Megafon Nr. 274

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IM AUGUST ENTREE 3 IM SOMMERLOCH Editorial 3 STORY OF HELL 4 DAS TOR ZUR WELT No milk today

SCHWERPUNKT STAAT 5 STAATSKRITIK ERHALTEN Schwerpunkt Staat

INNENLAND 23 NICHTS TUN ALS ALTERNATIVE Ein Plädoyer für Widerstand statt Referendumsspiele 26 MENSCHENUNWÜRDIGE UNTERBRINGUNG – DORT WO DIE FREIHEIT WOHNT Protestcamp gegen das Minimalzentrum auf dem Jaunpass 28 AUFRUF ZUR KUNDGEBUNG AM 1. AUGUST

INTERNATIONALISTISCHE 30 GENOVA – ICH ERINNERE MICH Anti-Rep-Kampagne zum G8 in Genua

7 VON DEN FLEGELJAHREN DES STAATES Wie die Frauen (nicht) in den Staat kommen 10 IN WELCHER VERFASSUNG BIST DU? Von Präamblen, Grundrechten und Fürsten 11 DER WEG ZUR SCHATZINSEL Auch Alltag in der Schweiz 13 IST EIN ANDERER STAAT MÖGLICH? Was Neoliberale eigentlich vom Staat wollen

GELD ODER LEBEN 32 ARBEITER! WERDE REICH ODER STIRB Endlich ein Rezept gegen Globalisierung

KULTUR ET ALL 34 DIE LIEBLINGSSCHEIBEN VON GEISHA

16 «MAN DARF SIE NICHT UNTERSCHÄTZEN» Bürokratie und Menschenrechte 18 ALS EIN AUSLÄNDER PLÖTZLICH INLÄNDER WERDEN WOLLTE Nummern zücken für eine Staatsbürgerschaft 21 «ÄS LÄNGE FÜR’S Z SPRÄNGÄ PAAR SECK DYNAMIT…» Dynamische Anarchie

35 PROGRAMM SOUSLEPONT TOJO DACHSTOCK FRAUENRAUM I FLUSS

38 KREUZUNGEN

IMPRESSUM Redaktion AG megafon | Postfach 7611, CH-3001 Bern megafon@reitschule.ch | Fon 031 306 69 66 Layout megafon Plakat Urslé von Mathilde Umschlag MAZ Druck Kollektiv Druckwelle, Reitschule In dieser Nummer Claudia Ackermann (sa), Ruth Ammann (tut), Tom Hänsel (#tt), Agnes Hofmann (ans), Christa Kläsi (cdk), Jann Krättli (jak), Rachel Picard (rap), Philipp Roth (pip), Markus Züger (maz). Redaktionsschluss 14. Juli 2004 näxter 11.8.2004 | Erscheint monatlich Auflage ca. 1300 Ex.; Jahresabo (mind. Fr. 54.√) bei obenstehender Adresse. Die in den Beiträgen wiedergegebene Meinung muss sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken. Die Schwerpunkt-Beiträge dokumentieren die Entwicklung von Kunst- und Jugend- und Politszenen. Weder mit bildlichen noch textlichen Inhalten sollen die LeserInnen dazu aufgerufen werden, Straftaten zu begehen. Für unsignierte Beiträge ist in der Regel die jeweilige AG verantwortlich.

INHALT

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STORY OF HELL √ C.A. UNTERHALTUNGSFEINDLICHSTE FOLGE Diese Folge wird ihnen präsentiert von den Produzenten des Mega-Hits ∫Summer in the Cityª

Da es langweilig werden kann, wenn ein Ort ausschliesslich als Marktplatz für schlechte Chemikalien benutzt wird, hat sich die Burgbelegschaft eine Attraktion zur Unterhaltung der Leute im Hinterhof einfallen lassen: Sie hat einen Flohzirkus eingeladen. Die Sache ist dann allerdings schief gelaufen. Entsprechend dem im Burgregelwerk festgeschriebenen Gedankengut wurde der Dompteur ausgeladen, und das Bild, das sich dann dort darbot, lässt sich an dieser Stelle aus verschiedenen Gründen nicht beschreiben. Inzwischen zu einer regelrechten Plage ausgewachsen, hat der Flohbefall auch auf die Burg übergegriffen. Die einzigen, die bisher verschont werden, sind die grünen Wesen, die als Blinde Passagiere vom roten Planeten mitgekommen sind. Es scheint auch, dass sich das Narrenkraut lindernd auf die Symptome auswirkt, und so sind

schon fast alle kahlgeschoren und paffen Narrenkraut. Da ist es gut, dass der Nachschub vom roten Planeten her klappt, sonst wäre die Belegschaft schnell auf dem Trockenen. Es hilft der Umstand, dass sich die Belegschaft gewohnt ist, Nöte in Tugenden zu verwandeln, wie andere Wein in Wasser, und so nimmt sie die Plage zum Anlass, ein weiteres Turnier abzuhalten. Neben den jährlich stattfindenden Burgfestspielen gibt es hin und wieder sogenannte Turniere, an welchen neu erfundene Disziplinen auf ihre Tauglichkeit für Olympische Spiele hin geprüft werden. Bisher wurden solcherart bereits der Flintenweitwurf in Kornfelder getestet, dasselbe wurde mit Handtüchern versucht, aber nicht in Kornfelder. Der Geschicklichkeitsweitwurf mit Waschlappen in WC-Schüsseln schaffte es fast zur Qualifikation, wohingegen sich das Löffelabgeben

derart schnell in eine eigentliche Sammlung davon auswuchs, dass die Idee aufgegeben wurde. Ebenso erwies sich das Hau-Den-Lukas-Spiel als Niete, wenn irgend ein Lukas herausgegriffen wird und verhaut, weil die Resistenz gegenüber Schlägen nicht bei jedem Lukas gleich ausgebildet ist, und so das Ergebnis nicht für den Wettbewerb messbar ist. Beim Kastanien aus dem Feuer holen ist das Problem gewesen, dass das auf Dauer ungesund ist. So wurde jetzt Hoffnung in die neue Disziplin gesetzt: Es würde darum gehen, wer am besten in Kammern jagen kann, und am meisten Flöhe in einem bestimmten Zeitraum sammeln.

Das Herauskommen in der nächsten Folge, wie immer ohne Gewehr

EDITORIAAAAAL

AUS DEM SOMMERLOCH Wie jeden Sommer macht die Reitschule Pause, ein paar Konzerte finden zwar statt und Speis und Trank lässt sich noch regelmässig finden, aber eigentlich sind Sommerferien. Türen zu. Und ebenfalls wie jeden Sommer schmort die tapfere megafon-Redaktion ungeachtet aller Sommerfreuden in ihrem sonnseitigen Kämmerchen und produziert schweisshändig ein neues Heft √ das hübsche megafon-Badetuch bleibt weggeschlossen. Nun ja, zugegeben, auch die anderen Arbeitsgruppen sind fleissig. Die meisten nutzen das Sommerloch, um (sich und) ihre Räume und Konzepte zu renovieren, aufzufrischen, zu überdenken. Darum wird einiges Neues zu entdecken sein, wenn bei euch √ ausgehungert nach unzähligen Grillpartys an Aareufern √ der nächste Ausgang in unsere Gemäuer ansteht.

Der Flohmi vom 1. August wird nicht stattfinden. Grund sind aber nicht die Prügeleien, über die in den Berner Medien zu lesen war, sondern der Nationalfeiertag, das war schon vorher klar. Und dass wir uns über die erwähnten Ereignisse Gedanken machen, Diskussionen führen, dem seid gewiss. So oder so, Gedanken machen lohnt sich eh. Darum freuen wir uns über alle, die nach wie vor die Lust und Energie haben, sich mit der Reitschule als Projekt auseinander zu setzen √ im besten Fall sitzen wir dann wieder beisammen. Ist das der letzte Satz? Jepp, dann darf die Editorialerin in die Ferien √ endlich. Euch weiterhin viele schöne Sommertage! > ANS <

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DAS TOR ZUR WELT Der heimische Balkon kann im Sommer so was wie das Tor zur Welt sein. Sofern man lange genug hinter seinem Kräuteranbau ausharrt und ausreichende Vorurteile besitzt, die man bestätigt haben möchte. Und sich die Heimlektüre als langweilig entpuppt. Als ich in diese Strasse zog, meinte meine bündnerische Vormieterin, es handle sich hier um eine äusserst ruhige Gegend. Ich glaubte ihr, denn einen Blick an diesem winterlichen Samstagnachmittag auf die Strasse besiegelten ihre Worte. Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen, es ist Sommer und Dienstagmorgen. Im Haus gegenüber führen Tamilen eine Autogarage, die sich kurz nach meinem Einzug lautstark bemerkbar machte. Heute bin ich soweit, dass ich einen umfassenden Autoservice akustisch nachahmen könnte. Die Tamilen reparieren die kaputten Autos, was mir den indischen Ozean in meine Wohnung bringt: Während jeweils ein Mechaniker am defekten Irgendwas schraubt, schraubt sein Arbeitskollege am Radioknopf und laute tamilische Musik erklingt. Immer wieder werden neue, kaputte Autos vorgefahren. Nach sommerlanger, nicht repräsentativer Balkonstudie komme ich zu folgender Auswertung: Tamilen werden hier in der Schweiz besonders häufig in Autounfälle verwickelt. Es vergeht nämlich keine Stunde, in der nicht ein Tamile ein reparaturbedürftiges Auto in die Garage bringt. Ein Moment andächtiger Stille bis ∫Mäxuª mehrmals in autoritärem Tonfall herbeigerufen wird. ∫Mäxuª ist der braune Dackel einer Nachbarin und folgt nicht immer, denn ∫Mäxuª muss seit Jahren immer wieder angeschrieen werden, er solle jetzt doch endlich ∫d»Schnurre häbeª.

ENTREE

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An jedem Morgen, an jedem Abend, bei jedem Gassi-Gehen, ∫Mäxuª, immer wieder ∫Mäxuª und noch immer hört er nicht auf seine Herrin im überdimensionalen FC Barcelona Leibchen. Das New York der Zukunft wäre nichts für den armen Dackel. Auf dem Balkon zu meiner linken Seite entdecke ich ein Musterstück an erfolgreicher Integration, giesst doch dort eine KosovoAlbanerin ihre blühenden Geranien. Rechts neben mir versuchen zwei Handwerker einen Spannteppich mit einer Hebevorrichtung in den dritten Stock zu befördern. Ich befürchte, das rostige Eisengitter hält dem Gewicht nicht stand und bedaure, dass solch schöne Riemenböden nun durch hässliche Spannteppiche ersetzt werden. ∫Dr Souhungª ist sauschwer, womit der Teppich gemeint ist. Doch wenn man ∫dä schwär Cheibª einfach im richtigen Winkel hinaufzieht, dann sollte das physikalisch möglich sein, diese hundert Kilo über das lotterige Eisengitter zu ziehen. Ein Stock unter mir gibt mein kubanischer Nachbar Salsaunterricht in seiner Küche. Ich höre weniger die Musik als das sich ständig wiederholende Trippeln des Taktes, das das Haus erzittern lässt. Irgendwann klingt singt dann Johnny Cashs San Quentin aus Nachbars Schlafzimmer. Tamilische Folklore vermischt sich mit amerikanischer. Wenn ich jetzt noch mit meiner Russenmusik komme, stünde einem World Music Festival nichts mehr im Wege. Ich hätte eher Ethnologin werden sollen. Oder vielleicht Detektivin. Jedenfalls muss mir niemand mehr kommen und sagen, der Breitenrain sei ein ruhiges Quartier. Nicht, dass ich damit ein Problem hätte. Im Gegenteil. > ZAS <


SCHWERPUNKT STAAT

STAATSKRITIK ERHALTEN VON RECHTS WIRD AN EINER UMGESTALTUNG DES STAATES GEARBEITET. HEISST DAS, DASS JETZT ALLES ANDERS IST? STAATSKRITIK NICHT MEHR ANGEBRACHT? WOHL IM GEGENTEIL. SELBST UM

DER STAAT ALS SOLCHER?

SOZIALE FUNKTIONEN DES STAATES ZU VERTEIDI-

Was ist denn ein Staat? Die AusGEN, BRAUCHT ES EIN VERSTÄNDNIS DESSEN, WAS einandersetzung mit Staatstheorien DAS DENN IST, EIN STAAT. UND ERST RECHT kann da weiterhelfen. So beschäftigt sich der Text auf Seite 13 damit, was die NATÜRLICH, WENN WIR IHN LOSWERDEN WOLLEN. Neoliberalen für Ideen vom Staat haben, was sie von ihm wollen. Und auf Seite 7 geht es darum, dass die Es heisst, und das ist der Ausgangs- Männer-Bundesratswahl von letztem punkt dieses Schwerpunkts zum Staat, Herbst kein Zufall war, der bürgerliche dass nun nicht mehr die 1980er-Be- Staat im Gegenteil schon seiner Idee wegten, sondern die Neoliberalen den nach ein patriarchaler Entwurf ist. Wichtig bei der Analyse des Staates Staat zu Gurkensalat machen. Und die Linken deshalb den Staat verteidigen – ist allerdings auch, sich von Staatsund verteidigen müssen. Stimmt das theorien nicht den Blick vernebeln zu so? Denn, während der Staat angeblich lassen. Viele dieser Theorien haben die zu Salat verarbeitet wird, arbeitet die Tendenz, den Staat beindruckender zu Rechte, auch die neoliberale, an der machen, als er ist. Der Staat ist in Tat Verschärfung des Grenzregimes, am und Wahrheit kein Entwurf genialer Ausbau von Überwachungskompeten- DemokratInnen, der dann, nachdem er zen im Zuge von Anti-Terror-Massnah- alle überzeugte, zur Organisation gemen. Ist das Staatsabbau oder Staats- sellschaftlicher Belange in die Realität ausbau? Oder einfach Umbau in Rich- umgesetzt wurde. Er hat eine Getung eines autoritäreren Staates? Der schichte und ist gewachsen aus historineoliberale Think Tank «Avenir Suisse» schen Machtverhältnissen. Alles andeempfiehlt die Beschränkung der direk- re ist Verklärung. Was Staat genannt wird, das gibt es ten Demokratie, um den Schweizer Staat «reformfähiger» zu machen, da so – als Einheit – gar nicht. Stattdessen Referenden und Volksinitiativen (neo- ist er ein Gefüge aus vielen Verliberale) Wirtschaftsreformen verhin- waltungsapparaten. Wie also sehen dern. Wäre ein solcher Demokratie- seine Institutionen aus und wie funktioabbau Staatsabbau? Oder nicht eher nieren diese? Wie begegnen uns diese Ausbau autoritär-staatlicher Regie- im Alltag? Was schaffen sie für ungleiche Beziehungen zwischen den Menrungskompetenzen? Auf alle Fälle: Der Staat ist nicht in schen? So macht es keinen Sinn, den Staat Gefahr. Die Attacken von rechts zielen auf eine Umgestaltung des Staates, isoliert – als solchen – betrachten zu nicht auf seine Infragestellung. Was ge- wollen, losgelöst von gesellschaftfährdet oder teilweise schon abge- lichen Hierarchien und wirtschaftlichen schafft ist, sind Errungenschaften aus Verhältnissen. Der Staat hat sich entsozialen Kämpfen. Schlanker wird der wickelt als gesellschaftliche OrganisaStaat dadurch allerdings nicht. Nur tionsform der kapitalistischen, patriarbrutaler. Dagegen gilt es sich selbst- chalen und rassistischen Verhältnisse. verständlich zu wehren und soziale Das funktioniert nicht immer repressiv, Errungenschaften zu verteidigen. Aber sondern kann durchaus auch ausgleichend und einbindend geschehen. Ist nicht den Staat.

aber immer die Organisation von Macht- und Ausbeutungsverhältnissen. Der Staat organisiert den Zusammenhalt der herrschaftlichen Zustände, ist letztlich nichts anderes als die Gesamtheit der Institutionen der «Disziplinargesellschaft», wie sie Michel Foucault in «Überwachen und Strafen» analysiert hat.

NACKT IST ER HOHL Was dieses Verwaltungsgefüge Staat dann trotzdem zu einer Einheit macht, sind mystifizierende Bezeichnungen. Wie Nation: Was auch immer eineN letztlich zu einem Mitglied einer Nation macht – in wievielter Generation ich innerhalb des betreffenden Grenzzauns leben muss –, die absurde Idee, alle eben diese Menschen zu einer nationalen Einheit zusammenzufabulieren, verdeckt nicht nur Gegensätze zwischen den Klassen und den Geschlechtern, sondern verschleiert auch, dass die Grösse der bürgerlichen Staaten nur aus Herrschaftssicht Sinn macht. Aus menschlicher Sicht sind sie schlicht monströs. Oder Demokratie: Die Idee, diese grösstenteils hierarchisch strukturierten Verwaltungsapparate als demokratisch zu bezeichnen, nur weil die Besetzung gewisser Posten in diesen Apparaturen per Wahl geschehen (und ja, natürlich: die Abstimmungen nicht zu vergessen), ist gelinde gesagt eine Übertreibung. Lassen wir uns von diesen Mystifizierungen nicht allzu sehr beeindru››

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Literatur: > Michel Foucault: Überwachen und Strafen > Michel Foucault: Das Subjekt und die Macht, in: Dreyfus; Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik > Johannes Agnoli: Die Transformation der Demokratie > Johannes Agnoli: Der Staat des Kapitals > John Holloway: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen

cken, und betrachten wir den Staat, wie er uns im Alltag begegnet – nackt so zu sagen –, treffen wir auf vollgeschriebene Papiere (wie Verfassungen), die wenig bedeuten, wenn sie nicht mit der ge- und erlebten Realität korrespondieren (Seite 10). Und auf bürokratische Verwaltungsapparate, die mit ihren Prozeduren lächerlich und hohl erscheinen (Seite 16 und Seite 18). Die in ihrer Lächerlichkeit allerdings Gewalt organisieren. Eben zum Beispiel als Grenzregime. Daran erinnert der Text auf Seite 11. In seiner Fähigkeit, auszuschliessen und einzubinden und so eine herrschaftsförmige Gesellschaft zu organisieren, ist der Staat ernst zu nehmen. Auch als Garant gewisser erkämpfter Rechte. Aber mit nüchternem Blick, ohne auf seine Mystifikationen reinzufallen: denn für die Organisation eines Zusammenlebens in Freiheit, für sinnvolle menschliche Beziehungen, ist er nicht zu gebrauchen.

FIXIERTE GESCHICHTE Über die Rolle des Staates ist in Kämpfen um Befreiung viel gestritten worden. Die Sowjetunion war dabei nur der bekannteste und schrecklichste der Irrtümer in der Einschätzung des

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Staates. Staatsfixiertheit war und ist in den Strategien vieler Organisationen und Bewegungen auszumachen. Aber auch Kritik daran hat Tradition. Als die 1968er den Marsch durch die Institutionen planten, prophezeite Johannes Agnoli, dass dieser in den Institutionen enden würde. Er warnte vor der «Klebrigkeit» der Institutionen. Ein aktuelles Beispiel für Kritik an linker Staatsfixiertheit ist John Holloways Buch «Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen», in dem er der Idee widerspricht, eine Gesellschaft frei von Ausbeutung und Herrschaft durch Übernahme von Regierungsmacht aufbauen zu können. Eine ganz andere Kritik an Staatsfixiertheit, beziehungsweise an der Fixiertheit auf die Macht der Institutionen, formuliert Michel Foucault mit seinem Ansatz der «Gouvernementalität», einer Wortschöpfung aus Regierung und Mentalität, die aufzeigen will, dass Herrschaft, grad in neueren Zeiten, nicht allein durch verbietende oder disziplinierende Institutionen wirkt, sondern sich mit «Selbstführung» verbindet. Kurz gesagt: die Beherrschten beherrschen sich am besten selbst. So sagt Foucault: «Abschliessend könnte man sagen, dass das (...) Problem, das sich uns heute stellt, nicht darin liegt, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns sowohl vom Staat als auch vom Typ von Individualisierung, der mit ihm verbunden ist, zu befreien. Wir müssen neue Formen

von Subjektivität zustandebringen, indem wir die Art von Individualität, die man uns jahrhundertelang auferlegt hat, zurückweisen.»

PHANTASIE ERHALTEN Zum Schluss nochmal fast an den Anfang des Textes zurück: Die sozialen Errungenschaften verteidigen, aber nicht den Staat. Schreibt sich leicht, aber wie geht das? Wichtig dabei ist sicher, dass diese Errungenschaften eben nicht aus der Konzeption des Staates hervorgingen, sondern erkämpft wurden. Und dass diese Kämpfe oft mehr wollten, als sie letztlich bekamen, diese Errungenschaft also bereits Kompromisse darstellen und zugleich auf ein Mehr, auf die Utopie der Herrschaftsfreiheit verweisen. Wohl nur in Anknüpfung an solche Kämpfe könnten soziale Errungenschaften verteidigt und vielleicht gar mal ausgebaut werden. Nicht in der Verteidigung irgendeines Staates, sondern im Kampf um mehr. Und im gleichzeitigen Aufbau alternativer, herrschaftsfreier Strukturen, die den Staat als gesellschaftliche Organisationsform ersetzen könnten (Seite 21). Hier aus dem megafon-Zimmerchen leisten wir das auch nicht. Aber zumindest arbeiten wir daran, uns vom Staat nicht die Phantasie verstellen zu lassen, wie es denn sein könnte. > JAK <


WIE DIE FRAUEN (NICHT) IN DEN STAAT KOMMEN

VON DEN FLEGELJAHREN DES STAATES SEIT RUTH METZLER AUS DEM BUNDESHAUS GEWORFEN WURDE, HABEN AUCH DIE CVP-FRAUEN IHRE LEKTION GELERNT. MANCHE LINKE HEGTE IM STILLEN EIN KLEINES MITGEFÜHL, WEIL DAS JA SO DOCH NICHT RECHT SEIN KONNTE. DIE FRAUEN SIND AUS DEM DORNRÖSCHENSCHLAF ERWACHT, HIESS ES, AUS DER ILLUSION, DIE GLEICHBERECHTIGUNG SEI EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT. SIND DIE MÄNNER IN DER POLITIK WIEDER BÖSE GEWORDEN, ODER DIE FRAUEN WIEDER ZAHM? ODER LIEGT ES AM STAAT? EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZU STAATSTRAGENDEN IDEEN.

Der Staat ist eine Erfindung der Moderne, das heisst der Zeit unserer bürgerlichen Gesellschaft mit Verfassungen, Individuen, Kleinfamilien, Liebesehen, Arbeitsethos, geschlechtlicher Arbeitsteilung und Gleichheit aller vor dem Gesetz. Als einschneidendes Ereignis für die Moderne wird die französische Revolution angesehen, weil sie die Ständegesellschaft und ihre Ungleichheiten nach Geburt abschaffte und sich Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit auf die Fahnen schrieb. Paradoxerweise verschlechterte sich der rechtliche und politische Status von Frauen in der neuen Gesellschaftsform während des 19. Jahrhunderts massiv, so dass einige Theoretikerinnen die sich entwickelnde Geschlechterhierarchie als Ständehierarchie der Moderne bezeichnet haben. Erst mit dem ersten Weltkrieg und den Frauenstimmrechtsbewegungen in Europa schienen sich Frauen vermehrt in die Politik einbringen zu können. Diese Verschlechterung der politischen, rechtlichen und damit auch sozialen Stellung von Frauen mutet seltsam an. Schliesslich spielten Frauen in der französischen Revolution eine wichtige Rolle, sowohl politisch, als auch militärisch. Ausserdem kämpften sie vehement gegen ihren Ausschluss aus der sich neu bildenden Regierung – und wurden dafür nicht selten mit der

Guillotine bestraft. Bis 1795 waren Frauen aus der Politik verdrängt worden: Ihnen wurde verboten zu wählen, sich öffentlich zu versammeln, einer politischen Partei beizutreten oder politische Vereine zu gründen. Der Staat funktionierte auch in den anderen europäischen Ländern von Beginn an immer mit dem gesetzlich festgeschriebenen Verboten von Frauen in der politischen Gemeinschaft. Während das Zensuswahlrecht, welches nur reichen, grundbesitzenden Bürgern das Wahlrecht zugestand, im Verlaufe des 19. Jahrhunderts gelockert wurde, blieb der Ausschluss von Frauen aufgrund ihres Geschlechtes bestehen. Erst explizit festgehalten, bildete er immer mehr eine stillschweigende Übereinkunft der «classe politique». Weder der Staat als Organisationsform, noch Frauen als scheinbar unpolitische Wesen gibt es seit Menschengedenken. Viel mehr handelt es sich um Erfindungen, die gerade mal 250 Jahren alt sind. In der Vormoderne spielte die Unterscheidung von Männern und Frauen eine funktionale Rolle, welche für kleinere Organisationseinheiten wichtig war. Frauen als einheitliche Gruppe existierten jedoch keineswegs, denn in der Ständegesellschaft hatte die adelige Frau mit der Bürgersoder Bauernfrau keine Gemeinsamkeiten. Adelige Frauen konnten, da sie dem politisch-militärischen Stand angehörten, durchaus Politik machen. Nicht dass es keine Hierarchie zwischen den Geschlechtern gegeben hätte, doch spielte sie keine absolute Rolle für die ganze Gemeinschaft und bildete keine Basis für Herrschaftsformen. Dies hat sich seit der Aufklärung und der französischen Revolution grundsätzlich geändert. Die Geschlechterhierarchie wurde gesetzlich festgelegt.

DIE IDEE DES EINZELNEN UND DES GANZEN Wer sich theoretisch mit Macht, Herrschaft und Staat auseinandersetzt, hat sich seit der Aufklärung vorwiegend mit zwei Problemen beschäftigt. Erstens muss geklärt werden, warum sich Menschen zu Gemeinschaften zusammenschliessen und zweitens, warum sie sich einem oder mehreren Herrschern unterwerfen, sich also regieren lassen. Staatstheoretiker wie Jean Bodin (ca. 1529-1596), Thomas Hobbes (1588-1679) und John Locke (16321704) beschäftigten sich mit diesen Fragen und haben die Diskussion um Staatsbildung in Europa und Nordamerika nachhaltig beeinflusst. Obwohl sie zu verschiedenen Zeiten lebten und sehr unterschiedliche Theorien entwickelten, lassen sich einige Gemeinsamkeiten festhalten. Sie alle gehen davon aus, dass der Mensch nur in einer Gemeinschaft lebt, wenn ein Grund vorliegt. Der Mensch wird zu aller erst als einzelnes Wesen gedacht, welches sich willentlich zu seiner Vergesellschaftung entschliesst. Er tut dies bei allen drei Theoretikern, um das egoistische und chaotische Verhalten seiner Selbst und seiner Mitmenschen durch gemeinsame Gesetze zu überwinden. Aus dem Naturzustand, in dem der Krieg aller gegen alle tobt, tritt der Mensch mit seiner Entscheidung zur Vergesellschaftung in die «Zivilisation» ein. Er sichert sich damit seine Überlebenschancen. Der Mensch ist asozial und selbstsüchtig, zügelt sich aber, indem er einen Teil seiner Freiheit zugunsten gemeinsamer Gesetze und Ordnungen, also einer staatlichen Kontrolle, aufgibt. In diesen Theorien wird der Mensch als Individuum auf der einen Seite ge››

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dacht, die Gesellschaft auf der anderen. Die Frage ist, wie das eine zum andern kommt, wobei der Mensch allein triebhaft und böse ist, aber gut wird, wenn er in die Gesellschaft gelangen kann. Dieses Menschenbild ist seltsamerweise ein durchwegs erwachsenes. Doch warum sollte der Mensch, der als Kind geboren wird und damit nur den Zustand der sozialen Abhängigkeit kennt, asozial und egoistisch sein? Wäre er dies, würde er nicht lange leben. Wäre seine Mutter dies, würden keine Kinder mehr in die Welt gestellt. Die Frage, die sich diese Theoretiker stellten, ist also falsch. Sie setzt eine künstliche Erfindung des Gegensatzes von Individuum (als erwachsener Mann) und Gesellschaft voraus – eine Idee, welche die (männliche) Sozialisation, wie sie seit dem 19. Jahrhundert betrieben wird, legitimiert: Schule, Beruf und Militärdienst sollten den heranwachsenden, als triebsam und ich-bezogen geltenden Mann zum reifen Staatsbürger erziehen.

DIE IDEE VON VATER STAAT UND MUTTER FAMILIE «Unser Staat ist ein rein männliches Wesen» – diese Aussage stellte Wilhelm Heinrich Riehl um die Mitte des 19. Jahrhunderts gleich an den Anfang seines Buches über die Familie. Die Ungleichheit «zwischen Weib und Mann» führte er auf ein Naturgesetz zurück, welches der bürgerlichen Gesellschaft notwendigerweise zu Grunde liege. Der Staat ist männlich, die Familie weiblich. Der Mann ist öffentlich, die Frau ist häuslich. Riehl war nicht der einzige Autor, der zu diesen Schlussfolgerungen gelangte. Der natürliche Unterschied zwischen den Geschlechtern lieferte die Begründung für die Idee von Vater Staat und Mutter

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Familie. Staat und Familie bedingen sich damit in ihrer Bedeutung gegenseitig. Beide Organisationsformen entstehen mit der bürgerlichen Moderne und sind deren Grundlage. In der liberalen bürgerlichen Gesellschaft bildete der wehrhafte Mann die kleinste Einheit des Staates. Er versorgte eine Familie, welche der Reproduktion der Gesellschaft diente, liebte seine Nation und verteidigte sie mit seinem Blut. Er war der Prototyp des «Menschen», wie ihn Locke und Hobbes dachten – der vereinzelte, egoistische Mensch, potent, aber fähig, «seiner Herr zu werden». Von dieser Idee des Menschen als geschlossenes Wesen des Willens leitet sich der moderne Subjektbegriff ab: sub-icere, lateinisch unterordnen; unterwerfen, unterjochen. Das Subjekt ist fähig, seine Triebhaftigkeit unter das Gesetz der Vernunft zu unterwerfen. Die Begründung zum Ausschluss von Frauen aus der Politik lief, wie beispielsweise bei Riehl, über den angenommenen grundsätzlichen (das heisst biologischen) Unterschied zwischen Frauen und Männern: Männer waren fähig, sich und ihren Körper zu «beherrschen», während Frauen ihren Gefühlen erlegen waren und in diesem Sinne

nicht als Subjekte galten. Dem gegenüber stand der Soldat im Krieg für das Bild des neuen Mannes: Frei, gleich und bereit, sich den Gesetzen einer Gemeinschaft (dem «höheren Zweck») zu opfern. Die Familie als Gegenpol zum Staat war die kleinste Einheit der Nation. Dort wurden neue Soldaten und neue gebärfähige Ehefrauen geboren. Auch wenn die Ausdrucksweise zynisch anmutet: erst mit der Nationenbildung, der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und des bürgerlichen Mannes als «Familienernährer» wurde die Ehe und die damit verbundene Reproduktion zur Norm und Pflichtbiographie für breite Bevölkerungsschichten. In der vormodernen Zeit heiratete die Minderheit der Menschen. Dabei ging es um die Gründung eines Hausstandes, also einer relativ selbstständigen ökonomischen Einheit, nicht um Liebe und Reproduktion für eine übergeordnete Gesellschaft. Kinder bedeuteten Reichtum und hatten keinen spezifischen emotionalen Wert. Seit der Moderne bedeuten Kinder Armutsrisiko und Zuwendung zu einem privaten Glück. Ein privates Glück, das in der Trennung zwischen privat und öffentlich, zwischen Familie und Staat


LESETIPP: FANT·MAS NR. 5 √ MAGAZIN FÜR LINKE DEBATTE UND PRAXIS Auf eine spannende Suche nach Ansätzen, ∫die, wie auch immer, den Staat als Dynamik denken, die von sozialen Kämpfen ebenso angetrieben wie angegriffen wird, ohne dass diese Kämpfe auf den Staat zu reduzieren wärenª, macht sich die Zeitschrift ∫Fantômasª aus Hamburg in ihrer aktuellen Ausgabe zu ∫Staat und Autonomieª. Die ∫Fantômasª √ eine Beilage zur linken Monatszeitung ∫Analyse + Kritikª √ setzt oft bei ∫akademischenª Theorien an, und so heissen auch in dieser Augabe zentrale Ansatzpunkte: Gramsci, Althusser,

angesiedelt ist. Der Staat ist in diesem Dualismus nicht ohne die Familie zu denken. Die Organisation der Gesellschaft wurde mit der Moderne nach Geschlecht eingeteilt. Frauen wurden im neuen Familienbild die Trägerinnen der Kultur und des Volkgutes. Damit verbanden sich Vorstellungen von Reinheit und Echtheit. Die Familie als Kern der Kultur wurde das kostbarste und verletzlichste Element der Nation, das vor Schändung geschützt werden sollte. Die Darstellung europäischer Nationen geben die Vergeschlechtlichung staatlicher Symbole deutlich wider: die Helvetia, die Germania, die France mit entblösster Brust und wehendem Haar sind keine (nur) plumpen Erfindungen einiger Militärstrategen – die ehrenhaften, jungfräulichen Nationen waren es, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Ohne Staat keine Armee, ohne Armee keine beschützte Nation. Doch ohne Armee gibt es auch keinen Schutz «nach innen»; kein Gewaltmonopol des Staates. Der Verzicht auf Selbstbestimmung beziehungsweise Selbstjustiz zugunsten einer zentralen Gewalt, welche die Gesetze durchsetzt, nannte Jean-Jacques Rousseau den Gesellschaftsvertrag. Dieser ist, zusammen mit der Geschlechterdifferenz das Fundament der modernen bürgerlichen Staaten. Carol Pateman spricht deshalb in ihrem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Artikel von einem dem Gesellschaftsvertrag impliziten «Geschlechtervertrag».

DIE IDEE DER GLEICHHEIT Mit der Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1789 wurden die Standesunterschiede zwischen den Men-

Poulantzas, Foucault und Deleuze. Das verlangt schon ein gestähltes Interesse an Philosophie und akademischer Diskussion. Dies vorausgesetzt, bieten sich anregende Versuche aktualisierter Staatskritik, die auf den neoliberalen Umbau der gesellschaftlichen Machtstrukturen Antworten suchen. Ergänzt wird die Theorie durch Artikel zu ∫Praxen der Autonomieª: Die Landlosenbewegung MST in Brasilien, Kämpfe um Copyright und geistiges Eigentum, die Arbeitskämpfe der Intermittents (∫freiª arbeitende Kulturschaffende in Frankreich)

schen aufgehoben. Menschsein wurde zur verbindenden Gemeinsamkeit aller, die ihre religiösen, kulturellen oder sozialen Unterschiede als zweitrangig einzustufen bereit waren. Vernunft wurde zum universellen Prinzip, welches dieses Menschsein bestimmte, zum Massstab der Gleichheit. Frauen und Nicht-Weisse wurden per Gesetz von politischer Partizipation ausgeschlossen, weil sie nicht als (vernünftige) Menschen galten; sie waren keine Subjekte. Olympe de Gouges, eine zentrale Politikerin während der französischen Revolution und Verfasserin der Menschenrechte für Frauen, wurde mit folgender Begründung 1793 hingerichtet: «Sie wollte ein Staatsmann sein, und es hat den Anschein, als habe das Gesetz diese Verschwörerin dafür bestraft, dass sie die Tugenden, die ihrem Geschlecht eigen sind, vergass». Die Begründung, Frauen könnten aufgrund ihres Geschlechtes nicht fähig zur Politik sein, war historisch neu. Mit dem Gleichheitsanspruch entwickelte sich ein immer deutlicherer Massstab dessen, was ungleich ist. Diese Ungleichheit wurde biologisch begründet. In dem Grade, in dem die Gleichheit ein universelles Gebot wurde, verabsolutierte sich der Gradmesser der Ungleichheit: Geschlecht und Rasse wurden zu universellen Konzepten, wonach Vernunft zu- oder abgesprochen wurde. Frauen konnten damit grundsätzlicher als je zuvor in der Geschichte von der politischen Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Die Rassentheorien sind deshalb auch nicht zufällig im 18. und 19. Jahrhundert entstanden, ebenso wenig, wie die weiblichen Sonderanthropologien. Der Staat ist eine Form gesellschaftlicher Organisation, welche nicht

oder der ∫Precarias a la derivaª (feministisches Forschungs-Aktions-Projekt aus Madrid) werden vorgestellt als Beispiele für autonome Praxen, die ∫die herkömmliche Trennung Œetatistischerœ von Œantietatistischerœ Politik überschreitenª, dabei aber für eine Autonomie stehen, die ∫inmitten des Staats etwas geschehen lässt, das sich dem Staat entzieht.ª √ eine Empfehlung. Weitere Infos: www.akweb.de > JAK <

ohne ihren historischen Kontext gedacht werden kann. Er zeichnet sich durch eine Trennung zwischen den Bereichen öffentlich-politisch und privat-familiär aus, welche Männern respektive Frauen zugewiesen werden. Der Staat organisiert die Nation, der männliche Staatsbürger verteidigt die Nation und stellt den Staat. Der Staat besitzt das Gewaltmonopol zum Schutze der privaten Interessen. Familie und Reproduktion fallen unter diesen Schutz. Durch die geschlechtliche Zuschreibung der Bereiche Staat und Familie konnte die Geschlechterhierarchie bisher reproduziert werden. Diese hierarchische, geschlechtlich differenzierte Organisationsform kann sich im Prozess der «Modernisierung» oder der «Demokratisierung» vielleicht ein humaneres, pseudo-egalitäres Antlitz verleihen, baut aber auf der Hierarchisierung von Geschlecht und Rasse auf. Und dies, obwohl oder weil er die Postulate der Gleichheit, der bürgerlichen Ehe und des Staatsbürgers, welcher politische Rechte geniesst, vertritt. Und natürlich dürfen Frauen wählen und gewählt werden. Dennoch ist Mutterschaft privat. Dennoch wird Militärdienst staatlich entschädigt. Der Staat scheint irgendwie nicht aus den Flegeljahren zu kommen… > TUT <

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VON PRÄAMBLEN, GRUNDRECHTEN UND FÜRSTEN

IN WELCHER VERFASSUNG BIST DU? GRUNDRECHTE STEHEN IN DER VERFASSUNG. GRUND GENUG MAL GENAUER HINZUSEHEN. ANGESTACHELT AUCH DURCH DIE VERABSCHIEDUNG EINER NEUEN SOLCHEN IM KANTON FREIBURG UND MIT ERINNERUNGEN ÜBER DEN VERFASSUNGSSTREIT IM FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN. WAS STEHT EIGENTLICH IN DEN VERFASSUNGEN?

In welcher Verfassung bist du? Och, irgendwie müde, schräger Montag Morgen. Aber stopp, darum gehts doch gar nicht. Es geht um Papier. «Lehnt das Volk mehrheitlich die Verfassungsreform ab, zieht sich das Fürstenhaus zurück… […] Im besten Fall wird der Zustand hergestellt wie vor 1938, als Fürst und die Fürstliche Familie im Ausland lebten.» So hab ich mir das Altmodische vorgestellt. Monarchen drohen mit dem Wegzug von Haus und Hof im Falle einer nicht genehmen Abstimmung und lassen die armen Untertanen im Stich. So machts ein Fürst, was sagt das Volk dazu? Das Volk lässt den Fürsten die Abstimmung im März 2003 über die von ihm vorgeschlagenen Verfassungsänderungen gewinnen und noch immer beginnt die liechtensteinische Verfassung deshalb wie folgt: «Wir, Johann II. von Gottes Gnaden souveräner Fürst zu Liechtenstein, Herzog zu Troppau, Graf zu Rietberg etc. etc. etc. tun hiemit kund, dass von Uns die Verfassung vom 26. September 1862 mit Zustimmung Unseres Landtages in folgender Weise geändert worden ist.» Chic! Dort möchte Ich Prinzessin sein. Aber dann doch, wie machts denn ein richtiges Volk – selbstständig seit Napoleon, beglückt mit bürgerlichen Freiheiten – ganz ohne Adel? Die jüngste in der Schweiz verabschiedete Verfassung – vom Stimmvolk angenommen am 16. Mai 2004 – beginnt mit folgenden Worten:

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«Wir, das Volk des Kantons Freiburg, die wir an Gott glauben oder unsere Werte aus anderen Quellen schöpfen, im Bewusstsein unserer Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen, im Willen, unsere kulturelle Vielfalt im gegenseitigen Verständnis zu leben, im Bestreben, an einer offenen, dem Wohlergehen und der Solidarität verpflichteten Gesellschaft zu bauen, welche die Grundrechte garantiert und die Umwelt achtet, geben uns folgende Verfassung: …» Et voilà. Es geht doch auch anders! Tout de suite in den Kanton Freiburg zügeln! Die Präambel, die Vorworte der Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vom Stimmvolk angenommen im April 1999 tönt dagegen eher rustikal: «Im Namen Gottes des Allmächtigen! Das Schweizervolk und die Kantone; in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken; im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben; im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen; gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl des Schwachen; geben sich folgende Verfassung:…» Über was stolpere ich da beim Abtippen? «Gewiss, dass nur frei ist, wer seine Freiheit gebraucht» und «die Stärke des Volkes sich misst am Wohl des Schwachen»…

als erlaubt, mehr Auswahl im Shoppingzenter, die Freiheit, bei Abstimmungen gegen das eigene Interesse «Nein» zu sagen. Ist das Freiheit, wie sie SchweizerInnen kennen und lieben? Und Sie, sind Sie sich ihres Freiseins im Gebrauche der Freiheit gewiss? Was heisst das überhaupt, spielen da meine bürgerlichen Freiheiten, meine Grundrecht mit rein? Wann kann ich meine Rechte brauchen, deine schützen? Wohin steht der Mensch, der sich um Grundrechte kümmern will, um frei zu sein? Stehen viele Menschen zusammen, ist ihre Versammlungsfreiheit gewährleistet. Immerhin. Zusammenschliessen dürfen sie sich ebenfalls, die Vereinigungsfreiheit ist gewährleistet. (Aus diesen beiden Grundrechten sowie der Meinungsfreiheit leitet sich das Demonstrationsrecht ab.) Aber ich frag mich da noch anderes: Wo werden die Schwächeren zur Stärkung des ganzen Volkes gemessen? Ist es nicht so, dass allenthalben der Stärkere zuerst sich selbst misst, gewinnt – und dann dem Schwächeren seine Regeln oder Ansichten diktiert? Sind nicht beispielsweise all die Angriffe auf die Sozialwerke Zeichen einer Entsolidarisierung der Stärkeren mit den Schwächeren? Oder warum fühlt sich eine Schweizerin mit guter Ausbildung «bedroht» von Flüchtlingen oder einem Secondo ohne berufliche Perspektive und wählt rechts und rechter? Ist es eine intellektuelle Leistung, Grundrechte zu kennen und zu werten? «Das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen steht, unbeschadet der Unantastbarkeit der kirchlichen Lehre, unter staatlicher Aufsicht» (LiechtenUMFRAGEN UND ABMESSUNGEN stein), «Der Anspruch auf ausreichenDa frag ich mich doch: Wie brauche den und unentgeltlichen Grundschulich meine Freiheit? Bitte, wie brauchen unterricht ist gewährleistet» (Fribourg Sie ihre Freiheit? Schneller Autofahren und Eidgenossenschaft).


AUCH ALLTAG IN DER SCHWEIZ

DER WEG ZUR SCHATZINSEL MANCHMAL GERATEN WIR IN BEDRÄNGNIS, WENN WIR UNSERE GEFÜHLE ODER GEDANKEN BESCHREIBEN SOLLEN. DOCH SCHLIMMER IST ES DANN, WENN DIESE BESCHREIBUNG BEWEISEN SOLL, DASS WIR GLEICH SIND, MENSCHEN, FÄHIG ZU FÜHLEN UND ZU DENKEN. DER FOLGENDE TEXT IST EINE Da kommt also Religion und Ethik BESCHREIBUNG DER EINDRÜCKE EINES FLÜCHTins Spiel, Meinungsfreiheit sogar: «Je- LINGS, WÄHREND ER SICH DEM BEFRAGUNGSdermann hat das Recht, durch Wort, GEBÄUDE NÄHERT. Schrift, Druck oder bildliche Darstellung innerhalb der Schranken des Gesetzes und der Sittlichkeit seine Meinung frei zu äussern und seine GedanJetzt bin ich in der Nähe des Gebäudes, ken mitzuteilen; eine Zensur darf nur wo meine Befragung stattfinden wird, öffentlichen Aufführungen und Schauder Ort, der offiziell dem BFF gehört. stellungen gegenüber stattfinden» – BFF, Buchstaben, die inoffiziell für Glück für uns SchweizerInnen: sowohl «Brave Foreign Fighters» stehen. Der in Freiburg wie in der EidgenossenOrt von dem ich oft geträumt habe, seit schaft ist Zensur verboten, Medienich zur Ware in diesem grossen Markt freiheit und Kunstfreiheit sind gewährwurde, den ich nun mein Land nennen leistet. muss. Dieser Ort, den ich als irgendwie Aufständischer betreten wollte, aufständisch auch für jene unbekannten GESETZ MACHEN Sklaven, die hier irgendwo leben. Doch die Frage ist: Bin ich aufstänStellt sich mir also bloss noch die disch? oder nur ein Möchte-gernFrage, wie dann eine solche VerfasRevolutionär? Es geht jetzt nicht so sung, respektive Gesetze überhaupt, zu sehr darum – in jedem Fall ist es besStande kommen. Den Adel vertrieben, ser, ein Möchte-gern-Revolutionär zu das Heft in die eigene Hand genommen sein als ein unbekannter Sklave. Doch – um die Macht über das eigene und warum fühle ich mich so kraftlos, ohne das Wohl der Schwachen gleich wieder Mut? Vielleicht bin ich egoistisch, denke zu delegieren – an rechte Politik. Wollte nur an mich, fürchte, die Gnade zu verdas Schweizer Stimmvolk mit einer lieren, weit weg von jenen sein zu könfortschrittlichen Verfassung tatsächlich nen, die mir alles nahmen. Ja, ich muss viel Eigenverantwortung übernehmen? zuerst die Wahrheit erzählen über diese Also: Verfassung lesen und Grundfeige Aufständigkeit – doch was um rechte einfordern und verteidigen, Gottes Willen soll ich sagen? Die Wahrsonst heissts dann plötzlich wieder: heit, die halbe Wahrheit, ein bisschen «Zur Gültigkeit eines jeden Gesetzes ist von der Wahrheit? Wahrscheinlich ausser der Zustimmung des Landtages kennt niemand die Antwort. Wahrdie Sanktion des Landesfürsten […] erscheinlich ist es sowieso vorbei, jetzt da forderlich. Erfolgt die Sanktion des sie einige Daten von mir kennen, aus Landesfürsten nicht innerhalb von der Willkommensbefragung vor zwei sechs Monaten, dann gilt sie als verMonaten. Obwohl sie mir sagten, ich weigert.» Da haben wirs, der Mächtige könne ändern, hinzufügen oder gar befiehlt zum Wohle des Volkes – er streichen. Und alles sei gerechtfertigt wirds wohl richten… im Namen der Angst. … Ja, das ist die Wahrheit, ich habe Angst… > ANS <

Nun bin ich im Innern angelangt und muss auf den Rezeptionisten einen selbstbewussten Eindruck machen. Flüchtling: «Guten Morgen, ich habe Angst.» Rezeptionist: «Entschuldigung?» Flüchtling: «Tut mir leid, ich bin Flüchtling Nummer 1, nein, ich meine… ich weiss… nein, ich meine, Sie wissen, was ich meine, ich habe… eine Befragung. Das ist es.» Scheisse, das ist bereits der erste Fehler und mit wem? Mit dem Rezeptionisten – was ist mit dem Interviewer? Ich gebe auf und weine. Ich bin nur ein Mensch und ich habe Angst, bin müde, das ist alles. Nach einem kurzen Telefongespräch teilt mir der Rezeptzionist mit, ich solle mich einige Minuten gedulden. Ich bin sicher, er wird den Befrager über meine Nervosität informieren. Vielleicht ist er gar kein gewöhnlicher Rezeptionist, vielleicht ist er ein psychologisch geschulter Polizeibeamter! Warum eigentlich nicht? Es ist ein reiches Land, sie werden ihr Bestes geben und keine Kleinigkeit auslassen zur Identifizierung der Ausländer. Ich bin wirklich entmutigt. Befragt zu werden, ist ein grosser Stress. Dass einem dabei misstraut wird, macht den Stress grösser. Ich wünschte, ich könnte an einen Ort fliehen, wo keine weiteren Fragen warten. Wie schön wäre es, wenn der Befrager plötzlich krank würde, wie schön wäre es, wenn der Rezeptionist mich rufen würde und sich bei mir entschuldigte: «Es tut uns leid, Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Befragung abgesagt werden musste. Der Befrager hat ››

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plötzlich einen starken Schmerz verspürt. Sein Zustand erlaubt es ihm nicht, Sie heute zu treffen. Wir werden Sie über das nächste Datum informieren.» Dann würde ich selbstsicher sagen: «Kein Problem, das kann passieren. Ich wünsche ihm gute Besserung und danke Ihnen. Ich wünsche Ihnen einen sehr schönen Tag!» Dann nach draussen gehen, meinen schönen Tag geniessen. Die Freiheit geniessen, feiern, Wein trinken, oder Bier, oder auch Aarewasser. Schwimmen, in den Fluss tauchen, mit den Fischen sprechen, ein Fisch sein für einige Momente nur… Es scheint unmöglich, auch nur in meinen Träumen ein Fisch sein zu können… Der grosse Fisch kommt, jemand kommt. Ich denke, das muss der Mann sein, der über Paradies oder Hölle entscheidet. So wird es sein. Ich bin kein Atheist, doch lasst mich erst mein Paradies auf Erden bewältigen, dann werde ich Zeit für die Beschäftigung mit dem echten Paradies haben. Auch sollte ich wohl etwas lächeln, um ihm zu zeigen, dass ich stark genug bin – doch nützt die Verstellung nichts: Er redet mit dem Rezeptionist, der ihm gleich meinen ersten Fehler berichten wird. Ich sollte wie ein trauriger Mann aussehen, wie ein erschöpfter Mann – Mitleid erregend. Ein ziemlich ungerechtes Leben – ein Mann in einem Operationssaal soll vorgeben, traurig zu sein. Und wozu? Warum? Wahrscheinlich hat auch hier

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niemand die Antwort. Doch, ich habe eine kleine Antwort: dass mein Fall schlimmer sei als alle andern. Der Mann kommt direkt auf mich zu. Mann: «Guten Morgen. Sind Sie Flüchtling Nummer 1?» Flüchtling: «Ja.» Mann: «Kommen Sie bitte mit mir.» Flüchtling: «Gut.» Es ist nett, in jedem Satz «Bitte» zu hören. Doch ist das ein neutrales «bitte» oder versteckt sich dahinter eine andere Bedeutung? Warum verwenden wir das Wort in diesem grossen Markt nur in dringenden Fällen? Doch ich brauche wohl nicht alle Worte zu wiegen, sonst werde ich psychisch krank. Ich glaube nicht, dass das der Befrager ist; schaut euch nur sein T-Shirt an! Gestern sah ich ein solches T-Shirt im Laden hängen, es kostete sieben Franken und ich habe gehört, dass die Leute hier viel verdienen. Ich glaube, er ist der Beobachter vom roten Kreuz, ja, das ist eher anzunehmen. Warum schweigt er? Vielleicht ist es das, was sie die Ruhe vor dem Sturm nennen. Endlich öffnet er eine der Türen Mann: «Bitte, das ist der Raum.» Zwei Personen erscheinen, ein Mann und eine Frau. Es ist auch ein gutes Zeichen, dass es Frauen in diesem harten Raum gibt. Mann: «Bitte, setzten Sie sich.» Alles ist, glaube ich, nun klar: der Mann ist der Übersetzer, er hat ähnliche Züge wie ich. Die Frau ist die Beobachterin des Roten Kreuzes und der Typ mit dem sieben-FrankenT-Shirt ist der Befrager. Er wird die Sitzung leiten, er ist alles. Er sitzt mir gegenüber.

Während der Übersetzer die Leute im Raum vorstellt und das Protokoll verliest, kommt mir ein Bild in den Sinn: «Ich befinde mich in einem ungleichen Ring- oder Boxkampf – was genau, ist egal. Mit einem Riesen, der mich zu bestrafen versucht, weil ich seinen schönen Garten ohne Erlaubnis betreten habe. Die Beobachterin ist die Krankenschwester, die mir erste Hilfe leisten wird, sollte der Riese mir etwas Schlimmes zufügen. Der Übersetzer ist der Kommentator, der, so lange er Geld verdient, nichts zu verlieren hat, ausser einem aufregenden und langen Spiel.» Nach einem kurzen und ernsten Gespräch zwischen Übersetzer und Befrager schaut mich der Übersetzer an und zeigt auf das Wasser: «Hier ist das Wasser, in der Flasche. Hier ist das Glas, es gehört Ihnen. Sie können jederzeit davon trinken.» Ich schaue auf das Wasser und warte für mehr Anleitungen… Mein Gott! Soll ich «danke» sagen, «danke vielmal für das Wasser in der Flasche, für das Glas, das nun MEIN Glas ist!» Mein eigenes Glas in der Schweiz! Soll ich fragen, wie trinkt ihr in der Schweiz das Wasser? Oder vielleicht ist es ganz normal und ich kriege es einfach mit der Angst zu tun … es ist… wenigstens muss ich dankbar sein. Sie sind hier, um mir zuzuhören, nicht um mich herum zu kommandieren. Und das ist für den Moment eine neue Gnade. Mein Bedenken ist nur, dass es die erste und letzte Gnade sein könnte. > FLÜCHTLING N° 1 <


WAS NEOLIBERALE EIGENTLICH VOM STAAT WOLLEN

IST EIN ANDERER STAAT MÖGLICH? RADIKALE STAATSKRITIK IST LÄNGST KEIN PRIVILEG MEHR DER RADIKALEN LINKEN. DIE HERRSCHAFTSKRITISCHE STAATSABLEHNUNG HAT UNVERHOFFT SCHÜTZENHILFE UND KONKURRENZ VON VIELLEICHT ETWAS UNERWARTETER SEITE BEKOMMEN: DEN NEOLIBERALEN. SO GIBT ES DURCHAUS WEBSEITEN VON NEOLIBERALEN, DIE SICH IN EINEM ZUG POSITIV AUF DEN NEOLIBERALEN MILTON FRIEDMAN WIE AUF DEN ANARCHISTEN UWE TIMM BEZIEHEN. GAR VON POSITIV VERSTANDENEM ANARCHO-KAPITALISMUS IST DIE REDE. WAS WOLL(T)EN NEOLIBERALE VOM STAAT BZW. WAS NICHT UND WAS HABEN SIE BEKOMMEN?

gegenüber staatlichen Aufgaben, unter anderem motiviert durch seine Deutung historischer Staatsformen im 20. Jahrhundert. In der neoliberalen Theorie ist der Staat die Antwort auf das Problem der Zwangausübung in einer freien Gesellschaft. Die Gewaltandrohung durch den Staat soll den Zwang unter Privatpersonen vermeiden (Hayek). Dies korrespondiert mit der klassischen Idee des staatlichen Gewaltmonopols. Der Staat greift (ausschliesslich) zum Schutz des privaten Bereichs der Einzelnen gegen Eingriffe von anderen ein. Grundsätzlich aber organisieren die Regeln des Freihandel etc. die gesellschaftlichen Verhältnisse der (Privat-)Personen ohne Zutun des Staates. Die Aktivität des Staates reduziert sich auf ein Minimum.

liberalismus auf diesen KnappheitKonflikt-Macht-Komplex der Individualismus. Der Mensch wird zuerst vereinzelt und von allen sozialen Bindungen gelöst gedacht. Das Wiederfinden in der realen Gesellschaft mündet damit in ein Erleben von Zwang, die «Herrschaft des Kollektiven». Die Freiheit der Gesellschaft bemisst sich ausschliesslich an der Freiheit des einzelnen Individuums1. Gesellschaft kommt darin nur negativ vor. Zusätzlich, wie bereits in schwächerer Ausprägung in der philosophischen Tradition von John Locke (1632-1704) und Adam Smith (17321790), spielt die Verknüpfung von Freiheit des Individuums und Ökonomie eine oder die zentrale Rolle. In den theoretischen Betrachtungen fallen andere Faktoren fast völlig weg; sie werden rein aus dieser Logik heraus erklärt. Die Vergesellschaftung erfolgt unter diesem Prinzip der individuellen Freiheit durch Mechanismen, die von kollektiven Interessen losgelöst sind. Politik besteht aus dem ökonomisch rationalen – entsprechend der Aussicht auf maximale Realisierung – Handeln der Individuen, so dass «der Wirtschaftsprozess und der politische Prozess voneinander nicht kategorisch unterschieden sind; Gegenstand der Analysen sind in beiden Fällen die Wahlhandlungen der Einzelpersonen» (James Buchanan). Das Verständnis von Politik als etwas rein ökonomisch Rationales wird in diesem Sinne als Konflikt mildernd gesehen, da sich dadurch das Politische der Freiheit des Individuums annähere.

Um ein Verständnis neoliberaler Staatskritik zu erhalten, kann es nicht so sehr darum gehen, den Widerspruch zwischen Gesagtem und Handlungen von Neoliberalen aufzudecken. Für einmal soll hier also nicht der «ideologische Schleier gelüftet» werden, oder das in einer Warengesellschaft notALLEIN IM ALL wendige Umschlagen der Vorstellung vom «Profit for People» in ein «Profit Dass es überhaupt zu Konflikten over People» vorgeführt werden. kommt, wird der materiellen Knappheit als existentielle Grundkategorie zugeschrieben. Durch Knappheit entstehen VON DEN ANFÄNGEN/BACK Konflikte um Ressourcen, Produktion TO THE ROOTS und Verteilung. Es bleibt aber nicht nur In der liberalen Ideengeschichte beim Konflikt. Das Verteilen von knapentstand das Bild des freien Menschen pen Ressourcen bringt viel mehr Syswährend der Aufklärung als Abgren- teme von Macht und Herrschaft hervor. zung gegen das religiöse oder monar- In diesem Sinn ist eine freie Gechistische Prinzip des Staates. Im we- sellschaft – wie auch bei Marx, wenn sentlichen wird von einem «negativen», auch mit einer ganz anderen Vorvon Egoismus geleitetem Menschen- stellung des Resultats – nur unter Abbild ausgegangen. Eigennutz und wesenheit von Knappheit umfassend Eigeninteresse werden als wichtige denkbar. Ein «Absterben des Staates» Motivationsfaktoren positiv besetzt. In durch das Wegfallen von Knappheit dieser Auffassung kann sich politische wird aber in der neoliberalen Theorie Freiheit nur unter den Voraussetzun- zurückgewiesen, da der Staat als letzNIE WIEDER DEMOKRATIE gen des freien Handels, Privateigen- ter Garant zur Verteidigung der tums, freien Vertragsrechts etc. entfal- Grundrechte zumindest potentiell erDas Misstrauen dem Staat gegenüten. Der «alte» Liberalismus versteht halten bleiben müsse. ber zeigt sich auch im DemokratieIn Anlehnung an das oben erwähnte verständnis des Neoliberalismus, das den Staat aber nicht als Gegensatz zu den Menschen, sondern stellt eine di- Menschenbild ist die Antwort des Neo›› rekte Verbindung zwischen Staat, Mensch und Wirtschaft her. Der Neoliberalismus schliesst sich dieser TraSCHWERPUNKT dition des klassischen Liberalismus an, megafon Nr. 274, August 2004 13 versetzt ihn aber mit einem Misstrauen


BEGRIFFKLÄRUNG Der Begriff ∫neoliberalª, wie er im Artikel benutzt wird. bezeichnet die liberale Strömung um Friedrich A. Hayek, Milton Friedman u.a. der sogenannten Mont Pelerin Society. Die Mont Pelerin Society entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Art Thinktank. Auf den Begriff ∫neoliberalª wird in dieser Ideentradition sowohl positiv wie auch negativ Bezug genommen. Letzteres passiert zum Beispiel in der Art, dass sich der Begriff auf den so genannten Ordoliberalismus

1 Dieses liberale (bürgerliche) Individuum wird von feministischer Seite, wie auch von der Kritischen Theorie und anderen als ein historisch männliches Selbstverhältnis analysiert. Das (männliche) Individuum besetzt dabei die Bandbreite vom einsamen Kämpfer und Abenteurer bis hin zum unverstandenen Genie. Genauer kann an dieser Stelle aber nicht auf diese Überlegungen eingegangen werden.

in der Theorie selbst nicht diese positive Darstellung geniesst, wie sich das gerne in der Praxis präsentiert, geschweige denn wie es sich dort (nicht) realisiert. Die Freiheitsidee im Neoliberalismus wendet die Herstellung ökonomischer Effektivität als Reflex gegen National- und Sozialstaat. Die «invisible hand» (Adam Smith) des Marktes erübrigt Institutionen und Mechanismen, die diese Freiheit lenken müssten. Kollektive Bewusstseinsformen sind in einer solchen Marktgesellschaft überflüssig. Jeder staatliche Eingriff, auch einer der auf demokratischere Gestaltung abzielt, ist eine Einschränkung der individuellen Freiheit. «Das höchste Ziel ist die Freiheit und nicht die Demokratie.» (Hayek) Die Entwicklung des Individualismus wird in einer spontanen Evolution der Märkte gesehen, «sie [muss] nur zugelassen werden» (Hayek). In eine solche «Zulassung» passen durchaus auch diktatorisch durchgesetzte Marktinstitutionalisierungen wie zum Beispiel im Fall von Chile unter Pinochet, wo die sogenannten Chicago Boys um Friedman als Wirtschaftsberater tätig waren. In dieser Funktion des Staates – eben auch im Beispiel Chile – geht es um das Garantieren des Rahmens für die Regeln individuellen Handelns. In diesem Verständnis wird der Wohlfahrtsstaat als expansive Anwendung der Demokratie gesehen, die die Freiheit des Individuums (nega-

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beschränke. Mit der Vorsilbe ∫neoª sei insbesondere eine diffamierende Absicht verbunden, um im Begriff Neoliberalismus Nähe zum Wort Neonazi anklingen zu lassen (vgl. www.liberalismus.at). Positiv auf den Begriff bezieht sich zum Beispiel Roman Stöger, der in seinem Buch ∫Der neoliberale Staatª eine klärend offene Innenansicht zum Thema gibt. Dort finden sich auch ausführliche Angaben zu den klassischen Texten. FS

tiv) betreffen muss. Ein mögliches Gegengewicht zum kollektiven Gestus des demokratischen Mehrheitsprinzips kann für neoliberale Staatskonzepte der Ausbau von Individualrechten sein. Die konsequente Folgerung ist der Minimalstaat. In diesem «utopischen Gehalt» des Neoliberalismus sieht Ralf Dahrendorf gar «eine Spur von Anarchismus». Im Gegensatz zum Anarchismus hält jedoch der Neoliberalismus am Ordnungsprinzip des Staates als ordnungserwirkende potentielle Androhung von Gewalt und Zwang in letzter Instanz fest.

UND WAS ER HAT, DAS GLAUBT ER NICHT Angesichts der inhaltlichen eher kargen Äusserungen könnte die neoliberale Staatstheorie insgesamt eher als eine Theorie der Abstinenz bezeichnet werden, was nicht bedeuten kann, dass keine neoliberale Staatspolitik gemacht würde. Real hat sich aus den neoliberalen Reformen aber trotz sogenannter Deregulierungen die beabsichtige – oder vielleicht auch nur herbeifantasierte – staatliche Zurückhaltung nicht eingestellt. Der Wohlfahrtsstaat hat sich zum Wettbewerbsstaat gemausert, der sich nach Innen nicht etwa nur als Garant für die «Einhaltung der Regeln» versteht, sondern in einer Art Supervisor autoritär als «aktivierender Staat» auftritt. Für die konkrete Sozialpraxis bedeutet dies, «sanfter» Druck mit moralischem Gerede von Selbstverantwortung und «Qualifizierungsmassnahmen» kombiniert mit direktem Zwang durch gemeinnützige Arbeit oder Mittelkür-

zung. MigrantInnen und andere rechtlich prekärisierte Gruppen kommen schon überhaupt nicht mehr in den – wenn auch zweifelhaften – Genuss solcher Massnahmen. Sie landen bei Erwerbslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit direkt in informellen Netzwerken, seien das Verwandte, Hilfsorganisationen oder Schattenökonomie. Staatliche Politik wurde durch die neoliberalen Reformen nicht unbedeutender. Zusätzlich kam es zu einer «Internationalisierung des Staates» (Joachim Hirsch), welche Privateigentum über Institutionen wie IWF (Internationaler Währungsfonds), WTO (Welthandelsorganisation) oder IOM (Internationale Organisation für Migration) unter anderem im globalen Rahmen mobilisiert, garantiert und in seiner Form erweitert.

LINKER HERZSCHMERZ Nebst dem meist als Abbau bezeichneten Staatsumbau haben die neoliberalen Reformen eine anhaltende Ambivalenz erneut zu Tage gefördert: das Verhältnis der Linken zum Staat. Der Staat wird in der linken Kritik am Neoliberalismus gerne auch mal als neutrales Instrument zur Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet. Von Reregulierung bis Global Governance ist die Rede. Eine beliebte Vorstellung dabei sieht Politik als unabhängige Ermahnung der «Wirtschaft» an deren «soziale Verantwortung». Dadurch stellt die geäusserte Kritik tendenziell Politik und Ökonomie einander gegenüber. Sie verdeckt durch Beharren auf Ethik und Moral des «guten Regierens» die


Durchsetzung handfester Interessen und Strategien durch den Staat. Die darin wiederzufindende moralische Zurichtung des Subjekts trägt eher zu einer modernisierenden Nachhaltigkeit des Neoliberalismus und des Staates selbst bei, anstatt beide gleichermassen in Frage zu stellen. Die Entwicklung des Staates ist nicht ohne Bezug auf die konkreten Lebens- und Produktionsverhältnisse zu verstehen und gar nicht als deren grundsätzliche Entgegensetzung. Eine glaubwürdige herrschaftskritische Linke sollte aus dieser Perspektive an den Staat herantreten. Insbesondere müssen Errungenschaften aus sozialen Kämpfen nicht dem Staat verdankt und mit diesem verwechselt, sondern diesen als institutionelle Manifestation derselben gesehen werden. Diese Errungenschaften sind zu verteidigen nicht der Staat als autonom (miss)verstandenes Instrument. Der Staat ist nicht nur seinem Inhalt nach ein Kristallisationspunkt und Ausdruck aktueller Machtstrukturen, sondern ebenso in seiner Form. Er ist in diesem Sinne immer schon Ausdruck eines sozialen Verhältnisses, und der Ort, wo materielle Konflikte über ideologische, repressive und integrierende Momente reguliert werden. Ein aktuelles Beispiel im autoritären Wettbewerbsstaat ist die Migrationspolitik mit hoch technologisierter Abschottung und rassistischer Standortrhetorik einerseits und GreencardSelektion andererseits.

TRAUER UM PATRIARCHALSTAATLICHE VATERLIEBE? Der (Sozial-)Staat bedeutete im historischen Rückblick immer gleichzeitige System- als auch Sozialintegration. In interpretativer Anlehnung an Johannes Agnoli übernimmt er die Herstellung des Konsens zur Unterwerfung unter die Ausbeutung im patriarchal-kapitalistischen System. Dies betrifft sowohl Klassen- wie Geschlechterverhältnisse. In diesem Verhältnis muss Hegemonie auch im Neoliberalismus immer wieder neu hergestellt werden, was bedingt, Kritik aufzunehmen und in ein dynamisches Moment umzuleiten, wie dies aktuell am Beispiel etlicher NGOs vordemonstriert wird. Die Moralisierung der Politik kann darin vor allem als diskursive Erneuerung der Hegemonie betrachtete werden. Eine herrschaftskritische Politik ist wohl oder übel zur Auseinandersetzung mit diesen Dynamiken gezwungen. Jeder positive Bezug auf den gewesenen Sozialstaat und seine Institutionenform kommt nicht darum herum, darüber zu reflektieren, was dieser Staat nebst offener Repression auch war. Einerseits war der staatlich institutionalisierte Klassenkompromiss zwischen Arbeit(erbewegung) und Kapital im auf wenige Länder beschränkten Wohlfahrtsstaatsmodell ein Männerkompromiss und damit Ausdruck handfester Geschlechterverhältnisse. Andererseits regulierte die-

ser Kompromiss durch nationalstaatliche Ausschlussmechanismen den Zugang zum Wohlstand und die internationale Arbeitsteilung in dieser historischen Phase. Eine ahistorische Illusion, die ein Zurück zu einem am Sozialstaat orientierten Modell der Nachkriegsjahre wünscht, verharmlost dessen Herrschaftsförmigkeit und unterschätzt sowohl die Rolle staatlicher Verfasstheit bei der Hervorbringung der politischen Subjekte als auch den Institutionen gebenden Rahmen zur Selbstunterwerfung dieser Subjekte. > FREDY SPRING <

Literatur zum Thema: - Stöger, Roman: Der neoliberale Staat (1997) √ eine innenansicht mit verblüffend offener analyse und relativ einfach zu lesen. - Hayek, Friedrich August von: Die Verfassung der Freiheit (1960) - Hayek, Friedrich August von: Der Weg zur Knechtschaft (1944) - Poulantzas Nicos: Staatstheorie √ Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus (VSA-Verlag, Neuauflage diesen Herbst) - Hirsch, Joachim: Der nationale Wettbewerbsstaat. Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus (1995)

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BÜROKRATIE UND MENSCHENRECHTE

«MAN DARF SIE NICHT UNTERSCHÄTZEN» EINE KONKRETE ERSCHEINUNGSFORM DES STAATES IST DIE VERWALTUNG. IN IHR WIRD MACHTAUSÜBUNG ORGANISIERT. TRÄGERINNEN DER VERWALTUNG SIND BÜROKRATINNEN. SIE BEFINDEN SICH GEWISSERMASSEN IM INNEREN DER MACHT. DIESES INNERE ZEIGT SICH BEI NÄHERER BETRACHTUNG ERSTAUNLICH HOHL.

Folgende Texte sind Auszüge aus Gesprächen mit VertreterInnen des Staates, namentlich solchen aus dem Asylwesen. Sie sind während einer Recherche der freien Theatergruppe «Schauplatz International» zum Stück «Château Europe. Der Superasylantenslam» entstanden. Das Stück wurde Ende Juni im Tojo aufgeführt und wird im Frühling 2005 wiederaufgenommen.

19. MAI 2004, GESPRÄCH MIT FRAU P., BEFRAGERIN DES KANTONS BERN P: Also, der Gesuchsteller sitzt hier, mir vis-à-vis. Und er sollte sich schon ein bisschen aufführen. (…) Ich verlange von den Asylsuchenden, dass sie sich uns anpassen. Genau so, wie ich mich ihnen in ihrem Land anpasse. Wenn ich zu ihnen gehe. Und jetzt sind sie hier. Da verlange, ich dass sie sich anpassen. (…) Man muss sich aber schon für die fremden Kulturen interessieren. Ich bin jetzt ein totaler Algerienfan. Aber dahin gehe ich nicht in die Ferien solange ich Leute von dort in meinem Büro habe. Das ist für mich nicht möglich. Das kann ich nicht. (…) Aber ich lese viele Bücher über diese Länder. Ich bin jetzt grade eine Woche auf Kreta gewesen. Ich habe nur Bücher über diese Länder gelesen. Ich kann gar nicht anders. Sach-, also Fachliteratur. Gerade über die Frauen. Wir müssen diese Dinge wissen. «Gefangen in Marokko» zum Beispiel oder «Die weisse Massai»

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– aber das ist ein schlechtes Buch, ein blödes – und «Hinter dem Schleier» oder «Ich, die Prinzessin Sultana und meine Töchter». Die hat ganz schöne Bücher geschrieben. Aber «Die weisse Massai» ist furchtbar. Die ist ja freiwillig gegangen. Das ist das, was ich meine: Wenn ich zu denen gehe, dann passe ich mich an. Die ist ja selber Schuld. (...) Sehen Sie, es gibt Dinge, die sind für alle gleich. Das ist einfach so. Der Wochentag zum Beispiel. Das Datum, wann Sie geflüchtet sind, das können Sie vergessen. Aber nicht den Wochentag, den vergessen Sie nicht. Das ist nicht kulturspezifisch. Das ist für alle gleich. Sehen Sie, mein Mann geht immer Donnerstags singen. Darum weiss ich den Wochentag immer. Solche Sachen sind für alle gleich. (…) Sie unterschätzen ja unsere Cleverness. Und es ist auch ein Machtkampf. Da laufen so Spielchen ab. Sie sitzen jetzt gerade vis-à-vis, ich schaue Sie an und ich blinzle nie. Sie haben jetzt geblinzelt. Sie haben schon verloren. Das ist schon das erste Zeichen. Am Anfang bin ich immer sehr streng. (…) Ich zeige, was ich fühle. Ich streite auch viel mit den Asylbewerbern. Am Ende lachen wir dann wieder, aber ich streite oft. Man muss einander spüren. Aufeinander reagieren. Sonst ist er mir ausgeliefert. Man muss einander spüren. (…) Es passieren traurige Sachen. Es passieren aber auch viele lustige Dinge. Da muss man manchmal auch lachen können. (…) Ich möchte nicht entscheiden müssen. Ich bin etwas feige. Ich bin froh, nicht entscheiden zu müssen. Das wäre zu schwierig. Wenn man die Leute nicht kennt, ist man ein bisschen anonymer. Das ist einfacher. (…) Dabei haben ja alle Gründe zu kommen. Es ist hart. Aber wir können ja nicht alle nehmen. Was soll ein junger Algerier machen. Er kann ja nur ein Asylgesuch stellen. Wir würden es ja alle genau gleich machen.

26. MAI 2004, GESPRÄCH MIT DEN HERREN B., ERSTBEFRAGER UND S. VON DER SECURITAS, BEIDE IN DER EMPFANGSSTELLE KREUZLINGEN B.: Wissen Sie, das Problem, das wir hier haben, ist nicht, dass die Entscheide nicht gefällt werden. Die werden in der Regel schnell getroffen. Aber wir wissen in vielen Fällen nicht mehr, wo diese Personen herkommen. Wir kommen dann noch darauf zu sprechen. Zuerst einmal herzlich willkommen in der Empfangsstelle für Asylbewerber in Kreuzlingen. (...) Baustandard: Neue Kaserne. Das ist kein Luxusbau. Es ist alles sehr funktionell bei uns. (...) Da scheint mir wichtig: Männer und Frauen, unabhängig, ob sie Männer oder Frauen sind – alle müssen putzen. Das kann ab und zu zu Reibungsflächen führen. Gewisse Nationalitäten denken halt vielleicht, gewisse Arbeit ist nur Frauenarbeit. Aber dazu kann ich nur sagen: Bei uns sind alle im gleichen Boot. (...) Unsere Gesuchsteller müssen sich da anpassen. (...) Ich zeige Ihnen jetzt gerne unsere Empfangsstelle. Wichtig ist: bleiben Sie zusammen. S.: Sehen Sie, wir sind keine Notschlafstelle. (...) Es kommt niemand rein, der das Wörtchen «Asyl» nicht über die Lippen bringt. Und sie können es. Sie können es immer. (...) Wir quartieren auch ein. Und zwar ganz präventiv. Wir sagen ihnen, wo sie liegen. (...) Für einen Russen ist ein Schwarzer nichts wert. Da müssen wir immer sehr aufpassen. Wir sind ja für die Sicherheit da. Darum absolut präventiv voll durchmischen. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht damit. B.: Jetzt, wie siehst du das. Das Zusammenleben hier ist ja relativ gut. S.: Ist relativ gut.


B.: Sie kommen ja hier rein und wollen etwas. S.: Das ist richtig. Das ist richtig. (...) Und man darf unsere Gesuchsteller nicht als dumm hinstellen oder so. Ich staune manchmal: Sie kommen von sehr weit her und finden Kreuzlingen. Auch wenn wir sie in den Kanton schicken, wir erklären Ihnen je denn Weg es ist noch jeder angekommen. B.: Ja. Ich kann das bestätigen. Manchmal erklär ich das auch mit «tschutschutschu». S.: Man darf sie nicht unterschätzen. 99 Prozent bedanken sich sogar, wenn sie wieder gehen. Das ist für uns absolut in Ordnung so. B: Das Problem, das wir hier haben, ist nicht, dass wir die Entscheide nicht treffen. Das war früher so. Das war manchmal menschenunwürdig. Heute treffen wir die Entscheide relativ schnell. Aber wir wissen oft nicht, wo die Personen herkommen. (...) Das ist für mich nicht immer einfach. Aber ich sage mir: Lieber einmal einen Zweifel zuviel haben, als gleich zu sagen, er kommt aus diesem Land und dann kommt er nicht aus diesem Land. (...) Zum Beispiel Äthiopien ist sehr interessant, also gerade Abessinien. Das ist halt nicht so touristisch erschlossen. Aber es herrscht noch eine total italienische Kaffeekultur. Also Eritrea, meine ich. Das muss ganz interessant sein. (...) Ich habe mich in der Schule immer sehr für Geschichte und Geografie interessiert, aber ich komme eigentlich von der Bank. Mir hat man einmal eine Sektion geschlossen. Und nun bin ich da. (...) Es ist sehr interessant, man hat immer wieder andere

Menschen vor sich. Und ich habe es immer so gehalten: So wie es in den Wald tönt, so tönt es zurück. Wenn jemand anständig ist zu mir, dann bin ich auch anständig zu dieser Person. Es ist sehr, sehr interessant, was man da lernt, tagtäglich. Ein Nigerianer zum Beispiel der sagt immer Switzerlaaaaand. Ssssswitzerlaaaaand. Das ist einfach so. Oder Nondon. Nondon statt London. Nondon. Da lernt man solche Sachen. Jaja, man ist da schon am Puls. (...) Wir machen ja die Erstbefragung. Meine Strategie ist, so viele Daten wie möglich herauszufinden. Wenn er sich dann bei der zweiten Befragung widerspricht, dann haben wir die Widersprüche. (...) Und was man sich halt immer wieder fragen muss ist: Ja, wir müssen sie doch wegbringen können, wenn sie einmal abgelehnt sind, oder? Das ist für mich schon das, was eigentlich das Wichtigste ist. Dass wir wissen, wo sie herkommen. Das ist die Achillessehne: Der Vollzug der Wegweisung.

sehr nah. Man ist dann nudelfertig. Man kommt ans Limit. Auch mit der Sprache und der Gestik. Die brauchen einfach einen Menschen zum Reden. Das braucht Menschenliebe. (..) Man darf sich nicht scheuen vor Berührungen. Einfach mal jemanden in den Arm nehmen, damit er weinen kann. Da darf man keine Angst haben, dass die Kleider verschmieren. Da muss man auch mitweinen können. Menschlich bleiben. Das spielt sich alles auf der menschlichen Ebene ab. Man muss menschlich bleiben. Sonst können wir auch nicht mehr entscheiden. (...) Sehen Sie, bei uns sind die wenigsten Leute politisch. (...) Das sind Leute, die Freude haben zuerst am Menschen und dann an den fremden Kulturen. > SCHAUPLATZ INTERNATIONAL <

19. MAI 2004, GESPRÄCH MIT FRAU H., INFORMATIONSCHEFIN DES BFF H: Ich bin froh um die Securitas. Wir haben ja häufig Demonstrationen hier. (...) Wir haben auch immer wieder Leute, die sich verbrennen wollen. Oder hungerstreiken. Ich bin meistens bei diesen Gesprächen dabei. Da muss man einfach Geduld haben. (...) Ich versuche einen Zugang über das Menschliche aufzubauen und sie immer wieder aufzufangen. Das geht mir auch SCHWERPUNKT megafon Nr. 274, August 2004

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NUMMERN ZÜCKEN FÜR EINE STAATSBÜRGERSCHAFT

ALS EIN AUSLÄNDER PLÖTZLICH INLÄNDER WERDEN WOLLTE DEN STAAT HASSEN IST EINFACH. SCHWIERIG WIRD ES, WENN JEMAND PLÖTZLICH DEN STAAT LIEBEN WILL, SICH AN IHM REIBEN WILL UND MIT GANZEM HERZEN EINE BETEILIGUNG AN DIESEM WUNDERLICHEN GEBILDE EINFORDERN WILL: DIE STAATSBÜRGERSCHAFT.

«Heute werde ich ein richtiger Holländer», rief Trösenbeck an einem dieser grauen Amsterdamer Tage. Er hatte sich ein paar Jahre zuvor in der Grachtenstadt niedergelassen, die Sprache der HolländerInnen erlernt und festgestellt, dass roher Hering hinsichtlich Geschmack nicht zu übertreffen war. Trösenbeck hatte sich Klompen, die schweren gelben Holzschuhe, gekauft und wurde, wenn er sie trug, etwa fünf Zentimeter grösser, also schon fast so gross wie ein Holländer. Sein dunkles Haar versteckte er unter einer orangen Kapitänsmütze und war folglich äusserlich kaum noch vom «native Dutch» zu unterscheiden. Wenn er den Mund öffnete und mit seinem schweizerdeutschen Akzent holländische Floskeln drosch, erkannte die Holländerin zwar sofort den Ausländer, da aber ein schweizerdeutscher ganz anders als ein deutscher Akzent klingt, war das einigermassen o.k. Damit er ein waschechter Inländer werden konnte, musste er sich nur noch den Wisch ergattern, der ihm die Staatsbürgerschaft schwarz auf weiss bescheinigte: ein Pass des Königreichs der Niederlanden. «Guten Tag, mein Herr», sagte er zu einem Schalterbeamten in der Halle «Bürgersachen» des gemeindlichen Registrierbüros, «ich will den holländischen Pass.» Der Beamte war offensichtlich vom staatsbürgerlichen Eifer des Trösenbeck nicht gerade beeindruckt und sagte in gehässigem Ton: «Dann nehmen Sie bitte eine Nummer und warten

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Sie, bis Sie an der Reihe sind.» «Und wo bitte, erhalte ich eine Nummer?» Der Beamte wies auf einen Apparat in der Hallenmitte, der auf Knopfdruck kleine Zettel mit Nummern ausdruckte, die auf der Rückseite des Logo einer international tätigen Bierfirma zierten. Dieses hübsche Beispiel des Sponsoring im New Public Management trug die Nummer «491». Trösenbeck verglich die Nummer mit einer Anzeigetafel. Dort stand «212». «Wenn die Bürokratie der Holländer so anständig effizient wie unanständig gesponsert ist, also schätzungsweise eine Behandlung pro Minute ermöglicht», rechnete Trösenbeck, «bin ich in viereinhalb Stunden an der Reihe.» Er beschloss, einen Kaffee trinken zu gehen und besuchte einen Coffeeshop in der Nähe des Stadtgebäudes, wo er acht Kaffees trank. Vier Stunden später kehrte er zitternd zurück und sah die Nummer: «232». Er wollte gerade aufschreien, als er eine zweite Anzeigetafel erspähte, welche die Aufschrift «Pässe» trug und völlig andere Nummern zeigte. Dort leuchtete – oh, grosser Zufall – die Zahl «491». Trösenbeck nahm seine Beine in die Hand, stolperte wegen den schweren Klompen und erreichte den freien Schalter genau in dem Moment, als die «491» zur «492» wurde. Der Schalterbeamte wies Trösenbeck an, eine neue Nummer zu pflücken. «Hier sind alle gleich, Ausnahmen werden nicht gemacht», erwähnte er, als er sah, wie sich eine Protestwelle in Trösenbecks Mund formierte. Trösenbeck respektierte diese Erwähnung, nahm sich die Nummer «522» und wartete erneut. «Also, Sie wollen Niederländer werden», nuschelte eine adrette Beamtin, «dann muss ich Ihren Pass sehen und Ihre Aufenthaltsbewilligung.» Trösenbeck zückte den roten Pass mit dem weissen Kreuz und erklärte: «Ich wusste gar nicht, dass mein Aufenthalt bewilligt werden soll. Ich bin

ja ganz nett, arbeite fleissig und zahle auch pünktlich die Miete, also mich hat noch nie jemand gefragt, ob mein Aufenthalt bewilligt ist. Wo kriege ich eine solche Bewilligung?» Die Frau war sichtlich empört und fragte: «Und wie lange leben Sie schon ohne Aufenthaltsbewilligung hier?» «Ein paar Jährchen, weiss nicht, ich nehme das mit den Zahlen nicht so genau», antwortete Trösenbeck und schielte auf die Anzeigetafel. «Gehen Sie sofort zur Fremdenpolizei», befahl die Dame und gab ihm eine Wegbeschreibung, die ihn an das andere Ende der Stadt führen sollte. Trösenbeck bestieg das Tram. Eine halbe Stunde später – es war inzwischen später Nachmittag – befand er sich bei der Fremdenpolizei. Auch hier gab es Nummern, allerdings ohne Apparat. Sie wurden von einem Polizisten höchstpersönlich verteilt. «Gehen Sie gleich wieder nach Hause», sagte dieser, nachdem ihn Trösenbeck übertrieben freundlich gegrüsst hatte, «ich verteile nur am Morgen Nummern.» «Aber ich muss meinen Aufenthalt bewilligen lassen», sagte Trösenbeck und zog sich die Kapitänsmütze bis knapp über die Augen. «Und ich habe bald Feierabend», erwiderte der Polizeibeamte und zeigte auf den Ausgang. Trösenbeck unterdrückte seinen Ärger und beschloss, am nächsten Tag früh aufzustehen. Schon um halb Zwölf befand er sich am nächsten Morgen wieder vor dem Nummernpolizisten. «Zu spät», sagte dieser, «alle Nummern für den heutigen Tag sind schon vergeben.» Trösenbeck, gut gelaunt von einer traumreichen Nacht, fragte lächelnd: «Und warum gehen Sie nicht schon jetzt in den Feierabend?» «Weil ich Leuten wie Ihnen sagen muss, dass sie zu spät sind», antwortete der Beamte und wandte sich ab. Zweiundzwanzig Stunden später


stand Trösenbeck erneut vor dem Beamten und erhielt endlich das Gewünschte, die Nummer «37». Nun durfte er in den Wartesaal der Fremdenpolizei vorstossen und stellte fest, dort war es schön. Dort tummelten sich die wunderbarsten Kulturen der Welt. Türkinnen klammerten Kinder an ihre Röcke, zwei Marokkaner spielten Schach, ein Russe flötete traurige Melodien, eine Senegalesin knüpfte einer dicken Amerikanerin Zöpfe und zwei Thailänderinnen lächelten Trösenbeck freundlich zu. Trösenbeck lächelte freundlich zurück und fühlte sich sofort sehr wohl in diesem multikulturellen Basar der Wartenden. Er liess die türkischen Kinder in seinen Klompen Schifffahrt spielen, gab den Marokkanern Tipps gegen Schachmattigkeit und tanzte mit der Senegalesin und der Amerikanerin zur traurigen Flötenmusik. Langsam veränderte sich die Bevölkerung in der Wartehalle. Polizisten riefen Nummern und baten die jeweiligen Besucher mitzugehen. Niemand kehrte mehr zurück. Dafür trafen ständig neue Wartende ein. Es war wie auf dem Transfermarkt einer besseren Fussballmannschaft: Für die Marokkaner kamen Argentinier, die Türkinnen wurden durch Chinesinnen ersetzt und nachdem der Russe verschwand, veranstaltete eine zehnköpfige bosnische Familie ein Pick-Nick. Trösenbeck genoss die Szenerie so sehr, dass er den «37»-Ruf einer Polizistin fast überhörte. Schnell wurde er dann in ein Büro geführt, das mit ein paar Ordnern und einem dicken Polizisten ausgestattet war.

«Woher kommen Sie?», fragte der Mann und blickte mürrisch, als Trösenbeck seine Kapitänsmütze absetzte. «Aus Bümpliz», antwortete Trösenbeck, «das heisst, ursprünglich, jetzt komme ich natürlich direkt aus meiner schmutzigen kleinen Wohnung im Norden der Grachtenstadt.» «Und warum sind Sie hier?» «Ich liebe das Land der Holländer, das saftige Gras in den Pfeifen, die Hunde, die hier überall ihren Kot deponieren dürfen, das Fahrradfahren in der Nacht ohne Licht, dafür mit lauter Klingel, und natürlich das Tramfahren. Ich liebe das holländische Leben, das ich in Bümpliz nicht leben darf.» «Haben Sie Arbeit?» «Ich komponiere Seemannslieder.» «Haben Sie eine Sozialversicherungsnummer für Ihre Arbeiten?» Trösenbeck überreichte dem Polizisten die Nummer «37». Der Polizist schüttelte den Kopf und sagte: «Gehen Sie jetzt sofort zur Steuerbehörde. Holen Sie sich eine Sozialversicherungsnummer. Dann muss ich die Bescheinigung 2-B von Ihrem Arbeitgeber haben, die besagt, dass er keine Qualifizierten innerhalb der Festung Europa für diese Arbeit gefunden hat und auf einen Mann wie Sie angewiesen ist. Schliesslich muss ich noch die städtische Wohnbescheinigung haben, dass Sie nicht zur Untermiete in einer Wohnung wohnen.» «Aber ich wohne in Untermiete, dafür zahle ich doppelt soviel wie in einer normalen Wohnung. Ich fördere den flotten Geldkreislauf Ihres herrlichen Landes.»

«Schön. Besorgen Sie sich trotzdem eine reguläre Mietwohnung. Tag.» Der Polizist drückte auf einen Knopf und Trösenbeck wurde durch eine Falltüre nach draussen spediert. Bei der Steuerbehörde erhielt Trösenbeck die Nummer «788» und erfuhr nach drei Stunden Wartezeit, dass er zuerst die Bescheinigung 2-B vom Arbeitgeber holen musste. Trösenbeck erklärte, eigentlich sei er selber Arbeitgeber. Die Steuervögte antworteten, er müsse zur Handelskammer gehen und eine Selbständigkeitserklärung anfordern. Trösenbeck beschloss, zuerst die Wohnbehörde aufzusuchen. Dort gab es keine Nummern, sondern eine Warteliste für reguläre Wohnungen. Trösenbeck trug sich in die Liste ein und überbrückte die Wartezeit erneut mit acht Kaffee im Coffeeshop. Als er zurück kam, war er immer noch zuunterst auf der Warteliste und wurde darüber aufgeklärt, dass er mindestens zwölf Jahre warten müsse, bis er die Spitze der Liste erreichen würde. Inzwischen hätte man, klärte ihn ein eifriger Wohnbeamte auf, seine Wohnung geräumt, da er dort illegal zur Untermiete wohnte. Seine Möbel, Pfannen und das Heftchen mit den Kompositionen der Seemanslieder befänden sich am alten Hafen in einem Schuppen. Zufälligerweise war dieser Schup››

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pen neben der Handelskammer. «Genial», dachte sich Lö Trösenbeck, der schon hoffte, sein Glück habe sich endlich gewendet, «jetzt kann ich gleich zwei Aufgaben verbinden.» Er holte sich eine Wartenummer in der Handelskammer und überbrückte die Wartezeit mit einem Besuch im Schuppen. Mit seinen Möbeln, Pfannen und dem Heftchen mit den Seemannsliederkompositionen begab er sich dann nummerngerecht zur Handelskammer. «Wir brauchen zuerst eine Bestätigung, dass Sie Ihren Geschäftsstandort in Amsterdam haben», sagte der Handelskämmerer. Trösenbeck zeigte auf sein Hab und Gut, das er ins Vorzimmer des Beamten gestellt hatte, und sagte: «Hier, bitte sehr, mein momentaner Geschäftsstandort.» Der Kammerhändler lachte und sagte: «Bitte, schliessen Sie die Türe beim Herausgehen.» Lö Trösenbeck war die Lust, ein richtiger Holländer zu werden, vergangen. Er packte den nächsten Zug nach Bümpliz. Bei der Grenze zum kleinen Alpenland, stellte er fest, dass er den

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roten Pass mit dem weissen Kreuz verloren hatte. «Muss wohl ins alte Hafenbecken gefallen sein, als ich meine Habseligkeiten packte», sagte er zum Schweizer Zöllner und gab damit den Startschuss zu einem neuen Lauf durch Ämter, Handels- und Wohnkammern, Einwohnerregister, Familienbüchereien, Heimatorten, Zivilstandsämter, Steuerbüros und Fremden-, Bundes-, Kantons- und Gemeindepolizeien. Am Schluss hatte Trösenbeck gelernt, dass es tatsächlich einfacher war, den Staat zu hassen, als ihm seine Liebe zu schenken. Ganz heimlich beschloss er, dass, sobald der Tag kam, an dem der Treibhauseffekt zünden und das Königreich der Niederlanden in den Fluten der Weltmeere versinken würde, er sich einen Job bei der Bümplizer Fremdenpolizei (ca. 600 m.ü.M.) angeln und bösartig lächelnd Nummern verteilen würde. > SPAM@TROESENBECK.COM <


DYNAMISCHE ANARCHIE

«ÄS LÄNGE FÜR’S Z SPRÄNGÄ PAAR SECK DYNAMIT…» WO LIEDER VON MANI MATTER GESUNGEN WERDEN, HÖRT JEDES KIND FRÜHER ODER SPÄTER DEN BEGRIFF ANARCHIE UND ZWAR IM LIED DYNAMIT. MATTER ERZÄHLT IN DIESEM TEXT, WIE ER EINES NACHTS EINEN BÄRTIGEN KÄRLI ANTRIFFT, DER SICH AM BUNDESHAUS MIT DYNAMIT ZU SCHAFFEN MACHT. AUF MATTERS FRAGE WAS DAS SOLLE, ANTWORTET DER ANARCHIST: FURT MIT DÄM GHÜTT IG BI FÜR D’ANARCHIE…

Der Staat als Gewaltmonopol, als einzige legitimierte Institution, die in der Gesellschaft Gewalt anwenden darf, ist und bleibt eine extreme Antithese zu anarchistischen Lebensentwürfen. Die Vorstellung einer zentralisierten Macht, die über den einzelnen Individuen steht, widerspricht radikal dem Bild einer Gesellschaft, verstanden als Kollektivität einzelner, absolut gleichberechtigter Menschen, die ihr Leben basisdemokratisch gestalten. Doch nicht nur in diesem theoretischen Rahmen, sondern auch und vor allem in der Praxis kommen die Konflikte zwischen Staat und AnarchistInnen zur Geltung. Wo auch immer sich AnarchistInnen organisieren, geraten sie früher oder später mit dem staatlichen Gewaltmonopol in Konflikt (Demobewilligungen, Hausbesetzungen, Direkte Aktionen, Hinderungen von Amtshandlungen, Landfriedensbruch, Dienstverweigerung, Diebstahl, …) Dem Staat stehen in diesen Konfliktsituationen unzählige Mittel zu Verfügung, um sein Gewaltmonopol durchzusetzen. Das reicht von Kompromissen wie Nutzungsverträgen oder JaAber-Demobewilligungen über Bussen, Prozesse, Anzeigen bis hin zu Knast und Zwangspsychiatriesierung. Der bärtige Kärli erhoffte sich mit seinem Dynamit unter dem Bundeshaus die Zerstörung des Gewaltmonopols und dadurch die Möglichkeit zu einer freien, selbstverwalteten Gesellschaft.

Doch in den über dreissig Jahren, die zwischen uns und Matters Lied liegen, hat der bärtige Kärli einen Konkurrenten erhalten, der ohne Dynamit das staatliche Gewaltmonopol viel mehr unterhöhlt hat, als sich dies der Anarchist mit seinem Sprengsatz je hätte träumen lassen: Der so genannte Neoliberalismus hat mit seiner freien Marktwirtschaft und seinem Konzept vom schlanken Staat mehr Staat zerstört als sämtliche AnarchistInnen zusammen. Während erste Kürzungen primär soziale und kulturelle Institutionen getroffen haben, hat es der Neoliberalismus zunehmend auch auf klassische, staatliche Repressionsund Disziplinierungsorgane wie Schule, Polizei, Knast, Psychiatrie und Armee abgesehen. Der so genannte Gesellschaftsvertrag, wonach BürgerInnen das staatliche Gewaltmonopol akzeptieren und der Staat im Gegenzug dafür sorgt, dass die Bedürfnisse der BürgerInnen befriedigt werden, ist mit dem allmählichen Abbau des Staates immer brüchiger geworden. Je mehr Menschen vom Staat im Stich gelassen werden, desto geringer die Loyalität gegenüber dem Staat. Die anfängliche Analyse, wonach der Staat nur noch eine repressive Funktion zum Schutze der Wirtschaft haben wird, ist nur bedingt richtig. Die Tatsache, dass immer mehr private und halbprivate «Sicherheitsdienste» aktiv werden, lässt vermuten, dass das Kapital nicht mehr bloss an ökonomischem Profit interessiert ist, sondern an der Macht an sich. Daraus hat sich für AnarchistInnen eine paradoxe Situation ergeben: Ein grosser Teil unserer politischen Aktivitäten sind im Endeffekt ein Verteidigungskampf des vor-neoliberalen Staates. Indem wir uns gegen die Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik einsetzen oder gegen die Kürzungen im

Bildungswesen, gegen die Revision der AHV oder für die Erhaltung der verfassungsmässig garantierten Rechte usw., kämpfen wir eigentlich für die Erhaltung des Staates der 1980er Jahre und vergessen dabei, dass wir eigentlich etwas ganz anderes wollten: Die Überwindung oder Zerstörung sämtlicher staatlicher Institutionen von Knast bis Parlament, zu Gunsten selbstverwalteter, basisdemokratischer Strukturen, die die Entfaltung und Emanzipation der Individuen ermöglichen und fördern sollten. Zwar können wir uns auf einer theoretischen, moralischen Ebene immer wieder auf bodenständige anarchistische Werte berufen, in der politischen Praxis ist unsere Haltung jedoch nicht einmal mehr reformistisch, sondern streng betrachtet konservativ. Diese Situation hat den anarchistischen Kosmos in zwei Lager polarisiert. Am einen Pol finden sich moralistische, sektiererische IntegralistInnen, die sich darauf beschränken, rein und aufrichtig zu sein und dadurch jeglichen Bezug zur sozialen Realität verloren haben. In einer Massenperspektive ist dieser Pol unbrauchbar, da er durch sein sektiererisches Verhalten und Auftreten ausgrenzend, ja abschreckend wirkt. Und weil bekanntlich das Fressen vor der Moral kommt, können sich Menschen, die ums Fressen kämpfen müssen, wohl kaum für eine Politik interessieren, die sich von Moral ernährt. Um den anderen Pol gruppieren sich PragmatikerInnen ohne historische, kulturelle Orientierungspunkte, deren Aktivitäten sich schlussendlich darauf beschränken, technisch und formal gutgemacht zu sein. Auch dieser Pol ist längerfristig betrachtet für eine Massenperspektive unbrauchbar, da er we››

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der im Stande ist, nachhaltige und kontinuierliche Projekte zu verwirklichen, noch Orientierungspunkte zu formulieren, die eine kritische Analyse der Gegenwart erleichtern könnten. Zeichnet sich mit dem Ende des klassischen bürgerlichen Staates auch das nahende Ende des Anarchismus ab? Die definitive Antwort auf diese Frage wird die Zukunft bringen. Was bestimmt verloren gehen wird, ist der klassische (bürgerliche) Anarchismus der bärtigen Kärlis. Der Kampf gegen Symbole, wie zum Beispiel das Bundeshaus, ist, egal von welchem Pol aus geführt, unsinnig. Eine anarchistische Kritik, die sich einzig auf den Staat und seine Organe beschränkt, verkennt den Kern des Anarchismus: die Emanzipation und freie Entfaltung des Individuums. Wenn ein Anarchismus den klassischen bürgerlichen Staat überleben wird, dann der, der sich darauf konzentriert, alternative, realitätsbezogene Strukturen und Zusammenhänge aufzubauen, die sich an den Bedürfnissen und Hoffnungen der Menschen orientieren. Projekte, die verlässlich sind und funktionieren und dabei das einzelne Individuum respektieren und teilhaben lassen. Solche Projekte werden zwangsläufig Reaktionen seitens der MachthaberInnen auslösen, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Staat, das Kapital, das Patriarchat oder was auch immer für ein Machtmonopol handelt. In dieser Perspektive löst sich eventuell auch die paradoxe Situation unserer konservativen Praxis auf: Indem wir für unsere eigenen, anarchistischen Projekte kämpfen. Ein zeitgenössischer Anarchismus kann sich nicht darauf beschränken, hie und da die schwarzroten Fahnen spazieren zu führen oder eine paar

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Farbbeutel zu werfen. Anarchistische Projekte werden dort attraktiv (und erhalten dadurch eine potentielle Massendimension), wo sie einen Bezug zum Alltag herstellen können. Interessant sind basisdemokratische, emanzipatorische Konzepte, die reale (und nicht bloss symbolische) Alternativen bilden können zu Themen wie zum Beispiel Krankenkassen, Wohnnot, Arbeit, Bildung, Ökologie, Alltagsrassismus, Alltagssexismus und die alltägliche Ausbeutung. Die Priorität anarchistischer Politik müsste heute auf der Erarbeitung und Umsetzung solcher Konzepte liegen, anstatt in einer frontalen (aber rein symbolischen) Konfrontation mit dem Staat. Dies ist nicht eine reformistische Strategie, die sich damit zufrieden gibt, die Missstände der Gegenwart abzufedern, um zu verhindern, dass die gegenwärtigen Machverhältnisse hinterfragt werden. Mit der Realisierung konkreter, funktionierender Projekte wird die ohnehin schon arg strapazierte Legitimität des neoliberalen Staates immer radikaler in Frage gestellt, jedoch nicht auf Grund moralistischer und/oder symbolischer Kritik, sondern von einer realen Alternative zur Gegenwart. In dieser konkreten, alltagsbezogenen Politik würden sich wohl auch oben genannte Pole wieder annähern und gegenseitig bereichern. Und dennoch, falls ihr mal des Nachts über die Bundesterrasse spaziert und dort einen bärtigen Kärli antrefft, der sich mit Dynamit am Bundeshaus zu schaffen macht, haltet ihm keine Augustrede, um ihn davon abzubringen – nicht der Anarchie, sondern Mani Matter zu liebe. > CANDIO <


EIN PLÄDOYER FÜR WIDERSTAND STATT REFERENDUMSSPIELE

NICHTS TUN ALS ALTERNATIVE DIE REVISIONEN DES AUSLÄNDER- UND DES ASYLGESETZES LAUFEN AUF HOCHTOUREN, EINIGE MASSNAHMEN SIND SEIT DEM 1. APRIL BEREITS IN KRAFT. INZWISCHEN IST AUCH BLOCHER IN FAHRT GEKOMMEN: SEIN BFF HAT ENDE JUNI ELF ZUSÄTZLICHE GESETZESÄNDERUNGEN, ALLES VERSCHÄRFUNGEN, IN DIE VERNEHMLASSUNG GESCHICKT. BEREITS ANFANGS SEPTEMBER SOLLEN SIE DER STAATSPOLITISCHEN KOMMISSION DES STÄNDERATES VORLIEGEN.

Es ist gerade ein halbes Jahr her, da sich weite Teile der SP, die FDP und die CVP freuten, dass der neu gewählte Bundesrat Blocher ausgerechnet das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) übernahm. «Er soll zeigen, wie er die Ausländerpolitik in den Griff bekommt», forderte zum Beispiel der damalige SP-Nationalrat und heutige Preisüberwacher Ruedi Strahm. Belächelt wurde Blocher noch, als er im April verkündete, eigene Impulse erst im Ständerat konkret einbringen zu können. Im Mai zeichnete sich der frisch gewählte Bundesrat vor allem dadurch aus, dass er die Vorschläge seiner Vorgängerin zugunsten der Meinung der nationalrätlichen Kommissionsmehrheit fallen liess. Kein Wunder, enthielten sich ein Drittel der ParlamentarierInnen am 16. Juni der Stimme, als sie die erste Fassung des Ausländergesetzes (AuG) verabschieden sollten! Die SP-Mehrheit stimmte dem neuen Gesetz zu, obwohl Blocher im Rat seine bedeutenden Verschärfungen für die Ständeratsdebatte bereits konkret ankündigte. Innert zweier Wochen liess er dann die Katze aus dem Sack: Mit undurchsichtigen Zahlen und zweifelhaften Interpretationen versuchte er am 23. Juni amtlich zu beweisen, was er als AUNS-Haudegen und Zürcher SVPBoss schon immer behauptet hatte: «Die Schweiz hat ein massives Problem mit der illegalen Migration» (siehe Kasten «Blochers Fälschung»). Die Medien plapperten Blocher brav nach. Doch auch die Linke liess sich übertölpeln:

Bunker auf dem Jaunpass, 10. Juli 2004

Die Geschwindigkeit der Ereignisse machen. Schliesslich soll Herkunftsscheint alle plattgemacht zu haben. staaten die Entwicklungshilfe gestrichen werden, wenn sie nicht bei der Rückführung ihrer vermeintlichen WAS GEHT AB? Staatsangehörigen mithelfen. Doch selbst das war Blochers Alle Verschärfungen im Asylwesen, die noch aus der Zeit von Bundesrätin Mannen nicht genug. Am 29. Juni, also Metzler stammen, wurden in der Som- mitten im parlamentarischen Gesetzmersession angenommen (siehe «Här- gebungsprozess, schickte das BFF elf ter, schärfer, schneller» in megafon, weitere Asylgesetzesänderungen in eiMai 2004, sowie «Ein Aug aufs AuG» in ne Art Mini-Vernehmlassung. Nur gemegafon, Juni 2004). Die dringlichen rade die Kantone wurden eingeladen Massnahmen des Entlastungspro- und die Antwortfrist wurde auf einen gramms 2003 (EP03) sollen nach dem Monat gekürzt. Willen des Nationalrates auf alle abgelehnten Asylsuchenden ausgeweitet WAS KOMMT NOCH? werden, so dass in Zukunft etwa 17000 Menschen statt bisher 6000 von der Trotz dem Versprechen, man werde «normalen» Fürsorge ausgeschlossen die Auswirkungen des EP03 genau bebleiben. Das BFF soll in einem neuen obachten, will BFF-Chef Urs Hadorn Migrationsamt dem ehemaligen Bun- die bisherige Praxis also bereits jetzt desamt für Ausländerfragen (heute wieder verschärfen. Für den Ständerat IMES) unterstellt werden, und somit hat der Bund ein Zückerli parat: Die das Asylwesen der Aufteilung zwischen Kantone sollen fortan pro Fall eine legaler und illegaler Migration Platz ››

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BLOCHERS FÄLSCHUNG Mit Getöse versuchen Bundesrat Blocher und seine Spiessgesellen bei Behörden und Rechtsaussen-Organisationen wie die AUNS einen zunehmenden ∫Missbrauchª der Asylund Ausländergesetze zu beweisen. Doch wie sehen die (offiziellen) Zahlen wirklich aus? Seit 2000 sind die ∫Verstösseª gegen das Ausländergesetz mit etwa 9000 Verurteilungen stabil geblieben. Zwischen 1998 und 2001 konnten lediglich 3524 Personen wegen Beihilfe zu illegalem Aufenthalt ausfindig gemacht werden. Die Anzahl wegen Menschenhandel verurteilter Personen schwankte zwischen 1997 und 2001 von 18 über 35 auf 17. Die Anzahl an der Grenze zurückgewiesener Personen ist mit 101'219 letztes Jahr so tief gewesen wie seit 1999 nicht mehr. Auch die illegale Einreisen sind mit 8'181 gegenüber 1999 zurückgegangen. Nur 10'182 Personen versuchten letztes Jahr, die Grenze ohne Pass zu überqueren. Der Grenzwachtkorps konnte 2003 lediglich knapp 400 so genannte Schlepper anhalten und knapp 2000 gefälschte Ausweise beschlagnahmen. 982 Personen konnten dank den vier Rücküber-

nahme-Abkommen mit den Nachbarstaaten ausgewiesen, nur 162 mussten zurückgenommen werden. Auch die Anzahl am Flughafen Zürich zurückgewiesener Personen war mit 1403 seit 1990 nicht mehr so tief wie letztes Jahr. Nur 1992 bis 1994 wurden dort weniger Asylgesuche gestellt als 2003. Die Anzahl aufgeflogener Fälschungen ist am Flughafen mit 1277 auf den Stand von 1995 zurückgegangen. Die total festgestellte ∫Illegale Migrationª ist dort mittlerweile wieder auf dem Stand von 1994 gesunken. Fehlanzeige auch bei der Analyse des ∫Missbrauchs des Asylsª: 2003 wurden insgesamt 370 Asylgesuche offiziell als rechtsmissbräuchlich erachtet. Ein Jahr zuvor waren es noch 470. Dafür verdoppelte sich die Zahl vom BFF gefällter Nichteintretensentscheide (NEE) innert zweier Jahre auf 5075, was die so genannten ∫Vollzugspendenzenª in die Höhe schnellen liess. Trotzdem warteten Ende 2003 nicht mehr Personen auf den Vollzug ihrer Wegweisung als nach dem Kosovo-Krieg Ende 1995 (etwas unter 17'000).

Nothilfe-Pauschale von 4000 statt 600 Franken erhalten. Auch die Gründe für Nichteintretensentscheide (NEE) sollen ausgeweitet werden. Die Begründung dafür ist entlarvend: «Auch wenn unsicher ist, ob eine Verschärfung dieser Bestimmung für Asylsuchende tatsächliche Anreize zur vermehrten Papierabgabe schafft, […] werden mit Sicherheit deutlich mehr Nichteintretensentscheide gefällt werden können.» Womit auch klar wird, worum es hier geht: Man will möglichst viele Asylsuchende mit einem «NEE» abstempeln und ihnen mit kürzeren Beschwerde- und Ausreisefristen und dem Entzug von Sozialhilfe ihre Rechte nehmen und sie so vertreiben. Derb zynisch werden Blocher, Hadorn und Konsorten bei zwei vorgeschlagenen Gesetzesänderungen. Die soeben vom Nationalrat eingeführte humanitäre Aufnahme soll, noch bevor eingeführt, schon wieder gestrichen werden. Stattdessen soll der alte Begriff der «Vorläufigen Aufnahme» neu definiert und an die Abgabe von Aus-

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All diese Zahlen stammen aus dem Anhang des Berichts zur illegalen Migration, den die Bundesämter IMES, BFF und fedpol sowie Grenzwachtkorps/Zollverwaltung am 23. Juni 2004 Bundesrat Blocher vorlegten. Sie belegen folgendes: Der ∫Missbrauch des AusländerInnengesetzesª (ANAG) ist seit Jahren stabil, wenn nicht gar rückläufig. Im Asylwesen konnte er praktisch nicht nachgewiesen werden. Hingegen haben Bundesrat und Parlament mit ihren Gesetzesverschärfungen selbst für die Vollzugs- und andere Probleme gesorgt, die sie nun den abgewiesenen Asylsuchenden und den Kantonen überbürden wollen. Dass zudem die Anzahl Asylgesuche seit Jahren rückgängig ist, war den Behörden im Bericht nicht einmal eine Nebenbemerkung wert. Der Bericht beweist nur eines: Man stellt ∫Ausländerkriminalitätª, ∫Schwarzarbeitª und ∫Scheinehenª als stetig schlimmere Probleme hin, ohne dies belegen zu können. Im Geschäftsleben würde man dies eine Fälschung nennen.

weis- oder Reisepapieren gekoppelt werden. Auch die Lohnsonderabgaben für Asylsuchende, die Gesamtbundesrat und Nationalrat soeben statt der aufwändigen und undurchsichtigen Sicherheits- und Rückerstattungskonti (SiRück) einführen wollten, soll zurückgenommen werden. Stattdessen beabsichtigt das EJPD, die Rückzahlung des dem Asylsuchenden zwangsweise abgeknöpften Geldes an eine schnelle Ausreise zu knüpfen. Auf gut deutsch ist das nichts anderes als Diebstahl, denn Ausreisefristen haben rein gar nichts mit den bei der Einreise allfällig entstandenen Kosten zu tun, zu deren Rückzahlung 1991 Bundesrat und Parlament die Asylsuchenden verpflichteten. Seit damals müssen ArbeitgeberInnen zehn Prozent des Bruttolohnes von Asylsuchenden auf ein Sperrkonto einzahlen.

VORWÄRTS ZUR BEUGEHAFT Die seit Jahren andauernden Verschärfungen des Asylgesetzes liessen es zu einem eigentlichen Asylverhinderungsgesetz verkommen. Dies änderte jedoch nichts daran, dass weiterhin Menschen in der Schweiz Schutz und ein menschenwürdiges Leben suchten, worauf jeweils eine

> SALVI PITTÀ <

nächste Verschärfungsrunde eingeläutet wurde. So geschehen 1994 mit der Einführung von zwei neuen verwaltungsrechtlichen Haftformen (Ausschaffungshaft, maximal neun Monate, und Vorbereitungshaft, maximal drei Monate). Zehn Jahre später genügen Ausschaffungs- und Vorbereitungshaft sowie die gleichzeitig eingeführte Ein- und Ausgrenzung nicht mehr, und die Asylstrategen wagen den Schritt über die Grenzen der Europäischen Menschenrechtserklärung (EMRK) hinaus: Eine neue Durchsetzungshaft soll eingeführt, die Ausschaffungshaft auf ein Jahr verlängert werden – das alles garniert mit einer neuen kurzfristigen Festhaltung und einer Ausdehnung der Ein- und Ausgrenzung auf alle «Personen, die einen rechtskräftigen Weg- oder Ausweisungsentscheid haben und die die Frist zur Ausreise unbenutzt haben verstreichen lassen». (Alle Zitate aus dem Bericht «Zusätzliche Massnahmen im Rahmen der Teilrevision des Asylgesetzes» vom 30. Juni 2004.) Die Durchsetzungshaft ist Blochers Steckenpferd. Sie soll unbeschränkt gelten und alle Monate durch den Haftrichter überprüfbar sein. Im Unterschied zur Ausschaffungshaft soll sie


SOMMER?!: NOBORDERCAMPS, ACTIONS UND TREFFEN Wie jeden Sommer präsentiert noborder.org euch einige ∫noborderªEvents im handlichen Kalenderº Viel Spass. Juli, August, September 2004 vom Balkan zu den baltischen Staaten:

nicht mehr dem Zweck der Sicherstellung des Vollzugs eines Wegweisungsverfahrens, sondern der «Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung» dienen. Sie soll zum Zug kommen, «wenn sich eine ausreisepflichtige Person einem Rückschaffungsversuch durch physische Gewalt widersetzt oder wenn sie auch nach Ablauf der Ausreisefrist die Identität nicht offen legt oder die notwendigen Reisepapiere nicht beschafft. […] Die inhaftierte Person hat es selber in der Hand, die Haft jederzeit zu beenden, wenn sie […] – sofern noch keine Reisepapiere vorliegen – bei der polizeilich begleiteten Papierbeschaffung kooperiert wie auch bei der effektiven Rückführung». Wer also einen negativen Asylentscheid hat, trotzdem aber nicht ausreisen kann, zum Beispiel weil er oder sie zwar gute Fluchtgründe hat, diese aber einfach nicht beweisen kann, soll für Jahre oder gar Jahrzehnte eingesperrt werden. Bis er oder sie aufgibt…

WAS ALSO TUN? Nun hat die Linke also die Beugehaft wörtlich, gegen die sie vor zehn Jahren erfolglos das Referendum ergriff. Die damalige Abstimmungsniederlage und die heutige Belämmertheit der SP-Fraktionsmehrheit lassen keine Hoffnung auf einen heutigen Erfolg der Referendums-Strategie aufkommen. Humanitäre und völkerrechtliche Einwände werden beim SVP-Despoten Blocher kaum dieselbe Wirkung zeitigen, wie sie es beim CVPRechtsprofessor Koller noch taten. Diesmal gibt es nichts zu verschlimmbessern. Das Parlament ist nach Rechts gerutscht und auf der Linken gefällt sich die SP in ihrer altneuen Rolle der staatstragenden Partei. Asyl- und Menschenrechtsorganisationen kämpfen seit Jahren gegen weitere Verschärfungen und finden sich immer wieder in der zermürben-

den Rolle der Verteidigung der kleineren Übel wieder, der Verteidigung genau jener Massnahmen, die sie gestern eben noch bekämpften. «Wer dem ‹Wir müssen etwas tun› nachgibt, […] kann sicher sein, nur die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten», meinte zurecht der bekannte Philosoph Slavoj Zizek in einem wegweisenden Essay im St. Galler Tagblatt vom 4. Mai 2004 und ergänzte: «Den Grundstein für eine wirkliche Veränderung kann die heutige Politik nur legen, wenn sie […] einfach nichts tut.» Das haben sich die Leute der Bewegung «Ohne uns geht nichts!» auch gedacht, die gleichentags symbolisch verschiedene kantonale Fremdenpolizeien eingrenzten und mit der Absicht konfrontierten, man werde einen Ausländerstreik organisieren, wenn das neue Ausländergesetz nicht komplett neu geschrieben würde. Gescheiter wäre gewesen, wenn jene NationalrätInnen, die sich mit der «Bewegung» solidarisierten, an jenem 4. Mai und in der Folge nichts getan hätten. Bei 64 gegen 48 Stimmen und 55 Enthaltungen hätten sie durchaus das ganze Vorhaben bei der Schlussabstimmung zum Scheitern bringen können. Tatsache ist, dass stattdessen die AusländerInnen nichts taten, beziehungsweise sich kaum an den Aktionen beteiligten. Anders herum gesagt: Die Drohung, «Ohne uns geht nichts», war eher eine leere. Auch die neuerlichen Erfahrungen der Gewerkschaften und der Antiglobalisierungsbewegung zeigen: Nichtstun will geübt sein, insbesondere in der Schweiz, wo Boykotte, Streiks und Blockaden nicht gerade zur Tagesordnung gehören. Die Wahl der Mittel muss dabei genauso minutiös getroffen werden wie das zu lähmende Objekt. Zentral scheint mir die Frage zu sein, wer was weswegen wann nicht tut. Denn erst wenn durch das Nichtstun gesellschaftliche Risse offen gelegt werden,

border 04 √ ein vielfältiges Projekt um die neuen Ränder von Europa zu erkunden, zu verhindern und zu durchlöchern... (noborder.org) 23.-29.7. in Belgrad:

3. europäische Konferenz des Peoples» Global Action (PGA)Netzwerks in einem Vorort von Belgrad. (pgaconference.org/call/de_call.html) 20.8.-5.9. Deutschland/Frankreich:

Rivesaltes 2004 Temporäre autonome Zone gegen Grenzen: In ganz Europa organisieren sich seit mehreren Jahren, insbesondere rund um das Netzwerk No Border, Camps gegen die soziale Kontrolle und für Bewegungs- und Ansiedlungsfreiheit. (rivesaltes2004.org) 10.-12.9. London:

Vorbereitungstreffen mit migrationsspezifischen Themen für das 3. europäische Sozialforums vom 14.-17. in London. Kontakt: frassainfo@kein.org

die zwar von den politischen Machthabenden kaschiert, aber nicht überwunden werden können, wird die Notwendigkeit nach einer radikalen Veränderung der bestehenden Verhältnisse von einer breiteren Öffentlichkeit mitgetragen. Die Zeit bis dahin könnten wir nutzen, um für die anstehende Umbruchphase eine Alternative vorzubereiten, die von dieser Öffentlichkeit begeistert aufgenommen würde, ohne neue Herrschaftsverhältnisse zuzulassen oder gar alte wieder aus der braunen Mottenkiste hervorzuholen. Womit auch klar wird, dass politisches Nichtstun dem klassischen «Brot und Spiele»-Faulenzen radikal entgegensteht, das die Mächtigen spätestens seit Caesar pflegen, um radikalen Veränderungen vorzubeugen. In diesem Sinne: Schöne Ferien miteinander – ab zum nächsten antirassistischen Grenzcamp! > SALVI PITTÀ <

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PROTESTCAMP GEGEN DAS MINIMALZENTRUM AUF DEM JAUNPASS

MENSCHENUNWÜRDIGE UNTERBRINGUNG – DORT WO DIE FREIHEIT WOHNT AM SAMSTAG, 10. JULI, BAUTEN RUND 100 PERSONEN AUF DEM JAUNPASS EIN CAMP AUF. «JAUNPASS SCHLIESSEN, HERZEN UND GRENZEN ÖFFNEN» WAR DAS MOTTO DES WOCHENENDES: PROTESIERT WURDE GEGEN AUSGRENZENDE ASYLPOLITIK UND DAS MENSCHENUNWÜRDIGE MINIMALZENTRUM FÜR ABGEWIESENE ASYLSUCHENDE. DIE ORGANISATORINNEN REISTEN ABER SCHON VORHER EINMAL AUF DEN JAUNPASS…

1 siehe auch megafon vom März 2004

Aufgrund der Änderungen im Asylgesetz, die am 1. April in Kraft getretenen sind,1 werden Asylsuchende in der Schweiz, die einen Nichteintretensentscheid erhalten haben, illegalisiert und von der Fürsorge ausgeschlossen. Diesen Menschen steht laut Verfassung jedoch Nothilfe zu, welche die Kantone zu gewährleisten haben. Die Berner Regierungsrätin Dora Andres (FDP) hat sich entschlossen, diese «möglichst unattraktiv» zu gestalten, um abgewiesene Personen dazu zu bewegen, den Kanton Bern respektive die Schweiz selbstständig zu verlassen. Konkret wurde eine unterirdische Militäranlage auf dem abgelegenen Jaunpass in ein Nothilfezentrum umfunktioniert. Es ist der einzige Ort im Kanton, wo diese Nothilfe bezogen werden kann. Abgewiesene Asylsuchende müssen also entweder auf den Jaunpass ziehen, den Kanton verlassen oder aber in die Illegalität abtauchen.

ERSTER AUGENSCHEIN IM MINIMALZENTRUM Schon im Simmentaler Dorf Boltigen fallen Transparente und Schilder am Strassenrand auf: «So nicht Dora», oder «Andres, lass es sein!» steht da geschrieben. Das Zentrum selber, das wir kurz nach der Eröffnung erstmals besuchten, ist einige Kilometer von Boltigen entfernt und von der Strasse her nur als umzäuntes Loch im Berg zu

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erkennen. Auffallend sind ausserdem die Videoüberwachungskamera und die Militärzelte vor dem Eingang. Man gewinnt so den Eindruck, sich vor einem gesicherten Militärbunker zu befinden – schwer zu glauben dass dort bis zu hundert Menschen leben sollen. Im Innern treffen wir zunächst auf Pavel, einem jungen Mann aus Belarus, und dann auf einen Betreuer der Unterkunft. Die Betonwände des Aufenthaltsraumes sind mit Tüchern abgedeckt worden, wohl um wenigstens einen Hauch von gemütlicher Atmosphäre zu erzeugen. Das grelle Neonlicht, die kühle Luft und das spärliche Inventar machen diese Bemühung aber zunichte. Weiter drin im Berg hat es unter anderem eine Küche, einen Kiosk und kleine Zimmer, praktisch vollgestellt mit Kajütenbetten. Zu diesem Zeitpunkt sind erst vier Bewohner eingezogen, so dass jeder ab und zu den Fernseher im Aufenthaltsraum für sich hat. Allen BewohnerInnen stehen täglich acht Franken in Form von KioskCoupons zur Verfügung, was sie zum Leben brauchen, müssen sie im Kiosk

einkaufen. Ein Retour-Billet nach Boltigen kostet übrigens 13 Franken, mit Coupons kann es aber nicht bezahlt werden. Draussen vor dem Eingang ist es zwar wärmer, aber die mit Planen ab-

gedeckten Zäune wecken Assoziationen an ein Gefängnis. Der freundliche Betreuer Betreuungsfirma ORS klärt uns auf: «Der Zaun ist hier, um die Bewohner vor zu neugierigen Augen abzuschirmen.» Einige Minuten später hält tatsächlich ein Auto an und ein penetrant grinsender Wochenendtourist umschleicht die Anlage. Der findet die Idee eines abgelegenen Minimalzentrums «einfach super». Einige hundert Meter entfernt befindet sich der eigentliche Jaunpass. Dort gibt es Restaurants, einen Souvenirladen, wenige Häuser und einen Campingplatz. Wir wollen mit Pavel ein Restaurant aufsuchen. Vom Betreuer werden wir aber von dieser Idee abgebracht. Die Stimmung dort sei zu aufgeladen, und auf BewohnerInnen des Zentrums sei man sehr schlecht zu sprechen. Der Wirt des Restaurants «Des Alpes» reagiert später genervt, als er mit dieser Behauptung konfrontiert wird. Einen Satz bringt er dennoch hervor: «Wir wollen erreichen, dass diese Leute den Weiler Jaunpass nicht betreten dürfen!» Dann verschwindet er, und eine Angestellte möchte uns aus dem Lokal rausekeln. Am Stammtisch ist man auskunftsfreudiger: «Diese Asylanten werden bei uns nicht integriert.


Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.» meint Edi (62), der seit 28 Jahren auf dem Campingplatz arbeitet. Sie würden dem Tourismus Schaden zufügen, und er will nicht, dass sie im Weiler «rumlungern». Vreni (60) hat Angst vor Kriminalität: «Da trau ich mich ja in der Nacht nicht mehr vor die Türe» sagt sie. Die beiden sind sich aber einig, dass die Asylsuchenden von ihnen in Ruhe gelassen werden, falls diese sie in Ruhe lassen. Ein älterer Herr am Tisch, der seinen Namen nicht verraten will, ergreift das Wort: «Es gibt keine echten Flüchtlinge.»

PROTESTCAMP – KULTURAUSTAUSCH Probleme mit den BewohnerInnen des Minimalzentrums hat es bis jetzt keine gegeben und die Ängste der Einheimischen scheinen etwas nachgelassen zu haben. Nun gibt es aber wieder Grund zur Beunruhigung auf dem Jaunpass: Asyl- und Menschenrechtsorganisationen haben auf das Wochenende vom 10./11. Juli zu einem Protestcamp beim menschenunwürdigen Minimalzentrum aufgerufen. «Asylladen», «Augenauf Bern», «Netzwerk Pandora», «Sans-Papiers-Kollektiv Bern» und «Solidarité sans frontières» wollen sich damit gegen «eine Asylpolitik der Abschottung, gegen Angstmacherei, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus» wehren. Ausserdem sollte das Camp einen Austausch mit den BewohnerInnen ermöglichen und etwas Abwechslung ins triste Lagerleben bringen. Das Restaurant «Des Alpes» ist wegen der angekündigten Demo vorübergehend geschlossen worden und die Einheimischen beobachten aus scherer Entfernung die Ankunft der AktivistInnen, die von der Passhöhe als kurze Demonstration zum Minimalzentrum spazieren. Vor dem Zentrum wartet bereits Pavel, den wir schon beim letzten Besuch kennen gelernt haben. Er freut sich sichtbar über die

Ankunft der etwa hundert angereisten CamperInnen, die ein Transparent mit der Aufschrift «Jaunpass schliessen, Herzen und Grenzen öffnen!» mit sich tragen. Die Gemeinde hat das Camp beim Minimalzentrum bewilligt, obwohl seitens der OrganisatorInnen gar nie ein Gesuch gestellt worden ist. Sogar ein Toilettenhäuschen steht bereit. Während erste Zelte aufgeschlagen werden, erzählt Pavel, dass er nach einem kurzen Abstecher ins Flachland vor drei Wochen wieder ins Zentrum zurückgekehrt ist: «Ich hatte zu grosse Angst, nach der ersten Ausweiskontrolle in Ausschaffungshaft gesteckt zu werden.» Beim Lagerfeuer ist inzwischen ein einheimischer Bauer mit Sense eingetroffen und beginnt auf einen jugendlichen Campteilnehmer einzureden: «Ich würde am liebsten die Kühe auf den Zeltplatz treiben.» Telebärn nutzt die Gelegenheit, das Aufeinanderprallen der Kulturen zu dokumentieren. Gegen Abend hat sich die Ferienlagerstimmung ausgebreitet. Flüchtlinge und CamperInnen spielen Ball und der zweijährige Aman, der seit mehreren Wochen zusammen mit seiner Mutter auf dem Jaunpass wohnt, rennt mit breitem Grinsen umher und sorgt für Heiterkeit. Der 31-jährige Inder Kapoor ist seit drei Tagen im Zentrum und froh um die Abwechslung. An den anderen Tagen habe er es vor lauter Langeweile kaum ausgehalten. Einige Bewohner des Zentrums zeigen den CamperInnen amtliche Verfügungen, die ihnen verbieten, den Weiler Jaunpass zu betreten. Da sie sich nicht ausschaffen liessen, müsse davon ausgegangen werden, dass sie Gesetze nicht beachten würden. Deshalb seien sie eine Gefahr für die Gemeinde Boltigen und dürfen sich nur in einem Radius von zwei Kilometern bewegen, ausgeschlossen die Richtung Jaunpass, steht da geschrieben. Normalerweise werden die Tore

des ehemaligen Bunkers sowieso bereits um 20 Uhr geschlossen. Nur an diesem Abend wird längerer Ausgang gewährt. Nach einer sehr kalten und regnerischen Nacht beschliessen die AktivistInnen, am Sonntag die Restaurants auf der Passhöhe aufzusuchen, um mit BetreiberInnen und Gästen über das diskriminierende Verhalten gegenüber den BewohnerInnen des Minimalzentrums zu diskutieren. Aufnäher mit Aufschriften wie «Flüchtling» oder «SansPapier» winken an den Kleidern – dennoch werden die CamperInnen in den Restaurants bedient. Die Chefin des «Des Alpes» mag sich aber nicht auf Diskussionen einlassen, auch nicht, als die Menge während mehreren Minuten dies singend fordert. Der Abschied von den Flüchtlingen aus dem Minimalzentrum ist herzlich. Eine Aktivistin fragt sich aber auf der Heimreise, ob den BewohnerInnen nicht zu viel Hoffnung gemacht worden sei. Denn bis der offizielle Slogan des Jaunpasses Wirklichkeit wird, braucht es wohl noch einen langen Kampf. Der Slogan lautet nämlich: «Jaunpass, wo die Freiheit wohnt!!!» > DINU GAUTIER <

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AUFRUF ZUR KUNDGEBUNG AM 1. AUGUST 2004 Im Kalender der rechtsextremen Szene hat der 1. August seinen festen Platz. Die Neonazis und NationalistInnen √ von der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) über die Hammerskins bis zu Patriot.ch √ benutzen den Nationalfeiertag, um medienwirksam auf dem Rütli aufzumarschieren und in Reden ihre menschenverachtende und rassistische Ideologie kund zu tun. Hatte der Auftritt der Neonazis im Jahr 2000 noch hohe Wellen geworfen, so schien sich 2003 kaum noch jemand daran zu stören. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr wurden sie teils sogar als ∫wahre Patriotenª gefeiert. Die Medienberichte blieben seltsam zahm bis unkritisch. Die Behörden ihrerseits gewährten den RechtsextremistInnen Polizeischutz, als diese im Anschluss an ihr Gastspiel auf dem Rütli durch Brunnen defilierten. Bedeutend härter angefasst wurden couragierte GegendemonstrantInnen: Sie mussten mit Kontrollen oder Festnahmen rechnen. Hier die Strassenfaschosº Rütli-Aufmärsche sind keine Einzelfälle. Immer häufiger und selbstbewusster nehmen sich die Fascho-Organisationen √ insbesondere die PNOS √ die Strasse. Zuletzt am 1. Mai, als die PNOS den ArbeiterInnenkampftag kurzerhand in einen ∫Tag der Eidgenössischen Arbeitª zu verwandeln versuchte. Um die 150 ∫KameradInnenª √ allesamt über geschlossene Strukturen mobilisiert √ gaben sich in Langenthal ein Stelldichein. º da die SchreibtischtäterInnen Das Erstarken der rechtsextremen Bewegung erstaunt nicht. Das angeheizte politische Klima in der Schweiz ist ein trefflicher Nähr-

boden für die Neonazis: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) etwa betreibt mit Initiativen, Kampagnen oder Vorstössen im Parlament seit Jahren Hetze gegen AusländerInnen und Flüchtlinge √ jüngst startete die Partei eine Initiative für Einbürgerungen an der Urne. An der ∫Festung Schweizª wird kontinuierlich gebaut, laufend das Asylverfahren verschärft: Nach wirtschaftlicher und rassistischer Logik wird entschieden, wer sich hierzulande niederlassen darf und wer nicht. Auch geniessen die Faschos bis weit ins bürgerliche Lager hinein Sympathien √ sogar mehr als das: Die SVP und auch die Schweizer Demokraten wissen einige Exponenten der Holocaustleugner- oder Naziszene in ihren Reihen. Kein Raum für Nazis und PatriotInnen √ nirgendwo und nie! Dieser Entwicklung wollen wir energisch entgegentreten √ zum Beispiel mit einer kraftvollen und friedlichen Demonstration an diesem 1. August in Luzern. Nicht, dass wir den 1. August vor dem braunen Mob schützen möchten. Nationalfeiertage sind nicht unsere Sache. Unser Protest richtet sich vielmehr auch gegen den bürgerlichen Nationalstaat, der sich jedes Jahr am 1. August abfeiert und seine Mythen hegt und pflegt. Auf das Hochleben des ∫Sonderfall Schweizª können wir gerne verzichten. Tell to hell. Richten wir unser 1.-August-Feuerwerk gegen rechtsextreme und rassistische Tendenzen in der Gesellschaft! Die Schweiz in den Vierwaldstädtersee! ÜBERREGIONALES ANTIFASCHISTISCHES NETZWERK

ÜBERREGIONALES ANTIFASCHISTISCHES NETZWERK √ PRESSECOMMUNIQUÉ VOM 6. JULI 2004 GEGEN FASCHISMUS Für eine grenzenlose Welt

Hier einige Vorfälle: Samstag, 12. Juni 2004:

Seit unserem ersten Schreiben vom 11. Juni sind nun drei Wochen vergangen. In dieser Zeit ereigneten sich einige gravierende Vorfälle mit rechtsextremer Beteiligung. Rassismus und Intoleranz gehören auch weiterhin zum Alltag. Leider werden solche Vorfälle in den Medien entweder unterschlagen oder kleingeschrieben. Eine deutliche Sprache spricht das Beispiel der Schweizer Demokraten, Sektion Unterwalden. Sie ergänzen ihren Parteinamen fortan mit dem Zusatz ∫Nationale Aktionª. Diese Bezeichnung wird vorwiegend in Deutschland von neonazistischen Gruppen gebraucht und macht somit die Nähe der SD zur rechtsextremen Szene deutlich. Der Faschismus der Rechtsaussenparteien wird zunehmend militanter und unmissverständlicher!

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Der Deep-Club in Seewen (Schwyz) wurde von 12 maskierten Rechtsextremen in Springerstiefeln und Bomberjacken brutal angegriffen. Zwei Wochen zuvor konnten die Lokal-BesucherInnen einen ersten Angriff noch erfolgreich abwehren, indem sie sich im Lokal verschanzten. Beim zweiten Angriff hatten sie aufgrund der wenigen BesucherInnen kaum eine Chance. Das Lokal wurde regelrecht gestürmt und dann mit Baseballschlägern wahllos auf BesucherInnen und Mobiliar eingeschlagen. Drei Personen wurden verletzt. Die Polizei konnte vier Täter im laufenden Ermittlungsverfahren eruieren. Gemäss Presseberichten werden diese von der Polizei zum rechtsextremen Umfeld gezählt und befinden sich noch immer in Untersuchungshaft. Dieser Vorfall erinnert sehr stark an den Überfall auf den Coop-Pronto-Shop im Liestaler Bahnhof, wo maskierte Rechtsextreme mit Baseballschlägern und Ketten auf KundInnen und Mobiliar einschlugen.

Samstag, 26. Juni 2004:

An der Feier zur Schlacht von Sempach nahmen 30 Rechtsextreme teil. Laut Staatsschreiber Viktor Baumeler wird man Rechtsextreme auch weiterhin tolerieren, solange diese sich ruhig verhalten. Schon seit einigen Jahren sind an dieser Feier Rechtsextreme anwesend und markieren Präsenz. Vor allem die rechtsextreme Organisation Morgenstern gilt es hier zu erwähnen, welche in Sempach beheimatet ist und 1995 beim Überfall auf die Brauerei Hochdorf beteiligt war. Am frühen Abend trafen sich 200 Hammerskins und Mitglieder der Organisation Morgenstern auf dem Parkplatz des Spitals von Wolhusen. Gemeinsam gingen sie daraufhin zu einem Bauernhof am Steinhuserberg oberhalb von Wolhusen, wo ein Konzert stattfand. Auch die Luzerner Neo-Nazi-Band Dissens gab an diesem Konzert ihre rassistischen und menschenverachtenden Texte zum Besten. Bei dem Konzert handelte es sich um das grösste Treffen im Kanton Luzern in diesem Jahr. Während dem Altstadtfest in Luzern standen vier Jugendliche aus der alternativen Szene


in der Nähe des Restaurants Wave. Dieses wird von Rechtsextremen schon seit einiger Zeit, besonders an Wochenenden, öfters besucht. Als zwei grosse, muskulöse Rechtsextreme zielstrebig auf die vier Jugendlichen zugingen und sie in einem aggressiven Ton verbal angriffen, verliessen diese den Platz. Sie wurden jedoch eine ganze Weile von den beiden verfolgt, selbst dann noch, als sich die Jugendlichen bereits getrennt hatten. Ein weiterer Vorfall ereignete sich am selben Abend vor dem Restaurant Cheers in Luzern, welches ebenfalls dafür bekannt ist, ein Treffpunkt von Rechtsextremen zu sein. Einige Jugendliche, unter ihnen ein junger Mann aus der alternativen Szene, wollten im Restaurant Zigaretten kaufen. Als der Mann alleine vor dem Restaurant wartete, wurde er plötzlich von rechten Cheers-Besuchern von hinten gestossen, beschimpft und geschlagen. Ein jugendlicher Passant konnte die Angreifer mit einem Pfefferspray in die Flucht schlagen und somit Schlimmeres verhindern. Von mehreren BesucherInnen des Altstadtfestes wurde uns bestätigt, dass sich am diesjährigen Altstadtfest aussergewöhnlich viele Rechtsextreme aufhielten und es zu Pöbeleien und Rangeleien kam. Nach Aussagen der Polizei verlief das Fest jedoch friedlich!?

Sonntag, 27. Juni 2004:

In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni waren drei Jugendliche aus der linken Szene auf dem Weg nach Hause. In der Luzerner Neustadt fuhr ein Auto mit überhöhter Geschwindigkeit auf sie zu und hielt abrupt vor ihnen an. Ein grosser, muskulöser Mann mit schwarzer Bomberjacke und kahl rasiertem Kopf sprang aus dem Auto. Die Jugendlichen, im ersten Moment erstarrt vor Schreck, rannten davon. Der Rechtsextreme bekam jedoch einen von ihnen zu fassen und schlug ihm mehrere Male mit einem harten Gegenstand auf den Kopf. Selbst als die zwei anderen Personen den Mann angriffen, um ihrem Freund zu helfen, schlug dieser unbeeindruckt noch eine ganze Weile auf sein Opfer ein. Schliesslich gelang den Jugendlichen die Flucht. Das Opfer erlitt eine erhebliche Platzwunde am Kopf. Solche Vorfälle können und wollen wir nicht dulden! Die Strassengewalt, die von Neonazis ausgeübt wird, ist unerträglich. Es zeugt vom gestiegenen Selbstbewusstsein der rechten Szene und verdeutlicht deren destruktives Potential. Der Nährboden für solche Wirrköpfe wird durch verschiedene Faktoren bereitet: Da wären mal die diversen PolitikerInnen, die es immer wieder fertig bringen, AusländerInnen und Randgruppen zu kriminalisieren und als VerursacherInnen von herrschenden Problemen darzustellen. Dazu kommt ein reaktionärer Staat, der von einer Gesetzesverschärfung zur

nächsten rennt und uns glauben machen will, dass unsere Sicherheit nur dann garantiert werden kann, wenn der Staat harte Mittel zur Verfügung bekommt, um gegen unliebsame Menschen vorzugehen. Und zu guter Letzt tragen auch der in der Bevölkerung gut verankerte Rassismus, der Antisemitismus und die Fremdenfeindlichkeit ihren Teil dazu bei, dass Rechtsextreme sich als Vollstrecker des Volkswillens betrachten und so ihre Gewalt legitimiert sehen. Rassismus, Ausländerhetze, Ausschaffungen, Sippenhaftungen usw. ergeben zusammen eine Suppe, die für uns ungeniessbar ist und vehement bekämpft werden muss. All dies ermutigt uns umso mehr, am 1. August 2004 auf die Strasse zu gehen und zu zeigen, dass bei rechtsextremer Gewalt, ob von Neonazis, Staat oder Wirtschaft, keine Toleranz erlaubt ist. Wir werden nicht akzeptieren, dass Menschen zu Ware degradiert oder zu Illegalen gemacht werden. Es ist uns ein Anliegen, dass am 1. August die RassistInnen und NationalistInnen nicht ungestört marschieren können, ohne dass sich Widerstand breit macht. Der Staat und das bürgerliche Lager unternehmen nichts gegen die nun schon seit drei Jahren wiederkehrenden Neonazis. Es scheint für sie bereits normal geworden zu sein, rechte Tendenzen zu tolerieren. Deshalb empfinden wir es als unsere Pflicht, mit der Demonstration vom 1. August 2004 zu zeigen, dass nicht alle diesem Treiben tatenlos zusehen. Die Wichtigkeit, sich dem wachsenden Faschismus entgegen zu stellen, ist offensichtlich. Wir werden nicht kampflos klein beigeben, sondern mit Mut und Zivilcourage diesem menschenverachtendem Treiben ein Ende bereiten. Für eine grenzenlose Welt! KONTAKT: ANTIFANETZWERK@YAHOO.DE

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ANTI-REP-KAMPAGNE ZUM G8 IN GENUA

GENOVA – ICH ERINNERE MICH DREI JAHRE NACH DEM G8-GIPFEL VON GENUA BEGANNEN DIE PROZESSE SOWOHL GEGEN DEMONSTRIERENDE WIE AUCH GEGEN DIE POLIZEI. INDYMEDIA ITALIA LANCIERT EINE INTERNATIONALE KAMPAGNE, UM DAS ARCHIV DES «GENOVA LEGAL FORUM» (GLF) ZU SYSTEMATISIEREN – JENES JURISTISCHE NETZWERK, WELCHES SICH UM DIE VORFÄLLE IM JULI 2001 KÜMMERT.

am Mittwoch, den 18. August 2004 findet im i-Fluss eine ∫Solibar für das Genua Archiv von Indymedia Italienª statt. 20 Uhr: Video und Infoveranstaltung zu den Verfahren gegen die G8-Angeklagten in Genua

Seit dem 2. März eine Verhandlung jeden Dienstag. Im Bunker-Saal des Gerichts von Genua findet der Prozess gegen 25 Personen statt, die gegen den G8-Gipfel demonstrierten. Der angebliche Straftatbestand lautet auf «Zerstörung und Plünderung». Die angedrohten Strafen? Acht bis 15 Jahre Knast. Gegen die Demonstrierenden haben sich das Ministerium für das Innere, jenes der Verteidiung, der Justiz sowie der Vorsitz des Ministerrats zusammengeschlossen. Ein langwieriger Prozess steht bevor: Das Gericht wird 150 ZeugInnen für die Anklage und Hunderte für die Verteidigung anhören müssen, darunter den Vizepräsidenten des Ministerrates Gianfranco Fini, welcher während des G8-Gipfels ständig in der operativen Zentrale der Polizei präsent war. Die Beweisführung der Anklage, – vom Gericht als gültig erklärt –, besteht aus drei DVDs: Ein dreistündiges Video um beweisen zu können, dass der Anti-G8-Protest ein «umstürzlerisches und geplantes Projekt» war. Diese DVD wurde von einem Polizisten aus Genua auf Geheiss der Staatsanwaltschaft Genuas zusammengestellt. Wir haben sie gesehen: Es ist ein Schneiden und Flicken, viel Schnitt und wenig Flick. Herausgelöst sind die Szenen, welche Schuld beweisen; Angriffe seitens der Ordnungshüter werden mit Gegenangriffe der steineschmeissenden Demonstrierenden reduziert, das

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Zusammenschlagen von Demonstrierenden mit der Zerstörung von Schaufenstern verknüpft. Das Video wurde aus allem möglichen Material zusammengestellt: Tausende von Bildern von Fernsehteams und Überwachungskameras, der Polizei, von BewohnerInnen und Demonstrierenden. Beschlagnahmungen und Schenkungen – die Staatsanwaltschaft nahm alles entgegen, was sie kriegen konnte. Und der beauftragte Polizist schnitt das Material kunstvoll mit Musik und Untertiteln zusammen (Untermalungen, die aufgrund der Proteste der Verteidigung wieder gelöscht wurden). Dieses Video wird nun während der Verhöre als Unterstützung der Beweisführung der Anklage ausgestrahlt. Ein Fall, der in der Geschichte der Rechtswissenschaft wohl einmalig ist: Ein zusammengeschittener Film wird als Beweismittel akzeptiert. Bis jetzt wurden hauptsächlich Bankdirektoren und EinwohnerInnen Genuas angehört, die die Ereignisse im Hinblick auf die Zerstörungen beschrieben, sie benannten aber auch das Verhalten der Polizei. Mitte September werden dann die «saftigeren» Verhöre beginnen, wenn Polizeibeamte und Persönlichkeiten aus Institutionen unter Schwur aussagen müssen. Auch der Beamte, der das Video zusammengeschnitten hat, wird sprechen müssen: Die Verteidigung wird die Möglichkeit haben, Schnitte und Thesen des Filmes anzufechten. Seit inzwischen zwei Jahren ist den in den Prozess involvierten Personen jede Form von «Vorsichtsmassnahme» (zum Beispiel Präventivhaft) widerfahren. Der krasseste Fall ist der von Gimmy, der fast ein Jahr in Vorbeugehaft gesessen hat. Es ist ein Szenarium, das «exemplarische» Urteile befürchten lässt: Die angeklagten Personen riskieren, Sündenböcke für eine ganze Bewegung zu werden.

DIE «MATTANZA» DER DIAZ Am 26. Juni wurde der Prozess gegen die 29 Polizisten eröffnet, die für die «mattanza» (spezielles Wort für Massaker) in der Diaz-Schule verantwortlich sind. In der Nacht des 21. Juli 2001 wurde im Gebäude, das den Demonstrierenden als Übernachtungsort diente, eingebrochen und 93 Personen wurden zusammengeschlagen und verhaftet. 62 Personen benötigten notfallmässige Hilfe, 28 mussten hospitalisiert werden, drei von ihnen befanden sich in sehr schlimmem Zustand. Fast alle erlitten Schädeltraumas und Brüche an den Armen: Viele schliefen, als sie von einer grossen Anzahl maskierter und mit Schlagstöcken (Tonfas) bewaffneter Beamten überfallen wurden. Die ranghöchsten Beamten des Überfalls sind wegen Falschbeurkundung, Verleumdung und Amtsmissbrauch angeklagt worden. In der dreijährigen Untersuchung sind viele Lügen und falsche Beweisführungen ans Licht gekommen. Eine Tatsache, die jedoch für die Mehrheit der in der besagten Nacht anwesenden Beamten kein Hindernis war, in der Zwischenzeit eine brilliante Karriere zu machen. Die Regierung hatte früh angekündigt, dass bis zu den Anhörungen niemand aus seiner Stelle entfernt werden würde. Bei den ersten Anhörungen des Prozesses wird der Richter über eine Vertagung des Prozesss der angeklagten Polizisten entscheiden müssen. Die Verteidigung versucht nämlich, die Vertagung des Prozesses (bedeutet, dass das Verfahren von vorne beginnen müsste) dank einer juristischen Spitzfindigkeit durchzusetzen, in der Absicht die Einstellung zu erreichen, beispielsweise wegen Verjährung von Fristen. Auf Grund der Aufdeckung der Lügen in Bezug auf die Diaz-Schule sind die 93 in der Schule zusammengeschlagenen Personen von einer Reihe von Anklagen – am Tag nach dem Polizeiangriff formuliert – entlastet worden. Die Untersuchungsrichterin hatte


Foto: Max Abordi

sie wegen «nicht Umsetzen der Tat» freigesprochen und von Anklagen wegen Widerstand, Aggression und Waffenbesitz entlastet. Die Anklagen wegen krimineller Vereinigung zwecks Zerstörung und Diebstahl wurden ebenfalls eingestellt. Die Untersuchungsrichterin hatte erklärt, dass diese Entscheidung aufgrund der Lügen der Beamten gefällt wurde: «viele (dieser Lügen) kamen unter falscher Befragung zustande, eine Tatsache, die die Aussagen in den Protokollen nichtig macht». Auch die Aussagen der Polizisten, die nach dem Überfall vor Ort eintrafen, bestätigten die Gewalttaten der Polizisten und den nicht vorhandenen Widerstand der 93 Angegriffenen.

UND DAMIT NICHT GENUG Betreffend die Gewalttaten in der Polizeikaserne von Bolzaneto – wo viele verhaftete Demonstrierende im Juli 2001 hingebracht wurden – sind 43 Personen (darunter vier Ärzte) wegen spezifischer Gewaltanwendung angeklagt worden. Die Untersuchung, welche schon fast abgeschlossen war, wurde wegen Geständnissen einiger Polizeibeamter der Strafanstalt, welche mit den Aussagen der Demonstrierenden übereinstimmten, im Februar wieder aufgenommen. Aus den Geständnissen: Abgerissene Piercings, Schläge und psychologischer Druck, nazimässiges Marschieren, Spucken, Vergewaltigungsandrohung gegenüber Frauen, Menschen zum Kriechen, zum Bellen zwingen oder den Kopf in eine ekelhafte Latrine stecken… Diese Geständnisse bringen ho-

he Beamte ins Spiel, wie den Polizeigeneral der Strafanstalt, Oronzo Doria, und Alfonso Sabella, den Richter, der die Genueser «Gesandtschaft» des Departements der Strafvollzugsadministration leitete. Mit den Zeugenaussagen der Polizisten aus der Strafanstalt ist Licht in die Dunkelheit des «Gesetzes des Schweigens» und in die Litanei «ich hab nichts gesehen» und «es ist nichts geschehen» gedrungen. Die Beamten versicherten, damals ihre Vorgesetzten informiert zu haben – diese Bekenntnisse veranlassten die Staatsanwälte, die Zahl der Untersuchten zu vergrössern. Die Richter von Genua haben ausserdem weitere Prozesse betreffend die Ereignisse um den G8 angekündigt: Ein Prozess bezüglich der Gewalttaten in den Spitälern der Zone Fiera und in der Kaserne von San Giuliano. Ein weiterer gegen 50 Demonstrierende: Um die hundert Personen sind über Videos und Fotos identifiziert worden; vorher liefen die Verfahren «gegen Unbekannt». Dieses Verfahren würde dann gegen weitere identifizierte Personen erweitert werden, sobald das Urteil über die ersten gefällt worden ist – ein solches Urteil wäre somit eine ideale Basis.

Netzwerk – zu helfen. In den letzten Jahren hat das GLF ein grosses Archiv mit Audio- und Videomaterial, Bildern und Texten zusammengestellt. Dieses Archiv muss digitalisiert und mit dem neuen Prozessmaterial aktualisiert werden. Von Juni bis Oktober 2004 wird Indymedia wieder in Genua tätig sein. Vier Personen werden im Archiv arbeiten, um daraus ein vollständig brauchbares Instrument für die juristische Arbeit zu schaffen, und dieses zur Verfügung des kollektiven historischen Gedächtnisses zu stellen. Dutzende von Freiwilligen helfen, indem sie das Dossier über Genua aktualisieren und die Prozessnachrichten in andere Sprachen übersetzen. Wir haben zudem beschlossen eine Kampagne zur Finanzierung der Ausgaben der in Genua arbeitenden Personen zu starten: Für technische Bedürfnisse, Materialkosten, für die Forschungsarbeit und die Archivierung. Es ist die erste Finanzierungskampagne, die wir durchführen und wir brauchen eure Hilfe. Weil es wirklich nicht der Moment ist, Genova zu vergessen.

Spenden an: Don Antonio Balletto Hauptsitz Bank von Carige Konto-Nr. 6135980 Cod. Abi 06175 Cod. Cab 01400 Internationale Koordinaten: swift code CRGEITGG040 iban IT45 H061 7501 4000 0000 6135 980 Betreff: Indymedia & Genova Legal Forum Aktuelle Berichte (auch auf deutsch): http://italy.indymedia. org/features/genova http://italy.indimedia. org/controinchiesta.php

> INDYMEDIA ITALIA <

ARCHIV AKTUALISIEREN In dieser komplexen Situation haben wir eine Klarheit: Es sind die Videos und die Dokumentationen, welche die Grundlage G8-Prozesse ausmachen. Gerade deshalb hat sich Indymedia Italien entschieden, die Hemdsärmel hochzukrempeln, um dem «Genua Legal Forum» – dem juristische

INTERNATIONALISTISCHE megafon Nr. 274, August 2004

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ENDLICH EIN REZEPT GEGEN GLOBALISIERUNG

ARBEITER! WERDE REICH ODER STIRB ALLE WISSEN ES, DOCH (FAST) NIEMAND SAGT ES OFFEN: DIE GLOBALISIERUNG STÜRZT DIE ARBEITERKLASSE IN DEN INDUSTRIALISIERTEN LÄNDERN INS ELEND. EIN DEUTSCHER WIRTSCHAFTSPROFESSOR SPRICHT KLARTEXT UND HAT EIN REZEPT.

Saia-Burgess ist eine Erfolgsgeschichte der Schweizer Industrie. Das Murtener Unternehmen produziert beispielsweise sehr kleine Motoren und vertreibt diese weltweit. Im laufenden Jahr wird die Hightech-Firma für mehr als eine halbe Milliarde Franken Produkte verkaufen und dabei eine Gewinnmarge von gegen zehn Prozent einstreichen – ungewöhnlich viel für ein Industrieunternehmen. Saia-Burgess sucht zusätzliche Angestellte: Ingenieure, Software-Spezialisten, Sachbearbeiter. Stellen für Arbeiterinnen aber gibt es nicht. Anfang Juli kaufte Saia-Burgess einen süddeutschen Hersteller von Motoren und Getrieben. Das Ziel der Übernahme liegt neben der Erhöhung des Marktanteils in der Senkung der Produktionskosten. Die Fabrik in Süddeutschland wird in das ostdeutsche Werk von Saia-Burgess verlagert, während ein Teil der dortigen Produktion in ein Werk nach Polen verlagert wird. Voilà, ein Musterbeispiel für die DeIndustrialisierung von so genannten Hochlohnregionen.

DER PROFESSOR SPRICHT Wer sind die Gewinner, wer die Verliererinnen im Globalisierungsspiel? Die bürgerliche Propagandamaschine behauptet, «alle» würden von der Globalisierung profitieren. Der Münchner Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn räumt mit diesem Unsinn in einem langen Artikel in der NZZ auf1. Sinns Beobachtung: Deutschland und die Schweiz entwickelten sich in

GELD ODER LEBEN

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megafon Nr. 274, August 2004

den 1990er Jahren zu «Basar-Ökonomien». Beide Länder sind zwar nach offiziellen Statistiken enorm starke Exporteure, in Wirklichkeit wird aber ein zunehmend kleinerer Teil der weltweit verkauften Waren tatsächlich in Deutschland oder der Schweiz hergestellt, weil viele Unternehmen immer grössere Teile der Produktion in Regionen mit tieferen Löhnen (Osteuropa, Asien, …) verlagern. Die angeblichen «Exportweltmeister» werden immer mehr zu reinen Drehscheiben, eben «Basar-Ökonomien», so Sinn. Gemäss der reinen Wirtschaftstheorie müssten nun nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage die Arbeiterinnenlöhne in Deutschland und in der Schweiz rasch sinken, weil die Nachfrage nach Arbeitskräften sinkt. Die Löhne sinken zwar, aber nicht schnell genug, weil es erstens Gewerkschaften, Gesetze und eine Arbeitslosenversicherung gibt und zweitens man hier mit vietnamesischen oder philippinischen Löhnen schlicht verhungern würde. Also führt die Globalisierung nicht etwa zum allgemeinen Glück und Wohlstand in den Industrieländern sondern zu Massenarbeitslosigkeit und einem steten Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen. So fordert etwa der Schweizer Industrielle und Präsident des Industrie-Verbands Swissmem, Johann Schneider-Ammann, öffentlich die Verlängerung der Arbeitszeiten2.

GEWINNER UND VERLIERER Der gescheite Professor führt in seinem Artikel einen weiteren wichtigen Begriff ein: Der Handelsgewinn. Während die Arbeiterinnen an Lohn und Lebensqualität verlieren, explodieren die Gewinne der Kapitalisten, die in Billig-Lohnländern produzieren lassen. Der sackteure Porsche Cayenne beispielsweise, wird zwar zu 88 Prozent in der Slowakei hergestellt, aber in den reichen Ländern zu keineswegs «slowakischen» Preisen verkauft. Die

Differenz (eben der Handelsgewinn) streichen die Aktionäre und Manager von Porsche ein. O-Ton von Professor Sinn: «Die Arbeitnehmer sind die Dummen. Wer eine Arbeitsleistung anbietet, welche die Unternehmen im Ausland deutlich billiger einkaufen können, kann nicht zu den Gewinnern der Globalisierung gehören. Leider sind sehr viele Menschen von diesem Effekt betroffen (…).»

VERHUNGERN? ERSCHIESSEN? Ein ehrlicher Wirtschaftsprofessor, dieser Herr Sinn! Wenn der Wert der Arbeit vollständig den Marktgesetzen unterworfen wäre, würde die europäische Arbeiterklasse glatt dem Hungertod ausgeliefert. Man könnte zwar auch, so Sinn, die Gewinne der Kapitalisten stärker besteuern und dieses Geld zur Rettung der Arbeiterinnen einsetzen. Doch auch das geht nicht, schreibt der Professor, denn das Kapital würde einfach auswandern. Die Industrieländer, in denen es immerhin noch Faktoren wie Wahlen oder bürgerliche Freiheiten gibt, sind also in der Klemme. Entweder Massenarbeitslosigkeit und steigende Staatsverschuldung oder Massenarmut, Hun-


FRIEDRICH ENGELS UND MEINE GROSSMUTTER

ger und Pestilenz. O-Ton Sinn: «Er [der Staat] steckt in einer Zwickmühle, aus der es kaum ein Entrinnen gibt.»

WERDE KAPITALIST! Unser vielgerühmter Professor wäre nicht Professor, wenn er nicht einen Ausweg aus dem Dilemma wüsste. Die Arbeiterinnen sollen doch einfach sparen, sagt Sinn. Dann nämlich könnten sie sich am Kapital der Unternehmen, von denen sie eben gerade auf die Strasse gestellt worden sind, beteiligen. Der Staat könnte dann so unmarktwirtschaftliche Dinge wie Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld abbauen. Weil die Arbeit hierzulande dann billiger würde, würden die Arbeitsplätze auch wieder zurückkehren. Die Arbeiter ihrerseits hätten dann zwar weniger Lohn oder Sozialhilfe, dafür könnten sie dann aber von den Handelsgewinnen der globalisierten Unternehmen profitieren, so das einfache Rezept aus der Münchner Wirtschaftsküche.

Statt für immer weniger Lohn zu malochen, soll die ArbeiterInnenklasse also Coupons3 schneiden. Sie soll am Mehrwert aus der Ausbeutung von vietnamesischen, marokkanischen, philippinischen oder chinesischen ArbeiterInnen teilhaben. Und so kann dann – und das ist nun nicht mehr von Professor Sinn – eine revolutionäre Entwicklung in der industrialisierten Welt vermieden werden. Schliesslich ist nicht anzunehmen, dass sich die Arbeitenden der Industrieländer den Preis für ihre Arbeit widerstandslos auf das Niveau von Vietnam drücken liessen. Friedrich Engels hat im vorletzten Jahrhundert bereits das Phänomen des «Rentnerstaats» beschrieben. Gemeint war England, wo relativ breite Teile der Bevölkerung an den Gewinnen aus der Ausbeutung der Kolonien beteiligt worden waren. Auch meine Grossmutter hat daran geglaubt. Als sie starb, hinterliess sie Aktien. Die Papiere der belgischen Staatsbahnen in Kongo waren schön anzusehen, aber wertlos. Genauso musste auch die britische ArbeiterInnenklasse, so sie nicht eh schon in den Schützengräben von Flandern verblutet war, nach dem Ende des Kolonialismus unten durch.

Ebenfalls teilweise weg ist das Geld, das man als arbeitender Mensch in der Schweiz zwangsweise seiner Pensionskasse zuschiebt. Die Banken und Versicherungen, die diese Milliarden verwalten, schnappen sich einen nicht unwesentlichen Teil als Verwaltungskosten, ein Teil wird an der Börse verjubelt und mit einem weiteren Teil werden Häuser gebaut und gekauft, die wir dann über höhere Mieten selbst wieder bezahlen… Da halte ich mich lieber an Lenin: «Der Rentnerstaat ist der Staat des parasitären, verfaulenden Kapitalismus.»4 > CHRISTOPH HUGENSCHMIDT <

Seite 31. ∫Wie die Globalisierung Länder auseinander reisstª. Der Artikel eignet sich ausgezeichnet als Crashkurs in Volkswirtschaft. 2 Rede von Johann Schneider-Ammann an der GV von Swissmem am 23.6.2004. Quelle: SDA. 3 ∫Coupons schneidenª: Höhnische Beschreibung von Leuten, die sich einzig noch Schwielen an den Händen beim Abschneiden der Zinscoupons von Obligationen holen. Der Ursprung dieser Polemik sei angeblich irgendwo bei Marxengels zu finden. Der Schreibende konnte das Zitat aber nirgends in seinen 8 (acht) Laufmetern MEW (Marx Engels Werke √ die blauen Bücher, die dem Vernehmen nach auch als Ziegelsteine benutzt werden) finden. Er verspricht ein Bier der/mjenigen, der ihm die Stelle als ersteR bringt. 4 Aus Lenin, ∫Der Im-

MARTIN EBNER Und nun sollen wir also gemäss Professor Sinn wieder Aktien kaufen. Wir sollen unser Geld Leuten wie Martin Ebner geben, der in den 1990er Jahren als Prophet der «Volksaktie» populär wurde. Einige Anwälte und Bankiers (und ein gewisser Bundesrat B.) wurden tatsächlich dank Ebner reich – die kleinen Leute, die ihm Geld gaben, sahen beim Börsencrash von 2001 dann allerdings in die Röhre. Das Geld war weg.

1 NZZ vom 26./27.6.

perialismus als höchstes Stadium des Kapitalismusª. Man mag von Lenins Taten in der Sowjetunion halten was man will, das Büchlein ist gut.

Bilder von George Grosz und Otto Dix

GELD ODER LEBEN megafon Nr. 274, August 2004

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DIE LIEBLINGSSCHEIBEN VON GEISHA Label: Plastic City Artist: Awex Floor Control Track: It's our future Release: 1994 Statement: treibend √ agressiv √ vibrie-

rend √ pumpig √ zeitlos √ Abgang √ massiv √ hammer √ Aufbau √ chemisch √ brodelnd √ blubbernd √ brause √ schäumend √ wechselhaft √ wiederkehrend √ explosiv √ drogen √ finale √ schweisstreibend √ Fazit: Acid will never die. Label: Hardhouse Artist: Hardfloor Track: Smash the Gnat Release: 2000 Statement: Roboter √ Pfannendeckel √

Aufbau √ Chef √ Domteur √ Cowboy √ quer √ Stecher √ Wind √ Föhnfrisur √ Ruhe vor dem Sturm √ Enten √ Mistery Park √ Förster √ Kettensäge √ Six Pack √ Inferno √ abschnaller √ Fazit: Smash the Gnagi on the floor. Label: Strictly Rhythm Artist: Josh Wink Track: Original Tweekin Acid Funk Mix Release:1986 Statement: Overdose √ gezwittere √ sphä-

risch √ winke winke √ strange √ frisch √ irr √ betäubend √ sind Sie noch normal? √ dreckig √ kompromisslos √ mörderisch √ Herzstillstand √ Ausdauer √ LSD √ Hexenkessel √ Reiz √ oben ohne √ After√Hour √ Augenkleiffen √ Ohrientierung √ Reinbeisser Fazit: Von allem zu vielº Label: num groove attack Artist: Black Sun Empire Track: Arrakis Release: 2004 Statement: Kunst √ Perfektion √ Spannung

KULTUR ET ALL

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megafon Nr. 274, August 2004

SOUSLEPONT TOJO DACHSTOCK FRAUENRAUM I FLUSS 1 1 2 3 3

PROGRAMM

pur √ rastlos √ Thriller √ Osterglocken √ Achterbahn √ Muscle Car √ Hirsch √ Ausbruch √ turbolent √ Devil's Advocate √ Running Man √ Kick√Start √ alle mit allen √ Kopfnicker √ Domina √ List √ Fazit: Tram weg, Bus weg √ Taxi da.


LEX BARKER EXPERIENCE (DE)

Die acht Musiker faszinieren nicht nur mit ihrer Instrumentenvielfalt, von Didgeridoo und Bongo-Trommeln über Saxophon und Querflöte bis hin zu Violine und E-Gitarre, sondern auch mit einer Reihe verschiedener Sprachen, was sich wahrscheinlich nicht zuletzt auf die Reisen nach Mexico, Cuba, Spanien und ins Baskenland zurückführen lässt. Die chilenische Sängerin lässt während des Auftrittes ihrem Temperament freien Lauf. Mit ihrer Stimme springt sie von Oktave zu Oktave und setzt auf diesem Weg einen weiblichen Kontrast zu ihren männlichen Kollegen. Musikalische Einflüsse aus dem Orient, dem Mittelalter und Lateinamerika, deutsche, spanische, portugiesische und englische Texte werden zu mitreissenden Rhythmen.

15 Minuten auf der Bühne im Sous Le Pont loslegen, am Abend anmelden.

OFFENE BÜHNE #62

MITTWOCH, 25. AUGUST, 22.00 UHR

MEXIKO SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 25. AUGUST, 19-22.00 UHR

ITALIEN SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 18. AUGUST, 19-22.00 UHR

SRI LANKA SPEZIALITÄTEN

(DE)

LEX BARKER EXPERIENCE

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MITTWOCH, 11. AUGUST, 19-22.00 UHR

SOUS LE PONT

SAMSTAG, 7. AUGUST, AB 22.00 UHR

megafon 08.04

PROGRAMM

TABULA RASA

Christian Marclay ist heute einer der wichtigsten Schweizer Künstler. Sein Werk thematisiert das Schnittfeld von bildender Kunst und Musik, von Statik und Bewegung, von Klang und Raum. Seine neueste Performance √ tabula rasa √ gleicht einem akustischen Perpetuum Mobile: Das Konzert beginnt ohne Schallplatten, erst sind da nur die inneren Geräusche der Maschinen. Flo Kaufmann zeichnet diese Geräusche mit einem Schneidegerät auf √ die erste Schallplatte entsteht. Diese wird von Marclay gespielt, was wiederum akustischen Rohstoff hergibt für Kaufmannº ein überraschender Kreislauf entsteht.

ERNST THOMA, LIVE-ELECTRONICS CHRISTIAN MARCLAY, TURNTABLES FLO KAUFMANN, CUTTING MACHINE

TABULA RASA

SAMSTAG, 14. AUGUST, 21 UHR

TOJO

Vorverkauf an der Kasse des Kunstmuseums Thun ab 12. Juni. Telefonische Reservation ab 7. August unter 033 225 84 20

Eine Zusammenarbeit von taktlos bern und Kunstmuseum Thun aus Anlass der Retrospektive von Christian Marclay im Kunstmuseum Thun (bis 5. September).

Eröffnet wird der Abend vom Musiker und Sounddesigner Ernst Thoma. Seine Erfahrung mit live-elektronischer Musik, raumbezogenem Akustik-Design und Studioarbeit fliesst ein in das, was er unter dem Stichwort ∫instant sound netª zusammenfasst.


DACHSTOCK

SUPPORT: DJS VCA (BIOTIC RECS.) DEEJAY MF (UTM) TASK HORIZON (DSCI4) STYLE: DRUM N BASS

DJ KEATON ( R E N E GA D E H A R DWA R E / U K )

SAMSTAG 28. AUGUST, AB 22.00 UHR DARKSIDE PRESENTS:

STYLE: HIP HOP

RJD2 ( U S A )

FREITAG, 27. AUGUST, AB 22.00 UHR

SPECIAL ACOUSTIC SET STYLE: ACOUSTIC ROCK FROM THE MOJAVE DESERT FEAT. PETE STAHL (EARTHLINGS, GOATSNAKE, WOOL, º), DANDY BROWN (HERMANO, º), MARIO LALLI (FATSO JETSON) U.A. √ ONLY CH-GIG!!

ORQUESTA DEL DESIERTO ( U S A ) & MOTHER KINGDOM ( C H )

DONNERSTAG, 26. AUGUST, AB 21.00 UHR

STYLE: ELECTRO-ACOUSTIC & INDUSTRIAL DARK AMBIENT

MELANCHOHOLICS ( D ) & SKALPELL ( C H )

SONNTAG, 22. AUGUST, AB 21.00 UHR

STYLE: NATIVE INDIAN-AMERICAN PUNKROCK UM 22:00 FILM: ROBERT REDFORD PRESENTS A FILM BY MICHAEL APTED: ∫INCIDENT AT OGLALA √ THE LEONARD PELTIER STORY √ A MURDER, A MISTERY, A MOCKERY OF JUSTICEª

BLACKFIRE ( U S A )

FREITAG, 13. AUGUST, AB 22.00 UHR

megafon 08.04

PROGRAMM

In eine Zeit geboren, da ihr im Norden Arizonas angesiedelter Stamm, die Diné- (Navaho-) Indianer, gegen eine weitere Zwangsumsiedlung ihres Reservats kämpfte, weil in dessen Gebiet Uran-Vorkommen festgestellt worden waren, sind die Geschwister Jenada, Klee und Clayson bald mit ihrem Vater als Jones Benally Family unterwegs, Amerika und die Welt auf die empörende Behandlung aufmerksam zu machen, die die Vereinigten Staaten ihrer Urbevölkerung zuteil werden lassen. Machen sie mit dem Abhalten traditioneller Stammesrituale auf die Kultur aufmerksam, die von der modernen Zeit ausgelöscht zu werden droht, finden sie Mitte der 1990er mit der Gründung der Punkband Blackfire einen Weg, ihren Gefühlen, ihrer Kritik an den Unterdrückern Ausdruck zu verleihen, ihre Wut, ihren Kampf für, und ihre Hoffnung auf eine bessere Zeit in die Welt zu tragen. Dabei wenden sie sich in ihren Texten nicht nur gegen das Verhalten der Bleichgesichter Amerikas, sondern gegen Unterdrückung und Ausbeutung, die Zerstörung der Umwelt überall auf dem Planeten. Ihr erstes volles Album ∫One Nation Underª, die letzte Veröffentlichung, auf der Joey Ramone zu hören ist, hat Bassistin Jenada und ihren Brüdern Klee, Gitarre und Gesang, und Clayson am Schlagzeug, den jährlich verliehenen ∫Nammyª (Native American Music Award) 2002 eingebracht. Zu ihren letzten Werken gehören unter anderem die Vertonungen zweier Stücke von Woodie Guthrie, die bisher ohne Musik geblieben waren.

UM 22:00 FILM: ROBERT REDFORD PRESENTS A FILM BY MICHAEL APTED: ∫INCIDENT AT OGLALA √ THE LEONARD PELTIER STORY √ A MURDER, A MISTERY, A MOCKERY OF JUSTICEª

(USA)

FREITAG, 13. AUGUST, AB 22.00 UHR

BLACKFIRE

123

(D)

&

Ein düsterer Trip durch das Tunnelsystem in die Abgründe der menschlichen Psyche, ein kühlender Aufenthalt auf der Schattenseite. Mit Bass, Gitarre und Electronics schaffen die Melanchoholics Soundtracks, die eine beklemmende Realität begleiten und reflektieren, irgendwo zwischen Drone-Ambients, vor allem von der Gitarre getragenen flüchtigen Melodie-Strukturen, vom Bass zerrissenen Dub-Fetzen und heruntergepitchten Doom-Loops, Samples von Geräuschen, Sprache aus Medien und von der Strasse, und Power-Electronics. Das Ganze mag noch so einen miesen Trip darstellen, da sind immer wieder Momente von elementarer Schönheit, und etwas, was vorantreibt. Es gibt keinen Stillstand, auch wenn sich ihre Soundlandschaften sehr gemächlich ausbreiten. Die Zugehörigkeit zum deutschen Label Deafborn, welches sich seit Jahren um die Veröffentlichung und Präsentation von internationalen Noise- und Industrial-Acts verdient gemacht hat, verbindet die beiden Schweizer von Skalpell ebenso mit den Melanchoholics, wie sie die Grundstimmung ihrer Musik teilen. Mit vorwiegend Feldaufnahmen und Power-Electronics arbeitend, steuern ihre Stücke jedoch auch gelegentlich auf einen EBM-mässigen Dancefloor hin, ohne dabei den alptraumhaften Unterton aufzugeben. Schliesslich wollen die beiden nichts weniger, als die Grenzen menschlichen Verhaltens analysieren, erforschen und reflektieren, den Soundtrack zur fortschreitenden Degenerierung der Spezies liefern. Als ∫harsche Sound-Skulpturen, die Leiden und Krankheiten der geistig überentwickelten menschlichen Art symbolisierend, mit meditativen und repetitiven Klang-Mustern Türen zum passiven Widerstand öffnendª, beschreiben sie selbst ihre Musik. Begleitet von ∫Erwürgt die dicke alte Sonneª -Visuals.

MELANCHOHOLICS SKALPELL ( C H )

SONNTAG, 22. AUGUST, AB 21.00 UHR

Das Line-Up der Band könnte leicht auf ein StonerrockAllstar-Projekt schliessen lassen, doch schon die Instrumentierung, mit Sänger Pete Stahl (Goatsnake, Earthlings?, Wool), Multiinstrumentalisten und Initianten Steve ∫Dandyª Brown (Hermano) an Gitarre, Bass und Piano, Country Mark Engel, Mike Riley und Mario Lalli (Fatso Jetson, Desert Sessions) an den Gitarren, Pete Davidson und Adam Maples an Schlagzeug und Perkussion, und der ∫Lone San Gorgino Trumpetª von Bill Barrett, deutet in eine andere Richtung: Eine Spielart des Desert Rock, in dem Gruppen wie Kyuss, Queens Of The Stoneage ihren Bezug zur Wüste ausdrücken, geht es eher darum wie es tönt, wenn die selben Musiker ihre akustischen Instrumente mit ins Wüstencamp nehmen, und um ein Lagerfeuer, mit Ingredienzen wie Cerveza und Tequila, eine Reihe von Songs erarbeiten würden, um sie dann im Studio El Rancho De La Luna von Joshua Tree, wo von Kyuss über Desert Sessions zu Queens Of The Stoneage schon so manche Stonerrock-Legende ihren Anfang nahm, aufzunehmen. Kurz: Mit bis zu vier akustischen Gitarren, viel Latin-Percussion, der den südamerikanischen Anstrich unterstützenden Trompete, Bass und Piano entsteht eine Stilmischung, die Mariachi-Musik, Blues und akustischen Rock zu gleichen Teilen mit Psychedelik, Folk und klassischem Songwriting vermengt. Das Resultat erinnert an Produktionen aus der Motown-Zeit, Neil Young & Crazy Horse, die durch einen Schleier von Melancholie wahrgenommene Weite der Wüste zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs. Oder des Sonnenaufgangs, je nachdem, und dem was dazwischenliegt.

SPECIAL ACOUSTIC SET

ORQUESTA DEL DESIERTO ( U S A ) & MOTHER KINGDOM ( C H )

DONNERSTAG, 26. AUGUST, AB 21.00 UHR


STYLE: BERNER HIPHOP!

PVP PLATTENTAUFE

FREITAG, 10. SEPTEMBER, AB 22.00 UHR

STYLE: ELECTRO-GOTHIC

SPIES LIVE

DONNERSTAG, 9. SEPTEMBER, AB 21.00 UHR

STYLE: ELECTRO & HIPHOP

RADIOACTIVE MAN AND SILVAHBULLET ( U K ) √ LIVE BAND

SAMSTAG, 4. SEPTEMBER, AB 22.00 UHR

STYLE: HARDCORE BREAKBEATS

2ND GEN (UK), T.B.C

FREITAG, 3. SEPTEMBER, AB 22.00 UHR

VORSCHAU SEPTEMBER:

(USA)

Produzenten, lange und oft als die Helden im Hintergrund betrachtet, treten auch im Hip Hop mehr und mehr aus dem Schatten, um als Solo-Artisten das Rampenlicht zu erobern. Diesen Weg, der den gewieftesten unter den Rhythmus-Schmieden vorbehalten bleibt, ist auch RJD2 gegangen, dessen Karriere 1998-99 als DJ/Produzent der Gruppe Megahertz aus Columbus/Ohio mit zwei 12≈Singles auf dem New Yorker Label ∫Fondle»em Recordsª zu blühen begann. Es öffneten sich Türen ausserhalb der Ostküste, ein Beitrag auf dem Bay Area Sampler ∫Always Bigger and Better, Vol. 1ª, ∫This Yearª, der auf der A.B.B.Website gegen Major-Schwergewichte wie Dilated Peoples oder Defari zum besten gekürt wurde, und Touren, auch durch Europa und Japan, folgten. 2000 produzierte er das erste Solo-Werk seines einstigen MHZ-Mitstreiters Copywrite, und wurde eingeladen, einen Track zur Compilation des Def Jux-Labels beizutragen, wo Leute wie Company Flow, Cannibal Ox oder Aesop Rock zuhause sind. 2002 veröffentlichte Definitive Jux das Debut von RJD2, ∫Dead Ringerª, dem diesen Sommer das lange erwartete Album ∫Since We Last Spokeª gefolgt ist. Dazwischen hat er unter dem Namen Soul Position mit Blueprint unter anderem das Album ∫8 Million Storiesª auf dem Epitaph-Unterlabel Rhymesayers herausgebracht, welches auch als Instrumental-Album, ohne die Lyrics von Blueprint erschienen ist. Seine Produktionsund Remix-Skills liess er unter anderen, neben weiteren Veröffentlichungen von Copywrite, Leuten wie Aceyalone, Weathermen, Massive Attack, Elbow, den Labelmates Cannibal Ox und Aesop Rock angedeihen.

RJD2

FREITAG, 27. AUGUST, AB 22.00 UHR

SAMSTAG 28. AUGUST, AB 22.00 UHR

( R E N E GA D E

| BLACKFIRE | | SKALPELL | RJD2

RECS.)

| DJ KEATON

SUPPORT: DJS VCA ( B I OT I C DEEJAY MF ( U T M ) TASK HORIZON ( D S C I 4 )

H A R DWA R E / U K )

DJ KEATON

DARKSIDE PRESENTS:

MITTWOCH, 25. AUGUST MITTWOCH 1. SEPTEMBER

20 UHR: VIDEO UND INFOVERANSTALTUNG ZU DEN VERFAHREN GEGEN DIE G8-ANGEKLAGTEN IN GENUA (SIEHE AUCH TEXT AUF SEITE 24)

SOLIBAR FÜR DAS GENUA ARCHIV VON INDYMEDIA ITALIEN

MITTWOCH, 4. AUGUST MITTWOCH, 11. AUGUST MITTWOCH, 18. AUGUST 2004

NEU AM MITTWOCH UND ZWAR: JEWEILS CA. 20.00UHR

SOLIBAR

I FLUSS

(for women&men)

DRANGSAAL √ HÜFTSCHWUNG EXTREM MIT DJ LILI ( Z H ) DJ DACHSTOCK ( Z H )

LESBISCH SCHWULES BERN PRÄSENTIERT:

SAMSTAG, 21. AUGUST, AB 23.30 UHR

FRAUENRAUM


KREUZUNGEN

Fragen Waagrecht 4 Bezahlter Oberkreativer. 7 Wird zurzeit quer durch die Alpen getrieben. 12 Sagen BerlinerInnen das, sind sie wohl zufrieden. 13 Wenn du drin bist, bist du trotzdem von ihm umgeben 14 Liegt schon bald wieder im Regal und lacht uns kernlos an. 16 Bahnhof in Olten. 20 Zerbombtes Höhlensystem in Afghanistan. 23 Am Ende ein Ov statt dem e, und aus dem östlichen Mitmenschen wird ein östlicher Autor. 25 Trinken dort Leute ihr Bier, die definitiv überführt sind? 30 Tonloses Huftier. 31 Vorname von Kishon. 33 Ja genau dort 34. -geist, -abend. 36 Ein davon befallener Radler sattelt sozusagen den Rahmen. 41 Genau da fehlt was. 42 Kleiner Herr. 43 Ohne h. 44 Hat weder Kopf noch zwei Füsse und ist darum auch nicht lustig. 45 Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abk. 46 Solche Gerichte und Gerüchte sind die beliebtesten. 48 Gibt mit 16 waagrecht sowjetisches Symbol. 49 Biblischer Prophet. 50 Ob der in diesem Monat Geburtstag hat? 51 Geht in Wt gastfreundlich auf. 52 Da bleiben dem Maximilian die

Töne weg. 53 Hat oft nichts mit der Leistung zu tun. 54 Dieses Virus befällt nicht deine Festplatte, sondern deine Eingeweide. 57 Verbindet Turner und Eisenhower. 58 Hollywood-Leuchtfinger. 59 Haken schlagen, damit darauf keine Haken geschlagen werden! 60 Heisst so der Balkon in besseren Kinos? 62 Vorname. 63 Frisörtätigkeit, zurzeit wohl nur bei älteren Damen, kommt aber sicher wieder in Mode. Fragen Senkrecht 1 Keine Pilotin, fährt aber doch in den Lüften. 2 Tanzt gerne in der ersten Reihe. 3 Befällt unbedeckte Glatzen in gleissender Sonne. 4 Grosser Ferientümpel. 5 Dieser James servierte nicht Tee. 6 Machen Zeitungen dünn und Textilien alles andere als blickdicht. 8 Treibt den Esel an. 9 Strasse in Genf. 10 Trademark (Abk.). 11 Mit Stirnlampe und Helm zu erkunden (Mz.), z.B. 20 waagrecht. 15 Türkei kurz. 16 Ob Hans-Caspar diese Musik hört? 17 Musik aus dem Norden, aber nicht ABBA. 18 So wird wohl der Prediger in trendigen PopKirchen kurz genannt. 19 Vorsilbe für zurück oder

rückgängig. 20 Man sagt, es gehe immer wieder eine auf. 21 Mach dich ... und du bist der Star. 22 Basel-Stadt kurz. 24 War in der Schule meist der Unbeliebteste. 26 Verwirrtes Königreich in der Wüste. 27 Diese Wand ist weit bekannt. 28 Abkürzung für 80er-gspüriges Gemeinschaftsirgendwas. 29 Multi, schon seit Kolonial-Zeiten am Golf. 30 Oft gehörtes Wort zur Tschernobyl-Zeit. 32 Jupitermond. 35 Echtes Vorwort eines berühmten Fussballklubs. 37 Nicht mehr medienpräsente Miliz im Libanon. 38 Eh klar, dass das hier kommt. 39 Verkürzte wohl manchen hierzulande den verregneten Sommer. 40 Nr. 17 brauchst du hier gar nicht. 47 Ist sein Name. 53 Abk. Pressekonferenz. 55 So stellt man/frau sich die ideale Sommernacht vor. 56 Er machts hoch oben zum König. 57 Ignorante, engstirnige Jasager (Abk.). 61 Den Schlussbuchstaben wohl schon weggesprengt. 62 Führt sozusagen die Umlaute an.

Lösungen Juli-Rätsel Waagrecht 6 GB 8 Karawanenführer 14 Rasa 15 Fab 16 Oiwa (Iowa) 17 Tramschienen 21 Enid (Blyton) 22 Rasch-

KREUZUNGEN

38

23 Kitt 24 Larg (Gral) 25 LW 26 Asthm(a) 28 Automobile 33 Dada 34 Amme 35 Meran 36 IG 37 Standpunkt 40 Trage 42 Dart 43 Eflale (Faelle) 46 Herum 48 Eum 50 Angebereien 52 Steigbügel 56 Rt (Rot) 57 NGO 58 TB 59 Sergio 61 Norrep (Perron) 63 Velo 65 Tour de France 66 LI 67 TS 68 Tapis Senkrecht 1 Fahrradsättel 2 Darmstdat (Darmstadt) 3 Hasch 4 Anfetten 5 Rubel 6 Gring 7 Bewilligung 9 Waschanlage ---10 Fantom 11 Nahkampf 12 Hörbar 13 Radweg 18 Aas 19 II 20 Na 27 Maden 29 Umu 30 Meter 31 Ort 32 In Arenen 38 Trueb 39 Klee 41 ME 44 Lee 45 Ab 46 Herr Ra 47 Eitrap (Partie) 49 Miso 51 Gugus 53 Brot 54 Gods 55 Loft 60 IR 61 NE 62 PCS 64 LI

megafon Nr. 274, August 2004


Wir verschenken noch viel mehr als Probeexemplare Immer noch sind die neuen coolen megafon-Postkarten erhältlich. Wer kein megafon-Badetuch mehr ergattert hatte, kann sich das Sujet wenigstens als Postkarte sichern… Frankiertes Rückantwortcouvert senden an

megafon, Postfach 7611, 3011 Bern

Während des Sommerloches sind wir immer wieder dankbar für erheiternde Abwechslungen. Hier die letzte prämierte Einsendung in der Disziplin ∫Kopflastige Antworten auf provozierende Fussnotenª. Sorgen macht wir uns nur, wie dieser Mensch mit dem Schtutz umgehtº (der Bostitch) KONTAKTE Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR Postfach 5053 | 3001 Bern reitschule@reitschule.ch www.reitschule.ch T 031 306 69 69 baubuero@reitschule.ch T 031 306 69 57 dachstock@reitschule.ch T 031 306 69 61 X 031 301 69 61 druckwelle T 031 306 69 65 e-fluss@reitschule.ch T 031 306 69 47 frauenAG ida@reitschule.ch T 031 306 69 68 grossehalle@reitschule.ch T 031 306 69 63 homo@reitschule.ch T 031 306 69 69 infoladen@reitschule.ch T 031 306 69 52 kino@reitschule.ch T 031 306 69 69 souslepont@reitschule.ch T 031 306 69 55 tojo@reitschule.ch T 031 306 69 69 (Di N)



So Sa Fr

1.8. 9.00 h 7.8. 22.00 h 13.8. 22.00 h

Grosse Halle SousLePont Dachstock

Kein Flohmarkt! Lex Barker Experience (DE) Blackfire (USA) Vor der Band ein Film: Robert Redford Presents A Film By Michael Apted √ ∫Incident at Oglala √ The Leonard Peltier Storyª- A Murder. A Mystery, A Mockery of Justice. Mit Diskussion, dann Konzert

Sa

14.8.

21.00 h

Tojo

Tabula Rasa √ Performance von Christian Marclay, turntables mit live Vinyl Cutting

Mi

18.8. 20.00 h

i fluss

Solibar & Infoveranstaltung Solibar für das Genua Archiv von Indymedia Italien Infos zu den Verfahren gegen die G8-Angeklagten von Genua

Sa

21.8. 23.30 h

Frauenraum

Drangsaal √ Hüftschwung extrem mit DJ Lili (ZH) und DJ Dachstock (ZH) (for women&men)

So Mi Do Fr Sa

22.8. 21.00 h 25.8. 22.00 h 26.8. 21.00 h 27.8. 22.00 h 28.8. 22.00 h

Dachstock SouslePont Dachstock Dachstock Dachstock

Vorschau September: Mi 1.9. 20.00 h i fluss Fr 3.9. 22.00 h Dachstock Sa 4.9. 22.00 h Dachstock Mi

8.9.

20.00

i fluss

Melanchoholics (D) & Skalpell (CH) Offene Bühne #62 Orquesta Del Desierto (USA) RJD2 (USA) Dachstock Darksite, t.b.a.

Solibar für die FAU/Bildungssyndikat 2nd Gen (UK), t.b.c Radioactive Man and Silvahbullet (UK) √ live band Solibar & Infoveranstaltung Überwachung und Gesetzesverschärfungen nach dem 11.9.01

Do Fr

9.9. 21.00 h 10.9. 22.00 h

Dachstock Dachstock

Spies live PVP √ Plattentaufe

august


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