megafon Nr. 391, Jan. 2015

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Irgendöppis - übers Schriibe u so S. 1 | F.T.P - Interview mit JDP S. 2–3 | Welcome to the Dark Side Computertechnologie, Internet & Datenschutz S. 3 | Jedes Jahr das Gleiche - Kurzschluss S. 13 | Roger und das

böse Buch - Tagebuch des etablierten Chaotentums S. 4 | Exitorial S. 4 | und Reitschule Kulturprogramm

Die Zeitschrift aus der Reitschule | Bern

Text: Nadja Geisser | Illustration: Walid Seragedine

«Gloub a di», seit si ihm, «du muesch numä a di gloubä.» «Jaja.» «Es isch nid so schwär, numä afah.» «Jaja, i weiss scho.», seit är. «Lug weisch du chasch es, fang a.» «Ja», meint är. «Wenn nid weisch wie afah, de mach eifach mau irgendöppis, egau obs de am Schluss no derzue ghört oder nid.» «I weiss dänk scho wie afah», seit är. «De mach.» «Jaja i weiss, i fah de scho a - irgendeinisch.» «Nid irgendeinisch, itz.» Si isch wäg. Är geng no ar gliche Steu ufem Baukon und dänkt drüber nachä was si gseit het, afah. Naja, es wär ja nid schwirig. Wär da nid si inner Souhung, wär dä nid i sim Buuch und würd sech geng so soudoof quer

Beilage 6. Norient Musikfilm Festival

megafon | N°391 | Januar 2015 | 6.-

steue. Dä mit sire negative Energie, faus er überhoupt mau Energie zeigt. Aber äbä, är wüsst scho wie afah. Und si weiss o das är das eigentlech weiss. Aber was seit me öpperem wo weiss wie afah, sogar scho weiss was mache unds de glich nid macht? «Auso i fah a», seit är sich. Hockt ah Tisch mit em ne Stift und sim Notitzbuech. Stiui. «Schrib, schrib öppis. aber was?» Aues chunnt ihm minderwärtig vor. Kem Wort giter d Berächtigung uf däm schön wisse Papier z stah. Nüt passiert. D Zit vergeit, z Blatt blibt läär und dr Chopf vou. Irgendöppis, dänkt är und schribts de o uf. Irgendöppis steit itz auso i sim Notizbuech. Immerhin, dänkt er. Immerhin e Afang. Irgendöppis.

Irgendöppis Är fragt sech wo de dä glorrich Afang sött härä füehre, was dr Sinn isch irgendöppis wöue ufzschribä, wo de sowieso

niemer wott läsä, ömu kes breits Publikum. Ja vorauem wenns de mau öpper sött läsä, was würds de däm o bringä. Und Gäut, ja Gäut verdient är mit däm sicher nie e Huufe. «Es het doch aues ke Sinn», seit är sich und schribt witer. Z Blatt füut sech langsam und är füuht sech immer es bitzeli liechter. Aus würd jedes Wort woner ändlech ufschribt vo ihm abe gheie und ne nümme so hert i Bode abe zieh. Ändlech het är immerhin e Afang, und plötzlech ischs ihm o glich wo de dä härä füehrt und es isch ihm o glich obs de irgendeinisch irgendöpper list. Und itz, luget itz emau, itz, genau itz list irgendöpper irgendöppis und villech, ja villech hets ja glich e Sinn vor sis Notizbuech z hockä und ufnes nümm ganz wisses Blatt z starrä bis dr Chopf liecht wird.


Nr. 391 | Januar 2014

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Interview mit JPD

D

For The People!

Interview: res | Illustration: JPD

ie JDP (Jeteur de Pierres) Bande ist in der Stadt Bern durch ihre kritischen und humorvollen Aktionen - meist handbemalte Holz-Brettlis, die im öffentlichen Raum aufgeklebt wurden - präsent. Was aber nicht alle wissen: Die Bande macht auch politische Shirts für den Freundeskreis und bereitet sich intensiv auf die Zombieapokalypse vor. Ich habe mich mit Brett Pit und Holz Hogan von JDP zu Bier und Zigaretten getroffen. Wie sieht’s nun Zombieapokalypsetechnisch aus?

Holz Die Zombies werden kommen, die Zeichen könnten eindeutiger nicht sein. Damit wir ready sind für die erste Welle, haben wir eine Bande gegründet: JDP. Brett Wir haben bis jetzt eine Armbrust, Schlafsäcke, eine Fischerrute, Gewürze, ein Pfadimesser und einen handbetriebenen Mixer organisiert. Wir fühlen uns der naiven Masse einen grossen Schritt voraus. Holz Wir werden zuerst plündern und dann mit unserer Bande eine eigene Zivilisation aufbauen. Ich habe seit dem letzten Weltuntergangsdatum mehr Geld für Survival-Material ausgegeben als für Schuhe. Und ich bereue nichts!

Brett Nur bis es so weit ist, müssen wir uns und unsere Bande irgendwie in der aktuellen Vorzombieapokalypse beschäftigen. Es ist ja nicht so, dass Kapitalismus Spass macht, er ist eher so wie Adam Sandler. Also versuchen wir etwas gegen ihn zu machen. Also gegen den Kapitalismus, Adam Sandler ist aber auch nicht zu ignorieren.

mit den Shirts ein Statement abgeben kannst dich politisch positionieren, und zweitens und viel wichtiger: du bist mit JdP markiert und wirst so während der Zombieapokalypse nicht von uns erarmbrustet... Wie viele Mitglieder habt ihr denn?

Das bleibt geheim, wir werden aber immer mehr. Viele wissen allerdings noch gar nicht, dass sie Mitglied sind. Holz

Ist JDP momentan eher eine Sekte oder eine Kleidermarke? Holz Sekte! Aber im Gegensatz zu den anderen Religionen kennen wir keine Verbote. Bei uns ist alles erlaubt. Das Ziel ist die Weltherrschaft. Zombieapokalypse hin oder her. Brett Auch geht es im Moment darum, Jacken mit Kunstfell an der Kapuze zu tragen. Die sind ja seit 2008 etwas aus der Mode gekommen und das zu ändern ist vor allem mir persönlich ein grosses Anliegen. Was die Shirts angeht: Wir haben schon immer viel gezeichnet, geschmiert und gemalt. So vor fünf Jahren haben wir dann angefangen diese absolut geilen Shirts zu machen. All unsere Freunde wollten die haben. Wir verkaufen die Shirts günstig und den Gewinn stecken wir sofort wieder in die Produktion von neuen Shirts. Holz Das mit den Shirts hat halt wie zwei positive Aspekte: Zuerst einmal kannst du

Was hat es mit diesen Brettlis auf sich? Brett Nach dem das mit den Shirts schon einige Zeit lief, haben einige von uns dann angefangen Brettlis zu machen und in der Stadt anzukleben. Wir haben über 500 Brettlis gemacht, die meisten sind aber wieder verschwunden. Hier möchte ich noch klar sagen, dass diese Bretter für die Strasse, also für alle sind! Wer eins abnimmt wird erarmbrustet. Egal ob es im Müll oder an der Wand in einer Hipsterwohnung landet. Holz Aber es ist doch so: Es ist scheissegal was du machst. Es ist scheissegal ob man zeichnet, ob du Graffiti sprühst oder Brettli oder Stühle an Wände hängst. Hauptsache man macht irgendwas um nicht zu verblöden. Und die Leute nehmen es wahr: Es reisst sie für einen kurzen Moment aus ihrem grauen Alltag raus. Es ist ein kleiner Ausbruch.

Was mich auch sehr motiviert hat, war als ich von Jugendlichen auf die Shirts angesprochen wurde. Das fand ich cool, dass sich da jemand interessiert und wissen will wie das genau geht mit dem Siebdruck, wo wir die Shirts kaufen, was FTP heisst etc. Warum eigentlich immer F.T.P?

Brett F.T.P bedeutet für uns vor allem auch For the People, also Solidarität zwischen allen Menschen. Und Flex the Power, also gegen hierarchische Machtverhältnisse. F.T.P im Sinne von Fuck the Police geht darum auf etwas hinzuweisen. Alle die bei uns mitmachen haben Erfahrung mit Repression gemacht. Polizeigewalt wird von den Medien ja praktisch nie thematisiert, ist aber trotzdem real. Die Berichterstattung über die zwanghafte Abgabe von DNA-Proben harmloser Miss-Schweiz-Wahl Demonstrantinnen war da wohl eher die Ausnahme. Holz Das kam ja nur in den Medien wegen dem Winterloch. Eventuell auch weil eine minderjährige Schweizerin dabei war die sich auf dem Posten ausziehen musste. Aber natürlich sind die Cops nicht das Hauptproblem. Sie sind halt quasi der 1:1 Gegner. Die menschgewordene Staatsgewalt, die Repression physisch ausübt.


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In eurem Text «Scheisse es reicht uns» greift ihr die «alten 68erinnen» und die «80er Bewegung» pauschal an («fickt euch!»)…

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Computertechnologie

(_Welcome_ ___ __ ___to___ _ the_ ___ _ _ _Dark__ _ () __Side_)

Brett Ich hab mir kürzlich wieder einmal «Berner Beben» angeschaut. Und fuck nochmal es hat sich einfach nichts verändert. Ausser vielleicht, dass du jetzt die Reitschule hast. Abgesehen davon gibt es doch genauso wenig Freiraum wie früher. Holz Es hat sich schon was geändert. Zum Beispiel sind die Cops jetzt viel besser ausgerüstet. Der Text von dem du sprichst ist samt Bild an einem wütenden Nachmittag entstanden. Wir fragen uns halt wo all die Leute geblieben sind, die früher auf die Strasse gegangen sind. Man sieht sie nur einmal im Jahr. Am 1. Mai Risotto essen.

Und die Jugend heute? Gibt es so etwas wie eine aktuelle Jugendbewegung? Brett Es gab das Tanz dich frei. Das war die grösste Jugendbewegung seit den 80er. Die musste halt dann durch massive Repression kaputt gemacht werden, im nächsten Jahr wäre sie zu gross geworden. Als es abging, spazierte ich in der vordersten Reihe und ich möchte hier mal klarstellen, dass von Seiten der Polizei die Eskalation geplant war: Alle waren schön hinter dem verdeckten Zaun auf dem Bundesplatz bereit. Richtig geil darauf ihre Granaten loszulassen, kaum rüttelte die erste Hand von aussen am Zaun. Nach dem Wasserwerfer und dem Tränengas kamen die Medien und der Internetpranger… Holz Ja, Die Echsenmenschen haben einen guten Job gemacht. Nause ist ja einer von ihnen… Die Forderungen nach mehr Freiraum und die antikapitalistische Haltung vom TDF bleiben aber aktuell. So etwas kann man nicht einfach verschwinden lassen. Brett Und scheiss aufs Nachtlebenkonzept: Wir brauchen nicht noch mehr kommerzielle Clubs. Lasst uns einfach im öffentlichen Raum in Ruhe. Wir haben selber Alk und Musik und wollen uns über Wichtigeres Gedanken machen. Holz Vielen Jungen ist es halt einfach langweilig. Dazu kommt, dass sie noch nicht genug Geld haben um sich komplett mit Konsum abzulenken. Ein paar merken dann vielleicht auch: Hey das ganze Konsumding ist irgendwie auch nicht das Wahre.

Und die Alternative seht ihr in einer Art Banden-Lifestyle? Brett Man kann auch so leben, dass man wenig Geld dafür viel Zeit hat. Du kannst zum Beispiel containern, klauen, in besetzten Häusern wohnen... Aber vor allem musst du dich sozial organisieren. Dann hast du viel mehr Zeit, die Sachen zu machen, die dir wirklich Spass machen. Holz Ich meine die ersten Menschen waren auch keine Einzelgänger, die lebten in Sippen. Alle waren für etwas zuständig. Die Leute waren kooperativ. Genau so sehe ich auch dieses Bandending. Du kennst halt einfach für alles was du brauchst jemanden, der dir helfen kann. Brett Das Ziel ist halt einfach mit guten Leuten zusammen aktiv zu sein. Wir wollen was erleben und gehen in der Nacht raus und machen was. Holz Und halt besser 10 Freunde zu haben die dich wirklich kennen und hinter dir stehen, als 18000 FB-Freunde. Die dürfen von mir aus alle Zombies werden, wenn es soweit ist.

Während sich auf der einen Seite Unternehmen eine regelrechte Schlacht um die oberen Einträge in den Suchmaschinen liefern und Medienkonzerne mit Google über Urheberrechte streiten, gibt es noch eine andere, verborgene Seite des Internets. Eine, die nicht gefunden werden will – ausser von jenen, die wissen, wo sie ist. Text: peb & rif

HIC SVNT DRACONES Zunächst muss einmal gesagt werden, dass der Begriff «Darknet» im Grunde oberflächlich und unzutreffend ist. Passender wäre «DeepWeb», in Abgrenzung zum «Surface Web», dem Internet, welches die meisten von uns in ihrem Alltag hauptsächlich nutzen. Die Inhalte dieses «sichtbaren Webs» sind grundsätzlich öffentlich zugänglich, und in der Regel ist es das Ziel der Anbieter_innen, möglichst schnell und einfach auffind- und erreichbar zu sein. Ein zentraler Faktor dazu ist die Indexierung der Webseiten bei den verschiedenen Suchmaschinen – denn seien wir ehrlich: Wer klickt sich schon durch die Seiten 10+ der Google-Trefferlisten? Im Internet kursieren aber auch diverse Angebote, die bewusst nicht für alle zugänglich und auffindbar sein sollen; von privaten Foren über Datenbanken von Bibliotheken und Behörden hin zu Angeboten, deren Legalität eher zweifelhafter Natur ist. Ein wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang ist es, von sogenannten «Webcrawlern», den Programmen der Suchmaschinenanbieter_innen zur Indexierung des Internets, nicht erfasst zu werden. Die Datenmenge dieser tieferen Schichten - so wird geschätzt - ist ungefähr 400 – 500 Mal grösser als die des Oberflächen-Webs. Wie kommt man also rein ins sogenannte «Darknet»? Wichtig sind zwei zentrale Mechanismen: Anonymität und Verschlüsselung. Ohne diese kommen wir nicht mal ansatzweise in die Nähe dessen, was wir finden wollen. Das einfachste Werkzeug dazu ist das «Tor-Browser-Bundle». Es ermöglicht nicht nur, sich anonym im Netz zu bewegen, sondern auch die Nutzung sogenannter «hidden services» - also versteckter Dienste, bei denen Anbieter_innen und Nutzer_innen beidseitig anonym bleiben. Aber selbst wenn man über Tor eine Verbindung zum Internet hergestellt hat, hat man nicht automatisch Zugriff auf alle versteckten Inhalte, denn zuerst muss man wissen, wo sich diese befinden. Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate! Bevor wir aber weiter in die Materie eintauchen, wollen wir sicherstellen, dass allen klar ist, worauf wir uns einlassen: Das sogenannte «Darknet» ist eine anarchischexperimentelle Spielwiese der Anonymität und damit auch

Spiegel aller menschlichen und unmenschlichen Abgründe. Es kann einem buchstäblich alles begegnen, vom handgepressten Olivenöl über krude Verschwörungstheorien bis hin zu Kinderpornographie. Viele - nicht alle - der auf den dortigen Schwarzmärkten angebotenen Waren sind illegal oder gefährlich. Der Besuch und die Nutzung derartiger Angebote erfolgen also auf eigene Gefahr. Wir weisen zudem darauf hin, dass die verwendeten Dienste, wie etwa Tor, ihre Schwachstellen aufweisen und dadurch die Anonymität nicht in jedem Fall gewährleistet ist - und selbst wenn, schützt sie niemanden davor, auf betrügerische Angebote oder Fakes von Behörden hereinzufallen. Die Gefahr, dabei auf Inhalte zu treffen, welche ekelhaft und / oder aus ethischer und politischer Sicht nicht akzeptabel sind, ist gross. Verständlich also, wenn man damit nichts zu tun haben möchte. Vollgepackt mit tollen Sachen… Wir starten also unseren Tor-Browser und machen uns auf die Suche. Alles in allem fühlt es sich ein wenig so an wie früher – die Älteren mögen sich erinnern – als das Internet noch jung war und Suchmaschinen noch nicht existierten. Statt dass man in einem Suchfeld einen Begriff eintippt, klickt man sich durch Linklisten und Verzeichnisse - die Langsamkeit des Tor-Browsers trägt zur nostalgischen Erfahrung bei. Um einen versteckten Dienst aufrufen zu können, muss man die genaue Webadresse kennen, was bei den langen und kryptischen Abfolgen von Zahlen und Buchstaben, die dann zumeist auf .onion enden, gar nicht so einfach ist. Einsteiger_innen orientieren sich hierbei an sogenannten «Hidden Wikis» und «Tor Directories», kategorisierten Linklisten, die dabei helfen, sich einen Überblick zu verschaffen. Dabei kann es vorkommen, dass gewisse Links ins Nichts führen, da Seiten geschlossen oder verschoben wurden. Ansonsten ist dies aber für Neulinge die einfachste Methode, sich im sogenannten «Darknet» zurechtzufinden. Beispiele dafür, was sich so alles käuflich erwerben lässt, zeigt aktuell die Ausstellung «The Darknet - from Memes to Onionland» in der Kunsthalle St.Gallen . Dort lässt sich noch bis am 11. Januar 2015 bestaunen, was passiert, wenn ein Programm nach Zufallsprinzip im «DeepWeb» shoppt.


Tagebuch des etablierten Chaotentums

Kurzschluss

He-HeFrou-Meier! Text: sak

und das böse Buch

R

Text: bass

oger erwachte unsanft aus seinem Schlaf. Das Telefon klingelte. «Roger, du bist ein Genie!», sagte sein Assistent am anderen Ende der Leitung. «Jaja, das weiss ich auch. Aber dafür weckst du mich so früh am Morgen? Um mir in den Arsch zu kriechen?» «Nein, natürlich nicht nur deswegen! Wir wurden gehackt!» «Echt? Geil!» Rogers Plan schien aufzugehen. Zwei Wochen zuvor hatte er Andreas in sein Büro beordert. «Andi, die Moslems sind mal wieder dran. Denen haben wir schon lange keinen mehr reingebremst. Wie wär’s mal mit einer Korananalyse?» Er hatte sich lange Gedanken darüber gemacht. Der Teil in ihm, der mal sein journalistisches Gewissen gewesen war, hatte sich einige Male dazu gemeldet: Eine wörtliche Betrachtung eines beinahe anderthalbtausend Jahre alten Buches? So ganz ohne Einbezug historischer Kontexte? So wirklich sauber war das ja nicht. Aber egal! Die Zeit, in der der Journalismus noch einen Gründlichkeitsanspruch hatte, war nun vorbei. Jetzt ging es um Leben und Tod! Um die Bewahrung christlicher Werte gegen den Ansturm des islamistischen Fanatismus! Um Zivilisation gegen Barbarei! Auch Andi hatte Einwände gehabt: «Aber ich habe doch gar keine Ahnung von nahöstlicher Geschichte! Ich bin Kabarettist, nicht Islamwissenschaftler!» «Andi», hatte Roger geantwortet, «hier und heute geht es nicht mehr um Fakten. Es geht um die Bewahrung unserer Werte! Und die erreichen wir nur, wenn die Leute aufhören, den Islam als dem Christentum ebenbürtige Religion zu betrachten!» Auch hier ertönte wieder eine leise, aber dennoch deutliche Stimme in ihm. ‹Aber Muslime sind doch auch nicht alle böse. Das sind nur ein paar Fanatiker, die dort ihren Glauben mit Gewalt durchsetzen wollen. Die hat das Christentum genauso!› Roger hatte eine ganz wirksame Taktik gegen diese Stimme entwickelt, die ihn gelegentlich noch an seine früheren Ideale erinnerte: Jedes Mal wenn so etwas wie Verständnis in ihm hochzuquellen drohte, für all die moderaten Angehörigen der Minderheiten, gegen die er gerade schoss, zwang er sich das Bild eines mit Minaretten zugebauten Zürichs vor das innere Auge. Folternde Vermummte inklusive. ‹Die Amis tun das aber auch!›, erwiderte seine Stimme nun seit den offiziellen Folterberichten. Noch schaffte er es, dies zu ignorieren. Andreas hatte schliesslich zugestimmt. «Eigentlich hast du ja Recht, Roger. Der Islam ist eine Gefahr für die aufgeklärte Welt! Und die ganzen linken Gutmenschen, die das nicht sehen wollen, genauso!» «Sag’ ich doch!», hatte Roger erwidert. «Und wenn wir Glück haben, erhältst du sogar noch böse Mails. Dann postieren wir dann ein paar Securitys vor der Redaktion!»

Lösungen Kreuzworträtsel / megafon n°390

Waagrecht 4 Shuttle 6 HMV (His Masters Voice) 9 Sekretaer 15 Ahne(en) 17 Linse 18 Agrar 19 Rufname 20 Laster 21 ET 23 Depot 24 Zottel (ehem. SVP Maskottchen) 25 Aermel(kanal) 27 Irokes 28 Inga (Lindström) 30 NGO 32 Zyste 33 Reclaim (the Streets) Senkrecht 1 Schmalzlocke 2 Sekret 3 Senf (seinen Senf dazu geben) 4 Salaer 5 Urne 7 Magazin 8 Vorsorge 11 Karree 12 Tendenzioes 14 Matto 16 Huelse 22 Taiga 26 Mast 29 Gym 31 OR (Obligationenrecht) Lösungswort: Schaumschlaeger

Das Aufwachsen in der Nähe des Eisstadions hat mir dieses seltsame Geräusch näher gebracht. Ein plötzlich sich aufbäumendes, dann absackendes Rauschen geleitete mich zuweilen an Wochenenden in den Schlaf. Die Heimmannschaft hatte wieder ein Tor erzielt. Eishockey hat mich nie besonders interessiert. Das Einzige was ich der geographischen Nähe dieser Sportart abgewinnen konnte, war das Sammeln der schwarzen Hartgummirondellen, genannt Puck, die an den Rändern der Eisbahn aufzufinden waren. Die kraftvollen, aber nicht so zielsicheren Spieler hatten sie in jenes Jenseits befördert, welches der Schonraum meiner Kinderwelt war. Nebst kindlicher Sammelwut ist noch eine Sequenz in Erinnerung geblieben. Da waren irgendwann in den Neunzigerjahren diese Gesänge. Vorgetragen an den Spieltagen, von lose umherschlingernden Männergruppen. Manchmal trotzig, manchmal frenetisch wurde «Niemals! Niemals! Niemals Nati B!» skandiert. In den Wintermonaten des darauf folgenden Jahres wurden selbige Gesänge erneut aufgenommen. Als der Frühling plötzlich da war erklärte mir irgendein Erwachsener, oder was ich damals dafür hielt, dass der Eishockeyklub in die Nationalliga B abgestiegen sei. Heute kann ich in Worte fassen was mir damals sprachlos klar wurde: Autosuggestion funktioniert auch im Zusammenspiel mit Massenpsychologie nicht immer. Mani Matter hat auch klassenkämpferische Lieder geschrieben. Vorneweg geht da ‹Dr Hansjakobli u ds Babettli›. Dreilagig wie Klopapier wird in diesem Lied ein Spiel besungen, das ‹He-He-Frau-Meier!› heisst und bei dem jeweils ein Unterer einem Oberen mittels eben diesem Ausspruch Einhalt gebietet. In erster Lage ist es ein von Kindern erfundenes Spiel, bei dem es um einen Hocker geht. In zweiter Lage lautet so die gelebte Praxis von im Stockwerkeigentum übereinander wohnenden Erwachsenen. In dritter Lage steht ‹He-He-Frau-Meier!› für den Klassenkampf. Entsprechend endet das Lied mit der Feststellung, dass die Welt wohl freier wäre, wenn mehr ‹He-He-Frau Meier!› gerufen würde. Wer aber Mani Matter als Bänkelsänger der Revolution richtig eingeordnet zu haben glaubt, täuscht sich mitunter gewaltig. Einschlägiges Beispiel hierfür ist das Lied ‹Dynamit›. Es ist eines seiner bekanntesten und staatstragendsten Lieder. Der Erzähler, ein couragierter Bürger, vielleicht Mani Matter selbst, hält spät nachts auf dem Heimweg mittels rhetorischer Künste einen Anarchisten davon ab, das Bundeshaus in die Luft zu sprengen. Zuhause im Bett verleiht er sich dafür höchstselbst einen Orden, um im Nachgang sich und seine Lobpreisung des schweizerischen Staates noch einmal ins Verhör zu nehmen. Man wohnt nun der Wiedergeburt einer Figur bei, die seit Rousseau als Citoyen bezeichnet wird. Ganz im Sinne dieser Figur lautet dann auch das abschliessende Diktum des Liedes. Diese vor dem Anarchisten errettete Schweiz, sie steht nur auf Zeit. Die Bürger_innen müssen dranbleiben, sich einbringen, weiterarbeiten. Partizipieren also, und das nicht vorübergehend, sondern immer und immer wieder. Lustige Dinge ereignen sich manchmal auch auf dem Bundesplatz des sogenannt wirklichen Lebens. Wenn zuweilen diejenigen Gruppierungen eine Demonstration durchführen, die sich als Anarchist_innen bezeichnen, kann es hin und wieder vorkommen, dass sie ein Lied von Mani Matter anstimmen. Das Lustige daran ist, dass sie nicht das klassenkämpferische ‹Dr Hansjakobbli u ds Babettli› sondern das staatstragende ‹Dynamit› singen. Wieso sie dies tun, das war letzthin Tischgespräch. Ein zynischer Bekannter meinte, dass sie wie der Anarchist im Lied darauf warten, dass ein beschnauzter Herr daherkäme um sie mittels rhetorischer Kunst davon zu überzeugen, wieder nachhause zu gehen. Sein Nachschub: Er meine natürlich Mani Matter. Ganz sachlich beurteilte die Primarschullehrerin die Situation dahingehend, dass Dynamit halt – gerade auch für männerlastige Gilden - das imposantere Requisit sei als ein Tabourettli oder Hocker. Daraufhin wurde ihr Sexismus vorgeworfen. Ich sagte nichts. Mir kamen ob all dem Gerede über Demonstranten, die abstiegsbedrohten Eishockeyanhänger_innen meiner Kindheit in den Sinn. Felsenfest waren sie überzeugt, oben zu sein und auch oben zu bleiben. «Niemals! Niemals!...» Der Alltag ist für Anhänger_innen von Sportmannschaften, die ihre Begegnungen als Grossanlass durchführen, meistens weit weg. In gewisser Hinsicht funktioniert Autosuggestion im Zusammenspiel mit Massenpsychologie eben doch. Zwar nur kurzfristig, aber auch in der Nationalliga B.

Jedes Jahr das Gleiche Text: Dietrich Grubenschmied

Das Jahr ist zu Ende. Alles ist wie immer. In Syrien tobt der Bürgerkrieg, der IS bedroht den Fortschritt der Menschheit und Assad ist auch gar nicht mehr der Schlimmste. Aber zum Glück für die internationale Gemeinschaft der zivilisierten Völker tun die USA dort etwas dagegen. Das heisst, sie fliegen Drohnenangriffe und Bombardements. Und sie liefern Waffen an die Guten unter den Bürgerkriegsparteien. Hat ja schon immer funktioniert. Hat man ja immer schon so gemacht. Derweil sind die amerikanischen Geheimgefängnisse und Folterpraktiken nun öffentliche Sache geworden. Hätte auch niemand geahnt, nach Abu Ghuraib und dergleichen. Aber was will man tun?! Jemand muss uns doch schützen gegen all die militanten Islamisten und sonstigen Fanatiker! Und gegen Russland! Die sind ja auch böse und desinformieren ihr Volk mit antiwestlicher Propaganda und glatten Lügen über die schöne neue EU-treue Regierung der Ukraine! Hier passiert sowas glücklicherweise nicht. Hier erfahren wir alles über die russlandgesteuerten Separatist_innen und ihre Flugzeugabwehrkanonen. Oder über das Staffelfinale des neusten ‹Bachelor› – je nach Laune. Je nachdem, welche der sensationsgeschwängerten Nachrichten wir uns gerade raussuchen wollen, aus der Flutwelle dieses empörungssüchtigen Krisen-Krieg-und-Körperkult-Konstrukts, das sich doch tatsächlich noch Journalismus nennt. Und was tun wir dagegen? Als diejenigen, die die wahren Probleme der Menschheit längst erkannt haben, in Gestalt des globalisierten Kapitalismus? In diesem allem zugrunde liegenden ‹System› Wir suhlen uns mit wuterfüllten und nicht weniger nichtssagenden Klassenkampfparolen bewehrt in dem Irrglauben, in unserer Lebenszeit noch irgendetwas bewirken zu können. Durch den Aufruf zur vermeintlich einzig wahren Lösung, der sogenannten Revolution, irgendeine Veränderung vorantreiben zu können. Und üben uns damit in einem sisyphosartigen Selbstbefriedigungsritual, von dem wir glauben, es gehöre zum Vorspiel. Das neue Jahr kommt. Alles bleibt wie immer.

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