megafon Nr. 394, April 2015

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Altbackene Brosamen – Die Eroberung des Brotes S. 1 | By any means necessary! – Damals wie heute S. 3 | Weiter atmen – Facies

hippocratica S. 4 | Dominum Huttwilarae – megafon-StattBlick S. 5 | Das Streben zum Thier – Comix S. 5 | Man wird doch wohl mal wütend werden dürfen – Kinderbuchtipp S. 5 | Kreuzworträtsel S. 6 | Denn wir wissen nicht, was ihr treibt… – Computertech­

nologie, Internet & Datenschutz S. 6 | Von Festen und Festgenommenen – Kurzschluss S. 7 | Schnappschuss S. 7 | Exitorial S. 7 |

Le lance-pierre. S. 8

Die Zeitschrift aus der Reitschule | Bern

megafon | N°394 | April 2015 | 6.–

Die Eroberung des Brotes

Altbackene Brosamen In Bern hat die erste Bäckerei ohne Backstube eröffnet. Im Kampf gegen die Abfallberge der Überflussgesellschaft lautet der untaugliche Lösungsvorschlag: Kauf! Entsprechend ist der neue Backwarenoutlet mit gutem Gewissen und alten Nussgipfeln vor allem eines: Ein gutes Geschäft.

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Text: sak | Illustration: Luki de la Drucki

er auf dem Beifahrersitz eines Autos die Landschaft an sich vorüberziehen lässt, hat diesen flackernden Blick. Den Fokus auf scharf gestellt, wechselt der betrachtete Gegenstand alle Sekundenbruchteile. Solcher Rastlosigkeit sind auch die Augen von Herrn Rüfenacht anfangs März, in den Lauben der Marktgasse, in der Berner Altstadt. Herr Rüfenacht ist seit über zwanzig Jahren Mitinhaber der chezrüfi AG in Biel. In vierter Generation fliehen er und sein Bruder den zunehmenden Druck auf Bäckereien und ihr Kleingewerbe nach vorne. Indem sie ihre Bäckerei zu einem Kaffee erweitert haben, regelmässig in der Bieler Innenstadt die wiederkehrenden Anlässe von Fasnacht bis Fussball-WM bewirtschaften, Schüler_Innen in den grossen Pausen mit Backwaren versorgen oder Hochzeiten und andere Verzweigungen von Familienstammbäumen kulinarisch unterstützen. An jenem Donnerstagnachmittag in den Lauben der Berner Marktgasse herrscht Geschäftigkeit, nicht aber jene Geschwindigkeit, die auf Landstrassen und Autobahnen erwähntes Augenflackern verursacht. Die flackernden Pupillen des Herrn Rüfenacht sind nicht dem äusseren Treiben geschuldet, sondern den Bildern, die vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. «Damit konkurrenzieren sie aber die herkömmlichen Bäckereien.» Stellt Rüfenacht zur Antwort herausfordernd fest. Soeben hatte ein Mann, dessen salbige Freundlichkeit und Entschiedenheit so gar nichts Bäckerhaftes an sich hatte, Rüfenacht die Geschäftsidee des neu eröffneten Backwarenoutlet erklärt.

Brockenstube des Brotes an bester Lage In den grösseren Bäckereien der Stadt werden morgens die vom Vortag übriggebliebenen Backwaren eingesammelt und an bester, er nennt es «hochfrequentierter» Lage, erneut zum Verkauf angeboten. Die Bäckereien erhalten Umsatzbeteiligung, begründet wird das Vorgehen moralisch und dahingehend, dass somit die Lebensmittelverschwendung bekämpft wird. «Das Konzept kommt aus Zürich und ist nach den Prinzipien des Franchisings organisiert.» Franchising ist die Organisationsstruktur bekannter Ketten wie McDonalds, Starbucks oder Coop Pronto. Filialleiter_Innen tragen die umfassende unternehmerische Verantwortung und kaufen gegen Umsatzbeteiligung das Konzept, das Erscheinungsbild, je nach je auch die Produkte von den Ideengebenden ein. Mit anderen Worten: Das unternehmerische Risiko ist bei den Filialen, der Gewinn zu einem guten Teil bei der Muttergesellschaft. Genau genommen kommt das Konzept im Falle des Backwarenoutlets an der Marktgasse also nicht aus Zürich, wo lediglich die erste Filiale eröffnete, sondern aus Uster. Hier lebt Roul Stöckle. Der Backwarenoutlet ist seine Idee. Hauptberuflich arbeitet Roul Stöckle bei der Mobiliarversicherung, wo er als Head Corporate Innovation zur Konstruktion neuer Versicherungsvehikel beiträgt. No Risk, just Fun Dass sich Roul Stöckle mit Risikokalkulation auskennt wird beim vorliegenden Geschäftsmodell schnell ersichtlich. Ein Abfallprodukt wird auf symbolischer Ebene mittels ökologischer Rhetorik aufgefrischt. So fallen grosse Kostentreiber herkömmlicher Bäckereien, wie Miete und Einrichtung einer Backstube, Energie und Mehl, weg. Auch der Lohn der Bäckerin kann ei-

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gespart werden. Ein Fahrer, der die Reste einsammelt und Verkaufspersonal genügt. Bei diesem Personal, das für seine Tätigkeit nicht ein langwierig zu erwerbendes Knowhow benötigt, kann man die ökologische Rhetorik dann erneut einsetzen. Denn: Für eine gute Sache sind einige Leute auch bereit einen schlechten Lohn zu akzeptieren. Ja, vielleicht sind sie sogar bereit ganz auf Lohnzahlungen zu verzichten. In den Worten, die Sandro Furnari, Geschäftsführer und Mitbegründer der Muttergesellschaft namens Äss-Bar GmbH während seinen evangelikalen Gottesdiensten verwendet: «Sich investieren, sich verschenken für die Mitmenschen. Deshalb meine Kinder, lasst uns einander lieben. Nicht mit leeren Worten, sondern mit tatkräftiger Liebe und in aller Aufrichtigkeit.» Jedem sein Evangelium Dass der Backwarenoutlet durchaus auch etwas mit zwielichtigem Idealismus zu tun hat wird ersichtlicher, je länger man Sandro Furnari auf youtube beim Evangelisieren zuschaut. Mit rüpelhafter Rücksichtslosigkeit werden hier Begriffe wie Investition mit Konzepten wie Freiwilligenarbeit und Nächstenliebe in Verbindung gebracht um die Hörigen unter den Zuhörern zur freiwilligen Mithilfe beim Missionieren, wer weiss, vielleicht sogar zum Spenden anzuregen. Unwahrscheinlicher Zufall, oder Schicksal, dass im auf der Homepage des Backwarenoutlets publizierten Werbevideo, Pastor Markus Hauser zur Frische der Küchlein von gestern befragt wird. Daumen rauf, signalisiert Pastor Hauser, der unter dem vielsagenden Titel Alphalive auch Menschen, die vom Christentum bisher nicht viel verstanden, darüber informiert, wer Jesus ist und warum man betet. Alphalive ist ein internationales Gebilde mit jugendlichem Internetauftritt und Werbefilmen – gedreht am Bielersee – die in ihrer Qualität und Botschaft an die Verbraucherinformationen der Telekomanbieterin Orange erinnern. Weniger radikal, aber sicherlich empfänglich für einen an der Bibel geschulten Sprachgebrauch ist der Inhaber der Berner Filiale, Simon Weidmann. Er kandidierte bei den Grossratswahlen 2014 für die junge evangelische Volkspartei. Wers kauft, wird selig Es wäre falsch, sich den Backwarenoutlet als radikalchristliches Hilfswerk vorzustellen. Vielmehr lassen sich mehr und weniger fundamentalistische Christinnen wie auch naivökologische Weltverbesserer hier von cleveren Geschäftsmännern begeistern. Dass die von Patriziern gegründete und getragene Ökologische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern (OGG) der Berner Filiale der Backwarenoutlets väterlich zur Seite steht, passt da ins Bild. Aus aristokratischer Sicht ist soviel Fortschrittlichkeit bei so wenig Veränderung eine unterstützenswerte Erscheinung. Dass die naturwissenschaftlich-aufklärerische Herangehensweise der OGG-Projekte des 18. Jahrhunderts durch eine Verbindung von Risikomanagement und freikirchlich geschulter Mitmachkampagne ersetzt wird, ist aber jenseits aller Überlegungen zu gesellschaftlicher Schichtung zu bedauern. War die OGG im 18. Jahrhundert noch mit der Wichtigkeit von Mist befasst, um mittels Düngung den landwirtschaftlichen Ertrag zu steigern, ist der Backwarenoutlet vornehmlich mit immateriellem Mist, bei der Bull­ shitproduktion durch PR-Kampagnen aktiv. Harry Frankfurt hat in seinem Traktat ‹On Bullshit› aufgezeigt, was bei der Produktion von prätentiösem Unsinn auf der Strecke bleibt: die Wahrheit schlechthin.

Ach, du Scheisse Jede Initiative aus der Mitte der Gesellschaft ist damit gestraft, nur ein kleiner Beitrag, ein Tropfen auf den heissen Stein zu sein. Hauptproblem der Äss-Bar an der Berner Marktgasse ist, dass der Backwarenoutlet kein Tropfen, sondern ein heisses Kieselsteinchen ist. Wer den Konsum fördert, fördert die Produktion und vergrössert die Abfallberge. Das ist ökonomisches Grundlagenwissen. Ökologische Sensibilität hilft da wenig. Das Vermeiden einer Backstube mittels Taschenspielertricks auch nicht. Und eine Public Relations Kampagne die aus Abfallkuchen einen frisch-von-gestern-Kuchen macht, nutzt schönere Worte, bringt aber leider auch nichts. Vielleicht entstehen die Abfallberge vermehrt im Brotkasten zu Hause. Wahrscheinlich werden dank dem Backwarenoutlet zukünftig in der Schweiz mehr Nussgipfel gefressen – ennet dem Nussgipfelberg winkt das Schlaraffenland – und die grossen Bäckereien mit vielen Filialen und dezentraler Produktionsstätte können mit gutem Gewissen und Zusatzverdienst die Überproduktion ankurbeln, anstatt vermehrt vor Ort zu produzieren. Obendrauf gibt es einen Kühlwagen, welcher jeden Tag in der ganzen Stadt herumkarrt, um die Reste von gestern einzusammeln. Bisher schienen die globalen Zusammenhänge die ökologische Frage zu komplizieren. An ökologischem Unsinn kaum zu überbieten, wird hier nicht einmal das Lokale einigermassen stringent gedacht.

die Äss-Bar unterstützte. Zudem glückte der Eintritt in die Sphäre der Rendite in Zürich bereits im dritten Monat. Die Reduktion von Foodwaste wird, hier lediglich auf die Filiale in Zürich bezogen, mit ungefähr 0.005 % veranschlagt. Auf Nachfrage korrigiert Roul Stöckle die Zahl auf 0.0021 % hinunter. Die Basis dieser Zahl sei der gewichtmässige Anteil der durch die Äss-Bar verkauften Backwaren am Total der schweizweit entsorgten Nahrungsmittel. Dass auch die durch Äss-Bar verkauften Brote der Entsorgung anheimfallen könnten, wird in dieser Rechnung geflissentlich vernachlässigt. Auch dass der Backwarenoutlet seine Nussgipfel nicht aus dem luftleeren Raum bezieht, sondern gängige Vorgehensweisen wie das verschenken der Überschüsse an Mitarbeiter_Innen oder Kindertagesstätten konkurenziert, wird nicht bedacht. Am schwersten wiegt aber, dass tatsächlich wirksame Eingriffe auf der Ebene der Produktion – beispielsweise das dezentrale backen bei der Verkaufsstelle – durch diese neue Vermarktungsmöglichkeit für Abfälle an wirtschaftlicher Attraktivität einbüssen. Auch von einem Head of Innovation der Mobiliarversicherungen tönen allegorische Ausschweifungen zum Thema Wachstum nicht besonders innovativ. Entsprechend listet die Rubrik ‹Ausblick› nichts Neues, sondern Altbekanntes auf: 1. Dasselbe besser 2. Mehr vom Selben 3. Mehr Ähnliches

Die Medien und der Hype Der Äss-Bar kann nicht vorgeworfen werden, dass sie hinterhältig die gesamte Medienlandschaft in die Irre führt. Wer sich bei den Vertreter_Innen der Journalismusbranche in der Medienmitteilung zur Neueröffnung der Berner Filiale «bereits im Voraus [...] für die mediale Unterstützung» bedankt, schildert ziemlich genau aus, was erwartet wird. Ein Hype, soll es bitte sein. Klar, gute Presse kann jede Unternehmung gebrauchen. Für ein Unternehmen aber, dessen Leistung vornehmlich aus der symbolischen Aufwertung eines Produktes besteht, bekommen Medienberichte eine zentrale Bedeutung. Entsprechend nimmt die Rubrik ‹Medien›, in der die Äss-Bar von Fernsehen über Web bis Print die Berichterstattungen über sich selbst verlinkt, den grössten Anteil der projekteigenen Homepage ein. In der Fülle ausufernd, aber übersichtlich geordnet, umfasst die Liste das Who is who der Schweizer Medienlandschaft. Was für die Betreiber_Innen eine Art Hall of Fame einer durchwegs geglückten PR-Kampagne, ist für die bürgerliche Medienwelt ein selbst ausgestelltes Armutszeugnis. Nebst dem ganzen Trara, hätte man dem Backwarenoutlet von medialer Seite her ein bis zwei Stunden Internetrecherche gegönnt, und dann eine kritische, bürgerliche Berichterstattung. Stattdessen kommen die Medienberichte über ein Augenzwinkern als Maximaleinwand nicht hinaus. Was am Einzelfall gemessen als alles-halb-so-wild zu bezeichnen ist, erweckt in der Zusammenstellung den Eindruck einer Ansammlung von Publireportagen. Und wie es die Logik von PR-Kampagnen will: Hier wird die Wahrheit festgeschrieben. Leider, wird der Sohn nicht besser, nur weil die Mutter ihn in höchsten Tönen lobt.

Das hat letztendlich wohl auch Bäckermeister Rüfenacht erkannt. Dank der ÄssBar werden nicht weniger, sondern mehr Nussgipfel verkauft. Das Märchen, dass dafür weniger Nussgipfel produziert werden müssen, gibts gratis dazu. Und wer weiss, vielleicht gibt es die Äss-Bar bald auch in Biel und Rüfenacht ist umsatzbeteiligt mit von der Partie. So hat es ihm jedenfalls an jenem Nachmittag im März der Mann an hochfrequentierter Lage vorgeschlagen.

Wie Bäckermeister Rüfenacht das Fürchten verlernte Roul Stöckle bekleidet im selbst verfassten Positionspapier die Position des Business-Developer. Unter der Rubrik ‹Wirkung› wird auch hier feinsäuberlich jedes Medium aufgelistet, welches den Hype um

Dont’t bullshit a bullshiter Sagen wir es in den Worten, die Roul Stöckle der Berner Lokalzeitung zu Protokoll gab, noch bevor er für den einhergehenden Fototermin die Krawatte auszog: «Reste wird es immer geben.» Dementsprechend ist der Backwarenoutlet auch als nachhaltiges Geschäftsmodell zu sehen. Betriebswirtschaftlich sinnvoll befördert es den ökologischen Unsinn im besten Fall nur sanft. Die Industrialisierung bleibt eine grausame Wohltat. Grenznutzenoptimierender Aktivismus und ökologischer Schwulst mit grossem Fussabdruck helfen dabei vor allem bei einem: Mit gutem Gewissen und ohne Veränderung die ökologischen Probleme der westlichen Konsumgesellschaft aus den Augen zu verlieren.


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bezeichnete King und andere Anführer_innen nicht selten als «Hausneger der Weissen».

Damals wie heute

By any means necessary! Eric Garner, Mike Brown und viele mehr: Die Liste der kürzlich in den USA von weissen Polizisten getöteten Afroamerikanern ist lang. Gesühnt wurde keine der Tötungen im Gegenteil: Tödliche rassistische Gewalt gegen Afroamerikaner_innen ist in den USA Normalität und reiht sich ein in die von Sklaverei und Rassentrennung geprägte Geschichte dieses Landes. Das treibt heute wieder tausende Schwarze und Weisse auf die Strasse. Vor genau 50 Jahren wurde Malcolm X erschossen, der zusammen mit anderen für die Befreiung der Schwarzen von Unterdrückung kämpfte. Grund genug, einen kurzen historischen Abriss über das Leid und die Entwicklung des afroamerikanischen Kampfes für Gerechtigkeit zu machen, um zu verstehen, warum der strukturelle Rassismus in den USA bis heute anhält.

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Text: ffg | Illustration: mal

auptsächlich in den Südstaaten Nordamerikas litten Millionen schwarzer Frauen, Männer und Kinder während Jahrhunderten unter Rechtlosigkeit, blutiger Ausbeutung, Folter, Willkür und Terror. Dank der Sklaverei vergrösserten die 13 Kolonien und später die USA ihren Reichtum massiv; tausende Karrieren und Familienimperien gründen auf der Ausbeutung der Schwarzen. Auch die als Demokraten und Bürgerrechtler gefeierten Gründerväter George Washington und Thomas Jefferson waren Sklavenhalter. Heuchlerisch und paradox – so wie die USA noch heute auf der Weltbühne und in der Innenpolitik agieren. Die Sklaverei endete auf dem Papier 1865, mit dem Ende des inneramerikanischen Sezessionskrieges. Der Kampf für Integration, Gleichberechtigung, Freiheit und Unabhängigkeit blieb aber von einem Auf und Ab, von Fort- und Rückschritten geprägt. Nachdem sich die Unionsarmee 1876 aus dem Süden zurückgezogen hatte, konnte der Ku-Klux-Klan (KKK) jahrzehntelang Schwarze terrorisieren und in hunderten bis tausenden Fällen töten. Derweil endete die Diskriminierung auch bei den offiziellen Stellen nicht: Durch raffinierte Gesetze wurde sie weiter manifestiert, Schwarze wurden von den Wahlen ausgeschlossen. Die Afroamerikaner_innen waren sich uneins, wie man diesen neuen Ungerechtigkeiten begegnen sollte. W.E.B. Du Bois mit seiner 1909 gegründeten und bis heute einflussreichen National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) setzte vor allem auf Gerichtsverfahren, um Gleichberechtigung zu erzwingen. Entschiedene Gegner_innen dieser Taktik waren die schwarzen Nationalist_innen bzw. Separatist_innen: Durch das erneute Scheitern ihrer Bemühungen für Gleichberechtigung sahen sie keinen Grund mehr, auf ein friedliches Zusammenleben zu hoffen. Charismatische Führer der separatistischen Bewegung wie Marcus Garvey sahen (langfristig) die massenhafte Auswan-

derung nach Afrika als einzige Lösung, der Unterdrückung in den USA zu entfliehen. Neben der politischen und rechtlichen Organisierung der Afroamerikaner_innen kam es auch zu einer Blütezeit schwarzer Kultur, der sogenannten «Harlem Renaissance»: Die Schwarzen begannen langsam, sich zu emanzipieren. Schwarze Bürgerrechtsbewegung, Nation of Islam, Malcolm X, Martin Luther King Nach mehreren gewonnenen Gerichtsprozessen durch die NAACP begann 1954 eine neue Phase des Protests mit dem Busboykott von Montgomery: Baptistenpfarrer Martin Luther King mit seiner Taktik des zivilen, friedlichen Ungehorsams trat auf den Plan. Mit friedlichen Demonstrationen in den rassistischen Staaten des Südens und der rohen Gewalt von Weissen und der Polizei kam die Bewegung zunächst USA-, dann weltweit in die Schlagzeilen. Die Bürgerrechtsbewegung war integrationistisch, das heisst, sie setzte sich für die gleichberechtigte Teilnahme von Schwarzen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Längst nicht alle waren mit dem friedlichen und versöhnlichen Programm von King zufrieden. Sein wichtigster Gegenspieler unter den Schwarzen war Malcolm X. Nach anfänglicher Drogen- und Kleinkriminellenkarriere war er 1946 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Im Gefängnis begann Malcolm Littles (so sein Taufname) erste grosse Wandlung: Vom protzigen Paradiesvogel entwickelte er sich zum Intellektuellen – und zu einem brillanten Rhetoriker. Im Knast zur Nation of Islam bekehrt, einer schwarz-nationalistischen, muslimischen Sekte, avancierte er nach seiner Entlassung zum wichtigsten Minister der NoI. Unter Führer Elijah Muhammad predigte sie die radikale Segregation von den Weissen und war ebenso rassistisch wie manche Weisse. Von Politik wollte die NoI aber nichts wissen; Muhammad erachtete seine Organisation als rein religiös. Malcolm kritisierte die Bürgerrechtsbewegung regelmässig scharf und

Malcolms Sinneswandel Malcolm X war geistig nicht erstarrt, sondern sehr reflektiert und wach. Je länger, je mehr spürte er, dass es mehr als eine rein religiöse Organisation brauchte, um die Schwarzen vom Joch der weissen Unterdrücker_innen zu befreien. 1964 wurde er wegen öffentlicher Kritik an Muhammad und explizit politischen Reden aus der NoI ausgeschlossen und seither massiv von ihr bedroht. Nach dem anfänglichen Schock blühte er in seinem dritten Leben umso mehr auf. Er pilgerte nach Mekka, wo er den „wahren Islam“ kennenlernte. Im Anschluss reiste er durch Afrika. Danach sprach er nicht mehr von unüberbrückbaren Gräben zwischen Weiss und Schwarz, im Gegenteil: «Ich bin kein Rassist. Ich bin gegen jede Form der Diskriminierung. Ich glaube an Menschen und daran, dass alle Menschen als solche respektiert werden sollten, unabhängig von ihrer Hautfarbe.» Malcolm machte sich nun für die Versöhnung der verschiedenen emanzipativen Bewegungen stark. Er verteidigte aber weiterhin das Recht auf bewaffneten Widerstand und betonte die Notwendigkeit einer Revolution, um endlich Gerechtigkeit zu erreichen. Der Kampf müsse mit allen nötigen Mitteln geführt werden («By any means necessary»). Seinem Engagement wurde im Februar 1965 ein jähes Ende gesetzt. Bei einer Veranstaltung in Harlem wurde er von Attentätern der NoI erschossen (man geht heute davon aus, dass das FBI die Anschlagspläne kannte). Kings Radikalisierung Ähnlich wie Malcolm verliess Martin Luther King am Ende seines Lebens den früher eingeschlagenen Pfad – er radikalisierte sich. Seit den Watts-Riots 1965 in Los Angeles mit 36 Toten engagierte er sich immer stärker für soziale Gerechtigkeit, die über die politisch-formelle Gleichberechtigung hinausging. Sass er 1963 noch mit Präsident Johnson im Oval Office, sprach er nun in ungewohnt scharfer Sprache von «internem Kolonialismus». Auch der Vietnamkrieg geriet in Kings Schusslinie. In seiner Rede «A Time to Break Silence» beschuldigte er die USA, «die schlimmsten Gewaltlieferanten der ganzen Welt» zu sein. Auch von seinem früher gepredigten Pazifismus nahm er offensichtlich Abstand: «Sie lobten unsere gewaltlosen Sitzstreiks; applaudierten, als wir uns ohne Gegenwehr schlagen liessen. (…) Es ist schon eine merkwürdige Inkonsistenz, wenn eine Nation und ihre Presse dich lobt und preist, wenn du sagst: ‹Seid gewaltlos zu Jim Clark› (der wegen seiner Brutalität berüchtigte Polizeichef von Selma), aber dich verdammt, wenn du sagst: ‹Seid gewaltlos zu kleinen braunen vietnamesischen Kindern!›» Malcolm X und Martin Luther King, die sich nur ein einziges Mal während all der Jahre des Kampfes begegneten, waren am Ende ihres Lebens inhaltlich erstaunlich eng zusammengerückt. King wurde 1968 in Memphis erschossen. Es lässt sich nur vermuten, was geschehen wäre, wenn die beiden wichtigsten Persönlichkeiten des schwarzen Freiheitskampfes im 20. Jahrhundert gemeinsam marschiert wären. Und heute? Die mittlerweile in Teilen revolutionäre Schwarzenbewegung verlor nach der Ermordung ihrer Anführer an Boden. Es gab aber auch berühmte Nachfolgegruppen wie die sozialistische Black Panther Party, die sich mit «Black Power» und bewaffneter Selbstverteidigung weltweit einen Namen machte. Von FBI-Chef Hoover wurde die Organisation als «grösste innere Bedrohung für Amerika» bezeichnet und deshalb massiv infiltriert. Selbstverständlich ist die Situation für Afroamerikaner_innen in den USA heute besser als 1861. Schon was die literarische und filmische Rezeption angeht («Malcolm X» (1992); «12 Years a Slave»; «Selma»), ist die Sensibilität für die Geschichte und Gegenwart der Schwarzen gewachsen. Doch bis heute hat sich nichts Grundlegendes an ihrer Situation geändert. Die feigen, ungesühnten Tötungen von schwarzen Teenagern durch weisse Cops im Monatstakt erschüttern die Black Community stetig aufs Neue. Wirtschaftlich hinken die Schwarzen den Weissen hinterher, dafür füllen sie die Gefängnisse überproportional; werden wegen kleinster Delikte eingeknastet. Kaum ein_e Politiker_in, schon gar nicht der schwarze Präsident der USA, setzt sich für eine Veränderung der menschenfeindlichen, rassistischen Situation ein. In den verlogenen Staaten von Amerika geht die Ungerechtigkeit munter weiter – genauso wie der Widerstand dagegen.


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Facies hippocratica

Weiter atmen Text: Eva Hardmeier | Illustration: nor

Dieser Tag begann nicht wie die Tage zuvor. Als ich das Zimmer betrat, – schüchtern wagten sich die ersten Sonnenstrahlen durch die schmale Lücke der beiden zugezogenen Vorhänge hinein ins Zimmer – bemerkte ich die andere Stimmung, etwas Kleines, fast Unmerkliches hat sich eingeschlichen, es roch und ich fühlte es. Es war der Tod. Die Tage zuvor lag sie zu eben dieser Zeit wach auf dem Rücken, den Kopf leicht erhöht, mit einem neugierigen, einäugigen Blick zur Tür: Wer wird sie wohl diesen Morgen willkommen heissen? Ihre Stimme war schon lange schwach und kraftlos, aber ein freundliches und herzliches «guten Morgen» kam immer. An diesem Morgen waren beide Augen geschlossen, auch das Gesunde. Das Andere blieb seit längerem verborgen, der Tod hatte sich dort, hinter dem zarten Augenlid, schon vor Tagen niedergelassen. Der Tumor trieb unverschämt sein Unwesen und hatte sich ungefragt einen festen Platz genommen. Pingpongballgross nahm er ihr beinahe die Würde und das Augenlicht. Das Lid wölbte sich gespannt und schien das Auge sanft zu schützen und das Unschöne zu verbergen. An diesem Morgen lag sie auf der Seite. Schwere Schweissperlen glänzten auf dem kahlen, glühenden Kopf, auf der Stirn und am geröteten Hals – einer ungewohnten Stelle. Wie so oft, oder eigentlich fast immer, bin ich spät, nicht zu spät – zum Glück, denn die Garderobieren an den Türen zu den entsprechenden Rängen sind streng, sie kennen kein Erbarmen. Wer zu spät ist, muss warten bis zum zweiten Akt. Schweissgebadet und ausser Atem sehe ich meinen freien Platz. Erster Rang, erste Reihe Mitte, Nummer 165. Alle sitzen sie schon da. Die Perlenketten glänzen, die Frisuren strahlen um die Wette und die hübschen kleinen Handtaschen aus schwarzem Lack liegen brav auf den Knien, welche elegant übereinander geschlagen sind. Ich

quetsche mich höflich und wiederholt um Verzeihung bittend an Bäuchen, Knien und grossen Brüsten vorbei. Hätte ich mich umdrehen sollen? Ich werde gemustert, hemmungslos, von oben bis unten. Ich komme nicht chic und gepudert und nicht um der Gesellschaft willen, nein, ich komme in Jeans und Turnschuhen der Leidenschaft wegen. Im Unterschied zu den gut gekleideten, netten Damen und Herren gebe ich weder Nerz noch Kaschmir in die Obhut der strengen Garderobieren, nein, bei mir sind es zwei voll bepackte Papiertüten aus dem Supermarkt. Ich schmunzle beim Gedanken an meine Tüten und den Anblick der sich vor leichter Empörung rollenden Augen. Ich geniesse es und lasse mich wohlig in den roten Samtsessel sinken. Ich lege meine Hand auf mein rechtes Auge und betrachte das Treiben einäugig, ich denke an sie, an ihre letzten, tiefen Atemzüge. Für einen Moment bedecke ich beide Augen und lausche dem Gerede und dem Gemurmel. Das Fieber war hoch, ungewöhnlich hoch. Bald war mir klar, dass der Tod, der seit Tagen lauerte, sich unaufhaltsam aber diskret einen Schritt näher heran wagte, er war nah – zum Greifen nah. In einem Chromstahlbecken richtete ich Bergamotte und Lavendel für eine wohltuende Fieberwaschung. Ich war grosszügig mit den wohlriechenden Essenzen, da ich wusste, wie sehr sie diese mochte. Der Duft gesellte sich zur stillgestandenen Zeit. Ein paar Tropfen Sahne halfen den ätherischen Ölen, sich mit dem Wasser zu verbinden. Kleine Fettaugen tanzten glänzend an der Wasseroberfläche und schrien nach Leben. Mir war klar, dass ihr schwacher Körper dabei war, den langen Kampf zu verlieren. Ich sitze gerade auf meinem Sessel, atme tief durch und berühre mit meinen Handinnenflächen den roten Samt rechts und links meiner Sitzfläche. Endlich ist es wieder einmal dieser teure, gute Platz, ich beschliesse,

hier nie wieder zu sparen. Ich denke an die Sterbende, an die auf der Seite Liegende, die, wenn sie es wüsste, sich freuen würde darüber, dass ich, die Lebende, jetzt so kurz nach dem Begleiten, mich den Freuden und der Leidenschaft der Oper hingebe. Noch einmal fühle ich den roten Samt mit meinen Händen, nehme sie an meine Nase und rieche - Bergamotte und Lavendel. Ich wühle in meiner viel zu grossen Ledertasche zwischen meinen Beinen nach dem alten, goldenen Operngucker, dem Erbstück der Grosstante, von der ich auch die Freude an der Oper geerbt habe. Ich geniesse den Blick meiner überraschten, nach zu viel Chanel N°5 duftenden Sitznachbarin auf meine hübsche Kostbarkeit, die ich mir um den Hals hänge. Der tiefrote Vorhang ruht und nur beim genauen Hinsehen erkenne ich eine ganz feine Hin- und Herbewegung. Ich lege meine Arme auf die Brüstung und parkiere meinen Kopf auf den übereinander liegenden Händen flach auf dem Kinn. Die Damen unten im Parkett streifen ihre Kleider über dem Po glatt, damit sie beim Sitzen ja keine Falten machen. Mir scheint das Geräusch der etwas zu breiten Schenkel durch das Reiben der Strümpfe beim Übereinanderschlagen der Beine bis nach oben hörbar. Es wird getuschelt, sich nett unterhalten, sich geräuspert und das eine oder andere fein gebügelte Taschentuch kommt noch zum Einsatz. Der Dirigent betritt den Orchestergraben. Die Ersten, die ihn sehen, beginnen leise zu klatschen, bald klatschen alle laut, während er sein Pult erreicht und seine Musiker bittet, aufzustehen. Ich wusch sie sanft und wortlos, auch an den Körperstellen, die seit Tagen apathisch und gefühllos an ihr hingen. Die Tumore wüteten überall. Fast betäubte mich der Geruch der fiebersenkenden Mischung. Durch einen Schleier von Tränen versuchte ich erfolglos, die Schweissperlen zu vertreiben,

sie blieben standhaft und die roten Wangen glühten weiter. Ich erinnerte mich an Spässe, die wir über Einäugige machten, sie liebte es, sarkastisch zu sein. Ihr Humor blieb und diente bis zum Schluss als treuer Begleiter. Zart fuhr ich immer wieder mit dem weichen Lappen über ihre Lider, welche sich nun, müde geworden, über beide Augen legten und sie für immer verbargen. Auf meine leise, fast scheue Frage, ob sie es mochte und ob ich weiterfahren solle, kam von weit her ein kaum hörbares «ja bitte, es ist wunderschön». Es waren ihre letzten Worte und mein heimlich gehegter Wunsch, an diesem Tag bei ihr zu sein, ging in Erfüllung. Ich bleibe länger sitzen als gewohnt. Langsam leeren sich die Ränge, bis ich alleine im Zuschauerraum sitze. Der rote Vorhang schwenkt immer noch ganz langsam hin und her. Ein leichtes Spiel zwischen Licht und Schatten strahlt tiefrot nach oben zu mir. Der Vorhang scheint mir gross und unendlich. Ich erinnere mich an sie - wieder an sie, die Sterbende, als gäbe es eine Gemeinsamkeit zwischen ihren letzten Atemzügen und den immer sanfter und langsamer werdenden Bewegungen des Vorhangs. Ich erinnere mich an meine Einkaufstaschen, die draussen auf das ganz normale Leben warten. Die Garderobieren sind gegangen und ein einsam vergessener Herrenschirm hängt an seinem Haken. Meine beiden Tüten stehen versteckt unter dem Holztresen, eine nette Dame hat sie in Sicherheit gebracht.


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Dominum Huttwilarae Text: Tom (frühpensionierter Reitschüler)

Dreimal wurde Huttwil in Schutt und Asche gelegt, dreimal wurde es wieder aufgebaut. Schon vor 675 Jahren, im Jahre des Herrn 1340, hatten die Stadtberner_innen die Schnauze voll von dem Kaff gehabt und es niedergebrannt. Beim zweiten Brand im Jahre 1537 konnte die Brandursache nie einwandfrei festgestellt werden. 1834, beim dritten Brand, versuchte es der Herrgott persönlich mit einem Blitz, aber auch er scheiterte. Was auch passierte, das «Blumenstädtchen» auferstand von Neuem. Als 1903 die Huttwiler_innen in ihrem Stadtpärkli ein Denkmal in Erinnerung an Niklaus Leuenberger (aus dem Nachbarkaff Rüderswil) aufstellten, dem Anführer des Schweizer Bauernkrieges von 1653, wussten die Stadtberner_innen: Mit diesem Kaff wird es weiterhin nur Ärger geben. Die damalige Enthauptung und Vierteilung von Leuenberger (sein Kopf wurde an den Galgen genagelt, seine Körperteile an den vier Landstrassen vor Bern ausgestellt) sowie Einkerkerung, Folterung, Zwangsarbeit, Exilierung oder Hinrichtung vieler Exponenten des aufständischen Huttwiler Bauernbundes war wohl dem aufmüpfigen Landvolk nicht lange genug Lehre und Warnung gewesen. Im Jahre des Herrn 2015, 362 Jahre nach dem Bauernkrieg, wurde es Zeit, die Huttwiler_innen mal wieder tüchtig durchzuhuddeln, auf dass die Lektion diesmal länger in den Emmentaler Grinden bleibe. Denn es hatte sich begeben, dass nicht wenige Bauernsöhne und -töchter aus Huttwil

Das Streben zum Thier Comix: Nicolophonius Fuhrimann

und Umgebung sich in der Stadt Bern als Scherg_innen der Obrigkeit verdingten und freiräumige Bürger_innen belästigten. Ihr Anführer, ein Verbands-Wütherich sondergleichen, hatte nämlich dereinst einen Pakt mit Banausea, dem Stadtvogt von Bern, geschlossen, um gemeinsam das Stadtvolch Tag und Nacht zu plagen. Um die guten Leute von Bern im Zaum zu halten, begründeten die Schreiberlinge der Obrigkeit der Welt jede Woche diese Untaten mit den Gefahren des EU-genormten Gewaltterrorismus und der Verbreitung von unrechtsfreien Träumen. Das Stadtvolch von Bern hatte bald genug von diesem Treiben und beschloss, sich in als alternativen Kulturzentren getarnten anarchokommunistischen Räten basisdemokratisch und selbstverwaltet zu organisieren, um dieser Landplage gemeinsam Kollektiv zu werden. Nach erfolgtem Konsens an einer Vollversammlung der Räte im Allemüssenwankendorf-Stadion wurden der Stadtvogt und die Scherg_innen vom Land samt ihrem Wütherich aus der Stadt gejagt. Bis hinein ins tiefste Emmental wurden sie getrieben, bis vor die Tore von Huttwil. Alsbald folgte eine wochenlange Belagerung. Und als sich in dem Städtchen kein Leben mehr rührte, wurde es niedergebrannt und die Ruinen komplett zerstört. Damit niemand mehr es je wieder wagen würde, Huttwil neu aufzubauen, wurden als Warnung eine Million Sumpfblüten der Verwahrlosung gepflanzt. So geht das.

Kinderbuchtipp

Man wird doch wohl mal wütend werden dürfen Text: Ruth Baeriswyl

Da sind der Käfer und der Regenwurm, die in Streit darüber geraten, wer von beiden wütender ist. Der Elefant ist wütend auf sich selbst, weil er so unvernünftig ist und immer wieder versucht, auf den Baum zu klettern, obwohl sich sein Körperbau nicht wirklich zum Bäume Besteigen eignet. Die Spitzmaus versucht vergeblich, das Eichhörnchen zu provozieren. Die Spitzmaus setzt sich an den Tisch und isst von der Torte, die das Eichhörnchen vor sie hinstellt. «Eichhörnchen», sagt sie nach dem zweiten Bissen, «ich glaube, dass du jetzt böse wirst, aber ich muss es sagen. Die Torte schmeckt mir überhaupt nicht. Pfui! Was für eine eklige Torte.» Sie schiebt die Torte von sich weg und zittert. «Jetzt musst du aber wirklich böse sein!» Doch das Eichhörnchen kennt das Gefühl «böse» nicht und bleibt gelassen. Die Spitzmaus allerdings kann schwer damit umgehen, dass ihre Bösartigkeit beim Eichhörnchen keine Rührung bewirkt und verlässt resigniert Eichhörnchens Behausung. Dann gibt es da noch den Krebs, der mit der Wut hausiert. Er versucht, der Maus eine dünne, hellrote Wut, die auch sehr schnell wieder vergeht, zu verkaufen – diese eignet sich bestens, wenn einem jemand beim Tanzen auf den Füssen herumtrampelt. Maus interessiert sich aber für das hellblaue Etwas ganz unten im Koffer. «Was ist das?», fragt die Maus. «Das ist keine Bosheit», sagt der Krebs. Er räusperte sich. «Das ist Traurigkeit. Die verkaufe ich nicht, aber weil Sie es sind…», meint der Krebs. Die Geschichten regen zum Philosophieren und Reflektieren der eigenen Gefühle an. Ein Buch voller hintergründigem Humor und überraschenden Einsichten. Tellegen Toon, Boutavant Marc | Man wird doch wohl mal wütend werden dürfen | Hanser Verlag


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Kreuzworträtsel

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von mal

Computertechnologie, Internet & Datenschutz

Denn wir wissen nicht, was ihr treibt… Lösungswort: Wünscht man nicht mal Bruce Willis zum 60. Geburtstag (Das Lösungswort (2Worte ohne Abstand) ergibt sich aus den Buchstaben wild durcheinander gewürfelt)

Waagrecht 1 Fussballfans, Oldtimerfahrer und auch Präsidenten sind manchmal damit unterwegs. Alle anderen Verkehrsteilnehmer ärgern sich darüber 6 Abk. eines Faktors der die Frage aufwirft, ob es nur kostet oder auch nützt 9 ob Marilyn Manson oder doch das Bowlingspiel dafür verantwortlich sein kann? Es ist aber mit Sicherheit kein guter Lauf. Und Rückwärts gelesen ist es ein vermutlich eher langweiliger Zustand 10 im Winter braucht man andere als im Sommer. Auch zum Barrikaden bauen gut geeignet 11 zwei davon sind per Gesetz zwei Männer und zwei Frauen 12 durch die Erfindung der E-Mail arg in Bedrängnis geraten. Auch eine Art Beschreibung guter Partys 13 alle Roh geniessbaren Früchte 16 medialer Sturm in der Keramikschüssel 18 ein statistisches Mass bei dem null absolut fair und eins maximal unfair ist. Bei der Vermögensverteilung oft zittiert 20 etwas Rundes, das nur in manchen Sportarten auch Quadratisch ist 21 eine Tätigkeit, die den Vergleich mit dem Setzen von Duftmarken der Hunde zulässt. Stinkt im Gegensatz dazu aber nicht 25 Syn. für Verstaatlichung 28 z.Z ziemlich in Mode bei Interior- und Fashiondesign. Zeugt von Ideenlosigkeit 29 sollte man, nach einer linken Kampfparole, mit den Reichen tun. Ist wohl nicht wörtlich gemeint 30 Teil einer schweinischen Fortpflanzung. Rückwärts gelesen ein Rohstoff zur Gewinnung eines Getränkes 33 so nah und doch so... 35 diese Leute verbringen fast ihr ganzes Leben in der Schule 36 zieht durch Alpentäler und liegt in manchem Badezimmer 38 Honorar von Bühnenkünstlern 39 ohne das gäbe es wohl keine amerikanische Mafia, keinen Bandenkrieg in Mexiko und kaum Probleme auf dem Vorplatz 40 ein Hauch von luftigen Eiern zum essen (Französischkenntnisse von Vorteil)

Senkrecht 1 mit dem Genus und dem Numerus zusammen wesentlicher Bestandteil allgemeiner Verständigung 2 kommt von einem Gefühl im Bauch oder der Überinterpretation von Ereignissen - Rückwärts gelesen ein Fisch, der gefunden werden muss 3 ein noch leerer Datenträger - oder ein Grobian 4 einer der den Zweifelsfall zur Regel macht 5 ist mit der Regierung selten gleicher Meinung 6 unbeliebteste Wohnresidenz in allen Ländern der Welt 7 Ogis 25 Milliarden Erbe 8 wenn man dafür sorgt, ist einem Aufsehen gewiss 14 ein kleines Velo 15 der anglizistische Jargon schlechthin 17 wird bei Begeisterung mit weg und am Schalter mit zurück in einem Atemzug gesagt 18 wenn man es auf Neues hat ist es positiv zu werten. Aufs Haben bezogen ist es negativ 19 eine sexualisierte Handwerkstätigkeit 22 Bundesrat der in der militärischen Garderobe unsterblich ist 23 auf einer Parkbank kann man es, auf einer Geldbank hat man es 24 ist gleich mc² 26 das ist der Enkel deiner Eltern, wenn du nicht der Vater oder die Mutter bist 31 ähnlich einem Schlafplatz für Grünzeug und Blumen 32 ein verbreitetes Suffix, im Hochdeutschen „Hühnerei“ nicht enthalten, im Schweizerdeutschen „Hüenerei“ aber schon 34 auf lat. wird es zur Verstärkung des Superlativen gebraucht. Rückwärts gelesen ein Beruf mit bundesrätlichem Namensvetter - auf Schweizerdeutsch 34 Wohnsitz von Königen und Bauern

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Den meisten dürfte aufgefallen sein, dass der Entwurf für das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) mittlerweile im Parlament behandelt wurde. An dieser Stelle möchten wir einen Blick auf einige ansonsten oft unbeachtete Punkte werfen. Text: rif & peb | Illustration: pak

A

m 17. März wurde der Entwurf für das neue NDG vom Nationalrat mit 119 zu 65 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen. Voraussichtlich im Sommer wird sich auch der Ständerat mit dem Gesetz befassen. Sollte das NDG in dieser Form verabschiedet werden und ein Referendum scheitern, träten nicht nur problematische neue Überwachungsmassnahmen in Kraft – siehe letztes Megafon (Nr. 393) – sondern die Behörden in der Schweiz hätten es potentiell mit einem viel grösseren Datenvolumen zu tun als bisher. Was passiert eigentlich mit den einmal abgeschnorchelten Daten? Von der Problematik der «sicheren» Aufbewahrung und dem damit einhergehenden Risiko von Datenverlust und -klau einmal abgesehen, kann mit den gespeicherten Informationen so einiges passieren. Datenbearbeitung Einmal gesammelt werden die erhobenen Daten einem der vielen Informationssysteme des Nachrichtendienstes (NDB) zugeordnet und darin vernetzt und ausgewertet. Der NDB und die kantonalen Vollzugsbehörden dürfen besonders schützenswerte Personendaten und -Profile bearbeiten und Informationen daraus besonders hervorheben und kennzeichnen. Dabei können die Daten auch verändert und Informationen hinzugefügt oder entfernt werden. Datenweitergabe Betroffene der staatlichen Schnüffelei haben keinerlei Kontrolle über die Weitergabe ihrer persönlichen Daten. Der NDB kann Daten an ausländische Behörden weiterleiten und dies unter Umständen auch unter Nichtbeachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Überdies soll es dem Bundesrat explizit erlaubt sein, selbstständig Verträge abzuschliessen, welche die Beteiligung an

internationalen, automatisierten Informationssystemen beinhalten können. Welche Daten der NDB somit über wen gezielt oder gar automatisiert weitergibt, ist somit völlig undurchschaubar. Auskunftsrecht Die Frage, die sich dabei natürlich stellt, ist folgende: Wie erfahre ich, ob und welche Daten der Nachrichtendienst über mich gesammelt hat? Und was ist mit diesen Daten geschehen? Die Antworten auf diese Fragen bleiben uns die Behörden auch mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz grossteils schuldig. Das neue Auskunftsrecht scheint zwar ein wenig besser zu sein als das bisherige – so könnte mit dem neuen NDG der NDB direkt um eine Auskunft angefragt werden. Dieser dürfte aber in den meisten Fällen einen Grund finden die Aussage zu verweigern. Auch Fragen bezüglich der Weitergabe der Daten an andere Dienste im In- und Ausland bleiben unbeantwortet. Ach ja übrigens... Die vorberatende Komission des Nationalrates hat zudem eine weitere problematische Massnahme eingebaut, welche vom Nationalrat abgesegnet wurde, das sogenannte Organisationsverbot. Neu soll der Bundesrat die Befugniss haben, «eine Organisation oder Gruppierung [zu] verbieten», sofern sie «die innere oder äussere Sicherheit konkret bedroht». Bisher können in der Schweiz Organisationen nur mittels Notrecht vom Parlament verboten werden und entsprechend zurückhaltend ist die Verbotspraxis in der Schweiz. Schlechte Nachrichten gibt es zudem auch aus dem Ständerat: Dieser hat letzten Monat die gesetzliche Festschreibung der Fernmeldepflicht mit 26 gegen 17 Stimmen abgelehnt.


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Nr. 394 | April 2015

Kurzschluss

Von Festen und Festgenommenen Text: bass

Es ist schon beeindruckend, wie viel politische Sprengkraft sich in Form einer Strassenparty entladen kann. Da versucht Berns Statthalter ein Mal der Reitschule ein paar Zwangsmassnahmen aufzubrummen, und schon wächst ein Reclaim the Streets bisher bescheidenen Umfangs zum massenhaft besuchten Grossfest mit knapp 20’000 Teilnehmenden an. Berns Behörden konnten sich glücklich schätzen, artete die dritte Ausgabe des Tanz dich frei zur Strassenschlacht dritten Grades aus. Zu schlecht wussten sie mit dem Potential umzugehen, das sich nun zwei Mal auf Berns Strassen entlud. Zu gross war die Masse an politisch und unpolitisch Bewegten, die sich da eine Nacht lang ihren Platz nahm in dieser Stadt. Zu sehr unterschätzt hatten sie das Bedürfnis dieser Jugend, die sich Wochenende für Wochenende auf die eine oder andere Weise all dem entziehen will, was sonst so ihren Alltag ausmacht. Doch nun ist sie tot, die ‹Bewegung›, die Masse an Menschen, das Phänomen das sich ‹Tanz dich frei› nannte. Begraben unter den Flaschen und Steinen, die Richtung ‹Ordnungshütende› flogen. Erstickt von dem Gas, das zurückgeschossen wurde. In den Selbstmord getrieben durch Ralph Lauren-Jacke und geplünderte Unterhaltungselektronik. Oder etwa doch nicht? OpenAir Bern, «weitere Infos ab 10’000 Zusagen», hiess es da plötzlich nach einem Jahr Ruhe in Berns Gassen. Dazu ein Bild der zweiten Ausgabe dieses schon fast berüchtigten Festes. Und schon war der Hype komplett. Kommt nun das nächste Tanz dich frei? Wie geht die Stadt damit um? Und ist die ‹Sicherheit› gewährleistet? Angst-, Spass- und Sensationsmaschinerien liefen urplötzlich heiss. Die Hälfte freute sich auf Runde vier des stadtweiten Massenbesäufnisses, die andere meldete Bedenken und Misstrauen an, in Bezug auf ‹Chaoten› und ‹Schwarzen Block›. Dann die Ernüchterung. Nein, nein, das OpenAir Bern werde nicht ohne Bewilligung stattfinden. Und auch nicht

in der Stadt Bern. Auf der Suche nach Sponsoren sei man zurzeit für den Grossevent. Seither ist das Thema wieder von der Bildfläche verschwunden. Es mag Verärgerung bis -achtung hervorrufen, wenn eine kommerzielle Veranstaltung Profit schlagen will aus dem Phänomen einer wenn nicht in sich politischen, so doch politisch gewachsenen ‹Bewegung›. Doch eines muss man den Veranstalter_innen lassen: Sie haben das Potential erkannt, das seit dem Sommer 2012 in Bern schlummert. Und das im Mai 2013 ins Koma fiel. Die Bereitschaft der bernischen ‹Jugend› – ein Begriff, der der Sache wohl definitiv nicht gerecht wird –, sich ihren Platz zu nehmen. Vielleicht nicht auf explizit politische Weise, aber doch mit einer Entschiedenheit, die man in sich als politischen Akt betrachten muss. Auch entgegen der Polemik politischer Parteien. Dieses Potential ist noch vorhanden, heute genauso wie damals. Die schlagartig einsetzende Hysterie um das zwar eher lächerliche ‹OpenAir Bern› hat das eindrücklich bewiesen. Und die Angst von Berns Behörden vor dem erneuten Aufflackern dieses totgeglaubten Festes dürfte riesig sein. Auch wenn so etwas wie ein viertes Tanz dich frei viele Leute wohl nicht mehr zu mobilisieren vermag. Auch wenn die Bilder von zerstörten Schaufenstern und fliegenden Flaschen in vielen Köpfen noch Panik und Hysterie vor den ‹vermummten Chaotinnen› und ‹unpolitischen Krawallanten› hervorruft. Auch wenn der überwältigende Grossteil der Tanzfreudigen sich wohl nicht identifizieren kann mit dem antikapitalistischen Kern des Tanz dich frei. Das Potential, einmal mehr Tausende auf Berns Strassen zu bringen ist da. Es bedarf lediglich der Leute, die es ausspielen. Und die Tatsache, dass dies für die Berner Behörden wohl Überforderung pur bedeuten würde, dürfte Motivation genug sein, dass dies auch geschehen wird. Das nächste Fest wird kommen. Und kein Reto, kein Manuel, kein Alex wird dies je aufhalten können.

Schnappschuss

Text: sak

Konstruktion Am Ende des Tages sitzt der Schreiner, in der Kneipe, in Arbeitskleidung, im eingetrockneten Schweisse seines Angesichts, beim Bier. Und ist der Abend vorbei, die Nacht bereits angebrochen, und sitzt der Schreiner – aus welchen Gründen auch immer – immer noch, in der Kneipe, in Arbeitskleidung, beim sechsten Bier; dann kann es sein, dass er seinen Doppelmeter zückt und ihn vor dir auf den Tisch legt. Er fragt: «Bist du bereit für ein Ratespiel?» Und ganz egal ob du bereit bist oder nicht, wird er dich auffordern: «Stelle diesen Doppelmeter so auf den Tisch, dass er in nur einem Punkt die Tischplatte berührt.» Innovation Im Jahre 1493 – so beschreibt es die Legende – sitzt Christoph Kolumbus bei Kardinal Mendoza zu Tisch. Gekränkt durch die Aussage, die Entdeckung Amerikas sei wenn auch ein aufwendiges Unterfangen, so doch ein Leichtes gewesen, stellt Kolumbus der Gesellschaft folgendes Ratespiel: «Nehmt dieses gekochte Ei und stellt es mir mit der Spitze auf den Tisch.» Mit mehr und mit weniger Geschick, aber gleichermassen erfolglos, versucht sich die Tafelrunde an der gestellten Aufgabe. Um Auflösung des Rätsels gebeten, nimmt Kolumbus das Ei, und schlägt es so auf den Tisch, dass es – beim Köpfchen leicht eingedrückt – stehen bleibt. Empört über die Unlauterkeit dieses Vorgehens beschwert sich die Tischgesellschaft, dass das Aufstellen des Eis ihnen so auch geglückt wäre. Daraufhin und mit Bezug auf seine Entdeckung der neuen Welt, herrscht Kolumbus sie an: «Der Unterschied ist, meine Herren, dass sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!» Exploitation Behutsamer als Kolumbus geht in London die Romanfigur MacHeath mit ihrem Frühstücksei um: «Die linke Hand hilft nach: Sie dreht das Ei dem Löffel entgegen! So muss es glücken, so bleibt nichts zurück! Ist das Ei ausgenommen, wird es hochgehoben, etwas waagerecht, und hineingeschaut. Dann bleibt noch das Köpfchen: Es ist zu Beginn des Unternehmens sorgfältig neben das Ei auf den Teller gelegt worden: Es ergibt, auf einmal geleert, einen vollen Löffel.»

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Demo am 7. März in Bern zum Thema «Lohngleichheit jetzt» – Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. In der Bundesverfassung steht dieser Grundsatz seit 33 Jahren. Oft verdienen Frauen bei gleicher Arbeit weniger als Männer. (Foto: sabine hunziker)

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Nr. 394 | April 2015

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Le lance-pierre. P Text / B ilder: Günhan

our l’vobserver, j’avais pris l’habitude de m’agenouiller sur le chemin caillouteux qui reliait la route principale à l’entrée de la maison. Bien que j’eusse voulu avec tant d’ardeurs obtenir sa reconnaissance, il ne lui arrivait jamais de regarder de mon côté - soit par mépris, soit par simple indifférence, ou peut-être en protestation à mon indiscrétion manifeste. Il aimait à rester là un long moment, debout dans le jardin, les mains jointes dans le dos. A intervalles irréguliers, il s‘agitait et commençait à tracer des cercles avec ses pas, tout en gardant son regard fixé vers le haut. Sa silhouette, intimidante et élégante à la fois, se confondait à celle des hêtres et sapins qui l’entouraient. Je fixais ses mains avec une fascination mêlée d’un désir singulier que je ne parvins à identifier que des années plus tard. Je savais que sa paume gauche cachait un lance-pierre en bois, dont il ne s’était jamais servi encore. Je l’avais entendu expliquer une fois à la voisine qu’il le gardait avec lui pour intervenir en cas de dispute entre oiseaux. C’est probablement au cours de ces après-midi récurrents où je l’épiais que j’appris à graduellement atteindre cet état intermédiaire entre la contemplation et l’attente. Il semblait se laisser aller aux chuchotements des

gorges bleues, au point d’atteindre une certaine forme d’extase, tout en étant à l’affût d‘un conflit qui viendrait perturber le calme. Cette annéelà, je revins immanquablement presque chaque jour, en compagnon fidèle que j’étais, l’assister dans l’attente patiente d’un dérèglement de la situation. J’appréhendais le moment où les branches se mouvraient et des cris se feraient entendre, l’instant où sa main gauche quitterait son dos tenant fermement le manche de son lance-pierre, et la seconde où sa main droite tirerait sur la languette. Ce que j’espérais n’arriva pas. C’était un jeudi et l’attente en cet après-midi m’était particulièrement éprouvante. Je tenais plus que de coutume à ce qu’il advienne quelque chose. Il m’est impossible d’expliquer pourquoi ce jour-là en particulier j’étais incapable d’attendre calmement, agenouillé sur le petit chemin caillouteux. Mais je m’en souviens parfaitement encore. Après un certain temps, alors que je ne pouvais plus contrôler ma respiration saccadée, je sentis, à travers mon pantalon, ma pisse chaude couler le long de mes jambes. Bouleversé par la honte qui m’envahissait, je commençai à sangloter. Il se retourna vers moi – pour la première fois. Je vis dans ses yeux deux billes de verre, des neptunes bleues, dont la froideur me paralysa.


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