Nonsense

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Hey, Leser! Schön, dass du dich für mich entschieden hast. War es mein buntes Cover oder der unwiderstehliche Geruch nach frischer Druckerschwärze? Wahrscheinlich hast du mich aufgeschlagen, weil du weiBt, dass ich von Schülern gemacht wurde. Mein ganzer Inhalt, vom Foto bis zur Reportage, ist in ihren kreativen Köpfen entstanden - über ein ganzes Jahr hinweg im Seminarkurs. „Wie haben sie das geschafft?“, fragst du dich vielleicht. Mit viel Arbeit und ein wenig Hilfe von Herrn Müller und Herrn Messer, die Schreibbegeisterte in ihren Journalismuskurs eingeladen haben. Es wurde recherchiert und interviewt, Ideen wurden gefunden und wieder verworfen. Und am Ende kam ich auf die Welt und nun lieg ich in deinen Händen. Lies mich! In mir findest du Texte über Themen, die meine Verfasser an Freiburg und anderen Ländern am interessantesten finden. Worauf wartest du noch? Schlag mich auf und lies mich!

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Kultur


Dann veröffentliche ich eben selbst Vom Schreiben leben zu können, ist der Traum jedes Autors, auch der Freiburger Autorin Sina Müller. Dafür benötigt man allerdings nicht nur eine Menge Talent, sondern auch jede Menge Glück.

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ch habe mir einfach nur überlegt: Wie ist es eigentlich für einen Jungen, in einer bekannten Band ein Mädchen kennenzulernen, das nicht nur den Musiker mag, sondern auch den Menschen dahinter.“ Die endlose Autobahn vor einem und das monotone Brummen des Motors im Hintergrund - bei einer einsamen Autofahrt hat man viel Zeit zum Nachdenken und die Gedanken beginnen zu kreisen. Sie wandern von einem Thema zum anderen, vom anstehenden Wocheneinkauf bis zum Fenster, das man noch putzen muss. Aus einem einzigen unscheinbaren Gedanken kann jedoch auch eine ganze Geschichte entstehen. So auch bei Sina Müller, die bei einer langen Autofahrt die ersten Ideen für ihr Buch „Josh und Emma – Soundtrack einer Liebe“ sammelte. Sina Müller ist eine erfolgreiche Autorin und im Bereich Jugendliteratur tätig. Geboren wurde die 41-Jährige in Frei-

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burg, dort lebt sie nach wie vor mit ihrem Sohn und ihrem Lebensgefährten. Auch nach dem Veröffentlichen von mehreren Buchreihen ist das Schreiben für sie nur eine Freizeitbeschäftigung und sie arbeitet weiterhin im Bereich Marketing. Auf dem Weg ihren Traum zu verwirklichen, standen ihr zahlreiche Probleme ihm Weg, von diesen Erfahrungen profitiert sie allerdings heute noch. Das Marketing hat Sina Müller erst zum belletristischen Schreiben gebracht. Jedoch bot das damit verbundene Verfassen von Werbetexten einer leidenschaftlichen Schriftstellerin leider keinerlei Spielraum. Sina wurde auf viele Textschulungen und Seminare geschickt und entdeckte die Liebe zum geschriebenen Wort und die Begeisterung dafür, „was man allein damit bewirken kann, einen Satz komplett umzudrehen oder anders zu formulieren.“ Alleine durch verschiedene Adjektive kann

man den kompletten Charakter einer Person ändern oder durch das Umstellen von Sätzen ganze Handlungen. Während ihrem Fernstudium über „Kreatives Schreiben“ von 2007 bis 2010, bekam sie viele hilfreiche Tipps, die sie dann in ihrem ersten Jugendbuch umsetzte. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die schon jedes kleinste Detail ihrer Geschichte wissen, bevor sie überhaupt mit dem Schreiben begonnen haben, entsteht Sinas Buch „experimentell“. Ihre Charaktere und die Geschichte entwickeln sich erst im Laufe des Schreibens. „Wenn ich ein Buch anfange, weiß ich selber nicht, wie es endet“, erzählt sie und lacht. Sina Müller wandte sich ihrem Lieblingsgenre, den Liebes- und Jugendromanen zu. Sie erzählte ihre Geschichte von Josh und Emma vor der wunderschönen Kulisse ihrer Heimatstadt Freiburg. „Es fällt einem


leicht einen vertrauten Ort authentisch zu beschreiben.“ Heutzutage spielen Jugendromane meistens in „hippen“ Städten in den USA, wie beispielsweise Los Angeles, da das die Bücher verkaufsfähiger macht und dadurch auch die Verlage ein größeres Interesse an dem Manuskript haben. Sie jedoch, wollte sich von anderen Büchern in ihrem Genre differenzieren und ihren Fokus auf die Charaktere legen. Als es dann in Richtung der Veröffentlichung ihres ersten Buches ging, stand sie - wie auch viele andere Autoren - vor dem großen Problem, den geeigneten Verlag zu finden. Bekannte Verlage in Freiburg sind zum Beispiel Herder und Rombach, diese spezialisieren sich auf Bereiche, wie Theologie und Wissenschaft. Also nicht geeignet, um den Traum vom eigenen Buch in der Buchhandlung verwirklichen zu können. Um den erhofften Absprung zu

schaffen, wandte sich Sina an die großen und bekannten Publikumsverlage. „Das eigene Werk in der Buchhandlung stehen zu sehen, dann hat man sein Ziel erreicht!“

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m bei den namhaften Autoren mitmischen zu können, braucht man einen Agenten, der das Manuskript dem Verlag vorstellt. Allerdings hat Sina Müller damit eher schlechte Erfahrungen gemacht, denn sie hatte zwei Angebote von Agenten. Diese wollten jedoch massive Veränderungen an ihrem Manuskript vornehmen. Beispielsweise wollten sie die

Haarfarbe des Hauptcharakters von braun zu blond ändern, um so ihr Buch verkaufsfähiger zu machen und es dem aktuellen Trend anzupassen. Die meisten Trends stammen aus den USA und Kleinigkeiten, wie eine bestimmte Haarfarbe, haben einen starken Einfluss auf die Verkaufsfähigkeit eines Buches. Charaktereigenschaften oder bestimmte Merkmale des Aussehens, die die Verkaufszahlen der Bücher in den USA ansteigen ließen, haben auch in Deutschland eine ähnliche Wirkung. Sina war in einem großen Zwiespalt: „Dann ist es nicht mehr meine Geschichte. Ich habe

Selfpublishing Autoren publizieren ihre Bücher nicht mit einem Buchverlag, sondern das Buch wird mithilfe von Self-Publishing-Plattformen im Internet veröffentlicht. Der Bucherstellungsprozess wird in der Regie des Autors gesteuert, für die Inhaltsbereitstellung, die Covergestaltung, sowie das Buchmarketing ist er selbst verantwortlich.

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Sina Müller, geboren 1977 in Freiburg ist eine erfolgreiche Autorin und sowohl im Selfpublishing, als auch im normalen Verlag tätig. Sina Müller fing schon sehr früh an zu schreiben, auch wenn es anfangs nur Spickzettel mit der besten Freundin im Unterricht waren. Erst durch den Beruf im Marketing entdeckte sie ihre Leidenschaft zum belletristischen Schreiben. Aus einer harmlosen Freizeitbesch‘ftigung wurde durch das Fernstudium über Kreatives Schreiben ein Nebenjob. Ihr erstes Buch “Josh und Emma - Soundtrack einer Liebe”, welches 2014 erschien, veröffentlichte Sina im sogenannten Indie-Verlag. Trotz vieler Probleme auf dem Weg zum fertigen Buch, schaffte sie den Absprung in die Autorenwelt. Mittlerweile sind fünf Bücher von ihr, sowohl im Selfpublishing, als auch im Verlag erschienen. Ihre Geschichten drehen sich meist um die große Liebe und um Musik. Sina Müller lebt mit ihrem Lebensgefährten und ihrem siebenjährigen Sohn in Freiburg. Ihre Traumstadt Freiburg ist die Kulisse ihrer ersten beiden Romane. Das Schreiben ist weiterhin nur eine Nebenbeschäftigung, da sie auch heute noch im Marketing eines IT-Unternehmens arbeitet. Privat liest sie unglaublich gerne, näht und geht klettern, reist um die Welt, besucht die unterschiedlichsten Konzerte und genießt das Leben in vollen Zügen.

dann hin und her überlegt, mach ich’s, dann hätte ich es jedoch nochmal komplett umschreiben müssen, hätte wichtige Handlungen und Charaktereigenschaften ändern müssen. NEIN! Das ist nicht mein Weg!“ Es ist heutzutage ein wahres Glücksspiel einen Agenten zu finden, der von dem Manuskript begeistert ist und es dem Verlag dann auch vorstellt. Die großen Publikumsverlage sind nicht mehr risikobereit. Sie vermarkten lieber Autoren mit bereits veröffentlichten Büchern und einer vorhandenen Fangemeinde. Bei ihnen steht die Vermarktbarkeit des Buches im Vordergrund und nicht das eigentliche Talent des Autors. Eine Meinung, die auch Sina teilt: „Sie schauen, was ist gerade auf dem Markt gefragt. Dementsprechend werden die Manuskripte eingekauft und glattgebügelt.“ Haben Autoren überhaupt noch eine Chance in diesem Geschäft? Oder geht es nur noch um Vermarktbarkeit, aktuelle Trends und Verkaufszahlen? Wird heutzutage vielleicht der eigentliche Inhalt

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des Buches zu weit in den Hintergrund gestellt? Ohne sich anzupassen, ohne „hipp“ zu sein, hat man als unbekannter Autor kaum die Chance etwas Neues auf den Markt zu bringen. Sina wandte sich aus diesem Grund dem sogenannten Self- Publishing zu. Autoren publizieren ihre Bücher hierbei nicht mit einem klassischen Buchverlag, das Buch erscheint also nicht im Laden, sondern wird mithilfe von Self-Publishing-Plattformen im Internet veröffentlicht. Der Bucherstellungsprozess wird in eigener Regie gesteuert und auch die eigentlichen Aufgaben des Verlags übernimmt man selbst. Für die Inhaltsbereitstellung, die Covergestaltung, sowie das Buchmarketing ist man selbst verantwortlich. Der Bereich Self-Publishing ist jedoch für seine unprofessionellen Bücher bekannt, da sie nicht lektoriert werden und das Cover oft selbst designed wird. Durch teilweise auffällige Fehler entstehen negative Rezensionen und der schlechte Ruf. Die selbstpublizierten Bücher sind günstiger als im

Buchhandel. Sina legte allerdings großen Wert auf Professionalität, engagierte eine freie Lektorin und einen Grafikdesigner für ihr Buchcover. Sie lernte eigene E-Books zu erstellen und mit genügend Zeit - und Geld - schaffte sie es, sich selbst zu verwirklichen. Der Bereich Self-Publishing bietet einige Vorteile, wovon vor allem junge Autoren profitieren. Immer mehr Menschen in Deutschland greifen zum E-Book und lehnen das klassische Buch ab. Im Jahr 2010 betrug der Umsatzanteil von E-Books auf dem Buchmarkt noch 0,5%, im Jahr 2017 schon 4,6%. Ein Tablet - die Bibliothek im Urlaubsgepäck - mit einem Klick eine unbegrenzte Auswahl an Büchern und mit einem Klick sind Fachausdrücke schnell nachgeschlagen. Die Buchhändler stehen dem Thema Self- Publishing allerdings eher skeptisch gegenüber. Sie stimmen den schlechten Rezensionen der Leser zu und befürchten, dass langfristig auch Arbeitsplätze durch die Digitalisierung des Buches verloren gehen.


Nach dem Veröffentlichen ihres ersten Buches engagierte Sina eine Presseagentin in der Hoffnung, Jugendliche mithilfe regionaler Zeitungen auf ihr Buch aufmerksam zu machen. „Mit der Presse ist das hier in Freiburg schwierig. Die Tatsache, dass die Geschichte in Freiburg spielt, reichte leider nicht aus, um in einem Zeitungsartikel erwähnt zu werden. Vielleicht war es ihnen auch zu unspektakulär, weil ich nicht für irgendeinen super Nachwuchspreis nominiert wurde. Ich weiß nur von zwei anderen Freiburger Autorinnen, die sehr erfolgreich im Self-Publishing sind. Sie haben schon an die zehn- bis hunderttausend Bücher verkauft und es trotzdem nicht geschafft, in der Presse erwähnt zu werden.“ Dies zeigt erneut wie schwierig es ist, sich überhaupt einen Namen zu machen. Denn Sina Müller ist sicherlich nicht die Einzige, die weder vom Verlag, noch von der Presse, eine Chance bekam. Unter diesen Voraussetzungen hätten Einige schon längst aufgegeben.

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bwohl Sina mittlerweile schon mehrere Buchreihen, überwiegend als E-Books, veröffentlicht hat, kann sie trotzdem noch nicht vom Schreiben leben, geschweige denn ihre Familie ernähren. „Ich arbeite Teilzeit und schreibe nur nebenher. Wenn man davon leben möchte, ist da ein Wahnsinnsdruck dahinter, da man sehr viel und sehr schnell publizieren muss und das ist nicht so meins.“

Sich mit anderen Autorinnen zu vernetzen, ist eines der wichtigsten Dinge. Davon profitierte sie besonders, als sie sich mit zwei anderen Autorinnen zu dem Autorenlabel „Kolibri Herz“ zusammenschloss. „Schreiben ist einsam genug“, bekennt Sina Müller. Die gegenseitige Unterstützung und die Aufteilung der Arbeit, welche beim Vermarkten eines Buches anfällt, sowie die offene Kritik von Kollegen helfen Sina täglich. Diese Erfahrung möchte sie gerne an junge Autoren weitergeben. 2011 nahm Sina Müller an einem Schreibwettbewerb von triboox und dem Oetinger-Verlag teil und sicherte sie sich unter rund 400 Einsendern auf Anhieb den dritten Platz. Sie nutzte den Wettbewerb vor allem um ein ehrliches und neutrales Feedback zu nerhalten und sich neuen Herausforderungen zu stellen, aber auch um bekannter zu werden. Lena in Love: Tanz mit mir, ist ein weiteres Buch welches Sina durch Self-Publishing veröffentlichte. Der kostenlose Zugriff auf dieses Buch macht ein Kindle Unlimited Abo möglich. Da sie pro Leser nur Cent Beträge verdient, nutzt es eher um Fangemeinden aufzubauen. Nebenher veröffentlicht Sina Müller auch Kurzgeschichten über die Plattform Readfy, bei der man kostenlos tausende von E-Books lesen kann, hier wurde Sina von der Plattform engagiert, um für diese zu schreiben. Dafür bekommt sie im Voraus eine Gage.

Auch anderen neuen Plattformen, wie beispielsweise Wattpad, steht Sina offen gegenüber. Bei Wattpad kann man nach und nach einzelne Kapitel seines Buches veröffentlichen und die User können das Geschriebene kommentieren. Dadurch hat man vor dem ersten Veröffentlichen seines Buches bereits eine Fangemeinde aufgebaut und Verlage stehen dadurch einer bekannten Autorin gegenüber. Die amerikanische Autorin Anna Todd wurde beispielsweise mit Fanfictions über Wattpad bekannt. Sie hat mittlerweile schon mehrere Bücher veröffentlicht, die auch international übersetzt wurden und so hat sie es in Deutschland unter die Bestseller geschafft. Die Bücher sollen schon bald verfilmt werden. Bei Sina entstanden so aus einzelnen Gedankenstücken, auf einer trostlosen Autofahrt mittlerweile zwei Bücher. Die Geschichte von dem bürgerlichen Mädchen Emma, welches sich in den unberechenbaren Rockstar Josh verliebt. Trotz aller Wiederstände, dazu gehören Paparazzos und kreischende Mädchen, kämpfen sie um ihre Liebe. Man braucht nicht viel um seinen Traum zu verwirklichen, es erfordert allerdings Kampfgeist und Mut Neues auszuprobieren. Selina Reichardt

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Lebensart






Cannabis legalisierenWarum denn nicht!?

Für Till ist Cannabis Lebensgefühl, Szenedroge und Heilmittel zugleich. Darauf verzichten möchte er nicht.




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Wie der 18 Jahre alte SchĂźler Markus all sein Geld mit Sportwetten verspielt und seine Freunde verliert




Zwischen Topinambur und Techno Freiraum in Freiburg: ein alternatives Kulturzentrum bietet Raum für Feierwütige, Leckermäuler und Mitmischer

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in regnerischer Nachmittag in Freiburg. Die Schülerin Zora Abedini läuft die Stufen vor dem Kulturtreff in Selbstverwaltung, kurz KTS, hinauf. Das alte Bahngebäude in der Nähe des Pressehauses verströmt ein heimeliges Licht. Zora betritt einen Raum im unteren Stockwerk und wird prompt von einem jungen Mann mit Strickmütze und Wanderschuhen, der auf einem durchgesessen Sofa liegt, angesprochen: „Erzähl mal einen Deine-Mutter-Witz!“ Sie erkennt ihn, hat ihn schon bei einigen Parties hier gesehen, jetzt stellt er sich als

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Daniel vor. Er „hängt nur so hier rum“ , aufs Gemüseschneiden hat er keine Lust, dafür umso mehr auf Kartenspielen. Der Umgang in der KTS ist sehr familiär, hat fast schon Wohnzimmerflair, ein gepierctes Mädchen mit bunt gefärbten Haaren sitzt auf dem Bartresen und raucht. Auch für sie ist die Umgebung vertraut, denn jeden ersten und dritten Mittwoch des Monats finden hier Kochabende statt, bei denen jeder vorbeikommen, mitkochen und mitessen kann. KüfA, also Küche für alle, wird das in der linksalternativen Szene verbreitete Konzept genannt, bei dem von freiwilligen Helfern gekochtes Essen zum Selbstkosten-

preis oder darunter ausgegeben wird. Zora ist zum ersten Mal bei der KüFA dabei, sie kennt die KTS sonst nur von Parties und ist überrascht, wie anders dieser Ort heute wirkt. Schnell setzt sie sich zu den anderen beiden Helfern, die zwischen Wänden voller Sticker und Plakaten bergeweise Gemüse schnippeln, das von einem Biobauernhof stammt. Für den bunten Feldsalat, der heute auf dem Menü steht, kommen Rote Bete und Karotten genauso unters Messer wie die etwas exotischere Knolle Topinambur. In der Küche nebenan brodelt bereits die


Linsensuppe in riesigen Töpfen, die kaum auf den Herd zu passen scheinen, es duftet nach Muskat und Pfeffer. Ein älterer Mann im Schlabberpulli, dessen Dreadlocks ihm bis zu den Ellenbogen reichen, erklärt zwei jungen Frauen, wie man Suppe richtig würzt. Er scheint der Hauptzuständige fürs Kochen zu sein. eim Vorbereiten lachen und quatschen die Freiwilligen, Zora wird schnell ins Gespräch eingebunden. Eine junge Frau, sonnengebräunt und mit Lederhalsband, erzählt Daniel, der sich mittlerweile vom Sofa erhoben hat, von ihrer Pilgerreise auf dem Jakobsweg. „Unterwegs ist es viel schwieriger, sich vegan zu ernähren“, meint sie und schaut zufrieden auf das Menü, auf dem man wie immer keinerlei tierische Produkte findet. Der zweite Helfer, Erasmus-Student aus Sizilien, unterstützt Zora beim Gemüseschneiden. Blitzschnell zerhackt er die Knollen, „das lernt man als Veganer, ich schneide jeden Abend einen Berg Gemüse“, sagt er mit einem Lächeln.

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Wenig erinnert in diesem Moment an die stampfenden Bässe, die am Wochenende oft die mit Graffiti verzierten Backsteinmauern durchdringen, die Luft ist nicht verhangen vom Dampf der Nebelmaschinen und es ist verhältnismäßig ruhig. Bis zum Essen um 20:00 Uhr sind noch drei Stunden Zeit, genug, um blecheweise Zimtschnecken im Ofen zu backen. „Mal kommen nur zehn Leute, mal sind es 50“, erklärt einer der Köche – der Raum im Keller, in dem sonst auch getanzt und gefeiert wird, wird nun mit Bierbänken und Tischen bestückt, langsam trudeln noch mehr Helfer ein. Doch nicht nur Genuss, sondern auch Bildung hat in der KTS ihren Platz: ein Stockwerk weiter oben findet man den Infoladen, in dem Regale voller Zeitschriften, Flyer, Bücher und Sticker zum Stöbern einladen. Am Ende des Flurs befindet sich der Saal, in dem jeden Montag das Plenum stattfindet – hier müssen Veranstaltungen angemeldet und abgesprochen werden, egal ob Lesung oder Synth-Pop-Konzert. Entscheidungen werden von den Plen-

umsmitgliedern gemeinsam und basisdemokratisch getroffen: die KTS ist ein autonomes Zentrum, also selbstverwaltet und nicht hierarchisch, sondern kollektiv organisiert. Gesprochen wird über sehr verschiedene Themen wie Finanzen, anstehende Veranstaltungen oder aktuelle politische Problematiken: so engagiert sich die KTS beispielsweise für die Kurden in Afrin.

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nders als die meisten anderen Institutionen dieser Art erhält der Förderverein Subkultur e.V. für die KTS Unterstützung von der Stadt, 282.080€ werden es 2018 sein, auch der Umbau des Gebäudes in der Basler Straße wurde von der Stadt mitfinanziert. „Wir erhalten nicht direkt Zuschüsse, zahlen aber relativ wenig Miete, die größtenteils von der Stadt übernommen wird“, erklärt ein Plenumsmitglied, das auch bei der KüFA hilft. „An Veranstaltungen verdienen wir auch.“ Zahlen musste die KTS-Initiative nicht immer: das Autonome Zentrum entstand in einem 1994 besetzten Gebäude der ehemaligen Vauban-Kaserne. Es bietet Raum

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für verschiedene Gruppen, Einzelpersonen und Angebote. Dass diese sehr vielseitig sind, liegt auf der Hand: Menschen kommen aus völlig unterschiedlichen Gründen hierher, ob auf der Suche nach Freizeitaktivitäten oder um sich politisch zu engagieren, um Veranstaltungen zu besuchen oder selbst aufzutreten. Ende der neunziger Jahre, nach Räumung des ursprünglichen Domizils, fand der Umzug in ein von der Stadt angemietetes ungenutztes Betriebsgebäude der Deutschen Bahn statt, der Mietvertrag war hart erkämpft worden – auf Kündigungsdrohungen von Seiten der Bahn folgten Konzerte, Demonstrationen und weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen unter dem Motto die „KTS bleibt so, wie sie ist“.

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Der Name ist auch eine Anspielung auf das ebenfalls in den neunziger Jahren entstandene Freiburger Konzerthaus, dessen provisorischer Titel „Kultur- u. Tagungsstätte“ lautete. Das Autonome Zentrum galt als eine Art Gegenpol zum Konzerthaus, umstrittenes Symbol für eine Kultur, der man Prestigeorientierung und Kommerzialisierung vorwarf. Als Freiraum wird der Kulturtreff heute oft bezeichnet, „eine genaue Definition oder allgemeine Erklärung gibt es für diesen Begriff nicht“, sagt eine Sprecherin der KTS. „Wir stellen dort, wo Menschen Räume brauchen, einen offenen Raum zur Verfügung, der dann für verschiedene linke Zwecke genutzt werden kann.“ Diese reichen von Improtheatergruppe über Siebdruck-

werkstatt bis hin zu einem sogenannten „Ermittlungsausschuss“, der bei Problemen mit Polizei oder Repression Unterstützung anbietet – das alles auf nichtkommerzieller Ebene. Eines haben die Veranstaltungen und Angebote, mit kreativen Texten auf der KTS-Website angekündigt, miteinander gemeinsam: Rassismus, Sexismus, Homound Transphobie werden nicht toleriert, worauf im Gebäude mit über die Wände verteilten Zetteln aufmerksam gemacht wird. Auch auf den Toiletten wird man schriftlich dazu aufgefordert, tolerant zu sein und unerwünschtes Verhalten zu melden. „Darauf wird anderswo nicht so geachtet,


das unterscheidet uns von anderen Räumen. Bei größeren Partys gibt es ein Awareness-Team, das zum Beispiel durch pinke Caps oder Leuchtarmbänder gekennzeichnet ist. Wenn man das Gefühl hat, dass sich Personen übergriffig verhalten, kann man das Team ansprechen, das die betreffende Person gegebenenfalls auch des Hauses verweist“, erklärt die Sprecherin das Konzept. Und tatsächlich nutzen viele die Möglichkeit, sich ohne Angst vor negativen Reaktionen frei entfalten zu können: Männer in Glitzerleggings tanzen am Wochenende neben ganz in schwarz gekleideten Gestalten, morgens huscht ein Hippiemädchen durch die Reihen der letzten Feierwütigen und verkauft Bio-Ziegenmilchshakes. Ungewohnt mutet auch die Kassenpoli-

tik der sogenannten „Soliparties“ an: als Eintritt wird meist ein niedriger Mindestbetrag verlangt, wer möchte, kann mehr zahlen, mit etwas Glück wird man auch mal umsonst hineingewunken – ein Grund mehr, weswegen sich das Zentrum in Freiburg bei einem breiten Publikum großer Beliebtheit erfreut. Von der Art her hat sich das Publikum in den letzten Jahren nicht wirklich verändert, jedoch die Art der Veranstaltungen: früher wurde mehr Reggae und Ska gespielt, heute pogt die Menge zu Punk.

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Wärme des Gebäudes. Ein Buffet wurde für die ungefähr vier Dutzend Mitesser aufgebaut, die heute erschienen sind, davor bildet sich eine Schlange – doch niemand verzieht wegen der Wartezeit das Gesicht, durch den Raum schallen Begrüßungen und Gelächter, einige der Wartenden tanzen. Zora sitzt schon auf ihrem Platz, vor sich einen dampfenden Teller mit Reis und Linsen. „Lecker“, urteilt sie nach einem ersten Bissen, „das sollte ich öfters machen!“ Miriam Schleiermacher

uch jetzt dreht wieder jemand in der Runde die Musik auf. Immer mehr Menschen flüchten vor dem mittlerweile strömenden Regen in die einladende

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Soziales














Was FuĂ&#x;ballvereine zur Integration von FlĂźchtlingen beitragen






Sport






Just send it Mountainbike - Trailbau am Kybfelsen

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it einem satten Schlag trifft die Hacke auf die steinige Erde. Der Geruch von Feuer steigt mir in die Nase. So muss der Tag beginnen. Ich schaue mich um und sehe vereinzelt dichte Nebelschwaden durch den Wald ziehen. Die Sonne beginnt langsam an Kraft zu gewinnen und erleuchtet die bunt gefärbten Blätter mit einer einzigartigen Schönheit. Voller Tatendrang frage ich Kris, ob es einen Plan für heute gebe. Er antwortet gelassen: ”Just send it”. Kris ist einer von vier Kanadiern, die nach Freiburg kamen, um mit freiwilligen Helfern den ersten legalen Mountainbike-Trail im Schwarzwald zu bauen. Kris kommt aus Nelson B.C., einer kleinen Provinzstadt nahe der U.S. Grenze. Doch wie kommen vier Kanadier nach Deutschland? Rückblende: Ansgar Wasmer, Vorstand des Mountainbikevereins Freiburg lernt Kris

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zufällig im Urlaub kennen. Man kommt ins Gepräch, geht in eine Kneipe und beschließt nach zwei oder drei Bieren, dass der Verein Kris und seine Kumpels als Trailbauexperten nach Freiburg holen muss. Ansgars Angebot: „Ihr baut den Mountainbike-Trail, wir stellen Euch Wohnung und Verpflegung“. Sechs Monate und 12 Flugstunden später. Die kanadischen Jungs sind tatsächlich in Freiburg und ich bin einer der Helfer. Meine Schulferien werden dieses mal anders als sonst. Das Abenteuer Trailbau in Freiburg kann beginnen. Der Wecker schrillt, nur einmal, denn ich bin sofort hellwach, springe in die Arbeitshose, schnell noch im Bad vorbei und die Schuhe zuschnüren. Für das Frühstück bleibt keine Zeit, eine Banane und einen Schokoriegel stopfe ich noch in die Tasche.

Schon hupt es draußen. Die vier Kanadier sitzen in einem teils kaputten, teils dreckigen Subaru, bei dem man froh sein kann, dass das Auto durch den Tüv gekommen ist. Kris streckt lässig den Arm aus dem Fenster und entschuldigt sich für die kurze Verspätung. Der Anhänger – auch nicht mehr das neueste Modell – bereitet Probleme. Ich springe auf die Rückbank, die Musik dröhnt aus dem Radio. Die Kanadier sind bester Laune. Wir fahren mit gefühlten 80 Sachen die Forststrasse hoch. Kein Problem für die Kandier, doch für den deutschen Forst. “Puh... Glück gehabt“, kein Förster in der Nahe. Die Fahrt geht weiter und zwischendurch wird über den Subaru gemeckert. Ich kann die amerikanischen Schimpfwörter kaum verstehen, denn jetzt dröhnen auch noch französiche Nachrichten durch das Auto. „Fuck French...“ meckert Dave, Kris‘


Kumpel. Nach einem kurzen Handgemenge im Subaru schalten wir um auf SWR3 – Katy Perry. Auch nicht viel besser, das denkt auch Dave, der sonst Trompete in einem Orchester spielt. Kurz bevor sein Becher mit heißem Kaffee umzufallen droht kommen wir oben auf dem Kybfelsen, dem Ausgangspunkt für den Trail, an. Zügig tragen wir die schweren, staubigen Werkzeuge zum Anfang des Trails, der Bluetoothlautsprecher wird noch schnell verbunden und in einen Eimer gelegt – so ist der Klang besser. Kris meint, ohne gute Musik könne man nicht gut arbeiten. Die ersten paar Meter sind anstrengend, weil ich mich erst an die schwere Arbeit gewöhnen muss. Zudem ist der Boden voller Steine, die das Bauen nicht gerade vereinfachen. Ich schaufel Erde weg, grabe Baumwurzeln aus, harke und säge. Der Erfolg kommt schnell, die ersten Meter sind gebaut. Ich setze mich aufs Rad und probiere den ersten Sprung des neuen Teils aus. Ich trete, hebe ab und merke in der Luft, dass die Landung zu kurz ist. Zu spät, ich nehme eine Bodenprobe. Ich wische mir den Dreck aus dem Gesicht, außer ein paar Kratzern am Arm ist nichts passiert. Also wieder hochschieben und dann verändere ich die Landung des Sprungs ein wenig und probiere nochmal. Super. Diesmal klappt es perfekt, so muss das sein. Die Zeit vergeht wie im Flug, mein Magen beginnt

zu knurren und endlich wollen die Kanadier auch mal eine Pause einlegen. Wir sitzen unter den Bäumen, trinken Wasser und essen selbstgemachte Sandwiches. Dabei plaudern wir über die Freiburger Mountainbikeszene, natürlich auf englisch.

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reiburg ist ein super Ort zum Biken finden die kanadischen Jungs. Die geographische Lage sei wie geschaffen für Enduro-Trails. Der Freiburger Stadtwald bietet genau das was ein Biker sich wünscht, vielleicht nicht die Einsamkeit Bri-

tish Columbias, aber dafür kann man kann schnell eine Runde biken gehen. So hat sich die Zahl der Mitglieder des Mountainbike Vereins Freiburg e.V. seit der Traileröffnung 2015 mehr als verzehnfacht. Das Projekt hat sich herumgesprochen und ist einzigartig in Deutschland, denn normalerweise bezahlen die Vereine viel Geld für eine Trailbau- Firma, die oft nicht die besten Ergebnisse liefert. So sind die Kanadier mittlerweile zu einer Art Mythos und Freiburg zur heimlichen MTB-Haupstadt Deutschlands geworden.

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Unsere Pause im Wald und das Fachsimpeln über die Mountainbikeszene wird unterbrochen, es kommen Mountainbiker vorbei und wollen beim Arbeiten helfen. Manche bringen Kuchen oder – was die Kanadier am meisten mögen – Bier mit. Dann aber geht es weiter, wieder werden die Spitzhacken geschwungen bis die Muskeln brennen. Später wird es ein Rap-Video des Mountainbike Vereins Freiburg geben, das die Kanadier huldigt. Der Text dazu lautet: „die Kanadier haben mehr Kraft als Deine Vierkolbenbremse...“. Das dürfte zutreffen. Es geht langsam Richtung Nachmittag, die Arme werden schwer. Die freiwilligen Helfer haben sich längst verabschiedet. Doch für mich kommt das nicht in Frage, denn jetzt wird es richtig interessant. Ich sehe wie langsam der Trail entsteht. Zwei bis drei Meter kosten so viel Kraft, dass man stolz ist, wenn man auf das fertige Werk schaut. Langsam geht es auf die sogenannte Power Hour zu, in der eine Stunde durchgearbeitet wird. Ich drehe die Musik nochmal auf und haue richtig rein. Ich merke, dass auch die Kanadier langsam müde werden als plötzlich ein Schrei durch den Wald tönt. Einer der Kanadier hat sich einen Stein mit der Hacke gegen das Schienbein geschleudert, ein sogenannter „Shinner“. Von denen musste ich auch einstecken – der Trail fordert seine Opfer. Aber nur beim Bauen, hofft Kris...

Der Canadian Trail sollte für eine grosse Gruppe von Bikern interessant und damit ohne nennenswerte Gefahren befahrbar sein. So kommt jeder Anfänger heil runter und hat dabei auch noch richtig Spass. Für die geübteren Biker gibt es dagegen Sprünge und grosse Anlieger. Anlieger – in Kanada werden sie „Berms“ genannt – sind Steilkurven aus Erde. Man kann sie langsam oder schnell fahren, je nach Fahrkönnen. Kris sagt, dass man in Kanada Trails nochmals anders baut, aber das – dabei grinst er – würde hier nicht gut ausgehen. Langsam neigt sich die Sonne dem Horizont zu, die Werkzeuge werden noch zusammengesucht und an einen Baum gelehnt. Nur nicht die Motorsäge, da ist der Mountainbike Verein aus Sorge vor Diebstahl vorsichtig. So etwas ist für Kris unverständlich: „Daran musste ich mich erst gewöhnen, in Nelson kann man alles ohne Problem im Wald liegen lassen.“

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lso dann Schluss für heute? Weit gefehlt, die Kanadier sind immer noch voller Tatendrang. Für sie geht der Spaß jetzt weiter: eine Abfahrt vom Rosskopf ist angesagt. Schnell springen alle zwar etwas verschrammt und staubig aber bester Laune wieder in den Subaru und los geht die Fahrt bei geöffneten Fenstern und lauter Musik Richtung Freiburg Wiehre. Dort parken wir vor dem „Spooky House“ in der Talstrasse. Es heißt so, weil

es eigentlich nicht bewohnt ist, es sei denn Kris und die anderen Jungs sind hier mal wieder einquartiert. Wir gehen die knarzenden Treppenstufen hinauf. Es sieht chaotisch aus, Matratzenlager, leere Milchtüten, lange nicht gelüftet... und es stehen die besten und teuersten Mountainbikes mittendrin, ihre eigens aus Nelson mitgebrachten Spielzeuge. Man hält sich nicht lange auf, Bike-Klamotten an, Helme gegriffen und dann geht es wieder los, rauf auf den Rosskopf bevor die letzten Sonnenstrahlen verschwinden. Oben beschleichen mich Zweifel ob ich mit Profis mitfahren kann. Kris erahnt meine Gedanken und redet mir zu, und schon geht es los! Es ist ein grandioses Gefühl, in den Abendhimmel hinein zu fahren, Sprünge zu nehmen, die Kurven auszufahren. Unten angekommen setzen wir uns zufrieden auf einen Baumstamm, schweigen und genießen die Natur. Nach einer Weile verabschiede ich mich, denn den Kneipenbesuch, zu dem mich alle herzlich einladen, den schaffe ich zumindest heute nicht mehr. Morgen ist ein neuer Tag und dann wird der Wecker wieder um 6 Uhr klingeln, der Subaru wird vor meiner Tür hupen, und es wird wieder rauf auf den Canadian Trail gehen. Adrian Fay

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InDIvIDUeLL statt von der Stange Kai Bendixen und Christoph Hamman-Kloss widmen ihren Alltag in Freiburg den Zweirädern.

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eit vielen Jahren gilt Freiburg neben Städten wie Karlsruhe und Münster als Paradies für Fahrradfahrer. Grund hierfür ist sicherlich die umweltbewusste Politik und Einstellung der Menschen, aber auch die Leidenschaft, die viele Freiburger und Freiburgerinnen mit dem Fahrradfahren verbinden. Egal zu welcher Jahreszeit – Fahrräder sind aus dem Stadtleben nicht wegzudenken. So überrascht es nicht, dass gerade Freiburg eine Heimat für zahlreiche Geschäftswelten zu diesem Thema geworden ist. Der Geruch von Stahl und Schmieröl liegt in der Luft, neben der unaufgeräumten Werkbank liegt zwischen Metallspänen und dicken Lederhandschuhen eine Schweißermaske, die Neonröhren der Werkstatt tauchen den Raum in ein weißes und h artes Licht. Schon beim Betreten der Werkstatt von Kai Bendixen spüre ich die Leidenschaft und harte Arbeit, die mit diesem Raum verbunden ist. Hier, im Keller des

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Fahrradherstellers „Tout-Terrain“, werden von dem 40-jährigen Rahmenschweißer maßgeschneiderte Rahmen für das perfekte Rad gebaut - egal ob Stadtrad, Rennrad, Tourenrad oder Mountainbike. Mit fünfzehn Jahren fing Kai Bendixen an, neben dem Abitur in einem Fahrradladen Geld zu verdienen, was er auch während des Zivildienstes und seines Studiums in Freiburg - Erdkunde, Biologie und Technik auf Realschullehramt - fortführte. Zwei Tage in der Woche arbeitete er damals bei Florian Weidmann, einem Schweizer Rahmenbauer, und sammelte seine ersten Erfahrungen in dem Handwerk, dem er sich heute hauptberuflich widmet.

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ährend ich an die angenehme Wärme von Bendixens Werkstatt zurückdenke, peitscht draußen unablässig der Regen an die Scheiben des Garagentors in der Wiehre. Trotz des schlechten Wetters und Tempe-

raturen um die fünf Grad Celsius müssen die Fahrradkuriere raus auf die Straße, jetzt gerade ist eine Sendung nach Umkirch fällig. Wir stehen gemeinsam am Fenster und warten: Der zuständige Kurier darauf, dass der Regen endlich aufhört, ich auf den Inhaber des „Velokuriers“, Christoph Hammann-Kloss. Nach zehn Minuten gibt er schließlich auf, zieht sich frustriert den Regensuit an und macht sich auf den Weg zu seinem Kunden. Ähnlich wie bei den Fahrrädern von Kai Bendixen wird auch im Unternehmen der Fahrradkuriere Wert auf Individualität gelegt. Besonders die schnelle Lieferung sowie der emissionsfreie Versand stehen bei den Kunden im Vordergrund, wie mir Hammann-Kloss erklärt. Vor sechs Jahren hat er das Geschäft in der Christoph-Mang-Straße übernommen. Studiert hat er zwar Forstwirtschaft, interessiert hat ihn das Berufsfeld aber nicht. Da er immer selbstständig sein wollte, nutzte er die Chance und über-


nahm den Laden vom Vorbesitzer. Der „Velokurier“ beschäftigt mittlerweile um die 20 Fahrer, die meisten sind Studenten oder Auszubildende auf einer 450€ Basis, erzählt mir Hamman-Kloss, während wir zusammen im Aufenthaltsraum des Fahrradkuriers sitzen. „Davon sind zwischen zwei und sechs zur gleichen Zeit unterwegs.“ Der Umsatz des Kurierdiensts beträgt etwa 20.000€ im Monat. „Von diesen 20.000€ gehen circa 70 Prozent in die Fahrerlöhne. Zwanzigtausend klingt erstmal viel, ist es am Ende aber doch nicht.“

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uch Kai Bendixen kam über Umwege zu seinem heutigen Beruf und ist kein ausgebildeter Fahrradmechaniker oder Metallbauer im klassischen Sinne. Alle Fähigkeiten - vom Schweißen und Löten bis zur professionellen Bearbeitung von Stahl - hat er während seines Lehramtstudiums an der pädagogischen Hochschule gelernt oder sich selbst beigebracht. Seit 2005 ist er selbstständiger Unternehmer in seiner One-Man-Company. Eine Erweiterung seiner Firma ist nicht geplant, denn, so Bendixen: „Zum einen sind meine Rahmen Produkte, auf denen mein Name steht, und ich das auch gerne von A bis Z selber in der Hand habe. Zum anderen bin ich auch ganz froh über die Flexibilität, die ich hier habe. Inzwischen habe ich eine Familie mit zwei kleinen Kindern, meine

Freundin arbeitet auch noch. Da ist das gut, dass ich hier auch mal später kommen kann.“

Freude macht und die Nachfrage nach Individuellem noch so groß bleibt.“ Und ein Material bereitet Kai besonders Freude: Stahl. Bis jetzt wird jeder Rahmen aus Stahl gefertigt, Kai Bendixen bezeichnet sich selbst als „Stahl-Fan“, auch wenn Aluminium oder Titan möglich wären, bleibt Stahl seine Philosophie. Für Lastenräder oder Ähnliches gibt es zwar Ideen, Zeit für Experimente aber nicht.

Der Arbeit in der Werkstatt geht eine gründliche Vorarbeit voraus: Skizzen müssen angefertigt, Material bestellt, etliche E-Mails an Kunden geschrieben und ihre Wünsche umgesetzt werden. „Die Zeit, die ich produktiv in der Werkstatt stehe, ist im Verhältnis immer gefühlt zu wenig“, sagt Bendixen und nimmt einen Schluck aus Das Wichtigste in einem solchen Handseiner Kaffeetasse. Das eigentliche Bauen werk bleibt, seine Preise rechtfertigen zu der Rahmen nimmt nur zwei bis vier vol- können: „Da muss man entweder was haben, was kein anderer hat, le Tagen ein. Dabei wird das Material zunächst gefräst „Die Zeit, die ich pro- oder das, was man hat, muss und geschweißt, später ge- duktiv in der Werkstatt viel besser und individueller schliffen. Welche Materialen stehe, ist im Verhältnis sein.“ Ein handgemachter Kai hierbei verwendet und immer gefühlt zu wenig“ Rahmen hat seinen Preis: Um die 1000€ sind für die welche Form das Fahrrad am Ende erhält – all das entscheiden ge- günstigsten fällig. Wenn man alle möglizielte Handgriffe und die Liebe zum Detail. chen Funktionen ausnutzen möchte, wie So steht wie bei vielen handwerklichen einen klappbaren Rahmen, ist man schnell Berufen auch für den Freiburger Rahmen- bei 2.500€. Und dabei redet man nur von bauer die Arbeit, nicht das Geld, im Vorder- dem Rahmen, ohne Gabel, Lenker, Räder grund. Sein jährlicher Umsatz liegt „nicht oder Bremsen. Für ein Komplettrad, ob im sechsstelligen Bereich“: Die Stückzahl schon fertig zusammengestellt oder selbst ist schwankend, manchmal werden nur um zusammengebaut, kann man mit einer die 20 Rahmen und Räder im Jahr gebaut, mittleren vierstelligen Summe rechnen. über 100 sind es nie. Wieviel am Ende übrigbleibt, hängt auch von der Art des Falls man besonders groß oder klein ist, Auftrags ab. Ans Aufgeben denkt der Un- kann sich ein Besuch mehr als lohnen. Jeternehmer deshalb jedoch nicht: „Ich habe der Rahmen wird auf die Größe des zukünfvor, das weiter zu machen, solange mir das tigen Besitzers angepasst, egal wie extrem

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sie ist. Man erhält ein Rad, bei dem der Ausdruck „passt wie angegossen“ stimmt. Auch wenn man ein bestimmtes Design haben möchte, kann man seine Wünsche äußern – ganz gleich, ob es dabei um geometrische Formen oder Farben geht. Auch der „Velokurier“ von Christoph Hammann-Kloss erfüllt die Wünsche seiner Kunden. So genießen sie die Bequemlichkeit eines schnellen und zuverlässigen Versands – egal bei welchem Wetter. Doch nicht nur Privatkunden profitieren von diesem Serviceangebot, so erzählt mir der Unternehmer. Mittlerweile beauftragt die Stadt Freiburg den Kurier für die stadt-interne Post und auch viele Unternehmen schätzen es, ihre Pakete umweltbewusst und ohne Emissionen versenden zu können. Hammann-Kloss ist sich sicher, dass besonders diese Einstellung dazu geführt hat, dass die Anzahl der Fahrradkuriere in der Stadt deutlich gestiegen ist. Dies sei ein klarer Vorteil für ihn und seine Mitarbeiter, fügt er lachend hinzu. Die Kuriere fahren für kleinere Sendungen, die in Rucksäcken transportiert werden,

ihre eigenen Räder. Jeder hat seine eigenen Vorlieben - ob Rennrad, Singlespeed oder ein normales Stadtrad. Von einem schlichten, alten Bahnrennrad bis zum auffälligen braun-metallic lackierten Rennrad mit dutzenden Gängen ist alles dabei. Aus der Fahrradkurierszene der Neunziger in Amerika kommend fahren viele Kuriere Singlespeeds oder Fixies. Das sind umgebaute Rennräder, bei denen alle Ritzel bis auf eins und die Schaltung entfernt wurden, um nur noch einen Gang zu haben. Der Verschleiß und somit der Unterhalt ist geringer, für flache Städte reicht ein Gang auch völlig aus. Fixies sind Singlespeeds ohne Leerlauf, das heißt, die Pedale bewegen sich immer mit, selbst wenn man nicht aktiv tritt. „Durch das Abbremsen der Pedale bremst du also auch dein Rad ab“, erklärt mir einer der Kuriere. „Mit den Click-Pedalen, die wir nutzen, braucht das zwar etwas Übung, ist aber sehr effektiv und senkt den Verschleiß von teuren Fahrradteilen.“ In Deutschland sind sie aus Sicherheitsgründen verboten, werden von Fahrradkurieren aber trotzdem gerne genutzt.

Für schwerere Pakete werden Lastenräder benutzt, gekauft werden sie von Cristoph in Kopenhagen für etwa 2.500€. Dabei können die Kuriere Sendungen mit einem Gesamtgewicht von bis zu 100 Kilogramm transportieren. Ein Alternativprodukt aus Deutschland oder Freiburg existiert in dieser Qualität nicht. Um Pakete mit bis zu 300 Kilogramm zu transportieren, gibt es beim „Velokurier“ zudem die elektrisch unterstützte „Radkutsche“.

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ai Bendixen gibt selbst zu, dass die wenigsten Kunden wirklich ein maßgeschneidertes Rad brauchen. Der Markt für Fahrräder ist riesig, nichts Passendes zu finden ist äußerst unwahrscheinlich. „Letztlich baue ich Luxusprodukte, ich denke, dennoch relativ sinnvolle.“ Die Kunden können ungefähr in zwei Gruppen aufgeteilt werden: Zum einen sind es Radfahrer um die Dreißig oder Vierzig, die schon als Teenager von ihrem Wunschrad geträumt haben und nun genug Geld verdienen, um ihren Traum auch umsetzen zu können. Die Vorstellungen von Geo-


metrien und Anbauteilen sind klar, häufig wird nur der Rahmen gekauft und das Rad schließlich selbst aufgebaut. Zum anderen sind es auch ältere Herrschaften, die „das letzte Rad ihres Lebens“ kaufen wollen. Sie vertrauen auf Bendixens Erfahrung und kaufen ein von ihm fachmännisch zusammengestelltes Komplettrad. Entgegen meiner Erwartungen kommen die meisten Kunden nicht nur aus der Region oder aus Deutschland, sondern aus ganz Europa. Darunter waren Kunden aus Norwegen, England oder der Schweiz. Die Hälfte seiner Kunden sieht Kai nicht einmal, kommuniziert wird über E-Mails oder Telefon. Werbung oder Marketing ist nicht nötig: „Das läuft eigentlich von alleine, ist viel Mundpropaganda.“ Die meisten Rahmen, die gebaut werden, sind für den Alltags- oder Tourenbereich,

die Übergänge zwischen den Modellen sind fließend. Reine Mountainbikes oder Rennräder sind weniger gefragt. Zur Zeit sind vor allem leichte Reiseräder mit Rennradlenker und Nabenschaltung im Trend, welche zwar teurer als eine Kettenschaltung, dafür aber wartungsärmer ist.

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ährend Kai im Keller individuelle Rahmen anfertigt, werden eine Etage über ihm vom Fahrradhersteller „Tout-Terrain“ ganze Räder montiert. Die räumliche Nähe bietet beiden Parteien viele Optionen: Zwischen Kai Bendixen und der Fahrrad-Manufaktur besteht eine enge Kooperation. Der Fahrradhersteller bietet dem Rahmenbauer viele vorteilhafte Möglichkeiten mit Maschinen und Ausrüstung. Im Gegenzug baut Kai Prototypen und Kleinserien für Tout-Terrain. „Ich denke, das ist eine symbiotische Geschichte. Ich habe hier natür-

lich eine hervorragende Infrastruktur da oben, mit einem Versandbereich und einem Teilelager, auf das ich auch zurückgreifen kann. Sie haben einfach jemanden im Haus, der ihnen mal schnell was repariert, eine Änderung umsetzt oder was ausprobiert.“ Fahrräder sind aus Freiburg nicht mehr wegzudenken. Und es sind Menschen wie Kai Bendixen und Cristoph Hamman-Kloss, die das Gesicht von Freiburg als Fahrradstadt prägen und ihre Idee von Individualität jeden Tag aufs Neue umsetzen. Robin Leiber

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Deutschland trainiert Kรถrperkult in deutschen Fitnessstudios











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IMPRESSUM Postanschrift Redaktion nonsense Montessori Zentrum Angell Freiburg GmbH | Gymnasium Mattenstraße 1 D-79100 Freiburg Redaktion und Layout Luca Asholz, Jannes Dehmer, Theo Endreß, Adrian Fay, Paul Feser, Mia Gallinger, Ben Grimbacher, Nina Grünemaier, Franziska Heilshorn, Bruno Janzer, Robin Leiber, Selina Reichardt, Reto Sahner, Jannis Schanz, Miriam Schleiermacher, Emma Taylor, Antonia Thümmel, Tim Wiegartner, Tim Zimmermann ViSdP. Philipp Müller (Montessori Zentrum Angell) und Jürgen Messer (Jugendbildungswerk)

Partner Jugendbildungswerk Freiburg e.V. Projektleitung: Jürgen Messer Uhlandstraße 2 79102 Freiburg 0761 / 79 19 79 - 0 nonsense ist das Magazin des Seminarkurses „Journalismus und Mediengestaltung“ am Montessori Zentrum Angell Freiburg im Schuljahr 2017/2018. Der Seminarkurs ist ein KooperationsProjekt von Jugendbildungswerk Freiburg und Montessori Zentrum Angell. nonsense im Internet: angell.17einhalb.com




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