NAME IT - 20

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SEX AND A PITY von anonymous

der test

geilheit vs. vernunft. ganz ehrlich, wenn dich die geilheit überkommt, und kein kondom zur hand ist, kann es schon mal passieren, dass du drauf pfeifst und es eben einfach ‚ohne’ machst. so wie mit philipp, den ich in einer bar aufgegabelt und mit nachhause genommen hatte. wir machen so rum, und dabei rutscht ein teil von mir wohin, wo er ohne schutzbekleidung eigentlich nicht hin sollte. ‚oh!’ sage ich zu phillipp. „sorry, ich hol schnell einen gummi“ – er: „nein, passt schon, mach weiter“. ganz wohl ist mir nicht, aber meine erregung und der alkohol schalten meine vernunft aus und ich mache tatsächlich weiter, bis zum schluss. aber was sollte mir als aktivem schon passieren, denke ich. „bist du deppert?“ sagt am nächsten tag mein guter freund dimitri. „schon mal dran gedacht, dass du am schwanz schleimhäute hast?“ nein, daran hatte ich nicht gedacht. panik steigt in mir hoch. für die direkte chemiekeule danach war es schon zu spät... also warte ich 6 wochen und gehe zu meinem hausarzt zum test. eine woche muss ich auf die befundbesprechung des blutbilds warten. eine woche ohne viel schlaf. dafür mit ärgsten horrorphantasien. ich sitze schließlich mit schatten und ringen unter den augen im wartezimmer, blättere schlauerweise auch noch broschüren über die gut sortierte auswahl an geschlechtskrankheiten, die man sich sonst noch so holen kann, durch und merke, ich werde immer kurzatmiger. schließlich ruft mich der doc zu sich. ich versuche, seinem gesichtsausdruck erste informationen zu entnehmen, während er den befund studiert. fehlanzeige. pokerface. „dein guter cholesterinwert ist etwas niedrig, du solltest mehr fisch essen.“ der mann ist mir deutlich zu relaxt. mein cholesterinwert? absolute themenverfehlung, denke ich. „und bei einem leberwert bin ich ein bisschen stutzig geworden. hast du viel party gemacht in letzter zeit?“ ich kann mich nicht mehr zusammenreißen. „hiv! was is mit hiv??“. er schaut mich verdutzt an, blättert im befund. „ach so. ja eh negativ! hast du dir etwa sorgen gemacht?“ ich nicke und beschließe die hysterie der letzten tage zu verschweigen. komprimierte panik. den nächsten test mache ich dann nach einer knapp 2-jährigen beziehung. mein exfreund hatte zwar immer gesagt, er hätte einen aktuellen test, eine bestätigung hatte ich aber nie gesehen. einen frischen test wollte er nicht machen, er knüpfte das thema an die vertrauensfrage. wobei – ich finde ja, vertrauen ist hier fehl am platz. dennoch, sex wollte ich trotzdem mit ihm haben. meistens safe, aber eben nicht zu 100 %. nach dem beziehungsaus beschließe ich, dass es zeit für einen test sei. ich gehe in ein labor, das den befund bis zum nächsten tag ausstellt, gebe blut, bekomme einen abholschein. ich stelle fest: zwar dauert mein panikzustand nun nicht 7 tage, dafür ist er komprimiert auf ein paar stunden. ich bringe sie damit zu, mich an jedes einzelne sexuelle erlebnis zu erinnern, das ich seit dem letzten test hatte. in der beziehung, in der singlezeit im urlaub, nach parties, mit affären... zwar waren keine richtigen risikofälle dabei, aber kann man je hundertprozentig sicher sein? tags darauf gehe ich zum labor, mein herz klopft wie wild, ich stelle mir alle möglichen schrecklichen konsequenzen vor, die der positive befund mit sich führen würde. ich gebe der stoischen rezeptionistin meinen abholschein, sie durchwühlt eine schreibtischlade, findet aber nichts. „oh gott“, irrationale gedanken

„wir machen so rum, und dabei rutscht ein teil von mir wohin, wo er ohne schutzbekleidung eigentlich nicht hin sollte.“ anonymous schießen mir durch den kopf... „sie hat mich bei den negativen nicht gefunden, jetzt sucht sie den befund in der lade mit den positiven...“ sie verzieht keine miene, gibt mir ein kuvert, ich nehme es entgegen, reiße den zettel raus, suche hysterisch nach der richtigen zeile... „negativ“ steht da. erleichterung macht sich breit, mein puls normalisiert sich, ich schicke sms an alle freunde, die ich seit dem vortag ebenso narrisch gemacht habe wie mich selbst. get tested! bisher hatte ich also immer glück, dass meine risikofälle offenbar hiv-negative jungs waren – oder es einfach zu keiner ansteckung gekommen ist. es hätte aber auch anders laufen können. und auch wenn ich mich in dem zeitraum zwischen blutabnahme und befundbesprechung in einem psychischen ausnahmezustand befinde, kann ich gar nicht oft genug sagen, wie wichtig es ist, über seinen hiv-status bescheid zu wissen. gerda-rogers-horoskope oder mantras wie „es wird schon nix sein!“ sind keine alternative. klar, es sind nicht mehr die 1980er und die forschung ist schon viel weiter, sodass viele betroffene gut mit hiv leben können. dennoch: es geht um verantwortung. sich selbst – und anderen gegenüber. denn schlimmer als die vorstellung, es mir selbst zu holen, ist für mich der gedanke, es – ohne bescheid zu wissen – jemand anderem weiterzugeben.  tests in deiner nähe: www.aidshilfen.at such mich auf facebook: www.facebook.com/anonymous.nameit

Andreas Hofmann

für jemanden wie mich, der doch schon ne runde um den block gekommen ist, war und ist hiv ein großes thema. ich würde mich sogar als ziemlich hiv-panisch einstufen. natürlich, todesurteil ist es keines mehr heute, aber es würde mein leben doch sehr entscheidend verändern. ich bin deshalb sehr vorsichtig. weder gehöre ich zu den größten schluckspechten der nation, noch mache ich bei russian-roulette-barebackparties mit. und trotzdem: in meiner nunmehr 12-jährigen schwulenkarriere ist es doch auch mal zu ausrutschern gekommen.

Achtung! Die neue Ausgabe von NAME IT erscheinT am 28. Oktober 2011


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