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1 7 e i nha l b Das Magazin für Jugendliche in und aus Freiburg

Frauenfußball!

Erfolgreich: ja! Das große Geld: nein! Ist Kirche nur was für Omas?

Haute Couture

jetzt auch in Freiburg

Noch so jung und schon Mutter

Interview Kennt ihr schon die "Panama Section"?

Riddim


SOMMERAKTIONEN 2010 Unsere Sportagentur bietet Euch: • Radbekleidung von Scott • Slacklines von Gibbon und Slackstar • Nordic Walking Stöcke und Handschuhe • Laufbekleidung von Rukka • Laufschuhe • und vieles mehr...

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M

ittwochnachmittag 13.45 Uhr, auch die letzten der 24 Mädchen sind im Multimediaraum eingetroffen. Herr Messer und Herr Mark beginnen den Unterricht und schon sind die ersten Finger oben. „Ich habe ein Problem! Mein Computer öffnet … nicht.“ – „Ja, das war bei mir auch so, aber ich habe eigentlich alles richtig gemacht.“ Es beginnt eine hitzige Diskussion, die die nächsten 30 Minuten in Anspruch nehmen wird. Schließlich schleicht sich auch Herr Ernst in den Computerraum, grinst einmal in die Runde und setzt sich. Während die einen noch ausrichten, dass sich ihre Freundin nicht einloggen kann, lackieren sich andere die Nägel oder lesen ihre E-Mails. Klingt chaotisch, ist aber eine ganz normale Seminarkursstunde am St. Ursula Gymnasium in Freiburg. Gemeinsam haben wir diese Jugendzeitschrift 17einhalb erstellt, in der jeder Leser einen interessanten Artikel finden wird. Alles fing an mit Ideensammlung, einer Einführung in den eigenen Weblog 17einhalb.com und vielen Stunden vor dem Monitor. Was am Ende schön aussieht war harte Arbeit, ein großer Zeitaufwand, aber auch ein riesiger Spaß. Zusammen haben wir uns zu Spezialistinnen in Sachen Scribus, Datenschutz und unseren jeweiligen Themen entwickelt. Wir bekamen Tipps wie man „richtig“ fotografiert, gute Interviews führt und ein strukturiertes und ansprechendes Layout erstellt. Die Lehrer bzw. Herr Messer vom Jugendbildungswerk wurden sogar nachts über unseren Weblog noch mit verzweifelten und oft nicht ganz schlüssigen Fragen oder Hilferufen durchlöchert: „Ich bin echt am verzweifeln! Bitte helft mir!“, „Hilfe! Ich kann meine wunderbare Heiterkeit nicht hochladen!“, „Hallo, welche Aufgaben sind bis Mittwoch zu erledigen?“, „Was mache ich falsch?“, „In meinem es ist ein Scribus ist das Bild nicht zu sehen von dem text“ - und manchmal war auch Herr Messer ratlos: „Liebe XY. Sie verstehen sicher, dass ich das nun wirklich nicht verstehe.“ Trotz dieser wilden, verwirrten und nervenaufreibenden Stunden sind wir glücklich über das Ergebnis und wünschen viel Spaß beim Lesen! ||||| Seminarkus 17einhalb 17einhalb |

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EDITORIAL

Picnik, Flickr, XMind, Gimp, Prezi, Issuu … ... wie bitte?


Das Leben ist kein Seminarkurs Eveline Greiner: “Ich werde mein Leben neu beginnen.” Das Christophorus Jugendwerk Oberrimsingen . Heike Dietl: Gummibären in der Hölle. Leidenschaft für Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . Josephine Hamann: Der Gast hat immer Recht. Auf dem Weg zur Hotelmanagerin . . . . . . . . . . . Sarah Faller: Pferdekuss war einmal. Ein Reitkonzept namens Hippolini . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie Schöpflin: Was tun wenn’s brennt? Mit der Jugendfeuerwehr unterwegs . . . . . . . . . . . .

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Ihr und Wir Lisa Oppitz: Heimat auf Zeit. Ein Schuljahr im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Melanie Stöhr: Nicht zuhause und doch daheim. Tanz ohne Grenzen beim Jugendmigrationsdienst . Sabrina Faller: Unfreiwillig unterwegs. Kosovo-Roma sind von Abschiebung bedroht . . . . . . . . Alia Pervez: Made in India. Wo kommen all die schönen Kleider her? . . . . . . . . . . . . . . . . Judith Steinle: Kirche ist nur was für Omas! Junge Leute engagieren sich trotzdem . . . . . . . . .

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Quadratur des Kreises Svenja Bensching: Ein Leben zwischen Lifestyle und Tod. Zum Hungern verführt . . . . . . . . . Annika Marschall: “Aus dem Weg da, Fettwanst!” Die Generation XXL nimmt rasant zu . . . . . Josephine Schweitzer: Das Leben zwischen Klischee und Baby. Schon Mutter und fast noch Kind Jana Strudel: Zwischen Gesetz und Freiheit. Ein Weg aus der Knast-Karriere . . . . . . . . . . . . 4 | 17einhalb

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INHALT Trimm dich! Judith Osterloh: “Dein Zuhause ist grün ...” Ein Interview zur Freiburger Fußballschule . . . . . . . . . . . . . . .62 Johanna Machunze: Meine zweite Welt. Snowboarder können fliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Lisa Kopp: Zur Meisterschaft ein Grillbesteck. Über Frauen, Fußball, Geld und Kohle . . . . . . . . . . . . . . . .70

Bunte Töne - Schreiende Farben Johanna Drews: WakeUp And Feel The Beat. Ein Bandportrait . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josepha Schweizer: Oh, wie schön ist Panama. Auf den Spuren von Reggae, Ragga und Ska. . . Jana Hollstein: Ebenholz schwimmt obenauf. Die Jungfilmer von Blackwood-Films. . . . . . . Louisa Beinke: Vive la Mode! Mode im Alltag von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . Fernande Bodo: Creative Courage. Ein Besuch bei der Freiburger Modedesignerin Kim Schimpfle

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Filmriss Leonie Kröhnke: Hilfe-Entzug! Ein Tag ohne Medien im Selbstversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Anna Ruf: Es ist ja schließlich Fasnacht. Feiern ohne Alkohol ist auch keine Lösung. Oder doch? . . . . . . . . . 98

Achtzehndreiviertel Daniel Mark, Thomas Ernst, Jürgen Messer: Drei Worte zum Schluss und ein Impressum . . . . . . . . . . . . . 102 17einhalb | 5


"Ich werde mein Leben neu beginnen."

Das Christophorus Jugendwerk Oberrimsingen hilft Jugendlichen den passenden Schlüssel für die Tore eines vernüftigen Lebens zu finden

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er Weg des Erwachsenwerdens ist für viele Jugendliche ein Weg mit geschlossenen Toren, zu denen aber oft der Schlüssel fehlt. Ob dies an den Eltern liegt oder an den Jugendlichen selbst, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Ziel des Jugendwerkes Oberrimsingen ist es Jugendlichen eine gute, beziehungsweise neue Perspektive des Lebens zu öffnen. In unserer heutigen demokratischen Gesellschaft ist es wichtig sich Ziele zu setzen und seinen Weg eigenständig, und selbstbewusst zu gehen. Nicht allen Kindern werden die Tore dieses Weges geöffnet. Oftmals ist es,als fehlen die Schlüssel der Tore. Es gibt aber ein Gesetz, welches festlegt, dass jeder Jugendliche ein Recht hat nach diesem Schlüssel zu greifen. 1992 hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, die in der UN-Kinderrechtscharta in 54 Artikeln festgehaltenen Kinderrechte anzuerkennen. Die Kinderrechte lassen sich in drei Kategorien aufteilen. Ein Gesetzentwurf ist ein Schritt der Verbesserung, doch der entscheidende Punkt liegt eigentlich erst bei der Umsetzung. Ein Konzeptbeispiel dafür ist das Christophorus Jugendwerk

Oberrimsingen. Es hilft Jugendlichen den Schlüssel für die Tore des Weges des eigenständigen, erwachsenen Lebens zu finden. Auch dem 15 Jährigen Johannes* konnte zumindest ansatzweise geholfen werden. Johannes war eigentlich ein ganz normaler Junge, sobald er jedoch Alkohol getrunken hatte konnte er mit der Situation nicht umgehen und viele Dinge nicht mehr einschätzen. Da Johannes oft und gerne getrunken hat, wurde dies zu einem großen Problem. Der Schlüssel des Weges Der Schlüssel wird nun dem Jugendlichen übergeben, denn von nun an stehen ihm die Möglichkeiten offen, sich im Bildungs- sowie im sozialen Leben weiter zu entwickeln und sich zu engagieren. Partizipation soll auf diesem Wege groß geschrieben werden. Schon in den verschiedenen Wohngruppen, in denen die Jungs im Heim leben, engagieren sie sich kräftig. Es gibt drei interne Gruppen, bis zu je neun Jugendlichen, und zwei externe Gruppen in Freiburg und Breisach, mit je fünf Jugendlichen. In den externen Gruppen haben die Jugendlichen mehr Frei-

* Name von der Redaktion geändert 1. Versorgungsrechte: Hierzu zählen u.a. die Rechte auf Gesundheitsversorgung, Bildung und angemessene Lebensbedingungen sowie das Recht auf einen Namen und auf eine Staatsangehörigkeit. 2. Schutzrechte: Hierzu zählen u.a. der Schutz von Kindern vor körperlicher und seelischer Gewalt, vor Missbrauch, Verwahrlosung und wirtschaftlicher Ausbeutung sowie die Verpflichtung der Staaten, Kindern im Krieg und auf der Flucht besonderen Schutz zu gewähren. 3. Kulturelle Rechte, Informations- und Beteiligungsrechte: Hierzu zählen beispielsweise das Recht auf freien Zugang zu Informationen und Medien sowie das recht auf Freizeit und Privatsphäre. Auszug von: http://www.nabuk-europa.de/index.php?id=6 6

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men anbieten. Der erste Schritt der Arbeit ist eine gemeinsame Überlegung des Jugendlichen und dessen Pädagogen was sie gemeinsam erreichen wollen und was für Ziele sie sich setzen. Sehr wichtig ist hierbei, dass der Jugendliche viel Engagement mitbringt. Auch Johannes nahm sich viel vor. "Ich werde mein Leben neu beginnen!. Ich will mir Ziele setzen. Als größtes Ziel werde ich mir meinen Schulabschluss setze." erzählte er seinem Pädagogen mit voller Überzeugung, während sie seine Zukunft planten. Schon nach einigen Tagen stellte sich heraus, dass Johannes seinen Zielen nicht nachgehen konnte. Er schwänzte die Schule und erledigte seine Hausaufgaben nicht.Es kam wie es kommen musste. Johannes rastete aus. Der Grund dafür war eine Dose Chips und ein Fernsehsessel. Sein Freund und er schauten gemeinsam ihre Lieblingssendung „Das Jugendgericht“ im Fernsehen. Der 15 jährige war in die Küche gegangen um sich eine Dose Chips zu holen, als sich ein Mitbewohner des Hauses auf „seinen“ Sessel platzierte. Johannes wurde aggressiv. Er schlug die Fernbedienung gegen die Wand, warf mit sämtliche Gegenständen um sich und griff dann auch noch nach dem Fernseher, den er mit aller Gewalt gegen die Wand pfefferte. Nachdem der verwantwortliche Pädagoge die außergewöhnlichen Knalle hörte, rannte er in das Wohnzimmer und traute seine Augen nicht - ein Fernseher in 1000 Einzelteile auf dem Boden liegend und ein höchst aggressiver Johannes. Nachdem er dann auch noch den Pädagogen mit Wörtern wie „Bitch“, „Du dumme Schlampe, ich lass mir von dir nichts sagen“ oder „Das ist alles scheiße, was du labberst." beschimpfte, mussten Maßnahmen ergriffen werden. Johannes bekam eine Auszeit und musste für eine Woche zurück in seine Heimat zu seiner Großmutter.

Ich war auffällig in der Schule

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DAS LEBEN IST KEIN SEMINARKURS

heit, jedoch auch mehr Eigenverantwortung. In den internen Gruppen gibt es einen Gruppensprecher, der dafür verantwortlich ist das Gruppengespräch zu leiten und Vorbild zu sein. Als höchste Stufe der Selbstverwirklichung bietet das Christophorus Jugendwerk neben den internen und externen Gruppen auch das betreute Jugendwohnen an. Die Jugendlichen haben dann ihre eigene Wohnung und werden stundenweise betreut. Seine Mutter starb als er 14 Jahre alt war, zu seinem griechischen Vater (wohnhaft in Mannheim) hatte er alles andere als ein gutes Verhältnis und somit lebte Johannes bei seiner Großmutter. Schlägereien gehörten schon fast zu Johannes‘ Alltag. Eines Tages jedoch klaute er auch noch und wurde dann in U-Haft genommen. Es ging nicht lange da entschloss sich der Jugendgerichtshelfer dazu Johannes die Möglichkeit einen geregelten Alltag mit Hilfe des Jugendwerkes Oberrimsingen zu gewinnen. Was hätte man anders erwarten können? Johannes lehnte die Hilfe, nach einem Gespräch mit dem im Jugendwerk arbeitenden Pädagogen Herr Meier, ab. Herr Meier jedoch lies nicht locker und vereinbarte einen weiteren Termin mit Johannes, seinem Jugendgerichtshelfer und Johannes‘ Vater. Nach heftigen Diskussion sah Johannes ein, dass er sein Leben leben so nicht fortführen sollte und nahm die Hilfe an. Kurz darauf wechselte er seinen Wohnort nach Oberrimsingen in das Christophorus Jugendwerk. Das Heim sieht jeden Jugendlichen als Individuum und erarbeitet deshalb für jeden Einzelnen ein spezifisches, differenziertes und ganzheitliches pädagogisches Hilfeangebot. Zu den Angeboten zählen unter anderem die Fähigkeit zur Übernahme von Selbstverantwortung fördern, den Jugendlichen am Hilfeprozess beteiligen, eine handelnde Pädagogik einsetzen, variable Schul- und Ausbildungsangebote gestalten sowie individuelle Wohnfor-


„Ich will zurück ins Jugendwerk und meiner Zukunft eine weitere Chance geben!“ Dieser Satz kam nach einer Woche Zwangsurlaub aus dem Munde des 15 jährigen Johannes. Gesagt und getan. Er ging zurück. Johannes durfte jedoch nicht zurück ins Haus Don Bosco, sondern musste seinen Neustart im Haus Markus, welches aber nicht schlechter ist, versuchen. Sein Interesse an einer Verbesserung seines Verhaltens,zeigte er, indem er sich zum Gruppensprecher wählen ließ. Dieses Amt erfordert Sozialkompetenz, Planungsvermögen sowie verständnisvolles Umgehen mit Mitbewohnern, Problemfällen und Pädagogen. Für das Christopherus Jugendwerk ist es wichtig, dass die Jugendlichen sozial und verantwortungsvoll miteinander umgehen und aus diesem Grund wurde das SoLig-Konzept entwickelt, das bedeutet soziales Lernen in Gruppen. Johannes versuchte auch einen Neustart in der Schule. Er entschloss sich dazu, seinen Hauptschulabschluss zu vollenden.

Das Christophorus Jugendwerk bietet drei Bildungsgänge an: Hauptschule, Forderschule und das Berufs-Vorbereitungs-Jahr (BVJ). Durch die kleinen Klassen, maximal 10 Schüler, entsteht ein angenehmes Lernklima und die Schüler können ihre Fragen gezielt stellen, oftmals gestalten sogar zwei Lehrkräfte den Unterricht. Im Rahmen des Beruf-Vorbereitungs-Jahr lernen die Jugendlichen verschiedene Ausbildungsstätte kennen. Sehr erstaunlich ist die Vielfalt an Ausbildung, die das Jugendwerk zur Verfügung stellt. Im Berufs-Ausbildungs-Zentrum werden die sieben Lehrbereiche, Schreinerei, Zimmerei, Schlosserei, Malerei, Fahrradwerkstatt, Küche und Hauswirtschaft, angeboten und zählt somit zu den größten Ausbildungsbe-

triebe in der Region. Für diejenigen die, die erwartete Leistung nicht erbringen können, werden Theorie geminderte Ausbildungen zum Fachwerker angeboten. Auch an diesem Punkt wird deutlich, wie sehr das Jugendwerk darauf schaut, dass wirklich allen Jungs die Möglichkeit in das Berufsleben einzusteigen ermöglicht wird. Die Schule meisterte Johannes bei seinem Zweitversuch besser. Er erledigte seine Hausaufgaben und die Fehlzeiten gingen drastisch zurück. Nichtsdestotrotz rastete Johannes ein weiteres mal aus. Bei einem Ausflug zum jüdischen Museum in Berlin bekam Johannes Langeweile. Er fand das Museum einfach nicht interessant. Kein Grund zum verrückt werden? Für Johannes schon. Er fing an sich mit einem ihm unbekannten Mann zu schlägern. Die Situation eskalierte. Der begleitende Pädagoge war machtlos. Er konnte Johannes' Aggressivität nicht stoppen. Die Schlägerei ging jedoch nach einigen Schlägen schon wieder zu Ende. Johannes rannte anschließend wie vom Blitz getroffen wild durch das Musem. Auch hier konnte der Pädagoge nichts tun, denn Johannes war viel zu schnell. Die Menschen drum herum schauten nur zu und beobachten die gesamte Situation. „Ich will nach Hause. Hier ist es scheiße. Alles ist scheiße. Ich werde alles abbrechen“, schrie er durch das Museum. Erst als ein Security Man und der Pädagoge zusammen hinter Johannes her rannten, gelang es ihnen den wild gewordenen 15 jährigen Jungen zu beruhigen. Glücklicherweise passierte dies am letzten Tag des Aufenthalts in Berlin. Kurz nach dem die Gruppe wieder ins Jugendwerk einkehrte konnte Johannes sein Handy nicht mehr finden. Er beschimpfte seinen Mitbewohner und wurde auch hier wieder aggressiv. Die Pädagogen sahen keine Zukunft für Johannes im Jugendwerk Oberrimsingen. Johannes musste gehen. Zurück ins Gefängnis. Er hatte seine Chance verpasst. Ganz aufgegeben hatten die Lehrer von Johannes jedoch nicht. Sie gaben ihm die Chance wenigstens seinen Schulabschluss zu machen, denn all dies Geschah ein Monat vor seiner anstehenden Abschlussprüfung. Er war also zur Hauptschulabschlussprüfung zugelassen. Ob man es glaubt oder nicht - der 15 jährige nahm auch diese Chance nicht wahr. Er kam nicht zur Prüfung. Das alles passierte im Jahr 2008. Auch heute noch lebt Johannes in Gefangeschaft, vielleicht kommt ihm die Einsicht, doch noch einmal mit Erfolg nach dem Schlüssel greifen zu wollen. Eveline Greiner

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12 Fragen an einen Jugendlichen aus dem Christophorus Jugendwerk 1.Wie alt bist du? 17 Jahre 2.Hast du Geschwister? Nein 3.Hast du regelmäßigen Kontakt zu deinen Eltern? Ja 4.Wie kam es dazu, dass du in diesem Heim bist? Ich hatte Probleme mit meiner Familie, insbesondere meiner Mutter. Außerdem war ich auffällig in der Schule und bin somit auch bei der Polizei aufgefallen. 5.Welchen Bildungsweg hast du gewählt? Ich habe den Hauptschulabschluss durch das BVJ erworben und habe dann die Ausbildung als Koch angefangen.

6.Hast du irgendwelche Ämter wie Gruppensprecher oder ähnliches übernommen, wenn ja wie ging es dir dabei und was für positive und negative Erfahrungen hast du dabei gesammelt? Ja. Ich war Gruppensprecher in zwei Gruppen. Einmal hier intern und momentan bin ich Gruppensprecher in der externen Gruppe in Freiburg. Dadurch habe ich gelernt, dass man in der Gruppe zusammenhalten muss und dass eine Person da sein muss, der für die Gruppe, für die Jugendliche, mit den Betreuern über die anliegenden Probleme reden kann. Negative Erfahrungen habe ich leider auch gemacht. Insbesondere ist mir aufgefallen, dass manche Jugendliche den Gruppensprecher nicht richtig respektieren.

Gute Frage! Ich finde es eigentlich total gut. Habe soweit keine Verbesserungsvorschläge.

7.Findest du die Zusammenarbeit unter euch Jugendlichen gut? Es kommt immer auf die Gruppe drauf an, wie die Gruppe ist, was für Personen zusammen sind, vor allem bei den 12 – 13 jährigen ist die Zusammenarbeit nicht so gut, wobei sich das mit der Zeit bessert.

11.Was glaubst du woran das liegt? Ich denke, dass die Schuld an den Jugendlichen selbst liegt, da die Gemeinde viel Negatives mitbekommt. Jedoch sollte man nicht alle über einen Kamm scheren.

8.Inwiefern würdest Jugendwerk verbessern?

du

das

9.Findest du der Staat sollte Verbesserungen der allgemeinen Erziehung vornehmen oder bist du der Meinung, dass dies nicht Sache des Staates ist? Auf irgendeiner Art und Weise schon, denn viele Jugendliche werden von der eigenen Familie oft vernachlässigt. Hier sollte das Jugendamt öfters Kontrollen durchführen. 10.Fällt es dir schwer dich außerhalb des Heimes in die Gesellschaft zu integrieren? Ja, besonders hier im Ort. Man wird weder gegrüßt noch respektiert.

12.Was sind deine Zukunftspläne? Meine Ausbildung abschließen, danach will ich zurück in meine Heimat Saarbrücken und arbeiten.

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Gummiibären in der HÜlle

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Pictures Of

Science

„Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig“, Albert Einstein.

Gleich die erste Vorlesung des Schnupperstudiums „Physik macht Spaß“ lässt mich zweifeln, ob die Naturwissenschaftler noch alle Tassen im Schrank haben. Der Professor und sein Assistent ziehen alle Register ihrer ExperimenteTrickkiste. Sie freuen sich dabei wie kleine Kinder, die Versuche vorführen zu dürfen. Das Lieblingsstück des Assistenten ist eine Feuerorgel: Mehrere Flämmchen nebeneinander, die je nach Frequenz eines To-

Die HölLE Der „Szichuchuchu“, es zischt, brodelt, dampft, pinke Flammen züngeln im Reagenzglas, es riecht nach Karamell. Es handelt sich um ein Experiment aus dem Chemieunterricht in der Schule, nicht allzu spannend für Chemiestudenten. Doch dieser Versuch stellt sie vor eine Aufgabe: Wie viele gehen? Aus einem Gummibärchen werden zwei, daraus drei … und daraus ein ganzer Spieß. Um aber die armen Bären zu schützen, wird auch gerne zu einem Standardversuchstier gegriffen: der Maus. Das Ergebnis in der Hölle ist nicht ganz so spektakulär. Weiße Mäuse riechen nämlich nicht nach Karamell, dafür ist es viel leichter, ihnen Gesichter aufzumalen und ihnen Namen zu geben.

Meine Neugierde für unlösbare Probleme und Rätsel beschert mir im Allgemeinen schräge Seitenblicke. Seitdem ich – freiwillig – beim Schnupperstudium für Mathematik und bei einem Chemieseminar an der Uni gewesen bin, halten mich alle für völlig durchgeknallt.

Glücklicherweise nur solange bis die nächste Mathe-Klausur vor der Tür steht. Dann ist es nämlich plötzlich doch nicht so schlecht, einen Mathefreak wie mich zu kennen. Aber kann es sein, dass man ein bisschen verrückt sein muss, um Naturwissenschaften zu mögen?

Ein Haufen

VeRrückter ???

nes unterschiedlich hoch stehen. Als krönenden Abschluss spielt er seine Lieblingslieder „unterfeuert“ von der Feuerorgel. Für mich steht fest, dass ich keine Verrückten vor mir habe, sondern jung gebliebene

Erwachsene, die ihren Spieltrieb zum Beruf gemacht haben. Allerdings lassen sich manche Eigenheiten der Naturwissenschaftler nur schwerlich auf einen Spieltrieb zurückführen.

GummiibärcheN

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Wie Wahrscheinlich ist

Gerechtigkeit? Eine Münze wirbelt durch die Luft. Ein einfaches Münzspiel. Es wird abwechselnd geworfen. Bei vier Mal Kopf gewinne ich, meine Mitspielerin bei der Kombination Zahl-Zahl-Kopf-Kopf. Aber warum gewinnt sie nur die ganze Zeit? Eigentlich müssten doch beide Wurfkombinationen gleich wahrscheinlich sein, oder nicht? Unsere Neugierde ist geweckt. Doch um heraus zu bekommen, ob oder warum zweimal Zahl und zweimal Kopf wahrscheinlicher ist,

Von 11:30 Uhr bis 14:00 Uhr ist sie geöffnet; die Mensa. Doch bis man sein Essen in Ruhe an einem der vielen kleinen Tische verspeisen darf, muss man, wie in einer Alt-Weiber-Mühle – nur ohne Zerrspiegel – einige Hindernisse überwinden. Zunächst steht man vor der Qual der Wahl, welches Essen, von vier angebotenen, man möchte, oder ob man doch lieber das Buffet aufsucht. Entscheidet man sich gegen das Buffet, so muss man der rechten Treppe, beziehungsweise der Menschenmasse folgen. Oben angelangt greift man sich rasch ein Tablett und Besteck und sieht zu, dass man möglichst schnell

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Übrigens: Zahl-ZahlKopf-Kopf ist wahrscheinlicher. Aber auch eingefleischte Naturwissenschaftler brauchen mal eine Pause und vor allem auch etwas zu essen.

„Alt ­ Weiiber ­ Mühle“

alias Mensa

zu der richtigen Essensausgabe kommt. Sagt einem keines der Essen zu, gibt es für den Notfall immer Schnitzel, Pommes und Salat. Nun folgt ein einfacher Teil: man umrundet die Salattheke und schon steht man an der Kasse. Spätestens jetzt sollte man seine Mensakarte zücken, um sie zügig auf das Kartenlesegerät zu legen. Endlich kann man sich einen Platz in der Mensa suchen, was auch mal etwas länger dauern kann. Aber wenigstens ist das Essen dann in einer angenehmeren Temperatur, um überhaupt verspeist werden zu können.

Vorlesungen Plonk. Ein leiser Fluch. Unbeeindruckt davon rollt der Kuli weiter abwärts. Doch es besteht keine Möglichkeit, ihn vor Ende der Vorlesung wieder zurück zu bekommen. Denn selbst wenn niemand in

bedarf es über zwei Stunden Kopf zerbrechen. Mehrere Seiten Notizen häufen sich auf dem Tisch vor mir und nach den zwei Stunden muss der Raum durchgelüftet werden, um die Rauchwölkchen zu vertreiben. Genau das ist für mich das Reizvolle an solchen Aufgaben. Aus einer einfachen Beobachtung oder Überlegung kann ein komplizierter Gedankengang werden.

der Reihe sitzt, ist es relativ schwierig durchzulaufen. Sogar ich mit meinen knapp über 1,60m muss mich zusammenfalten, um halbwegs bequem zu sitzen. Aber man gewöhnt sich daran. Vorsichtig nehme ich meinen Block vom Tisch,

den er vollends ausfüllt, klappe ihn nach oben und krame einen zweiten Stift aus meiner Tasche. Erneut versuche ich dem Vortrag des Professors zu folgen und das was ich für wichtig halte mitzuschreiben. Kein leichtes Unterfangen, denn die Sprache der Profs ist nicht immer unbedingt verständlich.


gross

grösser

uni

Den Kopf im Nacken, blicke ich an dem weiß-schwarz-grauen Gebäude nach oben. Ganz schön hoch das ChemieHochhaus. Der eine Eingang besteht aus zwei nicht gerade einladenden Türen. Ich drücke eine auf, und knalle fast gegen eine zweite Tür. Dann lande ich in einer riesigen Halle und bleibe erst einmal stehen, um mich zu orientieren. Links von mir führt ein Durchgang zu einem Treppenhaus und zu zwei Aufzügen.

In der Mitte des Raumes befinden sich einige Treppenstufen, dahinter auf der linken Seite ist ein Gang, rechts davon befindet sich eine Treppe, gefolgt von einer Tür, die zu einem der Vorlesungsräume führt, direkt daneben befindet sich eine Wendeltreppe. Doch schon nach wenigen Tagen ist die Halle nichts besonderes mehr und man durchquert sie ohne darauf zu achten, wie groß hier eigentlich alles ist.

Und Jetzt ???

Manche werden sich jetzt fragen, was mir mein Ausflug in die Uni gebracht hat.

Einiges

Zunächst die Bestätigung, dass es nicht unmöglich ist Mathe oder Chemie zu studieren. Was ja eigentlich schon einige Menschen bewiesen haben. Natürlich braucht man gewisse Voraussetzungen;

Die Gewissheit, dass ich nicht der einzige Spinner bin, sondern dass es viele Menschen gibt, die sich auch liebend gerne mit Dingen beschäftigen, bei denen jeder "Normalsterbliche" den Kopf schüttelt.

man sollte sich für das Fach interessieren - verständlich, oder? Außerdem kann es nicht schaden, wenn man ein wenig Geduld mitbringt. Zur Not darf man nicht total verzweifeln, wenn man für die Lösung eines Problemes länger braucht oder auch mal gar nicht auf die Lösung kommt.

Der Beweis, dass Frauen genauso gut in Naturwissenschaften sind wie Männer. Nur leider noch nicht statistisch, aber die Frauenquoten steigen. Die Erkenntnis, dass ich auf jeden Fall zu diesem bunten, etwas verückten Haufen dazu gehören möchte. | Heike Dietl

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Der Gast hat Immer Recht!

"Dem Gast soll jeder Wunsch von den Augen abgelesen werden." Klaus Meier, Manager des Park Hotel Post in Freiburg

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An der IUCE in Freiburg bereiten sich junge Leute auf eine Karriere als Hotelmanager vor.

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eden Tag in einem schönen Hotel verbringen, durch die Lobby schlendern, Gäste begrüßen, ein bisschen ``Small talk``, sich um die Mitarbeiter kümmern, und in der Mittagspause dann ein leckeres Essen vom Sternekoch des Hotels serviert bekommen. Hotelmanager muss einfach der perfekte Job sein. Aber ist er das wirklich? Und wie wird man überhaupt zum Hotelmanager?

Herrn Wölfle genug Zeit genommen auf persönliche Fragen einzugehen und sie mit detaillierten Erklärungen zu beantworten. Selbst etwas einfachere Fragen werden so lange erläutert bis sie im kleinsten Detail von den Studenten verstanden worden sind. Erst nach fast zweieinhalb Stunden voller Konzentration gibt es für Elena und Sophia die erste Pause. Schnell einen Kaffee besorgen, frische Luft schnappen und dann wieder an die Arbeit.

Am 1. Oktober 2009 war es soweit! Die International University of Cooperative Education (IUCE) wurde in Frei- Für manche jedoch, so auch für Sophia und Elena geht burg eröffnet. Diese erste private Hochschule in der Tag nach weiteren zwei Stunden Mathematik noch Baden-Württemberg, die nach dem Dualen System arbei- lange nicht zu Ende. Sie müssen sich im Anschluss auf tet, bildet die Hotelmanager, Sportmanager und Immobi- Wirtschaftsspanisch einstellen, ein Fach für das sie sich lienwirtschaftler der Zukunft aus. Bei einem Dualen wahlweise neben Wirtschaftsenglisch entschieden haStudium handelt es sich um ein Universitätsstudium, das ben. sich in einem drei-monatigen Rhythmus mit der prakti- Der Unterricht ist bilingual, er wird demnach auf schen Arbeit in einem Ausbildungsbetrieb abwechselt. Deutsch und Englisch gehalten. Während des dreijährigen Studiums erarbeiten sich die Studenten eine ideale QualiBestimmte Allgemeinbilfikation für einen ArbeitsNicht die Fachkompetenz alleine dende Fächer, wie zum markt, in dem viel Wert auf Beispiel VolkswirtErfahrung gelegt wird. entscheidet über den schaftslehre, Mathematik, Statistik und Jetzt könnte man denken: Erfolg im Berufsleben. Sprachen, aber auch Per``Die Studenten haben es sönlichkeitstraining und dort aber wirklich gut! Schon während des Studiums dür- Rhetorik, werden sowohl von angehenden Hotelmanafen sie alle drei Monate in einem tollen Hotel dem Chef gern, als auch von ihren Kolleginnen und Kollegen aus über die Schulter schauen. `` Das klingt gut. Die Realität dem Sport-und Immobilienfach belegt. Parallel zu diesieht aber nicht ganz so perfekt aus wie ein Besuch an sem Unterricht besuchen die Studenten profilspezifische der IUCE, bei dem ich das Leben der 30 ersten Studenten Vorlesungen. dieser Universität genauer kennen gelernt habe, ergab. Für die Hotelmanagementstudentinnen Sophia und Elena kommen daher noch weitere Vorträge in Tourismuslehre, Seit dem 4. Januar 2010 sind alle Studenten für den Fach- Qualitäts-und Destinationsmanagement, Hotelmarkeunterricht aus der Praxisphase in diversen Hotels an die ting-und Controlling zu ihrem Wochenplan hinzu. Hochschule zurückgekehrt. Nun heißt es wieder jeden Tag um 7:45 Uhr die Bücher aufschlagen statt im schi- Dies alles hört sich sehr theoretisch und trocken an, cken Hotel die Gäste zu begrüßen. Ein Donnerstagmor- doch da die Personalführung, die Auswertung der Einnahgen der Hotelmanagement Studentinnen Sophia und men und Ausgaben, das Marketing und vieles mehr zu Elena zum Beispiel, fängt mit einer Wirtschaftsmathema- den Aufgaben eines guten Hotelmanagers gehören, muss tik-Vorlesung an. diese Fachkompetenz erworben werden. Alle 30 Studenten der IUCE sind an diesem Morgen anwesend, denn die Vorlesung ist Plicht sowohl für Hotelund Sportmanager, als auch für Immobilienwirtschaftler. Es handelt sich jedoch um keine reine Vorlesung sondern eine Mischung aus Vorlesung und Übung. Gehalten wird sie von dem Dozenten Marco Wölfle. Der Experte für Wirtschaftsmathematik ist gelernter Diplom-Volkswirt und arbeitet an der IUCE als Studienleiter und Qualitätsmanager . Ein weiteres Merkmal der Universität ist, dass hier anerkannte Fachkräfte aus Theorie und Praxis lehren. Die Atmosphäre der Wirtschaftsmathematik-Vorlesung ist sehr entspannt und locker, jedoch gleichzeitig sehr intensiv und tiefgehend. Nach jeder Übung wird sich von

Klaus Meier, Manager des Park Hotel Post in Freiburg ist zudem der Ansicht dass "die Sozialkompetenz fast noch wichtiger ist als die Fachkompetenz." Denn im Dienstleistungssektor stehe der Kunde immer im Mittelpunkt und gerade im Hotel solle dem Gast jeder Wunsch von den Augen abgelesen werden. Um dies zu erlernen und Erfahrungen im Gewerbe zu sammeln arbeiten die Studenten der IUCE alle drei Monate in einem Unternehmen. In einem persönlichen Gespräch mit Studienleiter Wölfle werden gemeinsam Unternehmen gesucht, die den Vorstellungen der Studenten entsprechen, und es wird geprüft ob der Student auch die Anforderungen des Un17einhalb |

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" Für die Arbeit im Hotel sollte man sehr belastbar sein" , Marco Wölfle, Studienleiter der IUCE Freiburg ternehmens erfüllt. Ist der Ausbildungsvertrag unterschrieben, und das Aufnahmegespräch an der IUCE erfolgreich verlaufen, können die Studenten zum ersten Oktober jeden Jahres ihr Studium beginnen. Studiengebühren fallen dabei auch an der privaten IUCE an. Jedoch sind die Studenten durch das Ausbildungsgehalt der Unternehmen finanziell unabhängiger, und es ist leichter für sie die Studiengebühren Auch das Housekeeping ist aufzubringen. fester Bestadteil der Für manche Hotelmanagementmacht dieser finanzielle Aspekt das Duale Studium besonders reizvoll. Doch auch die Aussicht von dem Unternehmen nach dem Bachelor Abschluss übernommen zu werden, ist durch diese Ausbildungsform einzigartig. Schnell kann die Möglichkeit bestehen beruflich aufzusteigen und somit im Ausland tätig zu sein, ein Ziel der Hotelmanagementstudentin Sophia.

Sie arbeitet alle drei Monate gemeinsam mit Elena im vier Sterne Hotel Hirschen in Lehen, Freiburg . Beide lernen das Hotel von Grund auf kennen und steigen nicht, wie vielleicht erwartet, auf der Führungsebene ein. Sie haben viele Bereiche des Hotels, unter anderem das Housekeeping, mit dem die Reinigung der Zimmer verbunden ist, durchlaufen und waren zuletzt im Service tätig. Dem Chef den ganzen Tag über die Schulter schauen durften sie nicht. Sie mussten harte Arbeit leisten und waren grob gesagt ``die Deppen vom Dienst``.

Rezeption des Park Hotel Post in Freiburg Von all dem merkt der Gast recht wenig, während es hinter den Kulissen schon mal hoch hergeht. Das gestresste Personal schreit sich gegenseitig an und besonders die Auszubildenden bekommen nicht selten etwas schroffe Kommentare zu hören. Wer in diesem Gewerbe tätig sein möchte darf nicht zimperlich sein. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten sind ein deutlicher Nachteil, der oft auch zur Verkleinerung des Freundeskreises führen kann. Wochenenden, Feiertage, Weihnachten und Silvester werden nicht selten zu Arbeitstagen, und strapazieren somit das Privatleben. Dies musste auch Klaus Meier vom Park Hotel Post erleben, trotzdem ist er bei dem Job geblieben, der ihm viel Spaß bereitet. Besonders wenn sich Gäste jedes Jahr aufs Neue in seinem Hotel einquartieren, freut es den Manager sehr. Es ist ein Zeichen dafür, dass sich die Gäste wohl gefühlt haben, eine Aufgabe, für die der Hotelmanager verantwortlich ist.

Clarion Hotel ``Für die Arbeit im Hirschen Hotel sollte man in Lehen, Freiburg sehr belastbar 16

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sein`` meint auch Studienleiter Wölfle. Neben oft extrem langen Arbeitstagen, die hohes Engagement erfordern, darf man nicht vor Konflikten zurückschrecken. Denn im Hotelgewerbe hat der Gast immer Recht und steht an erster Stelle. Benötigt er in irgendeiner Weise besondere Hilfe, muss ihm diese zu jeder Zeit entgegengebracht werden. Ein außergewöhnlich guter Kundenumgang ist Pflicht, und wird an der IUCE von Anfang an in speziellen Seminaren trainiert. Denn dem Gast gegenüber gibt es im Hotel niemals ein ``Nein``. Fazit: Wer die Nachteile der Arbeitszeiten, die oft sehr kritischen Kommentare der Chefs und den enorm großen Stress in Kauf nimmt, wer eine hohe soziale Kompetenz, Organisations-und

Fremdsprachentalent, Kontaktfreunde, Belastbarkeit, und kaufmännisches Talent vorweisen kann, dem steht die doch nicht so einfache, weite Welt des Hotelmanagements offen. Josephine Hamann

Die beiden Hotelmanagementstudentinnen Sophia (links) und Elena (rechts).

Info­Kasten zum Studium an der IUCE Die International University of Cooperative Education (IUCE) bietet seit 1. Oktober 2009 ein staatlich anerkanntes Bachelor of Arts (B.A.) Studium, mit den Profilrichtungen Hotelmanagement, Immobilienwirtschaft, Sportmanagement, und seit neuestem Marketing, an. Vierteljährlich wechseln sich das Studium und die Praxis in einem Unternehmen ab. Angefangen hat die IUCE mit 30 Studenten, doch schon in drei bis vier Jahren sollen es 500 sein. Denn die bislang auf Wirtschaftswissenschaften beschränkte private Hochschule, soll bald um weitere Studiengänge in Technik sowie Umwelt-und Gesundheitsmanagement ausgebaut werden. Außerdem ist eine Finanzierung langfristig über die monatlichen Studiengebühren von durchschnittlich 500 Euro geplant, da die IUCE in den ersten Jahren über die Gesellschafter getragen wird. Gesellschafter sind unter anderem Robert Wetterauer, Geschäftsführer der ANGELL Business School, und Friedrich Klute, Onkel von Wetterauer und Bruder der Angell-Schulleiterin Antoinette Klute-Wetterauer. Voraussetzung für ein Studium an der IUCE ist entweder ein Abitur, oder aber eine Fachhochschulreife, die um einen bestandenen Eignungstest ergänzt werden muss. Weiterhin

benötigen Bewerber einen Ausbildungsvertrag mit einem Partnerunternehmen und ein erfolgreiches Aufnahmegespräch an der Hochschule. Sind diese Voraussetzungen erfüllt können sich die Studenten auf ein dreijähriges Studium in dem ehemaligen französischen Konsulat an der Lessingstraße in Freiburg freuen. Modern ausgestattete Unterrichtsräume, eine eigene Fachbibliothek und Cafeteria sowie WLAN auf dem Campus und Zugang zu dem Service des Freiburger Studentenwerkes stehen den Studierenden zur Verfügung. Falls nötig können die Studenten der IUCE während der Zeit an der Hochschule die 114 Studienapartments der ANGELL Business School mitbenutzen. Im ersten Jahr belaufen sich die Studiengebühren auf 480 Euro pro Monat, in jedem weiteren Jahr steigen diese um 20 Euro im Monat. Die Immatrikulationsgebühr beträgt 250 Euro.

Der Eingang der IUCE in der Lessingstraße in Freiburg

Die IUCE Freiburg 17einhalb |

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Pferdekuss war einmal... Denn jetzt gibt es Hippolini, ein Reitkonzept, das Kindern und Jugendlichen spielerisch den sicheren Umgang mit Pferden lernt.

Weiden mit Blick auf die Rich River Ranch.

Reitsch端ler bei ihrer Hippolini-Stunde. Rechts neben dem Pony ein "Caballito". 18 |

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M

ama, ich will reiten, sagen manche Kinder, kaum dass sie auf den eigenen zwei Beinen stehen können. Vor allem auf Mädchen üben Pferde eine magische Anziehung aus. Doch viele Eltern wissen dann nicht, wie sie mit dem Wunsch der Kinder umgehen sollen. Reiten, so jung? Ist das nicht gefährlich? Dabei schult gerade das Reiten Körperbewusstsein und Feinfühligkeit. Wer schon einmal auf einem Pferd gesessen ist, dem wurde schnell bewusst , dass man mit Kraft gar nicht weit kommt. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der Fernseher und Computer zum Alltagsgegenstand geworden sind, ist es für Kinder eine gelungene Abwechslung auch einmal ein warmes, weiches Pferdemaul zu streicheln, auf matschigen Wiesen zu toben und den ländlichen Stallgeruch einzuatmen.

Mischling. Fröhlich kläffend empfängt sie die Besucher, die gerade auf den nebenliegenden Parkplatz gefahren sind. Abgesehen von den Ställen sieht man ringsum nichts als Weiden. Man spürt die Natur und dass auf der Ranch nur eines im Mittelpunkt steht: die Pferde. Hier werden neben Freizeit und Westernreiten nicht irgendwelche Reitstunden gegeben, sondern ganz besondere Stunden, die auf einem liebevollen und sicheren Umgang mit Tieren beruhen, dem Hippolini. Dieses Konzept existiert seit 1996 und wird seit 2007 auf der Ranch angewendet. Die Teilnehmer arbeiten ins Zweierteams, der Eine lernt die achtsame und feinfühlige Zügelführung vom sicheren Boden, der Andere übt das Ausbalancieren im Sitz. Die Hippolini-Lehrmethode greift das Prinzip der Longe auf. Der Reitlehrer hat die volle Kontrolle über das Pferd, da es an einer langen Leine gehalten wird. Somit kann der Reitanfänger sich erst einmal auf sich und auf die richtige Haltung auf dem Pferd konzentrieren . Aufgestiegen wird auf einem Caballito. Ein Caballito? Das ist natürlich nicht der Name des Reitlehrers, sondern eine Art Podest, das besonders Kindern den Aufstieg auf das Pferd vereinfachen soll und so unnötiger Stress

” Durch den Caballito fällt es mir viel leichter auf das Pony zu kommen, sonst ist es immer so hoch und bis man da mal oben ist, hat man schon gar nicht mehr Lust zu reiten“

Die Rich River Ranch in Staufen bietet Kindern die Möglichkeit, spielerisch und mit jeder Menge Spaß die ersten Grundkenntnisse des Reitens zu lernen. Es wird mit einem besonderen Reitkonzept gearbeitet, das sich Hippolini nennt. Seit acht Jahren leitet Nicole Reichenbach die Pferderanch bei Staufen. Auf fünf Hektar beherbergt sie 45 Pferde und Ponys, 13 davon gehören ihr selbst. Die meisten ihrer Reitschüler sind erst zwischen vier und zehn Jahre alt. Beim Betreten des Reiterhofs wird man von Brigittchen begrüßt, einem zweijährigen Schäferhund Husky

für das Tier vermieden werden kann. Mit dem Ausruf: „Caballito wird frei“, wissen die Kinder wann das nächste Team auf das Pferd kann. Das Prinzip der Reitstunden beruht auf der Reformpädagogik von Maria Montessori, einer italienischen Ärztin und Pädagogin, die spielerisch und ohne jeden autoritären Einfluss Kindern ein selbstständiges Lernen näher bringt. Jeanette Wilke, eine Reitsportbetreuerin, griff dieses Prinzip auf und entwickelte das Hippolinikonzept. Den Kindern macht es sichtlich viel Spaß ohne jeglichen Druck und mit viel Zeit das Reiten zu erlernen. Nicht nur das druckfreie Arbeiten, sondern auch das Gruppengefühl fördert das Sozialverhalten, die Freude am Lernen und die Kommunikation mit den anderen Reitschülern.

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Eine Gruppe besteht aus 6-8 Teilnehmern und es wird mit 2 ausgebildeten und sehr geduldigen Ponys gearbeitet. Ponys werden daher eingesetzt, um den Kindern die Angst vor großen Tieren zu nehmen. Sie

gewinnen viel schneller das Vertrauen zu Ponys als zu Reitpferden. Da Pferde und Ponys Herdentiere sind, wird mit mehr als einem Tier gearbeitet. Auch ich hatte schnell mit einem Pony Freundschaft geschlossen und ehe ich mich versah hatte es meinen Jackenknopf abgefressen. Auf meine Frage an Frau Reichenbach warum gerade sie dieses Konzept auf ihrem Reiterhof anbietet antwortete sie mir, dass Hippolini eine Grundlage des Reitens

” Durch Hippolini lernen die Teilnehmer, die Angst gegenüber den Ponys zu verlieren und sich in die Tiere einzufühlen und zu merken, wann die eigenen Grenzen überschritten sind. Übrigens ist unsere Ranch seit 2007 Ausbildungsstall für Hippolinilehrkräfte in Süddeutschland” schafft, übermittelt, dass Pferde keine Gegenstände sind und dass ein angstfreier und einfühlsamer Umgang mit Tieren erlernt wird. Da dies viel Zeit und Geduld braucht, teilt sich dieses

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Konzept in drei Stufen ein: dem Hippolini 1, bei dem man das Pferd kennenlernt und nur mit Halfter und ohne Sattel arbeitet. Bei Hippolini 2 soll das Führen des Pferdes erlernt werden und der Gurt kommt zum Einsatz. Als dritte Stufe, dem Hippolini 3, beginnen die Teilnehmer mit reiten und arbeiten mit Sattel und Trense. Nachdem die Teilnehmer alle Stufen durchlaufen haben, bietet sich ihnen die Möglichkeit Einzelunterricht zu nehmen, in Gruppen für Turniere zu trainieren oder in eine weiterführende Gruppe, die nicht mehr nach dem Hippolini-Konzept abläuft zu gehen. "Ich bin bei Hippolini Mini", erzählt mir stolz die kleine Aischa. Es gibt also nicht nur verschiedene Phasen, sondern auch eine Aufteilung der Altersgruppen: dem Hippolini Mini für Kinder ab 5 Jahren, dem Hippolini für Kinder von 6 bis 10 Jahren und der neuen Erweiterung, dem Hippolini Teenie ab 12 Jahren. Jede Reitstunde wird in ein bestimmtes Thema verpackt, damit die Kinder spielerisch die Haltung und den Umgang mit Tieren erlernen. So entstehen zum Beispiel Themenbereiche wie Burgreiten, Prinzessinenreiten oder Unterwasserreiten. Diese Themen ziehen sich durch die Reitstunden und werden mit dem Kindern zusammen erarbeitet. Am Ende ist eine Geschichte entstanden, die dann als kleines Theaterstück stolz den Eltern vorgeführt wird. Da der Unterricht dezentral abläuft, werden die Teilnehmer nicht eingeteilt und können so entscheiden welches Pony sie möchten, ob sie Hilfe brauchen, in welcher Reihenfolge geritten wird und wann sie sich wie viel zutrauen. Der Reitlehrer steht lediglich zur Hilfe und zur Unterstützung zur Verfügung. Die Teilnehmer sollen versuchen im Team die Situationen und Aufgaben zu bewältigen und den Reitlehrer als Stütze sehen. Diese Methode gibt den Reitschülern Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit.


Pferdeboxen auf der Rich River Ranch

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eder Teilnehmer erhält eine Gerte und einen Hippolini-Strick zum führen des Pferdes. Die Gerte wird nur als Zeigeinstrument genutzt und soll den Umgang vereinfachen. Soll das Pferd geradeaus gehen, wird die Gerte gerade gehalten; soll das Pferd stehen, zeigt die Gerte nach unten; um das Pferd nach rechts oder links zu lenken, wird in die jeweilige Richtung gezeigt. Der Hippolini-Strick ähnelt einem geflochtenen Zopf und wird an den Halfter des Pferdes gebunden. Da Reitanfänger meist etwas brauchen um sich

“Ich reite am liebsten mit meiner besten Freundin zusammen, zu zweit macht es viel mehr Spaß als allein und bis jetzt haben wir sogar fast alles alleine geschafft ohne unsere Reitlehrerin zu fragen”

festzuhalten, sollten sie nicht die Zügel benutzen, weil diese mit dem sensiblen Pferdemaul verbunden sind. Der Strick ist ungefährlich für das Pferd und gibt den Teilnehmern Halt, damit sie eine Verbindung zum Tier schaffen können. Trotz der Entscheidungsfreiheit gibt es einen geregelten Ablauf: Zuerst wird das Pony gestriegelt, dann wird mit einem bestimmten Thema gearbeitet, danach werden die

Hofhund "Brigittchen" Ponys gefüttert und weggeführt. Doch in jeder Phase des Ablaufs kann frei entschieden werden und es gibt kein Muss. Manche Teilnehmer trauen sich erst nach der fünften oder sechsten Stunde an das Pferd. Davor wird ihnen genug Zeit gelassen, sich mit den Tieren vertraut zu machen und die Situation von außen zu beobachten. Bei meinem Besuch treffe ich ein junges Mädchen, dass sich erst nach der fünften Reitstunde überhaupt in die Nähe eines Ponys getraut hat. Durch Hippolini wurde ein neues Konzept geschaffen, dass sich nicht nur auf den Umgang mit Pferden begrenzen lässt, sondern auch eine Vertrauensbasis zu anderen Tieren schafft. Durch den regelmäßigen Besuch der Reitstunden lernen Kinder außerdem Verantwortung zu übernehmen und zuverlässig zu sein. Dadurch wird die richtige Haltung und Pflege von Katze, Hase oder anderen Haustieren zur Normalität. Vielleicht verstehen Kinder dann besser, warum man den lästigen Hamsterkäfig sauber machen und der Hund mindestens dreimal am Tag raus muss. Nach einem langen anstrengendem Tag, matschigen Stiefeln und einem gefressenem Jackenknopf neigt sich der Tag auf der Rich River Ranch dem Ende zu. Die Mühe, der Matsch und der Knopf haben sich gelohnt und mich um die Erfahrung reicher gemacht, dass Hippolini zwar “nur” ein Reitkonzept ist, man aber durch die Teilnahme daran einen Beitrag dazu leisten kann, dass nicht mehr so viele Haustiere wegen Desinteresse und mangelnder Versorgung ins Tierheim abgeschoben werden.

Infos zu Hippolini:

Das HIPPOLINI-Konzept wurde 1995 von der Pädagogin und Reitsport-Betreuerin Jeannette Wilke entwickelt und entstand in langjähriger Praxis mit mehr als 250 Kindern (im Reitverein, an staatl. Schulen und an reformpädagogischen Schulen in freier Trägerschaft). Seit 2004 gibt die Pädagogin erfolgreich ihr Konzept in Seminaren an Reitlehrerinnen weiter. 2007 hat sich aus diesem Kreis der HIPPOLINI - Verband e.V. gegründet, dessen Mitglieder auch außerhalb der bundesdeutschen Landesgrenzen aktiv sind. Hippolini leitet sich von dem wissenschaftlichen Namen der Pferdekunde ab, der Hippologie.Im griechischen bedeutet “hippos” Pferd. 17einhalb

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Was tun wenns brennt ? Der harte Alltag der Feuerwehr

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enn ich mich an meine Kindheit erinnere, kommt mir spontan ein Satz in den Sinn: “Wir laufen hoch zur Feuerwehr!” Das kommt daher, dass unsere autofreien Spazierwege am Haslacher Dorfbach entlang zur Hauptfeuerwache der Freiburger Feuerwehr führten. Die ca. zwei Kilometer Fußweg bis dorthin endeten immer mit einem bestaunenden Blick auf die faszinierenden Fahrzeuge, und einem Blick auf die stets beschäftigten Feuerwehrleute.Bis heute gehören die Feuerwehr und ihre Geräuschkulisse, mit Blaulicht und Sirene, zu meinem Alltag. Eigentlich nichts Besonderes. Bis ich vor ca. zwei Jahren durch meine Freundin ein Mitglied der Jugendfeuerwehr, David, kennenlernte und ich mich fragte, wie man eigentlich zur Feuerwehr kommt. Ganz spontan lud mich David dazu ein, ihn einen Abend lang zur Jugendfeuerwehr Lehen zu begleiten. Natürlich

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war ich sehr aufgeregt, da ich nicht genau wusste was auf mich zukommt. Allerdings bekam ich einen kleinen Hinweis darauf, dass kein trockener Theorieabend auf mich warten sollte, durch die Aussage :” Sei froh, dass du uns nicht im Sommer besuchst, sonst würdest du ziemlich nass werden!” Na gut. Zum Glück hatten wir Winter. In Lehen erwartete mich eine Gruppe von zehn Jungs, im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren, die von einem Berufsfeuerwehrmann und drei Jugendausbildern geleitet wird. Die drei Ausbilder, die selbst aus der Jugendfeuerwehr kommen, studieren oder drücken sogar noch die Schulbank. Es sind junge Leute, die diszipliniert genug sind, um die Jungs zu motivieren eine ernstzunehmende Sache spielerisch zu erlernen. An diesem Abend stand der richtige Umgang mit dem Funkgerät auf dem Plan. Zwei von ihnen wurden mit einem Funkgerät ausgestattet und bekamen fünf Minuten


Vorsprung um Ziellos in Lehen herumzuspatzieren. Die Die Jugendfeuerwehr macht Jugendliche fit für den Übrigen wurden in zwei Gruppen mit jeweils einem Leiter eventuellen späteren Beruf. Zum einen steigen circa 40 aufgeteilt, um die beiden Ausreißer zu orten. Bei diesem Prozent der heutigen Jugendfeuerwehrleute in die FreiSpiel lernten die Jugendlichen sich ordwillige Feuerwehr ein, zum anderen ist nungsgemäß über Funk zu verständidie Jugendfeuerwehr eine sehr gute gen. Wie kompliziert diese VerständiVorbereitung auf jeden erdenklichen Sie werden nicht gung wirklich ist, war mir bis zu diesem Beruf. Hier lernen die Jugendlichen, in Abend nicht klar. Stresssituationen die Ruhe zu bewahren und die richtigen Entscheidungen zu zu Supermännern “Florentine Müller an Florentine Maier treffen. Sie werden nicht zu Supermänkommen” nern ausgebildet, aber zu klar denken-”Florentine Müller kommen” den und gut strukturierten jungen ausgebildet ” Bitte aktuellen Standort durchgeben” Menschen. … Ich verstand nur Bahnhof. Doch für die Die Berufsvielfalt innerhalb der FeuerJungs war es ein großer Spaß, sich in vollkommener Dun- wehr ist sehr weit gefächert. Angefangen bei Einsatzleukelheit und bei zwei Grad minus durch den Schnee zu ten, die in Notsituationen die Lage überblicken müssen, kämpfen. Zwei Stunden vergingen wie im Flug und am En- die Brände löschen, Keller auspumpen, Tiere retten oder de der Lektion konnten sich alle sehr gut über Funk ver- bergen, Sturmschäden beseitigen und allem voran natürständigen. Sogar ich. lich Menschen retten. Hier kommt des öfteren ein Psychologe zum Einsatz, der auch zu einem “FeuerwehrZwischendurch hatte ich Gelegenheit, den Ausbildern Fra- team” gehört. Oder die vielen Sanitäter, die die Ärzte gen zu stellen, wie sie sich zum Beispiel ihre Zukunft vor- vor Ort unterstützen. stellen. Mich überrachte es nicht, dass sich die Mehrheit Jeder Feuerwehrmann muss unbedingt Erste Hilfe leisten der Ausbilder für einen Beruf innerhalb der Feuerwehr in- können und auch leisten. Stets müssen diese Männer imteressiert, sei es als Berufsfeuerwehrmann, Arzt oder Sa- mer auf dem aktuellen Stand sein, was die Erste Hilfe nitäter. Deutlich wird in den Gesprächen, dass sich die angeht. Das wiederum zeigt, dass man bei diesem Beruf Jungs der Feuerwehr sehr um das Allgemeinwohl sorgen nie auslernen kann. und soziales Interesse zeigen. Dabei ist es letztendlich egal welchen Beruf Apropos dazulersie später wählen, nen. Natürlich ist denn in jeder Bees bei der Feuerwerbung lässt es wehr Pflicht, an sich gut sehen, ständigenFortbilwenn man als Judungen und Neuegendlicher solches rungen für den Engagement zeigt. Brand-, bzw. KataMit einem gewissen strophenschutz Stolz tragen die Juteilzunehmen. gendlichen daher Nicht nur die Beihre Feuerwehrunirufsfeuerwehren, form, weil sie den sondern auch die Leuten zeigt, dass Freiwilligen Feuersie einem guten sowehren sind dazu zialen Umfeld anverpflichtet sich gehören und sie ständig neu zu besich dadurch in ihweisen, indem sie rem Tun bestätigt an Übungen und fühlen. Löschaktionen aktiv David kam durch teilnehmen. Die Siden Tag der offecherheit aller Mennen Tür der Feuerschen muss durch wehr Lehen zu dieeine zuverlässige ser Gruppe. Andere Feuerwehr gewährFeuerwehren werleistet sein. ben mit direkten Briefen an die Haushalte, deren Kinder das Mindestalter Bei der Feuerwehr sind nicht nur die Berufe der körperlivon zehn Jahren erreicht haben oder durch das Internet. chen Hilfestellung gefragt, sondern auch HandwerksbeAm besten ist aber immer noch die Mund-zu-Mund Pro- rufe jeglicher Art. Automechaniker sind ebenso wichtig paganda, um neue Mitglieder zu werben. Aber ist Wer- wie Elektriker oder Elektroniker, die mit neuester Technik bung für die Feuerwehr wirklich nötig? die Einsätze über Computer steuern können. 17einhalb

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Was unter anderem auch zum Berufsbild gehört ist, die Aufklärungsarbeit für die Öffentlichkeit, wie zum Beispiel in Informationsveranstaltungen, Schulen und Haushalten, abhalten müssen. Hier bringen Experten den Menschen bei, wie sie Brände vorbeugen können und wie sie sich bei Bränden verhalten müssen, um dadurch auch indirekt Leben retten zu können. Trotz des Zeitalters der Emanzipation kann man feststellen, dass der Beruf in der Feuerwehr weiterhin ein typischer Männerberuf ist und höchstwahrscheinlich auch bleiben wird. Die körperliche Leistung, die einzusetzen ist um diesen Beruf ausüben zu können, ist für Frauen oft zu schwer. Das ist eine biologische Tatsache. Tatsache ist auch, dass neben der körperlichen Fitness die Psyche sehr gut trainiert werden muss. Oft müssen die Einsatzleute tote Menschen bergen, schrecklichste Unfälle hautnah miterleben und ihre Gefühle in diesen Momenten komplett ausblenden können, um für ihren Einsatz klar denken und handeln zu können. Emotionen sind in diesen Augenblicken fehl am Platz. Was aber nicht auto-

Die Jungs von der Jugendfeuerwehr in Aktion

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matisch heißt, dass die Einsatzleute kein Mitgefühl mit den Opfern und Angehörigen haben. Sehr oft müssen sich auch Feuerwehrleute in psychologische Behandlung begeben, um das Erlebte zu verarbeiten. Dennnoch ist die Tätigkeit als Feuerwehrmann ein anstrebenswerter und zukunftsorientierter Beruf. Auch heute noch “laufe ich hoch zur Feuerwehr”, wenn ich der Fitness zu liebe ein Joggingrunde drehe, oder wenn ich mich morgens mit meinem Fahrrad auf den Weg zur Schule mache. Die Feuerwehr gehört nach wie vor zu meiner täglichen Wahrnehmung, aber inzwischen sehe ich sie aus einem ganz anderen Blickwinkel. Ich bewundere die Menschen, die täglich ihr Leben für andere aufs Spiel setzen um ihnen zu helfen. Und angefangen hat das bei vielen schon bei der Jugendfeuerwehr.


Frauen bei der Feuerwehr Frauen sind in der Feuerwehr sehr schwach In diesen Netzwerken dreht es sich rund ums vertreten. Oft liegt es daran, dass sie mit der Thema Feuerwehrfrauen. Man erfährt dort körperlichen Fitness der zum Beispiel, dass die Männer nicht mithalten ersten Feuerwehrfrauen können aber es liegt schon im zweiten auch daran, dass viele Weltkrieg aktiv waren. Frauen vor einem Sie mussten die solchen Feuerwehrmänner die männerdominierten zum Militärdienst Beruf großen Respekt eingezogen wurden haben. Es gibt jedoch ersetzen. Schon 1916 ein Paar "Mutige" unter arbeiteten die ersten ihnen die es schaffen in Frauen bei der diesem Beruf wirklich Feuerwehr. Zu dieser Zeit erfolgreich mit den waren sie jedoch meist Männern mitzuhalten. nur als Sekretärinnen In verschiedenen oder Telegrafistinnen Netzwerken im tätig. Die erste richtig Internet haben die ausgebildete Feuerwehrfrauen die Feuerwehrfrau war Möglichkeit sich mit wahrscheinlich Monika anderen Frauen über Tegtmeier. Sie trat ihren ihren Beruf Dienst zum ersten Mal auszutauschen. Das im Jahr 1985 an. ersetzt für viele die Kollegin die sie auf der Wache vielleicht nicht haben.

Art der Feuerwehr

Anzahl Frauen

Anzahl Feuerwehrangehörige gesamt

% Frauen

Berufsfeuerwehr

360

28056

1,28%

Hauptamtliche Feuerwehr

135

6902

1,96%

Werkfeuerwehr

23

7190

0,32%

Sonstige

47

keine Angaben

Summe

565

42147

1,34%

||||| Marie Schöpflin

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Nicht zu Hause und doch daheim Der Jugendmigrationsdienst in Freiburg ist eine Anlaufstelle für viele junge Ausländer. Zu ihm gehört auch die Tanzgruppe “Boundless”, die für viele Mädchen eine zweite Familie ist.

Die Tanzgruppe "Boundless" des Jugendmigrationsdienstes in Freiburg

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Das Franz-Hermann-Haus in Freiburg

F

Der JMD ist eine Einrichtung des Caritasverbandes

ünf, Sechs, Sieben und Acht!” Die Musik dröhnt aus der Anlage doch die Stimme der Tanzlehrerin ist nicht zu überhören. Vor mir fliegen Arme hoch und runter, die Tanzbeine schwingen, und im Wandspiegel sehe ich die strahlenden Gesichter von zehn Mädchen einer Streetdance-Tanzgruppe. “Hier ist es nicht so, wie in einer Tanzschule” erzählt mir eines der Mädchen. “Bei uns kann man kommen und gehen, wann man will”. Bereits als ich den Raum mit dem großen Spiegel betrat, begrüßten mich alle freundlich und die Offenheit der Mädchengruppe sprang mir schier ins Auge.

Der Computerraum im Franz-Hermann-Haus

Sprachkurs, die Mitarbeiter der Caritas-Einrichtung versuchen den Migranten auf jede Art und Weise zu helfen und ihnen die Wege zu einer guten Bildung aufzuzeigen oder zu vermitteln.

Da fällt mir der junge Mann aus der Straßenbahn ein. “Die Ausländer, die faulen Säcke!“ Beschimpft er. „Kommen in unser Land, liegen faul zu Hause und machen als wäre das Leben ein Ponyhof! Ha, an arbeiten denken die doch nicht!” Die zornige Stimme des Mannes schwirrt noch immer in meinen Ohren. Recht hat er bestimmt nicht, wird mir während des Gespräches mit Frau KaluDrei Tage zuvor besuche ich erstmals den Jugendmigrati- scha immer deutlicher. “Im Gegenteil“ sagt sie, „ich erleonsdienst (JMD) im Franz-Hermann-Haus, eine Einrich- be viele Eltern von jungen Migranten, die alles dafür tun, tung des Caritasverbandes Freiburg. Kaum betrete ich das dass ihre Kinder zur Schule gehen können. Jeder JugendGebäude nehme ich die ersten Töne einer orientalischen liche hier ist froh, wenn er auch nur eine kleine Chance Musik wahr. Eine Bauchtanzgruppe tanzt im Nebenraum, bekommt”. Sie arbeitet bereits seit 20 Jahren beim Juwie ich später erfahre. gendmigrationsdienst “Jetzt habe ich mir ge- “Jeder Jugendliche hier ist froh, wenn er auch und schon an ihrer rade einen Kaffee einnur eine kleine Chance bekommt” freundlichen Ausstrahgeschenkt”, begrüßt lung sehe ich ihr an, mich Frau Kaluscha freundlich. In einem interessanten Ge- dass sie mit ihrer Berufswahl vollkommen zufrieden ist. spräch erzählt sie mir von der Einrichtung. Der JMD wen- “Meine Arbeit gefällt mir. Ich lerne regelmäßig Mendet sich an Migranten/-innen im Alter von zwölf bis 27 schen kennen, mit unterschiedlichen Problemen und KulJahren, die selber oder deren Eltern nach Deutschland turen, das ist sehr interessant.” eingewandert sind, aber auch an Institutionen, Einrichtungen, Verbände und deren Mitarbeiter, die in irgendeiner Für viele Migranten jedoch ist ein Aufenthalt in Art und Weise mit Migranten zu tun haben. Für Jugendli- Deutschland zunächst eine Höllenfahrt. “Es gibt beiche ist der JMD oft die erste Anlaufstelle, wenn sie sich spielsweise junge Frauen, die bereits eine Ausbildung hinin Deutschland um eine gute Zukunft kümmern wollen. ter sich haben, nach Deutschland kommen und bei Null Ob Schule, Ausbildung, Studium oder einfach nur ein anfangen müssen. Viele Berufe oder Abschlüsse werden 17einhalb |

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hier einfach nicht anerkannt”, schildert mir Frau Kaluscha. Oft ergeht es den ausländischen Kindern wie der 16-jährigen Leonora. Sie lebt seit acht Jahren in Deutschland und hat vor einigen Monaten ihren Realschulabschluss gemacht. Schon seit ihrer Kindheit träumt sie davon, Krankenschwester zu werden. Heute liegt die Absage ihrer Bewerbung auf dem Tisch. Begründung: Eine “Die Leute sind Vier in Deutsch! Unglaublich, meistens viel denkt man sich. Dabei stelle offener als wir ich mir vor, selbst in ein Deutsche” fremdes Land zu ziehen, dessen Sprache ich nicht kann. In diesem Land dann auch noch meinen Abschluss zu machen, kann ich mir kaum vorstellen. In solchen Fällen bleibt Frau Kaluscha optimistisch und versucht den Betroffenen so gut sie kann zu helfen, um eine Lösung zu finden. Mitleid verspürt sie trotzdem. In Familien wie der von Leonora fehlt es an Geld in vielen Ecken. Nachhilfe ist daher auch nicht in Sicht, mit welchem Geld sollte man die denn bezahlen? Ebenso Sprachkurse. Deutschland bietet Einwanderern viele Sprachkurse an, doch das zu hohen Preisen. Beim Jugendmigrationsdienst ist Geld kein Thema. Dank einiger ehrenamtlicher Arbeiter kann der JMD kostenlose Nachhilfe für Jugendliche anbieten. ”Die Nachfrage ist in diesem Bereich sehr groß, deshalb mussten wir schon anfangen, Wartelisten zu schreiben, damit jedem geholfen werden kann und wir keine Absagen geben müssen.” Das bemerke ich während meines Interviews, als das Telefon klingelt und eine Schülerin anruft , dass sie Nachhilfe brauche. Auch sie muss sich gedulden und erstmal auf eine Warteliste. Außer den vielen Beratungen und Sprechstunden zum Thema Zukunft & Bildung unterstützen die Mitarbeiter die Einwanderer jederzeit beim Bewerbungen schreiben, Arbeitslosengeld II beantragen oder beraten beispielsweise junge Frauen oder Mädchen bei einer frühen Schwangerschaft. “Es gab auch schon Mädchen, die in ihrer schwierigen Pubertätszeit von zu Hause abgehauen sind. In solchen Fällen helfen wir natürlich besonders.” Die Sprache sei dabei nie ein Problem. Auch wenn Frau Kaluscha nur deutsch und englisch spricht, kann sie sich

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meistens gut mit Migranten verständigen. Einen schlechten Eindruck scheinen die Ausländer hier nie zu hinterlassen. “Die Leute sind meistens viel offener als wir Deutsche. Sie kommen auf einen zu mit einem strahlenden Gesicht trotz ihrer ungewissen persönlichen Lage, das ist beeindruckend. Unfreundliche Menschen erlebe ich hier wirklich selten.” Außer den persönlichen Beratungen bietet der JMD verschiedene Gruppenstunden und Veranstaltungen an, wie den Frauen- und Männertreff, Orientalisches Tanzen oder Singen in einem russischen Chor. Seit einigen Jahren hat sich das Angebot durch verschiedene Projekte erhöht. So gibt es zum Beispiel ein “Gewaltfrei stark!” Projekt, das Gewalt- und Suchtproblemen bei Jugendlichen vorbeugen soll. Darunter sind oft Jugendliche, die bereits straffällig waren und von Staatsanwälten geschickt werden. “Diese Arbeit ist nicht immer ganz einfach, doch Schwierigkeiten bereitet uns das Projekt keineswegs.” Seit etwa zwölf Jahren gibt es das Projekt “Sport um Mitternacht”, das verschiedene Angebote wie Tanzen oder Gruppenstunden für Jugendliche bietet. Streetdance tanzen, mit Mädchen verschiedener Nationalitäten im Alter von 13-18 Jahren, ist eines der Angebote. Jeden Freitag von 16.30 bis 19.30 Uhr trifft sich die Tanzgruppe, um ihrer Körperkreativität freien “Wir sind wie Lauf zu lassen. ”Ich komme eine hier her, weil man hier nichts Tanzfamilie” zahlen muss, und damit falle ich meinen Eltern finanziell nicht so zur Last”, erzählt mir ein Mädchen ganz offen und ehrlich. Geld spielt hier keine Rolle. Migrationshintergründe sind hier etwas völlig normales, nur ein Mädchen der Gruppe kommt aus Deutschland, doch selbst das macht hier kein Unterschied. Aufgenommen wird jede. “Am Anfang konnte ich die Tanzschritte noch gar nicht, doch das ist hier nicht so schlimm. Jeder darf Fehler machen, anders als in einer Tanzschule.” Die Mädchen sind gerne hier. Sie treffen sich, um zu tanzen, aber auch, um ihre Freunde zu sehen. “Wir sind wie eine Tanzfamilie”, betont Nesli ganz stolz. Nesli ist 13. Sie ist zwar in


Deutschland geboren, doch ihre Eltern stammen aus der Kosten für Deutschkurse in Freiburg Türkei. Seit ein paar Monaten ist sie nun schon dabei. Zu- Das Goethe-Institut in Freiburg bietet verschiedene Sprachkurse, sammen mit ihrer Schwester in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. kommt sie jeden Freitag im- Dabei hängen die Kosten von Dauer, Unterkunft (bei längeren Anfahrten) mer wieder gerne. “Hier ist und Intensität ab: es viel persönlicher als in anderen Tanzgruppen. Es ist Intensivkurs (vier bis acht Wochen): zwischen 955 und 2770 € egal, ob man Deutsche, Russin, Türkin oder Rumänin Deutsch für den Beruf (ca. zwei Wochen): zwischen 1100 und 1340 € ist, hier findet man Freunde und das ist das Wichtige.” Wirtschaftsdeutsch (vier Wochen): zwischen 1950 und 2380 € Zu Beginn der Tanzstunde zeigen mir die Mädchen Trotz hoher Kosten ist die Effektivität der Kurse im Goethe-Institut sehr gut. einen ihrer Tänze, mit dem In kurzer Zeit (sechs Monate) können Deutschkenntnisse erworben werden, sie schon zwei Auftritte hat- die für einen Hochschulzugang ausreichend sind. ten. Schon bald reizt das Bei anderen Einrichtungen kann dieses Leistungsziel zwei Jahre und länger dauern. Zuschauen den Rhythmus in meinem Blut. Die Lockerheit Weitere Info’s unter www.goethe.de ! und Freude der Mädchen und die Atmosphäre in der Gruppe faszinieren mich. länder.” Dabei ist sie nun seit einem Jahr und ihre Tanzschritte werden immer besser. Sofia, 16, aus Russland, lebt seit 1999 in Freiburg. Sie erzählt mir, wie sie zur Streetdance-Gruppe kam. “Zuerst Nach drei Stunden ist die Trainingseinheit für heute beennahm ich an einem Bauchtanzkurs auch hier im Jugendmi- det, doch ich sehe den Mädchen an, aufhören würden grationsdienst teil, als ich die Werbung für das Street- sie am liebsten gar nicht mehr. ”Unsere Tanzgruppe hat dance-Angebot sah und mich entschied dort mitzuma- sogar einen Namen!” erwähnen die Mädchen begeistert. chen. Seit ungefähr September 2009 bin ich nun dabei “Wir nennen uns ‘Boundless’“. Als ich frage, was das für und mir gefällt es sehr. Wir lernen sehr gute Tänze und sie bedeutet, sagen sie. “Boundless heißt grenzenlos. Für die Lehrerin ist keinesfalls streng.” uns bedeutet das die grenzenlose Anzahl verschiedener Das Tanzen ist "Boundless für viele ein Aus- Nationalitäten in unserer Gruppe!” gleich zu den heißt Problemen in der Schule oder zu grenzenlos" Hause, es fördert Viele weitere Informationen zum JMD auf: die Integration der Einwanderer, www.caritas-freiburg.de/fhh mit deutschen Kindern und Jugendlichen, zusammen zu oder www.jugendmigrationsdienste.de ! sein. Auch Aminata, 17, ist ein Mitglied der Tanzgruppe. Sie wurde in Frankreich geboren und kam mit vier Jahren ||||| Melanie Stöhr nach Deutschland. Ihre Ursprünge sind arabisch. Zu der Tanzgruppe kam sie durch das Jugendzentrum in Umkirch, das sie auf das Angebot im JMD aufmerksam machte. Dass in dieser Gruppe hauptsächlich Ausländer sind, stört sie überhaupt nicht. “Das kennt man ja alles schon von der Schule oder so. Mittlerweile gibt es überall Aus-

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Unfreiwillig unterwegs Kosovo - Freiburg - Schweden: Kosovo-Roma sind in Deutschland von Abschiebung bedroht. Die Einrichtungen der Caritas bieten Hilfe an. Die Geschichte von M. und seiner Schwester

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ajde! Komm …“, ruft M. und hält Sophie die Tür zum Franz-Hermann-Haus auf. Zusammen betreten sie das Jugendzentrum und das Büro der Sozialarbeiter. M. kam vor zehn Jahren aufgrund des Kosovo Krieges nach Deutschland. Als jüngstes von sechs Kindern floh er mit seiner Familie per Schiff nach Italien und von dort kam er nach Freiburg. Mittlerweile ist M. neunzehn Jahre alt, besucht die Schule in Littenweiler und jobbt nebenher, um seine Eltern finanziell zu unterstützen. Er ist einer der vielen Kosovo-Roma, die in Deutschland leben und Diskriminierung in alter und neuer Heimat gewohnt sind. Zu oft schon hat er Ausdrücke wie „dreckiger Zigeuner“ gehört, und auch im ehemaligen Jugoslawien kamen sie vor und während des Krieges immer wieder zwischen die Fronten. Serben hielten sie für Kroaten oder Albaner und umgekehrt, nirgendwo wurden sie wirklich akzeptiert, wurden immer wieder vertrieben und viele Menschen mussten ihr Leben dabei lassen. Noch immer sind in Deutschland und anderen Ländern die Vorurteile über „Zigeuner“ nicht aus der Welt geschafft. Deutsch34

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land ist das einzige Land, das Zigeuner in „Sinti und Roma“ aufteilt, da der Begriff „Zigeuner“ durch jahrelange Verfolgungen negativ belastet ist, unter anderem durch die Ermordung tausender Zigeuner während des Dritten Reiches, as schätzungsweise 500.000 Menschen starben. Das Romanes Wort dafür ist „Porrajmos“, zu Deutsch „das Verschlingen“. Auch der Versuch, den Begriff „Zigeuner“ auf „Zieh-Gauner“ zurückzuführen, ist nicht hilfreich. Vorurteile und Mythen von klauenden, betrügenden und mordenden „Zigeunern“ tragen nicht unbedingt zur Akzeptanz in Deutschland bei. Seinen Ursprung hat das Wort allerdings schon im antiken Griechenland und direkt angelehnt ist es an das slawisch übliche Wort „Cigani“. Dabei kommt es den meisten Sinti und Roma gar nicht darauf an, wie man sie nun nennt, sondern darauf, wie man mit ihnen umgeht. Auch ist kein Roma froh Sinti genannt zu werden und umgekehrt, da zwischen den beiden erhebliche Kulturunterschiede gibt. Außerdem ist das Wort „Zigeuner“ im Deutschen nun mal alltäglich, kein Mensch kommt auf die Idee von „Sinti-und-Roma-Sauce“


oder -Schnitzel zu sprechen. Die Behauptung, dass sich diese Bevölkerungsgruppe absichtlich isoliert, trifft auf die meisten Fälle nicht zu. Natürlich haben sie ihre alte Kultur bewahrt, sie sprechen die „Zigeunersprache“ Romanes, machen ihre eigene, spezielle Art von Musik und haben traditionelle Feste, bei denen teilweise auch die traditionellen Gewänder getragen werden. Nur so konnte die Kultur ja überhaupt über die ganzen Jahre seit ihrem Auszug aus Indien im 8. Jahrhundert bewahrt werden. Doch all das schließt ihre Bemühungen nicht aus, sich zu integrieren, zur Schule zu gehen und zu arbeiten. So zum Beispiel auch M.. Wie viele andere Jugendliche verbringt er einen Teil seiner Freizeit im Caritas Jugendzentrum, wo er mit diversen anderen Kulturen konfrontiert ist. Das Jugendzentrum ist auf die Integration junger Migranten spezialisiert und basiert auf dem sportpädagogischen Prinzip. Das bedeutet unter anderem ein Tanzangebot mit Breakdance-, Streetdance- und Bauchtanzunterricht; Auftritte und so genannte „BreakdanceBattles“ werden organisiert. Auch andere Sportarten kommen nicht zu kurz. Das „Gewaltfrei stark“ -Projekt

beinhaltet einerseits Box- und Kickboxtraining, aber auch Kanu-, Rafting- und Wandertouren. Immer freitags findet ab 22.00 Uhr in der Sporthalle der Albert-SchweizerSchule der Mitternachtssport statt; gut besucht mit durchschnittlich 60 Sportlern pro Abend. Wichtig für die Integration ist es, gemeinsam etwas zu unternehmen und Gedanken auszutauschen. Nur wenn man miteinander spricht und sich auf andere einlässt kann man seine eigene Position klarmachen und andere verstehen. Das ist das Ziel des Jugendzentrums. Ein Billardtisch und Kicker sowie einige Computer mit Internetanschluss stehen den Besuchern zur Verfügung. Wer Lust hat, kann im Probenraum Aufnahmen machen, Ende letzten Jahres wurde auch eine CD veröffentlicht. Die CD ist international, die Künstler kommen unter anderem aus dem Kosovo, Russland, Albanien und Deutschland. Aber auch für verwaltungstechnische Dinge ist die Caritas eine gute Anlaufstelle. Die Mitarbeiter helfen bei schulischen Problemen, bieten zum Beispiel Hausaufgabenbetreuung oder Nachhilfe an, für Bewerbungen stehen sie ebenfalls immer zur Verfügung. Darüber hinaus 17einhalb |

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ist der Jugendmigrationsdienst, kurz JMD, auch Kooperations- und Ansprechpartner für Behörden, Institutionen und andere Fachdienste. Und genau das ist der Grund, weshalb M. und Sophie hier sind. M.s ältere Schwester Leonora soll mit ihrem Sohn Ilja abgeschoben werden. Sie ist jetzt 26, da aber sie für einige Zeit in Schweden gelebt hat, besitzt sie nicht den gleichen Aufenthaltsstatus wie der Rest ihrer Familie. 2001 hat sie einen schwedischen Roma geheiratet und sie bekamen zwei Kinder zusammen. Als sie sich trennten, kam Nora im Oktober 2008 wieder nach Deutschland zurück und war damals im dritten Monat schwanger. Im April 2009 kam ihr dritter Sohn auf die Welt, erhielt aber den gleichen kosovarischen Pass wie seine Mutter. Doch nun muss sie wieder zurück nach Schweden. Sie hat Angst, da sie nicht viel Schwedisch sprechen kann und dort allein in einem Frauenhaus leben wird. Außerdem möchte sie gerne, dass ihre beiden anderen Söhne auch bei ihr leben. Doch die Regeln der Roma sind klar: Im Trennungsfall leben die Kinder,bis sie selbst entscheiden können, beim Vater und dessen Familie. Die Gesetze in Schweden 36

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und Deutschland sind genauso eindeutig: Da Nora ihren Mann nicht standesamtlich geheiratet hat, werden die Kinder im Normalfall ihr zugesprochen. Doch wie soll sie sich ohne die Sprache zu verstehen allein in einem fremden Land für ihre Kinder einsetzen? Hier wird die Caritas ebenfalls aktiv. Verbindungen zu Anwälten und Frauenhilfsorganisationen wurden hergestellt, Anträge gestellt und Formulare ausgefüllt. Dass M. und seine Familie muslimischen Glaubens sind, hindert die von der katholischen Kirche organisierte Institution nicht daran zu helfen. Auch Sophie hat sich mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass Nora in Deutschland bleiben kann, doch die Rechtslage ist klar. Schweden ist genau wie Deutschland ein Rechtsstaat und gilt als sicheres Land. Die Abschiebung lässt sich nicht vermeiden. Sie muss sich einige Jahre in Schweden aufhalten und einen schwedischen Pass erhalten, um dauerhaft nach Deutschland kommen zu können. Mit vereinten Kräften wurde alles organisiert, vom Flug bis zur Unterkunft in einem Frauenhaus, und die Adressen der wichtigsten Anlaufstellen wurden für Nora herausgesucht.


Aber die Familie leidet darunter. In Roma Familien ist der Zusammenhalt innerhalb der Familie meist sehr stark, gerade auch als Kriegsflüchtlinge und seit Jahren verfolgter Volksstamm. M. wird das Schicksal einer Abschiebung wahrscheinlich erspart bleiben, da er in Deutschland zur Schule geht und hier arbeitet. Auch die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft ist ihm gut gelungen, er hat nun auch eine

deutsche Freundin, die sich für seine Kultur interessiert und gut mit seiner Kultur klarkommt, die ihm aber auch bei der Integration und bei herkunftsbedingten Problemen helfen kann. Man sollte niemanden aufgrund irgendwelcher Vorurteile in Schubladen stecken und verurteilen. Letztlich sind wir alle, unabhängig von Herkunft oder Religion, doch „nur“ Menschen. ||||| Sabrina Faller

Videobeiträge zu Kosovo­Roma bei Youtube "heute journal" zu Roma im Kosovo www.youtube.com/watch?v=4LFflDEmcS8 "Cosmo TV" zur Abschiebung von Roma www.youtube.com/watch?v=trqBcbPRoXI&feature=re lated ZDF-Dokumentation zur Abschiebung von Roma www.youtube.com/watch?v=slt59zl4giI&feature=related

Deutsche Welle: Dorfbewohner vertreiben Roma www.youtube.com/watch?v=eRxRDW07sxM Video einer traditionellen Kosovo-Roma-Hochzeit www.youtube.com/watch?v=UxK_2Alyh0A Moderne Roma-Musik www.youtube.com/watch?v=1h5lKuTdhjs www.youtube.com/watch?v=HqOF4B5eh7M

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M ad e

in

India

Die unglaubliche Geschichte von Kevin und wie ihm im Freiburger H&M plötzlich die Augen geöffnet wurden...

E

in schneller Song läuft im Radio und breitet sich aus den großen Lautsprechern in der Halle aus. Typisch indische Musik. Die hohe Stimme klingt ein bisschen wie mit Helium behandelt, sie bahnt sich ihren Weg durch die dicke Luft und gelangt auf das Gehör von fünfzig Menschen verschiedenen Alters. Diese sit zen in einer streng geformten Reihe hochkonzentriert in der Hocke und weben.

D

er Aufseher dieser Weberei namens „Kapra“ in Bombay läuft durch die Reihe und achtet darauf, dass die Arbeit vorankommt. Wer pausiert wird umgehend gefeuert. Er ist richtig stolz, denn seine Textlilerzeugnisse gehen von hier aus auf Weltreise und werden bei ausländischen Firmen sehr geschätzt. Mit vielen Marktketten hat er sogar einen festen Vertrag. Verärgert beobachtet er seine Angestellten, da sie heute langsamer als sonst zu arbeiten scheinen. Er stellet das Radio deswegen kurz ab, es dient eigentlich dazu, dass sie schneller arbeiten. Er schreit sie an und ermahnt sie, ihr Tempo zu steigern. Die Anwesenden beginnen sofort damit , sich zu beeilen. Nur der Jüngste unter ihnen, der 13-Jährige Karan, reagiert nicht und starrt in die Luft. Als sein Sit znachbar ihm einen Stups auf

die Stirn geben will, um ihn auf die bösen Blicke des Aufsehers aufmerksam zu machen, zieht er seine Hand vor Schreck zurück. Karan zittert am ganzen Leib, sein Körper kocht vor Fieber. Doch die Arbeit ist ihm trotzdem sehr wichtig, denn er muss für sich und seine kleine Schwester Shivani sorgen und „ [braucht] daher das Geld…“.

G

eld muss man haben..“, kichert Kevin in sich hinein.

Er mustert die vielen ausgesuchten Stücke auf seinem Armen während er in der langen Schlange an der H&M Kasse in Freiburg steht. Vor zwei Tagen ist er 13 geworden und bekam prompt von den Eltern und nichtzuvergessen von der stets spendierfreudigen Oma den Geldbeutel aufgefüllt. Dies kam ihm sehr gelegen, denn der Freiburger hatte schon lange geplant, einkaufen zu gehen, um die Lücken in seinem Kleiderschrank zu füllen. Reichlich tolle Sachen „kamen ihm heute in die Tüte“ , darunter auch blaue Polo- Shirts, sowie Röhrenjeans, die ihm besonders stehen. Darin sehe er aus wie Zac Efron. Jedenfalls hatte das Marina , das hübsche Mädchen aus der Parallelklasse, zu ihm gesagt . Und das ist doch die Hauptsache. Alles andere ist bei seiner Kleiderwahl egal. Und da er findet, dass es bei H&M eben billig ist und ein Designerladen doch zu


gesund für das noch übergewichtige Portemonnaie wäre, war von vorne rein klar, dass er sich seinen Kumpel schnappen und hier einkaufen gehen würde.Jedenfalls ist jetzt Endspurt und Kevin steht mit seinem Freund in der Schlange. Der Laden ist so überfüllt, dass die Kassiererin sehr lange braucht.. „Denkt die in Zeit lupe oder was“ , lacht sein Freund ihm ins Ohr…Ein „Boah…“ ist alles was er daraufhin rausbekommt,

G

anz zufällig ist nämlich sein Blick nämlich auf die Etiketten er Kleider gelandet, die ihm zuvor nie groß auffielen, bis auf wenn sie im Nacken juckten. „Schau mal, da steht immer „Made in India“ , und hier „Made in Taiwan “…auf dem anderen „Bangladesch“. “ , sagt er „Ja, ich find‘s auch toll, dass du schon so viel Englisch kannst!“ antwortet sein Freund sarkastisch „Ist doch egal wo die Dinger her kommen. Man – haha schau dir mal lieber die takelnde Tussi in den hohen Schuhen da vorne an…. Der bröckelt das Make Up gleich vom Gesicht runter. Wenn das mal nicht ‘n Sumpf auf dem Boden gibt! “ Aber Kevin ist mit seinen Gedanken ganz woanders.

D

aheim angekommen, läuft er erst zum Fenster in seinem Zimmer, nimmt einige seiner gekauften Shirts aus der Tüte und lässts beides auf die Fensternbank sinken. Gedankenverloren starrt er aus dem Fenster und entscheidet , zur Abwechslung mal nicht den ganzen Abend mit seinem Freund Fußball zu spielen. Statdessen räumt er artig die Neuankömmlinge in den Kleiderschrank. Er nimmt sein Lieblingsshirt von Esprit heraus. Er hat richtig Lust dazu, es

wieder anzuprobieren. Stattdessen schaut er reflexartig auf das Etikett und findet erneut ein „Made in India“ vor.

I

rgendwie stimmt da doch was nicht, denkt er.

Etwas Lebensmüde läuft er in das Zimmer seiner Schwester, um einen Blick auf ihre Kleider zu werfen. Diese ist zu seinem Glück (und zur Bewahrung seiner körperlichen Unversehrtheit ) gerade in der Dusche. Somit hat er freie Bahn, kommt nach einpaar Minuten aber enttäuscht wieder zurück.„Wird denn gar nichts mehr hier hergestellt? Und da soll es noch Ausländerfeindlichkeit geben..??“ wit zelt er. Zwar weiß er von der Schule, dass viele Firmen die Fertigung von Waren ins Ausland verlegen. Aber das praktisch sein ganzer Kleiderschrank „importiert“ ist, hat er erst jetzt richtig gemerkt. „Die Globalisierung als Banker mit zuerleben ist eine Sache, aber sie täglich am Leib mit sich zu tragen doch eine völlig andere. OK, für das Espritoberteil zum Beispiel haben die Hersteller viel Geld kassiert, davon kann man seine Arbeiter ja gut bezahlen… oder nicht? Aber H&M ist doch nun wirklich nicht teuer. Ob ein Arbeiter wirklich noch viel von den 9 ¤ für das T-Shirt bekommt, das ich vorhin gekauft habe?“. Gedanken über Gedanken. Er entschließt sich der Sache auf den Grund zu gehen.

A

usnahmsweise greift er dazu sogar zu einem schriftlichen Medium. Denn Papas Buchregal gibt nicht nur lauter alten, dicken Wälzern aus seinem BWL-Studium Obdach, die eh keiner will. Sondern auch aktuellen Zeit schriften. Da er sie wie seine Kinder behandelt, was Kevin unbegreiflich absurd erscheint , ist höchste Vorsicht angesagt. Ah, da hat er was er sucht. Das Titelbild der GEO mit dem dunklen Arbeiterkind war ihm aufgefallen als das Magazin vor kurzem aus dem Briefkasten direkt vor seinem Vater auf dem Frühstückstisch landete. Er schlägt Seite 13 auf und liest die Titelgeschichte.

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öllig vertieft findet er sich in einer anderen Welt wieder. Die Reportage über einen Jungen, der für umgerechnet zwei Euro monatlich in einer asiatischen Weberei arbeitet, fesselt ihn so sehr, dass er seine Abneigung gegen Texte glatt überwindet. Die dort hergestellten Textilien werden in den Industrienationen durch bekannte Marktketten verkauft. Er liest weiter und wundert sich etwas über die Infobox am Ende, denn laut UNICEF arbeiten heute "ca. 190,7 Mio. Menschen zwischen fünf und vierzehn Jahren in den


sogenannten Entwicklungsländern": in der Landwirtschaft, in Werkstätten und Steinbrüchen, als Verkäufer, Haushaltshilfen oder Prostit uierte. Was sie gemeinsam haben : Sie müssen mit schlechten Arbeit sbedingungen leben. Wie immer muss da natürlich sofort der Lehrerschreck "wikipedia" her.

E

r hat in seinen Gedanken immernoch die Karte aus dem Internet vor Augen: "Das versteh ich nicht! Das waren doch die Länder, von denen Opa immer sagt, dass sie mal „Plätze an der Sonne“ waren..und es sind nicht wenige…. Wieso lassen sich die Menschen denn überhaupt so ausbeuten?“ , fragt er sich und erinnert sich daran, wie beharrlich er für das letzte mal Zimmeraufräumen eine Taschengelderhöhung gefordert hatte. Ihn wundert etwas, was seine Schwester , die Shopping für Nationalsport hält, kürzlich mal gesagt hatte: Dass es praktisch nichts bringe nur bei bestimmten, teuren Läden einzukaufen. „Der Preis von Waren garantiert längst nicht die faire Herstellung.“, zit iert er sie in Gedanken. Doch was kann man dann denn als Verbraucher überhaupt noch tun??? Seine Mutter ruft. Jetzt gibt’s erst mal Abendessen.. Und Lasagne lässt man bekanntlich nicht warten.

N

ach der Mahlzeit sit zt die Familie wie immer noch ein bisschen beisammen und jeder erzählt von seinem Tag. Gewöhnlich hasst Kevin das und sagt nicht viel. Als er an der Reihe ist, erzählt er von seinem heutigen „Shoppingtrip“, den die Familie grinsend vernimmt. Anschließend erzählt er von einer Sofort schaltet er den laptop an, um rauszufinden, welche Länder diese Zustände überhaupt betreffen.

"Das können doch gar nicht so viele sein!", denkt er sich. Frustriert klappt er den Laptop schon einige Minuten später zusogar ohne auch nur ein einziges Mal wie gewöhnlich in Chatrooms und mit Computerspielen seine Zeit zu vertreiben. Sehr ungewöhnlich für Kevin...

Lektüre, die er gerade in für die Schule liest und , dass er Informationen über Entwicklungsländer benötigt. Er will wissen wie es dort ist und wieso die Menschen dort ausgebeutet werden.

S

eine Mutter, über letzteres gleich doppelt verwundert , da ihr Sohn zum Einen nicht gerade lesefreudig ist und sich normalerweise eher für Computerspiele interessiert, blickt ihren Mann etwas verwirrt an. Doch der zwinkert ihr nur zu, als ob er gerade überlegt habe, ob es sich bei Kevin wirklich um seinen Sohnemann handle.

A

ber als Ehrenamtlich Tätige bei der „Carit as Freiburg“ in der Abteilung „Carit as International“ freut sie sich umso mehr über das Interesse und beginnt sogleich zu erzählen: „ Gerne. Wie du weißt, herrscht in Entwicklungsländern große Armut. Die Menschen sind aber nicht selbst dran schuld.Auf Grund der Armut lassen sich Erwachsene und Kinder unter unmenschlichen Arbeit sbedingungen ausbeuten. Wegen dem Hunger sind die Menschen gezwungen jede Arbeit anzunehmen, die sie bekommen. Es wird zwischen konjunkturellem und strukturellem Hunger unterschieden. Die erste Form basiert auf Kriege und Naturkatastrophen, die eine Wirtschaft zerstören. Die zweite Sorte hingegen, ist mehr oder weniger von Menschen gemacht:Die Bauern in ärmeren Ländern haben z.B. keinen Dünger und bekommen weniger Ernte.Die


Staaten sind so verschuldet, dass die Menschen gar nicht investieren können. Die Polit ik der Welt sorgt sozusagen dafür, dass diese Menschen sich in einem Teufelskreis bewegen. Sie können sich auch keine Bildung leisten und sind oft unterernährt. Gerade für die Kinder, die sich ja im Wachstum befinden, ist das besonders schlimm. Wusstest ihr, dass alle 5 Sekunden ein Kind an Hunger und Folgekrankheiten stirbt? Komm mit ich zeig dir mal einpaar Sachen und Bilder am PC, wir im Büro arbeiten gerade an unserer neuen Internetpräsenz.“ Dort zeigt sie ihm Bilder von der Carit as International auf „Flickr.com “ .Nicht nur bei Naturkatastrophen wie z.B. in Hait i wird von der Organisation Hilfe geleistet. Speziell für die Kinder sind Heime in vielen Entwicklungsländern eröffnet wurden, wo auch deren Bildung sichergestellt wird. Gerade für harte Jobs wie das Steinbrechen werden Alternativen gesucht und die armen Familien unterstützt.

D

ie Antwort war recht posit iv. Nur wissen die Menschen meistens nicht, dass sie auch alleine als Verbraucher was tun können, wie z.B. sich bei Herstellern beschweren , wenn sie Kinderarbeit vermuten oder schlimmstenfalls einen Boykott organisieren. Denn was viele nicht verstehen: Das Thema geht und alle was an. Dich, mich und allen anderen Verbrauchern, von denen einige Hundert in diesem Moment die Kajo entlang laufen und gar nicht daran denken, wo die Sachen herkommen, die sie gerade in ihren Tüten mit nach Hause tragen."

A

ls „Wegbegleiter“ kann man in einem neuen Projekt,das Kinderarbeitern und Straßenkindern in Indien, Kongo, Südafrika, Brasilien und der Ukraine hilft, mit einer Spende unterstützen. „ Das Gute an der Carit as ist,“- erzählt sie weiter- „ dass man durch Dokumentation in Form von Berichten und Bildern genau erfährt, was denn auch tatsächlich vor Ort geschieht. Es werden auch laufend neue Projekte ins Leben gerufen. Aber wir brauchen noch jede Menge Unterstützung durch Spendenwillige.

D

er Wille ,zu helfen ist bei vielen Menschen da, wie ich bei der Durchführung der folgenden Onlineumfrage festgestellt habe. Dabei habe ich das Thema Kleiderkauf gewählt, weil ich damit gerade viele junge Menschen ansprechen wollte:

I

n den nächsten Tagen entscheidet sich die Familie, selbst als „Wegbegleiter“ zu spenden. Auch Kevin beteiligt sich mit seinem Geburtstagsgeld daran. Mit dem Geld wird ein Heim in Bombay unterstützt,in welches deswegen neue Kinder aufgenommen werden konnten. Zu diesen gehören auch Karan und seine kleine Schwester, die dort nun lesen und schreiben lernen. Wenn Karan groß ist, will er Ingenieur werden.

U

nd Kevin möchte in Zukunft mehr darauf achten, was er kauft , damit aus den „zwei Welten irgendwann mal eine Welt wird“. Alia Pervez


Kirche ist nur was für Omas!

Im Gottesdienst lassen sich Jugendliche an einer Hand abzählen und doch engagieren sich 10.000 junge Menschen ehrenamtlich

S

onntagmorgen, 10.20 Uhr. Die Anzeigentafel an der Wand zeigt die Nummer 257 an. Von der Empore erklingt das Vorspiel der Orgel. Dann beginnen alle zu singen. Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke. Der Pfarrer steht vorne am Altar und singt lauthals mit tiefer Stimme mit. Die Oma rechts von mir etwas höher und ein bisschen schief. Ich schaue mich um. Etwa 40 Leute sitzen in der Kirche. Eine Familie mit 2 kleinen Kindern, einige Erwachsene und sonst nur Omas und Opas. Vorne im Altarraum stehen zwei Mädchen in rot-weisen Gewändern, die ungefähr 15 Jahre alt sind. Daneben zwei Jungs und ein Mädchen, die vielleicht in die fünfte oder sechste Klasse gehen. Sonst sehe ich weit und breit keinen, der ungefähr in meinem Alter ist. Vielleicht ist die Kirche ja doch nur noch etwas für alte Leute. 42

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Ortswechsel, Dekan-Stromeyer-Haus im Münstertal, letzte Woche der Weihnachtsferien. Auf dem Hof stehen sich 30 Jugendliche in zwei Reihen gegenüber. Auf Kommando imitiert die eine Seite einen Jäger mit Gewehr in der Hand, die andere Seite strekt die Hände in die Höhe und brummt wie ein Bär. Dann rennen die “Jäger” los und versuchen die anderen zu fangen. Nach dem Spiel gehen alle ins Haus. Auf dem Programm steht heute Morgen “Der perfekte Gruppenleiter”. Die Jugendlichen lassen sich in einem dreiteiligen Kurs von fünf jungen Erwachsenen zu Gruppenleitern ausbilden. Sie lernen wie man sich als Leiter in verschiedenen Situationen am besten verhält, wie man eine Gruppenstunde vorbereitet und durchführt, was alles zur Aufsichtspflicht gehört, wie man zu vielen neuen Spielen kommt und noch einiges mehr. Wenn sie nach dieser Wo-

che müde aber glücklich nach Hause kommen, werden sie dort in ihrer Ministrantengruppe, bei der Katholischen jungen Gemeinde, bekannt auch als KjG, oder bei den Pfadfindern Gruppenstunden halten oder Sommerlager organisieren. Es gibt sie also doch, die Jugendlichen, die etwas mit der Kirche am Hut haben. Und es sind nicht wenige, in der Erzdiözese Freiburg engagieren sich ca. 10 000 Jugendliche ehrenamtlich in kirchlichen Organisationen. Maria, 20 Jahre, war selbst bei den Ministranten seit sie 9 Jahre alt ist. Heute ist sie Lehramtsstudentin und Teil des Leitungsteams auf dem Grundkurs für Gruppenleiter. Sie möchte Jüngeren die Möglichkeit geben, genauso schöne Gruppenerlebnisse und Erfahrungen zu machen wie sie selbst früher. “Ich finde es sinnvoll, Kindern und Jugendichen zu zei-


gen, dass es jenseits von PC und Fernseher noch viele Möglichkeiten gibt, tolle Dinge zu erleben”, sagt Maria. Zusammen mit ihrer Leiterrunde, die aus acht weiteren Jugendlichen besteht, organisiert sie wöchentliche Gruppenstunden und gemeinsame Aktionen mit allen Ministranten der Pfarrei. Das sind momentan 30 Kinder und Jugendliche zwischen 15 und neun Jahren, die sich kurz auch die “Minis” nennen. Mal gehts Kanu fahren, ein anderes Mal wird im Tipi oder im Stroh übernachtet. Außerdem engagiert sich Maria auch pfarreiübergreifend. Sie war 4 Jahre im Dekateam, sozusagen eine Leiterrunde auf Dekanatsebene. Dort werden offene Treffs im Jugendbüro organisiert, wie zum Beispiel der Pizzatag oder das Adventscafé vor den Weihnachtsferien. Es gibt Wochenenden für Jugendliche, die noch keine Leiter sind, aber “auf dem Sprung in die Jugendarbeit” stehen oder Wochenenden für alle Leiter, um einfach mal zu entspannen.

nung mit sich selbst, mit anderen, und mit Gott, ihre unverwechselbare Identität zu finden und so fähig zu werden als Christinnen und Christen in Kirche und Gesellschaft zu handeln.” Der BDKJ ist der Dachverband aller katholischen Jugendverbände in Deutschland, wie zum Beispiel die Ministranten, die Kolpingjugend, die KjG oder die DPSG, die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg.

Dieses Jahr ist Maria zum ersten Mal Leiterin auf dem Grundkurs. Mit 16 Jahren nahm sie selbst an diesem Kurs teil. “In der Jugendarbeit versuchen wir, jeden Einzelnen als Persönlichkeit zu stärken, was in der heutigen Zeit sehr wichtig ist”, findet die Studentin. So ähnlich steht das auch im Leitbild des BDKJ, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend. ”Kirchliche Jugendarbeit fordert und fördert junge Menschen in der Begeg-

Doch fragt man die Jugendlichen die Mitglieder dieser Verbände sind, ob sie an Gott glauben, erhält man verschiedene Antworten. Die 18-jährige Silke glaubt an Gott, weiß aber auch nicht genau warum. “Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass jeder Mensch eine Orientierung im Leben braucht und Gott ist dafür eine geeignete Figur. Und eine Rolle spielt, dass ich mit Gott, beziehungsweise der Religion, aufgewachsen bin”, ver-

Die Erzdiözese Freiburg

"Wir wollen jeden Einzelnen als Persönlichkeit stärken" Maria, 20 Jahre

mutet sie. Till dagegen, er ist 16 Jahre alt, denkt nicht, dass es einen Gott gibt, da zu vieles gegen ihn spricht. Er glaubt eher an Naturwissenschaften. Trotzdem engagiert er sich in seiner Pfarrei bei den Ministranten in der Leiterrunde, was ihm auch Spaß macht. Die Meinungen gehen also sehr weit auseinander. Sehr viele Jugendliche sind wie Maria der Meinung, “dass es da irgendwas oder irgendwen gibt”, aber ob Gott das ist, wie die Kirche es sagt, das weiß sie nicht. Auch die Shell-Studie von 2006, die sich mit Jugendlichen auseinandersetzt, belegt dies. 23% der Jugendlichen sind sich unsicher was sie glauben sollen. Obwohl die meisten Jugendlichen sich nicht eng an die Kirche gebunden fühlen und nicht das glauben, was die Kirche vorgibt, finden es 69% der jungen Leute gut, dass es eine Kirche gibt. Besonders in Punkten wie Abtreibung, Verhütung oder dem Zölibat können viele Jugendliche die Ansicht der katholischen Kirche nicht nachvollziehen. Deshalb denken auch 65% der Befragten, dass sich die Kirche ändern müsse, wenn wie eine Zukunft haben wolle. Silke würde auch Frauen als Priester zulassen und eine Hochzeit für Pfarrer erlauben. Die katholische Kirche wird von vielen als zu altmodisch und starr empfunden, eben nur noch als etwas für die ältere Generation, für die Omas und Opas. Den Gottesdienst, der viele traditionelle

Die Struktur der Jugendarbeit der katholischen Kirche Meist gibt es in jedem Dorf eine eigene Pfarrei, in der Erzdiözese Freiburg sind es 1075. Mehrere nebeneinanderliegende Pfarreien bilden eine Seelsorgeeinheit. Diese können aus zwei, aber auch aus sieben oder noch mehr Pfarreien bestehen und haben einen gemeinsamen Priester als Leitung der Seelsorgeeinheit. Die 327 Seelsorgeeinheiten der Erzdiözese Freiburg sind wiederum in 26 Dekanate aufgeteilt. In jedem Dekanat gibts es ein Dekanatsrat, der aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht. Außerdem gibt es ein Dekanatsjugendbüro, indem ein Jugendreferent arbeitet. Dieser organisiert Aktionen auf Dekanatsebene. Auch der Grundkurs, die Gruppenleiterausbildung, wird vom Jugendbüro übernommen. Desweiteren existiert das Dekateam, ein Gremium aus Jugendlichen, das sich, wie eine Leiterrunde in einer Pfarrei, um die Jugendarbeit im Dekanat kümmert. Die Dekanate sind unterteilt in 7 Regionen, die zusammen die Erzdiözese Freiburg bilden und einen gemeinsamen Erzbischof haben.

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Ich glaube es gibt keinen Gott. Till, 16 Jahre

und symbolische Handlungen beinhaltet, wird von den Jugendlichen nicht mehr verstanden. Wenn ein junger Mensch heutzutage Probleme hat, betet er keinen Rosenkranz, so wie das vielleicht vor 50 Jahren noch üblich war. Auch Maria schildert dieses Problem: “Die Jugendlichen wünschen sich jemanden, der sie ernst nimmt in ihrer Situation mit ihren Sorgen und Nöten. Es geht mehr um Lebenshilfe und eine andere Spiritualität als sie die Kirche bisher gewohnt ist.” Und genau diese Fähigkeit, ein Berater in wichtigen Lebensfragen zu sein, trauen die Jugendlichen der Kirche nicht mehr zu.

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Eine etwas andere Form des Gottesdienstes findet man im kleinen Dorf Taizé im französischen Burgund. Dort steht ein Kloster, und zwar ein sehr außergewöhnliches. Jeden Sonntag fahren Busse an, gefüllt mit mehreren hundert Jugendlichen, die freiwillig drei mal am Tag in den Gottesdienst gehen. Es gibt eine riesige Kirche, die sich durch Rollläden beliebig abtrennen lässt. Nirgendwo stehen gewöhnliche, alte und unbequeme Kirchenbänke, man sitzt ein-

fach auf den Boden. Im Gottesdienst wartet man vergeblich auf eine langweilige Predigt, bei der so mancher einschläft. Stattdessen wird viel gesungen. Einfache Lieder in allen möglichen Sprachen, die oft nur aus ein bis zwei Zeilen bestehen, aber dafür mehrmals wiederholt werden. Und plötzlich ist es zehn Minuten lang still. Keine der mehreren Hundert Personen sagt ein Wort, nur ab und zu hört man ein verhaltenes Husten. Die Gemeinschaft in Taizé wurde 1940 von Frère Roger, einem Schweizer, gegründet. Damals suchte er Ruhe in dem kleinen Dorf, in welchem heute außer den Brüdern und den Jugendlichen kaum mehr jemand

wohnt. Während dem zweiten Weltkrieg versteckte der Ordensbruder dann zusammen mit seiner Schwester Flüchtlinge, darunter auch Juden. Nach und nach kamen immer mehr junge Menschen zu Besuch in die ökumenische Ordensgemeinschaft. Heute leben dort ca. 100 Brüder aus vielen verschiedenen Ländern. Im Sommer und an Osten kommen bis zu 6000 Jugendliche um für je eine Woche in Taizé zu leben. Zwischen den Gottesdiensten essen sie, haben

"Es geht mehr um Lebenshilfe und eine andere Spiritualität als sie die Kirche bisher gewohnt ist.” Maria, 20 Jahre


Gesprächsgruppen in denen über die Bibel, Gott und die Welt geredet wird, oder sie erledigen kleine Aufgaben, damit das Leben in so einer großen Gruppe funktioniert und nicht einer alles machen muss. Abends treffen sich alle am Oyak, einem großen Platz mit einem kleinen Kiosk, und dort wird schon auch mal richtig Stimmung gemacht. Es ist egal, ob jemand Spanisch, Englisch, Deutsch, Polnisch oder Russisch spricht, man hat einfach zusammen Spaß.

Verwunderlich ist jedoch, dass so viele Jugendliche nach Taizé kommen. Nicht alle sind gleicher Konfession; es gibt Katholiken, Protestanten, orthodoxe Christen und gelegentlich auch Nicht- gläubige. Viele schätzen vor allem das Leben in der Gemeinschaft, doch wichtig ist auch der Glaube. Manche haben ihren persönlichen Glauben schon gefunden, andere suchen ihn noch und nutzen dafür die Stille und die meditativen Gesänge in der Kirche. Auch hierin findet sich wieder ein typisches Phänomen der heutigen Generation. Für viele ist es schwierig fest vorgeschriebene Glaubensinhalte, Riten und Traditionen der Kirche zu übernehmen. Stattdessen bastelt sich jeder seinen persönli-

Traditionelle Werte wie Liebe und Treue sind Jugendlichen wichtig. Shell Jugendstudie 2006

chen Glauben und seine eigene Religion. Die Shell Jugendstudie zeigt, dass diese “Patchworkreligionen” vor allem in West- deutschland vorkommen. Oft werden darin traditionelle Werte wie Liebe und Treue mit Hellseherei und Vorbestimmung des Schicksals vermischt.

Kirche. Eine Oma nach der anderen geht aus ihrer Bank, macht eine Kniebeuge im Mittelgang und geht dann auch hinaus. Fünf Stunden später im Münstertal. Die 30 Jugendlichen stehen zusammen mit den fünf Teamern und den zwei Mädels aus der Küche im Kreis auf dem Hof. Es läuft ein Lied von den Wise Guys “Vielleicht war es die beste Zeit, die Zeit meines Lebens”, singt die Kölner A-Cappella Band.

Das denken einige der Jugendlichen auch. In der vergangenen Woche hatten sie viel Spaß. Einer nach dem anderen geht im Kreis herum und verabschiedet jeden mit einer Umarmung und so manch einer muss dabei eine Träne verdrücken. Die ersten Eltern fahren mit dem Auto an. So traurig die Situation auch ist, alle auf dem Hof wissen, dass sie sich auf dem zweiten und dritten Teil des Kurses wieder sehen werden. Und in der Zwischenzeit werden sie viele tolle Erlebnisse mit ihren Gruppen haben, denn für sie ist Kirche, genauso wie für die Jugendlichen in Taizé, nicht nur was für Omas!

11.03 Uhr, zurück in der Kirche. Der Pfarrer steht mit ausgebreiteten Händen hinter dem Altar. “Es segne euch der allmächtige Gott. Im Namen des Vater, und des Sohnes, und des heiligen Geistes”. “Amen” antworten die 40 Leute in der Kirche. Dann beginnt wieder die Orgel oben auf der Empore irgendein Stück zu spielen. Der Pfarrer und die Ministranten verlassen die |||||Judith Steinle

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ena S. ist 17. Schon immer war sie ein überbehütetes, pflegeleichtes Kind. Sie ist gut in der Schule, ehrgeizig, immer bemüht, es allen recht zu machen. Konflikte werden in ihrer Familie unter den Teppich gekehrt. Individualität, der Wunsch einfach so zu sein wie man möchte, das ist für Lenas Eltern nicht nachvollziehbar und so fügt sich Lena in die willkürliche Tyrannei ungeschriebener Gesetze: Morgens gibt es Weißbrot mit Marmelade, abends Graubrot mit Käse. Der erste Teller Milchreis wird mit Kirschen gegessen, der zweite mit Zucker und Zimt. Lena kommt in die Pubertät, und ist hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, jemand Besonderes, Einzigartiges zu sein und sich gleichzeitig, im Bedürfnis nach Harmonie und Liebe, den Ansprüchen der Familie unterzuordnen. Sie beginnt zu hungern und wird schließlich magersüchtig.

Ein Leben zwischen Lifestyle und Tod VOR ALLEM JUNGE MENSCHEN WERDEN VON DER HEUTIGEN GESELLSCHAFT IMMER MEHR ZUM HUNGERN VERFÜHRT UM SICH IHREN SCHÖNHEITSIDEALEN NÄHER ZU FÜHLEN, SELTEN JEDOCH WERDEN DIE FOLGEN DIESES SCHÖNHEITSWAHNS BEDACHT.

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MAN

SPRICHT ERST DANN VON MAGERSUCHT, WENN DAS EIGENE GEWICHT TIEFER ALS 25% UNTER DEM "NORMALGEWICHT" DES ENTSPRECHENDEN ALTERS UND DER ENTSPRECHENDE GRÖßE LIEGT. Essstörungen lassen sich untergliedern in Fettsucht und Magersucht. Als magersüchtig bezeichnet man eine Person, welche unter 25% ihres Normalgewichts der entsprechenden Größe wiegt. Dies entspricht einem Bodymaßindex ( BMI ) von 17,5. Wäre Lena 1,70m groß, so würde ihr Normalgewicht im Bereich zwischen 58kg und 72kg liegen, ab einem geringeren Gewicht als 51kg dürfte man von Magersucht sprechen. Jedoch kommen psychische Anzeichen wie ein starkes negatives Selbstbild in Verbindung mit Depressionen und Angstzuständen hinzu. Lena findet nichts mehr Positives an sich selbst, in ihrem Lieblingstop fühlt sie sich wie eine Presswurst und ihr Po sieht in der heiß geliebten Jeans schon lange nicht mehr gut aus. Auch die Gewichtskontrolle r

Anorexie bezeichnet Pubertätsmagersucht, da sie überwiegend bei Mädchen zwischen 15 – 25 Jahren auftritt. Auch Lena ist von diesem Typus Essstörung betroffen. Anorexie kann sich sowohl, wie bei Lena, durch ein plötzliches Hungern und übermäßigen Sport äußern, als auch durch den Missbrauch von Schlankheits- und Abführmitteln. Die starke Angst zuzunehmen sowie der Drang täglich an Gewicht zu verlieren lässt Lena nachts nicht mehr schlafen. Sie steht nachts auf um sich zu übergeben – danach geht es ihr gut, sie kann endlich beruhigt einschlafen. Anorexie wird oft auch als Sucht bezeichnet, da beim Hungern meist positive Gefühle entstehen und stattdessen Ängste und schlechte Gefühle unterdrückt werden können. Der Körper stellt sich schnell darauf ein, ein Belohnungssystem zu aktivieren, welches den typischen Persönlichkeitseigenschaften wie zum Beispiel geringem Selbstwertgefühl entgegenwirkt. Eine weitere typische Eigenschaft einer an Anorexie erkrankten Person ist der stark ausgeprägte Perfektionismus. Es gibt im Leben der Betroffenen keine Kompromisse mehr, sondern es wird nur noch das Extreme gesehen. Die perfekte Leistung in der Schule, das perfekte Aussehen, alles muss einfach perfekt sein.

Eine andere Art der Magersucht ist Bulimia nervosa. Sie entsteht aus ähnlichen Gründen wie Anorexie, jedoch mit dem Unterschied, dass der Körper nicht durch Verückt immer mehr in den Mittelpunkt ihres täglichen Le- zicht glücklich wird, sondern dass übermäßiges Essen bens, denn ihr Gewicht ist das einzige, über das sie selbst zum Problem- und Stressabbau dient. Meist beginnt die entscheiden kann. Magersucht untergliedert sich in Krankheit mit einer harmlosen Diät, festigt sich jedoch schnell in ein Schema, welches zwischen Hunger-, EssAnorexia nervosa und Bulimia Nervosa. 17einhalb |

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QUADRATUR DES KREISES

Viele Eltern wundern sich über das Essverhalten ihrer Kinder. Sei es im Kindergartenalter, wenn das eigene Kind sehr wählerisch isst,oder das massenhafte Essen in der Pubertät. Doch dies müssen keine Gründe sein, sich ernsthafte Sorgen zu machen, da eine normale Entwicklung eines Kindes solche Veränderungen im Essverhalten durchaus beinhalten kann. Beispielsweise ist es in der Pubertät eines Mädchens heute nahezu normal, dass es sich an den Speckröllchen am Bauch gestört gefühlt und auch einmal eine Diät gemacht hat. Trotz alledem sollten besonders die Eltern den Blick dafür behalten, wann das Essverhalten auffällig oder gar zu einer Störung wird. Das Ende einer Diät tritt normalerweise beim erreichten Wunschgewicht ein, die Essstörung hingegen geht noch einen Schritt weiter und hat vielfältige Symptome.


und Brechphasen abwechselt. Körpersignale wie Sättigungsgefühle werden vollständig überspielt. Stattdessen können bis zu 15 – 20 kalorienreiche Essanfälle mit anschließendem Erbrechen schnell zum Alltag eines Bulemikers werden. Das Äußere Erscheinungsbild blendet nur so von Selbstbewusstsein, Stärke und Zufriedenheit. Doch in der Person drinnen, sieht es anders aus, alles ist kaputt – sie fühlen sich nur noch verzweifelt und alleine. Sie isolieren sich immer mehr von ihrem sozialen Umfeld und beschäftigen sich nur noch mit Selbstverstümmelungsund Tötungsgedanken. Das anfängli-

gegen sind die Ursachen für psychische Erkrankungen meist auf die mangelnde Aufmerksamkeit in der Familie zurück zu führen: Die Eltern haben sich früh scheiden lassen oder ein anderes schlimmes Schicksal in der Kindheit,

CA. 1% ALLER FRAUEN ZWISCHEN 15 - 35 JAHREN LEIDET AN MAGERSUCHT che Erbrechen mit Hilfe eines Fingers wird schnell zu einem Reflex nach jeder Mahlzeit. Die Folgen sind körperliche Schäden wie anschwellende Schleimhäute in Magen und Speiseröhre, Organdurchbrüche oder Herzrhythmusstörungen. Bei beiden Arten von Magersucht ist die frühe Einsicht zur Notwendigkeit der Hilfe von außen das Wichtigste. Denn obwohl die meisten Erkrankten nicht wissen, wo sie in ihrem Tief beginnen sollen, können, ca. 50% mit viel Geduld geheilt werden.. Die Ursachen von Essstörungen lie-

„HUNGER-ONLINE.DE“

10% STERBEN AN DER KRANKHEIT gen oft in der Kindheit und haben unterschiedlichste Hintergründe. So kann das gesunde Essverhalten beispielsweise durch häufig erzwungene Mahlzeiten abtrainiert worden sein. Durch Sätze wie „Wenn du aufisst, darfst du Fernsehen“, gewöhnt sich ein Kind schnell ab, nach dem eigenen Verlangen, sondern eher nach den Regeln der Eltern zu essen. Hin48

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Stattdessen steht Perfektionismus und Konkurrenzdenken in Schule oder Sport an erster Stelle. Magersüchtige isolieren sich und meiden gemeinsame Mahlzeiten, wobei gerade die Mahlzeiten mit der Familie einen geordneten Tagesablauf und somit auch Normalität im Leben eines Jugendlichen schaffen. Außerdem bietet das tägliche Essen miteinander den Eltern die Möglichkeit, ein Auge auf das Essverhalten ihrer Kinder zu behalten, da die Grenze zwischen auffälligem Essverhalten und einer Essstörung beinahe unsichtbar ist. Ist ein Jugendlicher einmal von einer Essstörung betroffen, meidet er reelle Kontakte, da diese zu viel über ihn erfahren könnten. Stattdessen sucht sich der Betroffene Gleichgesinnte im Internet. Dort gibt es viele organisierte Foren wie

in welchen die Betroffenen hilflos waren und nichts tun konnten. In der Essstörung finden sie nun etwas, das ihnen Kontrolle verleiht, die Kontrolle über den eigenen Körper. Auch die Angst, erwachsen zu werden oder gar weibliche Formen anzunehmenmen, bringt viele soweit, dass kalorienreiche Nahrung vollständig gemieden und stattdessen übermäßig viel Sport getrieben wird.

welche Betroffenen und deren Angehörigen bei Fragen und Problemen zur Seite stehen. Außerdem besteht hier die Möglichkeit, sich näher mit der Krankheit auseinander zu setzen und den ersten Schritt aus der Isolation hin zu einem normalen Leben zu machen. Und dies alles anonym und völlig freiwillig. Jedoch ist Vorsicht geboten, denn es gibt nicht nur Foren gegen die Essstörung, sondern auch solche, die auf den ersten Blick als hilfreiche Austauschmöglichkeit erscheinen, hinter der Fassade jedoch Motivation zum Tod sind. Eines der größten dieser Internetforen ist .

„SPIEGELKINDER.DE“ Der Name steht für die mageren Jugendlichen, welche im Spiegel ihren abgehungerten knochigen Körper betrachten und sich trotzdem noch zu


dick fühlen. Im Spiegelkinder – Forum sind täglich bis zu 300 Mitglieder online, es ist jedoch nicht für jeden zugänglich. Um Teil dieser irrealen Welt zu werden, muss man eine„Motivationserklärung“ schreiben, in der glaubhaft gemacht wird, dass man das Ziel verfolge, abzunehmen. Dieses Forum wird von der Chefin der Spiegelkinder streng bewacht. War man ein paar Tage nicht online oder erscheint durch Beiträge als unglaubwürdig, so wird man aus dem Forum entlassen. Ziel der Mitglieder ist es, die Königin zu werden, was bedeutet, das geringste Gewicht auf die Waage zu bringen. Es wird darum gekontert, jeder will gewinnen und somit den Neid aller anderen auf sich ziehen. Siegerin ist momentan Saphira ( Name geändert ), die einen BMI von nur 13,26 hat, während sich ein normaler BMI im Bereich zwischen 20 – 25 befindet. Medizinisch gesehen steht Saphira auf der Schwelle zum Tod, doch sie selbst ist sich immer noch zu dick. Das bestätigt sie in ihren Beiträgen, in denen sie berichtet, wie sie seitlich vor dem Spiegel steht, sich auf Zehenspitzen streckt und sich wünscht, sie würde auch im normalen Stand so ihre Knochen sehen können. Doch Saphira ist nicht allein. Auch andere “Spiegelkinder” berichten von den besten Abführ- und Schlankheitsmitteln, und den angenehmsten Stellungen, die zum Erbrechen führen. Keine von ihnen ist stolz darauf, so geworden zu sein, doch für viele ist das der einzige Wert, welchen sie im Leben noch haben. Nach dem Erbrechen folgt meist das Glaubensbekenntnis der Spiegelkinder:

„ICH GLAUBE, DASS ICH DIE WERTLOSESTE, GEMEINSTE UND NUTZLOSESTE PERSON BIN, DIE JEMALS AUF DIESEM PLANETEN EXISTIERT HAT“, danach ist für sie die Welt wieder in Ordnung und es folgen weitere Ess- und Brechanfälle. Das ist Alltag. Die große Beschäftigung mit dem Forum und seinen Inhalten lässt den Betroffenen noch tiefer in eine irreale Welt sinken und blendet soziale Kontakte und Hilfsmöglichkeiten vollkommen aus. Denn im Forum ist die Magersucht keine Krankheit, es ist ein Lifestyle, eine gute Freundin.

Ihre einzige Freundin. Da gibt es kein Ende durch Heilung, es gibt nur ein Ende durch den Tod.

“DENN WAS BIN ICH SCHON WERT, WENN ICH NICHT EINMAL DAS IN MEINEM LEBEN ZU ENDE BRINGE“ schreibt ein Spiegelkind. Auch Lena wird sich nach einer Weile über ihr Schicksal bewusst, dennoch ist sie der Meinung: “Leben würde Essen bedeuten und wenn ich esse, ist alles aus, die Möglichkeit scheidet von vornherein aus, und so ist da nur der Tod, der Tod auf allen Seiten.” Doch Lena hat Glück: Sie kommt in eine Klinik und übelebt. Svenja Bensching

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„Aus dem Weg da, Fettwanst!“ Jedes fünfte Kind ist zu dick die Generation XXL nimmt rasant zu.

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ufstehen Kai, es ist schon Zeit !“ Kai ist noch müde. Mühsam steigt er aus seinem Bett. Er zieht die Vorhänge zurück und geht zu seinem Kleiderschrank. Er denkt: „Nein, die Jeans ist viel zu eng. Am besten ziehe ich wieder die bequeme Stoffhose mit dem Gummizug an.“ Als nächstes zieht er sich ein T- Shirt über den Kopf. „ Mist, das ist bauchfrei. Habe ich denn schon wieder zugenommen?“ Deprimiert setzt er sich an den reich gedeckten Frühstückstisch. Es gibt

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viel Toast mit Marmelade und Nutella. Sein Schulbrot ist auch schon gerichtet, aber es befindet sich nichts Gesundes in der Dose. Kai ist traurig, eigentlich möchte er lieber ein Paar Pfunde verlieren, als noch mehr Kalorien zu sich zu nehmen. Doch es ist nicht zu schaffen, wenn seine Mutter immer ungesunde Lebensmittel einkauft. Mit leerem Magen und einem Kloß im Hals verlässt er den Tisch. Kai nimmt seine Schultasche und macht sich auf den Weg zur Schule. Er ist spät dran. Seine Klas-

senkameraden überholen ihn mit den Fahrrädern. „Platz da, Fetti!“ „Ja eben, aus dem Weg da!“ Gelächter. Dass Kai lieber normalgewichtig wäre und zu ihnen gehören würde, wissen die beiden nicht. Kai leidet an Adiposit as. Adiposit as ist ein Körperzustand bei dem sich zu viel Fettgewebe im Körper befindet und dieser Fettanteil im Verhältnis zum Muskelgewebe über das der Normalgewichtigen hinausgeht. Adiposit as, besser bekannt als Fettleibigkeit , ist eine chronische Ess-


und Gesundheit sstörung. Um diese Appetit nur noch stärker anregt. Krankheit zu bekämpfen benötigt Ein dominierender Faktor ist ebenso man eine lange Behandlung, sowie der Mangel an Bewegung. Dank Auprofessionelle und ärztliche Betreu- tos, Fahrstühlen, Rolltreppen etc. ung. Den BMI – Wert (engl.: Body- nimmt die Bequemlichkeit zu. DarMass- Index) kann man als Kontroll- über hinaus spielen auch sit zende Täwert des Gewichtes beim Menschen tigkeiten eine wichtige Rolle. Im Juanwenden und somit Übergewicht gendalter wird viel „rumgesessen“: nachweisen. Kai wiegt 66 Kilogramm Kais Schulweg reicht für die tägliche und ist 1,40 m groß. Nachdem BMI- Bewegung nicht aus. Nach der Schule Prinzip hat Kai einen Wert von 33,673 setzt er sich für die Hausaufgaben kg/m. Somit ist er als adipös einzustu- an den Schreibtisch, danach eine Runfen. de am Computer „hocken“ und den Eine der Hauptursachen von Fettlei- Rest des Abends verbringt Kai meist bigkeit ist die Einnahme kalorienrei- auf dem Sofa vor dem Fernsehen. cher und fettiger Nahrung, in der zu Schulkinder sit zen sehr viel und hawenig der wichtigen Nährstoffe, wie ben zu wenig Bewegung. Vit amine und Mineralstoffe, enthal- Ein weiterer Aspekt sind psychische ten sind. Auch zuckerhaltige Getränke sind Auslöser dieser Krankheit . Kais Vesper besteht meist aus Schokoriegeln, kalter Pizza vom Vorabend und siruphaltigen Getränken, wie z.B. Limonade. Wie auch in Kais Familie werden in heutigen modernen Familien die Mahlzeiten immer weniger zusammen eingenommen. Oft arbeiten die Eltern den ganzen Tag über und Kinder und Jugendliche Belastungen. Viele Jugendliche leigreifen, ohne nach zu denken, zu Fast- den unter dem Leistungsdruck in der food, welches einen zu hohen Fett-, Schule und dem Mangel an ZuwenSalz- und Zuckergehalt hat. Und dung der Eltern, was bei Kindern und obendrein nicht ausreichend sättigt, jungen Erwachsenen dazu führt, Esobwohl es meist große Portionen sen als Übersprungshandlung und sind. Direkt nach der Schule geht Kai „Wieder– Gut– Macher“ zu gebrauam liebsten Burger essen oder zur chen. Wurstbude um eine leckere Curry- Kai ist nicht der Einzige in der Familie, wurst mit Pommes der Probleme mit "Den Fetten wollen wir zu genießen. Ein einseinem Gewicht nicht ins Team..." faches Mittagessen hat. Schon seine ohne großen AufMutter isst seit ihwand. Daheim angekommen, greift rer Kindheit leidenschaftlich gerne, Kai gleich zu den Gummibärchen: far- viel und fettig. Eine Neigung zur Fettbenfrohes Essen, das Kindern appetit - sucht kann auch genetisch bedingt licher erscheint, jedoch meist nur sein und ihren Teil zu Adiposit as beiaus Zucker, Geschmacksverstärker tragen. Unter diesem Aspekt ist es und Glutamat besteht, welches den natürlich viel schwieriger ein Normal-

gewicht zu erreichen. Nicht zu vergessen sind die Nebenwirkungen starker Medikamente, wie z.B. Cortison, die das Risiko auf Fettleibigkeit erhöhen. Die Fettansammlung in den verschiedenen Zonen des Körpers verursacht natürlich eine zusätzliche Gewichtszunahme. Übergewicht ist besonders gefährlich für Kinder und Jugendliche, da sie sich im Wachstum noch in ihrer Entwicklungs- und Aufbauphase befinden. Ihre Bewegungsapparate sind durch das hohe Gewicht stark belastet und darüber hinaus beeinträchtigt es die Reaktionsfähigkeit , was eine erhöhte Verletzungsgefahr hervorruft. Dass Sport nicht zu Kais Lieblingsbeschäftigung zählt, ist offensichtlich. Sobald er sich mit seinen Freunden auf dem Sportplatz trifft, geht ihm beim Einspielen schon die Puste aus. Im Fußball ist er am langsamsten und beim Basketball spielen schmerzen ihm nach einigen Minuten die Sprunggelenke. Sätze wie „Beweg doch mal deinen dicken Arsch!“ oder „Wir wollen den Fetten nicht ins Team…“ zermürben Kai und ihm ist oft zum Heulen zumute. Er fühlt

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geht das nicht: Die Kinder werden von Kinderärzten, Schulärztliche Dienst, Kinderkliniken oder von Kinder- und Jugendpsychiatrien an uns weitergeleitet. ||||Ist jedes Kind einzeln betreut, oder werden die Kinder in Gruppen eingeteilt?

sich wie ein Versager und Außensei- als solche erkannt und leicht abgeter. Bei Teambildungen, aber auch in tan. normalen Alltagssit uationen, hält Es ist wichtig, die Krankheit so sich Kai oft im Hintergrund und wirkt schnell wie möglich, am besten im verängstigt. Ein gravierendes Problem Kindesalter, und auf gesundem Wege bei Kindern und Jugendzu bekämpfen. Die Medilichen mit Adiposit as ist zinische Universit ätskli"Jedes 5. Kind die Knochenwachsnik Freiburg hat eine proist tumsstörung. Durch das übergewichtig." fessionelle Anlaufstelle: hohe Gewicht und die FITOC (Freiburg Intervenschlechte Ernährung ist die Durch- tion Trail For Obese Children), spezischnittsgröße meist nicht zu errei- ell für Kinder und Jugendliche entwichen. ckelt, um Adiposit as vorzubeugen An Adiposit as erkrankte Kinder und oder zu behandeln. Jugendliche haben es im Alltag nicht einfach. Doch nur der Wille zählt Annika Marschall sprach mit der Leiund jeder kann es schaffen, einen terin der Station, Frau Dr. KorstenSchritt weiter zu gehen und seine Er- Reck, über das Alltagsleben eines nährung umzustellen. Auch Kai ist übergewichtigen Kindes. nicht zufrieden mit seiner Lebenslage und würde sie gerne ändern. Seit |||||Was genau ist das FITOC? einer Woche nimmt der dicke Kai an FITOC ist ein Programm, bei dem Kineinem Seminar teil, bei dem er zu- der von acht bis elf und Jugendliche sammen mit anderen adipösen Kin- zwischen zwölf und 16 Jahren ambudern, unter Betreuung lernt, durch Be- lant behandelt wegung abzunehmen und sich richtig werden. zu ernähren. Kai ist kein Einzelfall: allein in Deutschland ist jedes 5. Kind |||||Kann dort jedes übergewichtig und die Zahlen stei- Kind, dessen Eltern gen. Dennoch ist es schwierig Er- denken, es leidet krankte in Instit utionen zur Bekämp- an Adipositas, hinfung von Adiposit as unterzubringen, gehen? denn die Krankheit wird meist nicht Nein, so einfach

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Bei uns ist jedes Kind ein Individuum. Dennoch Stufen wir die Kinder oder Jugendlichen je nach Erkrankung ein. Bei uns macht es die Mischung, wir arbeiten sowohl in Gruppen als auch einzeln mit den Patienten. Auch die Eltern werden in das Programm mit einbezogen. Oft wissen sie selbst nicht mit der Krankheit ihres Kindes umzugehen oder leiden selbst an Adiposit as. Wir schulen die Eltern und Kinder gemeinsam, daher auch unser Motto: Gemeinsam schaffen wir es. |||||Wie lange dauert das FITOC- Programm und wie ist es aufgebaut?

Unser Team besteht aus einem Arzt, Sportlehrer, Psychologen und einem Ökotrophologen (Arbeiter in der Essund Nahrungsindustrie z.B. Markenqualit ät, Ernährungsberater) Das Programm ist in zwei Phasen eingeteilt. Die erste Phase geht über acht Monate und wird Intensivphase genannt. Dreimal pro Woche finden Sportstunden in bestimmten Gruppen statt. Ebenso gibt es jeweils sieben Schullungen für die Eltern der und für die Kinder. Darüber hinaus bieten wir noch individuelle psychi-


sche und medizinische Unterstützung an. Die Dauer der zweiten Phase, die Überwachungsphase, beträgt vier Monate oder mehr. In dieser Phase wird das Sportprogramm ein- bis zweimal die Woche angeboten. Weiterhin werden Gesprächstunden mit dem Patienten und den Eltern geführt. Anschließend werden halbjährige Kontrolluntersuchungen vorgenommen. |||||Was genau sind ihre Hauptziele mit diesem Projekt?

E ines unserer wichtigsten Ziele ist, bewusstsein war sehr schwach. Für

|||||Gibt es auch Kinder, die seelisch mich persönlich war es ein schlim- sehr krank sind?

dass wir die Kinder langfristig gesund entlassen können. Andere Aufgaben mer Anblick. Julius ist aber kein außer- Ja, auch die gibt es. Wie schon gebestehen darin, den Kindern zu hel- gewöhnlicher Fall, es gibt immer sagt, Kinder, die an Adiposit as leiden, fen, weil sie gehänselt, ausgeschlos- mehr Kinder, die das Gleiche durch- haben es nicht einfach. Immer wiesen und ausgelacht werden. Außer- machen wie Julius. Nun, wenn er mor- der fallen sie zurück und versuchen dem wollen wir die Eltern integrieren gens aufwacht bekommt er Früchte, den Schmerz mit Essen zu heilen. Für und begleiten, weil ja schließlich die Vollkornbrot, Nüsse und Nahrung, solche Fälle haben wir noch mal exGesundheit ihres Kindes "Gemeinsam die einem Energie für tra Stunden mit dem Psychiater einihnen am Wichtigsten den Tag geben. Er be- geleitet. Sie werden dort sehr gut schaffen ist. Unsere Richtlinien sucht über die Behand- betreut und stark gemacht. wir das!" sind eigentlich, dass wir lungszeit weiterhin ganz zusammen mit den Kindern eine Ver- normal die Schule. Nach der Schule |||||Können Sie denn auch schon von änderung des Lebensstils aufbauen. kann er sich etwas ausruhen und Erfolgen in ihrer Arbeit sprechen? Wir wollen Spaß an der Ernährung, dann gibt es Mittagessen, dieses bein- Ja, natürlich: 118 Kinder von 238 sind bessere Körperwahrnehmung und akti- haltet immer Gemüse, Kohlehydrate langfristig geheilt. Wir haben jedoch ve Bewegungen erreichen. und wird fettarm zubereitet. Zu be- festgestellt, dass wir das Programm achten ist auch die Regeschlechtlich |||||Können sie den Tagesablauf eines gelmäßigkeit der Mahl- "118 Kinder von 238 trennen müssen. Patienten ihres Programms schil- zeiten. Darauf folgt ein Mädchen verliesind langfristig dern? Sportprogramm, wie ren schneller die geheilt." Erst vor kurzem habe ich einen Pati- zum Beispiel: SchwimLust am Sport, enten neu aufgenommen. Julius (Na- men, Radfahren, Fußball spielen etc. das hängt natürlich auch von der me geändert) ist neun Jahre alt. Er Wir wollen Julius, sowie allen ande- weiblichen Pubertät ab. Aber denhat einen sehr hohen "Wir wollen den ren Patienten, die Freu- noch können wir von Erfolgen spreBMI- Wert und wir Lebensstil der de am Sport näherbrin- chen. Es macht uns glücklich zu semussten so schnell Kinder verändern." gen. Gegen Abend hen, wie schnell die Pfunde purzeln wie möglich seine finden die Schulungen und die Kinder immer glücklicher Ernährung umkrempeln. für Eltern und Kinder statt, bei über werden. Er hatte keinerlei Interesse an Sport Ernährung und Gesundheit aufklärt und Bewegung, aber Julius’ größtes wird. Während der Behandlungsphase Problem war sein psychischer und machen wir den Eltern ausdrücklich seelischer Druck. Zu oft wurde er in klar, wie wichtig es ist, dass Kinder |||||Annika Marschall der Schule gehänselt und sein Selbst- genügend schlaf haben.

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Das LebEn zwischen Klischee und Baby Wie lebt es sich als Mutter wenn man selbst noch fast ein Kind ist!?

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anina (Name geändert) traut ihren Augen nicht! Auch beim zweiten Schwangerschaftstest färbt sich das weiße Kästchen nach und nach rot. Sie ist sechzehn Jahre alt und geht in die zehnte Klasse. Außerdem hat sie seit einem halben Jahr einen Freund und nimmt die Anti-Baby-Pille. Auf einmal ist sie sich jedoch nicht mehr so ganz sicher, diese immer zur richtigen Zeit eingenommen zu haben. Überhaupt weiß sie gerade gar nicht mehr, was sie denken soll. Vor zehn Tagen hätte sie ihre Periode bekommen sollen, aber auch heute, am elften Tag blieb sie aus. Schließlich ging sie in den Drogeriemarkt um sich einen Schwangerschaftstest zu kaufen. Sie wollte eigentlich nur die Bestäatigung haben, nicht schwanger zu sein. Und nun das! Janina ist fassungslos. Ihr Magen zieht sich zusammen und ihr wird kotzübel. Mit zittrigen Fingern versucht sie sich die Tränen, die ihr über die Wangen laufen, wegzuwischen. Das Schlimmste allerdings ist das Angstgefühl, sind die Fragen, die sie plötzlich überkommen. Wie soll ich das bloß meinen Eltern beibringen? Werden sie 54

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mich rausschmeißen? Was wird mein Freund dazu sagen? Wird er mich verlassen? Und wie sieht es mit der Schule aus? Oh Gott die Schule...Sicherlich kann ich nicht einmal meinen Realschulabschluss machen, dieses Jahr! Und was, wenn ich das Kind einfach nicht bekomme? Janina ist nicht die einzige der es so ergeht. Immer wieder passiert es, dass Mädchen trotz Aufklärung und den heutzutage unterschiedlichsten Verhütungsmitteln minderjährig schwanger werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe und auch nicht jedes minderjährige Mädchen wurde ungewollt schwanger. Der wohl häufigste Grund einer ungewollten Schwangerschaft ist das Versagen von Verhütungsmitteln, die nicht richtig eingesetzt wurden. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Mädchen die Anti-BabyPille mehrmals zu spät eingenommen hatte, und sie dadurch nicht mehr hundertprozentig geschützt war, wie es bei Janina der Fall war. Aber auch, dass in der Schule die Sache mit der Aufklärung der Teenager nicht genug ernst genommen oder zu spät angesprochen wird; das Verspüren eines Kinderwun-


sches, um Problemen aus dem Weg zu gehen, zählen zu den Gründen, warum einige Mädchen minderjährig schwanger werden. Am meisten Überwindung hat es Janina gekostet, ihrer Mutter von der Schwangerschaft zu erzählen. Oft stehen einem die Eltern sehr nahe und man weiß nicht, wie man es ihnen sagen soll, da sie womöglich sehr schockiert sind, überreagieren und mit einem Rauswurf drohen könnten. Deshalb verstecken viele junge Mütter ihren Bauch vor Eltern oder Freunden, weil sie sich schämen oder Angst vor den Konsequenzen haben. Auch Janina war sich sehr unsicher und hatte große Angst mit ihrer Mutter darüber zu sprechen. Am liebsten hätte sie sich in ihrem Zimmer verkrochen und wäre nie wieder herausgekommen. Aber nachdem sie sich von einer Freundin Ratschläge geholt hatte, war ihr klar, dass ihre Mutter es früher oder später sowieso mitbekommen würde und dies ein erster Schritt ist, der Realität ins Auge zu sehen. Leider gibt es jedoch Fälle, in denen Mädchen ihr Kind ganz allein und ohne jegliche Hilfe zur Welt bringen, da sie ihre Eltern nicht informieren und diese sich den dicken Bauch ihrer Tochter mit Gewichtszunahme in der Pubertät erklären. Für viele Eltern ist es eine Katastrophe, wenn sie merken, dass ihre Tochter schwanger ist. Trotzdem braucht diese, so auch Janina sehr viel Unterstützung und Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund ist es hilfreich, wenn die Eltern versuchen ruhig zu bleiben, ihre Tochter zu unterstützen, zu ihr zu stehen und viel mit ihr zu reden. Nach dem Gespräch mit ihrer Mutter ist Janina auf das Jugendamt gegangen, in welchem sie sich über ihre Rechte als minderjährige Schwangere und Mutter informiert hat.

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eute ist Janina siebzehn Jahre alt und hat einen einjährigen Sohn namens David (Name geändert), der sie ganz schön auf Trab hält. Sie wirkt reifer und erwachsener als vor einem Jahr. Vielleicht, weil sie ein Jahr älter ist, vielleicht aber auch, weil sie ihr Kind auf dem Schoß sitzen hat. Wie zuvor wohnt sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern zusammen. Da sie weiterhin zur Schule geht, hat sie eine Tagesmutter, die jeden Tag auf David aufpasst. Für sie hat sich vieles geändert. Sie muss lernen für zwei Personen zu planen und auch öfter mal zurückstecken. Mit dem Vater ihres Sohns ist sie nicht mehr zusammen, dennoch ist sie sehr glücklich und plant demnächst mit David in eine eigene Wohnung zu ziehen.

Was sa

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dazu?

Auf dem Jugendamt darf kein Druck auf das Mädchen ausgeübt werden, ihre Eltern dürfen nicht informiert werden, wenn sie das nicht möchte • Eine minderjährige Schwangere kann in den meisten Fällen selbst darüber entscheiden, ob sie das Kind bekommen möchte oder einen Schwangerschaftsabbruch vorzieht • Wenn die Mutter minderjährig ist, hat sie, bis zu ihrem 18. Lebensjahr keinen Anspruch auf das Sorgerecht, dieses übernehmen oft die Eltern oder der Vater des Kindes • Da eine minderjährige Mutter selten schon einen Beruf hat, gibt es für sie und ihr Kind besondere finanzielle Leistungen. In Freiburg ist hierfür die Arge (Jugendagentur) zuständig. • Wenn eine junge Mutter nicht zuhause wohnen kann, kann sie einen Platz in einer Mutter-Kind-Einrichtung bekommen. Dort erhält sie fachkundige Unterstützung. Die Kosten können vom Jugendoder Sozialamt übernommen werden. • Ab 16 Jahren können minderjährige Eltern eine eigene Wohnung beziehen. Als Zuschuss zur Miete gibt es das Wohngeld, welches bei der Wohngeldstelle der Stadtverwaltung zu beantragen ist. • Die Schulpflicht besteht natürlich weiterhin. Allerdings kann ein Antrag auf Schulpflichtbefreiung gestellt werden, falls die Betreuung des Kindes nicht anderweitig gesichert werden kann. Nimmt eine junge Mutter, die sich in Ausbildung befindet, Elternzeit, so verlängert sich die Ausbildungszeit entsprechend. Es gibt zusätzlich die Möglichkeit eine Tagesmutter in Anspruch zu nehmen, die ebenfalls vom Jugendamt bezahlt wird.

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a es nicht alltäglich ist, mit 16 Jahren ein Kind zu bekommen, ist Janina viele Fragen über ihr Leben mit dem Baby gewohnt. Aus diesem Grund war es für sie kein Problem, in einem Artikel eines Jugendmagazins zu erscheinen. Sie war zudem zu einem persönlichen Interview bereit und hofft dadurch auch, Vorurteile über junge Mütter abschaffen zu können. Wie fühlt man sich, was geht einem durch den Kopf, wenn man merkt, schwanger zu sein? Janina: Mir persönlich war zum heulen zumute. Ich habe auch sehr geweint und das einzige, an das ich dachte, war die Schule, da ich ja erst sechzehn war. Ich denke aber, dass es vielen Mädchen, in der selben Situation genauso geht wie mir. Warum bist du schwanger geworden? Diese Frage stelle ich mir bis heute und kann sie mir nur mit einem Anwendungsfehler der Pille beantworten, die ich damals genommen habe. Wie sieht es mit der Schule und mit der Freizeit aus? Die Schule ist mir sehr wichtig. Ich habe meine Mittlere Reife gemacht, und nun versuche ich mich an einer Ausbildung als Erzieherin und mache zusätzlich noch die Fachhochschule. Das ist schon sehr viel Arbeit, wenn man ein Kleinkind hat. Ich habe aber auch sehr viel Unterstützung von zuhause, was mir natürlich vieles erleichtert. Es kann wirklich sehr anstrengend sein, aber nach einer Weile wächst man in diese Rolle rein und es macht mir wirklich viel Spaß mit dem Kleinen. Da ich noch zuhause wohne, ist es für meine Mutter kein Problem hin und wieder auf ihn aufzupassen, wodurch ich auch genug Freizeit habe. Das einzige, was mich stört, ist, dass ich durch das Baby sehr unspontan geworden bin und alles genau planen muss.

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Was hältst du von Abtreibung? Ich finde, dass eine Abtreibung keine Kleinigkeit ist, die man von heute auf morgen beschließen kann. Man sollte es sich gut überlegen, da es bestimmt Mädchen gibt, die es später sehr bereuen werden. Aber im Grunde genommen kann ich jedes Mädchen gut verstehen, die ein Kind abtreibt, weil sie selbst noch sehr jung ist und sich noch nicht reif genug

„Auf der Straße werde ich auf meinen süßen kleinen Bruder angesprochen“ fühlt, ein Kind zu erziehen. Wie haben deine Eltern reagiert? Zu meinem Glück haben meine Eltern sehr locker reagiert und es von Anfang an akzeptiert. Natürlich war der Schock am Anfang groß, aber besonders meine Mutter hat sich sehr gefreut.

Was gibt es für Beratungsstellenund Beratungsmöglichkeiten für minderjährige Schwangere in Freiburg? Es gibt natürlich ProFamilia mitten in

der Stadt, das einem sehr viel Unterstützung gibt und einen weiterleitet an verschiedene Organisationen, wie zum Beispiel „Chaos im Bauch“, was vom Jugendhilfswerk in der Wiehre angeboten wird und mit ProFamilia kooperiert. Dort treffen sich junge Schwangere oder Jugendliche mit ihren Kinder zwei mal im Monat. Man kann sich gegenseitig bei Tee und Kuchen austauschen und auch Kleider können getauscht werden. Man muss sich vorher nicht anmelden, sondern kann kommen und gehen wie man möchte. Ich persönlich war aber noch nicht dort. Außerdem gibt es die Jugendagentur, die Arge, die sich im selben Gebäude befindet wie ProFamilia. Diese kümmert sich um die Finanzen nach der Geburt eines Kindes und zudem um das Berufsleben. Zum Beispiel verhilft sie einem zu einer Teilzeitausbildung (TAF) für junge Mütter. Zudem gibt es das Haus des Lebens und das „MuK“ (Mutter und Kind), in dem junge Mamas leben können. Glaubst du, dass es anders oder schwieriger ist, ein Kind zu erziehen, wenn man noch sehr jung ist? Naja, einfach ist es auf keinen Fall, weil man seinem Kind die ganze Zeit gerecht werden muss, auch wenn man nach der Schule einfach nur schlafen möchte oder abends lieber mal Party machen würde, anstatt auf der Couch zu sitzen und zu warten, dass das Kind einschläft. Aber trotzdem ver-


suche ich immer mein Bestes und es macht sehr viel Spaß. Wie sieht ein typischer Tag von dir aus? 6.00Uhr: aufstehen, 7.00Uhr: Baby zur Tagesmutter bringen, 7.50Uhr: Schule,16.00Uhr: Schule aus, 16:15Uhr: David abholen, 16:30Uhr: Mit meinem Sohn etwas unternehmen; lernen, 21.00Uhr: ins Bett Zudem habe ich einmal in der Woche abends tanzen und jeden Freitagabend bin ich unterwegs. In dieser Zeit passt meine Mutter auf den Kleinen auf. Bekommst du deiner Meinung nach genug finanzielle Unterstützung vom Staat? 184 Euro Kindergeld, 205 Euro Landeserziehungsgeld, 238 Euro Jugendagentur,117 Euro Unterhalt sind zusammen 744 Euro im Monat. Ich finde diese Menge an Geld angebracht und komme gut damit aus. Wie reagieren Freunde, Familie, Lehrer, fremde Leute? Eigentlich haben bis jetzt alle positiv reagiert. Alle stellen sehr viele Fra-

gen und es scheint sie zu interessieren. Manchmal, wenn meine Mutter, David und ich in Freiburg rumlaufen, sehe ich Fragezeichen in den Gesichtern der Leute, die sich fragen, wer von uns beiden denn die Mutter ist. Ab und zu, wenn ich mit ihm allein unterwegs bin, werde ich auf „meinen süßen kleinen Bruder“ angesprochen. Ich denke jedoch, dass das normal ist und die Leute es sicher nicht böse meinen, schließlich könnte es wirklich mein kleiner Bruder sein. Eigentlich ist es eher lustig und besonders spannend finde ich es, die verwirrten Gesichter der Leute zu betrachten, wenn ich sage, dass er mein Sohn ist. Was meine gleichaltrigen Freundinnen betrifft, denke ich, dass sie mich bewundern aber nicht beneiden. Als ich schwanger wurde, standen sie alle total hinter mir, für was ich sehr dankbar bin. Zuerst waren alle geschockt und konnten sich mich, die Partymaus schlecht hin, nicht als Mutter vorstellen. Dann haben sie sich teilweise versucht in meine Situation hineinzuversetzen um mir zu helfen. Heute, wo

David auf der Welt ist, bieten sie mir an auf ihn aufzupassen, aber ich habe auch schon mitbekommen, dass sie teilweise etwas genervt sind, weil ich nicht mehr so viel Zeit habe und auch oft absage. In meiner Familie gab es auch den ein oder anderen, der negativ reagiert hat. Sie dachten, dass ich jetzt die Schule schmeißen würde und wenn das Baby erst mal da ist auch nicht wieder den Anschluss finden würde. Jetzt wo David da ist, hat sich das aber gebessert. Würdest du, wenn du wüsstest wie es sich zwischen Baby und deiner Jugendzeit lebt, dich wieder für das Kind entscheiden? Auf jeden Fall! Ich wollte es nicht wieder rückgängig machen! Auf der einen Seite ist es sehr anstrengend, aber auf der anderen Seite macht es sehr viel Spaß und ich habe den David sehr, sehr lieb gewonnen. Zudem bekommt man durch ein Kind mehr Verantwortungsbewusstsein und man wird reifer.

Übrigens... •In manchen Ländern und Kulturen wird es als normal angesehen, minderjährig Kinder zu bekommen (zum Beispiel in manchen Stämmen Afrikas) •Seit 2001 gibt es einen leichten aber kontinuierlichen Rückgang von Jugendschwangerschaften •8 von 1000 Frauen werden zwischen 15 und 17 Jahren schwanger -> 3-4 tragen das Kind aus -> 5 lassen es abtreiben -> minderjährige Frauen treiben ihr Kind häufiger ab, als dass sie es bekommen •92% aller minderjährigen Schwangeren sind ungewollt schwanger geworden •Schulbildung hat massiven Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, minderjährig schwanger zu werden -> mehr als die Hälfte (54%) der schwangeren Mädchen besuchen eine Hauptschule •63% der befragten Schwangeren geben an, mit Kondom oder Pille verhütet zu haben, das weist auf gravierende Anwendungsfehler hin •6590 minderjährige Frauen nahmen 2006 einen Schwangerschaftsabbruch vor -> diese Zahl ist geringer als im Vorjahr Stand: Deutschland, 2006 Quelle: BzgA

|||||Josephine Schweitzer 17einhalb

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Zwischen Gesetz und Freiheit Der Weg vom ersten Verbrechen bis zum straffreien Leben

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o einfach kommen Sie hier aber nicht rein“, ruft mir der Gefängniswärter über seine Sprechanlage zu, als ich die Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg unangemeldet durch die Tür betreten will. Er öffnet die Tür von seinem Platz aus und dann werde ich erstmal durchsucht. Mein Handy und meinen Personalausweis muss ich zur Sicherheit bei dem Pförtner hinterlegen. Anschließend werde ich in den Warteraum für die Besucher gebracht. Es ist ein kalter Raum ohne Fenster und mit sehr hellem Licht. Jedes Mal wenn sich der Zeiger der großen Uhr bewegt, hört man ein lautes „Bong“. Ich muss lange warten, bis ich endlich aufgerufen werde. Währenddessen gehen Besucher, die ihre Angehörigen oder Freunde besuchen wollen, ein und aus. Sie sind alle sehr unterschiedlich. Viele beten, manche sind sehr still und angespannt. Die meisten sind aber traurig und verzweifelt. Das sieht man ihren Gesichtern an. Auch ich fühle mich sehr bedrückt und warte sehnlich darauf endlich

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aufgerufen zu werde. Mein Wunsch wird bald erfüllt. Ich muss durch drei direkt nacheinander folgende Türen hindurch und werde in den Besucherraum gebracht. Dieser sieht fast gleich aus wie der Warteraum –kalt, ohne Fenster, graues Licht. Die Atmosphäre ist sehr bedrückend und angespannt. Von hier aus bringt man mich in eine Zelle. Sie ist sehr klein und nahezu leer. Luxusgüter wie Telefon, Fernseher oder Computer sind hier nicht zu finden. Fast unter der Decke ist ein kleines Fenster eingebaut und direkt daneben befindet sich ein kleines Bad mit einer Toilette und einer Dusche. Die Zelle ist gar nicht so ungemütlich, wie man das von Gefängniszellen denkt. Und genau in so einer Zelle hat Normen K.* mehr als zwei Jahre gelebt. Normen K. wuchs in sehr schwierigen Familienverhältnissen auf. Seinen Vater hatte er nie kennen gelernt und seine Mutter kümmerte sich weder um ihn noch um seine drei Geschwister.


In dem Viertel, in dem er aufwuchs, wurde er schon im Kindesalter mit Kriminalität konfrontiert. Einbruch, Drogenbesitz oder Diebstahl galten für ihn als normal. Er besuchte die Sonderschule, weil er von seiner Grundschullehrerin als lernbehindert eingestuft wurde. Trotzdem wollte er eine Ausbildung machen und bewarb sich bei verschiedenen Unternehmen. Er erhielt einen Ausbildungsplatz zum Maler. Jedoch brach der die Lehre schon

''Straftäter müssen sich selbst für ihr Verhalten verant­ wortlich machen'' nach zwei Monaten ab, da er „einfach keine Lust mehr hatte“. Seine Freizeit verbrachte Normen K. mit seinen Freunden. Sie nahmen Drogen, stahlen und schlugen auf unbeteiligte Personen ein. Er genoss dies, da er währenddessen ein Machtgefühl und Annerkennung verspürte, die er in seinem Elternhaus niemals bekommen hatte. Dies blieb für ihn nicht ohne Folgen. Bereits mit 16 Jahren wurde er wegen schwerer Körperverletzung angezeigt. Die Polizei wurde nun auf ihn aufmerksam und konnte beweisen, dass Normen K. schon mehrmals seine Fäuste gegen unschuldige Personen benutzt hatte. Man klagt ihn in drei Fällen wegen Körperverletzung an. Das Gericht verurteilte ihn zu 50 Sozialstunden. Diese Entscheidung vom Gericht war für ihn aber keine Lehre. Er machte genauso weiter, wie er aufgehört hatte. Ulrike Bühler, die in der JVA-Freiburg arbeitet, sagt zu dieser Entwicklung: „Der erste Schritt der Jugendlichen ist, dass sie die Verantwortung für ihre Straftaten übernehmmen und Einsicht in ihr Fehlverhalten entwickeln. Wenn sie so weit sind, kann über Unterstützungsangebote nachgedacht werden. Normen K. hat sich für sein Verhalten nicht verantwortlich gemacht und wurde mit 17 Jahren abermals wegen schwerer Körperverletzung und Drogenbesitz in zwei weiteren Fällen angezeigt. Er wurde nach dem Jugendstrafrecht zu sechs Monaten Haft verurteilt. Bis heute hat Normen K. Schulden in Höhe von 1500€, aufgrund der Schmerzensgeldforderungen der Geschädigten. Diese kann er im Moment jedoch nicht abbezahlen, da er arbeitslos ist. Frau Bühler wundert sich garnicht mehr darüber, dass Jugendlich immer mehr wegen schwerer Körperverletzung angezeigt werden: "Die Gewaltdelikte der Jugendlichen haben von der Anzahl nicht zugenommen, sondern eher in der Brutalität und Grenzenlösigkeit. Beispielweise werden auf berits am Boden liegende eingeschlagen und eingetreten." Nach seiner Entlassung bezog Normen K. eine billige Wohnung in einem 11-stöckigen Wohnhaus und lebte von Hartz4. Er fühlte sich trotz seiner festen Freundin, mit der er schon seit einem Jahr liiert war, sehr einsam. Um sich etwas Geld dazu zu verdienen, verwickelte er sich abermals in kriminelle Geschichten und fing er an Drogen zu

verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Freundin von Normen K. auch noch schwanger. Dieser fühlte sich noch nicht reif genug, eine Vaterrolle zu übernehmen und beendete daraufhin die Beziehung. Gedanken, wie sein Kind sich ohne Vater fühlen würde, machte er sich nicht. Bis heute hat er sein Kind noch nie gesehen. Er weiß nicht einmal, ob er eine Tochter oder einen Sohn hat. Normen K. lässt von seiner kriminellen Seite einfach nicht ab. Mit 19 Jahren wurde er wegen sexueller Belästigung an mehreren Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren angezeigt. Die Beweise gegen ihn sind eindeutig und alle vier Mädchen sagten gegen ihn aus. Er wird zu einem Jahr und sieben Monaten Haftstrafe nach dem Erwachsenen-Strafrecht verurteilt, da das Gericht der Meinung ist, dass er vorsätzlich gehandelt hat. Normen K. ist wieder im Gefängnis. Den ganzen Tag sitzt er in seiner Zelle. Nur die zwei Stunden Hofgang ermöglichen ihm aus seiner Zelle zu kommen. Jeden Tag erlebt er den gleichen Ablauf. Frühstück, Hofgang, Mittagessen, Abendessen. Ihm wird angeboten, sich während seines Gefängnisaufenthaltes weiter zu bilden oder an verschiedenen Freizeitaktivitäten teilzunehmen. Diese Angebote nimmt er teilweise an, allerdings nimmt er mit den anderen Gefängnisinsassen kaum Kontakt auf. Er ist im Gefängnis zur Strafe, jedoch erhalten er und alle anderen Insassen Seminare, die ihn auf ein strafenfreies Leben nach der Entlassung vorbereiten sollen. Nach verübter Strafe zog er abermals in dieselbe Wohnung und fing wieder nichts mit seinem Leben an. Nor-

"Die Brutalität der Gewaltdelikte hat Zugenommen' men K. stand vor dem Nichts. Er hatte keine Ausbildung, kein festes finanzielles Einkommen und keine Bezugspersonen mehr, da diese sich alle von ihm abgewandt haben. Kein halbes Jahr nach seiner Entlassung klingelte die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl bei ihm. Sie vermutete, dass Normen K. illegal Kinderpornos ins Internet gestellt haben soll. Sie findet in seiner Wohnung zwar zwei DVD Filme, die kinderpornographische Filmdateien enthalten. Die hochgestellten Filmdateien konnte die Polizei nicht sicherstellen, dennoch gesteht sich Normen K. die Straftat selbst ein und stellt sich der Polizei. Es ist das erste Mal, dass er für sein Verhalten gerade steht. Wegen der Straftat wird er zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Urteil fiel aufgrund des Geständnisses milder als gedacht aus. Laut Frau Bühler gibt es inzwischen so viele verschiedene Maßnahmen gegen Jugendkriminalität, die sich genau an das Verhalten der Jugendlichen anpassen. Allerdings wird dabei erwartet, dass der Jugendliche mitzieht. Dies war bei Normen K. nicht der Fall. Ihm ging es bei vielen Straftaten immer nur um das Geld. Verantwortung und Respekt vor Anderen 17einhalb |

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waren für ihn Fremdwörter in seiner Jugend. Heute ist Normen K. 28 Jahre alt. Es hat 14 Jahre gedauert, bis er erkannt hat, dass sein Leben so nicht weiter gehen kann. Zurzeit besucht Normen K. ein Berufsvorbereitungsprogramm, welches ihm verhelfen soll wieder den Fuß in den Alltag und ins Berufsleben zubekommen. Normen K. will sein Leben wieder in den Griff bekommen und zwar ohne Kriminalität. Für ihn wird es ein langer und schwieriger Weg, den Alltag alleine und ohne Kriminalität zu bewältigen. Mein Besuch endet in der JVA Freiburg. Für mich war es ein sehr eindrucksvoller Tag. Bevor ich das Gefängnis verlassen kann, muss ich mir erst mal bei dem gemütlich dasitzenden Gefängnispförtner mein Handy und meinen Personalausweis abholen. Dieses Mal warte ich, bis der Pförtner mir die Tür öffnet. Der schon etwas älter wirken-

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de Mann zwinkert mir zu und wünscht mir mit seinem schwäbischen Dialekt noch einen schönen Tag. Die Tür fällt hinter mir ins Schloss. Ich stehe vor dem Gefängnis. Auf einmal entspanne ich mich. Erst jetzt bemerke ich, dass ich seit Eintreten in das Gefängnis sehr angespannt war. Jetzt bin ich einfach nur froh, dass ich nach Hause gehen kann. *Name geändert


JVA­Freiburg Die JVA Freiburg befindet sich in der Tennenbacherstraße und wurde im Jahre 1848 gebaut. In der Arrestanschließlich MänLangstrafen vor heißt mehr wie ein Monate. Moment800 Männer in der

stalt sitzen ausner, die sich haben, das Jahr und drei tan sitzen rund JVA Freiburg ein.

Die Inhaftierten kommen aus ganz Baden-Württemberg. Die Sträflinge haben die Möglichkeit sich einem ehrenamtlichen Betreuer zuweisen zu lassen. Allerdings kann dies verhindert werden, wenn die Inhaftierten als besonders gefährlich eingestuft werden. Außerdem besteht die Möglichkeit mit dem jeweiligen Betreuer Einzelgespräche zu führen und so zum Beispiel Konflikte mit ihren Familienmitgliedern zu lösen. Die Justizvollzugsanstalten haben gewisse Richtlinien, die sie erfüllen müssen. Die Gefangenen bekommen Unterstützung durch verschiedene Angebote. Sie können individuell betreut werden, das heißt in Einzel- oder Gruppenveranstaltungen, die von Sozialarbeitern oder Psychologen betreut werden. Zudem wird ihnen die Möglichkeit geboten, ihren Hauptschulabschluss oder mittlere Reife nachzuholen. Aus diesem Grund stehen der JVA Freiburg jedes Jahr 24 Ausbildungsplätze in Betrieben bereit. Zeitweise kann man auch eine Lehre in den Bereichen Holz, Metall, Nahrung, Textil und Gebäudereinigung direkt im Gefängnis erlernen. Auch werden ihnen Freizeitmöglichkeiten wie Fußball, Tischtennis, Theater und Bibelkreise angeboten. Besonders muss man auf die physisch –und psychisch Geschwächten achten, damit keine negativen Einflüsse für die andern Insassen entstehen. Allerdings wird von den Gefangenen erwartet, dass sie sich an die Regeln halten. Es wird ||||| Jana Strudel

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“Dein Zuhause ist grün…” “… und hat an beiden Enden ein Tor.” Ihre Namen sind Sascha Riether, Daniel Schwaab, Karim Matmour oder Dennis Aogo, aber was haben sie Gemeinsam? Jeder von ihnen war in der Freiburger Fußballschule! Meine Spurensuche führt mich zu deren Wurzeln.

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s ist der 1 3. Januar 201 0, die Sonne lacht vom Himmel und als ich durch das Eingangstor des Möslestadions trete, klappt mir vor Erstaunen der Mund auf. Wo bin ich den hier gelandet? Auf dem Trainingsgelände des FC Bayern oder was? Vor mir erstrecken sich vier Fußballfelder in allen Varianten, Rasen, Kunstrasen und Hartplatz. Beeindruckt und auch etwas aufgeregt geh ich weiter, denn im Gebäude an der Rückseite der Tribüne werde ich schon erwartet. Ich habe heute einen Interviewtermin mit Frau von Mertens, Pädagogische Leitung der Freiburger Fußballschule.

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||||| Judith Osterloh: Wie kam es zu der Idee 2001 eine Fußball Schule zu eröffnen? Stefanie von Mertens: Es begann damit, dass es vom DFB gefordert wurde. Nach der WM 1998 in Frankreich bei der Deutschland im Achtelfinale, gegen Kroatien glaube ich, ausgeschieden ist, ging ein Aufschrei durch Deutschland, man hätte keine Talente und die Vereine würden nur teure Spieler aus dem Ausland kaufen. Daraufhin hat der DFB alle Vereine der ersten und zweiten Bundesliga dazu verpflichtet ein Nachwuchsleistungszentrum aufzubauen um die Lizenz für die entsprechende Liga zu bekommen. Freiburg liegt jetzt aber geographisch so ungünstig, dass wir im Prinzip auch Spieler von außerhalb holen müssen. Wenn man sich auf der Deutschlandkarte Regionen wie das Ruhrgebiet ansieht, kann man erken-


Das hilft und auch die Tatsache dass wir auf die Gemeinschaft achten. Also, wir machen auch gemeinsame Mahlzeiten und Gruppenabende. Man lässt sie hier nicht alleine rumhängen, sondern guckt schon, dass das gut geht .

||||| Fahren die Jungs denn auch öfter nach Hause, wenn sie z.B. aus der Schweiz kommen? ||||| Warum zog die Fußballschule ins Möslestadion? Schon , je nachdem, ob es der Spielplan erlaubt. Also Damals war der FFC in diesem Station, konnte es aber wenn ich am Sonntag um 11 Uhr spiele, dann kann ich nicht halten, da er finanziell ins Schlingern gekommen nicht erst am Sonntagmorgen um 10 Uhr hier anreisen. war. Daraufhin hat der SC die Anlage Das heißt ich kann am Freitag nach der übernommen, weil er um das BadenoSchule und dem Training heim und va-Stadion nicht mehr expandieren muss aber am Samstagabend wieder Es ist jetzt nicht konnte. im Internat sein. Wenn keine Ferien ein Kinderheim in sind und während der Runde kann man das ich irgendwie ||||| Wie ist dieses Gebäude aufgebaut? also maximal einen Tag pro Woche Oben ist die eigentliche Internatsetaheim fahren. Wobei das viele dann gar geschickt werde! ge. Hier auf der Rückseite der Möslenicht mehr wahrnehmen. Zum Teil tribüne ist auch noch die Verwaltung, kommen die Eltern deshalb zum Spiel de Aufenthaltsraum und die Küche. Im Erdgeschoss ist am Wochenende und die Jungs sagen selbst es wäre die medizinische Abteilung, Trainerbüros und Dienstzim- wahnsinnig stressig. Sie hätten oftmals eine lange Anmer. Ganz unten sind noch die Kabinen und die Halle. fahrt, wären dann daheim, müssten 1000 Leute besuchen und kämen hier wieder erschöpft an. Das heißt je ||||| Wie viele Jungs besuchen zur Zeit das Internat und besser sie sich hier eingewöhnt haben und je mehr für wie viele haben Sie Platz? Freunde sie gefunden haben, desto häufiger bleiben sie Also wir haben hier im Internat 16 Plätze und vorne in dem weißen Haus am Eingang zusätzlich drei in einer Spieler-WG. Dazu kommen aber jeden Tag noch an die 150 Jungs zum Training. Es gibt einen internen und einen externen Zirkel. Für die Internen sind wir natürlich ganz intensiv da, weil auch die Eltern nicht hier wohnen. Doch die Externen werden hier zum Teil auch mitbetreut, da sie auf die selben Schulen gehen und gemeinsame Lerngruppen haben. Die Externen sind sowohl die aus den Gastfamilien als auch die aus der Region. ||||| Wie alt sind die Jungs im Internat? Sie sind zwischen 15 und 19 Jahre alt. ||||| 15 ist ja noch recht jung, fällt es denen, die weiter weg leben schwer sich am Anfang einzufinden? Das ist recht unterschiedlich. Zunächst ist es erstmal so, dass die meisten schon aus Deutschland kommen und idealer Weise auch aus Süddeutschland. Man versucht natürlich erstmal den Nachwuchs aus der Region zu fördern. Aber wir haben hin und wieder zum Beispiel auch Jungs aus der Schweiz oder aus Frankreich. Das heißt sie sprechen normalerweise Deutsch im Internat, da sie hier auch auf deutsche Schulen gehen müssen. Dann ist es ganz unterschiedlich mit Heimweh und so etwas, das sind Phasen die jeder kennt. Aber man muss sagen, dass sie doch recht schnell hier reinkommen. Es ist jetzt nicht ein Kinderheim in das ich irgendwie geschickt werde, weil ich keine Eltern habe, sondern man will unbedingt kommen, das ist schonmal ein Bonuspunkt. Dann erleben viele, dass sie hier einfach optimal ausgebildet werden. Wir haben eine sehr hohe Qualität im Training und wenn sie in ihrem Heimatverein drei mal in der Woche trainiert haben und hier sechs oder sieben mal, merken sie auch selber wie sie voran kommen und Fortschritte machen.

Hat 1997 freiberuflich angefangen Deutschunterricht zu geben für die ausländischen Profis des SC Freiburg: Stefanie von Mertens 17einhalb |

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TRIMM DICH !

nen was das für ein Ballungsgebiet ist. Dort leben Millionen von Menschen mit einem perfekt ausgebauten Sund U-Bahnnetz, das heißt auch die Spieler die von weiter weg können relativ einfach zum Training kommen. Unser Einzugsgebiet hört allerdings schon im Schwarzwald auf, deshalb hat man sich für die große Lösung mit Internat entschieden.


hier und schlafen lieber mal aus oder gehen in die Stadt, anstatt die Fahrerei auf sich zu nehmen. Nur im Winter haben wir richtig zweieinhalb Wochen Ferien in denen sie nach Hause fahren. Im Sommer ist es schwierig weil dann die Runde wieder los geht. ||||| Was für Partnerschulen gibt es? Da wären das Rotteck-Gymnasium, die Emil-Thoma-Realschule, die Max-Weber-Schule und die Staudinger Gesamtschule. Auf diese Schulen gehen die Meisten. ||||| Was für Aktivitäten können die Jungs im Alltag nach Schule und Hausaufgaben noch machen? Gut, die Tage sind ja oft recht voll, zum Teil gibt es auch schon morgens Training, was die Partnerschulen ermöglichen, das ist ja auch die Idee der Eliteschulen des Fußballs. Sie werden vom DFB gefördert und der DFB unterstützt die Schulen finanziell. Somit können diese die ausgefallenen Stunden mit Extradeputatsstunden nachholen. Das heißt zum Beispiel Donnerstags ist schon morgens von halb acht bis neun Training, danach gehen sie in die Schule, kommen entweder heim zum Mittagessen oder essen etwas in der Schule falls sie Nachmittagsschule haben. Dann kommen sie hierher, lernen, trainieren, essen und müssen dann zum Teil nach dem Essen nochmal lernen. Das ist schon recht viel. Wir merken auch die Auswirkungen vom G8, da bleibt einfach mit Mittagsschule nicht mehr viel Zeit. Was wir versuchen ist in den Ferien hin und wieder Freizeitaktionen anzubieten. Wir waren z.B. mit den Jungs mal bei einer Wasserskiaktion in der Nähe oder mal im Zoo, aber das kommt wirklich selten vor.

|||||Welche Regeln gibt es im Internat? Wir haben eine Hausordnung und eine Ausgangsregelung. Die Hausordnung betrifft allgemein das Leben im Internat und die Ausgangsregelung schreiben wir jeden Tag neu. Normalerweise ist es nach Jahrgängen getrennt, das heißt die älteren haben Ausgang bis Nachts um maximal 23 Uhr und die jüngeren bis 22 Uhr. Unter der Woche ist das alles kein Problem, weil eh immer aller so müde sind. Fürs Wochenende richtet man sich nach den Spielen, wenn mal eine Mannschaft kein Spiel hat und keine Schule am nächsten Tag, kann man bei den 17-18 jährigen vielleicht die Ausgangszeit ein bisschen nach hinten ausdehnen. Dann können sie auch mal ins Kino gehen oder einfach wie ganz normale Jugendliche ausgehen.

Die Trainer setzen auf ein qualitativ hochwertiges Training - das führt auch sehr oft zum Erfolg! 64

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||||| Ist Alkohol ein Thema? Nein, da sind die Jungs auch sehr professionell, also was sie wollen ist auch mal etwas anderes sehen oder auch mal ein Mädchen kennen lernen oder so, aber mit Alkohol und rauchen haben wir keine Probleme. ||||| Lohnt es sich Talente von weiter weg zu holen und haben diese eine größere Chance den Sprung in den Profibereich zu schaffen weil sie mehr Potential haben als jene aus der Region? Nein, man kann nicht sagen, die von weiter weg sind besser. Natürlich ist es so, dass wenn wir zum Beispiel einen Spieler aus Berlin holen, da guckt man schon zwei mal drauf, oder mehrere Trainer beobachten ihn, denn es geht ja auch um eine große Verantwortung, den Jungen aus seiner Schule und aus dem Elternhaus zu holen. Man kann dem Berliner zwar auch keine Prognose geben, dass er Profi wird, aber man muss im Prinzip schon eine gewisse Perspektive erkennen. Wenn man jetzt schaut wer es aus der Fußballschule in den Profikader geschafft hat, dann sind das sehr viele aus der Region. Wie Z. B. Ömer Toprak aus Ravensburg, Daniel Schwaab aus Waldkirch oder Andreas Glockner aus Bad Krozingen. Es wäre ja schlimm, wenn wir nur in die Ferne schielen würden und die eigenen Talente gar nicht sehen würden. ||||| Wie läuft die Gastfamiliensuche? Das ist so etwas, was sich einfach entwickelt. Wir machen es ja jetzt schon seit einigen Jahren und dann hat man sich auch schon so ein Stamm an Gastfamilien herangezogen, die dann wiederum Leute kennen. Wir treffen uns natürlich auch mit den Familien und wenn wir einen guten Eindruck haben, dann können wir da einen Jungen hin vermitteln. ||||| Damit sind erstmal alle meine Fragen beantwortet. Vielen Dank das Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben und weiterhin viel Erfolg für die Zukunft.

Die Rückseite des Internatsgebäude.

Möslestadions

||||| Judith Osterloh

dient

als

Portrat Marc: "Mein Traum vom Fussball" Viele Jungs im Alter zwischen zehn und zwanzig träumen von einer Karriere als Fußballer, doch nur wenige schaffen überhaupt den ersten Schritt. Marc(19) hat es geschafft. Er spielt seit drei Jahren in der Jugend des SC. Die Sichter des Sportclubs wurden bei den Spielen mit seinem alten Verein, dem SC Pfullendorf, und denen der Südbadischen Auswahlmannschaft auf ihn aufmerksam. "Für mich wurde mit dem Wechsel nach Freiburg ein Traum wahr. Hier wird mir eine hervorragende Jugendarbeit und ein gutes Umfeld geboten. Außerdem ist meine Heimatstadt Friedrichshafen am Bodensee nicht so weit weg.", sagt Marc. Weil der Verein auf gute Jugendarbeit angewiesen ist, eröffnen sich den Jugendspielern viele Möglichkeiten. " Wir durchlaufen zum Beispiel eine sehr gute die taktischer Ausbildung mit Videoanalyse nach jedem Spiel." Marc lebt in Freiburg in einer Gastfamilie, in der er sich wie zu hause fühlt: “Ich kann alles machen und benutzen als wäre ich ihr eigenes Kind, das ist sehr wichtig um ab und zu auch etwas Abstand zum Fußball zu haben und über andere Themen sprechen zu können!” Sich daran zu gewöhnen nicht bei seiner Familie zu leben fiel ihm nicht so schwer. Er meint: "Solange es Spaß macht und man Erfolg hat fällt es `leichter´" Doch auch wenn Marc glücklich ist, so muss er doch in seiner Freizeit einiges zurückstecken. "Partys am Wochenende sind während der Saison zum Beispiel so gut wie garnicht möglich" Und auch unter der Woche hat jeder Tag ein geregelten Ablauf: Morgens Schule, Mittags Freizeit bis zum Training um 18.30 Uhr, ca. 21 Uhr essen und dann totmüde ins Bett. Das ist anstrengend. Doch die guten Zusammen Arbeit des Vereins und der Max Weber Schule erleichtert ihm die Doppelbelastung. "Wir bekommen mehr Freiheiten und es ist insgesamt nicht so streng", erzählt Marc, der auf jeden Fall sein Abitur schaffen und irgendwann in einer der drei Profiligen spielen. Die Anstrengungen und die Entfernung nimmt er gerne auf sich um seinen Zielen ein Stück näher zu kommen. 17einhalb |

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och einmal die Bindung überprüfen, aufrichten, den Schnee von der Hose fegen und losfahren. Die Geschwindigkeit steigt, die Kontrolle über das Brett zu behalten wird immer schwerer und endlich kommt er, der Absprung… Der ungefähr 2 Meter hohe Kicker haut mich mit einer enormen Geschwindigkeit in die Luft. Doch für mich wirkt alles um mich herum wie in Zeitlupe. Ich sehe den Himmel, die Bäume und die schneebedeckte Landschaft an mir vorbeifliegen, während ich mich in 4-5 Meter Höhe langsam nach hinten drehe, die Arme ausgestreckt, den Rücken durchgedrückt. Vor meinen Augen zieht der wolkenlose, strahlend blaue Himmel vorbei. Das Adrenalin durchflutet meinen ganzen Körper. Ich höre nichts außer meinem Herz und scheine eine Ewigkeit lang waagerecht in der Luft zu liegen. Genau das ist der Moment, für den sich die ganze Arbeit gelohnt hat. Ich kann fliegen … Was viele nicht wissen, Freestyle und Freeride gehören zum Extremsport. Das beinhaltet zwar eine große Verletzungsgefahr, dafür aber umso mehr Spaß. Es vereinen sich Sport mit Geschwindigkeit, Gleichgewicht und Geschicklichkeit. Dies macht es sogar beim schlechtesten Wetter zu einem großen Vergnügen den Berg runter zu fahren. Doch bevor es zu einer einigermaßen befahrbaren Masse an Schnee kommt, muss ein Snowboarder eine sehr, sehr harte Zeit durchstehen: …den Sommer. Um nicht in Depressionen zu verfallen, gibt es natürlich viele Mittel, die

mehr oder weniger erfolgreich sind. Das wohl Gängigste sind vielen Snowboardfilme. Die verschiedensten Crews haben unzählige professionelle und Amateurvideos im Internet und auf DVD herausgebracht. Bei jedem Snowboarder sammeln sie sich auf dem PC und in den Regalen neben dem Fernseher. Man kann sich die tollsten Spots mit den besten Ridern vereint anschauen. Vielleicht mag es in gewisser Weise auch deprimierend sein, anzusehen, was andere ungefähr zwei Drittel ihres gesamten Jahres machen können und netterweise auch noch besser sind als man selbst. Aber alleine die Vorstellung in dieser Lage sein zu können verschafft der Sehnsucht Linderung. Das Event der Snowboardfilme in diesem Jahr war die Premiere des neuen Isenseven-Films in München. Man muss schon sagen, dass keine Mühen gescheut wurden, um diesen so sehr zu inszenieren wie es nur ging. Eine Halle in den Maßen eines größeren Konzerthauses gefüllt mit Djs, Getränkeständen und Leinwänden so weit das Auge reicht. Hunderte von bunt gekleideten, Snowboard begeisterten Partygästen tummeln sich zwischen drin und haben ihren Spaß. Alle tanzen zu den verschiedensten Electro und Hip-Hop Songs. Auf einmal gehen alle Lichter aus und die Leinwände fangen an zu leuchten. Die Masse jubelt und schreit, so dass die sowieso viel zu laute Musik darin untergeht, als die ersten Rider erscheinen und die unglaublichsten Tricks zeigen. Dannach geht die Party erst richtig los, und das Beste ist, dass zumindest auf der Premiere alle der Rider der Crew dabei sind. Man

kann also mit seinen Lieblingsfahrern feiern, wenn diese dazu aufgelegt sind. Nach diesem Event freut man sich auf den Moment, wenn der Film endlich der hauseigenen Sammlung hinzuzufügen ist. Und natürlich darauf, dass nächstes Jahr der ganze Spaß von vorne losgeht. An diesem Beispiel lässt sich deutlich zeigen, wie sehr sich Snowboarden als Lifestyle durchgesetzt hat. Lange schon ist es nicht mehr nur ein Sport, sondern für immer mehr Snowboarder ist der mit Schnee bedeckte Berg ein zweites Zuhause. Die Jacken groß und bunt, genau wie die T-Shirts. Immer mit Cap oder Beanie unterwegs, die Hosen sitzen meist weit unter Gürtellinie, so richtig schön baggy. Dazu Sneakers, beispielsweise Nike. Bunt muss man erscheinen, bis in die Schnürsenkel. Snowboarder sind generell in zwei verschiedene Gruppen einzuteilen: Die „stylischen“ und die „unstylischen“, wie die einen sagen würden. Andere würden wohl eher in normale Fahrer und Bekloppte unterteilen, aber hierbei gilt wohl: jedem das seine. Außer dem Klamottenstil und der Lebenseinstellung ist der wohl prägnanteste Unterschied die Art des Fahrens. Das normale die Piste runter und vielleicht ab und zu über einen Hügel springen sehen viele Snowboarder als langweilig, niveaulos und zu einfach an. Wenn dann doch kein Kicker zu sehen ist, muss die Piste gejibbt werden. Hierbei handelt es sich um den Versuch, alles was sich mehr oder weniger anbietet mit kleinen Tricks zu überwinden, wie zum Bei17einhalb

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"Für wahre Snowboarder ist der mit Schnee bedeckte Berg ein zweites Zuhause."

spiel kleineren Sprüngen und Drehungen. Wenn nichts zu finden ist was sich dafür anbietet, wird das Höchstmaß an rasanten Drehungen und Manövern gesucht. Die nächste wohl viel gefährlichere Art des Fahrens nennt sich Freestyle. Beim Freestyle springt man über kleine bis riesige Kicker und vollführt im besten Falle kunstvolle Sprünge. Dazu gehört viel Mut und auch Können. Denn was von unten einfach nur faszinierend aussieht, erfordert viel Geschicklichkeit und Körperbeherrschung. Geschwindigkeit und Drehung beim Absprung müssen stimmen, zumindest wenn man sich nicht verletzen will. … doch so lange dauert der Moment dann doch nicht an. Die Rotation die ich eigentlich gebraucht hätte, um aus dieser Rückenlage wieder herauszukommen und sicher zu landen, stoppt schlagartig. Einfach so. Ich sehe zwar immer noch die schöne Schneelandschaft, jedoch sehe ich mich auch kopfüber auf sie zufliegen. Zeit nachzudenken bleibt keine, zu ändern ist die Situation sowieso nicht, und in einer beängstigenden Geschwindigkeit rase ich auf die Schneedecke unter mir. Ich krache mit dem Kopf voraus in den Tiefschnee, der nun alles andere als weich ist. Ich spüre wie mein ganzer Körper zusammen gestaucht wird … Auch ein Sport wie das Snowboarden hat solche Tage, an denen man sein Brett am liebsten an den Nagel hängen möchte. Schlechtes Wetter, schlechter Schnee … dazu

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kommen die hohen Kosten. Nicht alleine die Liftkarte zieht einem das Geld aus den Taschen, sondern auch die Ausrüstung. Brett, Boots, Bindings, Pants, Jacket und so weiter. Das alles sollte dann auch nicht willkürlich zusammengewürfelt werden. Das Aussehen spielt eine große Rolle. Bunt und groß. Am besten noch bunter und noch größer. Das Teuerste daran ist, dass Qualität nun mal eben seinen Preis hat. Man möchte im Backcountry nicht mit Jacken und Hosen unterwegs sein, die einen im Falle eines Schneesturms erfrieren lassen. Da ist es geschickter, wenn man auf das Ende der Wintersaison wartet und somit oft auf den Schlussverkauf. Wie auch bei der Ausstellung „Interboot“, wo man top Ausrüstung zu top Preisen bekommt. Ein viel größeres Problem gibt es allerdings: Manchmal gehorcht einem der eigene Körper nicht. Die Gefahr daran, wenn der Körper nicht so will wie der Geist, ist dass es gerne mal zu Verletzungen kommt, die nicht immer glimpflich verlaufen. Daran, dass Snowboarden gefährlich ist, besteht kein Zweifel. Nackenbrüche, innere Blutungen und andere tödliche Verletzungen sind leider Realität. Wirft man einen objektiven Blick auf die Sache, muss man nicht allzu lange überlegen um zu bemerken, dass das Risiko einfach zu hoch ist. Nicht nur Verletzungen und Stürze fordern ihre Tribute, sondern auch Lawinen und Erfrieren wegen mangelnder Orientierung. So summiert sich die Anzahl der Toten weltweit zu mehreren Hunderten pro Jahr. Zu dieser hohen Zahl an Opfern müssen dann


noch diejenigen dazugerechnet werden, die sich „nur“ verletzen. Schlüsselbeinbrüche sind zum Beispiel sehr häufig… Leider ist es beim Snowboarden eher seltener, dass man sich leichte Verletzungen zuzieht. Oft sind sie sogar so schwer, dass man den ganzen Winter nicht mehr fahren kann. Ein Freund von mir landete mit seinem Gesicht auf seinem Knie. Die Folgen: 2-facher Kieferbruch, Nasenbeinbruch und fast die völlige Deformiereung seines Gesichtes. Sobald er jedoch seinen Mund wieder richtig öffnen konnte hörte man ihn von Snowboarden reden. Tatsächlich fragte ich mich beim Anblick seiner komplett schiefen Zähne und den geschwollenen Lippen ob es nicht doch an Wahnsinn grenzt, doch von ihm kam kein einziges Wort, dass darauf schließen lies, dass er ans Aufgeben dachte. Das Interview mit einem Anderen zu seinem Sturz vor einem Jahr ergab folgendes: „Oh ja, ich erinnere mich. So eine Scheiße. Am liebsten hätte ich geheult und mein Brett zertrümmert. Doch das Problem war, dass es schon beim Bail dran glauben musste. Einfach mal in der Mitte durchgebrochen.“ ( Nico M.) Genau wie sein Oberschenkel…

die nicht mehr vom Snowboarden wegkommen, anfangen zu glänzen. Es macht Spaß zuzusehen wie sie vom Schnee träumen, sobald es um diese Thema geht. … Nach 3 Wochen fast völliger Unbeweglichkeit kann ich nun endlich meine Schulter wieder bewegen. Die Muskeln an Hals und Schulter waren überdehnt, verkrampft und letztendlich entzündet. Das lass ich mir doch nicht von diese Kicker bieten! Immerhin haben wir zwei ganze Tage gebraucht, um ihn zu bauen und den Backflip habe ich schon über ganz andere gestanden. Nächste Woche geht es ihm an den Kragen. ||||| Johanna Machunze

Die wenigsten Snowboarder lassen sich jedoch von all diese Gefahren und negativen Aspekten einschüchtern oder gar unterkriegen. Ein gesundes Maß an Respekt vor dem, was man macht, sollte vorhanden sein, das ist in fast allen Lebensbereichen so. Auch beim Snowboarden. Es ist erstaunlich wie sehr es sich zu einer Lebenseinstellung entwickelt hat. Es ist schön zu sehen, wie die Augen derer, 17einhalb

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Zur Meisterschaft ein Grillbesteck Weltmeister, Europameister, Landesmeister, Frauen sind im Fuball sehr erfolgreich, das große Geld verdienen die Männer

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s ist Juni, und eigentlich ein ganz normaler Som- denn so habe sie gelernt, sich durchzusetzen und außermerabend, wäre da nicht diese Euphorie in der Luft. dem war dies “eine tolle Zeit”. Auch die SC Spielerin LaDurch die Straßen zieht ein schwarz-rot-goldenes rissa Hummel stand schon in frühen Jahren auf dem Fahnenmeer, denn wer keine Stadionkarte ergattert hat, Platz: „ Ich wurde da hineingeboren, da mein Vater und kommt gerade vom Public Viewing aus dem Eschholz- mein Bruder auch kickten.” park oder Mensagarten zuAuf die Unterstützung von rück. Die Deutsche Fußball Freunden und der Familie könNationalmannschaft hat genen sich allerdings nicht alle siegt und nun wartet auf tauMädchen verlassen, denn die sende Fans eine “riesen Party.” meisten Jungs sehen es nicht Ganz Deutschland hat sich gern, wenn Mädchen ihnen in vom WM Fieber mitreißen lasihrem Lieblingssport Konkursen, schließlich ist die Weltrenz machen. Da müssen sie meisterschaft im eigenen Land sich dann schon mal auf negaetwas ganz Besonderes. Auf tive Sprüche gefasst machen. den Straßen tummeln sich Aber auch die älteren GeneraMenschen aus aller Welt – ja tionen sind noch immer der man gewinnt wirklich den EinMeinung, dass Fußball nichts druck, dass die Welt zu Gast für Mädchen sei. bei Freunden ist. Dies verwundert kaum, wenn So wunderschön war die WM man in Betracht zieht, dass 2006 in Deutschland. Ein unnoch 1955 der Deutsche Fußvergessliches Erlebnis, das sich ball Bund die Damenmannbald wiederholen könnte! Nein, ich rede nicht von der WM 2010 in Südafrika, sondern von "Diese Kampfsportart 2011, wo wir erneut Gastgeberist der Natur des land eines einmaligen EreignisWeibes ses sein dürfen, der Frauenfußfremd" ball Weltmeisterschaft! Aber wird die WM 2011 wirklich wieder solch ein Sommermärchen schaften mit der Begründung, werden? Schließlich sind es Larissa Hummel gibt Tipps zur Ballführung dass “diese Kampfsportart der dieses Mal die Frauen, die um Natur des Weibes im wesentliden Titel kämpfen und Frauenchen fremd ist”, dass “Körper fußball lässt sich nur schwer mit dem der Männer verglei- und Seele unweigerlich Schaden erleiden” und dass das chen. „Zurschaustellen des Körpers Schicklichkeit und Anstand Dennoch, in den letzten Jahren hat sich einiges getan. verletzt“, verbot. Immer mehr junge Mädchen wollen Fußball spielen, Heute, fast 60 Jahre später ist diese Einstellung natürdenn Fußball ist ein schöner Mannschaftssport, bei dem lich längst überholt, dennoch findet man sehr große man mit dem Team unvergessliche Momente erlebt. Auf- Unterschiede im Vergleich mit dem Männerfußball. Die grund der hohen Nachfrage gibt es heute in nahezu je- Frauennationalmannschaft bekam für den WM Sieg dem Verein eine eigene Mädchenabteilung. “nur” 55.000 Euro, die Männer erhalten allein für eine “Früher war das anders”, weiß die Sportclub Freiburg Spie- WM Teilnahme vom DFB 300.000 Euro. lerin Martina Mooser. “Ich kickte mit den Jungs zusam- Die Stürmerin und U-19 Europameisterin Susanne Hartel men bis ich 14 Jahre war, dann war es nicht mehr er- vom SC Freiburg bringt die Unterschiede mit folgender laubt.” Dies sei für sie keine negative Erfahrung gewesen, Aussage auf den Punkt: „Als ich U-19 Europameisterin 70

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Hoher Besuch beim Füchsletag: Steffi Jones Ex- Fußballerin und Präsidentin des Organisationskomitees für die WM 2011, schaute sich die jungen Talente an.

"Als ich U-19 Europameisterin wurde, bekam ich als Prämie ein Grillbesteck" wurde, bekam ich als Prämie ein Grillbesteck.” Sie geht sogar soweit und spricht von zwei “komplett verschiedenen Sportarten”. Die Bundesligafrauen trainieren ebenso wie die Männer 5-6 Mal wöchentlich, allerdings haben sie im Gegensatz zu den Männern noch einen zweiten Beruf, denn das durch Fußball verdiente Geld reicht längst nicht aus, um davon leben zu können. Laut Susanne Hartel haben die Männer von allem mehr: Mehr Fernsehpräsenz, mehr Sponsoren, mehr Werbeverträge und dadurch letztlich auch viel mehr Geld. „Das ist alles sehr ungerecht”, findet sie. „Wir haben den gleichen Aufwand, die gleiche Arbeit und unsere Prämien sind ein Witz.” Dennoch gibt es viele Gründe, warum es sich auch als Frau lohnt Fußball zu spielen. Die Freiburger Torfrau Marissa Brunner sagt, für sie seien die Phasen, die man als Mannschaft zusammen erlebt unvergesslich und sie freue sich über jeden hart erkämpften Sieg, denn jeder Sieg sei „Gold wert“. Susanne Hartel bezeichnet die Emotionen beim Spiel und schon im Training davor als eines der schönsten Dinge an diesem Sport und die Mittelfeldspielerin Miryam Krüger, die schon mit 17 zum SC kam, nennt als eines der schönsten Erlebnisse, die der Fußball mit sich bringt das Trainingslager und dass man durch den Teamsport viele neue Freundschaften schließt. Sie war sogar bereit, für diesen Sport ihre Heimat zu verlassen und wohnt nun in einer Athletenwohnung des Olympiastützpunktes Freiburg. „Am Anfang war das für mich schon eine große Umstellung. Wenn man alleine wohnt, muss man so viele Dinge erledigen, wie zum Beispiel Wäsche waschen.” Auch Fußball und Schule sind nicht leicht unter einen Hut zu bringen, denn die SC Frauen trainieren mehrmals morgens, weshalb viel Unterricht verpasst wird. Aus diesem Grund hat der SC eigene Nachhilfelehrer, die bei der Nacharbeitung des Unterrichtstoffs helfen. Aber

auch am Wochenende haben die Fußball- Frauen kaum Freizeit, denn häufig ist der SC nach den Auswärtsspielen noch auf der Heimreise, wenn die Freunde schon Party machen. Das findet Myriam Krüger dann schon schade, aber: „Ich habe mich für den Fußball entschieden.” Und diese Entscheidung war völlig richtig, denn neben den bereits genannten Gründen, warum es sich durchaus lohnt Fußball zu spielen, besteht auch Anlass zur Hoffnung, dass der Frauenfußball an Popularität gewinnen wird. Man muss nur einen Blick in die verheißungsvolle Frauenfußball Zukunft werfen, um festzustellen, dass die Weltmeisterschaft 2011 direkt vor der Türe steht und man sich von dieser WM einzigartiges Interesse erhofft. Schon während der WM 2007 in China stiegen die Zuschauerzahlen im Verlauf des ganzen Turniers erheblich an. Beim Endspiel Brasilien gegen Deutschland in Schanghai verzeichnete das ZDF eine Einschaltquote von ca. 9 Millionen. Bei einem Marktanteil von 50 Prozent heißt das, dass jeder zweite Deutsche das Finale ver-

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Mädchen beim Slalomlauf

folgte. Die höchste Einschaltquote, die das Deutsche Fernsehen bisher erzielen konnte, gelang allerdings beim Männerfußball. Am 4. Juli 2006 lief das WM- Halbfinale Deutschland gegen Italien in 31.31 Millionen Fernsehhaushalten, das entsprach einem Marktanteil von 91.2 Prozent. Immerhin, jeder zweite Deutsche verfolgte auch das Frauen WM- Finale und das lässt auf 2011 hoffen, vor allem da die WM dann in der Frauenfußball- Hochburg Deutschland stattfindet.

Deutschland ist die Frauenfußballmacht schlechthin Martina Mooser drückt ihre Hoffnung folgendermaßen aus: „Die WM 2011 wird die beste WM werden, denn Deutschland ist dafür am besten geeignet. In der Schweiz wäre so eine WM nicht möglich, da wir kaum unterstützt werden, aber Deutschland ist die Frauenfußball- Macht schlechthin.” Allerdings bringt die Überlegenheit der Deutschen Frauen-Nationalmannschaft auch negative Effekte mit sich. Die Stimmen, welche lauthals behaupten, die Siege der Frauen seien viel weniger Wert als die der Männer, nehmen zu. Die Meinung, den Frauen fehle es an Gegnern, an denen sie sich noch messen können, ist weit verbreitet. Die Nationalspielerin Susanne Hartel sieht dieser Entwicklung jedoch gelassen entgegen: „Ich denke, dass die Leute, die Frauenfußball schauen, mehr auf unser Passspiel, die Schnelligkeit und die Technik achten. Man kann unser Spiel nicht mit dem des Gegners vergleichen.” Martina Mooser, Schweizer Nationalspielerin warnt die Deutschen jedoch vor zu viel Überheblichkeit: „Wir unterlagen der Deutschen Elf 2007 mit 0:7, 2008 verloren wir 72

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nur noch mit 0:3. Dies ist schon ein recht gutes Ergebnis, wenn man bedenkt wie klein die Schweiz im Vergleich zu Deutschland ist”. Außerdem zeigt dieses Ergebnis, dass sich das Deutsche Nationalteam nicht auf dem Welt-

Silvia Neid setzt zu sehr auf ihre "alten Hasen" ranglistenplatz Nummer Eins ausruhen darf, denn die Aufholjagd der anderen Nationen hat schon längst begonnen. Des Weiteren hat die Deutsche Elf laut Martina Mooser ein großes Problem: „ Silvia Neid, die Nationaltrainerin setzt zu sehr auf ihre “alten Hasen”. Der Umschwung muss jetzt gemacht werden, sonst veraltet die Deutsche Nationalmannschaft und wird bald überholt.” Die Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland verspricht also in jedem Fall ein spannendes Turnier zu werden und vielleicht gelingt uns sogar ein zweites Sommermärchen. Die Vorbereitungen für die WM 2011 laufen mittlerweile auf Hochtouren, der Kartenvorverkauf ist gerade erst angelaufen, schon kann sich der DFB an der regen Nachfrage erfreuen. Das größte Ziel, welches sich der Deutsche Frauenfußball gesetzt hat, gilt jedoch der Nachhaltigkeit. Der große WM Boom soll langfristig anhalten und sich auf den Vereinsfußball positiv auswirken. Auch Susanne Hartel stimmt da zu: „Wichtig ist es, dass die Euphorie und die Emotionen bis in den Bundesligaalltag gelangen” und vielleicht spring sogar ein kleiner Funke der ganzen Euphorie von der Bundesliga auf den kleinen Dorfverein über. Das wäre dann eine unglaubliche Errungenschaft für den Frauenfußball! ||||| Lisa Kopp


Meine Interviewpartner von SC Freiburg Von links nach rechts: Hinten: Lisa, Martina Mooser, Myriam Krüger, vorne: Susanne Hartel, Marissa Brunner, Larissa Hummel

Martina Moser

(Mittelfeld): Geboren: 9. April 1986 SC Spielerin seit: 2007 Beruf: kaufm. Angestellte Nationalität: CH Nationalspielerin der Schweiz Größte Erfolge: Schweizer Meisterin 2006

Myriam Krüger

(Mittelfeld): Geboren: 26. August 1989 SC Spielerin seit: 2006 Beruf: Auszubildende Nationalität: D

Susanne Hartel

(Sturm): Geboren: 2. Februar 1988 SC Spielerin seit: 2007 Beruf: Elektronikerin Nationalität: D Nationalspielerin Größte Erfolge: Meisterin 2005, 2007, Pokalsiegerin 2007, U-19 Europameisterin 2007

Und wer legt die Kohle auf den Grill? Theo Zwanziger, unser ehrenwerter Fußballpräsident, meinte jüngst, dem Frauenfußball fehle es noch an Professionalität. Dies sei jedoch völlig verständlich schließlich gäbe es den Frauenfußball erst seit 40 Jahren. Engagiert, wie er ist, ließ der Präsident diesen Worten Taten folgen und verlieh der U-19 Nationalmannschaft der Frauen, dem Europameister 2007, bei der Siegerehrung ein Grillbesteck. Auf den ersten Blick könnte man diese Auszeichnung als eine Demütigung auffassen, aber nimmt man das Grillbesteck genauer unter die Lupe, überzeugt es wirklich. Für die jungen Mädchen, fast alle unter 18, ist es bestimmt das erste Grillbesteck, das sie besitzen. Wahrscheinlich besitzen sie auch sonst noch kein Geschirr oder Besteck, denn sie wohnen bestimmt noch alle bei ihren Familien.

Marissa Brunner

(Tor): Geboren: 28. Mai 1982 SC Spielerin seit: 2006 Beruf: Studentin Nationalität: CH Nationalspielerin der Schweiz Größte Erfolge: 2005, 2007 Schweizer Spielerin des Jahres, fünfmal Schweizer Meisterin

Larissa Hummel

(Mittelfeld): Geboren: 6. Februar 1989 SC Spielerin seit: 2008 Beruf: Studentin Nationalität: D

Da war die Freude über das Grillbesteck als erster Bei trag zur Aussteuer natürlich groß, gibt es doch kein schöneres Geschenk als etwas Brauchbares. Ganz ehrlich: Niemand bekommt wirklich gerne Medaillen oder Ähnliches, denn sie haben schlicht und ergreifend keinen Nutzen. Man hängt sie sich einmal fürs Mannschaftsfoto um den Hals und dann verstauben sie zu Hause. Das Grillbesteck hingegen dient der ganzen Mannschaft. Im Trainingslager kann nun professionell gegrillt werden, was das Zeug hält. Bleibt nur die Frage, wer die Grillkohle bezahlt. Aber vielleicht bekommen die Mädchen ja einen Zehner von Herrn Zwanziger, wenn sie ihn nett darum bitten. Schließlich wurden sie ja Europameister, da greift der Freund des Frauenfußballs, auch gerne tiefer in die Tasche. ||||| Lisa Kopp 17einhalb |

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WakeUp And Feel The Beat

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ie Musik in meinen Ohren? Für manche ist sie ein Ureinwohner Australiens, der auf seinem Didgeridoo spielt. Beethovens 5. oder 9. Sinfonie. Ein Stück von anderen Klassischen Größen wie Mozart, Brahms, Schubert oder Chopin. Ein Trommler, der irgendwo in Afrika zu einem für uns fremden Rhythmus auf seine Trommeln schlägt. Oder vielleicht das leise Rauschen und Säuseln in einer leeren Muschel. Das Konzert der Vögel, die morgens den neuen Tag begrüßen. Die kleine Schwester, die begeistert auf ihrer Blockflöte spielt und vom Wiener Staatsorchester träumt, der große Bruder, der im Keller auf das Schlagzeug drischt und einmal ein berühmter Rockstar werden will. Oder doch die Helden der Generation unserer Eltern, wie die Beatles, Jimi Hendrix, die Rolling Stones, Kiss oder Led Zeppelin.

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Für WakeUp, eine Jugendband aus Freiburg, ist "Die Musik" in ihren Ohren Jazz und Soul. Jazz macht einfach Spaß, er ist locker und fröhlich aber trotzdem ein bisschen anspruchsvoll und wie bei vielen anderen Dingen auch, freut man sich über jeden neuen Erfolg. Doch ganz egal, was für jeden Einzelnen die Musik in seinen Ohren ist, denn Musik hängt immer vom Standpunkt ab, für viele ist Musik (altgr: ‚musische Kunst‘) mehr als die organisierte Form von Schallereignissen (Definition aus einer freien Enzyklopädie).

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ie Garagenzeit ist vorbei. Der Kern von WakeUp entsprang aus einem Teil der Kirchenband von St. Barbara. Dieser Kern hatte eine Mission. Die vier Jungs wollten Musik machen. Und zwar nicht irgendeine, sondern Die Musik. So begann das „Übel“


bis heute noch sind. Dem klassischen Bild einer amerikanischen Jugendband haben sie nie ganz entsprochen, denn sie wüteten in einem Konzertsaal in Littenweiler und nicht in einer Garage. Dort brachten sie ihre Instrumente und die Stimmbänder zum Glühen. Ihren Konzertsaal verließen sie nur selten, Famile, Schule, Freunde und Schlafen wurden zur Nebensache. Die vielen Stunden des Probens zahlten sich aus, denn bald darauf verließen sie ihre „Garage“ und gaben „erste Konzerte“. Für den Bassisten von WakeUp ist Musik, um es mit Karl Marx Worten auszudrücken, das Opium des Volkes. Sie holt

Gregor ''Dr. Senf'' WäschleSynthesizer, Percussion, Vibraphon, Glockenspiel und einige andere Instrumente

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BUNTE TÖNE - SCHREIENDE FARBEN

seinen Lauf zu nehmen. Doch wie ein bekanntes Sprichwort besagt, „Gut Ding will Weile haben“, entstand die Band nicht sofort bei der ersten Begegnung. Der Ort welcher, an dem sie sich zum ersten Mal trafen, war kein geringerer, als das katholische Jugendbüro in Freiburg (Jubü), welches einigen von uns aus der Jugendarbeit bekannt sein dürfte. Dort sprang der Funke mit einem Jahr Verspätung und beim zweiten gemeinsamen Auftritt endlich über. Sozusagen Liebe auf den zweiten Blick. Mit Saxofon, Schlagzeug, Bass und einem Klavier ausgestattet, waren sie bald nicht mehr aufzuhalten. Doch alle begabten Menschen brauchen irgendwann einmal neue Impulse. Frischer Wind kam zuerst in weiblicher, singender Form und dann mit einem jungen Mann, dessen Lieblinge Perkussion und Steffen PetersVibraphon waren und es Bass


Simon HeitzlerSchlagzeug

ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn er mal einen ganz besonders schlechten Tag erwischt hat und es macht ihn sozusage n „High“, wen n er

mit seiner Band so richtig „abgeht“. Das ist vielleicht auch der Grund, warum er fast nur im verbalen Austausch mit anderen keine Musik hört und sich selber als „Dauermusikhörer“ bezeichnet. Aber nicht nur die Musik an sich ist das wundervolle, sondern auch die Zusammenarbeit mit anderen jungen Menschen. Viele beherrschen ihr Instrument und sind nahezu perfekte Solisten. Doch wenn sie dann in einer Gruppe spielen, hört es sich auf einmal nicht mehr so gut an. In der Gruppe kommt es vielmehr darauf an, auf die anderen zu hören und sich auf sie und ihren Rhythmus einzulassen. Sich persönlich zurück zu nehmen, um im Zusammenspiel mit den anderen etwas völlig Neues entstehen zu lassen, ist ein Lernprozess an dem viele scheitern. Eine Band ist eine Gemeinschaft, die auf der Grundlage des gemeinsamen Hobbys gegründet wurde. Eine Band ist cool, bedeutet viel Spaß, ab und zu ein bisschen Streit. Sie bietet aber auch Raum, in dem man sich verstanden fühlt, wenn man mit dem Rest der Welt einmal nicht so ganz zu recht kommt. Zur Musik kam er wie wohl die Meisten: Daheim, im Wohnzimmer stand ein Klavier, der Klavierlehrer kam und ging und irgendwann wurde es zur Herausforderung, Jazzstücke auf dem Klavier zu spielen. Dann kam der Bass. Und mit ihm auch so einige Vorteile. Zum Beispiel Mädchen. Anscheinend üben Jungs, die Musik machen, eine ganz besondere Faszination auf Mädchen aus.… 76

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Die Band kam zu ihrer großen Liebe, dem Jazz, durch einen Film. Die Blues Brothers inspirierten sie so sehr, dass sie den Musikstil, der im zwanzigsten Jahrhundert in Amerika entstand und hauptsächlich die Musik afroam erikanischer Menschen war, übern ahmen. Doch neben dem Jazz gibt es noch eine an dere Richtung. P opmusik. Jazz und Popmusik sind nicht gerade die zwei Musikrichtunge n, die man in einem Atemzug erwähnt. Aber wie viele Jugendliche, haben auch die von WakeUp den Traum, einmal berühmt zu werden und von ihren Talenten leben zu können. Für dieses Ziel setzt WakeUp auf die im Verhältnis zum Jazz eingängigere Popmusik und arbeitete bis vor kurzem an einem Ohrwurm. Ein Lied, das einmal gehört, nicht wieder vergessen wird, ein Lied, welches durch den Tag begleitet und von dem alle sagen, „Wart mal, von wem ist das denn noch mal?“. Ein Lied, mit dem sie vielleicht sogar zum S ta dtge spräc h von Freiburg werden. WakeUp befasst sich jedoch nicht nur mit „Ohrwürm ern“, sondern auch mit Musik, die die Gesellsch aft und ihre Situation

Josef ''Joe'' HeitzlerSaxofon und Kleinpercussion


kritisiert. Themen, die viele Menschen in unserem Alter beschäftig en. Trotzdem bleibt die Liebe zum Jazz, auch wenn diese Musik schwer selbst zu komponier Sebastian Neumannen und zu texten ist. Piano Zum Glück gibt es viele berühmte und erfolgreiche Jazzmusiker, deren Stücke zum Wiedergeben und zum Variieren einladen. Die Mission der Band ist: „Die Popularisierung des Jazz im einundzwanzigsten Jahrhundert bei Jugendlichen!“ In meinen Augen ist das eine gewagte und eher unrealistische Mission, denn Jazzmusik ist nicht unbedingt die Sorte Musik, die Menschen in unserem Alter hören. Jugendliche hören aus den verschiedensten Gründen Musik, sie brauchen sie zum Leben, sie wollen nicht eine Stunde in ‚der Stille’ joggen gehen, oder weil sie manchmal nicht mit ihren Gedanken alleine sein wollen oder können. Doch die Musik, die derzeit standardmäßig überall zu hören ist, ist eher selten Jazz. Rock, Pop, Hip- Hop, Techno und House haben heute die Oberhand gewonnen. Der Zugang zur Jazzmusik fehlt den meisten Jugendlichen. Das Angebot ist zwar da, doch fehlt vielen Jugendlichen die Lust und die Initiative, sich mit Jazzmusik zu beschäftigen. Andere wiederum finden sie einfach zu langsam, „zu schwach“ und zu uneingängig. Dies ist kein Wunder, in einer Gesellschaft, in der unter anderem Geschwindigkeit, Zeit, (Laut)Stärke und Wiedererkennungswert die große Rolle spielen. Würden

die Urväter des Jazz das heute mitbekommen, sie würden, glaube ich, ''Popularisierung des schreiend Jazz im davon laufen.

einundzwanzigsten Jahrhundert bei Jugendlichen!''

Ihrem Wunsch, einmal berühmt zu werden, kommen sie in diesem Sommer einen kleinen/großen Schritt näher: Mit Hilfe des katholischen Jugendbüros, guten Verbindungen und ein bisschen Glück erhielten sie ein großes und vielversprechendes Angebot. Zusammen mit tausenden anderen katholischen Jugendlichen nehmen sie an der Rom-Wallfahrt 2010 teil und spielen dort mit bekannten Musikern vor einem riesigen Publikum. Darauf richten sie im Moment ihre ganze Kraft und Konzentration aus, wobei der Jazz wieder einmal zu kurz kommt. Für ihren großen Auftritt in Rom hat WakeUp weitere stimmliche Unterstützung rekrutiert. Vielleicht zahlt sich das große Engagement der Band aus und in Rom hört ihnen jemand zu, der von den Jungs und Mädels begeistert ist und der die richtigen Mittel und Connections hat. Wer weiß, vielleicht wäre in 20 Jahren manch ein anderer gerne an meiner Stelle gewesen und hätte über die Anfänge der weltweit berühmten Band WakeUp geschrieben.

||||| Johanna Drews

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“Was wir mit der Band versuchen auszudrücken ist diese Fröhlichkeit und dieses Glücksgefühl - das verbinde ich einfach mit Reggae" Sebastian von Panama Riddim Section

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Oh, wie schön ist Panama! Panama liegt im schwäbischen Sulz am Neckar. Es ist das Jugendzentrum, in dem neun junge Musiker ihre Reggae-Band “Panama Riddim Section” gegründet haben. Mittlerweile ist der Großteil der Band nach Freiburg gezogen, von wo aus sie nun ihren Reggae, Ragga und Ska verbreiten.

W

ir haben eigentlich immer Musik gemacht, weil es uns Spaß gemacht hat, gar nicht um irgendwann mal aufzutreten”. Dass die Musik ihnen Spaß macht, glaubt man sofort und man ist froh, dass Panama Riddim Section es geschafft haben, als Band ihre Songs auf Festivals und in Clubs zu spielen und “positve Vibrations” zu verbreiten… So auch heute Abend. Jazzhaus Freiburg, 20 Uhr. Sobald die ersten Klänge ertönen und der bekannte Reggae-Rythmus erklingt, beginnen schon die ersten Leute, wenn auch noch zaghaft, sich zu bewegen. Das wird sich spätestens ändern, wenn die neun jungen Musiker ihr bekanntestes Lied “Panama” spielen, dann werden alle Konzertbesucher mit einstimmen “Panama is the sound of the people, Panama- We don’t want no evil, Panama is the sound of redemption, Panama- We don’t want no frustration”. Doch das erste Lied ist zunächst ein Medley aus vielen der Songs des ersten Studio Albums “Well ChargedReggae, Ragga, Ska outa Freiburg”. Das zweite Album steht praktisch schon vor der Tür und ''Panama is the wurde Ende 2009 ebenfalls in Freiburg sound of the aufgenommen. Der Titel people...'' des Albums darf zwar noch nicht verraten werden, “ich bin mir auch noch nicht sicher, ob der Albumtitel definitv sein wird. Bei neun Leuten, die alle gleichstimmberechtigt sind, ist es gar nicht so einfach, sich für einen Titel zu einigen”, sagt Sebastian, einer der Sänger von Panama Riddim Section. Auch der letzte Albumtitel sei mehr durch Zufall entstanden und solle soviel heißen wie “Gut drauf”. Mit “Gut drauf” können sich die Leute während des Konzerts im Jazzhaus bestens identifizieren. Besonders die Ska-Parts wie bei “Fly Away” sind, wie ich bei der anschließenden Befragungen einiger Leute erfahren konnte, sehr beliebt. Insgesamt ist die gute Stimmung des Konzerts das, was von den Besuchern als “das beste”, “einzigartig” und “absolut partykompatibel” beschrieben wird. Auf die Frage, wie der Band diese auffallend positive, gute Stimmung gelingt, muss Sebastian erst einmal lachen und meint dann: “Keine Ahnung, vielleicht liegt es daran, dass wir das alles ohne jeglichen Zwang machen können. Das ist unser Hobby, das macht uns Spaß

und so kommt es glaube ich auch rüber. Das heißt, so soll es rüber kommen, das ist unser Plan.” Außerdem seien die Ska- Parts ja auch eine Abwechslung für die Band, die nicht nur fünf Minuten lang drei Akkorde spielen möchte. Und sie sind dazu da, die Leute zu animieren “auch mal ein bisschen abzuspacken”.Was Sebastian persönlich auch gut findet ist, dass nicht nur Leute zu den Konzerten der Panama Riddim Section kommen, die ausschließlich Reggae hören, sondern ''Man merkt auch Leute, die eben, dass die nicht so fokussiert sind und sich gerne von der Band eine Einheit Stimmung mitreißen lassen. Dies ist...'' habe ich von einer Frau Anfang zwanzig nach dem Konzert erfahren. Sie hatte raspelkurze, rote Haaren und eine schwarze, modische Brille (also nicht der oft gesehene Alternative-Dreadlock-Typ, den ich auch ein paar Mal auf dem Konzert gesichtet habe) und meinte: “Dafür, dass ich ansonsten null Reggae höre, war es einfach genial. Man merkt eben, dass die Band eine Einheit ist und harmonisiert”. Die Bandmitglieder sind nicht nur eine Einheit, weil sie gemeinsam Musik machen, sondern kennen sich teilweise schon aus der frühsten Kindheit. Der Kern der Band besteht aus Moritz (Sänger), Matze (Sänger und Saxophon), Sebastian (Sänger und früher Gitarre), Buddy (Schlagzeuger), Buchan (Gitarrist) und Philipp (der zwar auch Schlagzeug spielt, aber meistens an den Percussions ist). Sie kommen alle aus dem selben Ort, Sulz am Neckar. Zu der jetzigen Formation der Band gehören außer diesem Kern noch Bassist Axel, Keyboarder Dominik und Trompeter Marcus. In Sulz am Neckar gibt es das Jugendzentrum Panama, in dem die sechs Musiker den größten Teil ihrer Jugend vebrachten, wo sich dann alles entwickelt hat und nach 17einhalb |

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dem sie sich als Band benannt haben. “Unser allererstes Konzert haben wir bei uns im Jugendzentrum Panama gegeben”, erinnert Sebastian sich zurück. “Früher haben wir zwar auch schon ein bisschen Musik gemacht, aber richitg beschlossen, dass wir eine Band gründen, haben wir im Sommer 2002 im Urlaub am Atlantik”. Die erste Demo- CD hieß somit “Reggae, Ragga, Ska outa Neckarvalley”.

bracht. Auch Streit bleibt bei so vielen Mitgliedern mit unterschiedlichen Meinungen natürlich nicht aus. “Zoff gibt es eigentlich ständig, also was heißt Zoff, es gibt viele, viele Diskussionen bei uns. Teilweise nur um die Frage wie ein einzelner Takt gespielt werden soll. Aber der Vorteil ist einfach, dass wir schon ewig Freunde sind, da kann man sich dann auch mal streiten, das ist kein Thema”, erklärt Sebastian.

Nach dem Abi einiger Bandmitglieder wohnte kurzzeitig der Großteil der Band Die Freundschaft der Bandmitglieder in Freiburg, wodurch das Musikmachen wurde noch enger, als sie im Sommer sich hierher verlagert hat. Mittlerweile 2009 auf Tour quer durch Deutschland wohnen zwar einige Musiker in anderen unterwegs waren. “Es war es eine tolle Städten, wie beispielsweise Buchan in PaErfahrung und Bereicherung für die Band, derborn oder Philipp in Köln, trotzdem ist trotzdem war auch alles ziemlich chaoder Mittelpunkt der Band Freiburg geblietisch, wir haben ja alles selbst organiben. “Natürlich ist es stressig, manche siert und hatten so etwas davor noch von uns studieren ja noch und der Rest nie gemacht”, erzählt Sebastian. Es gab arbeitet”, sagt Sebastian, “dadurch und dass wir relativ Konzerte mit teilweise vielen begeisterten Leuten, aber verstreut sind, ist es nicht leicht, alles unterzubringen, auch eines, zu dem nur zwölf Leute kamen. Einerseits aber mindestens einmal im Monat treffen wir uns dann eine komische, aber andererseits auch eine witzige Erhier in Freiburg in unserem Proberaum, der fahrung. Die Band hat nicht nur Erfahrungleichzeitig ein Tonstudio ist und proben gen innerhalb Deutschland gesammelt, ''Besonders der ein Wochenende lang durch”. hat bereits Konzerte in der Auftritt in Polen war sondern Schweiz, Frankreich und Polen gegeben. abgefahren...'' Auch wenn jeder ein Baustein der Band ist und jeder seinen Teil zur Musik beiträgt, “Besonders der Auftritt in Polen war ist die Rollenverteilung beim Songschreiben doch recht schon abgefahren”, erzählt Sebastian begeistert, “wir klar definiert. Moritz, Matze und Sebastian schreiben haben mal hier in Baden-Württemberg in einem Club die Texte, und das Musikalische findet sich beim Proben gespielt und dort war ein polnischer Austauschstudent. spontan oder eigene Ideen werden in die Songs miteingeUnd er meinte, er hole uns nach Polen, irgendwann. Wir haben alle gedacht, ja klar, bestimmt. Aber dann hat er irgendwann wirklich angerufen, dass wir auf einem riesigen Das 1x1, um einen Reggae-Song richtig zu verstehen: Festival spielen dürfen. Die haben uns dort angekündigt, als wären wir hier in Jah –> Bezeichnung für den Gott der Rastas (je nach Gruppierung, meistens aber Haile Selassie) Deutschland total bekannt und entZion –> steht für alles Gute, Tradition, Geschichte, Äthiopien, Heimat, sprechend waren dann auch die Leute. Freiheit, Gemeinschaft usw. Da waren echt so knapp 5000 Leute, Lion –> die Löwensymbolik dient den Rastas zur Identifizierung mit das war wirklich ein krasses Konzert Äthiopien und mit Haile Selassie, er steht für afrikanisches Selbstbeund hat Spaß gemacht.” wusstsein, Kraft und Unbesiegbarkeit / Dreadlocks erinnern zudem an Löwenmähne Live-Mitschnitte von Konzerten und Irie –> Zustand von Vollkommenheit, Zufriedenheit und Harmonie / Songs des Albums können übrigens kann sich auf Wohlbefinden einzelner Rastas oder auch auf die “posiauch auf der Myspace Seite der Riddim tive Vibrations” innerhalb einer Gruppe beziehen / wird außerdem als Section angehört und angeschaut werGrußwort benutzt den. Da die neuen Medien, insbesondeI-n-I –> so bezeichnen sich zwei oder mehrere Rastas, drücken damit re Myspace, schon einigen jungen sowohl Individualität als auch ihre Gleichberechtigung, VerbundenKünstlern zum Erfolg verholfen haben, heit und gemeinsame Erfahrung der göttlichen Kraft Haile Selassies frage ich Sebastian, ob er denkt, dass aus die Myspace-Seite eine gute MöglichGanja –> Marihuana, Rastas definieren ihr Ganja nicht als Droge, sonkeit sei, um Fans zu bekommen oder ob dern als Heilpflanze, bzw. heilige Pflanze (”Weed of Wisdom”), das im Endeffekt immer noch die Auftritte Rauchen ist ein zentrales religiöses Rasta-Ritual entscheidender seien, um die MenBabylon –> steht allgemein für jede Art von Unterdrückung und Ausschen von der Musik zu überzeugen. beutung, für Hass und Krieg zwischen den Menschen, für EntfremSebastian meinte dazu, dass die dung und Entwurzelung, kann aber auch für vieles mehr, wie bspw. Myspace-Seite natürlich extrem wichden Kapitalismus stehen tig sei, gerade um die Musik einer breiteren Masse zugänglich zu machen. 80

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Rastafari

des äthiopischen Kaisers Haile Selassie, der Ras Tafari Makonnen Rastafari ist eine Glaubensbewehieß. Er gilt für die meisten Rastas gung, die in Jamaika in den 1930er als lebendiger Gott. Wobei es Jahren begann und mittlerweile schwierig ist, von “den” Rastas zu weltweit verbreitet ist. Die Mehrsprechen, weil die Bewegung noch heit der Rastas definieren sich jenie eine homogene Einheit war, sondoch nicht als jamaikanisch, dern schon seit ihrer Entstehung sondern afrikanisch, bzw. äthioaus vielen Gruppen besteht (z.B. pisch. Afrika ist für sie das gelobte den “Twelve Tribes of Israel” oder Land, Zion. Während Jamaika für sie den “Bobo Dreads”), bei denen teilBabylon ist und nur ein vorrüberge- weise die Kultur, Symbolik, Ziele hendes Exil darstellt. Der Begriff Ra- usw. variieren können. Die Nachstafari kommt vom Geburtsnamen richt von Haile Selassies Tod 1975

bedeutete jedoch nicht das Ende der Rastafari-Bewegung. Denn der Aufstieg des Rasta-Reggae-Sängers Bob Marley zum “ersten Superstar der Dritten Welt” ermöglichte eine internationale Verbreitung der Reggae-Musik und damit auch der Botschaft von Rastafari.

Quelle: “Rastafari: Von Babylon nach Afrika” von Volker Barsch

Trotzdem sei ein gutes Live-Konzert fast noch entscheidas alles so völlig zu adaptieren. Es ist einfach eine zu dender, da dort einfach mehr an das Publikum übertragroße Diskrepanz, ein ganz anderes Erleben und damit gen werde. Er hält eine Kombination aus beidem auf nicht wirklich zu vergleichen. Zwei Welten einfach.” jeden Fall für das Beste. Myspace sei außerdem eine gute Möglichkeit, mit Bands Kontakte zu knüpfen. “Zum Trotzdem ist Sebastian der Meinung, dass bestimmte Beispiel mit Bands in Südamerika. Es gibt’s Texte und Schlagwörter einfach zum Reggae echt immer mal wieder, dass man dort von "Das Zentrale dazugehören und dass es gut ist, auf MissBands hört, die nicht zu bekannt sind, wo ist einfach die stände hinzuweisen, oder es zumindest zu man aber denkt: hey, das ist ja cool". versuchen. “Ich glaube, das Zentrale ist einMusik" fach die Musik. Was die Musik rüberbringt, Insgesamt kenne man sich recht gut in der was die Musik ausstrahlt und was die Musik Reggae-Szene, vor allem bestehen Kontakte zu Bands für einen darstellt, dazu braucht man die Glaubensbeund Künstlern, bei denen man als Vorband oder mit dewegung nicht unbedingt. Und das ist auch, was wir vernen man gemeinsam gespielt hat. So beispielsweise zu suchen weiterzugeben”. Jahcoustix, “ein seher netter Kontakt”. Auch mit einigen Bands aus Stuttgart sind Panama Riddim Section befreunDie Ideen der Rastafari-Bewegung wurden durch Bob det. Aus Freiburg sind sie mit den Leuten des Ruffsong Marley weltweit verbreitet, ist er aber auch das klassiMovement (die unteranderem manchmal freitags im Freische Vorbild für eine Reggae-Band? “Angefangen haben burger Klub Kamikaze auflegen) ganz gut befreundet: wir in unserem Jugendzentrum mit Bob Marley. Nicht “Der Marc, der DJ von der Band, hat bei Moritz’ Hochnur mit ihm, aber der ist irgendwie immer dabei, da zeit aufgelegt, das war auch ganz witzig”. kommt man nicht so ganz drum rum”. Dennoch habe jedes Mitglied in der Band seiZurück ins Jazzhaus zum Konne eigenen Vorbilder und musizert. Dort wurden außer dem kalische Vorlieben, Buchan Klassiker “Dreadlock Holiday” beispielsweise höre auch viel (”I don’t like Reggae, I love it”) im Jazz- und Blues-Bereich, gar auch einige Songs des neuen nicht unbedingt nur Reggae. Albums gespielt. UnterandeAber genau dieser Mix verrem “Jah Fire” und “Jamaica”. schiedener Vorbilder sei bereiBevor dieser Song gespielt chernd für die Band. wurde, hat Moritz klarge“Vielleicht auch Bands wie stellt, dass sie als Band zwar Jahcoustix, mit denen man noch nie in Jamaika waren, sich trifft und unterhält, die aber trotzdem an Jah glauben, und hoffen, das es etgute Musik machen und total nett sind. Sie beeinfluswas gibt woran die Menschen im Publikum glauben, sei sen einen auf jeden Fall”. es Allah oder Gott. Hat die Band eine besondere VerbinFür die Panama Riddim Section ist Reggae einfach etwas dung zur Rastafari- Bewegung? Sebastian meint dazu, total Positives und total wichtig für ihr Lebensgefühl. dass jeder für sich herausfinden muss, was Gott für ihn Sie verbinden mit ihrer Musik gute Laune, Fröhlichkeit, bedeutet. Es gebe viel Positives beim Rastafari, doch haGemeinschaft und “dieses” Glücksgefühl, das sie versuben Reggae- Texte für Menschen wie sie, die in Deutschchen auszudrücken und an das Publikum weiterzugeland in mehr oder weniger behüteten Elternhäusern ben. Und dies werden sie zum Glück auch in Zukunft aufgewachsen sind, eine ganz andere Bedeutung, als weiterhin versuchen. Im nächsten Sommer wird es dann wenn sie von einem Jamaikaner gesungen werden. “Es ist bei zahlreichen Festivals und Konzerten wieder heißen: schwierig einen direkten Draht zur Bewegung zu finden. “Panama is the sound of the people…” |||| Josepha Schweizer Ich glaube es wäre auch nicht ganz richtig und ehrlich, 17einhalb |

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V i v e l a

M o d e Freiheit, Gleichheit, ...Mode – Was für eine Rolle spielt die Mode im Alltag von Jugendlichen? Machen sie sich Gedanken darüber was man über ihre Kleidung denkt und/oder achten sie nur auf ihren eigenen Geschmack? Sechs Uhr fünfzehn: Zeit zum Aufstehen. Hellen schaut in Ihren Kleiderschrank, er platzt aus allen Nähten: „Was soll ich heute bloß anziehen? Linda hat wieder so ein schönes Kleid! Von H&M? Ich muss auch mal wieder shoppen gehen …“ Ein Blick in den Geldbeutel – „Mist!“ – und die Sache hat sich erledigt, vorerst. Sieben Uhr: Im Flur begegnet ihr Papa: “Mensch Kind, bei den Temperaturen wirst du noch krank, wenn du halbnackt herumläufst.” Sieben Uhr zwanzig: Mama kommt gerade vom Bäcker: ”Moment mal mein Fräulein, in diesem Aufzug willst du doch nicht etwa in die Schule gehen? Man sieht ja deinen Bauchnabel. Du gehst rein und ziehst dir etwas Längeres an! So freizügig gehst du mir nicht aus dem Haus!” Schnaubend läuft Helen in das Haus zurück: “War ja klar, dass die mal wieder keine Ahnung von Mode haben“. Das war früher auch nicht anders: bis in 19 Jahrhundert hinein gab es vorgeschriebene Kleiderordnungen, die auf 86

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diese Weise die sozialen Unterschie- sind, müssen sie bei den Kleidergröde erkennbar machten. Wir können ßen zu L greifen und haben dann im heute zum Glück unsere Kleidung Hinterkopf, dass den Freundinnen M frei wählen, eingeschränkt von unse- oder S passt. Durch den Zwang so ren finanziellen hübsch und schlank Der Mode entkommt sein zu wollen wie Möglichkeiten, Berufen und Müttern. man nicht. Denn auch die Models im FernWelcher Bänker wenn Mode aus der sehen, unterdrückt oder Steuerberater man sich selbst und könnte denn ohne Mode ist, ist dies schon gerät selbst in die wieder Mode." Krawatte zur Arbeit „Diktatur der Mode“. kommen? Doch ist Die Größen heutzuKarl Lagerfeld es wirklich ein tage entsprechen gar Glück? Heutzutage werden oft jun- nicht mehr den aktuellen Maßstäge Menschen gemobbt wenn sie ben, denn die Deutschen nehmen nicht rumlaufen wie Modepüppchen. laut Studien immer mehr zu. Das Modetrends und unterschiedliche Fa- Problem soll dadurch gelöst werden, milienbudgets führten auch schon dass mehr größere Größen angebobei einigen Schulen zur Einführung ten werden und öfters fülligere Movon Schuluniformen. dels gezeigt werden sollen. In Freiburg gibt es inzwischen auch Von dem Bestreben die menschli- Läden für kurvigere Frauen zum Beichen Bedürfnisse über Eitelkeit und spiel Femme Formeidable. Aussehen zu wecken lebt die ganze Modebranche. Eingeschränkt in der Es ist Samstag. Helen geht zu H&M: Auswahl modischer Kleidung ist man „Oh nein, hab ich schon wieder zujedoch auch durch seine Körperfor- genommen? S passt nicht mehr!“ men. Sind die jungen Frauen schlank Das waren zu viele Plätzchen, denkt und groß haben sie eine große Aus- sich Helen. Weihnachten hat jedoch wahl, wenn sie jedoch etwas fester auch seine gute Seite, sie hat wieder


Geld, um sich ein schönes gestrick- um sich von ihnen absetzen zu kön- Vielleicht so: „Mode fordert Lust am tes Kleid zu kaufen. Es kommen echt nen. Da stellt sich aber die Frage wer Schönen, an Farben, Linien und Forwieder die alten bestimmt was die „ak- men.“ Wie sieht es eigentlich mit unTrends, die Schlagtuelle Mode“ ist? Die seren Gefühlen aus? Ändern wir "Bei Mode geht es hosen (die man sich Antwort ist in erster nicht alle unsere Kleidung bei unterdarum, Sachen zu erst mal getrauen Linie die Designer, die schiedlichen Gefühlslagen? In der tragen, die einem muss anzuziehen, sich überlegen was Farblehre werden Farben direkt mit stehen." findet Helen) und den Kunden gefallen unterschiedlichen Stimmungen verrichtige Hippie-Blüm- Vivienne Westwood könnte. Wir, die Konsu- bunden. Stellt sich die Frage: In welchenkleider. „In welmenten, die aus al- cher Stimmung kaufe ich mir neue chem Laden könnte ich noch lem, was in den Läden ist, Mode und achte ich noch darauf shoppen? Blöd, dass es hier keinen auswählen, was uns gefällt und was welche Kleider ich schon im KleiderZara und Mango gibt.“ Also geht sie wir tragen wollen entscheiden wie schrank hängen habe? erst mal in den McDonald einen Chi- lange es in der Mode bleibt. Da jeckenburger essen obwohl sie sich vor- der Mensch jedoch etwas haben Helen wohl eher nicht. Nach der genommen hatte gesünder zu Essen. will, was die anderen nicht haben, Shoppingtour, fragt ihr Bruder sie, ob Doch wie so oft überwiegt die Lust kreiert er sich eine Anti-Mode die sie schon weiß wen sie wählen soll? am Essen dem Zwang in enge Kleider dann von andern bewundert wird Helen antwortet:” Sind etwa wieder zu passen. Plötzlich fällt ihr ein, dass und ruck-zuck ist die Anti-Mode Up- Wahlen? Ich hab nur Plakate von der am Samstag Single Night ist: „Ich to-date. Freiburger Modewoche gesehen.” brauche noch goldene Ohrringe zu meinem neuen Kleid.“ Also geht sie Modetrends entkommt man kaum. Ist es wirklich schon so weit, dass zu Müller in die 2. Etage. Auf der Roll- Denn wenn eine bestimmte Farbe mo- Mode genauso wichtig ist wie Politreppe trifft sie Sina. dern ist, ist es so gut wie unmöglich, tik? Nein, soweit bestimmt noch modische Kleidung in einer anderen nicht, aber sie macht genauso viele „Was hast du bei H&M gekauft? Farbe zu finden. Wie letzten Herbst Schlagzeilen. Doch nicht etwa so ein Blümchen- zum Beispiel “Lila” oder die „Longkleid, dass jetzt jeder hat?“, frägt Si- champ Handtaschen“ mit denen je- In den letzten Jahren gab es immer na. “Na und! Ich hab es ja nicht des dritte Mädchen in Freiburg wieder Skandale um magersüchtige deswegen gekauft, sondern weil es herumläuft. Mode beginnt in dem Models, mehrere sind wegen ihres mir gefällt”, erwidert Helen genervt. Moment, in dem Magerwahns sogar “Du steckst total im Gruppenzwang die Lust am Neuen "Die Mode ist vielleicht schon gestorben. und du bist mit deinem Kleidungsstil gegenüber funkMehr als zehntaukeine Waffe der Frau, gar nix besonderes mehr”, erwidert Si- tionalen Erwägunsend Models weltaber sie liefert ihr na. Naja okay, vielleicht hat sie ja gen in den weit hungern sich in wenigstens die Munition." die sogenannte „SiRecht, überlegt Helen. Vordergrund rückt. Brigitte Bardot Mode bedeutet ze-Zero-Größe“ (kleiWenn man hört, dass eine Freundin den ständigen ner als Größe 34) in der Schule für ihr neues Kleid be- Wechsel, denn die alten Trends wei- um den Konsumenten Mode zu präwundert wird, möchte man auch et- chen den neuen Trends, sentieren, die die ziemlich große was haben, für das man bewundert Mehrheit der Modeinteressierten wird. Man möchte mit seinen Klei- Mode lässt sich kombinieren und deswegen gar nicht tragen kann. dern Aufsehen erregen, meistens po- hebt so deinen Individuellen Stil her- Zwar fangen Zeitschriften wie „Brigitsitives. Was jedoch ist mit den vor, Mode kommt auch nicht immer te“ damit an, keine Size-Zero-Models Leuten, die den Anschein machen, aus der Gegenwart: Wer trug vor mehr in ihren Heften abzudrucken, als wäre es ihnen egal wie sie rum- den jungen Leuten von heute schon doch wie lange wird es dauern bis laufen? Haben die einfach keinen Ge- Jesussandalen, Miniröcke oder blu- die gesamte Modewelt von Armani schmack und keine Mode? Für diese mengemusterte Kleider? Die Hippies. bis Yves Saint Laurent bemerkt, dass Menschen ist es nicht so wichtig, Mode ist vielseitig wie eine Farbpalet- keine breite Masse ihre Kollektionen wie sie sich kleiden. Sie haben andere te. Klar, einerseits sollen uns unsere jemals tragen wird? Prioritäten. Irgendetwas Modisches Kleider hübscher machen, gleichzei- Vielleicht ist es aber genau dass, hat eigentlich jeder, denn jedes Klei- tig aber uns von den anderen abhe- was die Modeschöpfer uns sagen dungsstück, jedes Asseccoire und so- ben, unterscheidbar und individuell wollen: Die Mode ist nicht(s) für jegar Handys werden als Mode machen. Manchmal soll sie jedoch den. bezeichnet. auch zeigen, dass wir zu einer bestimmten Clique oder anderen Grup- Helen steht vor ihrem KleiderWenn Menschen glauben, dass sie pe gehören. schrank. Sie entscheidet sich dafür, sich der Mode verweigern können, Man kann Mode mit Entwicklungen ihr altes kariertes Lieblingskleid anstimmt das eigentlich nicht. Denn so- erklären: ob politisch, sozial oder zuziehen. In der Stadt wird sie angegenannte “Anti-Moden” beziehen ökonomisch einfach ist es nicht, dass sprochen: „Du siehst echt gut aus, sich immer auf die aktuelle Mode, Phänomen Mode zu beschreiben. darf ich dich auf ein Eis einladen?“ 17einhalb |

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"Bei der Mode bleibt die Individualität auf der Strecke" In der Schule, erregt sie oft Aufsehen wegen ihres Aussehens. Sie zeigt offen, dass ihr Modetrends nicht wichtig sind. Cosima ist 18, mit ihrem Kleidungsstil fühlt sie sich frei, will aber auch provozieren. einpflanzt: nämlich, dass Punks auf der Straße leben und ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Es gibt mit Sicherheit welche, auf die das zutrifft, allerdings würde ich so etwas dann nicht als “Punk” bezeichnen. Dass damit die ganze Szene auf ein Bild, das ein paar Idioten vermitteln, reduziert wird, empfinde ich als störend. Durch meinen Kleidungstil kann ich zwar nicht die Welt verändern, aber die Leute können am eigenen Leib erfahren, dass diese Vorurteile veraltet sind.

Ist Mode für dich ein individuelles oder eher ein Gruppending? Mode ist meiner Meinung nach eher ein Gruppending. Zwar gibt es Haute Couture, die meist sehr ausgefallen und mehr als Kunstwerk zu betrachten ist, doch im normalen Alltag bedeutet Mode für mich Anpassung an die Masse. Mittlerweile wird es auch immer schwerer sich dem zu entziehen: egal ob bei H&M oder Esprit, es wird ja überall nur noch dasselbe verkauft.

Findest du die Behauptung richtig, dass Punks sich gegen die Mode auflehnen, rebellieren?

"Ich möchte mich nicht der breiten Masse anpassen" Cosima hat eigene Vorstellungen von Mode Was bedeutet dir Mode? Was interessiert dich daran? Cosima: Über einen gewissen Zeitraum gewisse Kleidungsstücke als chic zu empfinden, interessiert mich eher weniger. Ich finde da bleibt die Individualität auf der Strecke. Allerdings finde ich die verschiedenen Arten, wie man sich kleiden kann, und was für verschiedene Ausstrahlungen ein Mensch damit erzielen kann, sehr interessant.

Was denkst du von Anpassung an Mode und die neusten Trends? Wem das gefällt, der soll das ruhig machen. Für mich ist das nichts!

Wie ist es dazu gekommen, dass du dich ausgefallener kleidest als andere? Das ergibt sich glaube ich aus der Einstellung, die man zum Leben hat. Ich persönlich möchte mich nicht der breiten Masse anpassen und im Einheitsbrei untergehen.

Was möchtest du mit deinem Stil ausdrücken? Zum einen bedeutet es für mich Freiheit, weil ich meine Kleidung einfach so gestalten kann, wie es mir gefällt. Auf der anderen Seite ist es auch ein Spiel mit den Vorurteilen. Viele Leute glauben immer noch, was RTL ihnen 88

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Natürlich hat Punk mit Rebellion zu tun, aber ich würde das jetzt eher weniger auf die Mode beziehen. Es gibt ja auch viele andere Subkulturen, die ihren eigenen Kleidungstil entgegen der Mode entwickelt haben, wie z.B. Hippies, Skinheads oder Gothiks. Allerdings kann man sagen, dass es bei Punk auch Szenenintern mehr Abwechslung gibt, da es keinen festgelegten Dresscode gibt und eher nach dem Prinzip DIY (”Do it Yourself”) gelebt wird.

Wie gehst du damit um, wenn du merkst, dass dich andere blöd von der Seite anschauen? Ich bekomm eigentlich mehr positive Rückmeldungen, als negative! Viele Leute bewundern meine bunten Haare und dass ziemlich viel an meiner Kleidung selbst genäht oder zumindest bearbeitet ist. Generell kann man aber sagen, dass Jugendliche intoleranter als ältere Menschen sind. Da kriegt man schon eher mal einen blöden Kommentar hinterhergerufen, aber das kann ich eigentlich nur belächeln. Wer sich nicht traut mir seine Meinung ins Gesicht zu sagen, dessen Meinung interessiert mich nicht und kann ich auch nicht ernst nehmen.


"Mode als Beruf" Ein Interview mit Marie-Sophie (19) - Sie möchte nach dem Abitur Modedesign studieren Gibt es Rebellion gegen die Mode? Ich würde sagen, Mode ist Rebellion. Du ziehst an, was du willst, wie du willst und wann du willst, passt dich nicht an. Rebellion gegen Mode – das heißt für mich Aufstand gegen Trends, gegen Vorgedachtes, Vorgemachtes, vielerorts Getragenes. Jeder sollte sich selbst definieren.

Muss man sich den aktuellsten Trends anpassen? Überhaupt nicht! Anpassung verdrängt Individualität komplett. Ein Muss steht für mich, was Kleidung betrifft komplett im Hintergrund. Das Wollen an erster Stelle. Wenn man sich anpasst, schwimmt man im Strom der Masse mit, das ist langweilig.

Wie stellst du dir den Job eines Modedesigners vor? Inspirierend, aber anstrengend. Hart, aber doch begeisternd und interessant. Ich verbinde diesen Beruf mit Kunst. Er sollte das Können haben, Kontinuität zu schaffen, und die Fähigkeit, einen eigenen Stil zu entwickeln, außerdem Ausdauer, Fantasie, Inspiration, Organisationstalent, technische und zeichnerische Fähigkeiten

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

"Jeder sollte den Freiraum haben, sich so zu kleiden wie er möchte" Was bedeutet Mode für dich? Marie: Für mich ist Mode Kunst, ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, provozierend, schamlos, Faszination. Mode ist Sinnbild von Schönheit und Individualität, sie ist international, Eleganz, oft kommerziell, immer zeitgebunden: Schaue ich mir Menschen an, so sehe ich in ihnen unsere Zeit wiedergespiegelt. Kleider zu kreieren ist also eine Auseinandersetzung mit dem Jetzt.

Ist Mode ein individuelles oder ein Gruppending? Dass man einer Gruppe angehört kann sich durch gleiche Kleidung äußern, nehme man Punks, Rocker, etc. Man zeigt dann Zusammenhalt und Gruppengeist. Dennoch bin ich der Meinung, dass jeder den Freiraum haben sollte, sich so zu kleiden wie er möchte.Individuali tät steht imZentrum.

Ich kleide mich gerne feminin, elegant und doch lässig. Ich liebe es mein Outfit mit Kleidungsstücken, die einmal meine Großmutter trug, zu kombinieren. Mit Farben zu spielen. Ich kreiere, zeichne und male Mode sehr minimalistisch. Ich suche. Wenn ich male finde ich, was ich in mir nicht gesehen habe. Ich liebe es zu experimentieren, auf riesige Leinwände zu malen, bevor ich skizziere, dann sind die Figuren voller Leben, die Linien in Bewegung, die Formen abstrakt.

"Angesagt": H & M (Schweden), in Freiburg Anouk (Schweiz), in Freiburg Zara (Spanien), in Mulhouse, Basel, Strasbourg Mango ( Spanien ), in Basel Miu Miu (Mailand ), in München

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"Meine Kleider kaufe ich meistens in Sportgeschäften" Von Glamourös bis Ausgeflippt – in Freiburgs Innenstadt kann man viele Jugendliche mit verschiedenen Stilen beobachten. Mein Name ist Femmy (22) und ich komme aus Indonesien, wo ich mein Kunststudium gerade abgeschlossen habe. Ich höre gerne Rammstein, Elektromusik und manchmal auch Hip-Hop. Kleider haben eine Bedeutung für mich, unter anderem, weil ich an Kunst und Design interessiert bin, aber auch weil sie entscheiden, wer die Trägerin oder der Träger ist. Meine Kleider kaufe ich meistens in Sportgeschäften, da es dort meine Lieblingsmarke Adidas gibt. Meinen eigenen individuellen Kleidungstil würde ich als einfach, aber auch sportlich beschreiben, ich ziehe an, was mir gefällt. Für meine Kleider gebe ich circa 150 Euro im Monat aus, wenn jedoch eine neue Saison beginnt wie der Winter und ich eine neue Jacke brauche, kann es auch manchmal mehr sein. Ich bin Lea (16) und bin auf dem Rotteck – Gymnasium. Meine Lieblingsmusikrichtung ist Rock und Hip-Hop. Politisch interessiert bin ich eher weniger, dafür umso mehr modeinteressiert. Meine Klamotten kaufe ich bei H & M und Yum Yum, oder meine Oma strickt mir Accessoires wie die grüne Mütze. Wenn ich gerade nicht im Schulstress bin, nähe ich mir auch gerne selber kreative T- Shirts, somit gebe ich im Monat auch nicht mehr als 15 Euro für Kleider aus. Die Bedeutung von Mode ist unterschiedlich, aber für mich spiegeln meine Kleider meine Seele wieder bzw. wer ich bin. Nach einem Vorbild kleide ich mich nicht, denn meinen eigenen Stil würde ich als anders oder alternativ bezeichnen. Ich heiße Necked, bin 18 Jahre alt und gehe auf das Walter – Eucken Gymnasium. In meiner Freizeit höre ich Rock und Popmusik oder bringe mir selber das Gitarre-Spielen bei. Kleider kaufe ich meistens bei Jack & Jones, Kaiser oder im Karstadt. Ich lege mehr Wert auf Qualität statt Quantität, zudem ist die 90

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Atmosphäre bei J & J und im Kaiser angenehmer als im H & M wo es immer sehr voll ist. Meine Kleider suche ich immer so aus, dass ich nicht rumlaufe wie der letzte Simpel. Meinen Stil würde ich als relativ normal beschreiben und dafür gebe ich etwa 30 bis 40 Euro im Monat aus. Mein Name ist Sebastian (18) und ich gehe auf die Edith-Stein Schule. Kleider sind mir wichtig, da ich gut aussehen möchte. Meine Lieblingsmusikrichtung ist Hip-Hop, aber ich höre auch manchmal andere Richtungen wie Techno oder House. Meine Mode kaufe ich bei Yum Yum, Strada oder im Boardshop. Nach einem Vorbild würde ich mich nicht anziehen, denn jeder sollte individuell sein, seinen eigenen Geschmack haben. Für meine Kleider gebe ich etwa 150 Euro pro Monat aus und meinen eigenen Stil würde ich als modern und sportlich bezeichnen. Markenklamotten sind mir nicht so wichtig, da sie auch teurer sind und ich noch auf die Schule gehe. Wir sind Antonia (13) und Nica (14) und gehen auf die Paula – Fürst – Schule in Freiburg. Wir hören gerne verrückte Musik wie die von Lilly Allen oder Amy. Unsere Kleider kaufen wir in allen Läden, in denen wir was Schönes entdecken und wir tauschen sie auch gerne untereinander. Die Bedeutung von Kleidern ist, dass man gut aussieht. Mit unserem Kleidungstil möchten wir Spaß am Leben, Kreativität und Spontanität ausdrücken. Im Monat geben wir etwa 80-100 Euro für Kleider und Schuhe aus. Markenkleidung ist uns überhaupt nicht wichtig und unseren eigenen Stil würden wir als bunt, trendy, sportlich und fantasievoll beschreiben.

||||| Louisa Beinke


Creative Courage

Kreativität und Mut sind nötig zum Eintritt in die große weite Welt der Mode. Ein Besuch bei der Freiburger Modedesignerin Kim Schimpfle.

E

s ist 15.00 Uhr. Mir wird die Tür geöffnet, als ich in das Designer-Geschäft eintreten möchte. Es ist kein Geschäft wie jedes andere. Die Auswahl ist klein aber fein, denn jedes Teil gibt es nur in einer Größe, für eine Person zugeschnitten. Hier ist der Kunde wirklich König – hier fühle ich mich wohl. Unwohl wird es mir erst bei den Preisen, die auch nirgends aushängen – es versteht sich, auf Anfrage natürlich. Das günstigste Teil ist eine Mütze, die im Vergleich zum Rest „nur“ achtzig Euro kostet. Wer sich dieses Accessoire leistet, kann sich sicher sein, dass er ein Unikat auf dem Kopf trägt. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich in einem echten Designer-Geschäft bin. So etwas kannte ich sicher nur aus den Mode Zeitschriften oder aus dem Fernsehen. Für einen Kurzen Moment darf ich Teil des Modeimperiums sein. Was die Modewelt nicht alles mit einem Menschen anstellen kann. Dieser Laden hier würde in eine Modehochburg wie London, Paris oder New York passen, tatsächlich befinde ich mich aber in der Hildastraße in Freiburg im Breisgau am Rande des Schwarzwalds. Das Gefühl einer echten Modedesignerin gegenüberzustehen ist mit einem kurzen Moment der Bewusstlosigkeit zu vergleichen. Innerlich entfernt man sich vom Gedanken sich in Freiburg, wie die Designerin sagt, der „Modefaulen“ Stadt, zu befinden. Dieser unbemerkte Hauch von Öko und Bildungsbürgertum scheint nach und nach von der Bildfläche zu verschwinden. Das hier ist eine andere Welt: Modedesign im Stil der Großstädte. Begrüßt werde ich von der Modeschöpferin Kim

Schimpfle, die wie so viele Designer, ganz normale Kleidung trägt: lässige Levi’s Bluejeans mit einem schwarzen Rollkragenpulli. In unserer Zeit ist es so, dass viele Künstler eine große schwarze Streber-Brille tragen, sie jedoch fällt mit etwas anderem auf. Es ist ihr Haarschnitt: Ein blonder Jungenschnitt, der ihre großen Augen betont. Ihr gehört dieses Geschäfts in der Hildastraße in dem ein Modelabel geführt wird, da courage heißt. Gleich wird mir ein Platz auf einem mit Fell bezogenen Stuhl angeboten. Neben mir befindet sich ein Spiegel, von dem ich nur schwer meinen Blick abwenden kann. So betrachte ich mich aufmerksam und natürlich stelle ich mir die Frage: Was hält diese Designerin wohl von meinem Stil? Kim Schimpfle sitzt mir gegenüber und wartet auf meine erste Frage. Meine Befürchtung, dass sie nur kurz antworten wird, was zu einer distanzierten Atmosphäre führen würde, bewahrheitet sich nicht. Nach den ersten drei Fragen war es kein Frage-Antwort-Spiel mehr, viel mehr eine Erzählung einer Freundin an eine jüngere Freundin – ja, hier fühle ich mich wohl. Kim Schimpfle ist keine gebürtige Freiburgerin, wohnt jedoch seit 23 Jahren in der Kreisstadt. Jetzt ist sie 34 Jahre alt und seit ihrem 21. Lebensjahr selbständig – was für ihre Zeit nicht normal war. Damals hieß es: Erst eine Ausbildung machen und dann mal weitersehen, aber doch nicht Stoffe zusammen nähen, diese verkaufen und sich dann Selbstständig nennen. Bei Kim lief alles ganz anders. Sie ist Autodidaktin, das heißt sie machte keine Schneiderlehrer und besuchte keine Designschule. Ihr Talent – das nun in seiner ganzen Pracht in ihren Kleidern zu sehen ist – entdeckte sie mit 18 Jahren beim Burda-Wettbewerb, einem Hob17einhalb |

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by-Schneiderinnen-Wettbewerb, den Kim Schimpfle zwei Mal gewann. Danach fing sie an sich ihre Kleider selbst zu nähen, sei es für den Ausgang am Abend oder für den Alltag. 1996 bekam die junge Dame die Möglichkeit ihre erste Modenschau in einer Kunstgalerie zu geben. So kamen ihre ersten Aufträge zustande, es waren wenige, aber sie blieb weiter am Ball. Und wie man sieht, es ist machbar. Nach 13 Jahren ist sie noch immer mit von der Mode-Partie. Um wirklich erfolgreich in der Modebranche zu sein sollte man zumindest wissen was momentan im Trend liegt, aber noch wichtiger ist es einen persönlichen Stil zu haben. Für die Designerin von , was aus dem Französischen kommt und Mut bedeutet, sollte dieses Wort der Wegweiser für ihr weiteres Leben werden. In Freiburg lebend musste sie ihren Kleidungsstücken ihre persönliche Note geben, doch da gab es zwei Hürden. Die eine hieß: Wie sieht mein persönlicher Stil aus? Und die andere lautete: Wie soll ich in einer Stadt wie Freiburg meinen eigenen Stil finden? Denn Freiburger Einwohner scheinens die besondere Angewohnheit zu besitzen, sehr modisch gekleidete Menschen entweder anzustarren oder zu belächeln werden. Der Mut war mit ihr. Sie hatte kein Problem damit die Stile, die sich quer durch das 20. Jahrhundert entwickelt hatten, auszuprobieren. Selbstverständlich blieb für sie, in diesem Zusammenhang, auch nicht die PunkZeit aus. Lachend erzählt sie wie viel Spaß sie an den Blicken der Passanten hatte, als sie „mit Hütchen, Schleier, lackierten Nägeln und hohen Schuhen über das Kopfsteinpflaster eierte“. Als Kim Schimpfle noch in ihren Anfängen war gab es schon die großen Designer, wie Jean Paul Gaultier, Vivienne Westwood oder auch Thierry Mugler. Diese ahmte sie natürlich nach – sie musste sich ja schließlich alles selbst beibringen. Ausprobieren lautet ihre Devise. Es hat den Anschein als stünde der Designerin von courage die Tür zur Welt offen. Denn die meisten freiburger Designer erwecken den Eindruck nur für die Menschen in ihrer Region Kleidung zu entwerfen. Was unterscheidet ihre Kreationen von den anderen? Mit jedem ihrer Sätze wird einem bewusster, weshalb sie so gut in ihrem Gebiet ist. Da sie ihren Laden und ihr Label alleine führen muss, darf sie höchstens drei Tage am Stück in einem Jahr krank sein, mit dem Lächeln eines jungen Mädchens führt sie den Satz fort und sagt: „danach habe ich keine Lust mehr krank zu sein und arbeite weiter.“ Darauf folgt: „für mich gibt es so etwas wie ein Wochenende nicht wirklich, wenn der Kunde sein Teil unbedingt braucht muss ich nun mal ran“. Sie unterteilt das Wort Leidenschaft gerne in Leiden und schafft. Doch letztendlich sagt die Freiburger Desingerin dies mit einem freundlichen Unterton. Im Gespräch hört man noch einen anderen etwas spöttischen Unterton, wenn sie über die Freiburger und ihren Kleidungsstil spricht. Sie sagt, Freiburg sei nun ein mal eine lässige ÖkoStadt. Würde Kim Schimpfle sich modetechnisch ausschließlich an Freiburg orientieren, dann wäre der Weg in die große weite Welt der Mode noch steiniger als er es be-

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reits ist. Sie sagt, dass die Modewelt nicht nur aus Glanz und Glamour bestehe, auch wenn jede Menge Presse hinter einem steht, denn das Berufsfeld des Modedesigners, welches mit einem Haifischbecken zu vergleichen ist, sei groß. Da es ihrer Meinung nach „unheimlich viele gute Designer“ gibt, muss man schon etwas Besonderes sein um sich auf dem Markt behaupten zu können. Kim könnte sich ein so genanntes Lookbook kaufen, in dem schon die Trends für das Jahr 2012 stehen, doch sie ist nicht so eine. Sie lässt sich lieber selbst von den Menschen auf der Straße inspirieren– zu denen auch die Freiburger gehören - oder von unterschiedlichen Ethnien dieser Welt. Im Moment ist sie dabei ein zweites Label zu schaffen, das eine Weiterentwicklung der Schwarzwaldtracht werden soll. Wie soll man sich das vorstellen? Eine Modedesignerin, die sich eigentlich nicht mit dem Kleidungsstil der Freiburger anfreunden kann, will nun eine Schwarzwaldkampagne starten! Im ersten Moment sieht solch eine Vorstellung in meinem Kopf wie eine grausame und malträtierende Behandlung meines Modebwusstsein aus. Dann aber bekomme ich eine Broschüre in die Hände gedrückt und kann meinen Augen nicht glauben. Wunderbar, das ist es was einen echten Designer ausmacht, denke ich. Kim Schimpfle lässt ihrer Kreativität einen ganz freien Lauf und das Ergebnis ist so schön, man möchte es besitzen. Dieses Label sollte eine Anlehnung an die geglückte Modernisierung des bayerischen Dirndls sein. Sie will sich jedoch ganz klar vom Dirndl unterscheiden. Toll wäre es, sofern sie es schaffen wird ihre Mode gut zu vermarkten, wenn eines Tages ein New Yorker Mädchen zu ihrer Freundin sagen würde: „How do yo

"Freiburg ist nun mal eine lässige Öko­Stadt."

urtzwold style’?“. Das Highlight an dieser liganzen Sache ist, dass diese Mode auch ke für ein Fashionvictim der normalen Preism klasse bezahlbar wäre. Ein Oberteil läge ybei 35 Euro, was im Gegensatz zum Preis ne der Mütze zumutbar ist. w Um die Pläne für ihr weiteres Label rea‚slisieren zu können, muss sie erst ihre akwa tuelle Kollektion präsentieren und verkaufen. Die Vorstellung einer Kim Schimpfle, die den gesamten Tag in ihrem Geschäft sitzt und auf Kundschaft wartet ist eher unzutreffend. Allein davon kann sie ihren Erfolg nicht abhängig machen. Auf Messen stellt sie ihre Mode vor und nimmt dort auch Aufträge an. Selbstverständlich macht sie auch Modeschauen, wie die 3° Minus Winter-


modenschau im Oktober 2009. Zusammen mit zwei anderen Designern hat sie dieses Ereignis über ein gesamstes Jahr hinweg geplant und verwirklicht. Diese Fashion Show fand, wie zu erwarten war, in Freiburg statt. Wie man es schon gewohnt ist stand das Werk Kim Schimpfles in keiner Relation zu dem üblichen freiburger Modeverständnis. Es war eine Modenschau, wie auf Fashion TV. Die Designerin selbst sagt: ” Wir wollten blos keinen Laufsteg aufbauen, das wäre viel zu langweilig gewesen.” Kim Schimpfles Leben ist keineswegs langweilig oder konventionell. Es verlangt eine Aufopferung der nahe-

zu gesamten Freizeit, doch wer mit Liebe sein Geschäft führt, hat nichts zu befürchten. Mit ihrem Courage ist sie in der Lage alle von ihr angestrebten Ziele zu erreichen. Ambitiös, weltoffen und eigenwertig in ihrem Stil, scheinen treffend für die Beschreibung einer Designerin aus Freiburg, die, wie kein anderer ein Verhältnis zu dieser Stadt an den Tag legt, das von amüsanter Kontroversiät geprägt ist. Denn in Feiburg ist sie nach 13 Jahren noch immer ein Geheimtipp und das soll ihrer Meinung nach auch so bleiben.

3 Grad Minus in Freiburg

Drei Designer stellen ihre Mode in Freiburg vor. Kim Schimpfle steckt mit ihrem Lable Courage mittendrin.

Die 3° Minus Modenschau war ein Event wie kein anderes in der Stadt Freiburg im Breisgau. Drei Designer der Labels Courage, Max Lui und Deutsche Designer stellten an diesem Abend ihre Kollektionen vor. Die Ende 2009 fertig gestellten Büro- und Geschäftsräume des Xpress-Gebäudes neben dem Freiburger Hauptbahnhof sollten die beste Location für die Modenschau werden. Die sich noch im Rohzustand befindenden Räume erweckten eine kühle Atmosphäre, die durch die Schlichtheit des weißen Mobiliars verstärkt wurde. Es wurde kein Laufsteg aufgebaut, weil Kim Schimpfle so etwas als langweilig empfindet. Einlass war um 20.00 Uhr. Eine 15 Meter lange Schlange erstreckte sich vor dem Eingang. Nur mit einer persönlichen Einladung und mit einem Eintrag seines Namens auf der Gästeliste wurde der Eintritt gewährt. Eines war sofort zu erkennen: jeder kam sich so wichtig vor. Mit einem Backstage-Pass war mir ein Eintreten ohne langes Warten erlaubt. Einmal drinnen war ich wie ausgewechselt, denn ich hatte vieles erwartet, aber nicht das. 200 bis 300 meist gut gekleidete Menschen – man sah ihnen an, dass Geld in dieser Szene keine Rolle spielt. Ich war den Blicken dieser Leute ausgesetzt, was mir egal war, denn anders als sie war ich privile-

giert: ich durfte in den Backstage-Bereich. Dort waren die Models, Designer und Visagisten schon voll im Gange, denn es lastete ein Zeitdruck auf ihnen – um 21.00 Uhr sollte die Show beginnen. Ständig wurde an den Models rumgezupft, die Gesichter geschminkt, und einige übten noch einmal das Laufen. Auch hier wurde man von den Blicken nicht verschont, besonders von denen der weiblichen Mannequins. Ihnen war anzusehen, dass sie in jeder weiblichen Person ein weiteres Model zu sehen galubten, so erklärten sich die konkurrierenden Blicke von selbst. Zu ihrer Erleichterung erfuhrem sie von mir, dass ich nicht zum Prästenieren der Mode hergekommen war. Und sogleich wurde aus dem hinterlistigen Blick ein Freundliches Lächeln. Mit einer dreißigminütigen Verspätung – wie es sich bei einer Modenschau gehört –begann die Show. Begleitet wurde sie von der Musik des DJ Ralph Thieme, die er eigens für diesen Abend entworfen hatte. Über eineinhalb Stunden hinweg wurden von Models die Kleider der drei Designer vorgeführt. Am Ende des Laufstegs standen, wie man es aus dem Fernsehen kennt, professionelle Photographen. Die gesamte Atmosphäre in den Räumen glich der einer Großstadt. Man denkt sich weg von einem Provinzort wie Freiburg und ist nur noch auf die Raffinesse des Designers konzentriert. Nicht mit pompösem, vom Talent ablenkenden Getue ist Großes zu erreichen. Auf den bekannten Laufstegen laufen die Dinge anders. Das eigene Können wird auf den Modeschauen präsentiert und das gelang den Designern auf der 3° Minus Modenschau. Beendet wurde die Fashionshow mit einem extralangen Applaus. Danach gab es die Möglichkeit mit den Designern ins Gespräch zu kommen und eventuelle Aufträge für das Schneidern der Kleider zu geben. ||||| Fernande Bodo

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Ein Tag ohne Medien:

Leben wie im Mittelalter

Ein Selbstversuch von Leonie KrĂśhnke

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Ich langweile mich zu Tode

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eepbeepbeep… ertönt das monotone Piepsen Köpfen der Wenigen vor sich ging, die zuversichtlich in meines Weckers, das mich abrupt aus meinen ein medienloses Leben blicken würden, weiß ich bis jetzt Träumen reißt. Verwirrt taste ich nach dem noch nicht. Übeltäter. Seit wann habe ich eigentlich einen so grauenhaften Weckton, frage ich mich verschlafen, die Nach einer Weile höre ich aus dem Nebenraum Musik Hand schon auf der Fernbedienung liegen, um das Radio und dann die muntere Stimme eines Moderators. Ist mein Versuch jetzt schon einzuschalten. Bis mich die gescheitert, frage ich mich Erkenntnis wie einen Blitz Was sind eigentlich entsetzt. Das darf nicht sein, denn durchzuckt. Na klar, heute ist kein Medien? sonst würde das ja bedeuten, dass Dienstag wie jeder andere in diesen ich erneut ganz von vorne anfangen Ferien, nein, heute wollte ich einen Medien sind immer technisch, müsste. Entschlossen versuche ich Tag ohne Medien verbringen. Das vernetzen unsere Gesellschaft und die Geräusche zu ignorieren, was heißt, ich werde versuchen müssen ermöglichen die Überlieferung von mir mehr oder weniger gut gelingt. einen ganzen Tag lang auf all die Botschaften. Irgendwann vernehme ich ein tiefes schönen Dinge wie Internet, Radio, Man unterscheidet zwischen alten Brummen. Werde ich langsam Fernsehen, Zeitung zu verzichten. und neuen Medien.Zu den alten verrückt? Aber so schnell kann das Deshalb hatte ich vorausschauend gehören Printmedien (also Zeitungen, doch echt nicht gehen. Als ich schon mal meinen Radiowecker Bücher,etc.), audio-visuelleschon anfange an meiner durch den digitalen ersetzt. Medien(beispielsweise Fernsehen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln, Seufzend nehme ich meine Hand oder Film) und audio-technische kann ich das Brummen orten. Es wieder runter, schalte stattdessen Medien (unter anderem Fernsehen kommt von dem Mann, der mir das Licht an und quäle mich aus oder Film). Internet oder gegenüber arbeitet und dabei leise dem Bett. Satellitenfernsehen sind neue singt. Das habe ich vorher noch nie Medien. gemerkt. Einige Zeit später merke Seltsam, wie still es ohne ich, wie ich, durch die tiefen Töne morgendliches Hintergrundgeräusch eingelullt, immer müder werde. ist. Es ist so ruhig, dass ich mich weiterer Arbeitstag verläuft ziemlich beim Anziehen oft dabei ertappe, wie meine Lieder Mein schwer (oder besser gesagt noch schwerer) werden und unspektakulär, jedoch verlasse ich das Gebäude später ich fast wieder einnicke. Beim Frühstück fehlt mir die mit einer beachtlichen Menge an Informationen, die ich alltägliche Zeitung. Ich fühle mich jetzt schon von der unfreiwillig aus den Gesprächen der anderen Mitarbeiter Welt abgeschottet und stochere ungewohnt erhalten habe. konzentriert in meinem Müsli. Dafür habe ich aber heute mal ein längeres Gespräch mit meiner Mutter und bin Als ich wenig später beim Zahnarzt sitze muss der einzig schon so früh am Morgen über den neusten angenehme Teil wegfallen. Stattdessen darf ich den Verwandtenklatsch und Tratsch informiert. Erstaunlich anderen Patienten beim Zeitschriften lesen zuschauen. wie abgelenkt man sonst von seiner Umwelt ist. Und das Die Wartezeit erscheint mir heute noch länger als sonst. Kaum zu glauben, dass alle so nur wegen der Medien? gespannt in den Heftchen schmökern, wo doch die Als ich bei meinem Ferienjob Zeitschriften nicht gerade zu stehe, kann ich auch hier kein den attraktivsten Medien Radio anmachen. Bei der eintönigen Arbeit stört mich das schon etwas. Nach gehören (zumindest laut meiner Befragung). Daran kann kurzer Zeit bereits fange ich an, die Stunden und Minuten man sehen wie populär unsere Kommunikationsmittel im zu zählen, bis ich wieder nach Hause darf. Aktuell: 7 Allgemeinen sind. Denn wie gerne lassen wir uns erst Stunden bis zum Verlassen des Arbeitsplatzes. Ich denke von den Favoriten, also Fernsehen und vor allem dem über dies und das nach und langweile mich zu Tode. Aber Internet ablenken. Noch darüber grübelnd verlasse ich ich habe es ja gewollt und außerdem war ich gewarnt. nach der Behandlung die Praxis wieder. Bei einer Umfrage, die ich zuvor durchgeführt hatte, haben fast alle Befragten angegeben, sich ein Leben Sowohl an der Haltestelle, als auch in der Straßenbahn ohne Medien nicht vorstellen zu können. Was in den selber bietet sich mir das gleiche Bild: Menschen mit


Handys, Zeitungen, Büchern, … . Die einzigen, die keine Beschäftigung durch unsere Medien haben, scheinen mir die schwer beschäftigten Elternteile zu sein, die von Seiten ihrer kleinen Kinder schon genug Abwechslung bekommen. Selbst in den Cafés, an denen die Bahn vorbeifährt geht es mit den Kommunikationsmitte ln weiter, sie werden hier sogar noch durch Laptops ergänzt. Wobei es doch eigentlich auch praktisch ist, so denke ich mir, dass man heute so einfach seine Arbeit und auch seine Liebsten überall hin mitnehmen kann.

Wirtschaft, Politik und vieles mehr nicht existieren. Wäre so etwas wie Bildung überhaupt möglich? Ohne Bücher und weltweiten Zugang zu Informationen… Hinzu käme, dass man bei Katastrophen ganz auf sich allein gestellt wäre. Keine globale Hilfe, nichts.

Vielleicht wäre ein Dasein ohne Medien für manche Länder zwar auch ein Vorteil, gerade wenn man an Ausbeutung durch reichere Länder und Unternehmen denkt, die dann vermutlich (zumindest in diesem Ausmaß) nicht so möglich wäre. Wäre Eine erstaunliche Den Medien aus dem Weg gehen? da nicht auch noch Entwicklung, ich -Unmöglich! Wir sind beinahe ständig von ihnen dieser besondere, glaube damit hätte umgeben. egoistische kleine keiner gerechnet, als Punkt in uns selbst. 1610 die erste Wochenzeitung publiziert wurde. Von der Erfindung von Wie langweilig würde unser Leben vermutlich ablaufen, Telegraphen über Telefone und Fernsehen und schließlich ohne Abwechslung durch Internet, Printmedien und Co. dem Internet, hat sich unsere Welt so auch dank ihnen grundlegend verändert. Ich merke, wie mir dieser Tag Genau dies wird mir gerade wieder deutlich, als ich genau dies vor Augen führt. Zwar kann ich so besser durch das sanfte Rütteln und Schaukeln des Busses in meinen Kopf frei bekommen und meine gesamte Umwelt den Schlaf gewiegt werde. Ohne ein Buch das ich genauer wahrnehmen, was doch etwas sehr Gutes ist, während der Fahrt lesen könnte gibt es hier ja nicht viel aber ich glaube immer würde ich es so nicht aushalten. zu tun. Es fahren außer mir kaum Leute mit. Niemand, mit Klar, oft benutzt man die Medien ganz unbewusst, dem ich mich unterhalten könnte. Ersetzen uns die jedoch ist dies doch nicht immer ein Nachteil, so grüble Medien also teilweise auch unsere Mitmenschen? ich, als ich in meinen Bus einsteige. Wenn man sich nur Vielleicht gehe ich damit aber auch schon zu weit. Fest mal bewusst macht, was uns heute durch steht jedenfalls, dass einem bei Medienentzug nicht Kommunikationsmittel ermöglicht ist. Menschen auf der etwa die Ursachen genommen werden, die einen ganzen Welt sind so miteinander verbunden. Gäbe es sie “verdummen” lassen können, wie oft von Medien daher nicht, säße doch jeder abgeschirmt in seiner eigenen gesagt wird, nein, vielmehr kann die geistige Anregung kleinen Welt. Denn ohne Nachrichten, sowohl den etwas abhanden gehen. Wie bei mir und meinem Buch öffentlichen, als auch unseren eigenen, ganz privaten, gerade. könnte eine gemeinsame Arbeit und somit auch 96

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Als ich endlich Zuhause ankomme würde ich wirklich gerne mal ins Internet, dem wohl das beliebteste Medium unserer Generation. Ohne Telefon und Internet ist der Kontakt zu Freunden echt schwierig. Daran mussten sich die Menschen früher noch nicht so stören. Schließlich lebte man zu den Zeiten, als moderne Kommunikation noch nicht möglich war meist viel dichter beieinander. Jetzt weiß ich auch warum, denke ich zynisch, während ich mir krampfhaft überlege, was ich jetzt tun kann, dass nichts mit Medien zu tun hat. Das ist wirklich nicht so einfach, so viel steht fest. Ich schnappe mir also meinen Hund und verlasse das Haus. Wahrscheinlich wundert dieser sich schon, weshalb er heute unverhofft so lange rauskommt, wie schon seit Längerem nicht mehr.

einzige bin, die für heute den Medien abgeschworen hat. So lasse ich mich jetzt durch meine Familie über alles Aktuelle informieren. Das ist doch erlaubt, oder? Nach dem Essen überlege ich mir, ob ich schon ins Bett gehen soll, entschließe mich aber dann, mal wieder ein Bad zu nehmen. Das mache ich eigentlich nie, da ich es sonst schon immer langweilig finde, aber vielleicht entdecke ich heute endlich mal, was alle daran so toll und entspannend finden. So liege ich also kurze Zeit später in der Wanne und versuche es mal so richtig zu genießen, nur Zeit für mich zu haben. Leider Fehlanzeige. Klar, es duftet und es ist angenehm warm, aber ansonsten finde ich es nicht so spannend. Wobei es heute doch im Vergleich zur Alternative ein echtes Highlight darstellt. Außerdem hat es den Vorteil, dass es mich müder und müder macht, so dass ich mir vorkomme als hätte ich eine Schlaftablette genommen, als ich aus dem Wasser steige. Als ich mich dann kurz darauf in mein Bett lege, muss ich lächeln. Mir ist gerade eingefallen, dass ich wenn ich wieder aufwache, von meinem Radio geweckt werde. Alles wird so sein wie immer: Zeitung, Internet und alles andere werden wieder von mir benutzt werden können. Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.

Ich lasse mich durch meine Familie über alles Aktuelle informieren. Das ist doch erlaubt, oder?

Beim Abendessen werde ich heute mitleidig gemustert als ich von meinem Tag berichte und meine Schwester erzählt mir, welchen Film sie sich gleich anschauen möchte. Großzügig lädt sie mich ein, ihr doch Gesellschaft zu leisten. Wie nett. Jedoch hat es nicht nur etwas Schlechtes, dass ich die

Schon gewusst?- Mediennutzung von Jugendlichen in Deutschland •16% aller Jugendlichen besuchen regelmäßig die online-Seiten von Tageszeitungen

Foto: webtreats (flickr)

• die Nutzung anderer Medien ist durch das Internet, und die von ihm gebotenen Möglichkeiten, zurückgegangen, allein die Häufigkeit Bücher zu lesen hat sich kaum verändert ( um +2PP auf ca. 35% der Jugendlichen, die mehrmals pro Woche lesen) • 14-15-Jährige haben im Durchschnitt (mit täglich ca. 149 Minuten) den größten Fernsehkonsum aller Jugendlichen • das Internet wird hauptsächlich für Kommunikationszwecke genutzt ( 47% der Zeit, die im Internet verbracht wird)

• dem oft vermittelten Eindruck zum Trotz, der von Medienmagazinen u.a. vermittelt wird, nutzen nur 4% aller 12-19 Jährigen die Kommunikationsplattform "Twitter" Quelle: JIM-Studie 2009

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Es ist ja schliesslich Fasnacht! Fasnacht ohne Alkohol ist auch keine Lösung! Oder doch?

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on weitem höre ich den ohrenbetäubenden Lärm der Guggenmusik. Trommeln und Blechbläser schmettern ihre Töne, welche im ganzen Umkreis der Festhalle unüberhörbar bleiben. Es ist 20.11 Uhr, das närrische Treiben kann beginnen. Vor der Halle tummeln sich viele Narren. Das Meer aus bunten Farben erschlägt mich beinahe. Um mich herum erschallt Gelächter. Einige grölen lauthals Fasnachtslieder, oder schreien sich an, um den Lärm zu übertönen. Das Ganze wird untermalt vom ständigen Klingeln der Glöckchen, die ihr Zunftgewand, das Häs, zieren. Ein Junge in grünem Häs kotzt in die Hecke, er sieht richtig fertig aus, obwohl der Abend gerade erst offiziell begonnen hat. Ein Anderer, welcher selbst nur noch taumeln kann, hält ihn dabei fest. An Alkohol ist hier sicherlich nicht gespart worden.

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Ich drängele mich durch die Menge und gehe mit mei nen Freundinnen in die Halle. Die Luft ist bereits abgestanden, und ich rieche eine Mischung aus Zigarettenrauch und verschütteten Alkohol, hier und da liegen Scherben. Aber das stört mich nicht, es ist schließlich Fasnacht. Unsere Stimmung droht zu kippen, doch wir sind gerade erst gekommen und noch nüchtern. Beim ersten Rundgang schauen wir, wer so alles da ist, denn alleine nur mit meinen Mädels fühle ich mich zu sehr beobachtet. So ohne Häs fallen wir auf, also suchen wir Anschluss. Wieder quetschen wir uns durch ein Getümmel von Narren. „Hey, schöne Frau, darf man dir was spendieren? Woher kommst du denn? Kennen wir uns nicht irgendwoher?“, „Willst du heut Abend meine Prinzessin sein?“, und noch andere Kommentare bekommen wir zu


hören. Höchste Zeit, dass wir unsere Freunde auffindbar machen, damit zumindest das aufhört. Nicht, dass ich nicht gerne Komplimente höre, aber ein bisschen angewidert bin ich schon. Einen von denen kenne ich sogar vom Sehen. Ich weiß, dass er zuhause eine Frau und zwei Kinder hat. Morgens Daddy und abends Aufreißer von jungen Mädchen. Ich wende mich ab und ignoriere sie gänzlich. “Mir ist langweilig, komm lass was trinken, dann wird‘s lustiger”, schreit mir meine Freundin ins Ohr. Na gut, warum auch nicht, ich will keine Spaßbremse sein, und man kann mir meine Nüchternheit vermutlich von der Stirn ablesen.

Mittlerweile werden auch die Anmachsprüche eingestellt. Wenn dennoch einer der Narren mir zu nahe kommt, hänge ich mich an ein paar Freunde, die auf mich achten. Ich möchte schließlich nicht, dass mir etwas passiert und dass einer dieser Männer zu aufdringlich wird. Die abgestandene, stickige Luft macht mir mit der Zeit zu schaffen. Deswegen gehe ich kurz mit einem meiner Freunde ins Freie. Der Junge im grünen Häs von vorhin taumelt an mir vorbei und übergibt sich schon wieder in die Hecke. „Wenn voll bisch, gehsch heim!“, hör ich

Also trinken wir an der Bar das erste Gläschen. Dabei treffe ich endlich noch einige Bekannte. Ich werde gleich etwas lockerer, werde offener, rede mehr und trage aktiv zur guten Laune bei. Kurze Zeit später ist das Glas leer, und ich werde auf weitere eingeladen. Na gut, warum auch nicht, es ist ja schließlich Fasnacht. So langsam ist alles bestens. Ich fühle mich wohl, doch es dreht sich alles ein bisschen. Ich glaube, es ist besser, erstmal zu verschnaufen. Man soll mir nicht gleich anmerken, dass ich schon etwas angetrunken bin. Diesen Ruf möchte ich nicht haben. Zusammen mit meinen Freunden gehe ich auf die Tanzfläche zum Schunkeln und Singen. Das „Fliegerlied“ setzt an, ein Fasnachtsklassiker von Tim Toupet. Alle tanzen, lachen und halten sich an den Händen, man ist mittendrin. Ich fühle mich als Teil einer großen Familie, selbst wenn ich die Person neben mir nur vom Sehen her kenne. Das Eis ist gebrochen und der Stimmungspegel steigt. Wir grölen mit, denn “heut ist soo ein schöner Tag lalalalalaaaaaa” und fliegen und springen. Ich vergesse alles, was in der letzten Zeit schiefgelaufen ist. An diesem Abend zählt nur das Jetzt. Das ist ideal zum Abschalten und mal voll aus sich heraus zu gehen.

einen älteren Hästräger grölen. Eine Frau, die gerade ihren Sprössling abholt, schüttelt den Kopf. „Die Jugend von heute, nur noch Blödsinn im Kopf!“ Er sieht wirklich richtig jung aus und ist bestimmt noch nicht volljährig. Wenn der so weiter macht, wird er auf der Intensivstation übernachten. Der feiert, bis der Arzt kommt. So weit würde es bei mir nie kommen. Ich kenne meine Grenzen gut, außerdem will ich mich an das närrische Treiben zurückerinnern können. Ein Bekannter klopft mir auf die Schulter. Er will die Veranstaltung frühzeitig verlassen, da er am nächsten Tag zeitig raus muss, und zückt seine Autoschlüssel. Ich weiß ganz genau, dass er mindestens drei Gläser Wodka intus hat. Er will trotzdem fahren. „Es wird schon nichts passieren“, sagt er, „ich fahr ja vorsichtig“. Ich zerbreche mir besser nicht den Kopf darüber, ich hoffe nur, er steht morgen nicht in der Schlagzeile: “Jugendlicher stirbt unter Alkoholeinfluss bei Verkehrsunfall.“ Unfälle sind in der Fasnachtszeit keine Seltenheit. In der Zeit vom 2. bis 4. Februar letzten Jahres ereigneten sich allein in Baden-Württemberg 272 Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss. Es wurden 704 Führerscheine entzogen und weitere 999 Fahrer erhielten Fahrverbot oder Geldbußen. Die Polizeikontrollen sind strikt. Für Fahranfänger in der Probezeit gilt: Wer Alkohol im Blut hat, ist den Lappen los. Es wird schon gutgehen, aufhalten kann ich ihn sowieso nicht. Er ist alt genug und es ist seine Entscheidung. 17einhalb

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Trotzdem fühle ich mich nicht wohl dabei und gehe wieder in die Halle. Es ist kurz vor eins, eine Guggenmusik gibt einige Fasnachtsklassiker zum Besten. Die Halle ist jetzt brechend voll. Ein paar Zünfte geben noch den einen oder den anderen kleinen Schmankerl, sei es Tanz oder Herren im Röckchen, die wild über die Bühne hüpfen. Irgendwann spüre auch ich den Alkohol nicht mehr. Außerdem werde ich müde, möchte aber die Stimmung nicht verderben. Die Halle leert sich schon allmählich, daher gehe ich mit meinen Freundinnen nach Hause. Auf dem Heimweg summen wir noch einige Fasnachtslieder, bis zum nächsten “Jeggis Nai”.

Das Trinken gehört einfach dazu! Der Kater am Morgen danach ist grausam, dazu akuter Schlafmangel. Es war mal wieder ein echt langer Abend! Für manch einen schon ein hoher Preis für die feuchtfröhliche Fasnacht! Wie aber ist es, wenn man Fasnacht als Hästräger miterlebt? Finden Umzüge und Narrentreffen wirlich nur in alkoholisiertem Zustand statt? Wie leicht geraten Minderjährige Zunftmitglieder an Alkohol und wie sehr leidet die Gesundheit wirklich? Vorallem lohnt sich der Kater am Morgen danach? Ich hab mich auf die Suche begeben und bin der Sache auf den Grund gegangen bei einem Interview mit zwei waschechten Hästrägern!

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ulia (20) ist einer Zunft beigetreten, weil sie zur „Fasnachts-Community“ dazugehören wollte. „Ich habe schon immer gerne Fasnacht gefeiert. In einer Zunft bekommt man vielmehr Termine mit und es ist ein ganz anderes Gefühl, ein Narrentreffen im Häs zu besuchen“, schildert sie. Aber wie anstrengend ist so ein Zunftwochenende wirklich? „Volles Programm“, erzählt sie, wobei nicht alles Pflichttermine wären. „Man trifft sich an einem Treffpunkt und fährt zusammen mit dem Zunftbus zum Narrentreffen“, erklärt Moritz (20), auch Mitglied einer Zunft. „Unterwegs wird dann angefangen zu trinken. Von Bier, Wein, Sekt und Wodka ist alles dabei, so kann die Party, wenn man angekommen ist, auch direkt beginnen“. Zur ihrer Zunfttaufe dürfen sich die beiden nicht äußern, denn das ist geheim. „Aber 100

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wenn man dann getauft ist, bekommt man einen Orden und gehört mit ihm offiziell dazu“, sagt Moritz. Julia hat ihre Taufe noch vor sich und warnt: „Ein Zuckerschlecken wird es bestimmt nicht“. Ich wollte wissen, wie es mit den jüngeren Zunftmitgliedern aussieht. Bald wird klar, dass es für diese kein Problem ist, in eine Halle eingelassen zu werden. „Schon al-


auch ein fester Bestandteil jeder Fasnachtsparty. Aber tragen Lieder wie „Eine neue Leber ist wie ein neues Leben“ nicht zum Alkoholkonsum bei? „Die Schlageroder auch Guggenmusik verleitet zum fröhlich sein und zum Feiern. Da will man natürlich auch Spaß haben und trinkt“, erklärt Moritz. Auch Julia ist der Meinung, dass die gute Laune, die durch die Schlagermusik geschaffen wird, das Trinkverhalten beeinflusst. Jedoch kommt es auch darauf an, ob man die Musik gerne hört. Über ihre Grenzen sind beide noch nie gegangen. „Wenn man zu weit geht, hat das nichts mehr mit Fasnacht zutun“, behauptet Moritz. Julia erzählt mir, dass sie und ihre Freunde immer gegenseitig auf sich achten, außerdem sind Führerschein und ihre Mitfahrer ihr viel zu wichtig, um etwas auf‘s Spiel zu setzen. lein wegen dem Häs können die Security-Leute ihr Alter schlechter einschätzen, als Hästräger kommt man eigentlich immer in die Halle, ob U16 oder nicht“, meint Julia. Auch Moritz erzählt mir, dass Minderjährige aufgrund der mangelnden Alterskontrollen, länger in den Hallen bleiben, als das Jugendschutzgesetz es zulässt. Auch deswegen, weil man als Zunft die Halle nicht vor halbzwei Uhr verlässt. Julia ergänzt: „Wenn sie Hart-Alk wollen, dann bekommen sie den auch, da muss man nur mal eben den 18-jährigen Freund fragen.“ Auch unter gesundheitlichen Aspekten ist Fasnacht nicht förderlich. Vor Allem Schlafmangel und der Kater seien die größten Beschwerden. „Man braucht schon ein starkes Durchsetzungsvermögen“, stellt Julia fest, „wenn du mal nichts trinken willst, wirst du die ganze Zeit bequatscht. Vor allem am Rosenmontag ist es extrem. Man fängt morgens schon an zu trinken und so geht es den ganzen Tag weiter. Außerdem ist die Kälte bei den Umzügen der Horror!“

Abschließend fragte ich beide, was sie von der These halten, dass Fasnacht heute nur noch mit Alkohol im Blut auszuhalten ist? Julia ist überhaupt nicht dieser Meinung, denn sie kann auch nüchtern ihren Spaß haben. „Wenn die Leute keine Schlager mögen und der Meinung sind, Fasnacht ist nur im Suff auszuhalten, dann fragt man sich, warum die überhaupt kommen“. „Es wird nie eine Fasnacht geben, die ohne Alkohol stattfindet“, behauptet Moritz, „das Trinken gehört einfach dazu“. Dennoch verrät er mir, dass er manchmal froh ist, ab und an den Fahrer zu spielen. „Es muss ja nicht jede Veranstaltung mit einem totalen Blackout enden!“ ||||| Anna Ruf

Ob Tim Toupet, Mickey Krause oder Jürgen Drews, die Fasnachtsmusik ist

Woher stammt eigentlich „Fasnacht, Fasnet, Karneval, Fasching“? Fasnacht oder schwäbisch-alemannisch „Fasnet“ findet ihren Ursprung circa im 13. Jahrhundert. Sie umfasst den Zeitraum der letzten 6 Tage vor Beginn der Fastenzeit. Fasnacht wird vorwiegend in katholischen Gegenden praktiziert, diente anfangs jedoch der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Vor dem Fasten wurde den Christen die Gelegenheit geboten, Nahrungsrestbestände zu verzehren. Seit dem 13. Jahrhundert ergab sich daraus ein Brauch, welcher mit Freude, Tanz und Maskierung gefeiert wird. Fasnacht ermöglicht den Menschen, dem Alltagstrott zu entfliehen und spendet ihnen Lebensmut sowie eine Aufhebung der bestehenden Sitten und Ordnungen. Die Verkleidung erlaubt den Feiernden Anonymität, durch die sie ausgelassen miteinander Fasnet erle-

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ACHTZEHNDREIVIERTEL

drei worte zum schluss

Die Herren Mark, Ernst und Messer bekommen jeweils elfhundert Zeichen

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ies ist die Wirklichkeit. Kein Rollenspiel, kein didaktisches Als-ob, kein Stellen Sie sich mal vor. Eine echte Zeitschrift von echten Jugendlichen mit Themen, die wirklich interessieren. Eine Redaktion von 24 Medienleuten, schöpferisch, zuverlässig, zielstrebig. Wirklich?! – Dies ist die Schule. Ein Milieu, und wir, Lehrer und Schülerinnen, sind die Lebewesen, die sich in diesen Lebensraum eingepasst haben. Unterricht vorbereiten, feste mitarbeiten, Hausaufgaben abfragen, Protokolle schreiben. Sich spezialisieren und Noten bekommen. Oder Noten machen. Echte Noten! – Dies ist der Seminarkurs. Der erste seiner Art, ungewohnt, wie ein Stück urwüchsiger Natur. Und jetzt stellt sich heraus: Wir haben, morphologisch gesehen, gar keine Spezialisierungen. Weder Schülerinnen noch Lehrer. Wir sind keine Ein- und Anpasser. Wir bestehen aus einer Reihe von Unspezialisiertheiten. Eigentlich haben wir gar kein Milieu, wir haben die Welt. – Dies ist das Heft. Das Leben ist kein Seminarkurs. Der Seminarkurs ist das Leben, die Welt, die sich die Autorinnen umgearbeitet und angeeignet haben. Wirklich! ||||| Daniel Mark IMPRESSUM Redaktion 17einhalb St. Ursula­Gymnasium Eisenbahnstraße 45 79098 Freiburg im Breisgau Redaktion, Fotos und Layout Louisa Beinke, Svenja Bensching, Fernande Bodo, Heike Dietl, Johanna Drews, Sabrina Fal­ ler, Sarah Faller, Eveline Greiner, Josephine Hamann, Jana Hollstein, Lisa Kopp, Leonie Kröhnke, Johanna Machunze, Annika Mar­

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ädagogik ist Überforderung“ – diese Aussage trifft auf kaum eine schulische Veranstaltung mehr zu als auf den Seminarkurs und ganz besonders auf diesen. Und sie bezieht nicht nur die teilnehmenden Schülerinnen mit ein, sondern ebenso sehr die begleitenden Betreuer und Lehrer. Unbekannte Techniken – Weblog, Clipbook, Gimp, Scribus, Picnik, XMind, Prezi … –, ungewöhnliche Themen – Frauenfußball und Fastnacht, Ernährungsprobleme und Ehrenamt, junge Mütter und junge Kriminelle, Snowboarden und Studieren, Modisches und Musikalisches – und dazu kein Buch, kein Bildungsplan, keine Bewertungstabelle, keine passende Brille … Überforderung? Aus der Überforderungssituation haben 24 17einhalbjährige junge Frauen begleitet von drei unwesentlich älteren Herren auf ungewohnten Wegen, mit unüblichen Mitteln Ungeahntes erreicht: Sie haben scheinbar überfordernde Grenzen überschritten und als Herausforderung begriffen – und so wurde daraus ein gemeinsames Abenteuer, das sich im Rückblick für alle Beteiligten als sehr lohnenswert erwiesen hat: „Pädagogik ist Überforderung“? – „Pädagogik ist Abenteuer“! ||||| Thomas Ernst schall, Lisa Oppitz, Judith Osterloh, Alia Per­ vez, Anna Ruf, Marie Schöpflin, Judith Steinle, Melanie Stöhr, Jana Strudel, Josepha Schweizer, Josephine Schweitzer ViSdP. Daniel Mark (St. Ursula). Jürgen Messer (JBW) Konzept & Partner Jugendbildungswerk Freiburg e.V. Uhlandstraße 2 79102 Freiburg messer@jbw.de | www.jbw.de | jugend.jbw.de

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lfhundert Zeichen also. 9000 davon hatten Sie für Ihre jeweiligen Artikel zur Verfügung. Eine sichere, weil zählbare Zeichenleine, die Sie vehement eingefordert hatten, um sich - Zeitmanagement rulez! - verlässlich durch den Schulalltag hangeln zu können. Keine Experimente! Einerseits. Andererseits waren ja gerade Sie es, die sich auf das Experiment unseres Kurses eingelassen und ein Klassenzimmer gegen ganz Freiburg und die halbe Region eingetauscht haben. Die unterwegs waren, Gespräche führten, Interviews mitschnitten, fotografierten - Quellenstudium mal ganz anders. Die ins weite Web und ins nahe Offenburg reisten. Die Hallo sagten zu neuen Medien und zu unbekannter Software - all die schönen Ahas und bösen Flüche im Gefolge eingeschlossen. Erfahrungen eben. Und dann die Herausforderung, all die individuellen Ergebnisse in ein gemeinsames Magazin zu packen. Jede für sich war ja schon fertig. Eigentlich. Aber der Star war am Ende das Team. Und das hat sich, um in Lisas Bild zu bleiben, sein Grillbesteck redlich verdient. Respekt! Und viel Glück fürs Endspiel im nächsten Jahr! ||||| Jürgen Messer 17einhalb ist das Magazin des Seminarkurses "Journalismus und Mediengestaltung" am St. Ursula Gymnasium im Schuljahr 2009/2010. Der Seminarkurs ist ein Kooperations­Projekt von Jugendbildungswerk Freiburg und St. Ur­ sula­Gymnasium Freiburg. Druck Omniprint GmbH, Freiburg 17einhalb im Internet www.17einhalb.com




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