne soll das Seminar den Studierenden die Methodik vergleichender (Gebäude-)typologischer Betrachtung erschließen. Die Studierenden sollen dazu befähigt werden eine größere Anzahl thematisch verwandter Beispiele einer Nutzungsund Bautypologie differenziert und zugleich vergleichend-abstra­ hierend zu betrachten und mittels unterschiedlicher Analyse­ kategorien & -werkzeuge vertiefend zu erfassen, einzuordnen und in Bezug zu setzen. •


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London (Bild l.+r.) Barbican Centre



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1976 revised DFGS - eine Schule weiterdenken im Entwurfsatelier IV: Gebäudetypologie, BA 5. + 7.Semester, HS 2018/19, Prof. Swen Geiss TEXT Prof. Swen Geiss


BRUT.NAISSANCE (Abbildung l.) Jakob Kraus, Alexander Jerosch-Herold, Micha Kretschmann Dieter-Forte-Gesamtschule (Bild r.) Düsseldorf Eller

Im Technik-Atelier im Bachelor Architektur geht es um die Grundlagen der technischen Gebäudeausrüstung und des ener­ giesparenden Bauens. Im Verlauf der Semesterarbeit werden die Zusammenhänge von Körperphysiologie, Behaglichkeit und Raumkomfort, Grundlagen des energieeffizienten Bauens, Struktur und Grundbegriffe der Energiesparverordnung, Grundlagen der technischen Gebäudeausrüstung, installierte Räume als Teile des Gebäudeorganismus, Prinzipien der Lei­ tungsführung und der Leitungsdimensionierung erörtert und erarbeitet. Diese Inhalte wurden anhand eines Entwurfs- und Konst­ ruktionsprojekts im Bestand unmittelbar angewendet. Dabei waren unterschiedliche Ideen und Lösungsansätze für die Auf­ gabe anhand von Referenzbeispielen alternativ zu entwickeln. Anhand der Entwurfs- und Konstruktionsprojekte wurden prinzipielle Strategien des energieeffizienten Bauens und der technischen Gebäudeinstallation erarbeitet, die grundlegenden Anforderungen des Wärmeschutzes, der Wärmeversorgung und der Lüftung ebenso wie der elektrischen und der sanitären Ge­ bäudeinstallation planerisch und gestalterisch integriert. Hierzu wurde ein Gebäudeteil baukonstruktiv und gebäudetechnisch detailliert. In der Bearbeitung stand das unmittelbare Erkunden und Integrieren im Mittelunkt der Bearbeitung. Dazu waren baukünstlerische Ideen und technisch-konstruktive Bindungen parallel zu betrachten und in eine konsistente, ganzheitliche Lösung zu überführen. Kontext des Studienprojekts war die Landeshauptstadt Düs­ seldorf, die bedingt durch deutlich wachsende Schülerzahlen (+ 6.400 Schüler in 2020 gegenüber 2015) ein umfangreiches Schulbauprogramm (~700 Mio.) auf den Weg gebracht hat. Neben dringend erforderlichem zusätzlichen Schulraum (+500 Unterrichtsräume), wurde die Erneuerung und Weiterentwick­ lung bestehender Schulbauten als wesentlich erachtet. Vor die­ sem Hintergrund wurde das Schulbauamt der Stadt Düsseldorf Kooperationspartner in dem am FB Architektur der Alanus Hochschule angedockten Forschungsprojekt Puls+, das sich der Weiterbildung im Bereich der Schulraumgestaltung widmet. Aus dieser Kooperation entstand die Idee zum Studienprojekt „1976 revised … DFGS - eine Schule weiterdenken?“. Gegenstand des Seminars war der Gebäudekomplex der Dieter-Forte-Gesamtschule in Düsseldorf-Eller. Als erster neu errichteter Gesamtschulbau der Landeshauptstadt, war das Ge­ bäude ein Vorzeigeprojekt der sozialliberalen Bildungsreform. Als neun zügige Gesamtschule bis zur mittleren Reife ge­ startet und ab 1998 als sechs zügige Gesamtschule inkl. Abitur ausgelegt, beinhaltete der Gebäudekomplex eine Stadtteilbiblio­ thek, ein Stadtteilbad, eine Mensa und mehrere Sporthallen. Angelehnt an amerikanische Vorbilder, wurde die Schule in Clustern strukturiert und wies in der Ursprungsform großzügi­ ge Kommunikationszonen im Inneren sowie Außenterrassen in

“Die Welt,

allen Obergeschossen auf. Unterbrochen von einer fünfjährigen Asbest-Sanierung (1989-94) ist das Gebäude inzwischen im 42. Betriebsjahr und wird in Teilbereichen (u.a. Energiezentrale und Sportumkleiden) modernisiert. Ein ganzheitliches Konzept zur zeitgemäßen baulichen Weiter-Entwicklung der Schule liegt aber noch nicht vor. Anders als in ihren Anfängen, als die Schule für päd­ agogische und gesellschaftliche Innovation stand, spiegelt der Schulalltag heute eher gesellschaftliche Segregation und Benachteiligung wider. Die überwiegende Mehrheit der Schüler hat Migrationshintergrund und stammt überwiegend aus den ärmeren und benachteiligten Stadtteilen der Landeshauptstadt. Der Großbau der DFGS ist offensichtlich Kind seiner Zeit. Angetreten mit vielen Versprechungen, sind der eman­ zipatorische Geist des Gebäudes und der ihm innewohnende Technikoptimismus immer noch deutlich erkennbar. Baulich und vielleicht auch inhaltlich erneuerungsbedürftig, stellt das Gebäude zahlreiche Fragen nach seiner Herkunft ebenso wie nach seiner Zukunft. Diesen Fragen widmeten sich die Studierenden und be­ schäftigten sich dabei insbesondere mit dem Wechselverhältnis von inhaltlich-räumlicher und baukonstruktiv-technischer Konzeption. Dies betraf u.a. die ursprüngliche Raumkonzeption und aktuelle Nutzung, frühere und aktuelle Ideen zu Lernland­ schaften, Raumkonzeption, Baurecht und Sicherheit, Veränder­ barkeit und Anpassbarkeit, technisch-konstruktive Systeme von Tragwerk, Fassade, Versorgungskernen, räumlichem und technischem Ausbau, Tageslicht und Kunstlicht, Temperierung, Lüftung und Heizung, kontinuierliche Erneuerung und Bau­ unterhaltung. Hierzu galt es zunächst, das in hohem Maße systemisch gedachte Gebäude gemeinsam zu begreifen. Zudem galt es, Handlungsfelder und mögliche Teilprojekte innerhalb des Gebäudes zu definieren, um darauf aufbauend das Gebäude zeitgemäß neu und weiter zu denken. Gerade weil es für den Umgang mit derartigen Großgebäu­ den nur begrenzt „Vorbilder“ gibt, erschien ein eher freies Stu­ dienprojekt angemessen, um Wege im Umgang mit derartigen Gebäuden zu ergründen und alternativ zu diskutieren.

in der man aufwächst,

wird zum Maßstab für die ganze Welt.“


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Neue Wege fĂźr die DFGS (Abbildung l.+u.r.) Paula Ohm, Percy-Bodo von Oheim Loup, Timo Margaritidis, Svea Voelkel DFGS A bis X (Abbildung o.r.) Ben Dittmann, Alisa Giesler, Ines Gartlinger



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RAUM #SOS Brutalismus (Abbildung + Bilder l.) Die Erschließungsachsen entstehen durch die Struktur der Machler, Leonie Westermann Schule, die Livia einen Bezug zu Gebäudeteil B zieht. Die Erschließung besteht aus einer Alexander DürrHauptachse, die sich durch die gesamte Länge des Schulgebäudes zieht. In der Hauptachse orientieren sichSe über 3 Etagen 4 Treppenhäuser, 4 Blau Pau (Abbildung r.) Schächte, 2 Aufzüge und Sanitäranlagen für die gesamte Veronica Volz, Yunus Saedi Schülerschaft. Die Nebenachsen fließen durch die Hauptachsen mit der Frederic Hormesch Orientierung zu Gebäudeteil B in die jeweiligen Fach und Lernbereiche. Des weiteren gibt es 2 Treppenhäuser, die den Gemeinschaftsbereich (Bibliothek, Aula, und Sprachlabor) einrahmen. Um die Verbindung zu dem Gebäudeteil B auch im 1. OG. und zum Pausenhof zu ermöglichen, erstrecken sich Stege und kunstvolle Außentreppen zwischen Gebäudeteil A und B. 6



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»Our current built environment exists in a technosphere in our society, physically disparate from the natural environment. It is a „throughput“ system, in that it mostly extracts the inorganic, non-biodegradable, and other materials from the land, materials that are then fabricated, transported, used in construction and afterwards thrown away. We need to regard all used items from our built environment no longer as objects with no value but rather as having reusable and recyclable value, to be made useful again within our human technosphere.« (Schröpfer, T., & Christiaanse, K. (2016). Dense + Green. S. 277: Innova­ tive building types for sustainable urban architecture. Basel: Birkhäuser.)


Suddo Neuve Bauen mit Lehm in Mako, Senegal im Technik-Atelier V: TGA, BA 6. Semester, Prof. Swen Geiss TEXT Micha Kretschmann

Betrachten wir Architektur als gebautes Bildnis unserer Gesellschaft und werfen als angehende Architekten und Architektinnen einen Blick darauf, was diese Gesellschaft heute und in Zukunft mehrheitlich prägen wird, so steht außer Frage, dass der Umgang mit unserer natürlichen Umwelt eine der dominanten Herausforderungen bilden wird. Thomas Schröpfer, Schriftsteller und Forscher an der Technischen Universität Singapur schreibt dazu weiterführend: „The built environment must in effect be transformed into constructed ecosystems, working as active constituents of nature. Environmental integration in a sys­ temic way is the key defining function of eco-architecture (...)“. Auf der Suche nach Möglichkeiten, eben dieser ökologischen Qualifizierung von Architektur nachzukommen, befasste sich unser Studiensemester im Rahmen des Moduls Technischer Ausbau + Energieeffizientes Entwerfen auf eigenen Wunsch und mit tatkräftiger Unterstützung des Fachbereichs - federführend Prof. Dipl.-Ing. Swen Geiss - im Frühjahr 2018 vertiefend mit dem Thema „Bauen mit Lehm“, einer Urform des nachhaltigen Bauens. In dem zweiteilig gestalteten Seminar standen zunächst folgende Themen im Vordergrund einer einleitenden Recherche: - Materialeigenschaften des globalen und zugleich lokalen Baustoffs Lehm, - materialgerechte, traditionelle wie zeitgemäße Konstruktionen im Lehmbau, - beispielhafte Architektur- und Bauprojekte vorwiegend der Gegenwart.

Diese Inhalte wurden durch die teilnehmenden Studie­ renden im Rahmen von Vorträgen zu Fachbüchern und publizierten / gebauten Referenzprojekten gemeinschaftlich erarbeitet und gegenseitig referiert. Darauffolgend galt es, diese Erkenntnisse in einen Entwurfs- und Detailarbeit in einer selbst zu wählenden Baufragestellung anzuwenden und konstruktivtechnisch zu vertiefen. Den Rahmen für die entwerferische Auseinandersetzung bildete die von mehreren Studierenden des Fachbereichs bereits begonnene Planung eines exemplarischen Wohn- und Gewerbebaus in Lehmbauweise ihm Zuge ihres Engagements in der sich rasant urbanisierenden Gemeinde Mako im Osten des Senegals. Da zum derzeitigen Zeitpunkt der genaue Standort und Nutzungsmix dieses Bauwerks noch nicht feststand, entwi­ ckelten die Studierenden in acht Teams jeweils vier Varianten für mögliche Wohnhäuser sowie einer LKW-Raststätte, mit Stellplätzen, Waschmöglichkeiten, einem Restaurant und klei­ neren Einkaufsmöglichkeiten. Die Ergebnisse des Seminars wurden abschließend in einer gemeinsamen Dokumentation zusammengeführt und stehen dem Fachbereich als eine Art Nachschlagewerk mit den Schwerpunkten: 1. Internationale Referenzgebäude, 2. Suddo Neuve - prototypische Wohnbauten aus Lehm und 3. Resto Mako - LKW-Raststätte in Lehmbauweise zur Verfügung. Drei Studierende des Fachbereichs (Alexander Dürr, Jakob Krauss, Micha Kretschmann) haben das Thema Bauen mit Lehm weitergehend vertieft, ihre Zusammenarbeit mit der Gemeinde Mako ausgebaut und beginnen im August 2019 mit dem Ausbau einer Baulücke an der zentral im Dorf gelegenen Route National 7. Insgesamt drei Wohnungseinheiten sollen ergänzt durch eine straßenseitig gelegene Gewerbefläche in Lehmbauweise errichtet werden. Hierbei steht neben der Kooperation mit lokalen Handwerkern sowie der Ausbildung zweier junger Praktikanten aus der Dorfgemeinschaft insbeson­ dere die Verwendung traditioneller Bauweisen, Materialien und Gestaltungsprinzipien im Vordergrund. So soll ein Bauwerk entstehen, das auf den Fundamenten des vernakularen Wissens­ schatzes aufbaut, diesen entsprechend der neu erwachsenen Bedürfnisse adaptiert und sich als mögliches Vorbild einer authentischen Moderne in die Reihe städtischer Bauten in Mako stellt. •


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Rhein Raum Bonn Ideen und Konzepte zur Neugestaltung des Bonner Rheinufers BA 4. Semester, BA, MA ,Prof. Benedikt Stahl TEXT Prof. Benedikt Stahl

Die Stadt Bonn und der Rhein. Ein schwieriges, vor allem aber ausgesprochen vernachlässigtes Verhältnis, das auch wir nicht so ohne weiteres lösen werden. Wir können allerdings versuchen, mit Studienprojekten und Ideen darauf aufmerksam machen und probieren, Lösungsansätze zu entwickeln. Gleich mehrere Module und Veranstaltungen haben sich im vergange­ nen Jahr damit befasst. Zunächst eine möglichst gründliche Analyse. Fahrrad-aus­ flüge, Spaziergänge mit Skizzen und Fotoaufnahmen vor Ort, Interviews, Gespräche, das Studium der Karten und Bestands­ pläne, Recherchen in den Archiven und das Zusammentragen aller dieser Fundstücke, schaffen eine gute Grundlage, auf die sich aufbauen lässt. Schnell wird klar, dass die schlechte Erreichbarkeit des Rheins aus der Stadt heraus ein wesentliches Problem ist, für das Lösungen gesucht werden müssen. Natür­ lich ist auch die „Rheinpromenade“ selbst – soweit man denn davon überhaupt sprechen kann – sehr verstaubt. Mancherorts würde man sich nicht wundern, wenn gleich der alte Adenauer um die Ecke böge.

Die Entwurfswerkstatt. Im Laufe der unzähligen Gesprä­ che mit Zeichnungen, Arbeitsmodellen und ersten Ideenan­ sätzen kristallisieren sich eine ganze Reihe verschiedenartiger Aufgabenschwerpunkte heraus, die ein Semester lang intensiv behandelt und ausgearbeitet werden. Spannend daran sind nicht nur die unterschiedlichen Betrachtungsorte, sondern vor allem die verschiedenartigen Herangehensweisen. Geben sich die einen mehr objektbetont, suchen die anderen vor allem nach übergeordneten Strukturen und tauchen tief in die Geschichte der Stadt ein, die sich schnell als prall gefüllte Fundgrube er­ weist. Die dabei entstandenen Entwurfsprojekte und BachelorArbeiten sind so überzeugend, dass wir uns entschließen, einen weiteren Bearbeitungsteil anzuhängen und die Ergebnisse in der Öffentlichkeit zu zeigen. Daraus wird die Ausstellung „Rhein Raum Bonn“, die wir zum Ende des Studienjahres im kleinen Planungspavillon des Forum Stadt Bau Kultur Bonn eröffnen. Inspiriert durch schöne Vorbilder von Ausstellungskonzepten der Architekturbiennale in Venedig liegt der Fokus darauf, zu reduzieren und das We­


sentliche zu zeigen, zugleich aber so eingängige und attraktive Bilder und Stimmungen zu erzeugen, dass das Gesehene oder Erlebte in Erinnerung bleibt und die Träume von Bonn am Rhein belebt. Neulich bin ich mal wieder durch die Stadt spaziert und habe mir vorgestellt, wie schön es doch wäre, wenn der Weg von der Schlosskirche entlang des imposanten Ostflügels über den unsäglichen Straßenübergang am Koblenzer Tor weiter Richtung Rhein etwas von der Qualität hätte, die Ruben Tsan­ garis und Anil Algan mit ihrem Entwurf für diesen Abschnitt vorgeschlagen haben. Eine attraktiv gestaltete Verbindung mit Vorrang für Fußgänger und Radfahrer, vorbei am hoffentlich renovierten Lenné-Haus, führt hinaus auf die imposante, weit in die Rheinpromenade auskragende Plattform. Mir gefällt die Aussicht zum Riesengebirge und über den spannenden Trep­ penturm gelange ich auf die neue Promenade. Hier haben Lucia Fritschi und Felicia Riegel inzwischen einen Teil ihrer Ideen umgesetzt und mit ihren unaufgeregten, zeitlosen und einladenden Gestaltungsvorschlägen außer mir noch eine ganze Menge weiterer Rheinbesucher angelockt. Es gibt keine Straße mehr mit Bordsteinkanten, alle parkenden Autos sind verschwunden (ja, alle), großzügige Wege angelegt, neues Mobiliar aufgestellt und sogar das kleine Café im Gewöl­ be der alten Rampe hat gerade eröffnet. Der Rheinpavillon weiter flussaufwärts ist ebenfalls saniert und hat neben seinen neuen gastronomischen Angeboten die „Einbuchbibliothek“ von Jakob Krauss, Alexander JeroschHerold und Micha Kretschmann übernommen. Mit ihrer Arbeit „Komposition 73“ hatten die drei, die sich inzwischen ganz professionell „Atelier JAM“ nennen, schon im Rhein Raum Bonn für Aufsehen gesorgt. Ein von ihnen verfasstes sehr schö­ nes Buch, Modelle und viele Spaziergänge am Rhein setzen den damit begonnenen Austausch über weitere Perspektiven für das Bonner Rheinufer fort. In unmittelbarer Nähe davon steht dann eine „BONNBOX“ von Inés Gartlinger und Alisa Giesler. Da kann ich ein Rhein­ Bike leihen und eine schöne Tour über die neuen Radwege von Lorenz Kampmeier und Ben Dittmann genießen. Mit dem „Wasserbus“ fahre ich dann wieder von der Rheinaue zurück bis zur Beethovenhalle und freue mich darüber, dass Yanick Shar­ ma und Stephanie Weber hier ihren tollen „Haltepunkt B“ trotz der vielen Planungshindernisse doch noch umsetzen konnten. Einfach war das nun wirklich nicht. Von hier aus geht es weiter über die „Kunst und Musik Route“ von Catharina Cappel, Felia Fischer-Helwig und Moritz Timpe. Die drei sind gerade vollauf damit beschäftigt, ihre bei­ spielhaften Pläne für die Neugestaltung des Stiftsplatzes fertig zu stellen, um damit einen weiteren Verbindungsort zwischen Stadt und Fluss zu schaffen. Im Stadtzentrum entdecke ich in dann in der Buchhandlung Witsch und Behrendt die Neuauflage der „Bonner Räume“, einem sehr beliebten und fein gemachten Buch über Geschich­ ten und Beobachtungen in der Stadt von Caroline Steffen, Sarah Ribeiro Martius und Pezhman Hossein Mardi. Es ist beinahe schon wieder vergriffen... Zugegeben, alles das sind natürlich nur Vorstellungen, aber wäre es nicht doch schön, die ein oder andere davon würde wahr? Liebes Bonn, ich fürchte, Du brauchst noch Geduld, aber zumindest das habt ihr ja gemeinsam, Du und Dein Rhein! •

Wassertaxi (Bild l.) Yanick Sharma Links (Bild o.r.) Felix Heusinger von Waldegg Komposition 73 – Eine Einbuchbibliothek (Bild u.r.) Jakob Krauss, Alexander Jerosch-Herold, Micha Kretschmann


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Die Bachelorthesis „Coherent Existence“ von Johannes Hoffmann, Maximilian Bentler und Daryan Knoblauch beschäftigt sich mit der Wohnfrage. Wachsenden Städten mangelt es an zentrums­nahen Flächen für qualitativen Wohnraum und mittlerweile drückt überall der Schuh. Mit ihren urbanen und progressiven Experimenten, hinterfragen die drei konven­ tionelle Ansätze des Wohnens. Im Sinne einer gemeinwohl­orientierten Gesellschaft überträgt das Trio Ideen der „Sharing Economy“ auf den Stadtraum: Weniger private Räume, Mehrfachnutzungen oder das Auflösen von E­igentumsgrenzen werden in unterschied­ lichen Szenarien verpackt. Innerhalb Kölns wurden verschiedene Orte ausgewählt, die als Ausgangspunkt ihrer experimentellen Versuche zum Wohnen dienen. Neben einem Parkplatz oder einer Schrebergartensiedlung, wurde auch einer der leerstehenden Bahnbögen in der Hüttenstraße in Köln-Ehrenfeld als Projektionsfläche für eine neue Typologie des Wohnens genutzt. Die Arbeit wurde in einer Publikation veröffentlicht und im Rahmen des internatio­ nalen CityLeaks Urban Art Festival in einem der Bahnbögen in der Hüttenstraße in Köln Ehrenfeld gezeigt. Zudem wurde die Arbeit mit dem BDA Masters 2018 ausgezeichnet. •

Typology 1/6 (Bild o.l.) The New Normal

Coherent Existence Six Typologies for Communal Urbanism Bachelor-Thesis von Daryan Knoblauch, Johannes Hoffmann, Maximilian Bentler Betreuung: Prof. Swen Geiss, Prof. Benedikt Stahl TEXT Daryan Knoblauch, Johannes Hoffmann, Maximilian Bentler


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Typology 2/6 (Bild o.l.) Lifted Carpet Grid Typology 3/6 (Bild u.l.) Urban Bricoleur Typology 4/6 (Bild m.) Ambiguity House Typology 5/6 (Bild o.r.) Gutter Space Typology 6/6 (Bild u.r.) Filling the NichĂŠ


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WerkStadt Ein städtebauliches Entwicklungskonzept für das Girlitz-Areal in Köln-Vogelsang Bachelor-Thesis von Nikola Siep, Valentin Schily, Johannes Klapfer, Valentin Quecke Betreuung: Prof. Swen Geiss, Prof. Dr. Florian Kluge TEXT Nikola Siep, Valentin Schily, Johannes Klapfer und Valentin Quecke

WerkStadt ist ein städtebauliches Entwicklungskonzept für das Girlitz-Areal, ein ehemaliges Industrie-Gelände in Köln-Vogelsang. Kerngedanke des Entwurfes ist es, den werkstatthaften, provisorischen und pragmatischen Charakter, der dem Areal und der Nutzerschaft innewohnt, in einer ganzheitlichen und zukunftsfähigen Planung weiterzuführen. In Zusammenarbeit und ständiger Rücksprache mit dem Besitzer des Ge­ ländes wurde ein Konzept erarbeitet, das sowohl diesem Anspruch gerecht wird als auch den Entwicklungszielen des Besitzers. Das entwickelte Konzept setzt sich aus sechs funktional und architektonisch unterschiedlichen Bereichen zusammen, welche die bestehende Büro-, Gewerbe-, Wohn- und Veranstaltungs­ nutzung ergänzen, weiterentwickeln und gemeinsam mit den Bestandsstrukturen die WerkStadt bilden. Der wichtigste Bestandteil, die ARENA, stellt das Alternativkonzept für eine, vom Besitzer des Areals geplante, Konzerthalle dar und sieht diese an einem anderen Ort vor. Durch diesen Eingriff werden andere Gebäude und Flächen, die vorher in die Planung der Event-Halle einbezogen waren frei für alternative Nutzungs- und Bebauungskonzepte. So kann unter dem verbliebenen Stahlgerüst einer ehemaligen Basketball­ halle die SIEDLUNG entstehen, ein Container-Dorf, in dem Pionier-Nutzer die bisher ungenutzten Flächen in Beschlag nehmen können. Es entsteht ein bunter, alternativer und lebendiger Ort zum Leben, Arbeiten und Experimentieren mit einem hohen Identifikationsfaktor für das Gelände. Dem Gegenüber soll die FABRIK in einem nächstmöglichen Schritt mit einer großflächigen, industriell geprägten und stark vernetzten Bebauung erschwing­ lichen Arbeits- und Wohnraum für längerfristige Nutzer schaffen. An der neuen Eingangssituation des Geländes soll die LANDMARKE, ein Hostel aus recycelten Tank-Containern, eine städtebauliche Willkommensgeste bilden und Aufmerksamkeit für das Gelände generieren. Städtebaulich verbindendes Glied der WerkStadt ist der PLATZ, der in Ausrichtung, Funktion und Gestaltung auf die angrenzenden Bestandteile Bezug nimmt und eine wichtige Rolle im Parkkonzept einnimmt. Auf architektonischer Ebene soll das FORUM der Knotenpunkt für die Nutzer des Areals werden. Dafür soll die bestehende Wassermannhalle, eine monumental anmutende alte Werkhalle, als offener, flexibler Coworking Bereich sowie Treffpunkt und Veranstaltungsort dienen. •

Halle Tor 5 (Abbildung) Konzerthalle


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Forum (Bild o.r.) Coworking-Bereich, Treffpunkt und Veranstaltungsort Fabrik (Bild m.r.) Arbeits- und Wohnraum Hostel (Bild u.r.) Landmarke aus recycelten Containern Modelfoto (Bild u.l.) Girlitz-Areal



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Alter Schlachthof (Abbildung r.) Arbeits- und Wohnraum Neuplanung Gelände (Abbildung o.l.) Alter Schlachthof Collage 1/6 Nutzungsmischung (Abbildung u.l.) Freiräume


Alter Schlachthof Von der Brache zum Quartier Bachelor-Thesis von Anna Schulz, Caroline Steinsiepen Betreuung: Prof. Dr. Florian Kluge, Prof. Benedikt Stahl TEXT Anna Schulz, Caroline Steinsiepen


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Wohnungsmangel und hohe Mieten fragen nach neuen verdichteten Wohn­ räumen in Städten. Es sind brachliegende innerstädtische Flächen vorhanden, die nach einer neuen Nutzung suchen. Gerade Randgebiete bieten Potential für neuen und günstigen Wohnraum. Das Gelände des Alten Schlachthofes ist eine solche brachliegende Indust­ riefläche in der Bonner Weststadt und eignet sich besonders durch die z­ entrale Lage im Bonner Stadtkern für eine Umnutzung. 1989 wurde das Gelände erstmals als Schlachthof genutzt. Während der Kriegszeiten wurden die großen Hallen teilweise zerstört und wieder aufgebaut. Zuletzt wurden die Räume auf dem Gelände für den Lebensmittelgroßhandel verwendet. Seit 2012 steht das Gelände leer. Die Hallen bleiben ungenutzt, verkommen und verwahrlosen. Der Alte Schlachthof befindet sich in der Bonner Weststadt und positioniert sich zentral im Bonner Stadtgefüge. Die Weststadt teilt sich in ein Industrie- und ein Wohnviertel. In der Transitzone zwischen Wohnen und Industrie liegt das Gelände des Alten Schlachthofs, eingerahmt von den umliegenden Stadtteilen und deren kulturellem Angebot. Der aktuelle Bestand befindet sich auf einem 43.000 m² großem Areal. Die Architektur ist geprägt durch eine Variation aus großen Hallen und kleinen charakterstarken Häusern. Durch die Historie und den Neu- /Anbau ist ein vielfältiges Architekturensemble entstanden. Der Charme der Hallenarchitektur, die große Fläche, das freie Nachbar­ grundstück, sowie die hellen und hohen Räume sehen wir als Potential für eine Umnutzung. Durch die Entwicklung eines neuen Wohnquartiers mit kulturellen Angeboten wollen wir das Gebiet lokal aufwerten, neuen Wohnraum schaffen, die soziale Durchmischung und das Miteinander fördern sowie neuen kulturel­ len Raum entwickeln. Die vorhandene städtebauliche Struktur wird beibehalten, marode Körper werden abgerissen, zwei neue Gebäudekomplexe auf dem Nachbargrundstück festigen die Strukturen und eine neue Fußgängerbrücke ermöglicht den Kurz­ schluss in die Altstadt und das Stadtzentrum.

Durch die Positionierung der Gebäude ergeben sich unter­ schiedliche Platzsituationen, Innenhöfe und Freiräume, die von den Quartiersbewohnern genutzt und bespielt werden können. Im Zentrum liegt eine Markthalle mit einem vielfältigen Angebot an Gastronomie und Lebensmitteln. Diese wird von dem zentralen Platz umspült und bildet den Kern des Quartiers. Daran angrenzend befinden sich Co-Working-Räume, ein Café und ein Holzkonstrukt, welches als Urban-Gardening-Fläche dient und ein Verbindungselement zwischen Neu und Alt ist. Durch die Umstrukturierung der Brache hin zu einem neu­ en Quartier wird Wohnraum für 650 Nutzer/Wohneinheiten geschaffen. Die Nutzungsmischung sorgt für eine bunte Vielfalt in dem Quartier. Die Trennung der zwei städtischen Zonen (Wohnen und Arbeiten) wird gebrochen und stattdessen eine Nutzungsmischung gefördert. •

Collage 2/6 Nutzungsmischung (Abbildung u.l.) Arbeiten Collage 3/6 Nutzungsmischung (Abbildung u.l.r.) Garten Collage 4/6 Nutzungsmischung (Abbildung o.r.1.) Kultur Collage 5/6 Nutzungsmischung (Abbildung o.r.2.) Wohnen Collage 6/6 Nutzungsmischung (Abbildung o.r.3.) Markthalle Alter Schlachthof (Bild u.r.) Bestandsaufnahme



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Mamma Umnutzung und Sanierung eines alten Tanzsaals in Cronenberg in der Pfalz Bachelor-Thesis von Kevin Emanuel Osenau Betreuung: Prof. Swen Geiss, Prof. Benedikt Stahl TEXT Kevin Emanuel Osenau


»Low-Budget- und DIYKonzepte zur Steigerung von Wohnqualität und Energieeffizienz in einem ländlich gelegenen Altbau« (Kevin Emanuel Osenau über das Thema seiner Abschlussarbeit)

Die Entwurfsarbeit „Mamma“ entwickelt mögliche Low-Budget- und DIY-Konzepte zur Steigerung von Wohnqualität und Energie­ effizienz in einem ländlich gelegenen Altbau im Landkreis Kusel. Diese sollen einerseits spezifische Hilfestellung bei der Erhaltung dieses Gebäudes leisten und andererseits exem­ plarisch Methoden & Konzepte aufzeigen, die übertragbar sind und mit kleinem Geldbeutel und in Eigenleistung für vergleichbare Gebäu­ de umgesetzt sein können. Im Sinne dieser Zweiteilung gliedert sich die Arbeit in eine Gegenüberstellung konkreter Wohnformen, Varianten und Maßnahmen für das Gebäude und die allgemeine, exemplari­ sche Fragestellung nach neuen bzw. erneuerten Wohnkulturen in strukturschwachen, länd­ lichen Regionen. Während die großen Städte stetig wachsen, immer dichter bewohnt werden und die Miet­ preise kontinuierlich steigen, verlieren viele ländliche Regionen an Attraktivität, wenn es um die Schaffung von neuem Wohnraum geht. Gleichzeitig stellen die niedrigen GrundstücksLandkreis Kusel (Bild) Cronenberg in der Pfalz

und Immobilienpreise in den abgelegenen Gebieten aber für viele Menschen eine Chance dar, eigenen Wohnraum zu kaufen. Daneben ist das Heimwerkertum ein fester Bestandteil der ländlichen Wohnkultur. Meist erfolgt das „Herumbasteln“ an der eigenen, sanierungs­ bedürftigen, kostengünstigen Immobilie dann aufgrund geringer finanzieller Mittel ohne fachliche Hilfe. Diese Bauten sind zwar oft sehr individuell gestaltet, aber ebenso oft, aufgrund fehlenden Know-How’s schlecht ausgeführt, teurer als nötig, wenig energieeffizient, wenig nachhaltig, illegal oder gar gefährlich. Auch im Bezug auf die Wohnqualität, die Atmosphäre und die Innenarchitektur führt das unstruk­ trierte „Nach-und-Nach-Weiterbasteln“ zu einem stetigen „Verschlimmbessern“ der Wohnsituation. Diese Arbeit stellt in diesem Sinne eine konkrete Lösung für ein bestimmtes Gebäude auf und zeigt davon ausgehend zugleich über­ tragbare Methoden auf, die auch Lösungs­ ansätze für andere Gebäude liefern können. Für die Erarbeitung der B ­ achelorthesis erhielt Kevin Osenau ein mit 500 Euro dotiertes Stipendium der IKEA-Stiftung. Die IKEA-Stipendien verstehen sich in erster Linie als Begabtenförderung. Die Themenstellungen müssen im Rahmen der Satzungszwecke liegen und vorrangig dem Bereich Wohnen, Wohn­ umfeld und Wohnkultur zuzuordnen sein. •


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Innenraum (Abbildung o.l.) Ehemaliger Tanzsaal Längsschnitt (Abbildung m.l.) Neuplanung Querschnitt (Abbildung u.l.) Neuplanung Grundriss (Abbildung o.r.1.) Neuplanung Modell (Abbildung o.r.2.) Neuplanung Ehemaliger Tanzsaal (Bild u.r.) alte Gebäudestruktur



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Das Projekt-Triple Leerstand, Intervention und Smart Recycling Factory im MA magLAB I: Mensch Architektur Gesellschaft Prof. Willem-Jan Beeren, Prof. Dr. Florian Kluge, Dr. Wolfgang Wackerl TEXT Prof. Dr. Florian Kluge

Leerstandskonferenz (Bild) in Luckenwalde


Das magLAB – das erste große Projektmodul im Master. Das Modul, um im Master (und in Alfter) anzukommen, in die Themen des Masters hineinzuschnuppern, sich selber aus­ zutesten und neue Prozesse und Architekturen zu entwickeln. Die Chance, aktuelle Themen aufzugreifen, neue Formate auszuprobieren und den Kontakt zu anderen Hochschulen und Partnern zu suchen. Im Herbstsemester 2018/19 galt es unter Leitung von Prof. Willem-Jan Beeren, Prof. Dr. Florian Kluge und Dr. Wolfgang Wackerl gleich drei Projektaufgaben zu meistern: Die Entwicklung eines Leerstands, der Entwurf ei­ ner temporären Intervention und die Planung einer „Smart Recycling Factory“. Alle drei Teile wurden mit externen Kooperationspartnern durchgeführt. LEERSTAND: Im ersten Semesterteil galt es einen Leerstand – zur Auswahl standen ein Laden, eine Schule, ein Schloss, ein Tunnel, ein Restaurant und ein Bahnhof – mit neuem Le­ ben zu füllen. Was sind passende Nutzungen? Wie finden sich neue Nutzer und Investoren? Welche Interessen gibt es im Quartier? Wie könnte ein zukünftiges Träger-/Betreibermo­ dell aussehen? Was ist die passende archi­ tektonische Antwort? Diesen und anderen Fragen gingen die Studierenden in den ersten Semesterwochen nach. Zusätzliche Inspira­ tion bot der dreitägige Besuch der vom Büro nonconform organisierten Leerstandskonferenz in Luckenwalde (Übernachtung in einem Leerstand) mit über 100 Teilnehmern und über 31 Referenten. Ebenso vielfältig wie die dorti­ gen Beiträge und Workshops waren dann die Konzepte der Studierenden: Das wachgeküsste Restaurant, das zur Denkschmiede wird, die alte Schule, die sich zum kreativen Quartiers­ zentrum entwickelt oder der wiederbelebte Bahnhof, der zum Umschlagsort neuer Ideen wird. TEMPORÄRE INTERVENTION: Im zweiten Teil des Semesters ging es um eine künstleri­ sche Auseinandersetzung mit dem Werk Mies van der Rohes. Als einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts wurde er weltbekannt durch seine Bauten wie die Neue Nationalgalerie (Berlin), das Illinois Institute of Technology (Chicago) oder das Seagram Building (New York). Zugleich ziehen sich die Verbundenheit mit seiner Heimat Aachen und seine Arbeit in Nordrhein-Westfalen wie ein roter Faden durch sein Lebenswerk. Gemeinsam mit dem Museum für Architek­ tur und Ingenieurkunst NRW (M:AI) haben Architekturstudierende der TH Köln und der TH Mittelhessen die Ausstellungsreihe „Mies im Westen“ entwickelt – vom Konzept über die Inhalte bis hin zur Ausstellungsarchitektur, die sie selbst konstruiert haben. Mit der Frage


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„Wie kann eine künstlerische Intervention die Inhalte der Ausstellung unterstützen, verstär­ ken und auf sie aufmerksam machen?“ stieg die Alanus Hochschule in die Kooperation ein. In einem Wettbewerbsverfahren, in dem die Studierenden gleichzeitig (in gemischten Teams) Teilnehmer und gemeinsam mit ihren Lehrenden Juroren waren, entwickelten die Studierenden teils spektakuläre, teils raffinierte Ideen. Die Siegerkonzepte wurden nicht nur mit einem Preisgeld prämiert, sondern tatsäch­ lich realisiert und sind von Mai bis Juli 2019 in Aachen, Krefeld und Essen zu besichtigen. SMART RECYCLING FACTORY: Das dritte Teilthema fand auf Initiative des Büros für strategische Projektentwicklung in Koopera­ tion mit der Hochschule Ostwestfalen-Lippe und der FH Bielefeld statt. Es ging um die Entwicklung neuer konzeptioneller und gestal­ terischer Ideen für einen Deponiestandort der Zukunft am Beispiel der „Pohlschen Heide“ im Landkreis Minden-Lübbecke. Ziel war die Ent­ wicklung einer „Smart Recycling Factory“ für die Erforschung, Entwicklung und Erprobung neuer Wertschöpfungen und Produkte aus Ab­ fällen. Wie sieht eine intelligente Recycling-Fa­ brik der Zukunft aus? Wie lässt sich ein solches System schrittweise aufbauen? Wie sieht eine neue Eingangssituation am Standort aus? Wie sieht die Deponie der Zukunft aus, die mehr als Rohstoff-Lager und sortierte „Speisekammer“ für Produktentwicklungen der Zukunft funktio­ niert? In einem interdisziplinären viertägigen Workshop vor Ort und in den Wochen danach entwickelten die Studierenden zukunftweisen­ de Konzepte und gaben den realen Prozessen vor Ort damit einen kreativen Schub. SEMESTERFILM: Was lernt man nun in einem Semester, in dem man statt einer gleich drei Aufgaben zu bewältigen hat, wo perma­ nent neue Fragen aufgeworfen werden, die es zu beantworten gilt, wo man statt vier Monaten jeweils nur ein paar Wochen Bearbeitungszeit hat, wo man sich auf ständige wechselnde Teams einlassen und mit anderen Disziplinen­ zusammenarbeiten muss? Diesen Frage gingen die Studierenden in den letzten beiden Semesterwochen nach – eigentlich gleich eine vierte Teilaufgabe. Ihre Antworten, Er­ fahrungen und Reflexionen formulierten sie in einem Film, der wunderbar beschrieb, was das Semester ausmachte: Hohes Tempo, schneller Rhythmus, interdisziplinärer Austausch, neue Erfahrungen­, hoher Lerneffekt und viel Spaß. •


Leerstand (Abbildung o.l.) Restaurant Heimatblick Caroline Steffen Smart Recycling Factory (Abbildung o.r.) Recycling-Fabrik der Zukunft am Beispiel der Pohlscher Heide Peter Piotrowski Temporäre Intervention (Bild u.1.) Entwicklung Ausstellungsreihe „Mies im Westen“ Lea Ruland


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downsizing downsizing zwischen Bäumen Experimentelle Waldrandbesiedlung der Werkgemeinschaft Hamborn im MA RESeARCH-LAB, Prof. Swen Geiss TEXT Prof. Swen Geiss


Nachhaltiges Bauen und Wohnen im urbanen Kontext setzen auf Verdichtung, Effizienz und Nutzungsmischung. Vergleichbare Ideen und Umsetzungsstrategien im ländlichen Raum können und müssen grundsätzlich anders aussehen. Weil aber auch im ländlichen Raum Bau- und Siedlungsraum knapp wird, ist die Erschließung brach liegender Entwicklungspotentiale eine zukünftig wichtiger werdende Frage. Während im urbanen Raum Architektur und Natur aufgrund der Dominanz geplanter und gebauter Umwelt zwangsläufig als antithetisch angesehen wird, scheint der ländliche Raum die Optionen der symbiotischen Verbindung beider Seiten zu ermöglichen. Wie man gemeinschaftlich, mit dem Ziel des „downsizing“ und eines deutlich reduzierten ökologischen Fußabdrucks, am Rand waldähnlicher Räume ggf. unter Einsatz von Eigenleistung bauen und wohnen kann, stand deshalb im Fokus des Moduls RESeARCH-LAB im Frühjahr 2018. Planungskontext des Moduls ist die traditionsreiche, anthroposophisch ge­ prägte Werkgemeinschaft Schloss Hamborn nahe Paderborn. Gegründet in den späten 1920er Jahren als Lebenseinrichtung für körperlich, geistig und seelisch beeinträchtigte Kinder, während des Nationalsozialismus zeitweise geschlossen, beinhaltet der dorfartige Lebens- und Arbeitsort heute einen Kindergarten, eine Schule, einen Lernbauernhof, verschiedene betreute Wohngruppen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie wirtschaftlich eigenständige Betriebe in den Bereichen Landwirtschaft und Altenbetreuung. Die Werkgemeinschaft erwägt zur Zeit verschiedene Prozesse der inhaltli­ chen wie baulich-räumlichen Weiterentwicklung und hat in diesem Zusammen­ hang den Fachbereich Architektur angesprochen. Ein wichtiges Thema dabei waren die aktuell vorhanden und zukünftig erforderlichen Wohnangebote. Da die Baulandreserven des Dorfes begrenzt sind, sollten im Rahmen des 1-semest­ rigen Moduls RESeARCH-LAB im Frühjahrssemester 2018 durch ein studenti­ sches Entwurfs- und Entwicklungsprojekt, die Chancen und Möglichkeiten einer experimentelle Waldrandbesiedlung entlang der sogenannten „Prachtstraße“ auf Schloss Hamborn erkundet und strukturiert erforscht werden. Dazu wurden im Seminar gemeinsam Prinzipien nachhaltiger Entwicklung in Theorie und Praxis erkundet, damit korrespondierende Handlungsfelder im Bereich Architektur und Ressourcen erforscht und in konkrete, integrale Umsetzungsstrategien überführt. Aufbauend darauf war durch die Bearbeiter ein grundsätzlich nachhaltigkeitsorientierter Entwurfsansatz zu entwickeln und in detaillierte, projektspezifische Konzepte im Bereich Architektur und Ressourcen (z.B. Humanressourcen / Budget / Bauland / Material / Energie / Wasser) zu überführen. Dabei sollen insbesondere die Chancen gemeinschaftsorientierter­ Projektentwicklung und (begrenzter) Ressourcen als formierende Aspekte ­untersucht werden. Folgenden Themen waren dabei von Interesse sein und durch die Bearbeiter zu reflektieren: - Wohnangebot in maximaler Qualität bei minimaler Quantität - partizipative Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse - gemeinschaftliche Räume und geteilte Infrastruktur - Immobilien- und Bauökonomie (Projektbudget, Rendite und Baukosten) - Strategien nachhaltigen und energieeffizienten Entwerfens - Ökologische Material- & Konstruktionsstrategien - Selbstbau, Recycling und Vorfertigung

Lageplan Schloss Hamborn (Abbildung) Caroline Steffen

Ziel der Bearbeitung war somit die experimentell-forschende Entwicklung einer möglicherweise neuen, gemeinschafts-orientierten, maximal nachhaltigen und minimal invasiven Wohnbebauung für die Randbereiche waldähnlicher Lagen. Diese sollte konkrete Angebote zum individuellen wie gemeinschaftlichen “downsizing“ anbieten und umsetzen. Dabei waren die Bearbeiter aufgefordert, im Projekt bewusst konzeptionell-strategische Schwerpunkte zu setzten, wenn­ gleich Unterkomplexität ausdrücklich zu vermeiden war. •


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WG 282 Konstruktionsschnitt (Abbildung o.l.) Caroline Steffen WG 282 Grundriss (Abbildung u.l.) Caroline Steffen WG 282 (Bild o.r.) Caroline Steffen


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L Ü T T G ENAUER BRUNNEN


Kultur-Pool Eine nutzergetragene Entwicklung für das ehemalige Schwimmbad in Alt-Hürth Master-Thesis von Taylan Akkas Betreuung: Prof. Dr. Florian Kluge, Prof. Willem-Jan Beeren TEXT Taylan Akkas

Kulturveranstaltungen im Pool (Abbildung) Das ehemalige Schwimmbecken als interdisziplinäre Vernetzungsplattform


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Nachdem die Stadt das Wasser aus dem Becken abließ, folgten für das ehemalige Schwimmbad Alt-Hürth vielversprechende Ideen und Projektvorhaben, die jedoch nicht nur aufgrund finan­zieller und baurechtlicher Miseren gescheitert sind. So­ wohl die Realisierung einer Aktienbrauerei nach dem Vorbild einer in Wuppertal konsolidierten Umnutzung eines ehemali­ gen Schwimmbads, als auch das letzte, kein Ende findende Pro­ jektvorhaben der gegenwärtigen Eigentümer, im Schwimmbad ein Rehabilitationszentrum zu realisieren, zeichnen sich unter anderem durch ihre konzeptionell lineare Ausrichtung aus. Ob sich im Falle ihrer Umsetzung ein sozialer Mehrwert für AltHürth hätte verstetigen können, werden wir nie erfahren, denn zukünftig nehmen die Anwohner und sich um den Brabanter Platz scharende Akteure die Verantwortung des ehemaligen Schwimmbads selbst in die Hand. Unter dem Namen Kultur­ pool wird sich eine Trägerschaft aus Kultur, Bildung, Erziehung und Gastgewerbe vereinen, die nicht nur den Erhalt und die Wiederbelebung eines geschichtsträchtigen Gebäudes einleiten sollen, sondern auch versuchen, das kulturelle Leben aktiv zu ergänzen. Nach der Schliessung der „Campi Volksbühne“ in Köln versucht sich der Gastronom Paolo Campi erneut an dem alten Schwimmbad in Alt-Hürth. Diesmal geht es für ihn nicht rein um die Realisation eines Brauhauses, mit welchem er den Anwohnern Hürths die Chance ermöglichen wollte, Teilhaber an der Aktionärsstruktur zu werden. Vielmehr ist er Teil einer facettenreicheren Bestimmung für das Schwimmbad und wird in Zukunft deren Gastronomie als Kernnutzung betreiben, die in erster Linie das kulturpool-Veranstaltungsprogramm beglei­ ten soll. Der Kultur-Pool wird die öffentlichkeitswirksame Keim­ zelle des ehemaligen Schwimmbads sein, die in einem Wechsel von Eigenveranstaltungen und externen Vermietungen an die Bewohner eine Plattform für kulturellen und gesellschaftlichen Austausch schaffen wird. Diese Umnutzungsmaßnahme ohne enorme bauliche Eingriffe in die Gebäudekubatur, wird das Bad für die Öffentlichkeit wieder greifbar machen. Die Akustik der Veranstaltungshalle im Beckenbereich wird keine Veranstal­ tungen mit lauter Musik zulassen, so dass hier die Auslegung des Veranstaltungsprogramms Rücksicht auf die Anwohnenden und auf akustische Darbietungen nehmen muss. Der Pool wird primär mit gemeinsamen Veranstaltungen der „Auftakt Musikschule Alt-Hürth“ und des „Familienzentrums Parlippo“, mit Organisationen des „Hürther Heimat- und Kul­turvereins“, mit Projektausstellungen und Seminaren des „Goldenberg Be­ rufskollegs“ und Eigenveranstaltungen des „Paolo Campi“ als öffentlichkeitswirksamer Jungbrunnen belebt. •

Betreibermodell (Abbildung) Kultur-Pool


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Miscanthus Forschung zu neuen รถkologischen Baustoffen Master-Thesis von Jano Knopp, Betreuung: Prof. Dr. Mathias Wirths TEXT Jano Knopp, Prof. Dr. Mathias Wirths


Masterarbeit Jano Knopp (Bild) Britta Schüßling

An der Alanus Hochschule werden im Verbund mit der Universität Bonn und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg die Anwendungsmöglichkeiten von schnell wachsenden Miscanthus (Riesen­ chinaschilf) als Baumaterial untersucht. Die Beschäftigung mit dem Ausgangsmaterial erfolgt sowohl aus künstlerischen wie auch bautechnischen Gesichtspunkten. WISSENSCHAFTSNACHT: Im Rahmen der Wissenschaftsnacht am 18.05.2018 haben die Ala­ nus Hochschule und die Universität Bonn eine Skulptur im Brunnenhof der Uni Bonn errichtet. Dem Veranstaltungsmotto „Kreisläufe“ begegneten sie mit der Errichtung eines Möbius‘schen Körpers aus Miscanthushalmen. Dieser erfüllt das Thema auf verschiedenen Ebenen. Der Körper hat einen dreieckigen Querschnitt, jedoch nur eine Fläche die sich endlos von Seite zu Seite dreht. Weiterhin besteht die Skulptur aus einem natürlichen Rohstoff und kann dem biologischen Kreis­ lauf nach der Ausstellung wieder zugeführt werden.


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HERSTELLUNG VON HOLZWERKSTOFFÄHNLICHEN PLATTEN AUS MISCANTHUS MIT VERSCHIEDENEN BINDEMITTELN: Zum Binden von Miscanthus zu einer Werkstoff­ platte werden verschiedene Bindemittel getestet. (z.B. Ponal Weißleim, Kaseinleim, biobasierter PUR) Erste Ergebnisse mit fein zerspanten Miscanthusstreifen weisen mit einem guten Verbund und einem E-Modul von ca. 2700 N/mm² akzeptable mechanische Eigenschaften auf. UNTERSUCHUNG VON DÄMMPLATTEN AUS MISCANTHUS: Die Platten werden, ähnlich wie Holzweichfaserplatten,

aus einer Miscanthus-Zellstoffmasse zu einem Prüfling gepresst. Unter Druck wird ein Großteil des Wassers ausgepresst und der Prüfling anschließend getrocknet. In ersten Versuchen konnten Lambda-Werte bis 0,066 W/m²K nachgewiesen werden. Die Platten waren ­formstabil und dabei mit ca. 80kg/m³ sehr leicht. Aktuell werden weitere Rezepturen und Herstellungsverfah­ ren zur Verbesserung der Festigkeit und der Wärmedämmung erprobt. UNTERSUCHUNG VON PUTZTRÄGERPLATTEN AUS MISCANTHUS: Für den Gebrauch als Putzträgerplatte ist eine abriebfeste, weniger saugende Oberfläche erforderlich. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg wird an einer entsprechenden Beschichtung geforscht, welche die Oberfläche dahingehend verbessert. Neben den Dämmplatten wurden auch einfache Miscan­ thusmatten als Putzuntergrund erprobt. In kleinen Musterrah­ men wurden die Matten in verschiedenen Anordnungen mit Kalkzement-, Gips- und Lehmputz verputzt und mit einem Jute-Gewebe armiert. Die untersuchten Produkte zeigten alle drei eine gute Haftung am Material. Besonders interessant ist dabei der Lehmputz als ökologischer Baustoff. Die Firma CLAYTEC, welche internationaler marktführender Hersteller für Lehmbaustoffe ist, konnte als Projektpartner gewonnen werden und wird das Forschungsprojekt mit seiner Expertise und Materialbereitstellung unterstützen. Diese und weitere Anregungen wurden in der Masterthesis von Jano Knopp entwickelt. Eine Vertiefung erfolgt in zukünfti­ gen Forschungsarbeiten. •


Herstellung Werkstoffplatte (Bild o.l.) Versuche mit Weißleim (Ponal classic) Herstellung Werkstoffplatte (Bild m.l.) Versuche mit Kaseinleim, REM Aufnahme (Universität Siegen) der wachsartigen Oberfläche Herstellung Werkstoffplatte (Bild u.l.) Versuche mit fein zerspanten Miscanthusstengeln und Weißleim (Ponal classic) Miscanthus (Bilder r.) Masterarbeit Jano Knopp


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Architektur und Kunst im Dialog TEXT Prof. Willem-Jan Beeren


Waldlabor (Bild) Landart im Waldlabor Köln: Temporäre räumliche Interventionen mit vorgefundenen Naturmaterialien. Kooperation mit Studierenden der Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen, TU München und HS Nürtingen, Mai 2018


076 | 077 DAS GESPRÄCH DER KÜNSTE UND WISSENSCHAFTEN:

Zum Spezifikum der Architekturlehre an der Alanus Hochschule gehört die Anschauung, dass die Architektur als „Tochter“ der Künste und Wissenschaften große Teile ihres methodischen Repertoires und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten eben diesen Künsten und Wissenschaften verdankt. Gleichzeitig bietet die Architektur mit ihrer Kerndisziplin des Entwerfens eine integ­ rierende und synthetisierende Kulturtechnik an, die einerseits Objekte der sichtbaren Welt (Räume, Bauten, Städte) entstehen lässt, andererseits einen Beitrag liefern kann zu einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Kulturentwicklung. Die Studienangebote des Fachbereichs Architektur der Alanus Hochschule reflektieren diesen Ansatz durch die Integration künstlerischer und wissenschaftlicher Angebote. LEHRE IN BACHELOR UND MASTER: Die Veranstaltungen des Lehrgebietes Architektur und Kunst im Dialog bieten Raum für künstlerisch-gestalterische Erfahrungen sowie die Reflexion und Vernetzung zu anderen (Wissenschafts-) Disziplinen wie Soziologie, Architekturtheorie oder Planungsmethodik. Durch den Einbezug von darstellenden und bildenden Künstlern sowie durch Exkursionen entsteht ein lebendiger Dialog zwischen Mensch, Werk und Prozess und ein Labor interdisziplinärer Zusammenarbeit. Die Lehrangebote sind in der Lernsäule „Architektur und Kunst“ verortet sowie im Modul „magAtelier – Mensch, Archi­ tektur, Gesellschaft“. Sie bieten eine Ergänzung zu den zentralen Entwurfsmodulen und Semesteraufgaben, um spezifische Interaktionen von Kunsterfahrung und Entwurfsarbeit (z.B. Formenlehre und Gebäudelehre: Typus und Metamorphose als Formprinzip; Körperarbeit und Tragwerkslehre: Tragen und Lasten als leibliche Erfahrung; Installation und Städtebau: Der öffentliche Raum als prozessuales Kunstwerk) zu ermöglichen. THEMEN UND PROJEKTE: Im Bachelor-Grundlagen­ semester „magAtelier“ beschäftigen wir uns mit der Wahr­ nehmung als Basis jeglicher gestalterischer Arbeit. Dabei entdecken wir die Vielfalt menschlicher Sensibilität für Formen, Farben, Gerüche, Geschmäcker, Klänge, Strukturen, Tempe­ raturen oder Bewegungen. Anhand selbst entwickelter und angeleiteter Übungen erfahren die Studierenden sich in Bezie­ hung zur Umwelt als aktiv und schöpferisch Wahrnehmende. In gemeinsamen Reflexionsrunden ziehen wir Parallelen zur Architektur und der Gestaltung von Räumen. Dieses Semester führte der Weg auch zur Ausstellung des Lichtkünstlers James Turrell im Frieder Burda Museum BadenBaden und ermöglichte uns vertiefte und nachhaltige Erfahrun­ gen, Farbe als raumbildende Qualität zu erleben. Insbesondere die Farbräume, die sog. Ganzfelder zeigen auf eindrückliche Weise, daß der Raum qualitativ als intermediärer Prozess und nicht nur als materielle Grenze erfahrbar ist. Eine differenzierte Wahrnehmung von Raum ermöglicht ein differenziertes Entwerfen von Raum. Im Rahmen von Fotografie-Seminaren untersuchen die Studierenden gezielt urbane oder achitektonische Konstellationen und versuchen diese mit den Mitteln der Komposition zu Bildern zu verdich­ ten. Im Seminar #urbanfoto waren sie aufgefordert, eine selbst gewählte städtische Situation über einen längeren Zeitraum zu beobachten und zu fotografieren, um die (langsamen und schnellen) Veränderungen im und mit dem Raum zu erfassen. In einer Ausstellung galt es, die jeweilige räumliche Atmosphäre bis in die Art der Hängung und Präsentation hinein erlebbar zu machen.

Körperarbeit (Bild o.l.) Gleichgewichtsübung zu Tragen und Lasten: Vier Personen sitzen in einer quadratischen Anordnung auf Stühlen, jeweils um 90° gedreht. Sie legen sich mit dem Rücken auf die Oberschenkel des Nachbarn, anschließend werden die Stühle unter den Personen weggenommen. Die vier tragen sich gegenseitig. Semesterabschluss Jan. 2019) Exkursion (Bild o.r.) Exkursion zur Ausstellung „James Turrell“ im Frieder Burda Museum Baden-Baden: Eintritt in das Ganzfeld, einem Farb-Licht-Raum des Lichtkünstlers James Turrell, Okt. 2018) Urbanfoto (Bild u.) „ampelphasen“, Lucia Fritschi Fotografie im Rahmen des Seminars #urbanfoto: Eine Langzeitdokumentation urbaner Atmosphären. April 2018



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Urbanfoto (Bild) „Komm zum Bertha, bleib am Bertha, aber geh dann wieder“. Alisa Giesler Fotografie im Rahmen des Seminars #urbanfoto: Eine Langzeitdokumentation urbaner Atmosphären. April 2018



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Architekten und Architektinnen gestalten in erster Linie den dreidimensionalen Raum, auch wenn sie dafür viel Zweidimensionales bewegen und gebrauchen. Angefangen bei der Skizze und dem Plan, über das Entwerfen zwischen Böden, Wänden und Decken, der Konstruktion von Fassaden und der Integ­ ration von technischer Infrastruktur geht es im Kern um das Erfinden lebenswerter und lebensfördernder Räume. Daher spielt neben der Kultivierung des Zeichnens und weiterer zweidimensionaler Darstellungstechniken das dreidimensionale künstlerische Arbeiten im Architekturstudium eine wesentliche Rolle. Ausgehend von grundlegenden plastischen Phänomenen wie konvex-konkax, innenaußen, organisch-kubisch entwickeln die Studierenden in freien Projekten sowohl ein Handwerkzeug als auch ein Gespür für Raumund Objektkompositionen. Als willkommener Ausgleich zum klassischen Entwurfsprozess geht dabei das Machen dem Planen voraus; das Vertrauen in die „manuelle Intelligenz“ wird gestärkt. Ein wichtiger und für das Architekturstu­ dium relevanter Schritt führt aus dem Atelier und dem modellhaften Maßstab hinaus in öf­ fentliche Kontexte und in 1-zu-1-Verhältnisse. Hier werden im Gegensatz zu kleinplastischen Arbeiten echte raumbildende Erfahrungen möglich. Das Format der temporären künst­ lerischen Intervention hat sich über die Jahre bewährt, einen gemeinsamen Gestaltungspro­ zess analog dem Entwurfs- und Bauprozess zu durchlaufen, der alle wesentlichen Aspekte beinhaltet: Von der Entwicklung einer Gestal­ tungsidee (aus einem gewählten Material, aus einer spezifischen Fragestellung oder aus den Gegebenheiten eines Ortes) über die Planung und Koordination der Umsetzung, der Kom­ munikation mit der Öffentlichkeit durch das Werk bis zum Rückbau und Dokumentation. Immer wieder berichten die Studierenden im Nachgang zu diesen Projekten von der Befrie­ digung, die sie durch das reale Schaffen und der (überwiegend) positiven Bestätigung durch die Öffentlichkeit erfahren.

Formenlehre (Bilder o.l.) Plastische Formelehre: Studien zu „organisch“ und „kubisch“, März 2018 Skulptur (Bild u.l.) Freie plastische Form, Lionel Scior, Febr. 2019 Skulptur (Bild o.r.) Freie plastische Form, Michael Parente, Febr. 2019 Skulptur (Bild m.r.) Freie plastische Form, Kim Rolshoven, Febr. 2019 Skulptur (Bild u.r.) Freie plastische Form, Raphael Reichert, Febr. 2019


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Skulptur (Bild l.) Freie plastische Form, Hannah Sylla, Febr. 2019) Formenlehre (Bild o.r.) Plastische Formelehre: Studien zu „konvex“ und „konkav“, März 2018 Wissenschaftsnacht (Bild u.) „miscanthus-moebius“: Temporäre Kunstinstallation im Rahmen der Bonner Wissenschaftsnacht mit dem China-Schilf Miscanthus, dessen Verwendung als Baustoff im Rahmen eines EFRE-Forschungsprojektes von Forschern der Alanus Hochschule, der Universität Bonn und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg untersucht wird. Mai 2018


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Eine Besonderheit der künstlerischen Gestaltungslehre im Fachbereich Architektur bilden die darstellenden und Bewegungs-Veranstaltungen. Insbesondere in den ersten beiden Studienjahren des Bachelors erleben die Studierenden im Feldenkrais, der Bothmer-Gymnastik, der Eurythmie und dem Schauspiel, welche grundlegende Aufgabe der menschliche Leib bei der Wahrnehmung von Raum hat. Auch wenn ein Großteil unserer heutigen Wahrnehmung Sehwahrnehmung ist und damit kopfzentriert stattfindet, nehmen wir alle basalen Raum­ qualitäten wie Höhe, Tiefe, Schrägen, Staffelungen über unser eigenes Im-Leib-Sein wahr. Überhaupt kann Architekturwahr­ nehmung nur stattfinden, indem wir uns leiblich in ihr bewegen und einzelne Erfahrungssequenzen zu einem Gesamteindruck synthetisieren. Ein gutes Leibgespür, eine vitale Eigenbeweg­ lichkeit, ein Gefühl für die Beziehung des Körpers zum Raum hilft dabei, die Entwurfsfähigkeit zu steigern:

»Die wesentliche Aufgabe von Architektur ist es, uns - auch geistig - zu beherbergen und in die Welt zu integrieren. Architektur artikuliert unsere Erfahrungen des In-der-Welt-Seins und stärkt unseren Sinn für die Wirklichkeit und für uns selbst; sie lässt uns nicht nur reine Fantasiewelten bewohnen. (…) lebenssteigernde Architektur muss alle unsere Sinne gleichzeitig ansprechen, um unser Selbstbild mit unserer Welterfahrung zu vereinen. (…) Anstatt lediglich optisch verführerische Objekte zu schaffen, verbindet, vermittelt und erzeugt Architektur Sinnhaftigkeit. Der tiefste Sinn jedes Gebäudes liegt jenseits der Architektur; sie führt unser Bewusstsein zurück in die Welt und hin zu unserem eigenen Selbst- und Seinsempfinden. Sinnstiftende Architektur lässt uns als ganzheitliche körperliche und geistige Wesen erfahren. Das ist die eigentliche große Aufgabe bedeutender Kunst.« („Die Augen der Haut. Architektur und die Sinne“, Juhani Pallasmaa, 2013)

Als Begleitmodule des Ausbildungskerns, dem projektorien­ tierten Entwurfsstudium, bieten die Veranstaltungen „Architek­ tur und Kunst“ wertvolle Experimentalräume für eine resonante Selbst- und Welterfahrung. Im Sinne des Leitbildes der Alanus Hochschule fördern sie eine in das Fachstudium integrierte Persönlichkeitsentwicklung. •

Wissenschaftsnacht (Bild l.) „miscanthus-moebius“: Temporäre Kunstinstallation im Rahmen der Bonner Wissenschaftsnacht mit dem China-Schilf Miscanthus, dessen Verwendung als Baustoff im Rahmen eines EFRE-Forschungsprojektes von Forschern der Alanus Hochschule, der Universität Bonn und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg untersucht wird. Mai 2018 Waldlabor (Bilder r.) Landart im Waldlabor Köln: Temporäre räumliche Interventionen mit vorgefundenen Naturmaterialien. Kooperation mit Studierenden der Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen, TU München und HS Nürtingen, Mai 2018


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Ortswechsel Zeichenwoche mit vier Künstlerinnen Projektwoche, Studierende verschiedener Jahrgänge des BA Prof. Benedikt Stahl TEXT Prof. Benedikt Stahl, Miriam Hamel

Sonja Simone Albert (Bild u.l.1) Maleratelier Werkhaus, Alfter Judith Maria Kleintjes (Bild u.l.2) Alte Liesegang Fabrik, Düsseldorf Miriam Hamel (Bild u.r.1) Atelierzentrum Ehrenfeld, Köln Dominique Buchmaier (Bild u.r.2) MAKK und Kolumba Museum, Köln


Das Zeichnen, insbesondere das sogenannte „Freihandzeichnen“ gehört von jeher zur Ausbildung des Architektenberufs. Zeichnen ist Werkzeug, Sprache, und Kommunikationsmittel, es gehört zum Erfinden von Ideen ebenso dazu wie zur Schulung der eigenen Wahrnehmung, nicht nur des Sehens. Die regelmäßigen eigenen und betreuten Zeichenübungen im Studium dienen in erster Linie dazu, Grundbegriffe zu erlernen und diese anzuwenden. Daneben ist es jedoch wichtig, die Persönlichkeit des eigenen „Sprachwerkzeugs“ stetig weiter zu entwickeln und durch unterschiedliche Herangehensweisen auch außerhalb des gewohnten Umfelds zu vertiefen. Aus diesem Grund haben wir die vier Künstlerinnen Sonja Simone Albert, Judith Maria Kleintjes, Miriam Hamel und Dominique Buchmaier gebeten, einen Ortswechsel anzubieten um gemeinsam mit den Studierenden vier Tage lang zu zeichnen. Jede Künstlerin sprach dabei eine eigene Sprache, zeigte andere Schwerpunkte oder ermöglichte einen Einblick in ihr eigenes Werk. Die Orte an denen gezeichnet wurde, waren vielfältig: ein Maleratelier der Hochschule, das eigene Atelier, der Stadtraum sowie ein Museum. Den Einstieg in die Zeichenwoche gestaltete Sonja Simone Albert im Male­ ratelier am Johanneshof. Die Studierenden beschäftigten sich mit der perfekten aber auch fragilen Form des Eies. Judith Maria Kleintjes lud die Studierenden in ihr Atelier in der Alten Liesegang Fabrik in Düsseldorf ein. Dort ging es um die zeichnerische Auseinandersetzung von natürlichen Gegenständen. Mit Miriam Hamel erforschten die Studierenden die leer stehenden Bahn­bögen in der Hüttenstraße in Köln-Ehrenfeld mit Kreide 1:1 im Raum. Schließlich besuchte Dominique Buchmaier mit der Studierendengruppe das Kolumba Museum in Köln, um zeicherisch mit den ausgestellten Exponaten in Dialog zu treten. Am Ende der Zeichenwoche waren alle um lauter wunderbare Erfahrungen, vor allem aber viele eigene Skizzen reicher. •


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Alfter (Bild o.l.) Maleratelier Werkhaus Düsseldorf (Bilder u.l.) Alte Liesegang Fabrik Köln (Bild o.r.) Atelierzentrum Ehrenfeld Köln (Bild u.r.) Kolumba Museum


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Grüß Gott Wien Architekturstudierende erkunden Wien BA und MA Studierende, Exkursion vom 6. – 13. September 2018 Prof. Benedikt Stahl TEXT Prof. Benedikt Stahl


Unser Ausflug nach Wien hat, wie es nicht anders zu erwarten ist, viele Facetten. Zu Recht als eine der schönsten europäischen Städte anerkannt, ist diese außer­ gewöhnliche Stadt für Architektur- und Kunstreisende eine wahre Goldgrube. Ihre reiche Geschichte ist geprägt von fortdauernder Suche nach dem Neuen, nach neuen Bildern, neuen Lebensformen, der Erneuerung der Baukunst, sie zeugt von Offenheit und Experimentierfreude, ist aber zugleich auch ihren Wurzeln und Traditionen treu und pflegt diese mit großer Hingabe. Eine Stadt der Gegensätze, mehr noch als anderswo und dabei voller Lebensqualitäten, die vor allem immer wieder sehr schmackhaft zubereitet sind. Viele Gründe also für die neugierige Reisegruppe diese Expedition zu wagen. „Grüß Gott“, so heißt es standesgemäß zu unserer Einführung und Annähe­ rung, die wir gemeinsam Elena Henrich erleben. Die Wiener Architektin und Buchgestalterin Elena Henrich hat vor Ort mit dafür gesorgt, dass wir nicht nur Häuser und Kunst sehen, sondern auch Menschen treffen, die an aktuellen Projekten arbeiten. UNSERE STREIFZÜGE IN KÜRZE: Besuch der fantastischen Otto Wagner Ausstellung im Wien Museum mit einer Überfülle an wunderbaren Zeichnun­ gen, Skizzen, Modellen, Malereien, Dokumenten und Geschichten. Stadtspazier­ gänge mit Postsparkasse, Loos-Haus, American-Bar, Haas Haus und natürlich so mancher Kaffeespezialität zwischendurch. Stöbern im Architekturzentrum Wien. Kunst, Kultur und Kaffee genießen. Der Besuch der Villa Beer von Josef Frank, die, in den 20er Jahren gebaut, uns besonders mit ihren Raumfolgen beeindruckt. Sonntags mit dem Radl zum Strombad Kritzendorf, mit Zwischenstop am Karl-Marx-Hof, Schwimmen in der (kalten) Donau und Einkehr beim Heurigen. Begegnungen und sehr inspirierende Gespräche mit den nonconform-Archi­ tekten Peter Nageler und Johanna Treberspurg. Ein Raumlabor-Experiment in deren Hof und dem Besuch des berühmten Wagner Hauses in der Döblergasse 4, wo der große Meister die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat. Mit Alex Hagner im „Vinzi-Rast“. Wir staunen und bewundern den sozial engagierten Architekten, dem es hier hervorragend gelungen ist, mit Obdach­ losen, Studenten, vielen hilfsbereiten Unterstützern und natürlich mit viel Liebe ein sehr besonderes Haus vor dem Verfall zu retten und auszubauen. Stefan Klammer und Julia Zeleny empfangen uns am nächsten Tag in ihrem Büro und zeigen uns viele wunderbare Modelle, Skizzen und Entwürfe für neue Schulen und Häuser, die gerade im Bau sind oder demnächst entstehen. Den Architekten Ulrich Huhs dürfen wir ebenfalls in seinen Räumen treffen und mit ihm zusammen ein ehemaliges Ladenlokal im Palais Eschenbach besuchen, das er gerade als Ausstellungsräume für die Akademie der bildenden Künste umbaut. Natürlich darf in Wien auch ein Theaterbesuch nicht fehlen und so freuen wir uns darüber, einen Abend im Burgtheater mit Mephisto von Klaus Mann zu sehen. Inspiriert und glücklich mit so vielen Architektur- und Kunsterlebnissen gehört der letzte Tag dann jedem Mitreisenden selbst. Manche nutzen das für noch mehr Bilder, andere wiederum genießen vielleicht nur die Herbstsonne auf einem der schönen Wiener Plätze. Auf der Rückreise lese ich einen kleinen Text von Jannis Kounellis.

Döbler Gasse 4, Haus Wagner (Bild l.) Benedikt Stahl Architektenbesuche (Bild o.r.) Elena Henrich Wiener Würstelstand (Bild u.r.) Elena Hanke

» Jede Reise hat den Charakter einer Initiation, ist Vorstellung von einem aktiven, liebevollen, ausgedehnten Erkennen.« (Jannis Kounellis) Wie recht er hat, dieser große Künstler und wie wunderbar alle diese Begeg­ nungen! Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle allen Mitmachern in Wien! Ihr seids herrlich! •


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Postsparkasse von Otto Wagner (Bild) Birte Schäfer


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Hier zumindest ein Versuch, die drei Akademietage der Werkbundakademie 2018 in Wuppertal zusammenzufassen, wohlwissend, dass die komplexen The­ menzusammenhänge wie auch die Gespräche und Begegnungen am Rande nur völlig unzureichend skizziert werden. Wertevorstellungen in Architektur und Design-Fragen. Das beginnt bestenfalls mit dem Versuch, am ersten Akademietag, Begriffe zu klären. Ein gedanklicher Streifzug Wolfgang Meisenheimers durch die Philosophiegeschich­ te Europas und Bemerkungen zu aktuellen Interpretationen und damit auch Irritationen zeitgenössischer Auffassungen von Werten lieferte ausreichend Stoff, um in dieser Runde in die Akademie einzusteigen. Ulrich Schoedlbauer schickte einen Text, der, vorgetragen von Michael Schulze, der Ordnung des Geldes nachgeht. Mit 16 Thesen versucht der Autor darin, die komplexe Frage aufzuhellen, wie etwas, dass Ordnung ist, Unordnung sein kann. Andreas Bangemann, Herausgeber der Zeitschrift „Humane Wirtschaft“ beschrieb die Verwirrung der Finanzwelt und plädierte für eine Neudefinition des Wirtschaftsbegriffs überhaupt. Der zweite Tag wurde vor allem von Architektur- und Kunstthemen be­ stimmt. Jürgen Hasse redete über die Rettung des Besonderen in Zeiten blendender Oberflächen. Eindrucksvolle Bildbeispiele vom verantwortungslosen Umgang mit gebauten urbanen Werten zeigten auf, wie folgenreich sich die Beschleuni­ gung ahistorischen Denkens auswirkt. Hasse sieht die Ursachen dafür unter an­ derem in einem Bildungssystem, das anstatt über Werte aufzuklären, zu „einem langen Training von Lernvermeidungssituationen“ verkommen ist. Katia Baudin präsentierte mit ihrem Beitrag das von ihr geleitete Kaiser Wilhelm Museum und die Häuser Lange und Ethers in Krefeld. Für sie sind das vor allem Orte der Begegnung. Angefangen von Arbeiten Peter Behrens und seinen Zeitgenossen, bis hin zu aktuellen künstlerischen Positionen von Leuten wie Jasmina Cibic oder Elmgreen und Dragset, entstehen Dialoge zwischen Menschen mit verschiedenen Werken und Wertvorstellungen. Alle, die daran beteiligt sind oder zu Besuch kommen, sind spürbar herzlich in Frau Baudins Häusern eingeladen, mitzumachen. Mit ihrem Vortrag von Carolin Stapenhorst über die Wirkungsmacht der Digitalisierung aus der Perspektive der Werkzeugkulturen, gelang der praktisch und theoretisch arbeitenden Architektin ein Mut machender Einblick in ihre Forschungsarbeit zur Kombination digitaler Technologien mit kreativen hand­ werklichen Vorgängen. Der Schweizer Städtebauer und Architekt Peter Degen referierte über Mythos und städtischen Raum. Seinem abschließenden, eher düsteren Ausblick in den Zustand unserer „zunehmend paranoiden Gesellschaft zur Abgrenzung“ ging ein ausgebreiteter Spaziergang durch Themen menschlicher Bau- und Kulturge­ schichte voraus. Für Degen ist ein Mythos wahr, weil er wirkt. In diesem Sinne erkennt er bestimmte Grundmuster im menschlichen Miteinander und in deren Benutzung verschiedenster Stadträume. Deren Werte sind tief verankert in einem kollektiven Gedächtnis. Der dritte Tag schließlich zeigte mit dem Beitrag von Simon Koolmann und Ruben Sommer, am Beispiel ihrer Masterarbeit zur Um- und Neunutzung des Frankenbads in Bonn auf, wie sich die jungen Alanus-Absolventen den Umgang mit gebauten Werten in der Zukunft vorstellen. Insbesondere die bewusste Gestaltung gemeinschaftsorientierter Prozesse ist für sie eine Grundlage für verantwortungsvolles Handeln. Der letzte Vortrag von Friedrich Wagner knüpfte noch einmal an die Ein­ führung an und richtete den Blick auf die Entwicklung europäischer Kulturge­ schichte und ihrer Werte. Sein Fazit am Ende war, dass menschenwürdiges Le­ ben einen Konsens über Wertvorstellungen braucht. In diesem Sinne ist für ihn die Werkbundakademie eine Schule des Zuhörens und gemeinsamen Suchens. Das ist, so meinte er, eine wunderbare Übung und Chance, Verschiedenartigkeit zuzulassen und über den Austausch unterschiedlicher Haltungen voneinander zu lernen.

Das gewohnte abschließende Planum bot noch einmal die Gelegenheit zum zusammenfassenden Gespräch der Teilneh­ mer aus den beteiligten Hochschulen mit den Mitgliedern des Werkbunds. Im Nachgang erreichten uns einige Rückmeldungen aus denen ich hier einen Satz wiedergebe: „Die Akademie bietet eine einzigartige Plattform, die den Austausch zwischen Stu­ dierenden, Lehrenden und Menschen aus der Wirtschaft auf Augenhöhe fördert. Wo treffen diese Personengruppen sonst schon aufeinander?!?“ Gerne wieder im nächsten Jahr, dann sicher mit Bezug zum Bauhaus Jubiläum. Allen Mitwirkenden und Teilnehmern der Akademie 2018 auch im Namen von Eva Filter und Wolfgang Meisenheimer unser herzlicher Dank! •


Werkbundakademie (Bild) Wuppertal

Mein und Dein Die Korrektur der Werte in Architektur und Design Werkbundakademie, 25. – 27. Mai 2018, Internationales Evangelisches Tagungszentrum, Wuppertal TEXT Prof. Benedikt Stahl


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Bürger machen Baukutlur Vielfalt, Perspektiven und Rezepte für Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftliches Engagement Kooperationsveranstaltung des Instituts für Prozessarchitektur mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Rohrmeisterei TEXT Prof. Dr. Florian Kluge

BürgerBauKultur (Bild) Symposium Bürger machen Baukultur


Das Institut für Prozessarchitektur am Fachbereich Architektur ist ein Zusammenschluss mehrerer Professoren, wissenschaftli­ chen Mitarbeiter, Studierender und externer Mitglieder, die sich zum Ziel gesetzt haben, Projekte und Ideen rund um das Thema „Prozessarchitektur“ zu entwickeln. Zu den Aktivitäten gehören neben regelmäßigen Werkstätten und Forschungsprojekten auch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, in denen aktuel­ le Fragen diskutiert und neue Netzwerke geknüpft werden. Nach dem IPA-Symposium und der Veranstaltung „40 x Praktisch“ in 2018, wurde auch 2019 wieder ein größeres Event durchgeführt. Gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Rohrmeisterei organisierte Prof. Dr. Florian Kluge das Symposium „Bürger machen Baukultur“, das die Vielfalt, Perspektiven und Rezepte für Bürgerbeteili­ gung und zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich der Architektur und Stadtentwicklung vorstellte. Am 04. April 2019 kamen über 100 Teilnehmer in Schwerte zusammen, um mit Experten über Möglichkeiten der Beteiligung und des Engage­ ments von Bürger in der Baukultur anhand von wegweisenden und vorbildlichen Beispielen zu sprechen. Bürgerbeteiligung, Bürgerentscheide, Bürgerprojekte – in fast allen Gesellschaftsbereichen wollen sich Menschen einbrin­ gen und nicht mehr ausschließlich den gewählten Vertreter aus der Politik die Entscheidungen zu ihrer Zukunft überlassen. Mit einer guten Mischung aus theoretischen Hintergründen, neuen Perspektiven, erfolgreichen Beispielen und Angeboten zur Unterstützung bot die Veranstaltung ein breites Spektrum zur „BürgerBauKultur“ und hat damit gezeigt, dass bürger­ schaftliche Projekte in ihrer Vielfalt, Individualität und Kreati­ vität einen außerordentlich wertvollen Beitrag zur Gestaltung unserer Zukunft leisten. Auch in der Baukultur wollen Bürger mitentscheiden. Wie lässt sich das Engagement und die Partizipation von Bürgern in die Dorf- und Stadtentwicklung einbinden? Wie weit müssen sich Verwaltungen von gewohnten Abläufen verabschieden, wie viel fachliche Unterstützung benötigen Bürgerprojekte bei der Komplexität heutiger Bauprojekte? Diesen Fragen ging das IPA in seinem Baukultursymposium – moderiert von Martin Schmidt und Prof. Dr. Florian Kluge – nach. Den wissenschaftlichen Hintergrund bot Prof. Dr. Klaus Selle - emeritierter Professor am Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen-, der seit Jahren aus­ gewiesener Experte zum Thema „Bürgerbeteiligung und zivil­ gesellschaftliches Engagement in der Stadt“ ist. Er ist überzeugt: „Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement sind vor allem eine Kommunikationsaufgabe – die auf Augenhöhe erfolgen muss!“ Wie aus einem einzigen Ton ein kleines Konzert wird, wie aus einer einzigen Idee sich ein erfolgreiches Bürgerprojekt mit vielen Beteiligten entwickeln kann, zeigte Prof. Willem-Jan Beeren in Alanus-typischer Manier: Gemeinsam mit 20 Frei­ willigen aus dem Publikum ließ er mit Hilfe von Percussion-

Instrumenten ein spontanes musikalisches Projekt entstehen, das Gemeinschaftsprozesse direkt erlebbar machte. Im zweiten Block präsentierten bürgerschaftliche Initiati­ ven ihre Projekte und Ideen: Zu den vorgestellten Projekten gehörte der Umbau des Leohauses in Olfen im Münsterland, wo aus einem ehemaligen katholischen Gemeindehaus ein neues Zuhause für viele Vereine, Institutionen und die Jugendarbeit wurde. „Möglich wurde dies nur durch ein überwältigendes Bürgerengagement und der Gründung einer Bürgerstiftung. Der Bürgermeister muss sich als „Hebamme“ für Bürgerpro­ jekte und nicht als „Macher“ verstehen“, so Josef Himmelmann, der ehemalige Olfener Bürgermeister, der das Projekt seit seinen Anfängen begleitet hat. Eher im städtischen Kontext präsentierte sich Utopiastadt in Wuppertal, das anhand eines Films vorgestellt wurde: Ein Bahn­ hof von gestern als Labor für die Stadt von morgen. Der Mirker Bahnhof ist heute ein Stadtraum, den engagierte Bürger für die Nachbarschaft erobert haben und Raum für unterschiedlichs­ te Kultur- und Freizeitangebote bietet. Das PlatzProjekt aus Hannover und das Zentrum Via Adrina in Arfeld rundeten die Vielfalt der Projekte ab – die in der Summe deutlich machten, dass unabhängig davon, ob sie von der Verwaltung oder von Bürgern selbst angestoßen wurden, eine Kooperation miteinan­ der unbedingt erforderlich ist. Tobias Bäcker, Geschäftsführers der Rohrmeisterei und ge­ meinsam mit LWL und IPA Mitveranstalter, führte anschlie­ ßend durch das Haus und erklärte Entstehung und Geschäfts­ modell von Gastronomie und Veranstaltungszentrum, das selbst von einer Bürgerstiftung getragen wird und im laufenden Betrieb ohne öffentliche Förderungen auskommt. Im dritten Teil der Veranstaltung wurden Büros, Programme und Initiativen vorgestellt, die Bürgerprojekte mit konkreten Verfahren, Werkzeugen und Methoden unterstützen. Mit den Büros „startklar“ und „nonconform“, der Stiftung Trias, dem Netzwerk Immovielien sowie der Landesinitiative „StadtBau­ Kultur NRW“ konnten namhafte Institutionen aufzeigen, wel­ che Anlaufstellen, Förderprogramme und Netzwerke existieren, an die Initiativen und Kommunen sich wenden können. Zum Abschluss präsentierte Prof. Dr. Kluge als Mitveran­ stalter des Symposiums 33 Baukulturrezepte – ein Produkt des Forschungsprojekts „Baukultur konkret“. Mit einem Augen­ zwinkern machte er deutlich, dass auch komplexe Beteiligungs­ verfahren nicht immer aufwändig sein müssen und viel Freude machen können. •

»Beteiligung muss lustvoll und niedrigschwellig sein – wenn gemeinschaftlich Verantwortung übernommen wird, können wunderbare neue Dinge entstehen!« (Prof. Dr. Florian Kluge)


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Schule neu denken Qualifizierungsprozess zur Erweiterung der Freien Waldorfschule Hof Drittmittelprojekt am Institut fĂźr Prozessarchitektur Prof. Swen Geiss, Miriam Hamel und Frederic Hormesch TEXT Prof. Swen Geiss


Welche räumlichen Bedingungen braucht die Schule von morgen? Wie können Schulbau­ projekte gemeinschaftsorientiert entwickelt werden? Welche Strukturen und Arbeitsweisen sind dafür erforderlich? Wie können unter­ schiedliche Perspektiven in den Planungs- und Bauprozess einfließen? Wie treffen multiper­ sonale Bauherren Entscheidungen? Wie lassen sich Qualitäten von Lernräumen in der Gruppe entwickeln? Wie kann ein nachhaltiger Um­ gang mit Energie und Ressourcen im Schulbau realisiert werden? Mit diesen und anderen Fragen nach der Entwicklung zukunftsfähiger Lernräume beschäftigt sich das Institut für Prozessarchi­ tektur seit einigen Jahren in Lehre, Forschung und Entwicklungsprojekten. Von Oktober 2018 bis März 2019 war das Institut in Kooperation mit team 51.5° architekten, vertreten durch Prof. Swen Geiss, Miriam Hamel und Frederik Hormesch beauftragt, die Freie Waldorfschule Hof in der inhaltlichen und formalen Vorbereitung ihrer anstehenden Schulerweiterung in einem Werkstattverfahren zu begleiten, so dass die Schule ihre Aufgaben als gemeinnütziger und multipersonaler Bauherr im bevorstehenden Planungs- und Bauprozess erfolgreich wahr­ nehmen kann.

Werkstattverfahren (Bild) Waldorfschule Hof


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Ziel des Werkstattverfahrens war es, gemeinsam mit Vertretern aus allen Bereichen der Schulgemeinschaft – Lehrerschaft, Eltern­ schaft, Schülerschaft, Vorstand, Geschäftsfüh­ rung, Elternvorstand und Schulführung – das geplante Erweiterungsvorhaben der Schule zu qualifizieren. Dabei sollte das Erweite­ rungsvorhaben als Chance für eine ganzheit­ liche Betrachtung des Gebäudebestands, der Nutzungszonierung in den Bestandsgebäuden und der vorhandenen Raumbedarfe dienen, um daraus das Profil des Neubaus mit Aussa­ gen zu Raumprogramm, Standort, Volumen, Ausrichtung, Nutzungszonierung, Charakter, Materialität, Farbigkeit, Atmosphäre, Technik und Energie abzuleiten. Das Format des Werkstattverfahrens war als mehrteilige Werkstattreihe mit vorbereiten­ den Treffen, vier Werkstatttagen sowie einer abschließenden schulöffentlichen Präsentation der Arbeitsergebnisse konzipiert. Die beiden Vorbereitungstermine mit Geschäftsführung und Vorstand und dem er­ weiterten Vorbereitungskreis dienten der Kon­ zeption der Zusammenarbeit. Die Werkstätten mit Vertretern aus allen Bereichen der Schule fanden im Zeitraum Oktober 2018 bis Januar 2019 jeweils samstags in der Schule statt. Die vier Werkstätten bauten inhaltlich aufeinander auf und hatten jeweils einen eigenen themati­ schen Fokus. Die Arbeitsweise war geprägt von einer kla­ ren Arbeitsstruktur und einer methodischen Vielfalt, die Input, Austausch und gemeinsa­ me Arbeit in geeigneter Weise verband. Die Struktur der Workshop-Tage beinhaltete in der Regel einen Rückblick und Bericht zum Arbeitsstand, einen inhaltlichen Input, einen ersten und zweiten Arbeitsteil mit resümieren­ der Reflektion, Beiträge zur Projektentwick­ lung und ergänzend zu erarbeitende Produkte sowie ein zusammenfassendes Votum mit Konsensbestätigung zu den Arbeitsergebnissen des Tages und zum weiteren Vorgehen. Die erste Werkstatt fand am 13.10.2018 statt und widmete sich unter der Überschrift „Themen“ der inhaltlichen Ausrichtung der gemeinsamen Arbeit im Rahmen des Werk­ stattverfahrens. So ging es zunächst um das gegenseitige Kennenlernen. Erarbeitet wurden Inhalte, Themen, Bedenken und Sorgen in Bezug auf den anstehenden Erweiterungspro­ zess der Schule sowie Erwartungen in Bezug auf die Zusammenarbeit im Rahmen des Werkstattverfahrens. Daraufhin ging es um die Reflektion von Struktur und Ablauf des Verfahrens sowie die inhaltlichen Ausrich­

tung der vier Werkstätten. Schließlich wurden Prinzipien der Zusammenarbeit bezüglich der Kontinuität in der Teilnahme als auch der legitimierten Konsens- und Entscheidungsfin­ dung festgelegt. Die zweite Werkstatt fand am 24.11.2018 statt und fokussierte die „RaumBedarfe“ der Schulgemeinschaft. In einem einführenden In­ put wurden zunächst neue Lernräume und ak­ tuelle Fragestellungen im Schulbau anhand von Projektbeispielen vorgestellt. Daraufhin wurde der Raumbestand der Schule in Quantität und Zuordnung reflektiert und der Raumbedarf in Quantität und Qualität ermittelt. Anschließend erarbeiteten die Werkstattteilnehmer eine modellhafte Funktionszuordnung innerhalb des erweiterten Raumprogramms für das gesamte Schulgelände. Abschließend wurden verschiedene Organisationsmodelle für die Bauherrenvertretung der Schule erörtert. Die dritte Werkstatt fand am 15.12.2018 statt und thematisierte das gesamte „Gelände“ der Schule. Wesentliches Ziel der gemeinsa­ men Arbeit war es, durch eine detailliertere Betrachtung und Bewertung verschiedener Va­ rianten zu einer Entscheidung für ein – in der Schulgemeinschaft breit getragenes – Szenario der Nutzungsverteilung auf dem Schulgelände zu kommen. Auf Grundlage des favorisierten Szenarios wurden der Außenraum und die dort erforderlichen Maßnahmen beleuchtet. Die vierte und letzte Werkstatt fand am 12.01.2019 statt und stand unter der Über­ schrift „Gebäude“. Wesentliches Ziel der letzten Werkstatt war es, anknüpfend an das in Werkstatt III erarbeitete Szenario für die Nutzungsverteilung auf dem Gesamtgelände, nun das Neubauvorhaben weiter zu qualifizie­ ren. Dabei ging es in einem ersten Schritt um grundlegende Fragen nach Größe, Positionie­ rung, Geschossigkeit und Nutzungsverteilung im Neubau sowie in einem zweiten Schritt, um ein detailliertes Gebäudeprofil hinsichtlich Charakter, Materialität, Farbigkeit und Atmo­ sphäre sowie Technik und Energie. Zentrale Ergebnisse des vierteiligen Werk­ stattverfahrens waren einerseits die qualita­ tive Profilierung des Neubauprojektes und andererseits die quantitative Bestimmung der Baumaßnahme. Auf qualitativer Ebene konnte aus der ganz­ heitliche Betrachtung des Gebäudebestands, der Nutzungszonierung auf dem Gesamtge­ lände und der vorhandenen Raumbedarfe das Profil des Neubaus abgeleitet werden. So wurde ein zweiteiliger Neubau mit einem Oberstufenhaus mit naturwissenschaft­

lichen und künstlerischen Fachräumen und Teilen der Verwaltung und ein Saalbau mit er­ gänzender Lehrküche vorgesehen. Die Summe aller Nutzflächen im Neubau beläuft sich auf ca. 1.250 m². Neben der inhaltlichen Ausrichtung des Erweiterungsbaus konnten auf struktureller Ebene Themen der Projektentwicklung wie Planungs- und Baurecht, Organisation der Bauherrenvertretung, Verfahren für die Planer­ wahl, Kostenrahmen, Finanzierungsmodell und Zeitschiene erarbeitet werden. Für den anstehenden Planungs- und Bauprozess wurde ein Organisationsmodell mit externem Projektsteuerer und internem ­Steuerungskreis gewählt. Der Steuerungskreis wird von Seiten der Schulgemeinschaft die Aufgabe der Bauherrenvertretung überneh­ men. Als Sprachrohr und Entscheidungsgre­ mium ist der Steuerungskreis in ausgewogener Form mit kompetenten Vertretern aus allen Teilen der Schulgemeinschaft zu besetzen. Zur Wahl eines geeigneten Planers hat sich die Werkstattgemeinschaft für ein VgVVerfahren mit integriertem Architekturwettbe­ werb entschieden. Die Inanspruchnahme von Schulbauförderung erfordert bei gegebener Projektgröße eine europaweite Ausschreibung.


Die Zeitschiene für den Planungs- und Bauprozess des Neubaus wurde in Abhängig­ keiten der verschiedenen Schritte im Vergabe-, Planungs- und Bauablauf definiert. Die sich daraus ergebende grobe Zeitschiene sieht bei einem Start des Planungsprozesses im Frühsommer 2019 einen frühestmöglichen Übergabe- und Einzugstermin im September 2022 vor. Die wesentlichen Arbeitsergebnisse wurden am 30.03.2019 zum Abschluss des Werkstatt­ verfahrens in einer außerordentlichen Mitglie­ derversammlung vorgestellt. Auf Grundlage dieser Präsentation wurde die Entscheidung zu Gunsten des Erweiterungsvorhabens der FWS einstimmig getroffen. Somit diente das Arbeitsergebnis des Werkstattverfahrens einerseits als Entscheidungsgrundlage zur Projektentwicklung des Erweiterungsbaus und andererseits als konturierte Aufgabenstellung für das daraus resultierende Planungs- und Bauprojekt. •

Waldorfschule Hof (Bild o.) Schulgebäude und Pausenhof Werkstattverfahren (Bild u.) Waldorfschule Hof


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Palottikirche, Rheinbach (Bild) Semesterpräsentation von Julian Weber und Raphael Reichert, HS 2018. Willem-Jan Beeren


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Betonguss (Bild) Seminar Formenlehre HS 2018, Atelieransicht. Willem-Jan Beeren


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Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft Fachbereich Architektur Prof. Benedikt Stahl Prof. Dr. Florian Kluge Dipl.-Ing. Annett Hillebrand Villestr. 3 53347 Alfter www.alanus.edu mag@alanus.edu REDAKTION UND KOORDINATION

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Badezimmer in der Villa Beer, Architekt Josef Frank (Bild) Benedikt Stahl




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