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Erzähler

Darüber hinaus konnte er sich aber eine gewisse Überzeichnung in Richtung romantisches Lustschloss ohne weiteres erlauben. Er gestaltete die Anlage weicher und zierlicher als die Vorlage. Auch der Rebberg wirkt weit weniger schematisch. Und stünde im Vordergrund nicht eine markante Eiche und kehrten nicht ein Jäger mit geschultertem Gewehr und sein Hund von der – offenbar nicht sehr erfolgreichen – Jagd zum Schloss zurück, wir würden es geradezu vermissen.

Selbst wenn wir ehrlicherweise in Betracht ziehen müssen, dass wir hier eine Bleistiftzeichnung einem mechanisch vervielfachten Kupferdruck entgegenhalten und dieser zudem aus dem 18. Jahrhundert stammt, also noch aus der Epoche der Klassik, so erkennen wir doch den charakteristischen Berkmüller wieder: Zum einen die genaue Abbildung von Gebäuden, sei es nun «nach der Natur» oder «nach einer Chronik» und zum andern die liebevolle Ausgestaltung einer friedlichen Umgebung mit zwei Schlossbesucherinnen und einem Jäger.

Einen genauen Hinweis auf die Quelle Herrliberger hält Berkmüller nicht für opportun. Übrigens entnimmt er derselben Publikation auch den Stich «Schloss Spiegelberg», welchem wir bereits früher begegnet sind.

Erzähler

Wir haben es nun mehrfach gesehen: Berkmüller bildet nicht einfach nur ab, was er sieht. Er reichert seine Dorf- und Landschaftsansichten mit Geschichten an. Auf der zu Beginn erwähnten Zeichnung vom Schäfliplatz verwebt er Geschichten des Strassenverkehrs mit solchen des dörflichen Lebens. Er erzählt von der Geschäftigkeit der Dorfbewohner, von ihren Arbeiten und Pflichten wie auch von ihren Begegnungen.

Auch auf die zahlreichen Szenen vor dem Haus zur Krone ist schon hingewiesen worden. Ein einfacheres, aber nicht minder eindrückliches Beispiel sind die beiden Zeichnungen vom «Grüthof». Es sind zwei der ganz wenigen Winterbilder von Berkmüller, und beide erzählen die Geschichte der Einsamkeit des weit abgelegenen Bauernhofes. Nur das Schloss Sonnenberg ist in der Ferne schwach zu erkennen. Sonst kein Haus weit und breit. Keine Nachbarn soweit das Auge reicht. Es muss eisig kalt sein. Am Greuthof hängen lange Eiszapfen von der Dachtraufe. Ein schmales Strässchen, eher schon ein Gehweg, stellt die Verbindung zum Dorf her. Zwei mächtige Eichen beidseits des Weges rahmen die ganze Szene ein wie zwei Wächter am Tor zur abgeschiedenen Grütwelt76. Und wo man hinsieht, auf dem Weg, in den Büschen und auf den Bäumen, überall Krähen.

Das zweite Bild mit demselben Titel «Grüthof im Winter» erzählt die Geschichte von zwei Brennholzsammlern. Vater und Sohn, beladen mit verschnürten Holzbürden, kommen dem Betrachter entgegen. Der Vater führt seinen Hund an der langen Leine. Die beiden schweigen wohl vor sich hin.

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Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Greuthof (Grüthof) im Winter II. Bleistift und Farbstift. Rund 16.5 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 80. Privatbesitz. Aktueller Standort unklar. Reproduktion nach Diapositiv 1980.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Greuthof (Grüthof) im Winter I. Bleistift und Farbstift. 11.5 x 7.2 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 27. Ortsmuseum Wängi. 107

Der Greuthof hinter ihnen ist weit und breit das einzige Gebäude. Ein ganzer Schwarm Krähen kreist über dem Dach. Von wegen Krähen: Auf diesen beiden Winterbildern sind Krähen auch im Vordergrund anzutreffen. Mit Schnabel, Flügeln und Schwanz. Auf den meisten andern Zeichnungen sind die Vögel in Schwärmen unterwegs und lediglich als fliegende «V» angedeutet.

Auf der Zeichnung mit den beiden Brennholzsammlern vor dem winterlichen Grüthof fällt uns noch einmal die nachträgliche Bearbeitung mit Weiss auf. Den Schnee auf Hausdach und Feld hebt er mit Weiss flächig hervor und schafft so einen eindrücklichen Kontrast zum dunklen Astwerk der beiden Eichen im Vordergrund. Die Äste selbst sind teilweise nachgekratzt und wirken auf diese Weise besonders filigran.

Ein anderes Beispiel für Berkmüller als Erzähler: Auch wenn es auf den ersten Blick kaum so aussieht, spielen rund um das katholische Schulhaus fast 30 Kinder. Sie haben Pause. Dazu auf der Strasse Bauersfrauen, ein Bauer mit Wagen samt Ochsen und

108 – nicht zu übersehen – der Herr Pfarrer oder der Herr Schulinspektor. Mit dem strengen Blick der Amtsperson erfasst er das ausgelassene Treiben rund um das Schulhaus. Der Lärm der Kinder ist fast zu hören. Den Lehrer müssen wir Betrachterinnen oder Betrachter selber ins Geschehen hinein interpretieren. Zu erkennen ist er auf alle Fälle nirgends. Vielleicht hat er die Amtsperson bereits kommen sehen und räumt noch rasch das Schulzimmer auf. Berkmüller hätte Bescheid gewusst, er wohnte schliesslich gut 30 Jahre lang im oberen Stock über dem Schulzimmer.

Zwei letzte Beispiele noch für Berkmüller als schalkhaftem Geschichtenerzähler. Zunächst die Zeichnung der Handlung Leutenegger an der Ecke Lommiser- und Hinterdorfstrasse. Links der Friedhof mit der Kapelle. Auf der Lommiserstrasse treibt ein Fuhrmann sein Pferd mit der Peitsche zum Trab. Der Wagen ist schwer mit Fässern beladen. Hinter dem Fuhrwerk – vom Fuhrmann nicht zu sehen – spielen Buben auf dem Langwid77 «Ufhocke». Mit unverhohlenem Schalk freut sich Berkmüller am Treiben der beiden Lausbuben. Auf der Zeichnung «Kalchbühl» rennen zwei Buben vor dem Kaminfeger davon. Sie haben ihn wohl gehänselt «Chämifäger schwarze Ma, hät e ruessigs Hämpli a! Nimmt de Bese und de Lumpe, macht die böse Buebe z’gumpe!» und machen sich nun aus dem Staub.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Katholisches Schulhaus Wängi. Bleistift. 9.7 x 6.0 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 6. Ortsmuseum Wängi.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Lommiserstrasse und Handlung Leutenegger Wängi. Bleistift. Ganze Zeichnung 11.8 x 7.1 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 11. Ortsmuseum Wängi. Links die Kapelle. In der Bildmitte die Handlung Leutenegger mit Schild über dem Eingang. Davor der Dorfbrunnen Wängi Oberdorf. Er existiert heute noch. Zwar wirkt er als Wandbrunnen nicht mehr so imposant, aber der ungefähre Standort wenigstens ist geblieben. Hinter dem Fuhrwerk die beiden Buben bei ihrem verwegenen Spiel.

Alphons Berkmüller. (1802 – 1879). Aadorferstrasse mit Hof Hoepli. Ausschnitt. Bleistift. Ganze Zeichnung 11.7 x 7.3 cm. Ohne Signatur. Ohne Datierung. BmKat. Nr. 19. Ortsmuseum Wängi. 109